"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Montag, 30. September 2013

Das Necronomicon-Experiment

Eins vorweg: Von The Rats in the Walls findet sich in Necronomicon (auch bekannt als H.P. Lovecraft's Necronomicon, Necronomicon: Book of the Dead und Necronomicon: To Hell and Back) nichts außer dem Namen De La Poer. Aber sehr viel mehr hatte ich ehrlich gesagt auch nicht erwartet.

Der 1993 auf den amerikanischen Videomarkt gelangte Episoden-Horrorfilm ist eine Kooperation von drei Regisseuren.
Der Allgemeinheit heute am bekanntesten dürfte Christophe Gans sein, schuf dieser doch acht Jahre später den kommerziell äußerst erfolgreichen phantastischen Historienstreifen Le Pacte des loups (Pakt der Wölfe). Aus einer Reihe von Gründen halte ich selbst allerdings nur wenig von dem auf der Geschichte der Bestie von Gévaudan basierenden Film und würde ihm sogar Gans' allgemein wenig geschätzte Silent Hill - Adaption aus dem Jahre 2006 vorziehen. Aber damit stehe ich vermutlich ziemlich alleine da. 
Shusuke Kaneko hingegen war mir bisher völlig unbekannt. Doch scheint er sich vor allem im Kaiju-Genre ausgezeichnet zu haben (u.a. Gamera 1 - 3), und da ist mein Wissen – zumindest was Namen angeht – eher kümmerlich. 
Initiator und Produzent von The Necronomicon war der Dritte im Bunde – Brian Yuzna. Genrefans dürfte der Mann u.a. als Produzent von Stuart Gordons Klassikern Re-Animator (1985) und From Beyond (1986) bekannt sein. Später drehte er mit Bride of Re-Animator (1990) und Beyond Re-Animator (2003) zwei Sequels zu dem berühmten Film seines Freundes. Zu seinem Oeuvre zählen daneben u.a. Initiation: Silent Night, Deadly Night 4 (1990), Return of the Living Dead III (1993), The Dentist (1996) und Faust: Love of the Damned (2000). Mit Rottweiler (2004) drehte er außerdem einen der letzten Filme, in denen Paul Naschy mitwirkte.

In einem Interview mit Artechock erzählt Yuzna über The Necronomicon:
Ehrlich gesagt finde ich nicht, dass NECRONOMICON als Film an sich so wahnsinnig gut funktioniert, und es ist immer schwierig für ein Publikum, drei verschiedene Geschichten zu haben. Filmemacher lieben es, solche Anthologie-Filme zu machen, aber das Publikum schaut sie nicht gerne an. Es ist ein uneinheitlicher Film. Aber das macht mir nichts aus, denn als ich anfing, ihn zu machen, da habe ich das als Experiment getan. Das Experiment war, einen Regisseur aus Europa, einen aus Asien und einen aus Amerika zu nehmen und jeden einen Lovecraft-Film machen zu lassen, und sich die Mixtur anzusehen. Denn für mich sind das die drei Teile der cineastischen Welt zur Zeit. Und ich wollte einfach sehen, wie die Mischung aussehen würde.
Das klingt erst einmal recht spannend, doch ist das Ergebnis dieses Experimentes ähnlich interessant? Schaun wir mal.


Das meiste, was in diesem Trailer gesagt wird, ist natürlich totaler Bullshit, aber hat irgendwer etwas anderes erwartet?!?

In der Rahmenhandlung erleben wir, wie sich H.P. Lovecraft (Jeffrey Combs)* in der Bibliothek irgendeiner okkultistischen Sekte Zugang zum Necronomicon verschafft und einige Passagen aus dem verbotenen Buch kopiert. Er tut dies, weil das "Schicksal der Menschheit" davon abhänge. Bei den folgenden drei Geschichten handelt es sich um den Inhalt besagter Passagen.

Christophe Gans' The Drowned erzählt wie der eigentlich in Schweden lebende Edward De La Poer (Bruce Payne) ein altes Hotel an der Küste von Neuengland erbt, das sich zuvor im Besitz seines Onkels Jethro (Richard Lynch) befand. In einem Brief an seinen Erben berichtet Jethro, wie er sich nach einem Schiffsunglück, bei dem seine Frau und sein Sohn ums Leben kamen, von Gott abwandte, nur um in derselben Nacht von einem eigentümlichen Fischmenschen besucht zu werden, der ihm das Necronomicon gebracht habe. Mit Hilfe des Buches habe er versucht, seine Liebsten ins Leben zurückzuholen, doch diese hätten sich dabei in teuflische Ungeheuer verwandelt, woraufhin er beschlossen habe, sich das Leben zu nehmen. Edward, der seine eigene Frau Clara (Maria Ford) bei einem Autounfall verloren hat, macht sich sofort auf die Suche nach dem Grimoire und wiederholt den fatalen Fehler seines Onkels. Tatsächlich kehrt Clara zu ihm zurück, doch muss er miterleben, wie sich ihr Körper vor seinen Augen in den widerlichen Tentakel eines gigantischen Ungeheuers verwandelt, das aus einem tiefen Schacht unter dem Hotel heraufzusteigen beginnt.
Mit Rats in the Walls, der "offiziellen" Vorlage, hat die Episode so gut wie nichts zu tun. Motivisch knüpft sie eher an The Shadow over Innsmouth und The Call of Cthulhu an. Doch im Grunde handelt es sich bloß um eine lovecraftianisch angehauchte Variante des altehrwürdigen Teufelspaktes. Nichts wirklich originelles also. Visuell allerdings ist sie nicht ohne Reiz. Und vielleicht ließen sich darin tatsächlich Spuren einer genuin europäischen Horrorfilmtradition erkennen, insbesondere der der italienischen Meister wie Dario Argento oder Lucio Fulci. Einige Szenen besitzen beinah poetische Qualität, und wenn wir die halbnackte Clara sehen, deren Unterleib in einen riesigen Tentakel übergeht, wirkt dies wie eine perverse Karrikatur auf das Bild der Meerjungfrau und hinterlässt in der Tat einen leicht verstörenden Eindruck. Doch nichts davon vermag die Episode über das Mittelmaß hinauszuheben. Die Story ist zu banal und zu unlogisch und wird zudem auf übermäßig "dramatische" und pathetische Weise erzählt, wobei die musikalische Untermalung besonders enervierend wirkt. Auf anderthalb Stunden ausgedehnt und mit einem dadurch möglich gewordenen schrittweisen Aufbau einer unheimlichen Atmosphäre hätte man möglicherweise etwas Passables aus ihr machen können. So aber ... 
           
Shusuke Kanekos The Cold ist in meinen Augen der eindeutig stärkste Part des Films. Inwieweit sich in ihm Eigenheiten des japanischen Horrors widerspiegeln, kann ich nicht beurteilen, da mir, abgesehen von einigen international erfolgreichen Flicks à la Ringu, das cineastische Grauen aus dem Land der Aufgehenden Sonne weitgehend unbekannt ist. Kaneko erzählt seine Geschichte auf merklich ruhigere Art, und im Unterschied zum Rest des Necronomicon besitzt sie fast so etwas wie menschliche Tiefe. Auch enthält sie eine deutlich größere Portion ihrer literarischen Vorlage Cold Air. Als eine echte "Verfilmung" von Lovecrafts Kurzgeschichte ließe freilich auch sie sich nur schwerlich bezeichnen. 
Die junge Emily (Bess Meyer) bezieht eine neue Wohnung in Boston. Vermieterin Lena (Millie Perkins) gibt ihr sehr deutlich zu verstehen, dass sie den ein Stockwerk über ihr wohnenden Dr. Madden auf gar keinen Fall stören dürfe. Doch als eines Abends ihr Stiefvater Sam bei ihr aufkreuzt und sie zu vergewaltigen versucht, flieht sie die Treppe hinauf, und auf ihr verzweifeltes An-die-Tür-Hämmern hin öffnet der eigenartig bleich wirkende Doktor (David Warner)** und verteidigt sie mit einem Skalpell. Emily fällt in Ohnmacht. Als sie erwacht, findet sie sich in Maddens eisig kalter Wohnung wieder und Sam ist verschwunden. In der Folge kommt es zu einer Reihe unheimlicher Ereignisse. Emily erfährt, was mit Sam tatsächlich passiert ist und was es mit Dr. Maddens "Krankheit" und seiner eigentümlichen Langlebigkeit auf sich hat. Und schließlich kommen auch noch Liebe, Sex, Eifersucht und eine Schwangerschaft mit ins Spiel ...

Über den Inhalt von Brian Yuznas Whispers werde ich nichts genaueres sagen. Nicht weil die Story so komplex oder originell wäre, sondern weil das, was die schwangere Polizistin Sarah (Signy Coleman) auf der Jagd nach dem "Butcher" in den Kellern unter einem Lagerhaus in Philadelphia erlebt, ein Alptraum ist. Und Alpträume wie dieser lassen sich kaum sinnvoll zusammenfassen. Es mag genügen zu erzählen, dass sie dabei einem gruseligen alten Paar (Judith Drake & Don Calfa***) begegnet, und die Ereignisse bald schon eine sehr unappetitliche Wendung nehmen. 
Yuzna hat in einem Interview einmal gesagt:
Horror ist physisch, hat mit Fleisch zu tun. Für Science Fiction verwenden wir Metall. Bei Horror muss Blut fließen, muss Fleisch im Spiel sein, Fleisch, das sich verändert, zerschnitten oder geöffnet wird.
Ob amerikanische Künstler tatsächlich eine größere Vorliebe für "Body Horror" besitzen? Wenn ich an Clive Barker denke, scheint mir das eher unwahrscheinlich. In Yuznas Beitrag zu The Necronomicon jedenfalls spielen Fleisch und Körper eine zentrale Rolle. Das Ergebnis ist hysterisch, eklig und nicht uninteressant. Freilich kippt es streckenweise vom Grotesken ins Lächerliche um.

Was bleibt am Ende zu sagen? The Necronomicon ist kein guter Film, und wirklich lovecraftianisch ist nichts an ihm. Freunden & Freundinnen des filmischen Horrors mag er jedoch einen unterhaltsamen Abend bescheren können, wenn diese gerade keinen besseren Flick zur Hand haben.


* Herbert West in Re-Animator; Crawford Tillinghast in From Beyond; John Reilly in Castle Freak; Edgar Allan Poe in The Black Cat; Weyoun & Brunt in Deep Space 9.
** Michael Kohlhaas in Volker Schlöndorffs Michael Kohlhaas - der Rebell; Keith Jennings in The Omen; Rosaleens Vater in Company of Wolves; Chancellor Gorkon in Star Trek VI.
*** Ernie Kaltenbrunner in Return of the Living Dead; Ralph Willum in Chopper Chicks in Zombietown

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