"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Sonntag, 29. Dezember 2019

Strandgut

Freitag, 27. Dezember 2019

Matango: Ishiro Honda verfilmt William Hope Hodgson – Teil 1

Everything I do is based on humanism,
or love towards people.

Ishiro Honda 


Der japanische Filmemacher Ishiro Honda ist vor allem berühmt als Schöpfer des kaiju eiga – des japanischen "Monsterfilms" – und natürlich als Vater seines berühmtesten Vertreters – Godzilla oder Gojira, dessen fünfundsechzigsten Geburtstag wir dieses Jahr feiern konnten.
Doch mit dem Big G. und seinen Artgenossen wollen wir uns in diesem zweiteiligen Essay nicht beschäftigen. Stattdessen möchte ich meine Leserschaft mit einem wahrscheinlich etwas obskureren, aber nichtsdestoweniger höchst faszinierenden Werk des großen Regisseurs bekannt machen: Dem 1963 in die japanischen Kinos gelangten Matango – Hondas "Adaption" von William Hope Hodgsons klassischer "Pilz-Horror"-Story The Voice in the Night.
Aber bevor uns im zweiten Teil dem Streifen selbst zuwenden werden, wollen wir heute zuerst einmal einen etwas längeren Blick auf die prägenden Jahre und Erfahrungen des Filmemachers werfen. Zwar gelang es ihm nie, ein unabhängiger Auteur wie sein guter Freund Akira Kurosawa zu werden, mit dem er bei Stray Dog / Nora inu (1949),  Kagemusha (1980), Ran (1985), Dreams / Yume (1990) und Maadadayo (1993) zusammenarbeitete. Vielmehr blieb er für seine gesamte Regiekarriere fest eingebunden in Toho's Studiosystem. Ein Umstand, den er später bedauerte:
The best way to make a film is [...] how Chaplin did it. You have your own money, you direct, and act and cast it by yourself. That is a real moviemaker. [People] like us, we get money from the company and make whatever film they want. Well, that is not quite a real moviemaker. (1)  
Dennoch wäre es falsch, in ihm einen bloßen Handwerker und den Schöpfer trashiger Monsterfilme  zu sehen. Und dass nicht nur, weil ein Gutteil seiner Filmographie gar nicht aus SciFi-Flicks besteht. Auch noch seine absurdesten kaiju eiga spiegeln etwas von Hondas Sicht auf die Welt und den Menschen wieder. Weshalb es mir sinnvoll erscheint, vor einer eingehenderen Beschäftigung mit Matango jene ersten dreieinhalb Jahrzehnte von Hondas Leben nachzuzeichnen, die diese Weltsicht geformt hatten.

Ishiro Honda wurde am 7. Mai 1911 in dem kleinen Bergdorf Asahi in der Präfektur Yamagata als fünftes Kind von Hokan und Miho Honda geboren. Sein Vater war buddhistischer Mönch im Tempel von Churen-ji auf dem Berg Yudono, einem der drei Heiligen Berge von Dewa, der sein Einkommen in den Sommermonaten als umherwandernder Devotionalienhändler aufbesserte. Anders als seine drei Brüder Takamoto, Ryokichi und Ryuzo {Schwester Tomi starb bereits im Kindesalter} erhielt der junge Ishiro selbst nie eingehende religiöse Unterweisungen. Überhaupt scheint Hokan nicht nur ein äußerst sanftmütiger, sondern für einen Priester auch erstaunlich weltoffener und toleranter Mensch gewesen zu sein. Es bereitete ihm keinerlei Probleme, dass keiner seine Söhne in seine Fußstapfen treten und dem monastischen Weg folgen wollte.

Asahi mit seinen paar hundert Einwohnern war ein weitgehend in sich abgeschlossenes Universum, umgeben von einer idyllisch schönen Natur. Doch als Bruder Takamoto das Dorf verließ, um eine medizinische Ausbildung zu beginnen, öffnete sich auch für Ishiro ein Fenster in die moderne Welt.

Die Meiji-Restauration von 1868 – jene eigentümliche Kombination aus Feudalfehde, Miliärcoup und quasi-bismarckscher "Revolution von oben" – hatte die alten Feudalbindungen zumindest formal aufgelöst und das Land unter einer nach preußischem Vorbild geschaffenen Verfassung auf den Weg der kapitalistischen Modernisierung gelenkt. Im Zuge dieser Entwicklung hatte sich in Japans Mittelklasse eine  große Begeisterung für moderne  Wissenschaft und Technik  entwickelt. Der junge Takamoto war da keine Ausnahme, und so schickte er seinem kleinen Bruder regelmäßig Magazine wie Kids' Science und Science Visual News
Der Glaube an die Wissenschaft als einer positiven, dem Wohle der Menschheit dienenden Kraft findet sich in vielen von Ishiro Hondas späteren Filmen, auch wenn der Krieg und vor allem die Atombombe dem naiven Idealismus der Kindheit und Jugend in der Zwischenzeit einen merklichen Dämpfer verpasst hatten. Doch wir eilen voraus.

Der erste große Bruch im Leben des jungen Ishiro kam im Alter von zehn Jahren, als die Familie vom bukolischen Asahi in die rasch wachsende Metropole Tokio übersiedelte, wo der Vater Hohepriester in einem lokalen Tempel wurde. Hier sah er im Rahmen  einer Schulaufführung auch erstmals einen Film – vermutlich einen Universal Bluebird - Western – und war sofort fasziniert und begeistert:
That was quite shocking, a machine that projected something like that, and people were moving around in there. I was so interested, and I definitely wanted to see more. (2) 
Zwei Jahre später traten zum ersten Mal Massentod und apokalyptische Zerstörung in das Leben des jungen Ishiro Honda.

Das große Erdbeben von Kanto vom 1. September 1923 legte große Teile der  Hauptstadt in Schutt und Asche und kostete ca. 140.000 seiner Einwohner das Leben. 
Es war eines der prägenden Erlebnisse in Akira Kurosawas Kindheit. In seiner Autobiographie schildert der große Regisseur in eindringlichen Worten die Szenerie von Tod und Zerstörung:
Inmitten dieser gewaltigen Fläche aus ekelerregendem Rot lagen alle nur vorstellbaren Arten von Leichen. Ich sah schwarz verkohlte und halb verbrannte Leichen, Leichen im Rinnstein, Leichen, die im Fluss trieben, Leichen, die sich auf Brücken zu Bergen türmten, Leichen auf einer Kreuzung, die eine ganze Straße versperrten, Leichen, die jede erdenkliche Todesart für menschliche Wesen aufzeigten. (3)
Die Pogrome an der koreanischen Minderheit, zu denen es nach der Naturkatastrophe kam, hätten ihm zudem erstmals gezeigt, wie Furcht und Verzweifelung der Menschen, von skrupellosen Demagogen ausgenutzt und angeheizt, zu den fürchterlichsten Verbrechen führen können.   
Wir wissen nicht, ob das Erdbeben und seine Folgen einen ähnlich tiefen Eindruck bei Ishiro Honda hinterließen. Die Familie lebte im westlichen Vorort Takaido, in dem die Zahl der Opfer deutlich niedriger war als im Zentrum der Metropole. Dennoch ist es  nur  schwer vorstellbar, dass ihn das Erlebnis dieser furchtbaren  Katastrophe unberührt gelassen haben soll.
Der Filmhistoriker Donald Richie führt die Eigenheiten des japanischen Science Fiction - Kinos darauf zurück, dass sich in ihm die Haltung wiederspiegele, mit der die japanische Bevölkerung den Verwüstungen des 2. Weltkriegs begegnet sei. Sie hätten diese nämlich als eine Art schicksalsgegebene Naturkatastrophe aufgenommen: "The Japanese, in moments of stress if not habitually, regards life as the period of complete insecurity that it is; and the truth of this observation is graphically illustrated in a land yearly ravaged by typhoons, a country where the very earth quakes daily". (4) Unabhängig davon, ob man diese Interpretation der japanischen Mentalität teilt, lässt sich doch kaum bezweifeln, dass die Monster des kaiju eiga in der Tat den Charakter zerstörerischer Naturgewalten tragen. Und da ist es dann schon recht interessant, dass ihr Schöpfer in seiner Kindheit eine Katastrophe wie das Erdbeben von 1923 miterleben musste.

Die Verwüstungen beschleunigten im Zuge des Wiederaufbaus allerdings auch die Modernisierung Tokios. Die Stadt, die aus den Trümmern erwuchs, besaß zahlreiche Kinos, Jazz-Clubs und andere Etablissements, die den kulturellen Wandel verkörperten. Für einen erwachenden Filmliebhaber wie Ishiro Honda boten sich ungezählte Gelegenheiten, seiner Leidenschaft zu frönen, die lebendigen Bilder auf der Leinwand zu bestaunen und dabei der Stimme eines benshi zu lauschen. (5) In den 20er Jahren gelangten vermehrt westliche Produktionen in die japanischen Kinos, und so kam er dabei auch in den Genuss von Werken wie Robert Wienes Das Cabinet des Dr. Caligari (1920) und F.W. Murnaus Der letzte Mann (1924).  Zugleich hatte sich der Charakter des einheimischen Films merklich verändert. War dieser in seiner Anfangsphase noch stark von den Theatertraditionen des Nō und Kabuki geprägt gewesen, hatte er inzwischen viele westliche Techniken aufgegriffen und eine Reihe unterschiedlicher Genres ausgebildet.

Ishiro Honda hatte seinem Bruder Takamoto halbherzig versprochen, ein Studium der Zahnmedizin zu beginnen, um anschließend gemeinsam mit ihm ein Krankenhaus zu gründen. Doch als ihn die Nachricht erreichte, dass die Nihon-Universität seit neuestem einen Studiengang Film anbot, zögerte er nicht lange. Und niemand in seiner Familie, auch nicht Takamoto, versuchte ihn davon abzubringen. Allerdings zeigte sich schnell, dass das Pilotprojekt schlecht organisiert war. Niemand in der Universitätsleitung schien so recht zu wissen, wie eine Ausbildung zum Filmemacher genau aussehen sollte. Doch dafür lernte Honda im Zuge dieses recht chaotischen "Studiums" schon bald den bekannten Filmkritiker und Drehbuchschreiber Iwao Mori kennen, der einen der unregelmäßig stattfindenden Kurse leitete, die Honda besuchte, in Wirklichkeit aber vor allem auf der Jagd nach vielversprechenden Talenten war. Zusammen mit seinem Freund, dem späteren Regisseur Senkichi Taniguchi, fand Honda Aufnahme in den kleinen Kreis der von Mori Auserwählten. 
Iwao Mori arbeitete zu dieser Zeit als Produzent für den Toho-Vorläufer PCL (Photo Chemical Laboratories). Die 1929 gegründete Firma hatte sich ursprünglich ganz auf die Bewältigung der technischen Herausforderungen der einsetzenden Talkie-Revolution konzentriert und ihre entsprechenden Dienste den älteren Studios angeboten, "building sound-stages and recording facilities". (6)  Doch 1933 begann man, auch eigene Filme zu produzieren. Anfangs waren das freilich noch hauptsächlich Werbestreifen, und so ließe sich argumentieren, dass Tohos erster Feature-Film eine von Dai-Nippon Beer finanzierte 77minütige "Musical-Komödie" über die "Freuden des Biertrinkens" mit dem Titel Intoxicated Life / Horoyoi jinsei war!
Im selben Jahr erhielt Honda ein Jobangebot von PCL. Damit begann seine eigentliche Ausbildung. Die junge Produktionsfirma war frei von den schwerfälligen bürokratischen und semi-feudalen Strukturen, die ihre älteren Konkurrenten charakterisierte, und orientierte sich stattdessen an Hollywoods Studiosystem. Die neuen Rekruten wurden in allen technischen und kommerziellen Aspekten der Filmproduktion unterrichtet, während sie sich allmählich durch die Ränge der Regieassistenz hocharbeiten konnten. Wie Honda später sagte: "PCL was just a dream place for young people who were aiming for the movie world." (7) Bei der Arbeit an Sotoji Kumuras The Elderly Commoner's Life Study / Tadano bonji jinsei benkyo (1934) übernahm er erstmals die Rolle des dritten Regieassistenten.
Doch wenig später erreichte ihn eine Nachricht, die zu einer jähen Unterbrechung seiner gerade erst begonnenen Karriere führten sollte: Er erhielt seinen Einberufungsbescheid. Zwar konnte er noch als zweiter Regieassistent am Dreh des frühen Tonfilms Three Sisters with Maiden Hearts (1935) mitwirken, doch im Januar 1935 wurde er dann endgültig in die Erste Division des Ersten Infanterieregiments (Dai-ichi rentai) eingezogen, die in Tokio stationiert war.

Die traditionellen achtzehn Monate Militärdienst wären unangenehm genug gewesen, aber Ishiro Honda hatte das Pech, Teil des Dai-ichi rentai zu sein, als der Putschversuch vom 26. Februar 1936 gestartet wurde. Dabei versuchte eine radikale Fraktion innerhalb der japanischen Armee die zivile Regierung zu stürzen, mit dem Ziel eine traditionalistisch-faschistische "Showa - Restauration" im Inneren und einen Angriffgskrieg gegen die Sowjetunion einzuleiten. Obwohl der Coup scheiterte, führte er ironischerweise dennoch zu einer weiteren Stärkung der Macht des Militärs über die Regierung und beschleunigte damit die Entwicklung eines vollausgebildeten totalitären Regimes.
Honda hatte in keinerlei Verbindung zu den Putschisten gestanden. Doch unglücklicherweise war sein kommandierender Offizier Yasuhide Kurihara einer der Verschwörer, und nach der Niederschlagung des Aufstands beschloss man, alle zu maßregeln, die Kontakt zu den "Verrätern" gehabt hatten. Im Mai 1936 wurde die gesamte Division nach Manchukuo versetzt, jenen Marionettenstaat, der nach der japanischen Invasion der Mandschurai 1931 im Nordosten Chinas und der Inneren Mongolei errichtet worden war. Noch blieb Honda vom wirklichen Grauen des Krieges weitgehend verschont. Seine Einheit sollte einen Führer des chinesischen Widerstandes jagen, doch befand sich dieser überhaupt nicht in der Region und es kam scheinbar zu keineren größeren Gefechten. Das ärgerlichste an seiner ersten Militärdienstzeit war sicher die über zweijährige Unterbrechung seiner Ausbildung bei PCL. Doch in den folgenden Jahren erwartete ihn noch weitaus schlimmeres.
Honda kehrte im Mai 1937 nach Japan und ins Zivilleben zurück. Zwei Monate später startete die Invasion Chinas durch japanische Truppen, im August begann die blutige Schlacht um Shanghai, am 13. Dezember folgte das grauenhafte Massaker von Nanjing, in dessen sechswöchigem Verlauf Zehn-, wenn nicht gar Hunderttausende chinesischer Zivilsten von den Invasoren abgemetzelt wurden. Für den Moment befand sich Honda wieder fern dieses blutigen Geschehens, doch das sollte nicht für lange so bleiben.

In der Zwischenzeit hatte sich bei PCL so einiges getan. 1935 hatte der Eisenbahnmagnat Ichizo Kobayashi, der auch eine Reihe von Theaterhäusern besaß, die Kontrolle über das Unternehmen übernommen. Das von ihm zur Verfügung gestellte Kapital trug viel dazu bei, dass es in den folgenden Jahren gelang, eine Reihe bekannter Stars und Regisseure von den älteren Studios abzuwerben. Im August 1937 schließlich verschmolz Kobayashi PCL mit einer Reihe kleiner Firmen und gründete Toho. Es begann das erste Goldene Zeitalter des Studios.
Zu den Neuzugängen gehörten u.a. der berühmte Drehbuchautor und Regisseur Kajiro Yamamoto, der bislang für Nikkatsu gearbeitet hatte, und der vielversprechende Neuling Akira Kurosawa, der 1936 in die Riege von PCL aufgenommen worden war. Der eine wurde Ishiro Hondas großer Mentor, der andere einer seiner engsten Freunde. Honda, Kurosawa und Senkichi Taniguchi waren schon bald Yamamotos bevorzugte Protegés und bildeten zugleich ein Freundestrio, das allgemein als "die drei Krähen" bekannt war.
Während Honda seinen Aufstieg durch die Ränge der Regieassistenz fortsetzte {meist in Produktionen seines Mentors}, wütete jenseits des Meeres weiter der Zweite Japanisch-Chinesische Krieg. Gleichzeitig setzte sich die Verwandlung Japans in eine totalitäre Diktatur ungebremst fort. Als Teil dessen wurde 1939 ein nach dem Vorbild Nazideutschlands gestaltetes Gesetz erlassen, das die Filmindustrie gänzlich dem Staat unterwerfen und in ein Werkzeug imperialistischer Propaganda verwandeln sollte.
Anders als Kurosawa, der als junger Maler einige Jahre lang der "Liga der Proletarischen Künstler" angehört hatte, besaß Honda meines Wissens nach nie irgendwelche Sympathien für den Sozialismus. Dennoch waren sich die beiden Freunde einig in ihrem Abscheu gegen den Krieg und das herrschende Regime der Militärs. Wie Kurosawa später erzählt hat:
Honda and I agreed that it would  be a disaster if Japan won, if the incompetents in the military stayed in power.  [...] What we'd most hate was to see  those military guys have their own way if we won the war,  and drive the country into a deeper mess. (8)
Als ihn Mitte Dezember 1939 sein zweiter Gestellungsbefehl erreichte, sah Honda dennoch keine andere Möglichkeit, als stumm zu gehorchen. Der Terror der Geheimen Staatspolizei hatte alle öffentlichen Äußerungen von Opposition längst zu lebensgefährlichen Unternehmungen gemacht.
If I were to ... show my anti-war feelings, then I am sure I would not have survived, not even a day. (9)
Honda war inzwischen verheiratet und seine Frau Kimi erwartete ein Kind. Da er seit seiner ersten Militärdienstzeit im Rang gestiegen war, war es ihm erlaubt, sie im Krankenhaus zu besuchen und der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter Takako beizuwohnen. Wenig später wurde er in die Hölle der chinesischen Schlachtfelder versetzt.

Die folgenden Jahre dürften in vielerlei Hinsicht die prägendsten in Hondas Leben gewesen sein. Die Allgegenwärtigkeit von Gewalt und Tod. Die allgemeine Entmenschlichung und Brutalisierung -- sei es gegenüber den zu "Untermenschen" erklärten Chinesen und Koreanern, sei es im Umgang der japanischen Offiziere mit den einfachen Soldaten. Und daneben die zermürbende Eintönigkeit des Lagerlebens, die sich nur mit viel Sake überstehen ließ. Honda schrieb in sein Tagebuch:  
[I]f  you are a normal person in this place you'd either kill yourself or go crazy. (10) 
Honda hasste den Krieg, aber er war kein Rebell. Er versuchte bloß zu überleben und sich dabei seine Menschlichkeit zu bewahren. Er tat, was von ihm verlangt wurde. Auch wenn das u.a. bedeutete, eine Zeit lang ein Zwangsbordell voller sog. "Trostfrauen" zu leiten, worüber er 1966 einen sehr offenen und ehrlichen Essay veröffentlichte -- zu einer Zeit also, als es immer noch weitgehend tabu war, über die Verbrechen des japanischen Imperialismus zu sprechen. Doch zugleich bemühte er sich, sowohl die ihm untergebenen Soldaten {eine seiner Aufgaben war die Ausbildung neuer Rekruten} als auch die chinesischen "Feinde" möglichst human zu behandeln. Für ihn waren sie Menschen wie er selbst, kein Kanonenfutter und keine "Untermenschen". Seinem Freund Koji Kajita erzählte er später, er habe während eines Angriffs oft einfach in die Luft geschossen, da ihm der Gedanke zuwider war, jemanden zu töten.
Nach drei Jahren kehrte Honda erneut nach Tokio zurück. Doch dem Krieg entkam er damit nicht. Toho war von allen Filmstudios das wohl gefügigste Propagandainstrument geworden. (11) Und so fand er sich schon bald auf dem Set von Yamamotos Col. Kato's Flying Falcons / Kato hayabusa sento-tai (1944) wieder, einem militaristischen Heldenepos über das Fliegerass Tateo Kato. Allerdings lernte er dabei auch den SFX-Magier Eiji Tsuburaya kennen. mit dem zusammen er später Gojira und das ganze Genre des kaiju eiga erschaffen sollte.
Im März 1944 wurde Honda erneut einberufen und fand sich schließlich in der Nähe von Hankou in der chinesischen Provinz Hubei wieder. Nunmehr im Rang eines Feldwebels (gunso), bemühte er sich, die Beziehungen seiner Truppe zur ansässigen Bevölkerung möglichst zivil zu gestalten. Soweit das für Vertreter einer zurecht gehassten und gefürchteten Besatzungsmacht möglich war:
We [bought] vegetables and supplies from the Chinese people [....] We had to interact with them. I never ordered them around as a Japanese soldier ... I would pay what I was supposed to and I tried to talk to them with the small amount of Chinese that I knew. (12)
Während eines ziemlich wilden Gefechtes mit chinesischen Truppen landete unmittelbar neben Honda eine Granate auf dem Boden. Einen Moment lang war er davon überzeugt, dies sei das Ende. Doch das Geschoss explodierte nicht. Als sich die Lage wieder etwas beruhigt hatte, kehrte er auf das Schlachtfeld zurück und nahm die Granate an sich. Er sollte sie Zeit seines Lebens aufbewahren. In späteren Jahren stand sie stets auf seinem Schreibtisch. Symbol des tiefen und bleibenden Eindrucks, den die Schrecken des Krieges bei ihm hinterlassen hatten. Nach seinem Tod erzählte seine Frau Kimi:
He was still awakened by horrible nightmares two or three times each year. He'd see all of his friends in his dreams, all of those who died fighting, all standing in a line. The horror of war was with him until he died. (13) 
Irgendwann im Herbst 1944 geriet Ishiro Honda schließlich in Kriegsgefangenschaft. Er hatte dabei in gewisser Weise großes Glück, denn im Vergleich zu den Sowjets und auch zu den Amerikanern behandelten die Chinesen ihre Gefangenen außergewöhnlich human. Als die kaiserlichen Armeen im September 1945 endgültig kapitulierten, begann die Repatriierung, doch Honda musste noch ganze sieben Monate länger warten, bis er in die Heimat zurückkehren konnte. In dieser Zeit entwickelte sich ein ausgesprochen freundschaftliches Verhältnis zwischen ihm und der örtlichen chinesischen Bevölkerung. Schließlich bot man ihm sogar an, auf Dauer zu bleiben. Ein Angebot, auf dass er möglicherweise eingegangen wäre, hätte daheim nicht eine Familie auf ihn gewartet. Dass er nichts über deren Schicksal wusste, war vermutlich das Quälendste an der Gefangenschaft. Vor allem seit die Nachricht von den fürchterlichen Bombardierungen Tokios an sein Ohr gedrungen war. Allein in der Nacht vom 9. auf den 10. März 1945 (Operation Meetinghouse) hatten die USA 1.665 Tonnen an Brandbomben auf die japanische Hauptstadt niedergehen lassen, 41 Quadratkilometer der Metropole in Schutt und Asche gelegt und ca. 100.000 Zivilisten getötet.   
Im April 1946 konnte Honda endlich die Heimreise antreten. Der Zug, der ihn nach Tokio brachte, hielt kurz in Hiroshima. Er bekam nicht viel von den Verwüstungen zu sehen, und wir wissen auch nicht, ob ihn deren Anblick nach all den Kriegsjahren noch besonders stark erschütterte. Aber vor allem im Zusammenhang mit Gojira wird diese kurze Konfrontation des Regisseurs mit den grauenerregenden Folgen des Atombombenabwurfs immer wieder gerne erwähnt.

Kimi, Tochter Takako und der 1944 geborene Sohn Ryuji hatten den Krieg glücklich überlebt, stets unterstützt von Akira Kurosawa und anderen aus Hondas Freundeskreis. Doch es fiel Honda nicht leicht, seine so lange unterbrochene Laufbahn wieder aufzunehmen. Kajiro Yamamoto wollte ihm zuerst einen Verwaltungsjob bei Toho organisieren, aber sein Wunsch, Filmemacher zu werden, war in den Jahren des Krieges eher noch stärker geworden. Wie ökonomisch unsicher und anstrengend diese Laufbahn auch sein mochte. Bei dieser Entscheidung genoss Honda die volle Unterstützung seiner Frau, die von nun an ganz die finanzielle Seite seiner Arbeit in die Hand nahm. In späteren Jahren wurde sie seine Quasi-Agentin, die alle Vertragsverhandlungen führte und ähnliche Aufgaben übernahm, damit er sich ganz auf den kreativen Teil konzentrieren konnte.

Ishiro Honda kehrte in ein stark verwandeltes Japan zurück. Und das nicht nur wegen der furchtbaren Verheerungen des Krieges und dem daraus resultierenden Mangel und Elend.

Ähnlich wie auf den Ersten folgte auch auf den Zweiten Weltkrieg in vielen Ländern ein gewaltiger Aufschwung des Klassenkampfes, der sich allerdings weniger in offen revolutionären Aufständen als vielmehr in riesigen Massenstreiks äußerte -- von den USA (1945/46) über Nigeria (1945), China (1945/46), Kenia (1947), Frankreich (1947/48), das Ruhrgebiet (1947/48), Sansibar (1948), Italien (1948) bis zu Nairobi (1950). Vermutlich ließen sich noch mehr Beispiele finden. Auch in Japan war die Lage in den Jahren 1946-48 äußerst explosiv.
Auf Order des amerikanischen Besatzungsregimes von General Douglas MacArthur (SCAP - "Supreme Commander for the Allied Powers") war bereits 1945 die Bildung von Gewerkschaften legalisiert worden. Nach Jahrzehnten der Unterdrückung trat die japanische Arbeiterbewegung mit schier ungebremster Macht auf den Plan. Statt längerfristiger Arbeitsniederlegungen kam es dabei sehr oft zur zeitweiligen Übernahme der Kontrolle über die Produktion durch die Belegschaften. Unternehmer und Management setzten dem zu Beginn nur wenig Widerstand entgegen, da sie sich nicht sicher sein konnten, auf welcher Seite die Amerikaner standen, und viele von ihnen enge Kollaborateure des gestürzten totalitären Regimes gewesen waren.
Ereignisse wie die Bildung eines "Volksgerichts" durch die Kohlebergleute der Mitsubishi-Minen, vor dem sich der Besitzer und führende Manager als Kriegsverbrecher verantworten sollten, lassen etwas vom protorevolutionären Charakter der Bewegung von 1946 erahnen. Doch die aus der Illegalität zurückgekehrte Führung der stalinistischen KP, deren Einfluss rasch wuchs, schürte massiv Illusionen in den Charakter des SCAP-Regimes. In der Parteipropaganda wurden die Amerikaner als "Befreier" gefeiert, unter deren wohlwollender Schirmherrschaft eine friedliche "demokratische Revolution" durchgeführt werden könnte, an deren Ende eine gemeinsame Regierung von KP und Sozialistischer Partei stehen werde.
Wie irrig diese Einschätzung der Stalinisten war, die selbstverständlich entsprechende Befehle aus Moskau wiederspiegelte, zeigte sich spätestens Anfang 1947. Die Gewerkschaftsführer riefen für den 1. Februar zu einem Generalstreik auf, an dem sich voraussichtlich mindestens 4 Millionen Arbeiter & Arbeiterinnen beteiligt hätten. Das amerikanische Besatzungsregime intervenierte. MacArthur befahl persönlich, den Streik abzublasen. Schließlich zwang man am Abend des 31. Januar einige Gewerkschaftsführer dazu, eine entsprechende Erklärung über das Radio abzugeben. Was einer der gewaltigsten Streiks in der Geschichte Japans hätte werden können, brach sang- und klanglos in sich zusammen.
Ab 1950 begann dann die offene Unterdrückung der Kommunistischen Partei, flankiert von einer McCarthy-artigen Hexenjagd auf "Rote" in allen Bereichen des öffentlichen Lebens.

Die Toho - Studios bildeten während dieser Jahre einen der Brennpunkte der gewaltigen sozialen und politischen Auseinanersetzungen. Der erste Toho - Streik im März 1946 dauerte nur fünfzehn Tage und endete mit einem weitgehenden Sieg der Gewerkschaft. Doch es war vor allem der zweite Streik von Oktober bis Dezember, der das Studio in ein regelrechtes Schlachtfeld verwandelte. Erneut behielten die kommunistisch geführten Gewerkschaften weitgehend die Oberhand. Sie gewannen nicht nur ein hohes Maß an Kontrolle über die Unternehmensleitung, sondern begannen sich auch auf mitunter recht rüde Weise in die künstlerischen Aspekte der Produktion einzumischen. So sorgten sie nicht allein dafür, dass eine Reihe "proletarischer" Streifen gedreht wurden, sondern maßten sich auch das Recht an, Drehbücher "abzusegnen" oder bei Bedarf umzuschreiben. Im April 1947 verließen daraufhin eine Reihe der angesehendsten Regisseure und Stars das Studio und gründeten das halbunabhängige Shin Toho.
Dem allgemeinen politischen Wandel im Lande entsprechend wurde im Dezember 1947 der Jurist und glühende Antikommunist Tetsuzo Watanabe zum Präsidenten von Toho gemacht. Dieser befahl bald darauf die Entlassung von über 1000 Mitarbeitern. Diese Entscheidung wurde öffentlich zwar mit ökonomischen Erwägungen gerechtfertigt, doch es war wohl kaum ein Zufall, dass die Liste der Gefeuerten auffällig viele Kommunisten und andere Militante umfasste. Daraufhin kam es im April 1948 zum dritten Toho - Streik und der Besetzung des Firmengeländes. Die Auseinandersetzung zog sich bis Mitte August hin, dann bekamen die Streikenden die eiserne Faust des Staates zu spüren. Wie der linke Filmemacher Yamamoto Satsuo in seiner Autobiographie berichtet: 
Before noon all the strikers lined up and sang "The Internationale" as we exited the studio by its rear door. Outside armored vehicles were lined up in formation. Among those walking at the head of our line was Gosho Heinosuke. All the actresses were crying as they sang.
On that day, August 19, 1948, the forces that came before the studio  were  led by six US army jeeps, followed by two thousand armed officers from the Metropolitan Police Department, a squadron from the US army, seven tanks, and three planes. Given such a  monstrous display of power, it was said at the time, fittingly, that "the only thing they didn't bring in was a battleship" ("konakatta no wa gunkan dake"). (14)
Wie es seinem Charakter entsprach, verhielt sich Ishiro Honda während dieser gewaltigen Kämpfe erklärt neutral. Als ihn der befreundete Regisseur Kunio Watanabe dazu drängte, sich gleichfalls Shin Toho anzuschließen, wies er dieses Anliegen höflich, aber bestimmt zurück: 
[He] told me, "Honda-san, we can't get along with these people who are always trying to push their own agendas and going on strike. [...] Why don't you move over to Shin Toho?" I answered: "Watanabe-san, I can't do that. To begin with, I don't think it's right for Toho to seperate, and I hope there is a better way to solve this problem without splitting up ... I just want to stay." (15) 
Es sollten noch mehrere Jahre vergehen, bis Honda seinen ersten eigenen Spielfilm drehen würde. Doch ich denke, die wichtigsten Erfahrungen, die seine künstlerische Persönlichkeit prägten, hatte er nunmehr gemacht: Das Leben unter einem totalitären Regime, die Hölle des Krieges und schließlich die großen Klassenkämpfe der Nachkriegszeit. Diese Erlebnisse waren es, die jene humanistische Sicht auf die Welt und den Menschen geformt hatten, die wir in so vielen seiner Filme wiederfinden können. Im zweiten Teil dieses Essays werden wir untersuchen, inwieweit sie auch in einem seiner düstersten und pessimistischsten Werke zum Ausdruck kommt.   

(1) Zit. nach: Steve  Ryfle / Ed Godziszewski / Yuuko Honda-Yun: Ishiro Honda. A Life in Film,  from Godzilla to Kurosawa. S. XVI/XVII.
(2) Zit. nach: Ebd. S. 7.
(3) Akira Kurosawa: So etwas wie eine Autobiographie. S. 67f.
(4) Zit. nach: Steve  Ryfle / Ed Godziszewski / Yuuko Honda-Yun: Ishiro Honda. A Life in Film,  from Godzilla to Kurosawa. S.XIX.
(5) Die benshi waren die Erzähler oder Kommentatoren der japanischen Stummfilmära, von denen Kurosawa schreibt: "[Sie] vermittelten nicht nur die Geschichte des betreffenden Films, sie steuerten auch die Stimmen und Sound-Effekte bei und beschrieben das Geschehen und die Bilder, die auf der Leinwand zu sehen waren -- ähnlich den Erzählern im Bunraku-Puppentheater. Die populärsten unter ihnen war echte Stars und jeweils für ein bestimmtes Filmtheater tätig." (Akira Kurosawa: So etwas wie eine Autobiographie. S. 92f.)
(6) Stuart Galbrait, IV.: The Toho Studios Story: A History and Complete Filmography. S. IX
(7) Zit. nach: Steve  Ryfle / Ed Godziszewski / Yuuko Honda-Yun: Ishiro Honda. A Life in Film,  from Godzilla to Kurosawa. S.13.
(8) Zit. nach: Ebd.S. 20.
(9) Zit. nach: Ebd. S. 26.
(10) Zit. nach: Ebd. S. 29.
(11) Toho kollaborierte bereits seit 1937 mit dem Militär. Im selben Jahr hatte das Studio an der Produktion von Arnold Francks Die Tochter des Samurai mitgewirkt, einer Zusammenarbeit von Nazideutschland und dem japanischen Regime.
(12) Zit. nach: Ebd. S. 31.
(13) Zit. nach: Ebd. S. 33.
(14) Yamamoto Satsuo: My Life as a Filmmaker. S. 139. 
(15) Zit. nach: Steve  Ryfle / Ed Godziszewski / Yuuko Honda-Yun: Ishiro Honda. A Life in Film,  from Godzilla to Kurosawa. S.44.

Dienstag, 17. Dezember 2019

Willkommen an Bord der "Liberator" – S03/E06: "City at the Edge of the World"

Ein Blake's 7 - Rewatch

Den Comic Relief - Charakter zu spielen, kann ein ziemlich undankbarer Job sein. Während andere sich in heroische Posen werfen oder den coolen Antihelden markieren dürfen, gibt man selbst meist eine etwas lächerliche Figur ab. So verlangt es halt die Rolle. Dass einem das irgendwann auf die Nerven gehen kann, ist nachvollziehbar.
Michael Keating hat später erzählt, seine fünf- oder sechsjährige Tochter habe einmal zu ihm gesagt, sie fände Vila "doof" ("stupid"). Daraufhin habe Chris Boucher beschlossen, extra eine Episode zu schreiben, in der der feige Langfinger ausnahmsweise mal der unumstrittene Held sein darf.

Der Titel dürfte eine Anspielung auf The City on the Edge of Forever, die berühmte Harlan Ellison - Folge von Star Trek, sein, auch wenn das inhaltlich nicht gar zu viel Sinn macht. Wir bekommen zwar eine Art Variante auf den "Guardian of Forever" zu sehen, doch damit enden die Ähnlichkeiten dann auch schon.

Die Episode beginnt mit einer jener grandiosen Chris Boucher - Dialogszenen, bei denen einfach jedes Wort sitzt. Tarrant hat einen Deal mit den angeblich höchst friedvollen Bewohnern des Planeten Kezarn ausgehandelt. Im Austausch für einige seltene Kristalle, ohne die die Energiekanonen der Liberator schon bald den Geist aufgeben würden, soll Vila dem Völkchen bei der Lösung eines nicht näher beschriebenen Problems behilflich sein. Doch der fingerfertige Dieb weigert sich, allein und unbewaffnet auf eine solche Mission zu gehen. Also droht der Exoffizier ihm damit, ihn andernfalls einfach von Bord zu werfen:
Tarrant: I can't make you go, of course.
Vila: That's right, you can't.
Tarrant: But I can toss you off this ship.
Vila: What?
Tarrant: You're no use to me.
Vila: I don't have to be any use to you. I was here first. I was with Blake. I've more right on this ship than you have. 
Tarrant: "Right"? No one survives as long as you have, Vila, without learning the facts of life. 
Vila: The facts of life are that I --
Tarrant: -- are that I can dump you any time. The others wouldn't stop me. And you couldn't, could you? Now I suggest you reconsider your decision. But don't take too long. I'm not a patient man.
Vila: All my life, for as long as I can remember, there's been people like you.
Tarrant: And I thought I was unique.
Vila: You're not even unusual, Tarrant.
Avon und Cally merken sofort, dass mit ihrem alten Crew-Kameraden etwas nicht stimmt, als sich der eingeschüchterte Vila auf die Planetenoberfläche teleportieren lässt. Und Tarrant macht aus seinen Bully-Methoden auch gar keinen Hehl. Woraufhin ihm Avon sehr deutlich zu verstehen gibt, dass er solches Verhalten nicht zu tolerieren bereit ist:
Avon: Leave him alone in future.
Tarrant: Or?
Avon: Do you want me to threaten you?
Selbst Cally ist etwas überrascht, dass der arrogante Zyniker, der für gewöhnlich nie eine Gelegenheit verstreichen lässt, seiner Verachtung für Vila Ausdruck zu verleihen, sich plötzlich schützend vor ihn stellt. Avons Antwort klingt durchaus vernünftig: "He's irritating, but he's useful. We can easily replace a pilot [Tarrant], but a talented thief is rare." Aber seine Reaktion hat auch ein bisschen was von: "Nur ich darf meinen kleinen Bruder schlagen". Wir wissen inzwischen ja, dass Avon nicht ganz so kaltherzig und egozentrisch ist wie er zu sein vorgibt.

Natürlich geht bei Vilas Mission etwas schief. Der Dieb ist plötzlich wie vom Erdboden verschluckt und statt der versprochenen Kristalle wartet ein Sprengsatz auf Cally, die sich als erste hinunter begibt. Avon folgt und zusammen machen sich die beiden auf die Suche nach ihrem verschwundenen Kameraden.

Dieser ist inzwischen von den nicht eben gesprächigen Kezarnern, die allesamt wie pseudo-keltische Hippies aussehen, zu der verlassenen "City at the Edge of the World" gebracht worden. Dort erwartet ihn eine böse Überraschung in Gestalt des psychopathischen Gangsters Bayban und seiner in schmucke Lederrüstungen gewandeten Gang. Colin Baker spielt den irren Sadisten mit sichtlichem Vergnügen, und darf dabei so grandiose Zeilen von sich geben wie die folgenden:
Vila: You're top of the Federation's Most Wanted list -- after Blake.
Bayban: What do you mean, "after Blake"? I was working my way up that list before he crept out of his creche. Working my way up. I didn't take any political shortcuts.
Vila soll für Bayban eine mysteriöse Tür öffnen, hinter der dieser eine gut gefüllte Schatzkammer vermutet. Die Indizien, die dafür sprechen, klingen zwar nicht sehr überzeugend, aber wer weiß schon, was in dem Kopf dieses Typen vor sich geht? Für die Bewohner Kezarns scheint die Tür jedenfalls eher eine mystisch-religiöse Bedeutung zu haben.

Wie dem auch sei, Vila bleibt nicht viel anderes übrig, als sich an die Arbeit zu begeben, wenn er nicht auf der Stelle abgemetzelt werden will. Auch erwacht schon bald sein "beruflicher" Ehrgeiz. Komplizierte Schlösser zu knacken, ist für den Meisterdieb eine intellektuelle Herausforderung, eine Art Duell mit dem Konstrukteur des Mechanismus.

Während Vila sich mit reflektierenden Kraftfeldern und anderen Sicherungen herumplagt, gesellt sich Kerril (Carol Hawkwins) zu ihm. Sie war es, die ihn in den Korridoren der Stadt überwältigte und zu Bayban brachte. Obwohl sie ihm anfangs mit aggressiver Verachtung begegnet ist ("little man"), kommen sich die beiden schnell näher. Seine ebenso methodische wie leidenschaftliche Herangehensweise an das ihm gestellte Problem fasziniert und beeindruckt sie ganz offenbar, und Vila seinerseits hat noch nie einer hübschen Frau widerstehen können. Als das Kraftfeld schließlich zusammenbricht und einen Durchgang enthüllt, dringen die beiden gemeinsam in die dahinter liegenden Gewölbe vor. Eine Schatzkammer finden sie dort allerdings nicht. Stattdessen werden sie auf ein Tausende von Lichtjahren entferntes Raumschiff teleportiert.
Diese ganze Einrichtung wurde vor Äonen von den Bewohnern Kerzans kreiert, als sich deren Gesellschaft unaufhaltsam auf einen allgemeinen Zusammenbruch zubewegte. Die Idee war, ein unbemanntes Schiff in die Weiten des Alls zu schicken, um nach einem geeigneten Planeten für einen Neuanfang zu suchen. Es war klar, dass dies sehr lange dauern würde und so pflanzte man der eigenen Bevölkerung einen genetischen Trieb ein, alle fünfundvierzig Generationen jemanden durch das Tor in der "City at the Edge of the World" zu schicken. Soweit klingt das alles ja noch ganz einleuchtend {na ja, eigentlich nicht}, aber jetzt kommt der Haken: Falls das Schiff noch keinen geeigneten Planeten gefunden haben sollte, darf die betreffende Person nicht nach Kerzan zurückkehren, sondern ist dazu verdammt, nach ein paar Stunden an Sauerstoffmangel zu sterben.
Und unglücklicherweise scheint genau das das Schicksal von Vila und Kerril zu sein. Den sicheren Tod vor Augen, beschließen die beiden, dass sie sich ihr letztes Stündchen mit ein bisschen nettem Sex versüßen könnten. {Nicht dass dieses Wörtchen je ausgesprochen würde. Auch scheinen die beiden es anschließend sehr eilig zu haben, wieder in ihre Kleider zu schlpfen ...}

Während der Rest der Liberator - Crew einen Überraschungangriff auf Bayban und seine Gang startet, stellen Vila und Kerril überrascht fest, dass sie noch nicht erstickt sind. Sollte das Schiff doch bereits sein Ziel erreicht haben?

City at the Edge of the World ist keine tiefgründige, aber dafür eine grundsympathische Episode. Chris Boucher gelingt es, eine Blake's 7 - Folge zu schreiben, in der Vila der Held ist, ohne dazu dem Charakter des etwas hasenfüßigen Diebes Gewalt antun zu müssen. Er verwandelt ihn nicht einfach in einen furchtlosen Krieger. Vila triumphiert durch sein Talent im Schlösserknacken. Und an einer Stelle lässt er sogar für einen kurzen Moment Kerril im Stich und ergreift die Flucht, als ihm die Situation zu brenzlig zu werden scheint. Er ist immer noch "unser" Vila. Und doch wird er am Ende von den Kerzanern zurecht als ihr Retter gefeiert: "Vila, you're a clever man, and brave."
Selbst die kleine Liebesgeschichte besitzt ihren Charme. Natürlich entwickelt sie sich viel zu schnell, aber das ist halt der Fluch des episodischen Erzählens im Fernsehen. Es bleibt nie genug Zeit, um Beziehungen zwischen einem Mitglied des Ensembles und dem Gast der Woche glaubhaft zu entwickeln. Kerril ist eine sympathische Figur, höchst charmant gespielt von Carol Hawkins, die ihre Karriere zwar mit phantastischen Flicks wie The Body Stealers (1969), dem Spy-Fi-Spoof Zeta One (1969) und When Dinosaurs Ruled the World (1970) begonnen hatte, dem Publikum zu diesem Zeitpunkt aber hauptsächlich aus einer Reihe mehr oder weniger "erotischer" Seventies-Komödien bekannt gewesen sein dürfte. Etwas bedauerlich finde ich allerdings, dass es die Macher für nötig empfanden, Kerril im Laufe der Handlung "femininer" zu machen, da sie offenbar glaubten, nur dann wäre die Liebesgeschichte glaubhaft. Sie beginnt die Story als toughe Killerin, Bayban nennt sie "the best gun hand I ever had", und auch wenn sie am Ende nicht völlig zur "Damsel" gemacht worden ist, geht die Entwicklung doch eindeutig in diese Richtung. Äußeres Anzeichen dafür ist, dass sie schon bald ihre Lederkluft ablegt und in eine Art Tunika-Kleid schlüpft. Eine bedauerliche und meines Erachtens völlig unnötige Entscheidung Bouchers. Für mich hätte das Ganze sehr gut auch ohne diese Verwandlung funktioniert.

Doch abgesehen davon, zeigt der Drehbuchschreiber hier wieder einmal, warum er zurecht als einer der besten Blake's 7 - Autoren gilt. Dies ist zwar Vilas große Show, doch auch alle übrigen Crew-Mitglieder werden von Boucher aufs treffsicherste gezeichnet, so kurz ihre Auftritte auch sein mögen. Mitunter reicht dafür eine einzige Dialog-Zeile. So wenn Dayna Tarrant freundlich lächelnd erklärt, dass sie ihn töten würde, wenn sie an Vilas Stelle wäre.
Avon ist so sarkastisch und eiskalt wie wir ihn lieben. Tarrant darf wieder einmal seine autoritäre Arschlochseite zur Schau stellen. Dayna ihre Waffenbastler-Talente unter Beweis stellen. Und Cally ist wie immer die warmherzigste von allen, ohne dabei sentimental zu wirken.       

Sonntag, 15. Dezember 2019

Strandgut

Samstag, 14. Dezember 2019

Klassiker wiederentdecken? Ein Gespräch über Joy Chants "Wenn Voiha erwacht"

Teil I: Matriarchat, Romantisierung, Utopie

Joy wer? Die 1945 in London geborene britische Fantasyautorin Eileen Joyce Rutter, Pseudonym Joy Chant, scheint heutzutage weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein.

Dass ihr Status einmal ein völlig anderer gewesen ist, lässt sich bereits daran ablesen, dass ihr erster Roman „Red Moon and Black Mountain“ („Roter Mond und Schwarzer Berg“), 1970 erstveröffentlicht, ein Jahr später in den USA im Rahmen der Ballantine Adult Fantasy - Reihe erschien. Jener Serie also, die von 1969-74 von Ian und Betty Ballantine herausgeben wurde, in der Hoffnung, den Erfolg von „Der Herr der Ringe“ zu wiederholen. Dazu kam es zwar nie, doch dafür machte die Reihe eine Vielzahl phantastischer Klassiker – von William Morris und Lord Dunsany über Hope Mirrlees und James Branch Cabell bis zu Clark Ashton Smith und Evangeline Walton – erneut einem breiteren Publikum zugänglich und trug viel dazu bei, die Fantasy als eigenständiges Genre zu etablieren. Chants Debüt befand sich also in ausgezeichneter Gesellschaft.

Allerdings dürfte ihr Erstlingswerk – eine Mischung aus Portal und High Fantasy, „Narnia“ und „Der Herr der Ringe“ – auf heutige Lesende ziemlich altbacken wirken. Besser gealtert sind da „Der Mond der brennenden Bäume“ („The Grey Mane of Morning“) und „Wenn Voiha erwacht“ („When Voiha Wakes“), die 1977 bzw. 1983 folgten. Die drei werden zwar manchmal als House of Kendreth-Trilogie bezeichnet, doch abgesehen davon, dass sie alle in der Welt Vandarei spielen, besteht inhaltlich kaum ein Zusammenhang zwischen ihnen. Auch verzichtet Joy Chant in den letzten beiden auf das Portal-Fantasy-Element und verbleibt in der Alternativwelt. Zugleich treten die übernatürlichen Motive von Buch zu Buch immer mehr in den Hintergrund.

Das einzige andere längere Buch, das Chant herausgebracht hat, ist „Könige der Nebelinsel“ („The High Kings“) von 1983/84, eine Nacherzählung von Episoden aus Geoffrey of Monmouths „Historia Regum Britanniae“, in dem sich die Autorin natürlich auch der Artus-Sage annimmt.
In einer Anthologie des Goldmann-Verlags erschien 1983 zusätzlich der Vandarei-Kurzroman „Die Mauern von Kophitel“ – interessanterweise wurde dieser lediglich auf Deutsch veröffentlicht.

Ist Joy Chant eine vergessene Klassikerin der Fantasy? Das ist vielleicht etwas hochgegriffen. Dennoch ist es schade, dass ihr Name den meisten nicht mehr bekannt sein dürfte. Umso mehr gilt das, da sie sich in ihren Vandarei-Romanen vieler Themen annimmt, die mit aktuellen Diversity-Debatten wieder aktuell geworden sind. Um dem ein bisschen entgegenzuwirken, haben wir, Peter Schmitt und Alessandra Reß, beschlossen, noch einmal „Wenn Voiha erwacht“ zu lesen. Im Anschluss ist das nachfolgende Chat-Gespräch entstanden.

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Worum geht es in „Wenn Voiha erwacht?“

Der relativ kurze, nicht ganz 200 Seiten umfassende Roman ist in der matriarchalischen Gesellschaft von Halilak angesiedelt. Unsere Protagonistin Rahiké ist die designierte Nachfolgerin der Herrin der Gemeinde Naramethé. Ihr geordnetes Leben, das bislang ganz ihren öffentlichen Pflichten und ihrer Tochter Burdal gewidmet war, gerät etwas durcheinander, als sie den jungen Mairilek kennenlernt und sich die beiden ineinander verlieben. Denn Mairilek ist ein spöttisch beäugter Außenseiter, da er von dem unbändigen Verlangen beherrscht wird, Musiker werden zu wollen. Doch für die ist kein Platz in Naramethé.

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PS: In den 70er/80er Jahren erfreute sich die Idee eines „urzeitlichen Matriarchats“ vor allem in feministischen Kreisen ja großer Beliebtheit. Mir ist das neulich wieder einmal in Jessica Amanda Salmonsons Vorwort zu ihrer 1979 herausgegebenen Anthologie „Amazons!“ untergekommen. Zwar ist die Vorstellung, dass in den frühesten menschlichen Gesellschaften die Frauen die dominierende Rolle gespielt hätten, sehr viel älter – ich selbst bin ihr zum ersten Mal bei Friedrich Engels begegnet („Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“) –, doch erlebte sie in dieser Zeit eine mächtige Renaissance. Vor diesem Hintergrund wird man wohl auch „Wenn Voiha erwacht“ sehen müssen. In einem Interview mit Raymond H. Thompson entwirft Joy Chant bezeichnenderweise ein sehr positives Bild von der Stellung der Frau in den alten keltischen Gesellschaften. Inwieweit es sich dabei um idealisierende Romantik oder historische Realität handelt, kann ich nicht beurteilen. Etwas überraschend fand ich es dann allerdings schon, dass sich der männliche Teil der Bevölkerung von Halilak nicht im Klaren darüber sein soll, dass zwischen Sex und Schwangerschaft eine Verbindung besteht. So etwas erscheint mir schwer vorstellbar.

AR: Als Teenager war ich eine Weile in einem Forum angemeldet, in dem sich Angehörige verschiedener neopaganer Strömungen ausgetauscht haben. Dort ist mir auch oft diese romantisierte Vorstellung der weiblichen Rolle insbesondere in keltischen Gemeinschaften begegnet, wobei ich den Eindruck hatte, dass diese tatsächlich sehr geprägt war durch Romane wie „Die Nebel von Avalon“. Zentral für diese Vorstellungen sind sicher die für die keltische(n) Religion(en) wichtigen Muttergöttinnen, die sich im Christentum höchstens noch in Form von Maria wiederfinden. Die tatsächliche Stellung von Frauen in keltischen Gemeinschaften zu beurteilen, ist aber glaube ich nach heutiger Quellenlage ziemlich schwierig. Wobei ich in dem Bereich auch nicht gerade eine Expertin bin …

Aber ich habe insgesamt den Eindruck, dass sich Chant in „Wenn Voiha erwacht“ verschiedenster romantisierter Vorstellungen, insbesondere auch aus ethnologischen Berichten bedient hat. Was du ansprichst, dass sich Teile der Bevölkerung von Halilak offenbar nicht der Verbindung aus Sex und Schwangerschaft bewusst sind, scheint mir lose an Bronisław Malinowskis Schilderungen von den Trobriand-Inseln aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts angelehnt zu sein. Er berichtete damals, den indigenen Bewohnern sei nicht klar, dass der Mann eine Rolle bei der Zeugung der Kinder einnimmt. Spätere Ethnologen haben dieser Darstellung allerdings widersprochen.

Als ich „Wenn Voiha erwacht“ das erste Mal gelesen habe, muss ich so 17 oder 18 Jahre alt gewesen sein. Ich weiß, dass ich damals ziemlich fasziniert von der hier geschilderten Gesellschaft war, ebenso wie von jenen, die in „Der Mond der Brennenden Bäume“ auftauchen. Nach der klassischen Fantasy, die ich bis dahin gelesen hatte – „Drachenlanze“ beispielsweise, „Erdzauber“ oder einiges an Portal Fantasy –, erschien mir die Welt der Vandarei erfrischend anders. Muss sagen, dass ich diesen wilden Mix heute kritischer sehe, obwohl ich noch immer finde, dass die Gesellschaft von Naramethe in sich durchaus stimmig und glaubwürdig wirkt.

PS: Ich kenne mich mit keltischer Geschichte jetzt auch nicht so gut aus, aber was du von diesem Forum erzählst, hat mich an einen Artikel von Kari Sperring erinnert, der 2012 auf dem Blog von Charlie Stross erschienen ist und in dem die walisische Schriftstellerin diesen ganzen „Kelten-Mythos“ ziemlich gnadenlos auseinandernimmt: „The myths of Avalon“.

Interessant finde ich ja, dass „Wenn Voiha erwacht“ zwar in einer matriarchalischen Gesellschaft spielt, die Geschlechterordnung aber eigentlich nicht das Hauptthema des Romans ist. Mairilek „rebelliert“ am Ende zwar in gewisser Weise gegen die existierende Ordnung, aber nicht gegen die Frauenherrschaft.

Naramethé erscheint weder als utopischer Gegenentwurf zum Patriarchat, noch als eine simple Umkehrung der in ihm herrschenden Verhältnisse. Vielmehr kreiert Joy Chant eine ganz eigene Gesellschaftsordnung und beschreibt sehr überzeugend, wie das Denken und Fühlen, die Werte und das Weltbild der in ihr lebenden Menschen von dieser geprägt werden. Was ich für eine ihrer ganz großen Stärken als Schriftstellerin halte. Wie heißt es an einer Stelle so nett: „Ob (die Göttin) Voiha sie nun so träumte oder ob das Leben in Halilak sie so formte, es war wahr, dass nur wenige Männer über die unmittelbare Zukunft hinausblickten.

AR: Genau das meine ich mit der oben angesprochenen Stimmigkeit. Wobei ich in einigen Punkten durchaus eine Umkehrung patriarchalischer Strukturen und Motive sehe. Beispielsweise werden Männer oft nach ihrem Äußeren beurteilt und auf eine Art beschrieben, wie man es sonst aus den #dichterdran-Beispielen kennt. Außerdem wird z. B. in einem Gespräch gleich zu Anfang des Buchs deutlich, dass Mairileks Schwester diesen vor den anderen Frauen beschützen will, weil sie sich seiner Schönheit wie auch seiner Naivität bewusst ist. Mit umgekehrten Geschlechterrollen wäre das heutzutage noch ein normales Gespräch, obwohl es dort für den Lesenden ungewohnt und irritierend wirkt. Generell zeigt sich unter den Frauen von Halilak ein Hang dazu, Männer zu objektifizieren. Und immer wieder wird implizit erwähnt, dass Männer weniger wert sind – beispielsweise, wenn Enttäuschung über die Geburt eines Sohnes herrscht.

Utopisch ist die Gesellschaft sicher nicht, dafür herrschen trotz aller Zufriedenheit zu viele Zwänge und Ungleichheiten in Naramethé. Ich denke da auch an die Szene, als sich die Frauen aus Naramethé völlig entrüstet über die Nachricht zeigen, dass eine Botschafterin ihre vielversprechende Karriere an den Nagel gehängt hat, stattdessen mit einem Liebhaber fortgezogen ist und auch noch ihre Kinder mitgenommen hat.

Allerdings finde ich, dass der Sense of Wonder sehr stark durch eine Naivität aller Figuren transportiert wird, die einerseits anstrengend ist (ja, kann denn da keiner mal für sich selbst denken?!), andererseits aber für diese bemerkenswerte Form sozialer Zufriedenheit sorgt. Ich frage mich, ob ich die (fast) völlige Gewaltfreiheit in Naramethé als Folge dieser Zufriedenheit oder als Folge einer angeborenen oder anerzogenen Naivität sehen soll.

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Den zweiten Teil unseres Gesprächs werdet ihr in ein paar Tagen auf Alessandras Blog FragmentAnsichten lesen können. Und zwar genau hier.

Samstag, 23. November 2019

Strandgut

Montag, 11. November 2019

Willkommen an Bord der "Liberator" – S03/E05: "The Harvest of Kairos"

Ein Blake's 7 - Rewatch

Es gibt einen einfachen Grund dafür, warum es mal wieder eine recht lange Unterbrechung in unserer Reise durch die phantastischen Welten von Blake's 7 gegeben hat. Ich hatte nämlich ehrlich gesagt nur sehr wenig Lust, mir diese Episode wieder einmal anzuschauen. Und dass, obwohl sie eine unglaublich putzige Riesenspinnen-Puppe und das Modell einer Mondlandefähre enthält. Daneben aber leider auch eine ziemlich deftige Dosis sexistischer Klischees.
Dies war Ben Steeds erstes Drehbuch für Blake's 7. Er würde noch zwei weitere zu der Serie beisteuern.  Und wenn man sie nebeneinander legt, bekommt das Gefühl, dass der Autor irgendwelche ziemlich wirren und unangenehme Ideen über Geschlechterbeziehungen gehabt haben muss.

Die Episode beginnt mit einer erneuten Konfrontation zwischen der Liberator und einem Jagdgeschwader der Föderation im Orbit eines fremden Planeten. Wie das Schiff unserer Heldinnen & Helden hierher gelangt ist, und warum sich Avon auf die Suche nach einem bizarren Felsbrocken gemacht hat, der in Wirlichkeit eine höchst komplexe Lebensform sein soll, bleibt unklar. Auf jedenfall gelingt es Terrant, die gegnerischen Jäger auszumanövrieren, und Servalan, die das Geschehen von ihrem Hauptquartier aus beobachtet, eine weitere Schlappe beizubringen.

Es macht durchaus Sinn, dass Terrant in einer solchen Situation das Kommando auf der Liberator führt und sich dabei als strategisch versiert erweist. Schließlich war er selbst einmal ein Offizier in der terranischen Flotte. In Sachen Weltraumkämpfe dürfte er der Experte in der Gang sein, zumal Piloten-Ass Jenna nicht länger mit von der Partie ist.
Weniger einleuchtend ist, warum Terrants Name dem Kommandostab der Föderation bekannt ist und Servalan in ihm ihren eigentlichen Widersacher sieht. Mit Blakes Name hätte der entsprechende Dialog vielleicht funktioniert, doch der Ex-Offzier hatte schlicht nicht genug Zeit, um sich einen derartigen Ruf zu erwerben.
Mit  dem bisherigen Verlauf der Staffel gut vereinbar ist hingegen, dass Servalans Position nach wie vor nicht hundertprozentig gefestigt ist und sich sogar einfache Soldaten und Arbeiter "below decks" erlauben, ihre Handlungen zu kritisieren. Wortführer dieses "unverschämten Pöbels" ist Jarvik, ehemals selbst Offizier, nun einfacher "construction worker".

Nach ihrer gelungenen Flucht macht sich unsere Gang nach Kairos auf, einem Planeten mit höchst  wertvollen Edelsteinvorkommen, die an jeder "vernal equinox" (Frühlings-Tag-Nacht-Gleiche) von der Föderation "geerntet" werden, bevor das Überleben von Menschen auf der Oberfläche erneut für fünfzehn Erdenjahre aus  mysteriösen Gründen unmöglich zu sein scheint.
Terrant hat sich zumindest für den Moment offenbar mit seinen Plänen durchsetzen können, die Liberator in ein Piratenschiff zu verwandeln. Als sein enthusiastischster Anhänger erscheint dabei Vila. Persönlich mag der Dieb zwar nicht viel für den autoritären und draufgängerischen Ex-Offizier übrig haben, doch die Aussicht auf schier unermesslichen Reichtum wirkt auf ihn ausgesprochen verführerisch. Sehr viel wichtiger für Terrants auf einmal so dominante Stellung dürfte es jedoch sein, dass Avons ganze Konzentration für den Moment dem komischen "intelligenten Felsbrocken" gehört. Die Kaperfahrt nach Kairos interessiert unseren Zyniker nur wenig. Wir dürfen deshalb auch davon ausgehen, dass Terrant nicht auf Dauer das große Wort auf der Brücke der Liberator wird schwingen können. Sobald er nicht länger von anderen Dingen abgelenkt wird, dürfte Avon kaum bereit sein, seinen Kontrahenten widerspruchslos den Captain spielen zu lassen. 

Derweil hat Servalan sich dazu entschlossen, den respektlosen und prahlerischen Jarvik beim Wort zu nehmen. Wenn er glaubt, die Liberator mit drei Raumjägern bezwingen zu können, möge er das doch bitte über Kairos unter Beweis stellen.
  
Jarvik (Andrew Burt) hätte das Potential dazu gehabt, eine wirklich interessante Figur zu sein. Wir erfahren nie den genauen Grund für seine Degradierung.  Er selbst erklärt dazu bloß: "Because I'm a human being." Seine völlige Respektlosigkeit gegenüber Servalan hat nur bedingt etwas mit ihr als Person zu tun. In erster Linie ist sie für ihn die Repräsentantin eines Systems, das Menschen zu gefügigen Maschinen macht und Leidenschaft durch kalte Berechnung und blinden Gehorsam ersetzt. Dieses System ist es, das er verachtet, nicht so sehr Servalan selbst:
But when was the last time you felt the warmth of the Earth's sun on your naked back? Or lifted your face to the heavens, and laughed with the joy of being alive? How long since you wept at the death of a friend? Doesn't mean a thing to you, does it, Madam President? You've surrounded yourself with machines and weapons, mindless men and heartless mutoids; and when they've done your work, and the machines have done your thinking, what is there left in you that feels?! 
Wie sich zeigt, war er bei seinen Männern ein beliebter Vorgesetzter. Was sicher auch damit zu tun hatte, dass er nicht bereit ist, bedenkenlos die Leben seiner Untergebenen zu opfern. "I have this primitive respect for life."
Es mag verwirrend erscheinen, dass er dennoch bereit ist, seine Dienste Servalan anzubieten. Aber für ihn ist die Eroberung der Liberator vor allem eine persönliche Herausforderung. Mehr noch, ein Duell mit einem Mann, den er respektiert. Denn Terrant diente einmal unter seinem Kommando.
Spätestens an diesem Punkt kommt dann allerdings auch eine Facette seines Charakters zum Vorschein, die ganz und gar nicht geeignet ist, Sympathien zu wecken.
In Abgrenzung zur sterilen, seelenlosen Ordnung der Föderation geriert Jarvik sich nämlich als Vertreter einer "natürlichen Primitivität", und das bedeutet in erster Linie einer primtiven "Männlichkeit". Er ist der Typ, der Frauen nicht mit ihrem Namen, sondern bloß mit "woman" anspricht. Sein "Wettstreit" mit Tarrant muss deshalb  auch stilgerecht in einem Kampf "Mann gegen Mann" enden, während er in Dayna keinen ernstzunehmenden Kontrahenten zu sehen vermag.
Dementsprechend ist natürlich auch seine herablassende Haltung gegenüber Servalan gepaart mit einer gewalttätigen sexuellen Aggressivität, die letztlich darauf  abzielt, die hochmütige Diktatorin in ein gefügiges Weibchen zu verwandeln. Und wie das Klischee es verlangt, findet die Oberste Befehlshaberin eine solche Behandlung zwar demütigend, aber irgendwie auch verdammt erregend.

Noch Fragen, warum ich nicht unbedingt wild darauf war, mir diese Episode erneut reinzuziehen?
Womit ich nicht gesagt haben will, dass Ben Steed den chauvinistischen Machismo Jervaks kritiklos darstellen würde. Der Kerl soll sicher nicht unserer Sympathieträger sein. Aber eben auch kein ausgemachter Bösewicht. Was zuerst einmal ja durchaus positiv einzuschätzen ist. Ambivalente Charaktere sind immer interessanter als eindimensionale Karrikaturen. Aber wie schon gesagt scheinen mir hinter der Figur einige höchst verworrene Ideen zu stehen, und auf dem Bildschirm nimmt sich das alles einfach ziemlich unangenehm aus.