"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Mittwoch, 29. August 2012

Hillbillies Against Fascism!

Am 14. Juli 2012 jährte sich zum einhundertsten Mal der Geburtstag von Woody Guthrie. Zur Feier dieses Jubiläums habe ich mir vorgenommen, in unregelmäßigen Abständen einige seiner Songs zu präsentieren und mit ein paar Worten zu kommentieren. Wer Woody noch überhaupt nicht kennt, dem empfehle ich zur Einführung den Artikel von Clement Dely auf der World Socialist Web Site. Ich hoffe, dass ich noch einmal die nötige Zeit finden werde, um meine eigenen Gedanken über sein Leben und Werk hier auszuformulieren.  

Beginnen will ich meine kleine Reihe mit dem Lied All You Fascists Bound To Lose:


Besonders gefallen hat mir an dieser Aufnahme Woodys kurze Einleitung: "We show these fascists what a couple of hillbillies can do."
Heutzutage ist es üblich, Bezeichnungen wie 'Hillbilly' und 'Redneck' auf abfällige Art und Weise zu verwenden (und ich will mich da gar nicht ausnehmen).  Steckt in dieser Gewohnheit nicht elitäre Verachtung  für die ländliche Arbeiterklasse der USA? Ich werde in Zukunft jedenfalls etwas vorsichtiger in der Verwendung dieser Begriffe sein.
Schade ist allerdings, dass folgende Strophe ungesungen bleibt:
Race hatred cannot stop us
This one thing we know
Your poll tax and Jim Crow
And greed has got to go
You’re bound to lose
You fascists bound to lose.
Ich nehme  mal an, dass die Aufnahme zu einer Zeit oder unter Umständen entstanden ist, die eine Identifikation des Faschismus mit der rassistischen Ordnung in den Südstaaten nicht opportun erscheinen ließ. Darum nun als Zusatz Will Kaufmans Interpretation des ganzen Songs:


Montag, 27. August 2012

Der große Sprung

Ich wollte unbedingt irgendetwas zum Gedenken an den vorgestern verstorbenen Neil Armstrong posten, und dieses Video hat mir eigentlich ganz gut gefallen.


This has been far more than three men on a mission to the Moon; more, still, than the efforts of a government and industry team; more, even, than the efforts of one nation. We feel that this stands as a symbol of the insatiable curiosity of all mankind to explore the unknown. (Buzz Aldrin)
Die erste bemannte Mondlandung vom 21. Juli 1969 ist für mich auch heute noch ein fantastisches und inspirierendes Beispiel dafür, was Menschen mit Hilfe von Kooperation, Planung, Wissenschaft und Technik erreichen können.
Was mich an den Verschwörungstheoretikern, die dieses Ereignis als Betrug zu 'entlarven' versuchen, am meisten ärgert, ist nicht so sehr die bodenlose Dummheit ihrer Argumente, als vielmehr das mir gänzlich unverständliche Verlangen, eine so großartige menschliche Leistung entwerten zu wollen.

Freitag, 24. August 2012

"Yours for the revolution - may it come swiftly, like a shaft sundering the dark"*

Ich weiß nicht so recht, was ich von der aktuellen Mode halten soll, historische Figuren in Fantasyhelden zu verwandeln. Vielleicht können solche Geschichten beim Lesepublikum die Lust wecken, sich auch einmal mit den realen Vorbildern zu beschäftigen. Zugegeben, die Chance ist wahrscheinlich eher gering. Wieviele von denen, die Abraham Lincoln Vampire Hunter genossen haben, wollten danach wissen, wie es sich tatsächlich mit Ole Abe und dem Amerikanischen Bürgerkrieg verhalten hat? Aber ich würde die Möglichkeit nicht von vornherein ausschließen. Vorausgesetzt, die Geschichte ist gut gemacht und geht im Kern von der realen historischen Persönlichkeit aus; verfremdet sie, aber verfälscht sie nicht.
Und damit komme ich zu dem kurzen Artikel, den Michael Penkas in Black Gate über den Comic Helen Killer von Andrew Kreisberg & Matthew JLD Rice geschrieben hat. Er beginnt mit einem Porträt der historischen Helen Keller:
"Contracting an illness (possibly scarlet fever or meningitis) at the age of nineteen months, Helen Adams Keller survived, but was left both deaf and blind. Keller’s parents would eventually contact Anne Sullivan, herself blind, to tutor their daughter (who, at the age of six, still had not grasped the concept of words representing things).  By pressing her hand into the girl’s palm, Sullivan was able to teach the girl to read sign language through touch.  After that breakthrough, Helen Keller went on to write twelve books, meet thirteen U.S. Presidents, help found the American Civil Liberties Union, and introduce the Akita breed of dog to the United States. Wow."
Persönlichkeit und Lebensgeschichte von Helen Keller (1880-1968) sind in der Tat mehr als beeindruckend, und nichts von dem, was Penkas schreibt, ist falsch. Ärgerlich ist bloß, was er nicht geschrieben hat. Keller war nämlich nicht bloß eine Kämpferin für demokratische Rechte, sondern bekannte sich ab 1909 offen zum Sozialismus, was ihr viel Hass und Spott seitens der bürgerlichen Presse einbrachte, die sie zuvor mit großer Sympathie bedacht hatte. Sie trat der Sozialistischen Partei bei, die sich zu dieser Zeit in mächtigem Aufschwung befand, und unterstützte mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln deren Präsidentschaftskandidaten Eugene V. Debs. Die Enttäuschung über den rasch wachsenden Opportunismus in der Partei und das Beispiel des großen Textilarbeiterstreiks von Lawrence/Massachusetts im Jahre 1912 führte sie zusammen mit den besten Vertretern & Vertreterinnen der Arbeiterbewegung der USA zu den revolutionär-syndikalistischen Industrial Workers of the World (IWW). Ab 1916 kämpfte sie mit aller Energie gegen den sich abzeichnenden Eintritt der Vereinigten Staaten in den 1. Weltkrieg und auch der bald ausbrechende staatliche und halbstaatliche Terror gegen alle 'Roten' machte sie nicht schwankend in ihrer Solidarität mit den 'Wobblies' und Eugene Debs. Sie glaubte fest daran, dass dem Krieg alsbald die Weltrevolution folgen werde: "The mighty mass movement of which they [die 'Wobblies'] are a part is discernible all over the world. Under the fire of the great guns, the workers of all lands, becoming conscious of their class, are preparing to take possession of their own. [...] Workingmen everywhere are becoming aware that they are being exploited for the benefit of others, and that they cannot be truly free unless they own themselves and their labor. The achievement of such economic freedom stands in prospect -- and at no distant date -- as the revolutionary climax of the age." In den 20er Jahren verlor sie zwar nach und nach den unmittelbaren Kontakt zur Arbeiterbewegung, aber noch 1929 erklärte sie sich unmissverständlich für das Recht der Unterdrückten zur Revolution: "I am perfectly sure that love will bring everything right in the end, but I cannot help sympathizing with the oppressed who feel driven to use force to gain the rights that belong to them. That is one reason why I have turned with such interest toward the great experiment now being tried in Russia. No revolution was ever a sudden outbreak of lawlessness and wreckage incited by an unholy brood of cranks, anarchists and pedagogues. People turn to a revolution only when every other dream has faded into the dimness of sorrow. When we look upon these mighty disturbances which seem to leap so suddenly out of the troubled depths we find that they were fed by little streams of discontent and oppression. These little streams which have their source deep down in the miseries of the common people all flow together at last in a retributive flood." Ihre Sympathien für die radikale Linke blieben auch späterhin erhalten.
Was soll man angesichts dieser Lebensgeschichte von einem Comic halten, der Helen Keller nicht nur zu einer Steampunk-Heldin macht, die beständig mit Mordgelüsten zu ringen hat, sondern auch zu einer US-Agentin, die Präsident McKinley vor der Ermordung durch einen Anarchisten bewahren soll?
Ob bewusst oder unbewusst reiht sich Kreisberg damit in die Reihe jener Geschichtsklitterer ein, die alles daran setzen, um die Erinnerung an die revolutionären und sozialistischen Taditionen zu zerstören, welche auch die Arbeiterklasse der Vereinigten Staaten besitzt. Ähnlich wie z.B. die Organisatoren des geplanten Woody Guthrie - Museums in Tulsa/Oklahoma, die offenbar beabsichtigen, die kommunistischen Überzeugungen des berühmten Folk-Sängers diskret unter den Teppich zu kehren.

PS.: Kreisbergs Keller ist wie gesagt eine US-Agentin. Wer sich für die Akte interessiert, die das FBI Mitte der 50er Jahre über die reale Helen Keller angelegt hat, findet diese hier

* Helen Keller in einem Brief an den inhaftierten Sozialistenführer Eugene V. Debs.

Mittwoch, 22. August 2012

That's all, folks!

Da ich gerade zum zweiten Mal Hugh Kenners hübsches Büchlein über Chuck Jones lese, dachte ich mir, ich könnte hier doch rasch zum allgemeinen Vergnügen eines der berühmtesten Werke des großen Cartoon-Meisters präsentieren:


Irgendwelche postmodernen Schlauköpfe nennen sowas vermutlich selbstreferentiell. Ich nenne es genial.

Dienstag, 21. August 2012

"Nobody's here for the health. And they're certainly not here for the scenery."

Ridley Scotts Alien entwarf 1979 ein Bild der Zukunft, wie man es bisher im SciFi-Kino noch nicht gesehen hatte. Keine 'letzte Grenze', an der mutige Pioniere im Namen der Menschheit in Weiten vorstoßen, die vor ihnen noch niemand gesehen hat, sondern ein kapitalistisches Dystopia, beherrscht von riesigen Konzernen, in dem Arbeiter und Arbeiterinnen in einer schmutzigen und düsteren Umgebung für miese Löhnung schuften müssen.
In den letzten drei Jahrzehnten ist dieses Szenario längst selbst zu einem Klischee verkommen, doch Anfang der 80er Jahre war es noch frisch und innovativ; und einer der ersten Filme, die sich seiner mit Erfolg bedienten, war Peter Hyams' Outland mit Sean Connery, Frances Sternhagen und Peter Boyle, der zwei Jahre nach Alien in die Kinos gelangte.


Die Story ist schnell erzählt. Marshall O'Niel (Connery) tritt seinen einjährigen Dienst in einer Bergbaukolonie auf dem Jupitermond Io an. Dort gehen beunruhigende Dinge vor sich. In den letzten beiden Jahren hat die Mine Rekorderträge erzielt, doch ist es im selben Zeitraum zu einer ganzen Reihe unerklärlicher Selbstmorde unter den Arbeitern gekommen. Mit Hilfe der verbitterten und zynischen Stationsärztin Dr. Lazarus (Sternhagen) gelangt er schon bald zu der Erkenntnis, dass hierfür eine Droge verantwortlich ist, die die Arbeiter zu Höchstleistungen befähigt, bei vielen jedoch früher oder später zu Psychosen führt. Und wie man sich vielleicht denken kann, ist Grubenmanager Sheppard (Boyle) für das illegale Einführen und die Verteilung des Stoffs verantwortlich. Als O'Niel versucht, dem Treiben ein Ende zu machen, fordert Sheppard bei seinen Vorgesetzten einen Trupp von Killern an, die den unangenehmen Störfaktor beseitigen sollen. Schließlich geht es um die fetten Profite des Bergbauunternehmens. Nur von Lazarus unterstützt stellt sich der Marschall den schießwütigen Handlangern des Konzerns.
Die Geschichte verdient sicher keinen Preis für Originalität, und keine ihrer Wendungen kommt wirklich überraschend. Tatsächlich handelt es sich um einen traditionellen Westernplot, der in den Weltraum verpflanzt wurde. Doch da ich eine große Schwäche für klassische Western besitze, stört mich letzteres nicht weiter. Die Parallelen zu  Fred Zinnemans High Noon, die in beinahe jeder Besprechung des Filmes gezogen werden, sind allerdings rein oberflächlicher Natur. Man sollte sie bei einer Beurteilung von Outland möglichst außer Betracht lassen.
Die Schauspieler und Schauspielerinnen geben durchweg ordentliche Leistungen ab, doch niemand in diesem Film vermag wirklich zu glänzen. Freilich gibt das Material, mit dem sie arbeiten können, auch nicht sonderlich viel her. Hinzufügen sollte ich außerdem, dass ich ganz allgemein gesprochen kein großer Bewunderer von Sean Connery bin.* Angenehm überrascht hat mich allerdings, dass die verhärmte Ärztin in Gestalt von Frances Sternhagen ausnahmsweise einmal auch wie eine solche aussieht, und nicht wie ein auf die dreckige Io-Station gebeamtes Supermodel. Und sie fällt dem Macho-Marshall nicht um den Hals ... Uff!

Ein kurzer Blick in die Filmographie von Peter Hyams, der auch das Drehbuch geschrieben hat, hinterlässt keinen sonderlich überwältigenden Eindruck. In den letzten Jahrzehnten hat er sich sein Geld fast ausschließlich mit stereotypen Blockbustern wie End of DaysThe Relic, Timecop und Presidio verdient. Der Versuch einer Bradbury-Adaption mit A Sound of Thunder (2010) gilt offenbar allgemein als misslungen. Aber Outland gehört zu Hyams' frühen Werken, und es macht den Anschein, als habe er sich damals noch für intelligentere und vage gesellschaftskritische Stoffe interessiert, so u.a. in Busting (1974), Capricorn One (1978) und The Star Chamber (1983). Am Ende dieser Schaffensperiode steht die in enger Kooperation mit Arthur C. Clarke entstandene Filmversion von 2010 (1984).
Interessanterweise hat Hyams in vielen seiner Filme auch die Kamerführung übernommen. Für Outland gilt dies zwar nicht, doch da die besondere Qualität des Streifens fast ausschließlich in visuellen Eindrücken besteht, verdient Hyams' enge Vertrautheit mit der Kamera und ihren Möglichkeiten besondere Beachtung.

Bei dem erwähnten Mangel an Originalität und komplexerer Charakterzeichnung mag es vielleicht erstaunlich klingen, aber Outland ist ein wirklich sehenswerter Film. Das faszinierende an ihm sind nicht der Plot oder die Figuren, sondern die Umwelt, in der sich dieser abspielt und sich jene bewegen. Technisch gesehen mag wenig von dem, was wir zu sehen bekommen, realistisch sein. Die Computergrafiken in Dr. Lazarus' Labor sind nachgerade lächerlich. Dennoch gelingt es Outland, einen äußerst glaubwürdigen Eindruck davon zu vermitteln, wie das Leben und Arbeiten auf einer solchen Station wohl aussehen würde. Und bemerkenswerterweise unterbricht Hyams dabei nie die stringente und vor allem in der zweiten Hälfte actiongeladene Handlung seines Films. Es gibt keine unnötigen Abschweifungen, in denen er sozusagen einen Kommentar zu seiner Geschichte abgeben würde. Alles bildet eine feste, organische Einheit So gibt uns z.B. eine Verfolgungsjagd, in der O'Niel einen von Sheppards Handlangern durch die Station hetzt, ganz nebenbei ein Gefühl dafür, wie groß diese eigentlich ist. Doch andererseits sehen wir in einer Reihe von Szenen immer wieder völlig überfüllte Räume: Kantinen, Aufenthaltsräume, einen Nachtclub, die Arbeiterquartiere. Schon ganz zu Beginn ist uns mitgeteilt worden, dass in der Bergbaukolonie 2144 Personen leben. Trotz ihrer Größe sind in ihr viel zu viele Menschen auf viel zu engem Raum zusammengepfercht. Überall ist es zu laut und zu beengt. Privatsphäre existiert für die allermeisten hier nicht. Es gibt keinen Ort, an den man sich zurückziehen, an dem man für sich allein sein könnte. Die Arbeiter nächtigen in Schlafsälen, die an eine Kaserne erinnern, ein Etagenbett neben dem anderen. Das Höchstmaß an Intimität besteht darin, sich für eine Stunde mit einer Prostituierten einzuschließen. Diese klaustrophobische Gefängniswelt wiederum ist umgeben von einer absolut lebensfeindlichen Umwelt, von der die Menschen nur durch ein paar Zentimenter Stahl oder Glas getrennt sind. Das wird uns insbesondere durch zwei der Selbstmorde und den großen Schlusskampf sehr eindringlich vor Augen geführt. Die Selbstmorde wiederum erscheinen im Grunde nur als die logische Konsequenz dieser unmenschlichen Lebensbedingungen, deren Auswirkungen durch die Droge lediglich verstärkt werden. In ihnen drückt sich zugleich die Einsamkeit des Einzelnen in der zusammengepferchten Masse wie das Verlangen, ihr zu entkommen, aus.

Das Duell des Marshalls mit Sheppard und seinen Schergen lässt sich nur sehr bedingt als Revolte gegen diese Ordnung interpretieren. O'Niel hat ganz einfach begriffen, dass er nicht mehr ist als ein kleines Rädchen in einer korrupten Maschine. Man hat ihn hierher geschickt, weil man glaubte, er würde sich so verhalten, wie man es von ihm erwartete. Und das stinkt ihm. Wie er Lazarus gegenüber erklärt: "I found out I was supposed to be something I didn't like ... my rotten part in the rotten machine ... I don't like it." Er nimmt den Kampf gegen die Vertreter des Konzerns nicht auf, weil ihm wirklich etwas an den Arbeitern liegen würde. Er ist kein schlechter Mensch und er verabscheut Sheppard, aber er ist kein Revolutionär. Er will sich selbst und der Welt (und vor allem seiner Frau, die ihn zu Beginn des Films verlassen hat) beweisen, dass er mehr ist, als ein bloßer Befehlsempfänger. Hierin besteht sein Antrieb. Ebenso schließt sich ihm Dr. Lazarus nicht an, weil sie eine große Menschenfreundin wäre, sondern weil sie etwas für ihn übrig hat und sich ihr mit diesem Kampf die Möglichkeit eröffnet, noch einmal etwas sinnvolles in ihrem Leben zu tun.

Der Film endet zwar mit dem Sieg unseres Heldenpaares, aber an den Verhältnissen auf der Station wird sich dadurch nichts ändern. Selbst dass der Drogenschmuggel nun aufhören würde, ist unwahrscheinlich. Sheppard wird abtreten und ein ebenso skrupelloser Handlanger der Firmenbosse wird ihn ersetzen. Der Film lässt keinen Zweifel an dieser pessimistischen Aussicht. Als Lazarus bei O'Niel vorbeischaut, um sich von ihm zu verabschieden, sind ihre ersten Worte: "I was on my way to drinking myself into a stupor. I thought I drop in and say goodbye."

Obwohl Hyams sich bei den Klischees des Western bedient, weiß er doch, dass dessen Ideal des aufrechten Einzelnen letztenendes machtlos ist gegenüber einem Übel, das seine Wurzeln eben nicht im Einzelnen, sondern in einer sozialen Ordnung besitzt. Einen Ausweg aus diesem Dilemma kann er offenbar nicht erkennen, aber zumindest macht er sich keinerlei Illusionen.

* Seinen Akzent finde ich ja immer noch zu putzig. Die Schotten mögen mir verzeihen. Ein Film mit Connery, den ich wirklich gerne mal wieder sehen würde, wäre John Hustons Kipling-Adaption The Man Who Would Be King

Sonntag, 19. August 2012

Captain Confederacy

Mitte der 80er Jahre schufen Will Shetterly und Vince Stone einen eigenwilligen Mix aus Superheldencomic und Alternativer Historie: Captain Confederacy. Der erste Band The Nature of the Hero – erschien bei SteelDragon Press, der zweite Hero Worship in Marvels Epic Division.
Wie man sich bei diesem Titel denken kann, rief der Comic seinerzeit mächtige Kontroversen hervor. Vereinzelt tut er dies wohl auch heute noch, zumal er anders als in linken Kreisen oft üblich die Kultur des amerikanischen Südens nicht auf Rassismus reduziert. In leicht überarbeiteter Form hat Shetterly beide Bände, sowie die nie fertiggestellte Story Yankee UFO, vor einigen Jahren ins Netz gestellt.

Der Comic spielt in einer Welt, in der den Konföderierten die Sezession gelungen ist. Das Gebiet der Vereinigten Staaten  ist zerfallen in die Union im Norden, die Konföderation (CSA) im Süden und einige unabhängige Kleinstaaten wie Louisiana, Texas, Kalifornien, den Mormonenstaat Deseret und den Indianerstaat Great Spirit. Die Sklaverei wurde im Süden zwar abgeschafft, doch Farbige sind nach wie vor Menschen zweiter Klasse und besitzen keine Bürgerrechte. Letzteres ändert sich zwischen Band 1 und 2.
Als das konföderierte Militär ein Serum entwickelt, das Superkräfte verleihen soll, wird dieses zuerst an dem Schwarzen Aaron Jackson getestet. Nachdem der Menschenversuch erfolgreich verlaufen ist, wird das 'Project Hero' gestartet. Zu Propagandazwecken und um eine nationale Identifikationsfigur zu schaffen, wird der mittelmäßige Schauspieler Jeremy Gray in den Superhelden Captain Confederacy verwandelt. Ihm zur Seite stellt man die Nichte der Präsidentin Roxanne Huxley als Miss Dixie. Gemeinsam bekämpfen sie TV-gerecht 'Neger'-Agitatoren und Yankeespione. Jackson und die gleichfalls farbige Kate Williams werden als die schwarzen Superbösewichter aufgebaut. Alles läuft solange ganz im Sinne der Regierung, bis nicht nur Aaron und Kate, sondern auch Jeremy ihre Rollen in diesem Propagandabluff zu hinterfragen beginnen.
In Hero Worship hat dann Kate die Rolle des Captain Confederacy übernommen, was sie zur ersten farbigen Superheldin machte, die in einem der großen Comicverlage eine eigene (wenn auch äußerst kurzlebige) Reihe erhielt.

Was auf den ersten Blick wie eine simple Parodie auf Captain America daherkommt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als sehr viel interessanter. Allerdings besitzt der optisch ansehnlichere zweite Band nicht mehr dieselbe inhaltliche Qualität wie sein Vorgänger. Zwar bin ich nach wie vor der Meinung, dass das Superheldengenre von Natur aus der Behandlung komplexer menschlicher und gesellschaftlicher Themen enge Grenzen setzt; und auch Captain Confederacy hat mich in dieser Hinsicht nicht wirklich vom Gegenteil überzeugen können. Aber er hat mir doch gezeigt, dass man mit der nötigen kritischen Herangehensweise auch in den engen Grenzen des Genres eine Menge erreichen kann. Besonders beeindruckend fand ich z.B. die Sequenz in The Nature of the Hero, in der die Rassistin Roxanne durch ihre erwachenden telepathischen Fähigkeiten plötzlich gewzungen wird, die Welt durch die Augen der Unterdrückten zu sehen, oder die Gedanken einer Frau zu lesen, ohne dabei sagen zu können, welche Hautfarbe diese besitzt.

Donnerstag, 16. August 2012

Die Fallstricke einer verfehlten Ideologie

In den letzten Wochen tobte ein Sturm durch Teile der englischsprachigen phantastischen Netzgemeinde, der abwechselnd Wut, Ekel, Enttäuschung und zynisches Amüsement in mir hervorrief. Inzwischen haben sich die Wogen wieder etwas geglättet, und man könnte zurecht fragen, warum ich mich jetzt noch dazu äußere. Ich habe lange gezögert, dies zu tun, weil ich die ganze Angelegenheit reichlich unappetitlich finde. Aber da mit Catherynne M. Valente eine Autorin, deren Werk ich sehr schätze, dabei eine wichtige (und wenig bewundernswerte) Rolle  gespielt hat, und die Themen, um die es ging, für jeden, der eine kritischere Beschäftigung mit phantastischer Kunst befürwortet, von Bedeutung sind, habe ich mich dann doch zur Abfassung dieses Posts durchgerungen.

Auslöserin des ganzen Spektakels war acrackedmoon alias Requires Hate (RH), Verfasserin des Blogs Requires Only That You Hate, die in den letzten Monaten aufgrund ihrer hasserfüllten, von Gewaltfantasien durchtränkten und mit ad hominem-Attacken gegen diverse SFF-Autoren & -Autorinnen sowie -Fans gespickten Posts  & Tweets zu einer fragwürdigen Berühmtheit gelangt ist. Oberflächlich betrachtet richten sich ihre giftigen Angriffe gegen angebliche Fälle von Rassismus, Sexismus und anderen bösen -ismen in der phantastischen Literatur, und mitunter pickt sie sich dabei Bücher heraus, die tatsächlich nach einer kritischen Behandlung verlangen. Ihr Image als radikale 'Social Justice'-Kämpferin hat dazu geführt, dass sie eine Reihe von Unterstützern & Unterstützerinnen gefunden hat, unter denen sich auch so bekannte Namen wie Cat Valente, Lavie Tidhar, Aliette de Bodard, Nick Mamatas und Rachel Swirsky finden. Der World SF Blog kooperierte mehrfach mit ihr, so im Falle der (nicht besonders geistreichen) Western Cultural Imperialism Bingo Card und einer 'Roundtable'-Diskussion über 'nichtwestliche SF', an der neben ihr de Bodard, Swirsky, Joyce Cheng, Rochita Loenen-Ruiz und Ekaterina Sedia teilnahmen. Bereits zuvor hatte man ihr ein Forum zur Verfügung gestellt, um ihre lange Fehde mit R. Scott Bakker aus ihrer Sicht darzustellen.
Ich habe RH, soweit ich mich erinnere, erstmals über Lake Hermanstadt kennenglernt, und mich selbst auch einmal auf sie berufen, was mir inzwischen verdammt peinlich ist. Später begegnete sie mir mehr oder weniger regelmäßig bei FerretBrain unter dem Pseudonym valse de la lune. Dort benimmt sie sich im Allgemeinen zivilisierter als gewöhnlich, was sich dadurch erklärt, dass sie sich bei FerretBrain in einem von den Ideen der Identitätspolitik durchtränkten Umfeld bewegt. Wer sie verärgert ist allerdings auch hier nicht vor ihren aggressiven Tiraden sicher.

Eine etwas intensivere Beschäftigung mit RH führt sehr bald zu der interessanten Erkenntnis, dass es sich bei ihr keineswegs um einen Neuling im Netz handelt. Vielmehr verfügt sie über eine ebenso lange wie berüchtigte Historie unter dem Pseudonym Winterfox. (1) Relativ neu ist lediglich ihre Verwandlung in die fanatische Vertreterin einer besonders extremen Form der Identitätspolitik.
Wann genau sie zum erstenmal die Weiten des Internets unsicher machte, darüber gehen die Meinungen auseinander (1999/2000?). Sicher ist nur, dass sie ihren ersten Auftritt in der Fanfic-Community hatte. Dort erwarb sie sich sehr schnell einen äußerst üblen Ruf, denn sie wies schon damals all die Charakterzüge auf, die sie heute in der 'politischen' Polemik an den Tag legt: Maßlose Arroganz und das ungezügelte Verlangen, andere Menschen zu verhöhnen und verbal niederzuknüppeln. Objekt ihres besonderen Hasses war die Fanfic-Autorin Link's Queen. Eine an den Debatten jener Zeit beteiligte Person erinnert sich: "Anyone with an ounce of compassion and common sense could figure out that Link's Queen was (and probably still is) bat-shit insane just from the stuff she'd post [...]  But not Winterfox. She derived such fun from bullying and rallying the dogpiling of someone with so little grip on reality that for a lot of people she lost any credibility as far as her speil about being so far above any of those lowly little immature fanfic writers and readers. There's arguing and heated disagreements with people you don't like, and there's flaming an unarmed opponent; Winterfox loved to engage in the latter". Ähnliche Verhaltensweisen zeigte sie offenbar auch in der Gamer-Community.

Rassismus, Sexismus, Homophobie etc. spielten in diesen Debatten keine Rolle. Und so schält sich erst recht vor diesem Hintergrund ein sehr unangenehmes psychologisches Profil heraus. Winterfox/RH ist offenbar eine extrem von sich selbst eingenommene Person, der es nicht ernsthaft darum geht, ihre Standpunkte argumentativ zu vertreten, sondern die es genießt,  zu verletzen und zu demütigen. Es bereitet ihr augenscheinlich ein sadistisches Vergnügen, andere Menschen durch den Schmutz zu ziehen, über sie zu triumphieren  und auf ihnen herumzu-trampeln. Ist das Opfer wehrlos, so erhöht dies noch ihren Genuss.

Wann genau Winterfox die Identitätspolitik für sich entdeckte, ist mir nicht bekannt. Ihren ersten großen Coup landete sie jedoch scheinbar bei 50books_poc, einer Community, die sich mit den Werken farbiger Autorinnen & Autoren beschäftigt. Dort startete sie heftige Attacken vor allem gegen N.K. Jemisin und Cindy Pon. Wer irgendetwas positives über die Bücher dieser Autorinnen zu sagen wagte, sah sich schon bald mit Kommentaren im Stile von "Your liking for this pile of verbal diarrhea proves what morons fantasy fans are" konfrontiert. Schließlich beschimpfte Winterfox Cindy Pon als "stupid fuck", und der Sturm brach los. Die ganze Affäre nahm schnell tragikomische Züge an und führte zu einem weitgehenden Zusammenbruch der Community. Rauchende Ruinen hinter sich zurücklassend verließ Winterfox daraufhin Livejournal, um sich anderen Gefilden zuzuwenden.

Man ist versucht, anzunehmen, ihre Hinwendung zu 'Social Justice'-Themen sei letztenendes darauf zurückzuführen, dass die Identitätspolitik ihr die einmalige Gelegenheit eröffnete, ihrem Hang zu wüsten Pöbeleien nachzugeben und sich dabei auch noch mit dem Heiligenschein einer höheren Moral zu umgeben und frenetischen Applaus zu empfangen. Doch wie auch immer es sich damit verhalten mag, die Ideologie der ID-Politik und die Gepflogenheiten des SJ-Milieus bieten einer Trollin ihres Kalibers in der Tat ausgezeichnete Entfaltungsmöglichkeiten. Mit fast schon bewunderswertem Geschick versteht sie es, die Glaubenssätze der ID-Politik zu verwenden, um sich selbst unangreifbar und ihre Opfer wehrlos zu machen. Da RH ausschließlich unter Pseudonymen auftritt, ist es völlig unmöglich, ihre Aussagen bezüglich der eigenen Person irgendeiner Prüfung zu unterziehen. Glaubt man ihr jedoch, so ist sie eine lesbische Thailänderin chinesischer Abstammung. (2) Freilich soll sie sich selbst auch schon als asexuell bezeichnet haben. Doch  wie dem auch sei, auf jedenfall befindet sie sich in einer nach den Regeln der ID-Politik geführten Diskussion in einer nahezu unübertrefflich guten Ausgangsposition. Nach der Logik der ID-Politik verleihen RHs Geschlecht, ihre Herkunft, Hautfarbe und sexuelle Orientierung ihren Aussagen zu entsprechenden Themen von vornherein eine größere Autorität. Es ist darum auch nicht verwunderlich, dass sie sich selten mit den Argumenten ihrer Kontrahenten abgibt, sondern diese stattdessen aggressiv bedrängt, ihre Hautfarbe offenzulegen. Ist die Person weiß, so hat sich die Diskussion eh erledigt. Jüngst hat 'Uncle Steve' mit dieser Methode Bekanntschaft schließen müssen und das Erlebnis auf seinem Livejournal beschrieben. (3) Oft wartet RH auch gar nicht erst auf ein entsprechendes 'Geständnis', sondern geht ganz einfach davon aus, dass jeder, der etwas an ihren Verdammungsurteilen auszusetzen hat, automatisch weiß und männlich sein muss. Dass sie dabei häufiger schon mal farbige Frauen erwischt hat, tut ihrer Glaubwürdigkeit bei ihren Fans offenbar keinen Abbruch. Während ihres Feldzugs gegen Cindy Pon trieb RH den SJ-Fetischismus um Authentizität und Identität auf solche Höhen, dass er engültig ins Lächerliche umschlug: Aufgrund ihrer chinesischen Abstammung bezeichnete sie sich selbst als 'asian-asian', was ihr das Recht geben sollte, besser über Fragen der chinesischen Kultur zu urteilen als Pon, die immerhin in Taiwan geboren wurde!

RHs monomanischer antiweißer Rassismus wird in weiten Teilen des SJ-Milieus nicht als solcher wahrgenommen, da man dort davon ausgeht, dass es so etwas wie Rassismus gegen Weiße überhaupt nicht geben kann. (4) Dies erlaubt es RH, mit den denkbar verachtungswürdigsten Äußerungen davonzukommen.
Als eine transsexuelle Frau in Bezug auf ihren 'Stil' anmerkte "I will say this: hate speech gets people like me killed", erntete sie bloß Hohn und Spott von der großen Verteidigerin der Unterdrückten: "Yes, hate speech directed at white westerners really will get someone killed". Einmal mehr bewies RH damit, dass ihr die elementare Fähigkeit zur Empathie fehlt.  Keiner ihrer SJ-Fans zog auch nur in Betracht, dass sie mit diesem Tweet möglicherweise ihre Voruteile gegenüber Transsexuellen bzw. Transgenders verraten haben könnte. Aber nicht doch! Mit solchen Unterstellungen würde man ja bloß sein 'weißes Privileg' ausnutzen. Schamlosigkeit ist ein viel zu schwaches Wort für dieses Verhalten!
Dass nebenbei hingeworfene Bemerkungen wie "well, shooting white men on sight is always a good option really" bei den SJ-Kämpfern nicht einmal ein Stirnerunzeln hervorrufen, ist weiter nicht verwunderlich. Dabei sind die Gewalt- und Folterfantasien, in denen RH regelmäßig schwelgt, wirklich mehr als nur ein bisschen beunruhigend. Eine Psychologin könnte da vielleicht genaueres zu sagen. Zu den bevorzugten Objekten von RHs sadistischen Tagträumen zählte in jüngerer Vergangenheit vor allem der Schriftsteller Paolo Bacigalupi:
"As for Bacigalupi, flay him alive slowly, pour salt, pour acid, dismember and keep alive as long as possible".
"If I see Bacigalupi being beaten in the street I'll stop to cheer on the attackers and pour some gasoline on him".
"Your country [the USA] could be carpet-bombed tomorrow and all your servicepeople murdered in their sleep, and the world'll be a better place". (5)
Wer sich etwas Humanität oder auch bloß guten Geschmack bewahrt hat, sollte spätestens nach diesen Ausfällen RH angewidert den Rücken kehren. Doch stattdessen werden Äußerungen solcher Art von vielen SJ-Kämpfern als 'feurige Rhetorik' entschuldigt, mitunter sogar bewundert. Im besten Fall bekommt man von ihnen zu hören, RH gehe manchmal vielleicht etwas zu weit in ihren Verbalattacken. Grundsätzliche Kritik ist jedenfalls verboten, denn damit würde man gegen eine der elementaren Gesetze der ID-Politik verstoßen: 'The Argument of Tone'. Ich bin dieser bizarren Regel erstmals bei FerretBrain begegnet. Als Alasdair Czyrnyj – von allen FerretBrainern wohl derjenige, der der ID-Politik am wenigsten ergeben ist – seinem Ärger über valse de la lune = RH nach langem Zögern endlich einmal Luft machte, musste er sich von einem seiner Community-Kollegen folgende Predigt anhören: "When you whine about tone, it just shows your privilege and the lack of awareness of that privilege which is in itself, a privilege. If you, a non-racist, say something racist even unintentionally and a person of color calls you out on it in a tone you dislike, do you disregard what that person has to say? It is not the responsibility of that person to make sure your feelings are okay when it is your statement that continues the dominant culture's oppressiveness. The comment doesn't need to be racist. It could be sexist, misogynistic, ablist, agist, homophobic, transphobic, sizist, classist, and whatever I'm missing. Those statements still devalue the human." Jede Kritik an der menschenverachtenden Sprache von RH ist demnach rassistisch und (Gipfel der Ironie!) verletzt die Menschenwürde von RH. Dabei ist es RHs modus operandi, jeden, den sie nicht leiden kann, zu entmenschlichen, zu Abschaum oder schlimmerem zu erklären! Natürlich entschuldigte sich Alasdair brav bei der 'unterdrückten' valse de la lune, ein Verhalten, dass man bei vielen von RHs zaghafteren Kritikern beobachten kann und das bei mir Reminiszenzen an das stalinistische Ritual der 'Selbstkritik' wachruft.

Damit das klar ist, ich habe nichts gegen eine aggressive, gerne auch mal mit Obszönitäten gespickte Polemik. So liebe ich z.B. Hal Duncans wütende, wortreiche und witzige Attacken gegen alle möglichen homophoben Arschlöcher. Aber zum einen spricht das selbsternannte Oberhaupt der Sodomitischen Weltverschwörung seinen Kontrahenten nicht das Recht ab, ihm mit gleicher Münze zurückzuzahlen, zum anderen ist er nicht darauf aus, diese zu erniedrigen und zu entmenschlichen. Einmal davon abgesehen, dass Duncan vermutlich einfach eine sehr viel humanere Persönlichkeit ist als RH, liegt der Grund für diesen Unterschied auch in der Weltanschauung, die seinen Polemiken zugrundeliegt. Er ist ein Anarchist, dessen Ideal eine Gesellschaft der Gleichen ist, in der die Menschen befreit von den Fesseln repressiver Moral, geleitet von Vernunft, Leidenschaft und Mitgefühl ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten können. Es fällt schwer auszumachen, welches Ideal RH besitzt. Aus ihren Texten spricht nichts außer Hass, Egoismus und Willen zur Macht. Und doch findet sie Unterstützung bei Menschen, die sehr wohl über Intelligenz und Mitgefühl verfügen. Bei Idealisten, die glauben, in ihr eine besonders feurige Mitstreiterin gegen die Übel unserer Gesellschaft gefunden zu haben. Dieser ebenso traurige wie irritierende Umstand ist die einzige Rechtfertigung für meine ausführliche Beschäftigung mit RH. Und so kommen wir denn nun endlich zu den Ereignissen der letzten Wochen, die der eigentliche Auslöser für diesen Post waren.

Doch halt, es gibt eine Vorgeschichte, die kurz erzählt werden muss. Eine Vorgeschichte, deren Protagonistinnen Catherynne M. Valente, Kari Sperring und RequiresHate sind. Ich bin ein großer Fan von Cat Valentes literarischem Werk (soweit ich es gelesen habe), doch wenn man ihren Blog liest, wird man sehr bald feststellen müssen, dass sie nicht nur eine gewisse Affektiertheit, sondern auch leicht narzisstische Züge und einen starken Hang zum Selbstmitleid an den Tag legt.  Alle diese Charaktereigenschaften äußerten sich im vorliegenden Fall auf ziemlich unangenehme Weise.
Am 24. Mai postete Valente einen Text mit dem aus Jim Hensons Labyrinth entlehnten Titel I Have Fought My Way Here To The Castle Beyond The Goblin City, der ihrer Liebe zu Edinburgh gewidmet ist. Darin schreibt sie über ihren ersten Besuch in Großbritannien im Alter von 21 Jahren: "My life changed the moment that train pulled out of the brick archways and into the rolling green countryside beyond London – it was just beginning to be autumn then, and the trees were full of crows. I remember thinking about bird magic, auguries, every story I’d ever heard about England and Scotland. [...] It was the first time I wanted something with that desperate, pure fire – and made it happen, by myself, with will and work. After all, if you grow up loving fairy tales and King Arthur and saints who battle monsters, you want the British Isles the way some kids want boyfriends." Nachdem in zahlreichen Kommentaren ein vergleichbar romantisiertes Bild von Großbritannien gezeichnet worden war, meldete sich die walisische Schriftstellerin Kari Sperring zu Worte und gab in keineswegs aggressiver Weise ihrem Unbehagen darüber Ausdruck, dass ihre Heimat von vielen Nichtbriten oft auf seine Mythen und Legenden reduziert werde. Großbritannien sei ein reales Land mit realen Menschen und nicht Robin Hoods Sherwood Forest oder König Arthurs Camelot. Nichts daran ließ sich vernünftigerweise als 'Angriff' auf Cat Valente interpretieren, aber diese ist gegenüber jedweder Kritik äußerst dünnhäutig und beklagte sich sogleich in verletztem Tonfall, Sperring habe ihr ihre schönen Erinnerungen kaputt gemacht. Außerdem werde sie als Amerikanerin ohnehin überall auf der Welt unfair behandelt. Im nächsten Moment tauchte RH auf und fiel in gewohnt bösartiger Weise über Sperring her. (6) Danach verlegte sie ihre Attacken auf Twitter, wo sie Sperring weiter verhöhnte und als Nutznießerin des Imperialismus beschimpfte. Der Druck auf die Schriftstellerin wurde schließlich so groß, dass diese einen Selbstmordversuch beging. Als sie dies später Valente gegenüber schilderte, erhielt sie folgende Antwort: "You know...I am also a clinical depressive. What you said to me sunk me into a hole for weeks, drove me away from the Internet, left me in tears and unable to pull myself out of any of it. I will say again that I am totally perplexed as to why I bear responsibility for the actions of someone I've never met because I don't disavow her strongly enough for others taste, something that smacks of thought police to me do much more strongly than anything critics say about books, but if RH bears fault for what her words did to you, you bear fault for what yours did to me. You destroyed me, Kari, for weeks. In a lot of ways I still don't feel comfortable blogging like I used to. But I didn't want to say anything, because my issues are my own and I have to deal with them. No one will help me, and as a pro, you have plenty of people to back you up. [sic!] But please don't forget that you too call people out when you think they're wrong, and with words that wound." Der Mangel an Empathie und das Ausmaß an Narzissmus und Selbstmitleid sind hier wirklich erschreckend. Ich weiß verflucht gut, was es bedeutet, an Depressionen zu leiden, und ich kann Valentes Gefühlsreaktionen deshalb nachvollziehen, doch ist dies keine Entschuldigung dafür, sich gegenüber einer Frau, die gerade versucht hat, sich das Leben zu nehmen, wie ein selbstgerechtes Arschloch aufzuführen.

Auch ist Valentes Charakterisierung ihres Verhältnisses zu RH ziemlich heuchlerisch. Es ist nicht das erste Mal, dass ihr Blog von RH benutzt wurde, um eine Vendetta gegen jemanden zu entfachen. Als die irische YA-Autorin Sarah Rees Brennan es dort wagte, ihrer Abneigung gegenüber RH Ausdruck zu verleihen ("at another point I saw her discuss wanting to put dog piss in a water pistol and fire it in a [...] author's mouth"), erging es ihr noch übler als Kari Sperring. Auch in diesem Fall verlegte RH ihre Attacken nach ersten Vorgeplänkeln auf Twitter, wo sie dann u.a. behauptete, die meisten Iren seien nicht viel besser als Nazis. Valente muss der Fall bekannt sein, ist sie doch eine regelmäßige Besucherin von RHs Twitter-Account und kommuniziert dort mit ihr. Ihre wiederholten Beteuerungen, sie kenne RH nicht, bedeuten lediglich, dass sie ihr noch nie 'im Fleische' begegnet ist. Und wer ist das schon? Tatsächlich hat sie öffentlich ihre Bewunderung für RH bekundet: "I love Requires. [...] She's important, because she doesn't care about sacred cows. And we have so many of those in SFF." Dies geschah im Kommentar zu ihrem eigenen Post Let Me Tell You About the Birds and the Bees, in dem sie RH als ein Beispiel für die ungerechte Behandlung von Rezensentinnen und Autorinnen anführt. Nun wird niemand, der nicht entweder blind oder willentlich ignorant ist, den mitunter massiven Sexismus in Teilen der phantastischen Netzgemeinde leugnen können. Auch RH hat davon sicher schon eine Menge abgekriegt. Bloß ist sie für die Rolle des 'verfolgten Opfers' nun wirklich nicht die Richtige. (7) Valentes Versuch, sie dennoch zu einem solchem zu stilisieren, hörte sich wie folgt an: "[S]he was called a rabid animal by Peter Watts,  a luminary in our field, who received very little public condemnation for his statements. (A rabid animal! Because she thought a book was sexist! I thought humorless feminists were the ones who took things too seriously!)" Wer sich die Mühe macht, Watts' Artikel wirklich zu lesen, wird feststellen, dass Valentes Darstellung eine bewusste Verfälschung ist. Watts bezeichnete RH nicht deshalb als 'rabid animal', weil sie ein Buch (R. Scott Bakkers Prince of Nothing) als sexistisch kritisiert hatte. Er tat dies, um damit auf RHs dehumanisierende Sprache hinzuweisen. (8) Als er dies in einem Kommentar zu Valentes Post klarzustellen versuchte, wurde er wie zu erwarten von der versammelten Fangemeinde niedergebrüllt.

Catherynne M. Valentes Nähe zu RH lässt sich nicht ernsthaft bestreiten. Deshalb ist es gut nachzuvollziehen, warum sich Liz Williams ausgerechnet an sie wandte und um eine Stellungnahme zu RHs Verhalten bat. Williams ist die Verfasserin der Inspector Chen - Bücher und als solche in den Augen von RH selbstverständlich eine Kulturimperialistin ersten Ranges. Doch ging es ihr nicht darum. Sie schrieb: "[O]ne of your fans - Requires Meds - has repeatedly called for writers to be attacked (Paolo Bacigalupi, apparently, deserves to have acid flung in his face; others guilty of the crime of being white writers should be shot, stabbed, or blown up). Requires Meds operates anonymously from behind a keyboard, and is a well known gaming troll, so her chances of actually carrying any of the death threats out are probably around zero and I suspect she is merely pathetic." Valente brachte die üblichen Entschuldigungen für RHs Tiraden vor: "Her rhetoric is inflammatory. It is intended to be. I do not and have never believed they represented serious threats. Obviously, I do not approve of acid attacks, for crying out loud. But in rhetoric, we exaggerate for effect." Zugegebenermaßen hatte sich Williams einen denkbar ungünstigen Ort ausgesucht, um eine Debatte über RH zu beginnen, ging es in Valentes Post doch um einen Fall von sexueller Belästigung auf der diesjährigen Readercon. Dass ändert aber nichts an der Berechtigung ihrer Frage, ob Valente das Verhalten RHs verurteile, was diese nicht wirklich tat. Sie veröffentlichte daraufhin am 1. August einen Post über RH auf ihrem Livejournal, der die SJ-Trollin recht adäquat charakterisierte: "Seeks Attention has only very recently come to my own attention, mainly by dint of the online equivalent of jumping up and down and swearing, but has had a long history of trolling in the gaming community and has been flung off multiple comms under a long list of aliases for anti-social behaviour (shows up, randomly spews venom at people, is told to go away – typical trollshit). More recently, she’s discovered the wonderful world of social justice, and is now busily blogging away, focusing most of her attacks on white male writers, but also making a point of attacking women, including transwomen and women of colour (referring to one author as ‘a stupid fuck’: this level of subtle analysis is pretty standard). The usual response to criticisms of SA is ‘she makes some good points’ – she may well do, but those points come with a massive side-order of obscene bullshit that overwhelms the main course. There’s also been a near constant Twitter feed, since Seeks Attention appears neither to work nor sleep, of threats against specific authors – Paolo Bacigalupi is one – including acid attacks, shooting people and blowing them up. SA has a particular thing about US servicemen and Western tourists, and has suggested mass killings of both. You don’t have to agree with Western warmongering or sex tourism, both of which are pretty foul, to have issues with this. She’s also accused rape survivors of being rape apologists and reserves particular ire for Asian-Americans, basically for not being Asian enough. Or possibly for breathing air – it’s hard to tell." Man kann sich vorstellen wie RHs Anhänger & Anhängerinnen reagierten. Um einen ungefähren Eindruck davon zu bekommen, schaue man z.B. bei sf-drama  vorbei. Wirklich peinlich wurde es jedoch, als Cat Valente (9) tagsdarauf einen Post veröffentlichte, in dem sie behauptete, man habe ihr ein Ultimatum gestellt, sich von RH loszusagen, und sie sei außerdem bedrängt worden, ihren  Usernamen yuki_onna abzulegen. Nach wie vor war sie nicht bereit, ein deutliches Wort über RH zu sagen. Vielmehr erweckte sie den Anschein, das bemitleidenswerte Opfer einer Hexenjagd zu sein. Es dauerte einige Zeit, bis sich herausstellte, dass mit dem angeblichen Ultimatum in Wirklichkeit Liz Williams einsamer Kommentar gemeint war (der kein Ultimatum enthalten hatte) und sich die Usernamen-Geschichte auf eine kurze Bemerkung in einer LJ-Diskussion bezog, in der es um die heuchlerischen Doppelstandards von RH gegangen war. Niemand hatte verlangt, Valente solle ihren Usernamen ändern. In den Mahlstrom der nun tobenden 'Debatte' wurde in gewisser Weise auch Caitlin R. Kiernan hineingezogen, die sich bereits am 20. & 25. Juli sehr deutlich zu RH geäußert hatte und bei der es sich um das von Liz Williams erwähnte Vergewaltigungsopfer handelt, das von RH als 'Apologetin von Vergewaltigung' beschimpft worden war.

Wie ich zu Anfang bereits gesagt habe, wirkt all dies auf mich zugleich abstoßend, lächerlich und traurig. Meine Achtung und meine Sympathie für den Menschen Catherynne M. Valente ist in den letzten anderthalb Wochen beträchtlich gesunken, auch wenn ich ich ihre Erzählungen und Bücher (soweit mir bekannt) nach wie vor liebe. Aber schön, es ist nie gut, jemanden zu idealisieren. Sehr viel mehr hat mich erschreckt, wie eine Ideologie, deren angebliches Ziel darin besteht, die Interessen der Unterdrückten und Benachteiligten zu vertreten, bei so vielen Menschen zu Inhumanität und Kleingeistigkeit führen kann. Es war widerlich und empörend zu sehen, wie Liz Williams von glühenden SJ-Kämpfern als 'ableist' verdammt wurde, weil sie Requires Hate in Requires Med umgetauft hatte, während der Selbstmordversuch von Kari Sperring denselben Leuten nicht ein Wörtchen des Mitgefühls oder Verständnisses zu entlocken vermochte. Wie blind muss man sein, um aus einer selbstgerechten Sadistin wie RH eine mutige Heldin zu machen?! Was bitte ist mutig daran, andere Menschen mit Scheiße zu bewerfen, während man sich hinter einem Pseudonym versteckt und Gegenangriffe nicht zu fürchten braucht, da man sich gar nicht erst auf irgendwelche Diskussionen mit dem 'untermenschlichen Abschaum' einlässt, der es wagt, sich gegen seine öffentliche Abschlachtung zu wehren?

Die meisten Kritiker & Kritikerinnen von RH vertreten selbst die Standpunkte der Identitätspolitik. Es wäre deshalb nicht fair, wollte man sie als repräsentativ für das ganze SJ-Milieu hinstellen. Doch gerade weil sie dessen Ideologie auf die Spitze treibt, treten bei ihr einige grundlegende Merkmale der ID-Politik besonders deutlich hervor.

Selbst viele, die ihr kritisch gegenüberstehen, gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass RH zu den  'Unterdrückten' und 'Marginalisierten' gehört, einzig weil sie eine Frau ist, die aus Thailand stammt. Tatsächlich jedoch spricht sehr vieles dafür, dass es sich bei ihr um eine extrem privilegierte Person handelt. Ihre chinesische Abkunft kombiniert mit der von ihr selbst mehrfach erwähnten Ausbildung in Großbritannien machen es sehr wahrscheinlich, dass sie der dünnen thailändischen Oberschicht entstammt. Dies würde auch ihre erstaunliche Realitätsferne erklären.
Ihre Bemerkungen zu allen möglichen Themen belegen immer wieder aufs Neue, dass sie offenbar nicht die geringste Ahnung von der sozialen Wirklichkeit hat – weder was Thailand noch was die Länder der westlichen Welt betrifft. Es ist nicht verwunderlich, dass Pat von Pat's Fantasy Hotlist ganz selbstverständlich davon ausging, es bei RH mit jemandem aus dem Westen zu tun zu haben, der noch nie in Südostasien gewesen ist, als diese sein Reisetagebuch als rassistisch attackierte. In einigen der Passagen, über die sie herfiel, hatte Pat die Folgen der sozialen Ungleichheit in Bangkok beschrieben:
"It's kind of odd that some aspects of Bangkok could put any Western city to shame, and all the while show you sides straight out of a Third World country when you turn around and face the other way [...] It's kind of sad to see fat and old Western men walking hand in hand with pretty young Thai girls. They're absolutely everywhere and not likely to go away. There are a couple of universities here, so hopefully there is a brighter future for any Thai young women".
Das mag nun keine messerscharfe soziale Analyse sein (schließlich handelt es sich um Reiseimpressionen), aber es ist doch ziemlich klar, dass Pat im Sextourismus eine Folge der Armut in Thailand sieht. Für RH aber bewies er damit nur, dass er ein paternalistisches und imperialistisches Schwein ist. Sie betonte, Thailand verfüge über "tons of universities" und ging mit keinem Wort darauf ein, dass zahllose junge Frauen durch ökonomische Umstände in die Prostitution gezwungen werden. Für eine Radikalfeministin etwas merkwürdig, oder?
Kaum jemandem scheint der eigentümliche Umstand aufzufallen, dass RH sich als Kämpferin für die soziale Gerechtigkeit geriert und immer wieder ihre thailändische Herkunft betont, jedoch nie ein Wörtchen über die fürchterlichen sozialen Verhältnisse in ihrer Heimat verliert. Thailand ist eine der sozial ungleichsten Länder außerhalb von Afrika. Eine kleine und obszön reiche Elite, deren Mitglieder sich oft wie echte Aristokraten aufführen, herrscht über eine zum Teil völlig verelendete Bevölkerung. Die Universitäten, auf die RH so stolz hinweist, stehen in erster Linie deren Kindern offen und zementieren de facto noch den Abstand zwischen Arm und Reich. Die Interessen dieser Klasse werden von einem autoriären und korrupten Staat verteidigt, dessen Rückgrat Militär und Monarchie bilden, und dessen demokratische Fassade durch die zahlreichen mehr oder weniger offenen Staatsstreiche der letzten Jahre stark abgeblättert ist. Die Massenproteste der 'Rothemden' im Jahr 2010 waren der erste mächtige, wenn auch politisch diffuse Ausdruck für eine Revolte der arbeitenden Massen gegen diese Ordnung. Entsprechend rigoros ging das Militär gegen sie vor. Von dieser sozialen und politischen Realität findet sich auch nicht der leiseste Widerhall in RHs Posts.
Vieles an ihr wird verständlicher, wenn man davon ausgeht, dass sie die Bewohnerin einer kleinen und äußerst privilegierten Welt ist, über deren Grenzen hinauszuschauen sie entweder nicht willens oder nicht fähig ist. Wie anders ließe sich z.B. erklären, dass sie einmal allen Ernstes eine ausufernde Debatte darüber geführt hat, warum jeder, der ein iPhone und kein Android besitzt, in ihren Augen ein Trottel ist? Doch nicht nur solch bizarre Anekdoten erscheinen plötzlich nachvollziehbarer, auch auf ihre realitätsfernen Ausführungen zu ernsteren Themen fällt ein ganz anderes Licht. So veröffentlichte RH z.B. im April einen Post, in dem sie die Nutzlosigkeit der YA-Literatur unter Beweis stellen wollte. Der Anfang liest sich so: "I’ve never understood the argument that Twilight, Eragon, or the latest YA shitfest of the week 'at least gets kids reading.' Let me explain: I’m coming at this with a vastly different perspective. I’m from a country where English is not a first language, and in this climate 'at least it gets kids reading' does indeed have merit, in the sense that if it gets kids to read in English and thus get them to achieve proficiency with the language, it would be excellent and awesome, because we need that. We need to speak English to survive. We need to speak English just to get by. It’s not a choice. [...] But that is not the argument first-world Anglophones usually make [...] Getting kids to achieve proficiency in English isn’t the goal or the problem, because this is about Anglophonic children in first-world countries, not kids who need to cope in an imperialist world where speaking English is a matter of survival.'" Wenn sie von Thailand spricht, so versteht sie darunter offensichtlich nur die Mittel- und Oberschicht. Für die große Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung ihrer Heimat dürften Englischkenntnisse nämlich keine Frage des Überlebens sein. Und was ihr Bild des Westens angeht: Wer sich auch nur ein bisschen mit der Realität in den USA (oder Deutschland) auskennt, weiß, dass die Fähigkeit, mit geschriebenen Texten umzugehen, für viele Kinder keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist. Vielmehr stellen Analphabetismus und Halbanalphabetismus nicht zuletzt aufgrund der wachsenden sozialen Ungleichheit auch in der sog. '1. Welt' echte Probleme dar. Ich habe selbst eine gute Bekannte, die damit zu kämpfen hat. Aber für RH sind halt alle Weißen und 'Westler' privilegierte Unterdrücker. Da sie selbst sich in ihrem ganzen Leben vermutlich noch nie Gedanken über Geld machen musste, existieren ökonomisches Elend und seine Folgen für sie nicht. Wie sonst könnte sie solch offensichtlich absurde Dinge schreiben wie: "I doubt I have class privilege over most white western men".

Jetzt lässt sich auch besser verstehen, warum sich bei RH das Getue um 'soziale Gerechtigkeit' mit einem so absoluten Mangel an Empathie vereinbaren lässt. Sie schäumt regelmäßig vor Wut über die 'Unterdrücker', solange es sich bei diesen um weiße 'Imperialisten' (=Bewohner eines westlichen Landes) handelt, aber sie zeigt an keiner Stelle Sympathie oder auch nur ehrliches Interesse für die Unterdrückten. Sie ist blind für echtes Elend und echtes Leid. Verständlich, verdankt sie ihre universitäre Bildung und ihre scheinbar unbegrenzte Freizeit, die es ihr erlauben, ihre unzähligen Feldzüge im Internet zu führen, doch mit ziemlicher Sicherheit einer sozialen Stellung, die selbst auf brutaler Ausbeutung basiert. Sich dies einzugestehen ist ihr unmöglich, denn dann müsste sie von ihrem hohen Ross herabsteigen und könnte nicht länger andere über deren angeblich 'privilegierten Status' belehren.

Die meisten Anhänger der Identitätspolitik, operieren wie RH mit Abstraktionen: 'die Frauen', 'die Männer', 'die Weißen', 'die Farbigen', 'die Homosexuellen' usw. Dabei blenden sie den alles dominierenden und entscheidenden Charakterzug der Gesellschaft, in der wir leben, aus. Die Tatsache nämlich, dass es sich bei ihr um eine Klassengesellschaft handelt. Zwar haben die ID-Ideologen den Begriff 'classism' erfunden, den sie manchmal neben 'sexism', 'racism', 'ableism' etc. stellen, aber mir ist bis heute nicht klar geworden, ob sie damit die materiellen Besitzunterschiede meinen, oder ob 'classism' bloß ein postmodernes Wort für Snobismus ist. Auf jedenfall reagieren die meisten SJ-Kämpfer äußerst ungehalten, wenn man die Klassenfrage ins Spiel bringt. (10) Meist tun sie sie hastig als 'Ablenkungsstrategie' ('derailing') ab. Die Gründe dafür sind nicht schwer zu erraten.
Mit 'Identität' ist bei ihnen ja nicht die individuelle Persönlichkeit, sondern die Zugehörigkeit zu einer Gruppe gemeint, die von ihrer Klassenzusammensetzung her stets heterogen ist. Und dennoch soll man sich in erster Linie mir ihr identifizieren und es wird postuliert, alle ihrer Angehörigen hätten dieselben Interessen. Dabei würde ein kurzer Blick in die soziale Realität sehr schnell zeigen, dass dem nicht so ist. Meike Schlecker hatte als Mitglied der Geschäftsleitung nicht dieselben, sondern diametral entgegengesetzte Interessen wie die Verkäuferinnen des für seine Sklaventreibermethoden berüchtigten Konzerns. Dass sie alle Frauen waren änderte daran nichts. Ebenso wäre es absurd, wollte man behaupten, ein Mann wie Czem Özdemir könne aufgrund seiner Herkunft für die Mehrheit der Türken und Türkinnen in Deutschland sprechen. Zwischen beiden klafft ein sozialer Abgrund.
Ich übertreibe natürlich. Die meisten Anhänger der ID-Politik sind nicht wirklich blind für solche Tatsachen, sie rücken bloß andere Elemente der sozialen Realität ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit. Doch das allein reicht oft schon, um bei ihnen ein völlig verzerrtes Bild der gesellschaftlichen Situation entstehen zu lassen. Ich nehme als Beispiel noch einmal Catherynne M. Valente, diesmal in ihrer Funktion als Vertreterin des Feminismus. Im März veröffentlichte sie einen Post mit dem Titel American Politics Are A Black, Morbid Circus And We're All Crammed in the Clown Car, in dem sie eine Reihe der beunruhigenden politischen Entwicklungen in den USA beschreibt. Gut vier Fünftel des Textes sind dem 'War on Women' gewidmet, den ein einflussreicher Teil der Republikanischen Partei eröffnet hat. Was hingegen keine Erwähnung findet sind a) steigende Arbeitslosigkeit und Verelendung breiter Bevölkerungsschichten; b) massiver Abbau des ohnehin erbärmlichen Sozialsystems; c) Ausbau eines zunehmend autoritären Staatsapparates; d) Militarismus und Krieg. Dabei sind dies die Themen, die die Mehrheit der Amerikanerinnen & Amerikaner unmittelbar berühren. Und nur im Rahmen dieser gesellschaftlichen Entwicklungen, die allesamt Kennzeichen der tiefen Krise des US-Kapitalismus sind, lässt sich auch der Aufstieg der christlich-fundamentalistischen Rechten und mit ihm die Angriffe auf die Rechte der Frauen verstehen. Doch Valentes feministische Ideologie macht sie blind für diese Zusammenhänge. Sie glaubt, die Gefahr gehe von einigen Ewiggestrigen aus, die die USA in die 50er Jahre zurückführen wollten. Schlimmer noch, sie macht einen Gutteil der US-amerikanischen Bevölkerung für all das verantwortlich: "A huge part of the country I live in wants to silence and crush people like me – and that 'like me' has multiple vectors. Female, queer, young, liberal, artist, techie." Mit keinem Wort hingegen kritisiert sie die Regierung. Natürlich nicht, entspricht diese doch in mancherlei Hinsicht den Wunschträumen der ID-Ideologen. An ihrer Spitze steht ein Farbiger und eines der mächtigsten Mitglieder des Kabinetts ist mit Hillary Clinton eine Frau. Sie ist der lebendige Beweis für das Scheitern der Identitätspolitik, und deshalb muss man sich ihr gegenüber blind stellen.

Viele Anhängerinnen und Anhänger der Identitätspolitik sind zweifllos ehrlich daran interessiert, gesellschaftliche Übel und Ungerechtigkeiten wie Sexismus, Rassismus oder Homophobie zu bekämpfen. Und natürlich müssen diese bekämpft und ausgerottet werden. Doch die ID-Ideologie selbst besitzt einen sozialen Inhalt, der einen wirklich erfolgversprechenden Kampf gegen sie faktisch unmöglich macht. Sie entstand in den späten 70er und vor allem in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, als sich die zuvor radikalisierten Mittelklasseintellektuellen endgültig von der Masse der arbeitenden Bevölkerung abwandten und vielfach einen steilen sozialen Aufstieg begannen. Im Kern drückt sie deren Interesse aus, in die herrschende Elite aufgenommen zu werden.

Versucht man die positiven Ziele von SJ-Kämpfern zu ergründen, so steht man oft vor einem gewaltigen Problem. In den meisten Fällen definieren sie sich ausschließlich über ihre Gegnerschaft zu etwas. Bei so jemandem wie RH mag die Abwesenheit eines angestrebten Ideals besonders augenfällig sein, aber im Grunde ist es ganz allgemein schwierig, zu sagen, wie bei der 'Sozialen Gerechtigkeit' die Gerechtigkeit eigentlich genau aussehen soll. Bohrt man etwas nach, so stellt sich für gewöhnlich heraus, dass man sich darunter so etwas wie eine universale Quotenregelung vorzustellen hat. Die existierende soziale Hierarchie wird nicht in Frage gestellt, es geht lediglich darum, der eigenen Gruppe einen 'fairen' Anteil auf jeder ihrer Stufen zu erkämpfen. Doch für die Mehrheit, auch für die Mehrheit in jeder einzelnen Gruppe, wäre damit in Wahrheit nichts gewonnen. Solange die Gesellschaft als ganzes auf Ungleichheit basiert, diese Ungleichheit sogar immer weiter zunimmt, ist es für 99% der Bevölkerung völlig gleichgültig, wie sich das herrschende 1% bezüglich Genderzugehörigkeit, ethnischer Herkunft oder sexueller Orientierung zusammensetzt. Ehrgeizigen Aufsteigern aus der Mittelklasse hingegen kommt die ID-Politik in ihrem Bemühen an die Fleischtöpfe von Reichtum und Einfluss zu gelangen, sehr entgegen. Hierin mag auch der Grund liegen, warum eine so offensichtlich vom Willen zur Macht zerfressene Person wie RH bei einigen SJ-Kämpfern eine verwandte Saite zum Schwingen bringt. Ihre Äußerungen bringen oft eine eigenartige Mischung aus Arroganz, dem Wunsch zu Dominieren und dem Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, zum Ausdruck. Eine Mélange, die sehr gut zu Menschen passt, die glauben, dass sie aufgrund ihrer Bildung und ihrer 'Intelligenz' einen höheren Status verdient hätten, als sie momentan innehaben. Mit Empfindungen echter Empathie, mit den Idealen von Solidarität und Gleichheit, verträgt sich eine solche psychische Verfasstheit hingegen nicht.

John Scalzi hat die Philosophie der Identitätspolitik vor einiger Zeit  sehr schön auf den Punkt gebracht. In einem kleinen Aufsatz vergleicht er 'das Leben' mit einem Computerspiel, bei dem der heterosexuelle weiße Mann auf dem leichtesten Schwierigkeitsgrad beginnen darf, während alle anderen auf entsprechend schwierigeren Graden spielen müssen. Autor Steven Brust hat ihm darauf eine ganze fabelhafte Antwort gegeben, der ich mich nur voll und ganz anschließen kann, und mit der ich diesen Post beenden will. Es gäbe noch vieles zu sagen, so etwa über die z.T. sehr negativen Auswirkungen der ID-Politik auf die Kunst (und um Kunst sollte es doch eigentlich gehen). Aber für heute soll endgültig Schluss sein. Ich übergebe Steven das Wort:

"My problem can be stated thus: All of this effort put into either a) How do we make the game more fair, or b) At least making us aware of how unfair the rules are,  makes it that much harder to focus on what is, to me, most important: THE FUCKING GAME SUCKS.
I don’t want to play it, I don’t want to be forced to play it, I don’t want strangers to have no choice but to play it; I don’t like smug assholes 'dropping out' to live in the woods and then claiming they aren’t playing it.
The game needs to go.  It needs to be replaced by a game that doesn’t have a wealth stat, or an education stat, because those things are just always maxed for everyone.  It needs to be replaced by a game in which the stats are different talents, and the only thing to put points in are interests and passions.
John calls his game real life, and he’s right, it is.  But I passionately, deeply believe it isn’t the only choice for what real life can be.  Most people will believe my desire here is unrealistic, and dismiss it; but we must not forget that many of these people believe (or believed) that voting for Obama made a difference, so exactly who is unrealistic is open for debate.  In terms of material wealth and capacity for wealth production, there is, at present, enough to create the game I want, or at least get pretty close. In order to concentrate on changing the rules for stat setting, you must believe the game is always going to be there, more or less the same.
 I will never accept that."


(1) Ein weiteres ihrer bekannten Pseudonyme ist pyrofennec.
(2) Ihre Angaben fluktuieren offenbar, so soll sie einmal behauptet haben, sie sei in Thailand, einmal, sie sei in Honkong zur Welt gekommen. Es gibt einige Leute, die überzeugt sind, in ihren Posts eine Menge Indizien gefunden zu haben, die darauf hindeuten, dass sie weder aus Thailand stammt noch dort lebt. Ich kann das nicht beurteilen und gehe im Folgenden davon aus, dass sie in diesem Punkt die Wahrheit sagt.
(3) Ob es sich bei Advancedcookie um ein weiteres Pseudonym RHs handelt oder ob wir es bloß mit einem besonders fanatischen Fan zu tun haben, der Stil und Methode seiner Meisterin nahezu perfekt imitiert, ist bisher ungeklärt.
(4) Für ein besonders tragisches Beispiel der Vermischung von SJ-Ideologie und Rassismus siehe hier.
(5) Autor Colum Paget spielte eine zeitlang ernsthaft mit dem Gedanken, seine grade begonnene Schriftstellerkarriere wieder aufzugeben, nachdem RH bei Twitter erklärt hatte, man solle ihm den Kopf abschlagen.
(6) RHs freundschaftliches Verhältnis zu Cat Valente gibt dem uneingeweihten Betrachter Rätsel auf. Es gehört zu RHs Lieblingsbeschäftigungen, in den Werken westlicher Autorinnen & Autoren nach vermeintlichen Belegen für die Todsünde der 'cultural appropriation' zu suchen. So gesehen müsste sie Valentes Bücher eigentlich in der Luft zerfetzen und die öffentliche Hinrichtung der Schriftstellerin fordern, bedient sich diese doch ganz ungeniert bei Mythen und Märchen aus allen möglichen Kulturen. Auch würde RH über jeden anderen kübelweise Beleidigungen und Verspottungen ausschütten, der es wie Valente wagte zu behaupten, man habe ihn wegen seines amerikanischen Akzentes unfair behandelt. Stattdessen tritt RH nicht nur hier als Cats beißwütige Verteidigerin auf. Genießt sie einfach bloß die Nähe zu einer einigermaßen bekannten Künstlerin oder ist ihre Form der 'Literaturkritik' am Ende nur eine clevere Methode, um alles, was nicht ihrem persönlichen Geschmack entspricht, zu wertlosem rassistischem, sexistischem, kulturimperialistischem Schund erklären zu können, und spart deshalb jeden aus, dessen Werk ihr gefallen hat?  
(7) Ein sehr viel besseres und damals gleichfalls relativ aktuelles Beispiel wären z.B. die misogynen Anfeindungen gewesen, die Liz Bourke in den Kommentaren zu einer ihrer Rezensionen bei Strange Horizons entgegenschlugen.
(8) "Also, there is at least one rabid animal who hates it [Bakkers Buch], someone who goes by the monicker 'acrackedmoon'. Notice what I did there: I reduced a fellow human being to the status of a mentally-diseased animal. I thought long and hard about doing that. It surprises me a little that I’m willing to sink so low, so early in the discussion (maybe I won’t; maybe I’ll have second thoughts and edit it out before I post.) (Guess not.) I’d generally show more restraint, but for the fact that acm has beaten me to that particular punch by referring to Scott Bakker as 'a self-important little roach'. She calls him a number of other things, too, but I figure that particular shot justifies my own epithet (which at least accords acm the dignity of remaining a mammal)."
(9) Die ohne beim Namen genannt zu werden, von Williams' erwähnt worden war: "She [RH] is also, ironically, noted for her drooling support of an author whose, ahem, somewhat negative remarks about the Japanese are plastered all over the fanwank sites". Williams' spielte dabei auf eine Reihe abfälliger Bemerkungen Valentes über Japan an, wo diese eine Zeit lang als Ehefrau eines US-Offiziers auf einer Marinebasis gelebt hatte.
(10) Der Sozialist und Fantasyautor Will Shetterly ist für dieses Verbrechen vom 'politisch korrekten' SFF-Fandom zum 'Unberührbaren' erklärt worden, dessen Name nur noch unter Beschimpfungen oder ironischem Gelächter genannt werden darf. Ich stimme nicht mit allem 100%ig überein, was Shetterly auf seinem Blog schreibt, halte diesen aber auf jedenfall für sehr lesenwert.

Montag, 13. August 2012

Wie bitte ?!? Nordkorea !?!

Erinnert sich noch jemand an Red Dawn (Die rote Flut)? Der 1984 in die Kinos gelangte Film des rechten Exzentrikers und Conan-Regisseurs John Milius war das vielleicht groteskeste cinematographische Produkt von Ronald Reagans Zweitem Kalten Krieg. Er erzählt wie eine Gruppe amerikanischer Teenager (u.a. Patrick Swayze) einen Guerillakrieg gegen das sowjetisch-kubanische Besatzungsregime startet, welches zu Beginn des 3. Weltkriegs große Teile der Vereinigten Staaten kontrolliert ... Ja, der Film ist wirklich genauso bescheuert, wie diese Kurzversion des Plots klingt.
Als ich erfuhr, dass Metro Goldyn Mayer ein Remake des Streifens hat produzieren lassen, dachte ich zuerst, bei dieser Nachricht handele es sich um einen Witz. Selbst als ich dann den Trailer zu sehen bekam, schien mir die Möglichkeit, einen aufwendig gemachten Fake vor Augen zu haben, im ersten Moment nicht gar zu abwegig.


Doch nein, das ist kein Witz. Im Dezember dieses Jahres wird auf Kinoleinwänden in aller Welt zu sehen sein, wie die Nordkoreaner eine Invasion der USA starten, und einige aufrechte patriotische Teenies den bösen Asiaten anschließend Saures geben. Tut mir leid, aber ich komm aus dem Lachen gar nicht mehr raus ... NORDKOREA?!? Ursprünglich sollten die Invasoren natürlich Chinesen sein, aber dann realisierte irgendein kluger kapitalistischer Kopf bei MGM, dass die Volksrepublik inzwischen einen lukrativen Markt für Hollywoods Produkte darstellt, und man besserte noch mal nach. Und verwandelte Red Dawn damit endgültig in den vielleicht absurdesten Kriegsfilm aller Zeiten.

Und schon wieder Creepy Howie

Mein Dank geht an Caitlin R. Kiernan, deren Empfehlung mich soeben zu José Olivers and Bartolo Torres' Comicstrip Young Lovecraft geführt hat. Wer könnte schon dieser Charakterisierung widerstehen: "It's like Peanuts for creepy people, with just a dash of perversion"? Ich jedenfalls nicht ...

Samstag, 11. August 2012

Lovecraft einmal neckisch

Die Lovecraft eZine hat kürzlich eine Liste von im Netz frei verfügbaren HPL-Verfilmungen zusammengestellt, sowohl professionelle als auch Fanproduktionen. Unter letzteren findet sich die folgende, von einem Team in Schweden kreierte Adaption von The Shadow out of Time:


Ich kann mir nicht helfen, aber ich finde diesen Streifen auf eigentümliche Weise sehr charmant. Die zum Teil schrecklich amateurhafte Tricktechnik; das völlig überzogene Spiel des Hauptdarstellers; dazu der mit sonorer Stimme vorgetragene Text Lovecrafts mit all seinen stilistischen Idiosynkrasien ... zusammen wirkt das alles beinahe wie eine Parodie auf den Gentleman von Providence und seine Erzählung.
Es ist schwer zu sagen, wie viel Absicht hinter all dem steckt. Einer der Schöpfer des Filmchens hat in den Kommentaren bei Youtube geschrieben: "We tried our best to be respectful, as well as entertaining." Tatsächlich sieht man dem Streifen an, dass er von Leuten gemacht wurde, die Lovecraft lieben. Doch zugleich kann ich mir nur schwer vorstellen, dass der ironische Einschlag völlig unbewusst zustandegekommen sein soll. Vielmehr scheint es da in Schweden eine Gruppe Lovecraftfans mit Sinn für Humor zu geben, die ihren Lieblingsautor nicht bierernst nehmen. Ich finde das ausgesprochen sympathisch, zumal auch der alte HPL und seine Freunde mit dem Cthulhu-Mythos recht humorvoll umgegangen sind. Für sie war er zu einem Gutteil einfach ein amüsantes literarisches Spiel. Einen besonders deutlichen Niederschlag hat dies interessanter-weise ausgerechnet in The Shadow out of Time gefunden. Unter der buntgemischten Truppe von 'Zeit-Exilanten', denen Professor Peaslee während seines Aufenthaltes in der Welt der Großen Rasse begegnet, tummeln sich nämlich zahlreiche Vertreter aus dem literarischen Kosmos des Lovecraft-Zirkels. Da geben sich August Derleths Tcho-Tchos, die Anhänger Tsathogguas aus Clark Ashton Smiths Hyperborea und die Reptilienwesen von Velusia aus Robert E. Howards König Kull - Geschichten ein Stelldichein; mit dem cimmerischen Häuptling Crom-Ya ist sogar ein Stammesgenosse Conans mit von der Partie; und aus Lovecrafts eigenen Stories gesellen sich die Alten Wesen aus At the Mountains of Madness und der König von Lomar aus Polaris hinzu.  Man darf sich den Einsiedler von Providence wirklich nicht als einen ewigen Griesgram vorstellen.

Mittwoch, 8. August 2012

Musik der Kasbah



Im Herbst 2003 betritt Safinez Bousbia die Werkstatt des Spiegelmachers Ferkioui in Algier. Dort entdeckt sie zufällig ein Foto, auf dem eine Gruppe von Musikern im Konservatorium der 1940er Jahre zu sehen ist. Wie sie erfährt, war Herr Ferkioui Mitglied eines der in den 50er Jahren berühmtesten Chaabi-Orchesters des Landes. Fasziniert von dieser Geschichte macht sie sich auf die Suche nach den übrigen ehemaligen Mitgliedern. Ihre Suche führt zu einer Wiedervereinigung alter Freunde, zu einer Reihe von Konzerten und schließlich zu einem gegen zahlreiche Widerstände produzierten Film: El Gusto (2011).

Ich habe den Film nicht gesehen und weiß auch nicht, ob er hierzulande überhaupt schon irgendwo gespielt wurde. Aber ganz wie die Regisseurin hat die Geschichte mich auf Anhieb fasziniert.

Die Chaabi (wörtlich 'Volks'-) - Musik entstand gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Kasbah-Viertel von Algier. Als eine Mischung aus alten andalusischen Traditionen, religiösen Gesängen und Berbermusik erwuchs sie aus einem städtischen Milieu, in dem Muslime, Juden und Christen friedlich zusammenlebten, und ihre kulturellen Traditionen sich gegenseitig befruchteten. Gabriela Zabala schreibt auf der World Socialist Web Site: "As El Gusto reveals, local Muslims used to attend the Casbah synagogue every Saturday just to listen to Hebrew music. One of the musicians interviewed also explains that prior to the 1946-1958 French military occupation there was harmony between all faiths and nationalities in the Casbah: 'Spaniards, Jews, Christians, Arabs and Muslims all lived together.'" Zu Chaabi-Orchestern wie dem des Herrn Ferkioui gehörten ganz selbstverständlich muslimische und jüdische Musiker.  Safinez Bousbia erzählt in einem Interview mit Indiewire: "El Gusto is a story that remains untold to the present day: The story of independent thinkers witnessing the Franco Algerian history, told not by soldiers or victims but by simple musicians. These men managed to prove the universality of music can transcend all differences and prejudice. In a modern day world where conflicts tear communities apart, highlighting their differences rather than their similarities, this exceptional reunion of Jewish and Muslim musicians is the occasion to remind the younger generation that cultural and religious coexistence was possible not long ago. Taking the stage again their belief in this cultural harmony with common origins is affirmed."

Lange Zeit als eine hauptsächlich in anrüchigen Kneipen gespielte Musik der städtischen Unterschicht verachtet, gelangte der Chaabi in den 1930er Jahren durch das Wirken von El Hadj M'Hamed El Anka zu offizieller Anerkennung. 


Ihm vor allem ist es zu verdanken, dass er auf dem Konservatorium gelehrt wurde und für einige Jahrzehnte zu einem festen Bestandteil des Alltags des algerischen Volkes wurde.

Letztenendes waren es die politischen Entwicklungen, die dieser Musikform den Garaus machten. Der französische Kolonialismus hatte das algerische Volk nach religiösen und ethnischen Kriterien aufgespalten, indem er eine Art Apartheidsregime geschaffen hatte, in dem die Muslime, welche die große Mehrheit der Bevölkerung bildeten, Menschen zweiter Klasse waren. Dies hatte die tolerante Welt der Kasbah offenbar nicht zu zerstören vermocht, aber es hatte den Samen gelegt, aus dem ihre Vernichtung hervorgehen würde. Als 1954 der algerische Befreiungskrieg ausbrach, der nach acht Jahren blutigen Ringens schließlich zur Vertreibung der Kolonialherren führen sollte, knüpften die Führer der Nationalen Befreiungsfront (FLN) an diese künstlichen Trennungen an und identifizierten die 'Nation' in hohem Maße mit dem Islam. Bei aller sozialistischen Rhetorik waren Ahmed Ben Bella und seine Genossen eben doch bürgerliche Nationalisten. Nicht der revolutionäre Kampf per se, sondern die bornierte politische Perspektive seiner Führung führte schließlich zum Untergang der multiethnischen und multireligiösen Kultur, deren Ausdruck der Chaabi gewesen war. Nach Erringen der Unabhängigkeit zwang das neue Regime nicht nur die Französisch-Algerier, sondern auch einen Großteil der jüdischen Bevölkerung zur Emigration. Der Beruf des Musikers wurde nicht offiziell anerkannt, die Kurse im Konservatorium eingestellt. Auf Druck der religiösen Autoritäten wurden die Kneipen der Kasbah, die alte Heimat des Chaabi, geschlossen. Der allmähliche Zerfall des Viertels verurteilte die Musik dann endgültig zu einem langsamen Tod.

Bis sie dank der alten Herren von El Gusto und mit der Unterstützung Safinez Bousbias eine Wiederauferstehung erleben durfte. Als Erinnerung an ein untergegangenes Gestern und als Ansporn für ein besseres Morgen.