"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Samstag, 27. Juli 2019

Strandgut

Mittwoch, 24. Juli 2019

Die kurze Karriere von Marada the She-Wolf

Im Frühjahr 1980 veröffentlichte Marvel die erste Nummer eines neuen Comicmagazins mit dem Titel Epic Illustrated. Als Vorbild diente Heavy Metal, und da Publikationen im Magazinformat nicht den Regeln der Comics Code Authority unterlagen, war es möglich, hier "erwachsenere" Inhalte und etwas explizitere Darstellungen von Sex und Gewalt zu präsentieren. Aus demselben Grund gab es ja z.B. seit 1974 The Savage Sword of Conan neben den normalen Conan - Heften.  
Epic Illustrated enthielt hauptsächlich SF- und Fantasy-Stories, zu denen auch Adaptionen von Werken so bekannter Autoren & Autorinnen wie Michael Moorcock (The Dreaming City; While The Gods Laugh), Robert E. Howard (Almuric), Harlan Ellison (Sleeping Dogs; Life Hutch; Run For The Stars), Elizabeth A. Lynn (The Woman Who Loved The Moon)*, Samuel R. Delany (Seven Moons' Light Casts Complex Shadows)**, Roger Zelazny (The Game of Dust and Blood) und sogar Franz Kafka (An Imperial Message [Eine kaiserliche Botschaft]; Before The Law [Vor dem Gesetz]) gehörten. In ästhetischer Hinsicht zeichnete sich das Magazin durch eine große stilistische Vielfalt aus. Einige der Cover wurden von berühmtern Fantasykünstlern wie Frank Frazetta (No. 1), den Brüdern Hildebrandt (No. 5),  Boris Vallejo (No. 15) und Clyde Caldwell (No. 27) gestaltet.

Zu Beginn der 80er Jahre war es noch eher ungewöhnlich, dass amerikanische Comicverlage europäische Künstler engagierten. Doch als Ralph Macchio ein Artikel über den britischen Zeichner John Bolton unter die Augen kam, beeindruckten ihn die darin enthaltenen Beispiele seines Könnens so stark, dass er beschloss, den Künstler für Marvel zu gewinnen. Bislang hatte Bolton u.a. für Warrior und Hammer House of Horror gearbeitet, für die er u.a. die Adaptionen von Dracula, Curse of the Werewolf und One Million Years B.C. angefertigt hatte. Sein erster amerikanischer Auftrag war die von Doug Moench geschriebene King Kull - Geschichte Demon In A Silvered Glass, die im Mai 1981 in Bizarre Adventures erschien.
Bald schon wurde Chris Claremont, vor allem bekannt für seine prägende Rolle in der Entwicklung der X-Men, auf Bolton aufmerksam. Er wollte eine Sword & Sorcery- Heldin für die Seiten von Epic Illustrated entwickeln und glaubte, in dem Briten den perfekten Kollaborateur gefunden zu haben. Er begab sich persönlich nach London, um das Projekt mit Bolton zu besprechen.
Scheinbar hatte Claremont ursprünglich vorgehabt, eine Red Sonja - Story für Bizarre Adventures zu schreiben. doch Copyright - Schwierigkeiten hatten dies verhindert. Wikipedia zufolge lag das Problem bei dem "then-in-production Red Sonja movie with Brigitte Nielsen." Was ich etwas seltsam finde, denn zu diesem Zeitpunkt kann noch nicht einmal John Milius' Conan the Barbarian (1982) im Kino gewesen sein. Ich habe keine Ahnung, wann Dino de Laurentiis die Rechte an einer Red Sonja - Verfilmung erwarb. Gut möglich, dass er sie zu diesem Zeitpunkt bereits besaß. In Produktion befand sich der 1985 in die Kinos gelangte Streifen jedoch ganz sicher noch nicht.   
Wie dem auch sei, auf jedenfall erfuhr das ursprüngliche Konzept eine eingehende Überarbeitung, aus der die Figur von "Marada, the She-Wolf" geboren wurde. Das Setting wurde aus dem Hyborian Age in die Welt der römischen Antike verlegt.
In einer der einleitenden Artikel zu der 1985 herausgegebenen "Graphic Novel" - Ausgabe der Stories heißt es zwar, "one of Chris' founding principles was to ground Marada's mythology in history", aber ehrlich gesagt bleibt der historische Hintergrund in den tatsächlich veröffentlichten Geschichten ziemlich verschwommen. Die eigentliche Backstory unserer Heldin wird uns nicht innerhalb der Erzählung selbst vermittelt, sondern dieser als kurzer Text vorangestellt:
Her mother was the first-born of Caesar. Her father, a prince in his own land, a slave in Rome. At the age of four, saw her father broken on the rack, disemboweled and, finally, drawn and quartered. It was a public execution and, though the prince was a long time dying, he uttered not a sound. That night, Marada's mother fled the Eternal City, taking her child to be raised free, far from the place that had claimed the life of her beloved. That was twenty years ago. The child is a woman now, and that woman a warrior known and respected throughout the Empire ...
In der ersten Geschichte, die in zwei Teilen im Februar und April 1982 (No. 10 / No. 11) in Epic Illustrated erschien, erfahren wir zusätzlich, dass Maradas Mutter das Orakel von Cumae über ihr Kind mit dem Silberhaar befragte, und als Antwort zu hören bekam, sie "would hold the fate of the world in [her] hands". In den existierenden Stories erleben wir allerdings nichts, was diesem prophezeiten Auserwähltenstatus entsprechen würde.

Wenn wir Marada zum ersten Mal begegnen, ist sie eine gebrochene Frau. Wir wissen anfangs nicht genau, was ihr zugestoßen ist, nur dass sie von Leuten entführt wurde, die offenbar irgendetwas mit Schwarzer Magie und ähnlichem Teufelszeug zu tun haben. Als der Krieger Donal MacLlanllwyr sie befreit und auf magische Weise in die sagenumwobene Feste Ashandriar an der britannischen Küste bringt, wo Donals Mutter Rhiannon als Magiermatriarchin herrscht, scheint nichts mehr von der einst so stolzen und grimmigen Kriegerin übrig zu sein. Sie wirkt zutiefst traumatisiert und angsterfüllt und sträubt sich heftigst dagegen, erneut ein Schwert zur Hand zu nehmen. Schließlich erklärt sie ihrem Gastgeber gegenüber sogar: "It is not a woman's place to fight, Lord Donal. Only ... to submit." Die geheimnisvollen Narben auf Maradas Rücken, die sich nur dem magischen Blick Rhiannons zeigen, bleiben vorerst das einzige Indiz für das, was ihr zugestoßen ist. Soweit überhaupt von einem beginnenden inneren Heilungsprozess die Rede sein kann, ist dafür in erster Linie die sich entfaltende Freundschaft zwischen Marada und Donals Tochter, der Zauberin Arianrhod, verantwortlich. Doch als das junge Mädchen eines Tages die Narben am Körper ihrer Freundin entdeckt und sie darauf anspricht, führt dies augenblicklich zu einem Ausbruch unkontrollierter Aggression. Schließlich ist Marada dann aber doch bereit, sich Donal anzuvertrauen.
Nachdem sie eine Karawane erfolgreich über die Seidenstraße {oder wohl eher einen Teil davon} eskortiert hatten, feierten Marada und ihre Krieger in Damaskus ihre glückliche Rückkehr {in einer Szene, die ganz klar an den Beginn von The Song of Red Sonja erinnert}. Dabei wurde ihr ein dem Wein untermischtes Betäubungsmittel verabreicht. Als sie wieder zu sich kam, fand sie sich hilflos und in Ketten gelegt im Turm des unsterblichen Magiers und Teufelsanbeters Simyon Karashnur wieder. Dieser brachte sie seinem höllischen Meister Ygaron dar, und Marada wurde von dem Dämonen vergewaltigt.
Sicher keine überraschende Wendung, aber ich musste doch erst einmal laut aufstöhnen. Claremont und Bolton ist also wirklich nichts besseres zur Einführung ihrer Sword & Sorcery - Heldin eingefallen, als sie zu einem Opfer sexueller Gewalt zu machen?!
Es geht mir nicht darum, den beiden Künstlern Misogynie zu unterstellen. Es ist die Einfallslosigkeit, die mich dabei so ärgert. Auch wenn Maradas Vergewaltigung anders als etwa bei Roy Thomas' Red Sonja nicht als der Auslöser für ihre Entwicklung zur Kriegerin erscheint, ist das trotzdem ein auch schon Anfang der 80er extrem denkfaules {und unangenehmes} Klischee.
Allerdings sind mir schon deutlich krudere Formen dieses Klischees untergekommen als hier, was zumindest einen kleinen Trost darstellt. Schließlich geht es in dieser ersten Hälfte der Geschichte weniger um die Vergewaltigung selbst, als vielmehr um die zutiefst traumatische Wirkung des ihr Angetanen auf Marada. Zu Beginn befindet sie sich in einer Art Schockstarre. Sie ist erfüllt von Scham und Angst, schreckt vor jeder Form von Intimität zurück. Wenn sie davon spricht, dass sie nicht länger eine Kriegerin sei und das Los der Frau in Unterwerfung bestehe, heißt das natürlich nicht, dass sie diesen "nonsense" tatsächlich glauben würde. Aus ihr spricht dabei vielmehr die alles andere verdrängende Angst, etwas derartiges noch einmal durchleben zu müssen. Als Dolan ihr mit den Worten zu helfen versucht, "You're too hard on yourself. No warrior is invincible. We all have foes whom we cannot defeat.", gibt sie ihm mit vollem Recht zurück, dass eine Niederlage für ihn {einen Mann} wohl keinen vergleichbar grausam-intimen Gewaltakt zur Folge hätte: "And after such a defeat, Donal, is your soul twisted inside-out?"
Die zweite Hälfte der Geschichte besteht wie zu erwarten in der Überwindung dieses Traumas und erzählt, wie Marada zu ihrem alten Selbstbewusstsein und ihrer alten Stärke zurückfindet. Interessanterweise ist dabei das Verlangen nach Rache nicht das eigentliche Motiv unserer Heldin, auch wenn Karashnur und Ygaron am Ende natürlich den Tod von ihrer Klinge finden. Was Marada antreibt ist vielmehr der unbedingte Wille, eine andere Frau vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren, nachdem Arianrhod in die dämonische Welt der Mabdhara entführt wurde.

Maradas zweites Abenteuer The Royal Hunt erschien im Juni 1982 in No. 12 von Epic Illustrated. Für mich bildet diese Story den Höhepunkt in der kurzen Karriere der "Wölfin", auch wenn sie sehr viel simpler und geradliniger ist als die sie flankierenden.
Am Ende der ersten Geschichte hatte die unversehrt gerettete Arianrhod unsere beiden Heldinnen aus Ygarons Höllenwelt hinausteleportiert. Doch das junge Mädchen ist noch recht unerfahren in der Anwendung ihrer magischen Kräfte, und so waren sie nicht im britannischen Ashandriar gelandet, sondern irgendwo in Afrika. Auf ihrem langen Marsch in Richtung Mittelmeer wird das Paar in einen Bürgerkrieg verwickelt, der im Reich der schwarzen Königin Ashake tobt. Unglücklicherweise lassen sie sich von der falschen Seite anheuern und enden als Gefangene der stolzen Monarchin. Maradas Ruf als große Kriegerin ist selbst bis in das entlegene Reich von Meroe gedrungen, und so fordert Ashake die beiden zu einer makabren Form von Wettstreit heraus. Sie erhalten einen gewissen Vorsprung und werden dann von der Königin {und nur von ihr allein} gejagt. Sollte es ihnen gelingen, einen zwanzig Meilen entfernten Gebirgspass zu erreichen, erwartet sie die Freiheit, andernfalls der Tod.
Auf den Leserin oder den Leser warten hier keine plötzlichen Wendungen. Selbst dass sich Marada, Arianrhod und Ashake am Ende zusammentun müssen, um gemeinsam gegen den verräterischen Captain Keos zu kämpfen, und sich schließlich in gegenseitigem Respekt und Freundschaft voneinander trennen, wird kaum als eine Überraschung kommen. Was mir an The Royal Hunt so gut gefallen hat ist zum einen die Figur der schwarzen Kriegerkönigin, zum anderen die Beziehung zwischen Marada und Ari. Die Kriegerin schlüpft mehr und mehr in die Rolle einer Adoptivmutter für die verwaiste junge Zauberin. Sie beginnt sie liebevoll "cub" zu nennen, da sie selbst ja nun wieder "the she-wolf" ist.*** Ein wenig hat mich das Paar an Xena und Gabrielle erinnert, wenn auch sicher ohne irgendwelche etwaigen homoerotischen Untertöne.  

Man kann deshalb vielleicht meine Enttäuschung verstehen, als sich die dritte Geschichte Wizard's Masque, die in No. 22 & 23 (Februar/April 1984) veröffentlicht wurde, als ein Marada-Solo-Abenteuer entpuppte, bei dem die Kriegerin schon auf der fünften Seite von ihrem "cub" getrennt wird. Ein erneuter magischer Schnitzer der guten Ari versetzt Marada in die Welt eines Sinbad - Films von Ray Harryhausen. So hat es zumindest den Anschein. Dabei ist die Begegnung mit dem geradezu selbstmörderisch selbstbewussten und draufgängerischen Korsaren Taric Redhand ja noch recht nett, aber dann sucht unsere Heldin den Schwarzmagier Jaffar ibn Haroun al-Rashid auf, um einen Weg zurück zu Ari zu finden. Und allein schon der Name des Kerls hat bei mir heftige Zahnschmerzen verursacht. Welch peinliche Mixtur aus dem berühmten abbasidischen Kalifen Harun ar-Rashid und Conrad Veidts bösem Zauberer Jaffar aus The Thief of Bagdad (1940).**** Da hilft es auch nicht mehr, dass der eine zumindest ansatzweise "komplexe" Figur ist. Ich hatte mir neue spannende Abenteuer von Marada und Ari erhofft und kein "Liebesdrama" um einen gutaussehenden und phantastisch reichen "Prinzen", der ein hinterhältiger Bösewicht sein könnte {oder doch nicht?}.

Es verwundert mich nach dieser Geschichte nicht wirklich, dass Maradas Karriere damit ihr Ende erreicht hatte. Zumal Epic Illustrated zwei Jahre später eingestellt wurde. Chris Claremont bemühte sich noch recht lange, seiner Heldin zu einer Wiederauferstehung zu verhelfen. Und was er sich für ihre Zukunft vorgestellt hatte, klingt zugegebermaßen sogar recht interessant:
He envisioned her returning to Rome to confront the growing power of the Imperium and finding herself embroiled in the high-stakes politicking and in-fighting.
Marada und Ari gegen einen Haufen intriganter, machthungriger Politiker? Sounds like fun!
Doch es sollte nicht sein.

Was bleibt mir zum Abschluss zu sagen? Marada the She-Wolf ist sicher kein revolutionärer Beitrag zum Sword & Sorcery - Comic. Dazu sind die Geschichten zu unoriginell und klischeebelastet. Ich habe das Gefühl, dass Epic Illustrated sehr viel interessanteres enthält, worüber ich vielleicht in zukünftigen Blogposts einmal berichten werde. Doch wer klassische schwertschwingende Heldinnen wie Red Sonja mag, wird einen kurzen Besuch sicher nicht bereuen. Zumal das wirklich bemerkenswerte an diesen Comics ohnehin nicht die Stories sind, sondern John Boltons Zeichnungen. Zwar entpricht dessen äußerst genauer, diffiziler, manchmal schon beinah in Richtung Fotorealismus tendierende Stil nicht unbedingt meinem persönlichen ästhetischen Geschmack, doch beeindruckend ist er allemal. In der "Graphic Novel" - Ausgabe wurden alle drei Geschichten koloriert, bei ihrem ersten Erscheinen galt dies nur für Wizard's Masque. Und ich muss sagen, dass ich die Schwarz-Weiß-Originale alles in allem ansprechender finde.  





* Lynns Kurzgeschichte erschien erstmals 1979 in Jessica Amanda Salmonsons Amazons!  einer für die Geschichte der Sword & Sorcery sehr bedeutenden Anthologie, mit der wir uns bei Gelegenheit auch einmal eingehender beschäftigen sollten. Die Adaption wurde von der bekannten feministischen Underground Comix - Künstlerin Trina Robbins gezeichnet.  
** Genau genommen keine Adaption, sondern eine originäre Story.
*** She-wolf and cub... Könnte das eine Anspielung auf Lone Wolf and Cub sein? Nicht dass die Geschichten sich irgendwie ähneln würden ...  Der Manga Kozure Ōkami von Kazuo Koike & Goseki Kojima erschien zwar scheinbar erst 1987 in einer US-amerikanischen Übersetzung. Aber zumindest einige der sechs Filme mit Tomisaburo Wakayama in der Hauptrolle dem Bruder von "Zatoichi" Shintaro Katsu, der auch Produzent der ersten drei Flicks war waren auch schon in den 70ern in den USA gezeigt worden. Vor allem aber hatte der 1980 von Roger Cormans New World Pictures herausgebrachte Shogun Assassin ein bizarres, synchronisiertes und umgeschnittenes Amalgam aus den ersten zwei Streifen schon bald Kultstatus in der Grindhouse- und Midnight Movies - Szene erlangt. Gut möglich also, dass Chris Claremont mit ihm bekannt war.
**** Dessen Name wiederum wurde vermutlich von Harun ar-Rashids Großwesir Jafar al-Barmaki inspiriert, der wie sein Herr mehrfach in den Geschichten von Tausendundeiner Nacht auftaucht, dort aber nie ein Bösewicht ist.

Samstag, 13. Juli 2019

Strandgut

Freitag, 12. Juli 2019

Willkommen an Bord der "Liberator" – S03/E03: "Volcano"

Ein Blake's 7 - Rewatch

Wie ich in meinem Beitrag zu Aftermath bereits angesprochen habe, hatte es ursprünglich die Idee gegeben, die Suche nach Blake zum überspannenden Handlungsbogen der dritten Staffel zu machen. Dieses Konzept war schon bald fallengelassen worden. Ein letzter Überrest findet sich aber noch in Volcano, denn wie wir erfahren ist einer der Gründe, warum sich die Liberator zum Planeten Obsidian begeben hat, das Gerücht, Blake sei dort gesehen worden. Die entsprechende Szene macht allerdings deutlich, dass Avon nichts davon hält, solchen Gerüchten nachzujagen: "It's getting to be a fairly common rumor. We could spend the rest of our lives chasing down the ones we've picked up so far." Natürlich dürfte er auch kaum ein Interesse daran haben, den verschwundenen Freiheitskämpfer tatsächlich wiederzufinden. Schließlich wollte er ihn schon seit langem loswerden. Dass sich die Liberator überhaupt im Orbit von Obsidian befindet, zeigt allerdings auch, dass es dem zynischen Computergenie, anders als er es erwartet hatte, nicht gelungen ist, das Kommando an sich zu reißen.
Auch Blakes Autorität war nie absolut gewesen. Wie Jenna in Voice From the Past zu ihm gesagt hatte, als er seine Genossen mal wieder gar zu selbstherrlich herumkommandieren wollte: "You lead. We don't take commands." Aber letztenendes war es ihm dank seines Charismas fast immer gelungen, seinen Willen durchzusetzen. Avon kann schon allein aufgrund seiner unverhüllt zur Schau getragenen Arroganz nicht hoffen, eine ähnliche Rolle zu spielen. Seine unzweifelbare Intelligenz allein ist nicht ausreichend, um ihn zum neuen Anführer zu machen. Zumal sich mit den Neuzugängen Dayna und Tarrant die Dynamik innerhalb der Crew sicher auf noch nicht abzusehende Weise verändern wird.
Der Entschluss, nach Obsidian zu fliegen, dürfte eine Mehrheitsentscheidung gewesen sein, bei der Avon ganz einfach überstimmt wurde. Ausschlaggebend war dabei vermutlich Dayna, denn auf dem Planeten sollen Freunde ihres ermordeten Vaters leben, die man vielleicht als Verbündete gewinnen könnte.  
Es ist darum auch nur logisch, dass sie sich als erste auf die von heftiger vulkanischer Aktivität gekennzeichnete Oberfläche teleportieren lässt. Weniger einfach zu erklären ist, warum Tarrant sie begleitet, zumal er dabei nicht besonders enthusiastisch wirkt. Als sie ihn ganz direkt nach seinen Beweggründen fragt, antwortet er ebenso direkt: "I don't trust anyone except my self. That's why I'm still alive." Derweil nutzt das auf der Liberator zurückgebliebene Rest-Trio der alten Crew die Abwesenheit der beiden dazu, die Vertrauenswürdigkeit ihrer neuen Kameraden zu diskutieren. Vila bringt am direktesten sein Misstrauen gegenüber Tarrant zum Ausdruck: "Tarrant says he was a space captain, but then he says a lot of things, and you don't have to believe it all, do you?" Und seine Vorbehalte gehen über Zweifel an der Aufrichtigkeit des Ex-Offiziers hinaus. Offenbar sieht er in ihm eine mögliche Bedrohung für die Gruppe: "[I]t's Tarrant you should be worried about." Inwieweit Cally und Avon seine Bedenken teilen, bleibt vorerst unklar. Sonnenklar ist für die beiden allerdings, warum sich Vilas Misstrauen nicht auch auf Dayna erstreckt:
Cally: Well, she's pretty, for one thing.
Vila: Pretty? Yes, I suppose she is. I hadn't really noticed.
Avon: We've seen you not really noticing ... frequently.
Dass sich Vilas Gehirn angesichts hübscher Frauen gerne Mal abschaltet, ist in der Tat nichts neues. Warum ihn Tarrants Anwesenheit auf der Liberator so mulmig stimmt, wird im Verlauf der nächsten drei Episoden sehr viel klarer werden. Doch das Verhalten des Ex-Offiziers, wie wir es in Volcano beobachten können, gibt darauf schon recht deutliche Hinweise.

Die auf Obsidian lebende Gemeinschaft, an deren Spitze "First Citizen" Hower (Michael Gough) steht, der in jungen Jahren mit Daynas Vater Hal Mallenby befreundet war, bekennt sich zu einem kompromisslosen Pazifismus. Sie lehnt es nicht nur ab, sich in irgendwelche interstellaren Konflikte verstricken zu lassen, unter Howers Führung ist man auch darangegangen, alle aggressiven Impulse unter den eigenen Mitgliedern auszurotten. Zur Unterdrückung der "animalischen" Seite der menschlichen Psyche bedient man sich einer Kombination aus Konditionierung ("usually with a minute electric shock") und "daily psychological propaganda". "We have no war, no fights among ourselves, no lawlessness, no crime." Dayna, deren eigene Persönlichkeit ja so gar nicht dem von Hower angepriesenen Ideal entspricht, zeigt sich skeptisch.

Michael Gough war ein großartiger Schauspieler und ein bekanntes Gesicht in der Welt des phantastischen Films und Fernsehens. In der Ära des klassischen Brit-Horrors bekam man ihn immer wieder zu sehen, sowohl in Hammer- und Amicus - Filmen als auch in einigen der Exploitation-lastigeren Produktionen der 70er Jahre: Dracula (1958), Horrors of the Black Museum (1959), Konga (1961), The Phantom of the Opera (1962), Dr. Terror's House of Horrors (1965), The Skull (1965), Curse of the Crimson Altar (1968), Trog (1970), The Corpse (1971), Horror Hospital (1973) und Satan's Slave (1976). Er wirkte mehrfach in Dr. Who mit und spielte in der TV-Adaption des Kleinen Vampir (1986) Onkel Theodor. Von Tim Burtons Batman (1989) bis Joel Schumachers Batman & Robin (1997) verkörperte er Bruce Waynes treuen Butler Alfred. Und schließlich hatte er auch noch einen Auftritt in Burtons charmanter Hammer - Horror - Hommage.Sleepy Hollow (1999).
Gough verleiht der Rolle des Hower eine unheimliche Aura von herablassender Gefühllosigkeit. Jede einzelne seiner Bewegungen wirkt extrem kontrolliert und manieriert. Ein Blick auf diesen Mann reicht aus, um zu erkennen, dass Obsidian kein Utopia ist. Ganz im Gegenteil ...

Tarrant macht keinen Hehl daraus, dass er die Gesetze und Ideale der Gemeinschaft von Obsidian für weltfremd hält. Das bedeutet jedoch nicht, dass er Howers Zurückweisung eines Büdnisses einfach akzeptieren würde. Der Alte ist offenbar viel zu dogmatisch, als dass sich eine Diskussion mit ihm lohnen würde, als ignoriert er ihn mehr oder weniger. Sein Sohn Bershar (Malcolm Bullivant), der für die Verteidigung der Kolonie verantwortlich ist, scheint da schon ein vielversprechenderer Ansprechpartner zu sein. Tarrants Argumente machen deutlich, dass soweit es ihn betrifft, die Liberator in Zukunft als Piratenschiff operieren soll. Im Austausch für eine Operationsbasis auf Obsidian und mögliche Rekruten bietet er den Schutz durch "the most powerful fighting ship in the galaxy" und einen Anteil an der Beute an, "and there will be spoils, once we're strong enough to take them." Es ist unklar, inwieweit diese Pläne mit dem Rest der Liberator - Crew abgesprochen wurden. Aber die forsche Art, in der er Daynas Versuche, ihn zu einem etwas weniger aggressiven Auftreten zu bewegen, beiseite wischt, lässt vermuten, dass er sich bereits als Kommandant der Liberator sieht. Hower kommentiert denn auch sehr treffend: "You were once a Federation space captain, you said ... You still sound like one."

Allerdings liegt Tarrant gar nicht so falsch mit der Vermutung, Bershar könnte ein offenes Ohr für derartige Argumente haben. Was er nicht ahnen konnte, ist bloß, dass dieser ein ähnliches Angebot bereits von einer anderen, mächtigeren Partei erhalten hatte: Servalan und der sich nach dem Krieg allmählich wieder festigenden Föderation.

Die Szenen auf Servalans Flagschiff deuten freilich an, dass "Madam President" noch lange nicht so fest im Sattel sitzt, wie sie gerne würde. Commander Mori (Ben Howard), der die Liberator kapern soll, scheut sich nicht, kritische Fragen zu stellen. Er zögert sogar, als ihm ein kaltblütiger Mord befohlen wird. Als die Diktatorin ihn daran erinnert, dass ihm der Posten des Obersten Befehlshabers winkt, falls er seine Mission erfolgreich zum Abschluss bringt, erwiedert er: "That, Madam President, is why I am going at all." Auch wenn er sich beeilt, hinzuzufügen: "That and my personal loyalty to you." Worauf Servalan trocken, aber auch etwas resigniert, zurückgibt: "Quite." Selbst der sehr viel folgsamer wirkende Kommandant eines Raumgeschwaders, das die Liberator attackieren soll, bricht den Angriff ab, ohne einen entsprechenden Befehl abzuwarten, als er gar zu viele Verluste einstecken muss. Servalans einziger Trost liegt darin, dass die Liberator ohne Blake wohl keine unmittelbare Bedrohung mehr darstellt:
Servalan: Well the crew have no political ambitions.
Mutoid: They are merely criminals.
Servalan: So they'll keep. Until the rule of law has been restored. Until my rule of law has been restored. 

Donnerstag, 4. Juli 2019

Let Me Tell You Of The Days Of High Adventure

Swords v. Cthulhu, hg. von Jesse Bullington & Molly Tanzer

Vor inzwischen über einem Monat veranstaltete ich auf Twitter eine kleine Umfrage, in der es darum ging, ob ich den Obertitel "Let Me Tell You Of The Days Of High Adventure" in Zukunft auch für Beiträge verwenden sollte, die sich zwar mit Werken der literarischen Sword & Sorcery, aber nicht länger mit der Frühphase des Genres beschäftigen. Die überwältigende Mehrheit {8 von 8} votierte dafür.
Allen daran Interessierten verspreche ich hoch und heilig und bei Crom, dass die ursprüngliche Serie fortgeführt und zum Abschluss gebracht werden wird. Heute aber wollen wir uns einem deutlich neueren Beispiel der Sword & Sorcery zuwenden. Allerdings besteht dabei sehr wohl eine gewisse Verbindung zu unseren alten Abenteuern.
Als ich mich Ende letzten Jahres mit Henry Kuttners Elak of Atlantis beschäftigte, ging ich dabei auch kurz auf die Rolle ein, die H.P. Lovecraft für die junge Sword & Sorcery gespielt hat, und merkte an, dass wir in einer ganzen Reihe von frühen Werken des Genres Anklänge an seinen Kosmischen Horror finden können. Nebenbei erwähnte ich auch, dass ich vorhätte, mir die 2016 bei Stone Skin Press erschienene und von Jesse Bullington & Molly Tanzer zusammengestellte Anthologie Swords v. Cthulhu zu besorgen, in der Cthulhu-Mythos und Sword & Sorcery sehr viel direkter zueinander finden. Das habe ich inzwischen getan.   

Freundinnen & Freunden der Weird Fiction dürften Jesse Bullington (The Sad Tale of the Brothers Grossbart, The Enterprise of Death, The Folly of the World) und Molly Tanzer (A Pretty Mouth, Vermilion, The Pleasure Merchant, Creatures of Will & Temper, Creatures of Want & Ruin) nicht ganz unbekannt sein. Wenn doch, kann ich nur empfehlen, dies bald möglichst zu korrigieren. Bullington ist außerdem für die gleichfalls von Stone Skin Press herausgebrachte Anthologie Letters to Lovecraft verantwortlich.

Swords v. Cthulhu ist eine Art Fortsetzung zum 2012 erschienenen Shotguns v. Cthulhu. Und wie schon bei diesem könnte man sich auch hier fragen, ob actiongeladene Abenteuergeschichten in der Welt des Cthulhu-Mythos überhaupt Sinn machen. Die völlige Hilflosigkeit des Menschen gegenüber den Schrecken der Großen Alten ist schließlich ein integraler Bestandteil des lovecraftianischen Kosmischen Horrors. Tatsächlich jedoch sind Stories dieser Art beinahe so alt wie der Mythos selbst. Und die erste wurde – wen wundert's? – von niemand anderem verfasst als von Robert E. Howard. Ursprünglich hatte dieser sogar vorgehabt, in seiner ersten Conan-Geschichte The Phoenix on the Sword nebenbei die Namen Cthulhu, Yog-Sothoth und Tsatthoggua fallen zu lassen. In der im Dezember 1932 in Weird Tales veröffentlichten Fassung ist dann allerdings nur noch von den "Nameless Old Ones" die Rede, deren "vast shadowy outlines" den Cimmerier erschauern lassen. Dafür überarebeitete er eine seiner im Nahen Osten angesiedelten Abenteuergeschichten noch einmal und fügte ihr ein übernatürliches und offen cthulhuides Element hinzu. Erstmals veröffentlicht wurde The Fire of Asshurbanipal allerdings erst nach dem Tod des Autors in der Dezemberausgabe 1936 von Weird Tales.
Der Amerikaner Steve Clarney und der Afghane Yar Ali sind ein unzertrennliches Abenteuerer-Duo, das schon seit Jahren den Nahen Osten und Zentralasien durchstreift, getrieben von ruheloser Wanderlust und stets auf der Suche nach "some vague and undiscovered treasure, some pot of gold at the foot of some yet unborn rainbow." Als die Kunde von einer mysteriösen Versunkenen Stadt in der Wüste an ihr Ohr dringt, die einen gewaltigen Rubin beherbergen soll, machen sie sich umgehend auf die Suche nach der übel beleumundeten Metropole, "[which] the Arabs called [...] Beled-el-Djinn, the City of Devils, and the Turks, Kara-Shehr, the Black City." Doch dann werden sie inmitten der Ödnis von einer Schar Beduinen überfallen. Dies ist die Situation, in der wir sie zu Beginn der Story vorfinden. Zwar gelingt es ihnen, die Attacke fürs erste zurückzuschlagen, aber Munitions- wie Wasserrvorräte neigen sich bedrohlich dem Ende zu, und ihre Reittiere haben sie jetzt auch verloren. Die Frage ist eigentlich bloß noch, ob sie verdursten werden oder zuvor den Kugeln der Beduinen zum Opfer fallen. Dennoch schleppen sie sich mit einer Art stoischem Fatalismus weiter durch die Wüste. Und siehe da, sie stolpern doch tatsächlich über die Ruinen einer gewaltigen Stadt. Nicht dass das ihre Lage wirklich verbessern würde, aber es hat doch irgendwie was erhebendes, während eines abenteuerlichen Erkundungsgangs und nicht irgendwo zwischen den Dünen zu krepieren, oder? Und so machen sich die beiden denn daran, die finsteren Gewölbe der unheimlichen Metropole zu erfrorschen. Sie entdecken auch wirklich ein königliches Skelett mit einem riesigen roten Edelstein in der Knochenhand. Doch schon wenig später tauchen erneut die Beduinen auf, diesmal angeführt von einem alten Rivalen unserer Helden, dem Ex-Sklavenhändler Nureddin El Mekru. Es kommt zu einer grandiosen Kampfszene. Am Ende liegen Clarney und Yar Ali gefesselt am Boden, während Nureddin sich über das "elaborate entertainment" freut, das er für die beiden geplant hat. Doch sie alle haben ihre Rechnung ohne den monströsen Wächter des "Feuers von Asshurbanipal" gemacht.
Bereits ganz am Anfang der Geschichte wird die Vermutung aufgestellt, Beled-el-Djinn könnte "the ancient, ancient City of Evil spoken of in the Necronomicon of the mad Arab Alhazred" sein.  Howard scheint dieses Motiv sehr gemocht zu haben, denn in einer weiteren seiner Mythos-Stories, der leider mit viel rassentheoretischem Blödsinn durchmixten Children of the Night, erwähnt er abermals eine mysteriöse "city in the waste", dort allerdings im Zusammenhang mit seinem eigenen Grimoire, den Unaussprechlichen Kulten des Von Juntz. Ob er dabei u.a. an die islamische Legende von der untergegangenen Stadt "Iram mit den Säulen" gedacht hat, die in der 89. Sura des Koran, al-faǧr (Die Morgendämmerung), unter den Völkern aufgezählt wird, an denen Gott in der Vergangenheit sein Strafgericht vollzogen habe?
(6) Hast du nicht gesehen, wie dein Herr (seinerzeit) mit den ʿĀd (und deren Siedlung) verfahren ist,
(7) mit Iram, der (Stadt) mit der Säule,
(8) dergleichen sonst nirgendwo (w. nicht im Land) geschaffen worden ist,
(9) und (mit) den Thamūd, die im Tal (in dem sie wohnten) den Fels aushöhlten,
(10) und (mit) Pharao, dem mit den Pfählen (?)
(11) (mit ihnen allen) die im Land aufsässig waren
(12) und darin viel Unheil anrichteten?
Lovecraft erwähnt "Iram mit den Säulen" in The Nameless City und The Call of Cthulhu, wo die Stadt sogar als das Zentrum des Kults der Großen Alten beschrieben wird. Ein Indiz dafür, dass Beled el-Djinn tatsächlich Iram sein soll, könnte die wiederholte Erwähnung gewaltiger Säulen sein, die die Architektur der Metropole zu dominieren scheinen:
[D]irectly in front of them ran a broad avenue, the outline of which not even the ravaging sands and winds of time had been able to efface. On either side of the wide way were ranged huge columns, not unusually tall, even allowing for the sand that hid their bases, but incredibly massive. On the top of each column stood a figure carved from solid stone great, somber images, half human, half bestial, partaking of the brooding brutishness of the whole city.
Wie dem auch sei, auf jedenfall ist die Stadt von einer typisch cthulhuiden Atmosphäre umgeben:
[T]he builders of Nineveh and Kara- Shehr were cast in another mold from the people of today. Their art and culture were too ponderous, too grimly barren of the lighter aspects of humanity, to be wholly human, as modern man understands humanity.
Im Zusammenhang mit dem monströsen Wächter des Edelsteins werden von einem alten Beduinen dann ganz ausdrücklich die "forgotten gods, Cthulhu and Koth and Yog-Sothoth" genannt, "and all the pre-Adamite Dwellers in the black cities under the sea and the caverns of the earth". Und zum Abschluss zitiert Clarney beinah das Necronomicon:
Mankind isn't the first owner of the earth; there were Beings here before his coming and now, survivals of hideously ancient epochs.*
The Fire of Asshurbanipal ist eine typische howardsche Abenteuerstory voller kinoreifer Action, Gewehrfeuer und Fisticuffs. Seine Protagonisten sind ebenso typische Howard-Helden, wobei angenehm auffällt, dass die beiden weitgehend als ebenbürtig beschrieben werden. In vielem erscheint Yar Ali sogar als der abgehärtetere der beiden, der außerdem über die besseren Instinkte verfügt. {Was natürlich nicht heißen soll, die Geschichte sei frei von ethnischen Stereotypen.}  Dennoch wirken die cthulhuiden Elemente in der überarbeiteten Fassung nicht wie Fremdkörper. Sie passen durchaus zur Gesamtatmosphäre. Und so zeigt The Fire of Asshurbanipal sehr schön, dass Mythos und Action sich nicht ausschließen müssen.

Schauen wir also, was uns Swords v. Cthulhu in dieser Hinsicht zu bieten hat.

Die Anthologie ist eine in Setting, Stil und Ton recht vielfältige Sammlung von zweiundzwanzig Geschichten. Einige von ihnen greifen ganz direkt Versatzstücke des klassischen Cthulhu-Mythos auf, bei anderen besteht die Verbindung nur in atmosphärischer Hinsicht. Manche spielen vor einem historischen Hintergrund, andere sind in phantastischen Welten, eine sogar in Lovecrafts eigenen Dreamlands, angesiedelt. Wie stets bei Anthologien haben einige der Stories einen stärkeren Eindruck auf mich gemacht als andere, aber zumindest ein paar Worte möchte ich doch über jede von ihnen verlieren.    

* John Langan: The Savage Angela in: The Beast in the Tunnels – Es macht Sinn, dass diese Geschichte am Anfang der Anthologie steht, spielt Langan in ihr doch mit einigen der geläufigen Klischees und Konventionen der Sword & Sorcery. Das macht ja schon der Titel deutlich, denn natürlich gibt es keine weiteren Stories über Savage Angela, es soll bloß der Eindruck einer Pulp-Serienheldin geweckt werden. Zusammen mit ihrem sprechenden Schwert Deus Ex Machina hat sich die gute Angela aufgemacht, im Auftrag von König Bram ein berüchtigtes Monster zu erlegen, das regelmäßig die "Joyweed"-Felder verwüstet, auf denen der schwunghafte Drogenhandel basiert, welcher für die gut gefüllte Schatztruhe des Reiches sorgt. Doch der eine bronzene Rüstung tragende Riesenmaulwurf ist in Wahrheit etwas sehr viel älteres und eigenartigeres als ein gewöhnliches Ungeheuer, und Angela selbst hat mit Deus Ex Machina, das ihr einst in einem Traum verliehen wurde, ein Schicksal akzeptiert, das düsterer kaum sein könnte.

* Michael Cisco: Non Omnis Moriar – H.P. Lovecraft war ein Liebhaber der klassischen lateinischen Literatur und ein großer Bewunderer des Römischen Reiches und seiner Kultur, was immer wieder zu freundschaftlichen Auseinandersetzungen mit Robert E. Howard führte, für den das Imperium die klassische Verkörperung jener repressiven "Zivilisation" war, die er so sehr verabscheute, wie man exemplarisch in der Bran Mak Morn - Story Worms of the Earth zu sehen bekommt. In einem Brief an Donald Wandrei vom 3. November 1927 schreibt Lovecraft, dass er in jungen Jahren häufiger "Roman dreams" gehabt habe: "I used to follow the Divine Julius all over Gallia as a Tribunus Militum o' Nights". In demselben Brief beschreibt er ausführlich einen ebensolchen, der ihm nach langer Unterbrechung kürzlich zuteil geworden sei. Als die Geschichtes dieses Traumes 1940 in der Fanzine Scienti-Snaps erstmals einem weiteren Publikum zugänglich gemacht wurde, verpasste man ihr den Titel The Very Old Folk. Michael Cisco hat eine Fortsetzung dazu geschrieben, in der der Aedil Tiberius Annaeus Stilpo seine bedrohte politische Karriere zu retten versucht, indem er sich zusammen mit dem verschuldeten Ex-Beamten Nicostratus Tutor, dem ehemaligen Gladiatoren Tullus Durio und dem baskischen Führer Otson ins Bergland der Pyrenäen aufmacht, um die Gründe für das geheimnisvolle Verschwinden der Kohorte aus The Very Old Folk zu erforschen. Dabei betreten die vier schließlich eine unheimliche Anderswelt, in der Schrecken auf sie warten, die zu groß für Mut und Verstand des römischen Karrieristen sind.

* Carrie Vaughn: The Lady of Shalott – Die gleichnamige Ballade dürfte zu den bekanntesten Werken Alfred Lord Tennysons gehören und hat über die Jahrzehnte unzählige Künstler wie Walter Crane, William Maw Egley, John Atkinson Grimshaw, Arthur Hughes, William Holman Hunt, Sidney Harold Meteyard und John William Waterhouse (1 * 2 * 3) inspiriert. In Carrie Vaughns Version der Geschichte fehlt das berühmte Selbstmord-Ende, stattdessen werden eine Art Außen- und Innenansicht der Ereignisse nebeneinander gestellt. Auf der einen Seite haben wir Lancelots Perspektive, der die mögliche "Befreiung" einer "verfluchten" Maid aus ihrem Turm für eine prächtige Aventiure-Gelegenheit hält. Die entsprechenden Passagen stellen eine nett-amüsante Parodie auf die Klischees der Ritterromantik dar. Auf der anderen Seite die Sicht der Lady selbst, die nicht weiß, warum sie dazu verdammt ist, für immer in ihrem Turmzimmer einen riesigen Wandbehang zu weben und nie auch nur einen Blick nach draußen werfen zu dürfen. Schließlich umgeht sie das Tabu mithilfe ihres Spiegels, doch ihre erwachende Sehnsucht nach der Außenwelt hat katastrophale Folgen. Leider untergräbt die finale Wendung in ihrer Durchgeknalltheit ein wenig die ernsthafteren Momente dieses zweiten Handlungsteils. 

* A. Scott Clancy: Trespassers – Vor dem historischen Hintergrund des "Great Game" des Ringens um die Vorherrschaft über Zentralasien zwischen Großbritannien und Russland gegen Ende des 19. Jahrhunderts erzählt Clancy eine atmosphärisch dichte Horror-Abenteuer-Story im Stil von Robert E. Howard oder anderen Pulpautoren der 20er/30er Jahre. Die Geschichte der blutigen Konfrontation zwischen Captain Henry Conders Gurkha-Truppe und einem Stamm untoter, kannibalistischer Pygmäen, die von dem monströsen "Unspeakable Lama of the Tcho-tchos" beherrscht werden, ist völlig frei von irgendwelchen ironischen, "genrekritischen" oder postmodernen Wendungen, doch  gerade diese klassische, kompromisslose Geradlinigkeit hat mir sehr gut gefallen.  

* Remy Nakamura: The Dan no Uchi Horror – Eine im feudalen Japan angesiedelte actiongeladene Neuerzählung des Dunwich Horror, in der sich die onna-bugeisha Takeda Inochinomi mit ihren monströsen Halbbrüdern und ihrer Mutter herumschlagen muss, die sich mit Yog-Sothoth eingelassen hat. Nebenbei bleibt außerdem Zeit für eine leidenschaftliche Affäre mit der itako Mizuko.

* L. Lark: St.Baboloki's Hymn for Lost Girls – Die Geschichte spielt irgendwo in einem phantastisch angehauchten Afrika. Anfangs war ich mir da nicht ganz sicher, aber der Knobkierie der Heldin, die Namen Naledi und Baboloki sowie das Monster Adze, bei dem es sich eigentlich um ein Wesen aus der Folklore des Ewe-Volkes handelt, gaben mir nach etwas Google-Recherche eindeutigen Aufschluss über das Setting. Der märchenartige Tonfall der Story führt dazu, dass wir am Ende beinahe so etwas wie Sympathie für das cthulhuide Ungeheuer empfinden können. Die Großen Alten sind bekanntlich nicht im landläufigen Sinne "böse". Sie stehen der Menschheit bloß mit absoluter Gleichgültigkeit gegenüber. Dasselbe gilt für das Adze. Das Wesen folgt ganz einfach seiner Natur, was unglücklicherweise Tod und Zerstörung für Naledis Volk bedeutet. Da unsere Heldin die Gabe besitzt, mit den Insekten sprechen zu können, ist es ihr auch möglich, mit dem Adze zu kommunizieren. Und dessen Erwiederungen wirken in ihrer höflichen Gleichgültigkeit beinah liebenswert. Erschlagen muss Naledi das Monster natürlich trotzdem.

* John Hornor Jacobs: The Children of Yig – Diese Story hat mich ziemlich beeindruckt, aber das cthulhuide Element spielte dabei so gut wie keine Rolle. Nach dem Tod ihres Vaters nimmt die junge Grislae erstmals an einer Wikingfahrt teil. Sie setzt alles daran, den Respekt des Führers Heingistr zu gewinnen und als vollwertiges Mitglied der Mannschaft der Reinen anerkannt zu werden. Als sie nach einem ersten kleineren Gefecht von Heingistr formell in den Trupp aufgenommen wird – "You are blooded now and one of my company" – beschreibt Jacobs ihre Reaktion so: "For the first time in her life, Grislae was happy. The feeling was so foreign and short-lived, she was only aware of it once it was gone." Da die Geschichte aus Grislaes Perspektive erzählt wird, gehört ihr spontan auch unsere Sympathie. Doch die Gemeinschaft, der sie sich zugehörig fühlen will, zeichnet sich durch eine geradezu selbstverständliche Brutalität aus. Plündern, Morden, Vergewaltigen ist ihr Geschäft. Grislaes Vater wurde von seinen Kameraden spöttisch "Boy-Lover" genannt, weil er sich weigerte, Kinder zu töten. Ein Grund mehr für sie, sich möglichst stark von ihm abzugrenzen und ein besonders rücksichtsloses Verhalten an den Tag zu legen. Die Story schwelgt nicht auf voyeuristische Weise in Szenen von Gewalt, sondern beschreibt diese in einem nüchtern-distanzierten Tonfall. Auf faszinierende Weise gelingt es Jacobs so, die Wikinger als "ganz normale" Leute mit "ganz normalen" Problemen und Gefühlen darzustellen, ohne die Allgegenwärtigkeit von Gewalt in ihrem Leben zu vertuschen. Eine Szene hat mir in dieser Hinsicht besonders gut gefallen. Auf dem Rückweg von einem erfolgreichen Raubzug unterhalten sich die Freunde Uvigg und Hoesna über ihre Familien daheim. Die letzte Ernte war mager, aber von der Beute wird man sich eine Kuh kaufen können. Die Söhne sind bald alt genug, um mit auf Wikingfahrt zu gehen, aber die Ehefrau wird nicht glücklich sein, alleine mit den Mädchen zurückbleiben zu müssen. Mitten im Satz wird Uviggs Kehle von einem Pfeil durchbohrt und er bricht tot zusammen, als der Trupp von den Gefolgsleuten des örtlichen Feudalherrn angegriffen wird. Der Subplot um den lovecraftschen Schlangengott Yig wirkt bei dem Ganzen dann beinah wie eine unnötige Zutat.

* Jeremiah Tolbert: The Dreamers of Alamoi – In einer phantastischen Welt, in deren Kultur und Gesellschaft Träume eine zentrale Rolle spielen, erhält der Abenteurer Garen von zwei Gelehrten der Traumuniversität den Auftrag, eine Metropole aufzusuchen, deren Bevölkerung einer "Traumseuche" erlegen ist. Ein Großer Alter hat von den Träumen der Einwohner Besitz ergriffen und diese bauen nun unter seiner Kontrolle ein riesiges Portal, das dem monströsen Gott die Rückkehr in die Welt der Menschen ermöglichen soll. Das muss verhindert werden! Da Garen schon seit Jahren nicht mehr in der Lage ist zu schlafen – ein Fluch, den er verzweifelt loszuwerden versucht und der ihn an den Rand des Wahnsinns getrieben hat – ist er der ideale Kandidat für diese Mission. Ein spannender Weltenbau und ein interessanter Protagonist, von denen ich gerne mehr lesen würde.  

* Ben Stewart: Two Suns over Zululand – Während um ihn herum der Kampf zwischen dem Volk der Zulu und dem britischen Empire tobt, muss der Krieger Lwazi im Auftrag des sangoma (~Schamanen) Mandlenkosi eine gestohlene Götterfigurine aus einem englischen Fort zurückholen, bevor der Große Alte H'aaztre (Hastur) unsere Welt betreten kann und die "zwei Sonnen" über Zululand aufgehen. Eine schnörkellose Mythos-Action-Geschichte in einem recht interessanten historisch-kulturellen Setting.  

* Orrin Grey: A Circle That Ever Returneth In – Wer hätte gedacht, in so einer Anthologie auf eine kurze Choose-Your-Own-Adventure - Story zu stoßen, die auf  charmante Weise Fritz Leiber, H.P. Lovecraft, Robert W. Chambers (The King in Yellow) und Edgar Allan Poe zusammenmixt und bei allem Humor doch ein mythosgerecht düsteres Ende besitzt?

* Wendy N. Wagner: Order Virtutum – Und gleich noch eine angenehme Überraschung. Ich hätte nämlich nicht gedacht, dass ich jemals eine Story lesen würde, in der Hildegard von Bingen und ihre Nonnen gegen lovecraftianische Monster kämpfen. Doch hier ist sie! Kurz nach dem Beginn der Bauarbeiten am Kloster auf dem Rupertsberg wird ein Mann aus dem Rhein gefischt, der von sich behauptet, der wiedergekehrte St. Rupertus zu sein. Ein Wiedergänger aus ferner Vergangenheit ist der Kerl tatsächlich, doch ganz sicher kein Heiliger. Es dauert nicht lange, und er hat die anwesenden Knechte und Arbeiter in Zombies verwandelt, mit deren Hilfe er den Berg für seinen "Gott" wieder in Besitz zu nehmen gedenkt. Hildegard, Schwester Richardis (von Stade) und eine kleine Schar Getreuer verschanzen sich in einem der wenigen bereits fertiggestellten Klostergebäude, und es kommt eine leichte Night of the Living Dead - Atmosphäre auf. Schließlich jedoch gelangt die Äbtissin zu dem Entschluss, dass Angriff immer noch die beste Verteidigung darstellt. Der kleine Mediävist in mir zwingt mich zwar, darauf hinzuweisen, dass Wendy N. Wagner in ihrer Darstellung eher dem populären Eso-Öko-Bild der mittelalterlichen Heiligen folgt als der historischen Realität, aber es macht einfach großen Spaß, ihr dabei zuzusehen, wie sie die Kräfte der Schöpfung und des Lebens –  sozusagen eine Art magisch-göttliche Flowerpower gegen die cthulhuiden Mächte von Verfall und Degeneration in die Schlacht führt.      

* Andrew S. Fuller: Red Sails, Dark Moon – Jinny hat es in die Traumlande verschlagen. Sie weiß nicht, wie sie dorthin gelangt ist, noch wo sie ursprünglich herkommt. In der Hafenstadt Dylath-Leen wird sie von Mond-Bestien gekidnappt und auf ein Sklavenschiff gebracht. Doch bevor die fliegende Galeere ihr lunares Ziel erreicht, wird sie von dem Piratenschiff Arkham Rose unter dem Kommando von Kapitänin Bloodrose angegriffen und gekapert. Bloodrose befreit die Sklaven, exekutiert die Mond-Bestien und nimmt deren Diener, Bewohner von Leng, in ihre eigene Crew auf. Als einziger Mensch unter den Gefangenen erregt Jinny das Interesse der Kapitänin und schon bald entwickelt sich eine leidenschaftliche Liebesbeziehung zwischen den beiden. Doch dann kommt eine Passage, die die Geschichte sofort in einen völlig anderen Kontext stellt: "She woke in horrendous pain, elsewhere. The skin on her back roared with a deep, etching fire. The air was different, muggy and plant sweet. Mosquitoes whined and bit. Someone touched a damp cloth to her forehead and sang softly of a sweet chariot. And Jinny slipped again. Away." Die Bestätigung erhalten wir zwar erst ganz am Ende, doch für mich war von diesem Moment an klar: Jinny ist eine schwarze Sklavin in den alten Südstaaten. Fuller benutzt Elemente aus The Dream-Quest of Unknown Kadath, angereichert mit Motiven aus dem Spiritual Swing Low Sweet Chariot und der Seeräuber-Jenny von Bert Brecht & Kurt Weill, um eine Geschichte über den Traum von Rebellion und Freiheit zu erzählen. Für mich eines der Highlights der Anthologie.     

* M. K. Sauer: The Thief in the Sand – Protagonistin der Story ist eine Diebin, in deren Körper irgendwelche merkwürdigen Parasiten hausen, die es ihr erlauben, bei Bedarf für einige Momente in ein Paralleluniversum überzuwechseln, das von irgendwelchen recht unfreundlichen cthulhuiden Götter-Monstern bewohnt wird. Zur Aktivieung ist allerdings ein Schluck Wasser erforderlich, was in dem Wüstenreich des Shah eine kostbare Seltenheit darstellt. Nachdem sie dank ihrer besonderen "Gabe" dem Schwert des Henkers entkommen ist, macht sie sich zusammen mit einem nicht ganz freiwillig rekrutierten Prinzen auf die Suche nach dem sagenumwobenen "Ma'ah Steed". Die Geschichte endet mit einer überraschenden und nett fiesen Wendung.  

* Jonathan L. Howard: Without Within – Inmitten der Wirren der Englischen Revolution entdecken Major John Bell, Offizier im Parlamentarischen Heer, und seine Leute bei Minierungsarbeiten unter den Stadtmauern von York ein uraltes Stollensystem, das möglicherweise ein Relikt aus der Römerzeit sein könnte. Und wie wir alle wissen, bedeutet so etwas in einem cthulhuiden Kontext nie etwas gutes.

* Jason Heller: Daughter of the Drifting – Seit die Kriegerin Y'vrn in den Besitz der magischen "Klinge von Anothqgg" gelangte, ist sie selbst zu einer Waffe in den endlosen Kriegen der Großen Alten geworden, denn das Wesen des Schwertes ist mit ihrer eigenen Seele verschmolzen. "My soul had been thrown countless times across the dimensions untold, strapped to my master's hip as he waged war with other Great Old Ones". Auf ihrer sinn-  und endlos erscheinenden Wanderung durch die desolate Ödnis des "Ocean Amorphous" ihrer eigenen Welt, wird sie von einer anderen Kriegerin verfolgt, die wie sie an einen der Großen Alten gebunden ist. Schließlich kommt es zum Zweikampf, doch als Anothqgg selbst eingreift, um seinen Champion zu retten, bedeutet das zugleich die Apokalypse für Y'vrns Heimat.

* Natania Barron: The Matter of Aude – Die Story basiert auf dem altfranzösischen Heldenepos (chanson de geste) Fierabras aus dem 12. Jahrhundert, ein beliebter Stoff, der u.a. Cervantes, Calderón und Franz Schubert inspirierte. Aude ist die Schwester Oliviers und die Verlobte Rolands, der beiden berühmtesten Paladine Karls des Großen. Als sie in einer vermeintlicherweise von der Mutter Gottes gesandten Vision vom drohenden Tod ihres Bruders erfährt, der vorhat, im Zweikampf gegen den sarazenischen Riesen Fierabras anzutreten, erpresst sie Bischof Turpin, sie als Novize verkleidet auf den Feldzug mitzunehmen. Doch als es ihr schließlich gelingt, sich in das Lager der Araber zu schleichen, erweist es sich, dass Prinz Fierabras gar kein dämonischer Riese, sondern ein ziemlich verängstigter junger Mann ist, der von den geheimnisvollen "Gelben Mönchen" vor jedem Kampf in einen monströsen, von Blutgier und blinder Wut erfüllten Krieger verwandelt wird. Die beiden gelangen zu einer Übereinkunft, doch am Ende erweist es sich, dass Audes "Schutzpatronin" nicht die christliche Himmelskönigin, sondern die Große Alte Shub-Niggurath ist. Und diese fordert einen Preis für ihre Unterstützung, einen Preis, der auf dem Schlachtfeld von Roncevaux bezahlt werden wird. 
 
* E. Catherine Tobler: The Living, Vengeant Star – Eine Gruppe von Abenteurerinnen zieht durch die Lande, um im Auftrag des mysteriösen "Dunklen Mannes" Monster zu erschlagen. Die meisten werden von der Aussicht auf Beute angetrieben, doch unsere Heldin Elspeth hofft auf diesem Weg, schließlich ihre Schwester aus dem Kerker von Lowenhold befreien zu können. Doch gibt es diese Schwester überhaupt wirklich oder ist die Erinnerung an sie bloß einer der Tricks des "Dunklen Mannes"? Tobler bricht in ihrer Story auf unbekümmerte Weise alle Gesetze des Cthulhu-Mythos. Elspeth erschlägt auf ihrer Queste reihenweise Götter wie Shub-Niggurath, Yig und schließlich sogar ihren Auftraggeber Nyarlathotep. Dennoch endet die Geschichte auf einer großartig kosmischen, aber auch ziemlich finsteren Note. 

* Carlos Orsi: The Argonaut – Noch einmal eine nautische Geschichte mit Piraten, bei der es sich letztenendes aber bloß um eine weitere unterhaltsame kleine Mythos-Action-Story handelt.

* Eneasz Brodski: Of All Possible Worlds Einer der finstersten und pessmistischsten Beiträge der Anthologie, angesiedelt im kaiserlichen Rom. Das Leben des hebräischen Sklaven Marad besteht aus einer einzigen Aneinanderreihung von Demütigungen und Schlimmerem. Den Glauben seiner Väter hat er schon lange aufgeben, wofür es wohl viele Gründe gegeben hat. Der gescheiterte Aufstand seines Volkes. Jener furchtbare Tag, an dem er aus Feigheit an der Steinigung seines einstigen Liebhabers Ehud teilgenommen hat. Oder ganz einfach die so offensichtliche Ungerechtigkeit und Grausamkeit der Welt. Nun ist es seine Aufgabe, die Gladiatorenkämpfe und Tierhatzen seines Herrn Gracus auszurichten. Ein blutiger, dreckiger Job, aber immer noch angenehmer als die Dinge, zu denen manch anderer Sklave gezwungen ist. Der einzige Lichtblick in Marads Existenz ist Aurelius, ein männlicher Tempelprostituierter im Schrein des Somnus, den er besucht, so oft er es sich leisten kann. Eines Tages erwirbt Marad für Gracus einen barbarischen Zauberer, der zur allgemeinen Überraschung in der Arena ein leibhaftiges Monster heraufbeschwört, das ein hübsches und viel bejubeltes Gemetzel unter den Gladiatoren anrichtet. Der Kaiser höchstpersönlich fordert eine Wiederholung der wilden Show. Beinah zu spät realisiert Marad, dass der Hexer und seine Gehilfin vorhaben, ein Portal in die Dimension des Schlafenden Gottes zu öffnen, um die Vernichtung der Menschheit einzuleiten. Und die Argumente der jungen Barbarin klingen für Marad erschreckend überzeugend: "This world is broken. The root of all interaction is violence. The only law is the use of force. You try to hide it under a veneer of justifications and proclamations, but even civilization is just the most powerful deciding what violence to inflict [...] Every comfort and laugh is bought with the pain of others. Every meal is born of the flesh or the toil ofthe vulnerable. This world must end. May the next dream [of God] be less of horror." Wenn Marad die Apokalypse dennoch verhindert, so nur deswegen, weil er selbst leben will, auch wenn es in einer so fürchterlichen Welt ist, wie der unsrigen. 

* Laurie Tom: The Final Gift of Zhuge Liang – China in der Ära der Drei Königreiche und der feudalen Kriege um die Reichseinigung. Zhuge Liang, der große Premierminister der Shu Han, ist während seines Feldzugs gegen die Wei gestorben. Sein Schüler Jiang Wei und dessen Freund Ma Yun, "[who] had been born a woman, but considered himself a man", versuchen einen geordneten Rückzug der Truppen zu organisieren, bevor die Nachricht vom Tod des ebenso geachteten wie gefürchteten Staatsmanns und Heerführers ans Ohr der Feinde gedrungen ist. Doch als sein ursprünglicher Plan fehlschlägt, beschließt Jiang sich der Dunklen Künste zu bedienen, mit deren Hilfe sein verstorbener Lehrmeister die Elemente zu kontrollieren vermochte. Natürlich ist der junge Gelehrte sich nicht im Klaren darüber, worauf er sich da einlässt. Wenn er sein Zusammentreffen mit den finsteren Mächten dennoch relativ unbeschadet übersteht, so aufgrund des "letzten Geschenks", das Zhuge Liang ihm und dem Reich der Shu zu geben vermag.

* Nathan Carson: The King of Lapland's Daughter – Trotz des Titels existiert keinerlei Verbindung zu Lord Dunsanys The King of Elfland's Daughter. Die Erzählung von Prinzessin Aili, ihrer hermaphroditischen Zauberergeliebten Tähti und dem Untergang eines phantatsisch eingefärbten Lapplands, das von einem cthulhuiden Monster aus dem eisigen Norden verwüstet wird, gehört gleichfalls zu den pessimistischsten Geschichten der Anthologie. Eine erschütternde Story, bei der Nathan Carson seinen Leserinnen & Lesern am Ende selbst den kleinsten Lichtblick verweigert.

* Caleb Wilson: Bow Down Before the Snail King! – Die Anthologie schließt mit der nonlinear und sehr humorvoll erzählten Geschichte einer Schatzsuche, die anders endet als erwartet. Auf Anstoßen des "notorious old poet and flatterer" Loron machen sich "Strategist" {=Kriegerin} Charops, "Weird" {=Zauberin} Ichneumon und "man-at-arms" Kobius auf die Suche nach einer versunkenen Stadt. Den armen Kobius erwischt's schon auf der Hinreise, als wilde Störche {!} den kleinen Heldentrupp überfallen. Als das Rest-Trio schließlich die "Hallen des Schneckenkönigs" erreicht, zeigt sich sehr schnell, dass hier keine Schätze auf sie warten. Loron, der das Leben als serviler Schmeichler der Reichen und Mächtigen satt ist, verfolgt gänzlich andere Ziele. Doch der Auftritt einer monströsen, menschenfressenden Riesenschnecke war eigentlich nicht das, was er sich vorgestellt hatte. Zwar gelingt es Charops mit Hilfe der stets etwas geistesabwesenden Ichneumon {ein Berufsübel, denn die "Weirds" müssen sich alle ihre vergangenen Brüche der Naturgesetze ständig im Bewusstsein halten} den "Schneckenkönig" zu bezwingen, aber ein Blick in die Zukunft zeigt uns zwischendurch, dass unsere Heldin einmal eine wenig freundliche Laufbahn einschlagen wird, was der eigentlich so wunderbar spielerisch und leichtfüßig erzählten Story dann doch eine etwas düsterere Note verleiht.




* Vgl. Lovecrafts Dunwich Horror: "Nor is it to be thought [...] that man is either the oldest or the last of earth’s masters, or that the common bulk of life and substance walks alone. The Old Ones were, the Old Ones are, and the Old Ones shall be."