"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Mittwoch, 23. Oktober 2019

Strandgut

Freitag, 18. Oktober 2019

Let Me Tell You Of The Days Of High Adventure (7)

Das phantastische Oeuvre des Nictzin Dyalhis

Wenn ein Pulpautor unter einem so extravaganten Namen wie Nictzin Dyalhis geschrieben hat, ist das eigentlich bereits Grund genug, einmal einen Blick in sein Werk zu werfen, oder? 
Und da eine seiner Stories, die in der Februarausgabe 1934 von Weird Tales erschienene Geschichte The Sapphire Goddess, ohne gar zu viele geistige Verrenkungen der Sword & Sorcery zugerechnet werden kann, dachte ich mir, es sei legitim, sein Oeuvre im Rahmen unserer alten Blogpost-Reihe über die frühen Tage des Genres zu behandeln. 
Dyalhis genoss seinerzeit große Popularität bei der Leserschaft von Weird Tales. Fünf seiner gerade einmal acht Beiträge zum "Unique Magazine" konnten bei ihrer Erstveröffentlichung den begehrten Posten der Coverstory ergattern.* Doch heutigentags dürfte er weitgehend in Vergessenheit geraten sein, auch wenn 2018 eine Sammlung seiner phantastischen Geschichten bei DMR Books erschienen ist. Soweit ich weiß, ist keine seiner Stories je ins Deutsche übersetzt worden. Allerdings muss ich zugeben, nachdem ich eine Woche mit den Ausgeburten seines schriftstellerischen Gehirns verbracht habe, bin ich geneigt zu behaupten, dass dieses Schicksal vielleicht nicht so ganz unverdient ist. Aber bevor wir irgendwelche allgemeinen Urteile über die Qualität seines Werkes fällen, wollen wir uns selbiges erst einmal in aller Ruhe anschauen, und natürlich auch die Frage zu beantworten versuchen, wer sich hinter dem eigentümlichen Namen eigentlich verbarg.

Letzteres ist gar keine so leichte Aufgabe, denn es gibt kaum gesicherte Informationen über Nictzin Dyalhis und sein Leben. Das beginnt bereits beim Namen.  
Weird Tales - Herausgeber Farnsworth Wright bestätigte Donald Wandrei, dass alle Schecks, die er dem Schriftsteller ausgestellt hatte, "were made out to that name".** Pseudonyme zu benutzen war im Pulp-Geschäft zwar keine Seltenheit, aber "Nictzin Dyalhis" gehörte offenbar nicht in diese Kategorie. Es gibt ausreichend Belege dafür, dass der Autor dies als seinen regulären Namen verwendete. Aktenkundig wurde er als solcher erstmals im September 1918 im Zusammenhang mit seiner Einberufung in die Armee. Später taucht der Name u.a. in mehreren Volkszählungen auf. Als Geburtsort und -datum gab er 1918 Massachusetts und den 4. Juni 1873 an, allerdings gibt es genug Beweise dafür, dass er mit solchen "Fakten" recht leichtfertig umsprang. Seine Registrierungskarte aus dem 2. Weltkrieg z.B. führt Pima (Arizona) und den 4. Juni 1880 an. Vorsicht ist also geboten. Als Beruf finden wir in offiziellen Akten zwischen 1918 und 1930 "box nailer", "chemist" und "machinist (machine tool manufacturing)". Erst in der Volkszählung von 1940 bezeichnete er sich selbst als "writer for magazines".***
Einer der ganz wenigen aus der SFF-Gemeinde der Zeit, der Nictzin Dyalhis "im Fleische" begegnete, war Willis Connor. Besser bekannt für sein späteres Engagement in der amerikanischen Jazz-Szene und als Hirn und Stimme der Jazz Hour von Voice of America war Connor in jungen Jahren Herausgeber der Fanzine Science Fantasy Correspondent und stand in Briefkontakt mit H.P. Lovecraft. Wie genau er die Bekanntschaft von Dyalhis machte, ist mir unbekannt, doch verbrachte er eigenen Angaben zufolge in den frühen 40ern mehrere Wochenenden bei ihm in Salisbury (Maryland), "forgoing sleep for days and nights, talking, or, more often listening fascinated to the story of his life." Und was er dabei zu hören bekam, war in der Tat abenteuerlich, wie man seinem in der in der Septemberausgabe 1942 von Weird Tales abgedruckten Nachruf auf den Autor entnehmen kann:       
He had known wealth and poverty. He had lived much in the Orient, and had known intimately its splendor and squalor. A tiny blue dragon, tatooed on a vein on his wrist, proclaimed him a member of a Chinese occult society. He was one of the few white men to enter Tibet and leave with its secrets. Once he had stained his body and bluffed his way into a genuine voodoo ceremony in Haiti. For many years Rudyard Kipling was a close friend.****
Zwar ist es theoretisch denkbar, dass Nictzin Dyalhis tatsächlich einmal ein ferne Länder bereisender Abenteurer gewesen war. Schließlich wissen wir abolut nichts über die ersten gut fünfunddreißig Jahre seines Lebens. Aber die Wahrscheinlichkeit ist doch sehr viel größer, dass es sich bei ihm um einen eifrigen Schüler des guten Baron Münchhausen handelte.
Bezüglich des Namen schreibt Willis Connor:
Many must have thought (as I did at first) that he was using a pen-name. But Nictzin Dyalhis was his real name. Nic I'm not sure of, but Tzin means something wonderful to the Mexican Indians to whom he was related. And the name Dyalhis goes, back thousands of years, through his Scotch-English ancestry, to the Roman god Flamen Dialis -- from which were also derived the names Dallas and Douglas.
Anderen gegenüber behauptete der Schriftsteller scheinbar, sein Vater sei nicht schottischer, sondern walisischer Herkunft gewesen. Was nicht wirklich einen Unterschied macht, ist "Dyalhis" als Name doch weder in Schottland noch in Wales bekannt. Und die "indianische" Abstammung dürfte ebenso frei erfunden sein wie seine Behauptung, "Nictzin" stamme aus dem Aztekischen (Nahuatl), selbst wenn seine Mutter tatsächlich aus Guatemala gekommen sein sollte, wie er 1918 angegeben hatte. Seine Neigung, sich selbst und sein Leben mit einer exotischen Aura zu umgeben, hatte ihn schließlich sogar dazu gebracht, in offiziellen Dokumenten den Vornamen seiner zweiten Ehefrau Mary in "Netulyani" zu verwandeln! Die verschiedentlich aufgestellte These, "Nictzin Dyalhis" sei in Wirklichkeit die romantische Verballhornung eines geläufigen Namens wie Nicholas Douglas oder Dallas gewesen, klingt zwar recht überzeugend, ist aber durch nichts zu beweisen. Und so können wir letztenendes bloß festhalten, dass der Schriftsteller mit ziemlicher Sicherheit nicht mit seinem ungewöhnlichen Namen geboren worden war und es ganz allgemein mit der Wahrheit nicht sonderlich genau nahm.

Demtentsprechend unwahrscheinlich ist es natürlich auch, dass Dyalhis tatsächlich Mitglied einer "okkulten chinesischen Geheimgesellschaft" war, wo auch immer er das Drachen-Tatoo in Wirklichkeit hergehabt haben mochte. Allerdings legen seine phantastischen Kurzgeschichten nahe, dass er in der Tat ein reges Interesse an esoterischen Lehren besaß, wenn auch wohl eher an den modischen amerikanischen seiner Zeit und nicht an den asiatischen "Originalen". Vor allem in einigen seiner frühen Stories wie The Eternal Conflict (1925) und The Dark Lore (1927) finden sich Ideen über die Natur des Kosmos und der menschlichen Seele, die mit ziemlicher Sicherheit nicht Dyalhis' eigener Imagination, sondern irgendwelchen esoterischen Schriften entstammten. Auch zieht sich durch sein gesamtes Oeuvre das Motiv der Reinkarnation und der Erinnerung an vergangene Existenzen. Wie ernst es ihm mit all dem war, lässt sich freilich nicht sagen. Auffällig ist allerdings, dass die okkulten Motive weniger ein indisch-theosophisches als vielmehr ein deutlich christlich beeinflusstes Flair besitzen. Der Antagonist in The Eternal Conflict ist niemand anderer als Luzifer persönlich und The Dark Lore spielt größtenteils in der Hölle. Andererseits liegt den Geschichten ganz offensichtlich kein traditionelles, orthodox-christliches Weltbild zugrunde. Könnte es sich um rosenkreuzerische Einflüsse handeln? Mein Wissen ist da zu beschränkt, aber ein etwas wahlloses Herumblättern in Max Heindels 1909 veröffentlichtem Schmöker The Rosicrucian Cosmo-Conception or Mystic Christianity hat mir zumindest das vage Gefühl vermittelt, dass es da gewisse Ähnlichkeiten gibt. Putzigerweise finden sich in alten Weird Tales - Ausgaben Werbeanzeigen für den AMORC (Antiquus Mysticus Ordo Rosae Crucis) mit der Catch-Line "Can We Recollect Our Past Lives?"

Nictzin Dyalhis begann seine Pulp-Karriere 1922 mit zwei Kurzgeschichten (Who Keep The Desert Law & For Wounding - Retaliation), die in Adventure erschienen und scheinbar "stories of Amerindian life" waren. Der Phantastik wandte er sich erst drei Jahre später zu, als er mit When the Green Star Waned seinen Einstand bei Weird Tales feiern konnte. 

Die SciFi-Geschichte fand eine euphorische Aufnahme bei der Leserschaft des "Unique Magazine". "Readers voted [it] the most popular story in the issue in which in appeared, the most popular story of 1925, and the fifth most popular of all stories printed between November 1924 and January 1940."***** Sie bildete bis zum Ende die Basis seiner Reputation. In der Januarausgabe 1929 wurde sie erneut abgedruckt, und noch The Sea-Witch (Dezember 1937) wurde im Magazin als eine neue Geschichte "written by the author of 'When the Green Star Waned'" angepriesen.  
Everett Bleiler bezeichnet die Story in Science Fiction: The Early Years als "one of the earliest space operas". Eine Charakterisierung, der ich mich nicht so ganz anzuschließen vermag. Dass sie "a seminal work in the history of pulp s-f" darstellt, bezweifle ich freilich nicht. "[I]t was read by most of the early writers and offered both conceptual and literary patterns". Allein schon die Tatsache, dass es sich bei ihr vermutlich um die Geburtsstunde des "Blasters" handelt {der hier allerdings noch "blastor" geschrieben wird}, macht sie zumindest zu einer interessanten Fußnote in der Geschichte des Genres. Auch geht es Bleiler keineswegs darum, ihre Bedeutung als literarisches Werk schönzureden, beschreibt er sie doch selbst als "distasteful and negligible".

So richtig unappetitlich wird es meiner Ansicht nach zwar erst im Sequel The Oath of Hul Jok (September 1928),  aber zweifelsohne finden sich recht deutliche Ansätze für diese Entwicklung auch schon in Dyalhis' Weird Tales - Debüt. Wenn sie mir nicht gar zu übel aufgestoßen sind, ich der Story sogar einen gewissen Charme nicht absprechen würde, ist dafür ausschließlich der eigentümliche Stil verantwortlich, in dem sie geschrieben wurde. Mir ist ehrlich gesagt nicht wirklich klar, wie When the Green Star Waned eigentlich gelesen werden sollte. Soweit ich sehen kann, wurde sie stets als eine ernsthafte Science Fiction - Geschichte aufgenommen. Aber ich kann mir nicht helfen, der zugleich plauderhafte und gestelzte Tonfall,  in dem sie durch den Mund des venusischen Chefchronisten Hak Iri erzählt wird, der schiere Irrsinn der holprigen Handlung, die verballhornten Planetennamen wie "Venhez", "Aerth", "Markhur" und "Ooranos" -- all das  und mehr verleihen der Geschichte in meinen Augen einen leicht parodistischen Zug, weshalb mich z.B. die beiläufig geschilderte Grausamkeit des Erzählten, die auch hier schon ins Auge sticht, noch nicht ganz so unangenehm berührt hat wie in der Fortsetzung.
Als Ron Ti, der genialste Wissenschaftler der Venus, die beunruhigende Entdeckung macht, dass "Aerth" keine der eigentlich zu erwartenden Lebenszeichen mehr von sich gibt, macht sich eine Clique von sieben befreundeten "Venhezians", allesamt Koryphäen auf ihrem Gebiet, mit einem "Aethir-Torp" (Äther/Raumschiff) auf, um auf dem "Grünen Stern" nach dem Rechten zu sehen. Sie finden eine postapokalyptische Landschaft vor. Wie sich nach einigem Rumgesuche heraustellt, ist die Erde von monströsen Mondbewohnern (den "Lunarions") erobert worden, die die überlebenden Reste der Menschheit telepathisch versklavt haben. {Wenn wir schließlich erfahren, wie es zu dieser Invasion gekommen ist, bekommen wir eine abstruse Mixtur aus pazifistischer Botschaft und "Yellow Peril" - Warnung vorgesetzt.} Da die "Lunarions" abgrundtief böse, ja geradezu blasphemische Geschöpfe sind {sie besitzen nicht einmal eine Seele!}, sehen unsere Helden es als ihre heilige Pflicht an, das Universum von diesen Ungeheuern zu befreien. Unglücklicherweise erweisen sie sich gegenüber den "Blastors" unserer Helden als immun {anders als die willenlosen Menschensklaven, die gleich Dutzendweise niedergemacht werden}, und so nimmt man schließlich einen "Lunarion" gefangen, damit Ron Ti in seinem Labor dessen Schwachstellen ausfindig machen kann. {An diesem Punkt kamen mir unangenehme Assoziationen zum Schicksal des "Brain Bug" am Ende von Paul Verhoevens Starship Troopers}. Die Story endet mit der völligen Vernichtung der "Lunarions".  

The Oath of Hul Jok  liest sich anfangs noch ähnlich amüsant wie When the Green Star Waned, vorausgesetzt man bringt es fertig, über einige krass sexistische Passagen hinwegzuschauen. Doch der im Laufe der Erzählung immer ungezügelter zutagetretende Sadismus erreicht schließlich Ausmaße, die bei mir eine beinah körperliche Übelkeit hervorgerufen haben.  
Dem letzten überlebenden "Lunarion" gelingt die Flucht von der Venus, nachdem er die sieben "love-girls" unserer Helden seiner telepathischen Kontrolle unterworfen hat. Sein Ziel ist offenbar die Erde, doch die wutentbrannten Venusianer kommen ihm zuvor. Anders als erwartet, hat die Menschheit in der Zwischenzeit nicht begonnen, ihre alte Zivilisation wieder aufzubauen. Des Rätsels Lösung ist schnell gefunden: Während der Zeit ihrer Herrschaft hatten sich die Mondwesen mit menschlichen Frauen gepaart, und die aus dieser Verbindung hervorgegangene Hypbridrasse hat in der Folge ihre eigene Diktatur über die Menschen errichtet. Warum diese neuen Bösewichter eine halbtierische Gestalt haben, ist freilich nicht so ganz klar. Jedenfalls sind es ebenso verworfene Geschöpfe wie ihre Erzeuger, die sich scheinbar die meiste Zeit mit gar grausigen und perversen Orgien vergnügen. 
Was folgt ist eine sich ständig steigernde Abfolge von Gewalttaten. Zuerst bekommen wir zu sehen, wie Hul Jok, der bärenstarke "Kriegsherr" der "Venhezians", die Schlangenprinzessin Idarbal würgt und gleich mehrmals ohnmächtig prügelt. Dann wird munter Völkermord geplant
Remember, this hell-brood you are wasting pity upon are but intelligent animals -- or reptiles rather -- they are un-naturalisms; depraved; given to loathly debaucheries; unfit to survive; for whom is no place in a decent universe! 
Der Höhepunkt aber ist die Folterszene, in der der venusische Chefmediziner Vir Dax vergnügt lächelnd Vivisektionen an einigen Vertretern der Hybridrasse vornimmt. Da kam's mir dann wirklich beinahe hoch. Und diese Typen sind unsere Helden!
Der widerliche Charakter der Geschichte erhält noch eine zusätzliche Dimension durch den kolonialistischen Subtext. Die sieben "Venhezians" spielen zwar die Rolle der "Befreier" für die erneut versklavten Erdenmenschen, das heißt aber noch lange nicht, dass sie diese als ebenbürtige Partner im Kampf gegen die teuflischen Hybridwesen betrachten würden. Vielmehr halten sie es für selbstverständlich und sogar notwendig, dass diese sie als halbgöttliche Gestalten ansehen sollen. Auch werden sie nicht erneut den Fehler machen, die Erde nach dem Sieg und der Ausrottung der widernatürlichen Unholde einfach sich selbst zu überlassen. Vielmehr wird man ein venusisches Kolonialregime errichten, das solange das Sagen haben wird, bis die Menschen "reif" genug geworden sind, um sich selbst zu regieren.
Es war schon immer eine Spezialität des US-Imperialismus seine kolonialen Eroberungen als wohlmeinende "Befreiungsaktionen" darzustellen. Wie Leo Trotzki es einmal so schön ausgedrückt hat: "Amerika befreit immer jemand, das ist gewissermaßen der „Beruf“ dieses Landes." Bei der Lektüre von The Oath of Hul Jok musste ich da vor allem an die Annexion der Philippinen im Anschluss an den Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 denken. Die anderen Großmächte brauchten etwas Zeit, um diesen Trick zu lernen, doch heute ist er natürlich als "Humanitäre Intervention" der allgemein verbreitete modus operandi imperialistischer Weltpolitik

The Eternal Conflict (Oktober 1925) erzählt von den Abenteuern eines Astralreisenden, der sich im Auftrag seiner "göttlichen" Schutzpatronin als Spion an Luzifers Hof einschleicht, um schließlich in einen offenen Krieg zwischen den Mächten des Guten und des Bösen, einer Art zweiten Engelsrebellion, verstrickt zu werden.
Einen Astralleib auf interstellarer Reise zu begleiten, ist nicht ohne Reiz, und verleiht der Story stellenweise einen beinahe schon psychedelischen Touch. Dabei fällt allerdings nicht zum ersten Mal auf, dass der gute Dyalhis recht merkwürdige Vorstellungen von Physik und Astronomie gehabt haben muss. Zugleich scheint mir diese Erzählung am deutlichsten von "authentischen" esoterischen Lehren beeinflusst zu sein. Ein nettes Detail dabei ist, dass der Protagonist, hochrangiges Mitglied eines in New York ansässigen "Okkulten Ordens", im "Privatleben" ein wohlhabender Geschäftsmann ist und als Metapher für das Zusammenspiel der überirdischen Mächte und Entitäten die hierarchische Arbeitsteilung in einem modernen Großkonzern verwendet:
This universe is a “going concern”, as we would say of a huge industrial plant. Such a plant has its general manager; assistant managers; super-intendents; foremen, etc. Why not the universe, which is the greatest plant of all?
Ungewollt sagt Dyalhis damit eine Menge über den sozialen Charakter moderner "esoterischer" Logen und Bruderschaften aus.

The Dark Lore (Oktober 1927) besteht größtenteils aus dem Erlebnisbericht einer archetypischen "verworfenen Frau", die erst ihre engelsgleich-unschuldig-blonde Schwester ermordet, dann mit einem Dämon anbandelt, um schließlich gar grausige Höllenstrafen zu erleiden. Die Höllenszenen sind dank ihrer phantasmagorischen Qualität zwar recht unterhaltsam, scheinen mir aber erneut einen unangenehmen Hang zum Sadismus zu verraten. So wird Dyalhis in seiner Schilderung zwar nicht explizit, macht aber doch ziemlich deutlich, dass seine Protagonistin u.a. von einer ganzen Horde von Dämonen vergewaltigt wird. Und dann gibt's da auch noch leicht lesbisch angehauchte Furien. Natürlich fällt es nicht leicht, zu bestimmen, wie ernst es dem Autor mit seiner Geschichte war. Sein Hauptinteresse lag sicher in der Schilderung der Höllenwelt. Dennoch ist die Story ihrer Form nach eine klassische Warnung an die "Sünderinnen & Sünder" mit der drohenden Strafe im Jenseits als metaphysischem Knüppel. Allerdings ist Dyalhis' Hölle kein Ort ewiger Verdammnis wie in der traditionellen christlichen Vorstellung, sondern ein temporäres Purgatorium, aus dem die meisten {oder vielleicht auch alle} Seelen am Ende gereinigt und der göttlichen Vergebung würdig hervorgehen.

Mit The Red Witch (April 1932) erleben wir den Übergang von Nictzin Dyalhis' früher "esoterischer" Phase zur heroischen Fantasy von The Sapphire Goddess, die hier allerdings noch im pseudo-steinzeitlichen Gewand auftritt. Aber so hatte ja selbst Robert E. Howards Karriere in Weird Tales begonnen (Spear and Fang, Juli 1925). Als Aufhänger dient dabei erstmals die Erinnerung an eine vergangene Existenz, ein in der phantastischen Literatur jener Zeit recht beliebtes Motiv -- man denke z.B. an Jack Londons The Star Rover (1915) oder Howards The Valley of the Worm (1934) und The Garden of Fear (1934) --, das bei Dyalhis aber zugleich als Überbleibsel seiner alten Faszination für das Okkulte erscheint. Beinah so, als bräuchte er eine Brücke, um sich in diese doch recht anders gearteten Gefilde der Phantastik vorzuwagen. Für sich genommen ist The Red Witch allerdings nicht sonderlich interessant, auch wenn mir die Figur des alten, verkrüppelten Juhor "the Snake" gefallen hat, der auf geschickte Weise Kriegshäuptling Athak solange manipuliert, bis dieser bereit ist, einen Rachefeldzug gegen den Kannibalenstamm zu organisieren, der Juhor die Liebe seines Lebens und seine körperliche Unversehrtheit genommen hat.

Womit wir zu der Story gekommen wären, die Nictzin Dyalhis' Aufnahme in unsere Blogpost-Reihe am ehesten rechtfertigt. Allerdings beginnt auch The Sapphire Goddess (Februar 1932) auf einer etwas ungewöhnlichen Note für eine Sword & Sorcery - Geschichte:
Suicide as a means of escaping trouble never appealed to me. I had studied the occult, and knew what consequences that course involved, afterward. But I was fed up on life. I was destitute, and had no friends who might help, even were I to appeal to them. At forty-eight, one does not easily regain solvency. And, gradually, I’d lost all ambition. Not even hope remained. If only there were some other road out – a door, forexample, into the hypothetical region of four dimensions … it certainly couldn’t be worse there than what I’d borne in the last three years ...
Und tatsächlich findet sich der Ich-Erzähler wenig später in einer phantastischen Welt wieder. Und nicht bloß das -- er wird auch augenblicklich in einen wilden Schwertkampf mit einigen fiesen Zwergen verwickelt. Und unerklärlicherweise weiß er plötzlich auch verdammt geschickt mit der Klinge umzugehen. Na, wenn das keine abenteuerliche Abwechselung ist! Wie ihm Krieger Zarf nach dem Scharmützel berichtet, ist er in Wirklichkeit König Karan von Octolan, dem von dem bösen Zauberer Djl Grm nicht bloß der Thron, sondern auch Gattin und Gedächtnis gestohlen wurden, woraufhin der fiese Geselle ihn auf eine andere Existenzebene {sprich: unsere Erde} verbannt habe. Die einzige Chance, die Erinnerung an sein wirkliches Leben zurückzuerhalten, besteht darin, die Hilfe eines anderen Magiers, des mächtigen Agnor Halit, zu gewinnen, der zwar nicht weniger teuflisch als Djl Grm, aber seit jeher mit diesem verfeindet sei. Den beiden schließt sich schon bald der kleine Koto an, Halbblut-Sohn eines mächtigen Elementargeistes, selbst aber eine eher jämmerliche Kreatur. So scheint es zumindest:
With a snivelling howl the poor wretch of a Hybrid blundered in awkwardly and flopped asprawl before me. He grasped his head in both ape-like paws, looked at Zarf out of terror-filled eyes, opened his ugly gash of a mouth, and emitted a raucous howl.
Gemeinsam macht sich das Trio auf durch die "Red Wilderness" zur "Sea of the Dead" und den "Mountains of Horror". Originelle Namen waren nicht unbedingt die Stärke von Dyahlis. Auf dem Weg begegnen sie Kotos Vater, der ihnen einige Hilfestellungen und Ratschläge zukommen lässt.
In den Ruinen einer uralten Metropole trifft Karan dann erstmals die geisterhaft-vampirische "Princess of Hell". Mit der eigentlichen Story hat die zwar nicht wirklich viel zu tun, aber Dyalhis liebte ganz offenbar die Figur des "dämonischen Weibes", das sich aus unerfindlichen Gründen in den Helden seiner Geschichten verguckt. In The Oath of Hul Jok war das Prinzessin Idarbal, in The Red Witch die eponymische Hexe {eine zugegeben sehr viel freundlichere Version des Topos, aber immer noch als solche erkennbar} und nun halt diese "Höllenprinzessin". Na ja ...
Schließlich taucht Agnor Halit auf und man schließt einen Deal. Der Zauberer ist bereit, unserem Helden seine Erinnerungen zurückzugeben, wenn dieser zuvor die Statue der "Sapphire Goddess" aus einer unterirdischen Katakombe entwendet und dem Magier übergeben hat.
In beinahe allen phantastischen Erzählungen von Nictzin Dyalhis schwingt -- mal stärker, mal schwächer -- ein unangenehmer Vibe mit, der ihre Lektüre nicht unbedingt zu einem Spaß macht. Im Falle von The Sapphire Goddess ist das natürlich der ganze Subplot um die "Princess of Hell". Aber davon einmal abgesehen, ist das eine wirklich vergnüglich zu lesende kleine Sword & Sorcery - Geschichte. Wie Fletcher Vredenburgh es so hübsch ausgedrückt hat, ist dies die "most brilliantly pulpy" seiner phantastischen Stories. Schon allein die Idee, dass unser Held die Hilfe eines explizit bösen Magiers benötigt, um zu triumphieren, ist recht reizvoll. Zumal sich Agnor Halit keineswegs als "missverstanden" oder "im Herzen eigentlich doch ganz okay" erweist. Der Typ ist tatsächlich ein fieser Bastard, aber er rettet dem amnesischen König Karan dennoch mehrfach das Leben. Die sympathischste Überraschung aber ist der kleine Koto. Wirklich alles andere als eine heroische Gestalt entpuppt er sich am Ende nicht nur als mindestens ebenso mutig wie seine Gefährten, sondern auch als deutlich schlauer denn Krieger Zarf oder der Ex-König und Ich-Erzähler selbst. Ihm allein ist es zu verdanken, dass die Geschichte ein Happy End besitzt. Und diese Wendung hätte ich Nictzin Dyalhis ganz ehrlich nicht zugetraut.

Schon irgendwie schade, dass es bei diesem einen Abstecher in die Sword & Sorcery geblieben ist. Aber scheinbar war Dyalhis' alte Faszination für das Esoterisch-Okkulte {die er ja auch in The Sapphire Goddess nicht ganz hatte  abschütteln können} einfach stärker.
Das soll jedoch nicht als eine Art Vorverurteilung seiner nächsten Geschichte, The Sea-Witch (Dezember 1937) missverstanden werden. Handelt es sich bei dieser doch um seine wohl gelungenste Variante auf die Themen vergangene Existenz und Reinkarnation.
Der knapp sechzigjährige John Craig, emeritierter Professor für Anthropologie,  Ethonologie und Ärchaologie, begegnet auf einem abendlichen Spaziergang am Strand der jungen Heldra Helstrom, die gerade auf unerklärliche Weise den Wogen des Meeres entstiegen zu sein scheint. Er nimmt die Frau, bei der es sich ganz offensichtlich nicht um eine normale Sterbliche handelt, bei sich auf. Gegenüber den Nachbarn gibt er sie als seine Nichte aus. Heldra scheint der alten Wikingerzeit entsprungen und belegt Craig mit dem Namen "Jarl Wulf", den sie in ihm wiedergeboren glaubt. Doch auch wenn ihm die junge Frau und ihr exzentrisches Verhalten schon bald ans Herz wachsen, beunruhigt ihn zunehmend, dass Heldra sich scheinbar mit den Schwarzen Künsten abgibt. Als mit Anbruch der sommerlichen Touristensaison auch der Playboy Michael Commnenus in dem Bardeort auftaucht, wenden sich die Dinge rasch zum Finsteren, denn Heldra ist auf der Suche nach Rache für ein lang zurückliegendes Verbrechen.
Zuerst einmal möchte ich keinen Zweifel daran lassen, dass die Beziehung zwischen dem alten Akademiker und der jungen "Seehexe" oft ziemlich creepy wirkt. Ich-Erzähler Craig ergeht sich ununterbrochen in Beschreibungen der sinnlich-verfühererischen Schönheit von Heldras körperlicher Erscheinung. {Dyalhis scheint eine Vorliebe für die Formulierung "shapely arms" gehabt zu haben}. Freilich gibt diese ihm dafür auch mehr als genug Anlässe, wenn sie immer wieder in höchst luftigen Gewändern durch die Gegend streift.
Und doch ist Heldra die mit Abstand interessanteste  Vertreterin von Dyalhis' "dämonischen" Frauengestalten. Anders als Idarbal oder die "Princess of Hell" ist sie kein Monster und keine teuflische Sadistin. Selbst wenn sie Craig auf magische Weise dazu zwingt, Teil ihrer Rachepläne an Michael Commnenus zu werden, ändert  das nichts  an  der ehrlichen Zuneigung, die sie für den alten Professor, ihren "Uncle John", empfindet. Doch die von Commnenus in einer vergangenen Existenz begangenen Verbrechen waren zu monströs, als dass sie nicht jedes sich ihr bietende Mittel einsetzen würde, um ihre Rache an ihm zu vollstrecken.
{Bemerkung am Rande: Nictzin Dyalis hielt Ragnar offenbar für einen Frauennamen und die altnordische Meeresgöttin Rán für eine männliche Gottheit!}

Die in der Septemberausgabe 1940 von Weird Tales erschienene Geschichte Heart of Atlantan bildet nicht unbedingt einen glücklichen Abschluss für sein phantatsisches Oeuvre. Erneut treten die Versatzstücke einer gar zu banal anmutenden "Esoterik" in den Vordergrund: Eine Séance; ein weibliches Medium; "automatisches Schreiben" und die Faszination für die "uralte Weisheit" des versunkenen Atlantis ... All das wirkt gar zu abgeschmackt. Einzig der in Gestalt einer titanischen Frauenstatue errichtete Tempel, in den sich die Protgaonistin flüchtet und in deren linker Brust sie das eponymische "Herz" findet, dessen Zerstörung den Untergang des Inselreiches einleitet, weiß zu beeindrucken.

Ist Nictzin Dyalhis' phantastisches Oeuvre eine vergessene Schatztruhe der Pulp-Phantastik?
Das  sicher nicht. Auch wenn zu erkennen ist, wie der Autor im Laufe der Jahre seinen Stil zu verfeinern gelernt hat, versteht er doch nie wirklich zu glänzen. Seine gar zu große Anhänglichkeit für die Abgeschmacktheiten der modernen Esoterik wirkt irgendwann ermüdend. Und gar zu oft stoßen wir auf  unappetitliche Elemente oder verstörende Vibes.
Dennoch möchte ich sein Werk nicht in Bausch und Bogen verwerfen. Für alle Freundinnen und Freunde heroischer Pulp-Fantasy dürfte The Sapphire Goddess eine vergnügliche Lektüre abgeben, und auch einige seiner anderen Stories besitzen durchaus ihren Reiz. Nur um The Oath of Hul Jok sollte man einen möglichst weiten Bogen machen, es sei denn man hat Lust, einmal etwas wirklich widerliches zu lesen.
 
   
    

* April 1925 - Oktober 1927 - April 1932 - Februar 1934 - Dezember 1937
** Vgl.: Fletcher Vredenburgh: Rescued from the Vaults of Time: The Sapphire Goddess – The Fantasies of Nictzin Dyalhis. 
*** Vgl.: Bear Alley Books: Nictzin Dyalhis.
**** Weird Tales, September 1942, S. 122.
***** Tellers of Weird Tales: Nictzin Dyalhis (1873?-1942)

Samstag, 5. Oktober 2019

Strandgut