"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Donnerstag, 21. Juli 2022

Strandgut

Mittwoch, 20. Juli 2022

Let Me Tell You Of The Days Of High Adventure

Sorcery Against Caesar von Richard L. Tierney (2/3)
 
Black vultures soared above the mists, the sun rose redly burning 
When Simon the Mage to his ancient land returned with a vengeance-yearning.
Adown the Empire's endless roads he'd wandered the provinces o'er,
Steely of eye and with steel in hand, to settle an age-old score.
 
 Aside the road in silence grim he paused upon his way.
His comrades quailed to see him draw his blade, then hear him say:
"The Romans slew my kith and kin, now vengeance I have sworn."
A cold wind moaned among the trees like the sound of a hunter's horn.
Vengeance Quest
 
(Den ersten Teil dieser Minireihe findet man hier.)
 
Den Anstoß zur allerersten Simon of Gitta - Geschichte erhielt Richard Tierney – ganz wie bei The Winds of Zarr – von einem der bunten Bibelfilme der 50er Jahre:
I saw that old movie The Silver Chalice when it first came out, and enjoyed Jack Palance’s portrayal of the sorcerer, Simon Magus. 
Der samaritanische Zauberer findet im Neuen Testament nur beiläufige Erwähnung (Apg 8,9-25), aber in der frühkirchlich-patristischen Literatur wuchs seine Gestalt zu der eines Erzhäretikers heran  Die apokryphen Petrusakten (2./3. Jhd.) erzählen sogar von einer Art "Magierduell" zwischen ihm und dem Apostelfürsten, das in einer spektakulären Levitationsszene und anschließendem Absturz gipfelt. Entsprechend ist er natürlich auch in Victor Savilles Silver Chalice (1954) ein ausgemachter Bösewicht.  In Anbetracht dessen, was ich das letzte Mal über Tierney erzählt habe, sollte es allerdings ebensowenig verwundern, dass eine auf orthodoxer Seite so verrufene Gestalt bei ihm zum Helden avancierte.
Als er The Ring of Set 1960 schrieb, plante er freilich noch nicht, Simon zum Protagonisten eines ganzen Zyklus von Geschichten zu machen. Erst nachdem die Story 1977 dank Kirby McCauleys Bemühungen im ersten Band von Andrew Offutts Anthologien-Reihe Swords Against Darkness erschienen war,  machte er sich daran, seinen ungewöhnlichen Helden auf weitere Abenteuer zu schicken und dabei dessen Hintergrund genauer auszuarbeiten, wobei er sich zahlreicher Elemente aus der altkirchlichen Tradition bediente.
 
Simons körperliche Erscheinung und vor allem seine markanten Gesichtszüge, die in beinah jeder Geschichte beschrieben werden, gehen auf Jack Palances Vorbild zurück:  
He seemed a man in his mid-twenties and possessed the lithe, compact build of an athlete. Black hair spilled in unruly bangs over his broad forehead, and his deep-sunken eyes glowered from beneath dark brows. The cheekbones were unusually high, the mouth wide and tight-lipped, the chin square and clean-shaven.
In The Ring of Set finden sich noch keine direkten Bezugnahmen auf Tierneys "dark cosmology", den Cthulhu-Mythos oder die Lehren des antiken Gnostizismus. Da Simon ein Sword & Sorcery - Held ist, versteht es sich, dass er nicht nur in magischen Künsten bewandert, sondern dank einer kurzen Karriere als Gladiator auch kampfgestählt ist. Wie er Gaius Caligula erzählt, in dessen Kerkern er gelandet ist: "I was trained to use the sica. For two years I spilled blood for the amusement of your howling crowds. Some of that blood was my own." (1) Doch über die genauen Umstände dessen erfahren wir noch wenig. Anders als in den späteren Geschichten wird Simons Kenntnis der Magie hier mit seiner Zeit als Adept der ägyptischen Ptah-Priester erklärt. (2) Und von seinem besonderen Schicksal hören wir noch gar nichts.
Einzig die Verknüpfung mit Robert E. Howards Hyborian Age ist hier schon ganz dieselbe wie im Rest des Zyklus. Denn das titelgebende Schmuckstück ist eben jener Ring, den der stygische Zauberer Thoth-Amon in der allerersten Conan-Geschichte The Phoenix on the Sword wieder in die Finger zu bekommen sucht und mit dessen Hilfe er schließlich irgendein dämonisches Monstrum beschwört. Schon Howard selbst hatte ihn später im modernen Setting seiner Horrorstory The Haunter of the Ring erneut auftauchen lassen. Okkultist John Kirowan bezeichnet ihn dort als den "ancient and accursed ring of Thoth-amon", "handed down by foul cults of sorcerers since the days of forgotten Stygia". So gesehen folgt Tierney hier also dem kanonischen Vorbild und stopft bloß eine Lücke in der Lore. Aber natürlich wird er sich in Zukunft nicht auf so etwas beschränken.
 
Thoth-Amon ist im Conan - "Expanded Universe" eine recht prominente Figur. Da er bei Howard nicht nur in The Phoenix on the Sword auftaucht, sondern auch in The God in the Bowl und The Hour of the Dragon erwähnt wird, beschlossen L. Sprague de Camp und Lin Carter, den stygischen Zauberer in ihren Conan - Pastiches zum Erzfeind des Cimmeriers aufzubauen. Das schien ihnen ein hilfreicher Kniff bei ihrem Bemühen, aus den disparaten Geschichten eine zusammenhängende "Saga" zu machen. Wie Carter in seinem Vorwort zu Conan the Buccaneer schreibt: "We have further tightened the internal logic of the saga as a whole by…using for our chief villain…Thoth-Amon of Stygia". (3) Roy Thomas folgte diesem Vorbild und ließ den Zauberer (mit eindrucksvollem Hörnerkopfschmuck geziert) immer mal wieder in den Conan - Comics auftauchen. Auf diesem Weg gelangte sein Name schließlich auch in das Drehbuch für Conan the Destroyer (1984). (4)    
Inwieweit diese steile Karriere auch Tierneys Umgang mit der Figur beeinflusste, weiß ich nicht. The Ring of Set war lange vor dem Howard-Boom der 70er Jahre geschrieben worden. Doch der Name des stygischen Zauberers wird in den Simon of Gitta - Geschichten auch später immer wieder auftauchen. In persona tritt er dabei natürlich nie auf. Dafür macht Tierney ihn zum Verfasser der "Scroll of Thoth" (manchmal auch des "Book of Thoth"), seinem antiken Äquivalent zum Necronomicon und den anderen Grimoires des Cthulhu-Mythos.
Schriften, die als "Book of Thoth" bezeichnet werden, gibt es eine ganze Reihe. Schon in der aus ptolomäischer Zeit (4. Jhd. v.u.Z.) stammenden Erzählung von Setne Khamwas und Naneferkaptah (auch als "Setna I" bekannt) spielt ein Buch mit Zauberformeln, das von dem Gott selbst verfasst wurde, eine wichtige Rolle. Und in Brian Browns 1923 veröffentlichtem Band The Wisdom of the Egyptians wird dasselbe ausdrücklich "The Book of Thoth" genannt. Es war wohl diese Tradition, auf die H.P. Lovecraft und E. Hoffman Price anspielten, als sie in Through the Gates of the Silver Key ein "Zitat" aus dem Necronomicon anführten, in dem Abdul Alhazred auf ein "Book of Thoth" verweist und mit Yog-Sothoth in Verbindung bringt: 
“And while there are those,” the mad Arab had written, “who have dared to seek glimpses beyond the Veil, and to accept HIM as a Guide, they would have been more prudent had they avoided commerce with HIM; for it is written in the Book of Thoth how terrific is the price of a single glimpse."
Dass Tierney hieran anknüpft, ist klar. (5) Aber da das schwarzmagische Werk bei ihm meist "Scroll" und nicht "Book" genannt wird, ließe sich sich darüberhinaus noch an eine ganz andere Quelle denken. Eine "Scroll of Thoth" spielt nämlich eine zentrale Rolle in Karl Freunds Universal-Monster-Klassiker The Mummy (1932). Die in ihr aufgezeichnete Zauberformel ("the magic words by which Isis raised Osiris from the dead") ist für das untote Erwachen von Boris Karloffs Imhotep verantwortlich. Und dieser will sie anschließend dazu benutzen, auch seine geliebte Ankh-esen-amun ins Leben zurückzurufen.
Ist es also bloß ein Zufall, dass in der 1977 in Swords Against Darkness #2 erschienenen Kurzgeschichte The Scroll of Thoth Gaius Caligula die magische Schriftrolle dazu verwenden will, sich Ewiges Leben zu sichern? Die Story beginnt damit, dass der verrückte Imperator einen Gefangenen langsam zu Tode foltern lässt, um ihn anschließend von einem ägyptischen Magier für einen kurzen Moment ins Leben zurückrufen zu lassen.
 
Anders als The Ring of Set enthält The Scroll of Thoth  bereits sehr direkte Bezüge zu Tierneys "dark cosmology". Caligula verehrt sowohl die "Deep Ones" (=Großen Alten) als auch die "Pain Lords" (=Älteren Götter), um sich bei seiner Suche nach der Unsterbklichkeit nach beiden Seiten hin abzusichern. Auch liefert die Geschichte eine hübsch cthulhuide "Erklärung" für die in Suetons De vita Caesarum libri VIII (Acht Bücher über das Leben der Caesaren) erwähnte Anekdote, der Kaiser habe während der geplanten Invasion Britanniens seinen Legionären befohlen, stattdessen an der gallischen Küste Muscheln zu sammeln. (6). Wenn Simon Caligulas unterirdischen Schrein erreicht, bietet sich ihm nämlich folgendes Bild:
But it was the room itself that most astonished him, for all its walls and ceiling were covered with innumerable sea shells. their pearly concave surfaces facing inward. There were fan-like shells of large scallops, clam shells resembling giant pink ears, snail shells like delicate coiled horns, conical limpets, dark mussels and mottled sea urchins – and from all came a strange, soft roaring sound like the sound of forgotten and underground seas! 
Dennoch bestehen zwischen den ersten zwei Simon of Gitta - Geschichten eine ganze Reihe Parallelen. In beiden geht es um ein uraltes magisches Artefakt, das den Römern in die Hände gefallen ist. Simon muss es nach Ägypten zurückbringen oder zerstören, um zu verhindern, dass die machthungrigen Herrscher des Imperiums finstere Mächte mit ihnen entfesseln. Dabei handelt er im Auftrag der Priesterschaft des Ptah. Die beiden Stories sind außerdem die einzigen, in denen unser Held den römischen Imperatoren Tiberius und Caligula von Angesicht zu Angesicht gegenüber tritt.
 
Die beiden sind zwar recht nette Sword & Sorcery - Yarns, aber für sich genommen nichts wirklich besonderes. Das leicht Repetitive könnte einen sogar übles befürchten lassen. Auch muss ich zugeben, dass mir direkte Konfrontationen mit römischen Imperatoren nicht ganz zu einem Helden wie Simon zu passen scheinen. Vor allem aber bleibt dieser selbst hier noch eine recht blasse Figur. Wir erfahren nur wenig von seiner Hintergrundsgeschichte oder seinen persönlichen Motivationen. Und wäre das "of Gitta" nicht, man würde nicht drauf kommen, dass es sich bei ihm um Simon Magus handelt. (7) 
 
All dies beginnt sich mit der 1978 in Swords Against Darkness #3 veröffentlichten Kurzgeschichte The Sword of Spartacus merklich zu wandeln. Zugleich springen wir an den Anfang von Simons Saga, weshalb ich die weiteren Stories der inneren Chronologie gemäß und damit auch in der Reihenfolge, in der sie in Sorcery Against Caesar erscheinen behandeln werde.
 
Schon in The Scroll of Thoth hatte Tierney ein historisches Ereignis (die Ermordung Caligulas) in die Handlung eingebaut. Doch trotz einiger bei Sueton entlehnter Details, bleibt dies im Grunde Beiwerk. Die Geschichte müsste nicht mit dem Tod des Imperators enden. The Sword of Spartacus geht in dieser Hinsicht ein deutliches Stück weiter: Hier baut Tierney seine Story um ein historisches Ereignis herum. Tacitus erwähnt im Vierten Buch seiner Annales (4, 62/63) eine Katastrophe, die sich im Jahr 27 in der nahe bei Rom gelegenen Ortschaft Fidenae ereignete. Dabei stürzte das überfüllte Amphitheater ein, das der Freigelassene Atilius für ein großes Gladiatorenspektakel hatte errichten lassen, und Hunderte (oder Tausende?) von Schaulustigen wurden unter den Trümmern begraben. Tierney liefert nun nicht nur eine phantastische "Alternativerklärung" für diese Tragödie, sondern macht sie auch zum Ausganspunkt für Simons Saga. Zugleich verknüpft er seinen Helden stärker als zuvor mit den patristischen Traditionen um Simon Magus und führt das Motiv seines brennenden Hasses auf Rom ein.
Im Auftrag eines mysteriösen Greises, der vorgibt, der legendäre etruskische Magier Tages von Rasena (8) zu sein, soll der Samaritaner Dositheus von Atilius einen Gladiator für die bevorstehenden Spiele erwerben. Seine Wahl (oder genauer gesagt die Wahl seines Raben-Vertrauten Carbo) fällt auf Simon, der zu einem (kurzen) Leben in der Arena verurteilt wurde, nachdem er den römischen Steuereintreiber, der für die Ermordung seiner Eltern verantwortlich war, erschlagen hatte. Ausschlaggebend ist dabei der Hass, den Dositheus in ihm spürt. Eigentümlicherweise verlangt Tages außerdem, dass sein neuer Kämpfer am nächsten Tag gegen einen freien Bürger Roms antreten soll. Da die angebotene Summe wahrhaft astronomisch ist, ist der brutale Ausbilder Marius Pugio, der ohnehin noch eine Rechnung mit dem aufsässigen Simon zu begleichen hat, sofort bereit, den Part zu übernehmen.
In der Nacht besucht der Alte (mit magischen Mitteln) Simon in seiner Zelle. Er offenbart ihm, dass er kein Etrusker, sondern Trogus, der Spross eines gallischen Druidengeschlechtes ist. Seine Familie wurde von den Römern in die Sklaverei verschleppt. Er selbst wurde als Sklave geboren. Doch mit dem Aufstand des Spartakus kam schließlich der Tag der Befreiung, den er in ekstatischen Worten schildert:
Never in my long life have I known greater excitement, greater joy, than I did in those far-off days. We joined the thousands of slaves who were flocking to Spartacus' banner, thirsting for vengeance and freedom. And for nearly two years we fought up and down this land of Italy, destroying Roman armies from the valley of the Po to the hills of Calabria, even as did Hannibal in centuries gone by. Rome trembled in terror, while all who had suffered her oppression exulted, hoping soon to see her toppled and the slavery whereby she maintained herself destroyed for aye.
Nach der Niederschlagung des Aufstands und der Kreuzigung der Sechstausend wandte Trogus sich der Magie zu, um über Jahrzehnte seine Rache an Rom vorzubereiten. Nun endlich ist der große Tag gekommen. Im entscheidenden Moment des morgigen Kampfes wird Simon von Trogus das Schwert des Sparktakus erhalten. Wenn er mit diesem seinen römischen Kontrahenten niedergestreckt hat, wird das Strafgericht anbrechen.
Natürlich zögert Simon nicht, den Anordnungen des (unnatürlich) alten Zauberers folgezuleisten. Schließlich hasst er Rom mindestens ebenso sehr wie dieser. Dass er mit seinem "Blutopfer" allerdings gleich ein Portal für den Großen Cthulhu ("Tuchulcha") öffnen würde, hätte er nicht erwartet.
Suddenly from the cloudless sky a titanic bolt of lightning crashed, shaking the earth and the heavens. The old man's from blazed instantly to nothingness and the crowd screamned and went to its knees. Simon sprawled to the sand, shaken from his feet by the awful concussion. He sensed the light of midday suddenly dimming. Glancing upward, he saw that the great canopy was rent asunder, blazing at its edges – and beyond it was something blotting out the sky, something shadowy and insubstantial, suggestive of a monstrous beaked face framed in writhing tentacles ...
Simon nutzt das blutige Chaos des zusammenbrechenden Amphitheaters aus, um zu flüchten, und macht sich auf nach Rom, wo Dositheus ihn in der Villa des Senators Junius erwarten soll.
 
In den pseudo-klementinischen Recognitionen (II, 8) wird erzählt, Simon Magus sei der Schüler eines gewissen Dositheus (selbst ein Jünger des Täufers Johannes) gewesen. Untergründig habe zwischen den beiden jedoch Neid und Rivalität geherrscht. An diese Tradition knüpft Tierney in der nächsten Geschichte an. Während er seinen Helden ursprünglich ja vor allem mit Ägypten in Verbindung gebracht hatte, stellt er ihn nun in einen sehr viel angemesseneren persischen Kontext und führt erstmals offen gnostische Elemente in den Zyklus ein. Außerdem begegnen wir nun den gleichfalls aus der patristischen Überlieferung stammenden Helen(a) und Menander. Als Ausgangspunkt nimmt Tierney erneut eine bei Tacitus überlieferte Katastrophe: Die Feuersbrunst, die im selben Jahr 27 ein gesamtes römisches Stadtviertel, den Mons Caelius, in Schutt und Asche legte und von der der antike Geschichtsschreiber berichtet:
And proposals were also made that Mount Caelius should for the future be called Mount Augustus, inasmuch as when all around was in flames only a single statue of Tiberius in the house of one Junius, a senator, had remained uninjured. 
Was es damit "in Wirklichkeit" auf sich hatte, erfahren wir in The Fire of Mazda (Erstveröffentlichung: Orion's Child #1 [Mai-Juni 1984]).

Senator Junius ist ein politischer Idealist, der von einer Rückkehr zur republikanischen Ordnung träumt. Um sein Ziel zu erreichen, hat er sich mit Dositheus zusammengetan. Denn der samaritanische Zauberer hat einen Plan ausgeheckt, wie man den Imperator Tiberius mit magischen Mitteln beseitigen könnte. Und beide glauben, wenn der Tyrann erst einmal aus dem Weg geschafft ist, stände einer Wiedererrichtung der Republik nichts im Wege. Dass Junius dabei außerdem auf die Unterstützung des mächtigen Kommandeurs der Prätorianergarde, Seianus, setzt, lässt ihn freilich etwas naiv erscheinen.
Da Simon eine entscheidende Rolle in dem Plan zukommt, hält Dositheus ihm einen kleinen Vortrag über (gnostische) Metaphysik: Das Wahre Göttliche existiere jenseits aller Materialität. Doch dann fiel es unter die Herrschaft des bösen Demiurgen Achamaoth, "whom the ancient Persians called Azdahak and the Stygians Azathoth". Der Demiurg und die "Primal Gods" schufen die Welt. Splitter des Göttlichen wurden dabei im Gefängnis der Materie eingeschlossen. Einige auserwählte Menschen, die "True Spirits", tragen solche Splitter in sich. (9) Simon sei einer davon. Mehr noch, er sei "one of the High Ones – one of the greatest soul-fragments of the One who was sundered and then trapped by Achamoth". Diesen Umstand will Dositheus auf ziemlich perverse Weise ausnutzen. Simon soll vor einem Standbild des Tiberius ein Menschenopfer durchführen. Nicht irgendein Opfer freilich. Jeder "High One" besitzt ein komplementäres Gegenstück. Und wenn Simon seine eigene metaphysische "Partnerin" im Namen des Kaisers den dunklen Mächten darbringen würde, wäre dies ein so monströser Verstoß gegen die Ordnung der Dinge, "the offended gods shall stir and smite Tiberius with lightning, even as of old they smote King Hostilius".
Simon hält dies alles erst einmal für Irrsinn und stürmt hinaus in die abendlichen Gassen von Rom, um einen klaren Kopf zu bekommen. Dositheus ist sich seiner Sache so sicher, dass er gar nicht erst versucht, ihn aufzuhalten.
 
Tierney verknüpft hier nicht nur zum ersten Mal gnostisch-neoplatonische Ideen mit seiner eigenen Variante des Cthulhu-Mythos (Azathoth & die "Primal Gods"). Er führt gleichzeitig altpersische Elemente ein. So erwähnt Dositheus u.a. Zarathustra, Ahura Mazda, Atar und Angra Mainyu. Das macht auch deshalb Sinn, weil in hellenistisch-römischer Sicht die persischen Magi (eigentlich zoroastrische Priester) die Begründer der magischen Künste waren. Plinius der Ältere schreibt in seiner Historia Naturalis: "There is no doubt that this art originated in Persia, under Zoroaster"  Ein gewisser Osthanes, gleichfalls aus Persien stammend, sei dann der erste gewesen, "who wrote upon magic, and whose works are still in existence [...] it was this same Osthanes, more particularly, that inspired the Greeks, not with a fondness only, but a rage, for the art of magic". Eben dieser Osthanes taucht im Simon of Gitta - Zyklus immer mal wieder als Verfasser des zweiten großen Grimoires – Sapientia Magorum – auf. Ob allerdings der zoroastrische Licht - Finsternis - Dualismus, auf den Dositheus in seiner Rede Bezug nimmt, in Tierneys Welt tatsächlich Gültigkeit besitzt, ist mehr als fraglich. Das Ende von Fire of Mazda spricht eher dagegen.
 
Die junge Frau, die Simon opfern soll und die ihm zuvor mehrfach in Visionen erscheint, ist Helen(a). In der patristischen Literatur wird sie immer wieder als die Gefährtin des Simon Magus erwähnt. Selbstredend stellen die Kirchenväter sie dabei in einem möglichst negativen Licht dar, nennen sie "a female vagabond", die mit ihm in einer "unnatural relationship" gelebt habe (Epiphanius von Salamis: Panarion, XXI, 2, 2),  erzählen, dass "sie früher in einem Hurenhause sich preisgegeben hatte" (Justin der Märtyrer: Erste Apologie, Kap. 26) und Simon sie "zu Tyrus in Phönizien als Lohndirne erstand" (Irenäus: Gegen die Häresien, I, 23, 2). In gut christlicher Manier spielen dabei Misogynie und Sinnenfeindlichkeit eine nicht unwichtige Rolle.
In The Fire of Mazda besitzt sie eine deutlich andere Hintergrundsgeschichte. Sie stammt nicht aus Tyrus, sondern aus Ephesos, und Junius erzählt von ihr: "She is the daughter of a slave woman and her noble master [...] it was quite a task to steal her away, for her father was beginning to conceive an incestuous liking for her and would accept no monetary offer." Was genau es damit auf sich hat, erfahren wir in der nächsten Geschichte. Und auch die Natur ihrer metaphysischen Beziehung zu Simon wird später ausführlicher erkundet. Für den Moment empfinden die beiden vor allem eine ihnen selbst unerklärliche Vertrautheit und Anziehung für einander, die aber nichts eigentlich romantisch-sexuelles an sich hat.
 
Als Simon sich weigert, das blutige Ritual durchzuführen, zwingt ihm Dositheus mit Hilfe eines magischen Banns seinen Willen auf. Allerdings versucht zur selben Zeit ein wütender Straßenmob, der von der Anwesenheit des geflohenen Ex-Gladiators erfahren hat, die Villa zu stürmen. Am Ende sind es der elfjährige Menander und der Rabe Carbo, die die dämonische Zeremonie unterbrechen und Simon von dem Bann befreien. Damit retten sie zwar Helen(a)s Leben, lösen aber zugleich die finale Katastrophe aus. (10) Da das Opfer nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde, steigen die feurigen Diener Ahura Mazdas aus ihrer "göttlichen" Sphäre herab. Angeblich um alle Anhänger Azdahaks zu vernichten. Tatsächlich jedoch verwüsten sie den gesamten Mons Caelius.
 
Das eigentliche Thema von The Fire of Mazda ist die Frage, wo die moralische Grenze liegt, die auch im Kampf gegen die Tyrannei nicht überschritten werden darf. Dositheus ist sich bewusst, dass er dabei ist, ein furchtbares Verbrechen zu begehen. Darauf beruht ja sein ganzer Plan. Und er ist bereit, dafür ewige Höllenstrafen auf sich zu nehmen. Es fällt ihm nicht leicht, Simon und Helen(a) auf so grausame Art zu missbrauchen, aber wenn Roms Imperium auf diesem Weg gestürzt werden kann, sind einzelne Menschenleben ein geringer Preis. Simons Aufbegehren gegen den Zauberer, dem er immerhin seine Freiheit verdankt, wird durch die tiefe Verbundenheit ausgelöst, die er gegenüber Helen(a) empfindet. Doch am Ende der Geschichte beginnt er, sich grundsätzlichere Fragen zu stellen. Der Tod der Massen im Amphitheater von Fidenae hatte sein Gewissen nicht weiter belastet. Sie waren in seinen Augen nicht mehr als ein blutgieriger Mob gewesen. Würdige Vertreter des verhassten Rom. Doch angesichts der gewaltigen Feuersbrunst, die ein ganzes Stadtviertel und seine Bewohner verschlingt, ist es ihm nicht länger möglich, sich auf diese bequeme Position zurückzuziehen:
Dim with distance, a sound welled up the terrible sound of thousands perishing as the entire hill was surrounded by flame and engulfed in it. For a moment Simon felt a thrill of horror, forgot his hatred for the Rome that had killed his parents and impressed him into the brutal slavery of the arena. Romans were dying, but not just the angry, opportunistic mob or the brutal sadistic guardsmen, he had come to know too well. There were people dying master and slave, patricians and workmen, merchants and street urchins, women and children and no matter how good or wicked any of them might be, the fire was detroying them all.
Dositheus versucht das Massensterben als eine Art Strafgericht zu rechtfertigen: "The fire of Mazda ... cleansing the earth of the vile minions of Azdahak". Simon erwiedert:
You say those Romans are the minions of the Evil One ... If so, are we not such minions also and all the rest of mankind as well? And if that be so, will it not please Mazda, the Lord of Light, to see us vile beings slay one another as I am minded to slay you this very moment?
Doch statt ihn zu erschlagen, ist Simon bereit, seinem Mentor zu verzeihen. Vermutlich weil er begonnen hat, seinen eigenen blinden Hass, der ihn bislang beherrschte, zu hinterfragen. Zugleich wird damit implizit der ganze metaphysische Gut - Böse - Dualismus in Frage gestellt: Wenn das das Werk der "guten" Götter ist, wie "gut" können sie in Wirklichkeit sein?
 
Am Ende von The Fire of Mazda macht sich unser Held zusammen mit Dositheus, Menander und Carbo ins ferne Persepolis auf, um der Verfolgung durch die Römer zu entkommen und dort seine magische Ausbildung fortzusetzen. Helen(a) bleibt in der Obhut von Junius in Italien zurück. 
 
Natürlich war Tierney nicht der erste, der historische Ereignisse mit dem Cthulhu-Mythos verwob. Schon Lovecraft selbst hatte diese Technik angewandt, um seinen Geschichten des kosmischen Grauens eine "realistischere" Atmosphäre zu verleihen. Und andere Autoren wie August Derleth waren ihm darin gefolgt. Aber Tierney erweist sich besonders geschickt in der Anwendung dieser Methode. Und er vermischt dabei mehr Zutaten als irgendwer sonst, der mir bekannt wäre: Historie, biblische Überlieferungen, religiöse Traditionen, Mythen und Sagen, Robert E. Howard, Clark Ashton Smith, die S&S-Stories seines Kumpels David C. Smith, SciFi-Flicks usw. usf. Und diese Mixtur macht für mich einen Gutteil des Reizes seiner Erzählungen aus. The Seed of the Star-God (Erstveröffentlichung: Crypt of Cthulhu #24 [Lammas 1984]) ist ein besonders gelungenes Beispiel dafür.
 
Die Geschichte beginnt fünf Jahre nach den Ereignissen von The Fire of Mazda. In der Zwischenzeit wurde Simon von Dositheus und dessen Meister Daramos in den magischen Künsten unterrichtet. Daramos haust in den Ruinen der alten Königsstadt Persepolis und ist ein recht wunderlich anzuschauender Geselle:
No matter how often Simon had seen the Master, he had never quite become used to him. Daramos was the strangest man he had ever seen scarcely four feet tall, extremely stocky in build and possessing a curiously wide and flattened head large in proportion o his size. His mouth was wide and lipless, his nose flat, his outsized ears slightly pointed. His skin, usually grayish in the daylight, seemed to possess a slight greenish cast in the flickering light of the torch. Despite his strange, even grotesque appearance, his large almond-shaped eyes shone from the crinkles of his face with an expression of calm wisdom and quiet humor hat set Simon immediately at ease.
Erscheinung und Charakter des weisen alten Meisters dürften vom Vorbild Yodas aus The Empire Strikes Back beeinflusst worden sein. Tatsächlich begegnen wir ihm am Ende der Erzählung sogar als astralreisendem "Force Ghost"! Nicht das letzte Mal, dass wir in den Simon of Gitta - Geschichten über Star Wars - Reminiszenzen stolpern werden.
Zugleich deutet Tierney aber auch an, dass das Blut von Lovecrafts Deep Ones in seinen Adern fließen könnte: "He had heard a rumor that one of Daramos' ancestors had come up from the depths of the Persian Gulf to mate with a woman of Elam."Ein erstes Beispiel dafür, dass manche "Monster" des Cthulhu-Mythos bei ihm in einen ungewohnten Licht erscheinen können.
 
Obwohl sie nach den Ereignissen von The Fire of Mazda nur einige wenige gemeinsame Wochen in Junius' Villa in Antium verbringen konnten, sind Simons Gefühle für Helen(a) auch nach Jahren der Trennung noch ebenso stark wie bei ihrer ersten Begegnung. Zwar hegt er nach wie vor Zweifel in Bezug auf einige der bizarrer klingenden Theorien seiner Lehrmeister über die wahre, metaphysische Natur dieser Beziehung. Dennoch zieht es ihn immer heftiger zurück zu ihr. In einer der wenigen Botschaften, die er von ihr erhalten hat, erzählt sie, dass der Senator auch ihre jüngere Schwester Ilione aus den Klauen ihres Vaters befreit und nach Antium gebracht hat. Doch dann trifft Carbo mit einer niederschmetternden Nachricht aus dem fernen Italien ein, die nur aus einem einzigen gekrächzten Wort besteht: "Morta!" Von wilder Wut gepackt macht sich Simon auf die Rückreise. Wie Daramos erklärt: "Now you must go to to Rome, for now your purpose in going is plain to you."
In Antium angekommen erhält Simon von dem alten Haussklaven Ambronius einen genauen Bericht über Helen(a)s tragisches Ende: Im Machtkampf zwischen Sejanus und Tiberius bedienten sich am Ende beide Seiten schwarzer Magie. Der Sturz des ehrgeizigen Prätorianerpräfekten wurde schließlich von dem Zauberer Prodikos, dem Vater Helen(a)s herbeigeführt, der seine Dienste dem Imperator angeboten hatte. Als Bezahlung hatte er sich offenbar seine beiden Töchter ausbedungen. Helen(a) entzog sich dem durch Selbstmord, doch die junge Ilione wurde nach Ephesos verschleppt.
Erneut erwacht der alte brennende Hass in unserem Helden:
"Simon " The old man seemed hesitant. "Simon, there is hate in your soul. I remember that you once swore, after the destruction of the arena and the Caelian Hill, that you would never again have aught to do with true sorcery  –"
"That was before." Simon's eyes were shadowed, absent, as if he gazed into distant pits of darkness. "That was before ..." 
Rache ist von nun an sein einziges Ziel. 
Doch in Ephesos erwarten ihn bereits Dositheus, Menander und Carbo. Denn Daramos hat in der Zwischenzeit herausgefunden, welch finstere Pläne Prodikos in Wirklichkeit verfolgt. Es sind keine simplen sexuellen Gelüste, die der Zauberer für seine Töchter hegt. Vielmehr soll Ilione ihm als Opfer bei einer perversen magischen Zeremonie dienen:
The rite of the Impregnation and the Slaying – an act of sympathetic magic that shall cause the seed of the Star-god to unite with the Great Mother, thereby generating a horrendous spawn that will overwhelm this world.
An diesem Punkt beginnt Tierney ein wahres Feuerwerk von Anspielungen und intertextuellen Bezügen abzubrennen. Jetzt wird auch klar, warum Helen(a) anders als in der patristischen Überlieferung aus Ephesos und nicht aus Tyrus stammt. Denn der berühmte Tempel der Artemis, eines der Sieben Weltwunder der Antike, spielt eine zentrale Rolle bei der bevorstehenden Zeremonie. Die dort verehrte Mutter- und Fruchtbarkeitsgöttin wird mit Shub-Niggurath identifiziert, die Lovecraft in The Mound ja als "the All-Mother" und "a kind of sophisticated Astarte" bezeichnet hatte. In guter alter Mythos-Manier verwendet Tierney dabei eine leicht abgewandelte Version ihres Namens, "as a Mesopotamian-sounding substitute" (11) Shupnikkurat. Als Stern wird ihr passenderweise Capella ("the Goat Star") zugeordnet, schließlich kennt man sie auch als "The Black Goat With a Thousand Young". Die Bienen, die man auf einigen antiken Repliken des Kultbilds der Artemis von Ephesos sehen kann, werden als "symbol for all things that spawn and swarm" interpretiert. Und im großen Finale hat dann tatsächlich ein Schwarm monströser Riesenbienen einen Auftritt. In The Mound war Shub-Niggurath außerdem als "wife of the Not-To-Be-Named-One" bezeichnet worden, den August Derleth mit Hastur identifiziert hatte. Dieser ist denn auch der erwähnte "Star-god", der hier allerdings "Assatur" genannt wird, wobei dieser Name mit Attluma, dem Schauplatz von David C. Smiths S&S-Stories verknüpft wird: "To the nations of primal Attluma they were Kossuth and Assatur".  Traditionsgemäß ist sein Stern "the Eye of Taurus", also Aldebaran. In leicht abgewandelter Form wird in einer Hymne, die Prodikos' Kultisten anstimmen, sogar Carcosa erwähnt:
Iä, Assatur! Iä, Shupnikkurat!
Kumat Karakossa ut Arag-Kolat! 
Harag-Kolath ist Tierneys eigene Zutat zum Mythos: Eine unterirdische Metropole auf der arabischen Halbinsel, in der Shub-Niggurath residiert/gefangen ist wie Cthulhu in R'lyeh. Die selbe Ausgabe von Crypt of Cthulhu, in der Seed of the Star-God erstmals veröffentlicht wurde, enthält auch ein Gedicht über die monströse Stadt:

Into those clouds the dream-winds bore me, flowing
Like a chill river through the enfolding haze,
Till far below me, like a monstrous maze,
I glimpsed a gray-walled city dimly glowing.
Gray-litten caverns vast beyond all knowing
Extended mistily before my gaze,
While far beyond the city's tangled ways
I spied a hill of blackness pulsing, growing . . .

I knew that city was Harag-Kolath
Where capering satyrs, in the earth's dark dawn
Once prayed obscenely to Shub-Niggurath,
Great Mother of all things that swarm and spawn.
Then came the beat of drums – a flute's mad trill –
As black throngs massed before that pulsing hill.

Doch der vielleicht wichtigste intertextuelle Bezug ist ein biblischer. Im Prophetenbuch Amos heißt es: "Ihr werdet Sakkut als euren König vor euch hertragen müssen / und den Kewan, euren Sterngott / eure Götter, die ihr euch selbst gemacht habt." (Amos 5, 26) Bei den beiden handelt es sich eigentlich um mesopotamische Gestirnsgottheiten. Tierney nun identifiziert "Kaiwan" mit Hastur, während "Sakkuth" als "König" sein irdischer Stellvertreter ist. Vor fünfzehn Jahren besuchte Prodikos die Stadt Sardis, ein reales Zentrum des Kybele-Kultes, um an einer Feierlichkeit zu Ehren der Göttin teilzunehmen (bei der es sich natürlich um eine weitere Erscheinungsform Shub-Nigguraths handelt). Genau zu diesem Zeitpunkt wurde ein Großteil der Stadt durch ein gewaltiges Erdbeben zerstört (ein historisches Ereignis das lydische Erdbeben von 17 u.Z.): "Daramos divined some years later that the event had signified the return of Sakkuth to this world", der dabei den Körper des Zauberers übernahm.
Das Ritual, das Prodikos/Sakkuth durchführen will, ist Teil einer Jahrtausende umspannenden, sich zyklisch wiederholenden Historie, womit die Verbindung zu Robert E. Howards Hyborian Age geschlagen wird:
It is said that every thousand years Sakkuth attempts to destroy civilization, and that he succeeds unless powerful magic is used to stop him. It was he who plunged the world into the All-Night after the Atlantean and Hyborian cataclsyms.  
Fokus ist dabei ein uraltes Artefakt der titelgebende "Seed of the Star-God". Und damit kommen wir zurück zum Artemistempel. Von dessen Kultbild hieß es in der Antike ja, dass es "vom Himmel gefallen" sei, wie wir u.a. auch in der biblischen Apostelgeschichte (Apg 19, 35) hören. Der "reale" Kern dieser Legende ist nun, dass in die Statue ein vor Äonen auf die Erde herabgestürzter Meteorit eingefügt wurde, bei dem es sich um eben dieses verfluchte Artefakt handelt. Dieser Stein ist der eigentliche Grund, warum das Heiligtum überhaupt gegründet wurde. Finstere Adepten brachten es vor über tausend Jahren in das "land of the Amazons near what is now Ephesos". (12) Herostratos wollte den Tempel nicht etwa aus Ruhmsucht und Hybris niederbrennen, wie die Priester erzählen, sondern weil er "its evil nature" erkannt hatte. Der wahre Name des Meteoriten lautet "Ajar-Alazwat" und am Ende der Erzählung wird tatsächlich nahegelegt, dass er mit al-ḥaǧar al-aswad, dem Schwarzen Stein der Kaaba, identisch ist.
 
David C. Smith hat einmal über seinen Freund Tierney erzählt: "His natural habitat was the library, where he could read and do research to his heart’s content." Man kann sich gut vorstellen, wie er wochenlang irgendwelche Bücher gewälzt haben muss, um all diese historischen und mythologischen Details zusammenzutragen, die er dann auf so geschickte Weise miteinander verwob. (13)
Dass The Seed of the Star-God zugleich ein geradezu klassisches Pulp-Abenteuer ist, macht dieses extrem "nerdy" anmutende Bemühen um einen möglichst dichten und komplexen Hintergrund in meinen Augen nur noch charmanter. 
Das große Finale im Artemistempel hat dann wirklich alles zu bieten, was bei so was dazu gehört: Die schöne Jungfrau in Gefahr; den finstere Beschwörungen skandierenden Zauberer, der sich dabei auch noch in ein Satyr-Ungeheuer verwandelt; ein Dimensionentor in die Gefilde der Großen Alten; schwarze Monsterbienen; blutspritzende Action und selbstloses Heldentum. Teil dieses traditionellen Pulp-Szenarios ist freilich auch, dass Ilione dabei ganz die Rolle der hilflosen, halbnackten Damsel-in-Distress spielen muss. Aber mit den Frauenfiguren des Simon of Gitta - Zyklus werden wir uns im dritten Teil noch genauer beschäftigen.   
 
Am Ende von The Seed of the Star-God beschließt Simon, nicht mit den anderen nach Persepolis zurückzukehren. Wie er zu Dositheus sagt: "I have learned much, O Mentor, studying under you and Daramos, but now I feel I must go my own way. I must wander."
 
Wohin ihn seine Wanderungen führen werden, sehen wir das nächste Mal ...
 

 

 

 

(1) Die sica (eine Art Kurzschwert mit geschwungener Klinge) bleibt im gesamten Zyklus Simons bevorzugte Waffe. Was sicher auch symbolische Bedeutung hat. Die sica war die Standardbewaffnung des "thrakischen" Gladiatortyps (thraex), der in der Arena meist gegen den als römischer Legionär ausgestatteten murmillo antrat. Damit verweist sie nicht nur auf Simons Vergangenheit als Gladiator, sondern unterstreicht auch seine Position als unerbittlicher "enemy of Rome". Zumal die Waffe außerdem an die jüdische Widerstandsgruppe der sicarii ("Dolchträger") denken lässt, die im 1. Jhd. mit terroristischen Methoden gegen die römischen Besatzer und ihre Kollaborateure kämpften.

(2) Simon kann seinen Stab in eine Schlange verwandeln. Ein Kunststück, dem wir auch mehrfach in The Winds of Zarr begegnen und das natürlich auf das biblische "Magierduell" zwischen Aaron und den Zauberern des Pharao zurückgeht (Ex 7, 8-13).   

(3) Zit. nach: Don Herron: Conan vs. Conantics.

(4) Bis heute hat Thoth-Amon in den Comics immer mal wieder Gastauftritte. 2006 statteten ihn Kurt Busiek, Len Wein & Kelly Jones in dem bei Darkhorse erschienenen Book of Thoth mit einer eigenen Hintergrundsgeschichte aus. Und die fünfteilige Miniserie Age of Conan: Valeria (2019) enthält als "Bonusmaterial" Matt Forbecks Story The Fall of Thoth-Amon.

(5) Als er seine Geschichten zu schreiben begann, gab es natürlich auch noch Aleister Crowleys erstmals 1944 erschienenes Book of Thoth. Aber ich weiß weder, wann dieses weitere Verbreitung fand, noch ob Tierney vor seiner Zeit bei Llewellyn mit Crowley vertraut war.

(6) "Finally, as if he intended to bring the war to an end, he drew up a line of battle on the shore of the Ocean, arranging his ballistas​  and other artillery; and when no one knew or could imagine what he was going to do, he suddenly bade them gather shells and fill their helmets and the folds of their gowns, calling them 'spoils from the Ocean, due to the Capitol and Palatine.'" (Suetonius: The Lives of the Twelve Caesars. IV, 46) 

(7) Die patristischen Schriften erwähnen Gitta/Gittä (manchmal auch Gitthon) mehrfach als Geburtsort Simons. Frühestes Beispiel ist die Erste Apologie (Kap. 26) von Justin dem Märtyrer.

(8) Eine Anspielung auf den mythischen etruskischen Propheten (und Halbgott?) gleichen Namens

(9) Ich hab' bisher nur die ersten beiden Red Sonja - Bücher von Tierney & David C. Smith gelesen. Aber zumindest im zweiten – Die Nacht der Dämonen wird genau diese Terminologie ebenfalls verwendet.

(10) Der Überlieferung nach war Menander der Schüler von Simon Magus. Schon bei Justin heißt es von ihm: "Von einem gewissen Menander aber, der auch Samariter war aus dem Flecken Kapparetäa, einem Schüler des Simon, wissen wir, dass auch er, unter dem Einfluss der Dämonen stehend, in Antiochien auftrat und durch seine Zauberkunst viele berückte". Bei Tierney ist er zuerst einmal Dositheus' Schüler, steht aber von Beginn an Simon besonders nahe. Carbo scheint sich von nun an lieber ihm zuzugesellen, obwohl er eigentlich Dositheus' Vertrauter ist.

(11) An Interview with Richard L. Tierney. In: Crypt of Cthulhu #24.

(12) Dass die Amazonen die Erbauerinnen des ersten Heiligtums in Ephesos gewesen seien, wird z.B. von Kallimachos in seiner Hymne an Artemis erwähnt: "For thee, too, the Amazons, whose mind is set on war, in Ephesus beside the sea established an image beneath an oak trunk, and Hippo performed a holy rite for thee, and they themselves, O Upis Queen, around the image danced a war-dance — first in shields and armour, and again in a circle arraying a spacious choir. And the loud pipes thereto piped shrill accompaniment, that they might foot the dance together (for not yet did they pierce the bones of the fawn, Athena's handiwork, a bane to the deer). And the echo reached unto Sardis and to the Berecynthian range. And they with their feet beat loudly and therewith their quivers rattled."

(13) Und manches davon hat nicht einmal seinen Weg in den fertigen Text gefunden. So entwickelte Tierney offenbar auch noch eine pseudo-philologische Erklärung, um Hastur mit Howards Schlangengot Set zu identifizieren. Wie er in einem Brief an Robert M. Price schrieb: "I suspect that Ha-Set-Ur means something like 'Set is great' in Stygian." Als "Beleg" dafür zog er u.a. ein Zitat aus Robert Graves' Roman King Jesus heran: "Graves also mentioned that the Hyksos founded Jerusalem, where they worshipped Set as 'God of Sheperds', so I've jumped to equate Set with Hastur & so incorporate him into the Mythos." Denn Hasturs Name taucht ja erstmals in Ambrose Bierce' Kurzgeschichte Haïta the Sheperd auf, wo er als ein Schäfergott beschrieben wird. (Vgl.: Richard L. Tierney: Sorcery Against Caesar. S. 53). Der einzige Hinweis auf diesen ganzen Hintergrund ist der Umstand, dass Prodikos bei seiner teuflischen Zeremonie einen Schlangenstab trägt.

Sonntag, 3. Juli 2022

Let Me Tell You Of The Days Of High Adventure

Sorcery Against Caesar von Richard L. Tierney (1/3)

 
Grim mountain, on your lowering slopes I stand,
Cowed by the sound of thunder in the skies,
While your dark crown of cloud spreads o'er the land
And stirs my mind to yet more dark surmise ...
 
Cowed by the sound of thunder in the skies,
I sense beneath your flanks those monstrous Things
That shall one day awaken and arise
And – oh, to stifle these mad visionings!
 
I sense beneath your flanks those monstrous Things,
Grim with a hatred vast as cosmic space,
That lurk and strain to burst their prisonings
And rise in power to smite the human race. 
 
Grim with a hatred vast as cosmic space,
Those sleeping Powers shall one day wake and rise
To smash this earth as with a giant mace
And strew its shards across the darkened skies.
To Mount Sinai

Wie ich vor Jahren im allerersten Beitrag zu dieser Blogserie etwas genauer darzulegen versucht habe, erwuchs die Sword & Sorcery ursprünglich aus der historischen Abenteuergeschichte. Ihre unmittelbaren Vorläufer waren Gestalten wie Harold Lambs Khlit der Kosake oder Talbot Mundys Tros von Samothrake. (1) Noch bevor Kull sich im August 1929 in The Shadow Kingdom mit fiesen Schlangenmenschen herumprügelte, hatte die Leserschaft von Weird Tales das neue Subgenre bereits in Gestalt des grimmigen Puritaners Solomon Kane kennengelernt. Einer Figur also, die noch sehr viel der alten DNA in sich trug. Weshalb Brian Murphy ihr in Flame and Crimson sogar die Zugehörigkeit zur S&S abspricht: "[T]he flintlock-wielding Puritan swordsman ist very much of his time -- the Elizabethan era, roughly late 16th - early 17th century -- and therefore belongs to adventure fiction or historical fantasy." (2) Ein Urteil, dem ich mich nicht anschließen kann. Wie Howard 1933 in einem Brief an Lovecraft bekundete, war die historische Abenteuergeschichte sein bevorzugtes Genre: "There is no literary work, to me, half as zestful as rewriting history in the guise of fiction. I wish I was able to devote the rest of my life to that kind of work". (3) Und auch wenn der phantastische Charakter der Conan - Geschichten es ihm erlaubte, auf zeitraubende Recherchen über das historische Setting zu verzichten, entwickelte er sie doch ganz bewusst aus einer ähnlichen Perspektive. Nicht zuletzt durch die Ausarbeitung des Hyborian Age als einer fiktiven Frühgeschichte unserer Welt, dessen Länder und Völker deutlich erkennbare Analogien zu realtweltlichen Kulturen darstellen. Mark Finn geht in seiner Howard-Biographie Blood & Thunder so weit, zu erklären: "The mixing of historical romance (even if, in the case of Kull, the history was speculative) with weird and horrific elements (even something as mundane as ghosts and witches) is what defines heroic fantasy." (4) Und in der Tat hat die Sword & Sorcery diese Verbindung nie ganz gekappt. Immer wieder hat sie Stories hervorgebracht, die in einem realtweltlich-historischen Setting spielen. (5) 

Einem besonders faszinierenden Beispiel dafür will ich mich in diesem Beitrag zuwenden: Richard L. Tierneys Geschichten um Simon of Gitta, die in dem 2020 von Pickman's Press herausgegebenen Band Sorcery Against Caesar gesammelt neuerschienen sind. Da der Artikel wieder einmal dabei war, auf Überlänge anzuwachsen, habe ich allerdings beschlossen, ihn in drei Teilen zu veröffentlichen. Und so werden wir dem samaritanischen Ex-Gladiator und Magier heute noch nicht in Person begegnen.


                                                  * * *
Der am 1. Februar dieses Jahres verstorbene Richard L. Tierney dürfte hierzulande eher unbekannt sein. Außer den sechs Red Sonja - Büchern, die er zusammen mit seinem Kumpel David C. Smith in den 80er Jahren geschrieben hat, sind nur seine Romane The House of the Toad (Im Haus der Kröte) und The Winds of Zarr (Die Winde der Zarr) in deutscher Übersetzung erschienen. In Amerika sieht die Lage freilich etwas anders aus. 
Tierney hat einmal erklärt:
I’m not a professional writer and never aspired to be. There were a few things I felt compelled to write and I think I’ve pretty much written them. There was never much of a market for my stuff. 
Tatsächlich war er nie ein kommerziell "erfolgreicher" Autor. Nur die Red Sonja - Romane und einige seiner Howard - Pastiches wurden von größeren Verlagen wie Ace oder Zebra veröffentlicht. Sein eigentliches Oeuvre erschien beinah ausschließlich in Fanzines, Semi-Prozines oder bei Kleinverlagen. Aber vor allem in der Weird Fiction - Community genoss er nichtsdestoweniger ein beträchtliches Ansehen. Mehr noch als sein erzählerisches Werk war dafür seine phantastische Lyrik verantwortlich. Leider habe ich bislang nur eine Handvoll seiner Gedichte lesen können. Doch diese weckten bei mir merkliche Reminiszenzen an Clark Ashton Smiths düster-dekadente Poesie. Und interessanterweise enden die Ähnlichkeiten nicht dabei. Ganz wie der Barde von Auburn war auch Tierney ein ausgesprochen vielfältiger Künstler. Er schrieb nicht nur Verse, Kurzgeschichten und Romane, sondern zeichnete auch und schuf in den 70er Jahren außerdem phantastisch-groteske Statuetten, die gleichfalls ganz in der Tradition von Klarkash-Tons bildhauerischem Werk stehen. (6) Was nicht heißen soll, er sei ein bloßer Nachahmer gewesen. Um die Einschätzung des CAS-Experten Scott Connors zu zitieren:
Dick was as multi-talented a creative artist as Clark Ashton Smith: he was probably the finest poet working in the field at the time; his fiction is quite respected; and in many ways his sculptures were even better than those of Klarkash-Ton.  
Tatsächlich ist mein Eindruck, Tierney habe der "Unheiligen Dreieinigkeit" von Weird Tales (Lovecraft, Howard, Smith) in vielem näher gestanden als die meisten anderen Künstler*innen, die in ihren Fußstapfen gefolgt sind. Das macht ihn zu einem zugleich "unzeitgemäßen" und in meinen Augen sehr faszinierenden Schriftsteller.

                                                  * * *
 
Richard L. Tierney wurde am 7. August 1936 in der Kleinstadt Spencer im Bundesstaat Iowa geboren. Sechs Jahre später zog die Familie nach Mason City, wo er Schule und High School besuchte. Wohl nicht die glücklichste Zeit seines Lebens, verpasste er der letzteren doch den vielsagenden Spitznamen "Old Bastille". 
Schon relativ früh wurde Tierney ein begeisterter Leser phantastischer Literatur. Einen besonders tiefen Eindruck machte Donald Wandreis Erzählung Colossus auf ihn, die er 1950 in der Arkham House - Anthologie Beyond Time and Space entdeckte. Noch Jahrzehnte später beschrieb er sie als "one of the most fascinating stories I had ever encountered, largely because of [its] poetic mood evoking a setting of trans-cosmic vastness". Er verschlang alles, was ihm aus der "goldenen Zeit" der Pulps unter die Finger kam und war schon bald wohlbewandert in den literarischen Welten von H.P. Lovecraft und Robert E. Howard. Vielleicht noch stärker aber schlug ihn phantastische Poesie in ihren Bann. Sein erster Abgott war dabei (nicht überraschend) Edgar Allan Poe. Doch dann fiel ihm der gleichfalls bei Arkham House erschienene Band Dark of the Moon: Poems of Fantasy and the Macabre in die Hände und eröffnete ihm einen Einblick in eine Tradition, die sich von den Romantikern über die Präraffaeliten und Viktorianer bis hin zu Clark Ashton Smith, Lovecraft, Howard und (erneut) Wandrei erstreckte. Besonders angetan war er von Lovecrafts Sonetten-Zyklus Fungi From Yuggoth.
 
Inspiriert von dieser Lektüre begann Tierney schon bald auch selbst Gedichte und Geschichten zu schreiben. Möglichkeiten, sie veröffentlicht zu bekommen, gab es jedoch kaum. Die zweite Hälfte der 50er Jahre war eine denkbar ungünstige Zeit für seine Art der Phantastik. Erst recht, wenn man ein Newcomer war. Die "klassische" Pulp-Ära gehörte weitgehend der Vergangenheit an. 1954 hatte man  Weird Tales endgültig zu Grabe getragen. Die lovecraftianische Literatur wurde vollständig von Arkham House dominiert. Und auch wenn August Derleth in den 60er Jahren einige neue Autoren wie Ramsey Campbell und Brian Lumley fördern würde, schuf seine "Herrschaft" doch nicht gerade eine Atmosphäre, die dem Gedeihen junger und eigenwilliger Stimmen zuträglich gewesen wäre. 
Die Sword & Sorcery derweil befand sich auf einem historischen Tiefpunkt. Nach dem Erscheinen von The Seven Black Priests (1953) hatte Fritz Leiber vorerst aufgehört, weitere Geschichten um Fafhrd und den Grey Mouser zu schreiben. L. Sprague de Camps Tritonian Ring - Saga war zur selben Zeit weitgehend an ein Ende gelangt. Ein Revival würde erst wieder einsetzen, nachdem Cele Goldsmith 1958 die Leitung von Fantastic übernommen und ein Jahr später die Fritz Leiber - Sonderausgabe herausgegeben hatte, die u.a. Lean Times in Lankhmar enthielt. In der ersten Hälfte der 60er Jahre würde sie entscheidend dazu beitragen, das Fundament für den späteren S&S-Boom zu legen, indem sie in ihrem Magazin nicht nur Leibers Halunkenpaar, sondern auch John Jakes' Brak (1963) und Roger Zelaznys Dilvish the Damned (1965) eine Bühne bot. (7)
 
Für Tierney kam das freilich zu spät. Eine ganze Reihe der Stories und Erzählungen, die er zwischen 1956 und 1961 schrieb, wurden Jahrzehnte später (und wohl in überarbeiteter Form) zwar veröffentlicht. Doch zum Zeitpunkt ihrer Entstehung gab es kaum Abnehmer für sie. Und so begann er am Iowa State College in Ames erst Forstwirtschaft, dann  "Wildlife Management" zu studieren. 1961 machte er seinen Bachelor-Abschluss in Entomologie (Insektenkunde). Von 1958 bis 1971 arbeitete er für den US Forest Service, was ihn zuerst nach Nordwest-Oregon, dann nach Alaska und ab 1968 schließlich nach Berkeley (Kalifornien) führte. Offenbar standen ihm die Wintermonate oft zur freien Verfügung und so unternahm er zwischen 1962 und 1966 vier längere Ausflüge nach Mexiko, Mittelamerika und Peru. Er besuchte u.a. die Ruinenstädte von Yucatan und beschäftigte sich recht intensiv mit der Nahuatl-Kultur. Einiges hiervon floss später in seinen Roman House of the Toad ein. Winter und Frühjahr 1964 absolvierte er außerdem ein Aufbaustudium an der University of Massachusetts in Amherst, was er vor allem dazu nutzte, Providence zu besuchen und sich im neuenglischen Lovecraft Country umzutun.
 
Kontakte zur Szene und vor allem zu Amra, dem offiziellen Bulletin der Hyborian Legion, hatte Tierney schon früh geknüpft. Und dort erschien mit Old King Kull im Februar 1962 auch erstmals ein Gedicht aus seiner Feder. Es folgten vereinzelte Veröffentlichungen in Joseph Payne Brennans Magazin Macabre. Die wirkliche Wende setzte aber wohl erst ein, nachdem er in Kalifornien angelangt war. Er lernte den alten Pulpster E. Hoffman Price kennen und wurde schon bald zu einem regelmäßigen und gern gesehenen Gast in dessen "Lamasery" in Redwood. Die an der Wende von den 60er zu den 70er Jahren rasch aufblühende Welt der Fanzines, Semi-Prozines und Kleinverlage schuf außerdem ein Umfeld, in dem der Künstler Tierney endlich Gemeinschaft, Anerkennung und einen (wenn auch bescheidenen) Markt finden konnte. Der Tod August Derleths 1971 beendete außerdem die Herrschaft von Arkham House über die Mythos-Literatur, was dazu führte, dass sich diese allmählich für neue und unkonventionellere Stimmen öffnete. Netzwerke wie der Esoteric Order of Dagon stellten landesweite Verbindungen zwischen den Enthusiasten her. 
   
Ich habe mich hier in der Vergangenheit schon ein paar mal mit Schriftsteller*innen beschäftigt, deren Einstieg sich im Kontext dieses bunten Szene-Mikrokosmos der 70er Jahre vollzog: Jessica Amanda Salmonson, Wilum H. Pugmire, Charles R. Saunders. Was Tierney von diesen abhebt ist, dass er 10-15 Jahre älter war als sie, im Grunde also einer anderen Generation angehörte. Ein Unterschied, den man nicht aus dem Auge verlieren sollte.

1972 zog Tierney nach Minneapolis und versuchte gleichzeitig, eine Karriere als hauptberuflicher Schriftsteller zu starten. Schon bald war er Teil einer Community von Weird Fiction - Fans, die sich um John J. Koblas ("Count Koblas") und Eric Carlson gruppierte. Mit Donald Wandrei und Carl Jacobi lebten außerdem zwei alte Pulp-Veteranen in den Twin Cities. Die Mitgliederschaft der Gruppe fluktuierte stark, aber zum einen oder anderen Zeitpunkt gehörten zu ihr u.a. Phillip & Glen Rahman, Kirby McCauley, der Zeichner Joe West, Dennis Rickard und Don Herron. Die alljährlichen großen Zusammenkünfte, die zu Beginn anscheinend einfach "Oktoberfeste" genannt wurden, später aber in "Minn-Cons" umgetauft wurden, zogen regelmäßig Leute wie David C. Smith, Harry Morris, J. Vernan Shea und offenbar sogar einen jungen S.T. Joshi nach Minneapolis. In seinem Nachruf auf Tierney vermittelt Don Herron einen ungefähren Eindruck der Atmosphäre jener Jahre:   
As I’ve said elsewhere, most of my hour-by-hour hanging out was with Dick, and in retrospect it seems we were mostly tooling around in his VW bug. We made a run up to see the Kensington Runestone (as fans of Robert E. Howard, neither of us had any problem believing Vikings might have made their way along epic waterways into the middle of Minnesota). We went down to Dick’s hometown of Mason City, Iowa where he showed off the bank Dillinger once robbed. Alvin “Creepy” Karpis of the Barker-Karpis gang had lived in our neighborhood. Al Capone had a getaway home on the banks of one of the rivers. Indian mounds. We did it all. Mostly of course we circled around the narrow tombstone-bordered lanes of graveyards, talking weird fiction. Dick is the one who made “the Arthur Machen time of day” part of my mental fabric – the time as the sun sets when light flashes off distant windows, twilight dropping down.
Gedichte und Kurzgeschichten von Tierney erschienen relativ regelmäßig in Magazinen wie Nyctalops, Etchings & Odysseys, Whispers, The Diversifier, The Literary Magazine of Fantasy and Terror, Fantasy Crossroads und Eldritch Tales. Reich konnte man damit sicher nicht werden. Und so arbeitete er eine Zeit lang auch für den esoterischen Verlag Llewellyn in St. Paul. Trotz seines Interesses am Okkulten war Tierney alles andere als ein "True Believer", aber er hatte auch kein Problem damit, Artikel über entsprechende Themen zu schreiben, wenn die Bezahlung stimmte.
Immerhin wurde sein Roman The Winds of Zarr 1975 von Harry Morris' Silver Scarab Press veröffentlicht. Ein Ereignis, das in der Gruppe angemessen gefeiert wurde. Ungefähr zur selben Zeit übersiedelte Kirby McCauley nach New York, wo er schon bald zu einem der erfolgreichsten Genre-Literaturagenten der Zeit avancierte. Auf seine Vermittlung hin erschienen die ersten drei Simon of Gitta - Geschichten (The Ring of Set, The Scroll of Thoth und The Sword of Spartacus) in Andrew Offuts Anthologien-Reihe Swords Against Darkness. Auch schaffte er es, Tierney und Smith den Vertrag für die Red Sonja - Romane zu organisieren. Doch schon bald hatte er mehr als genug andere und "vielversprechendere" Klienten. Allen voran einen jungen Stephen King ...
 
1981 kehrte Tierney in die alte Heimat Mason City zurück, um sich seiner pflegebedürftigen Mutter zu widmen. Er sollte bis ans Ende seines Lebens dort bleiben. Im selben Jahr erschien ein Sammelband seiner Gedichte – Nightmares and Visions – bei Arkham House
Im Verlauf der 80er Jahre sollten außerdem noch einmal eine ganze Reihe von Kurzgeschichten aus seiner Feder das Licht der Welt erblicken. Einige wurden in Space and Time und Weirdbook abgedruckt, doch für das Erscheinen der Mehrheit war ein neuer Freund verantwortlich – Robert M. Price.
In den letzten Jahren hat Bob Price leider vor allem als rechter Provokateur mit Veröffentlichungen wie Flashing Swords #6 und From Secret Asia's Blackest Heart von sich reden gemacht. Doch in den 80ern und 90ern spielte er eine ziemlich wichtige und alles in allem wohl durchaus positive Rolle in der Entwicklung der Mythos-Literatur. Nicht zuletzt als Herausgeber von Crypt of Cthulhu. So trug er u.a. dazu bei, diese für queere Stimmen zu öffnen, und förderte Autoren wie Wilum Pugmire. Was den Simon of Gitta - Zyklus betrifft, ist die Bedeutung, die sein leidenschaftliches Engagement für dessen Fortführung besaß, gleichfalls unbestreitbar.
Die beiden lernten sich 1982 (?) kennen, als Tierney ihm einen Brief in Reaktion auf seinen in Nyctalops erschienenen Artikel The Old Ones' Promise of Eternal Life schickte:
In that bit of pretend-scholarship I argued that the “unexplainable couplet” was to be interpreted in terms of Gnosticism. Dick, of course, was quite interested in ancient Gnosticism, as witness his wonderful tales of Simon of Gitta, i.e., Simon Magus. We went on to correspond thereafter for several years. 
Die Hälfte aller Simon of  Gitta - Geschichten der 80er erschienen in Price-Publikationen wie Crypt of Cthulhu und Pulse Pounding Adventure Stories. The Throne of Achamoth schrieben die beiden sogar gemeinsam. Im August 1984 gestaltete Price eine Tierney-Sonderausgabe von Crypt of Cthulhu. Und Ende der 90er Jahre zeichnete er auch für die erste, bei Chaosium erschienene Sammelausgabe The Scroll of Thoth verantwortlich. 
 
Mit Beginn der 90er begann es allmählich still um den Erzähler Tierney zu werden. 1993 erschien zwar noch The House of the Toad bei Fedogan & Bremer, dem Verlag, den sein alter Minn-Con-Kumpel Philip Rahman Mitte der 80er zusammen mit Dennis Weiler gegründet hatte. Doch davon abgesehen konnte man nur noch hier und da auf einige Gedichte von ihm stoßen. In den 2000ern kam es  noch einmal zu einem kleinen "Revival": 2001 erschien der gemeinsam mit Glenn Rahman geschriebene Simon of Gitta - Roman The Gardens of Lucullus, 2006 der Gedichtzyklus The Doom of Hyboria in Leo Grins Cimmerian und 2008 schließlich der bereits gut anderthalb Jahrzehnte früher geschriebene Simon of Gitta - Roman The Drums of Chaos. Die Hoffnung, dass Winds of Zarr und ein Sammelband seiner cthulhuiden Kurzgeschichten bei Lindisfarne Press neu aufgelegt würden, zerschlug sich allerdings. Und 2006 erklärte Tierney dann in einem Interview: "I don’t seem to receive any more inspirations, divine or otherwise." In den letzten Jahren seines Lebens arbeitete er wohl zusammen mit Glenn Rahman an einem weiteren Simon of Gitta - Roman (The Path of the Dragon), doch ist dieser allem Anschein nach unvollendet geblieben  

                                                  * * *
 
Über den nicht unbeträchtlichen Einfluss, den Lovecraft und sein Cthulhu-Mythos vor allem auf die frühe Sword & Sorcery ausübten, habe ich hier schon mehrfach geschrieben. Auch in dieser Hinsicht stand Richard L. Tierney den Autor*innen der ersten Generation näher als vielen Vertreter*innen des Revivals oder der S&S der 80er Jahre. Tatsächlich ist das cthulhuide Element in den Simon of Gitta - Stories sogar noch sehr als viel expliziter als alles, was sich bei Robert E. Howard, C.L. Moore, Henry Kuttner oder Fritz Leiber findet. Allerdings war Tierneys Umgang mit dem Mythos dabei ein sehr eigener.
 
Sein kurzer, erstmals 1972 veröffentlichter Aufsatz The Derleth Mythos dürfte die früheste kritische Auseinandersetzung mit August Derleths Version des Cthulhu-Mythos gewesen sein, die dank der beherrschenden Stellung von Arkham House lange Zeit als die "kanonische" galt, obwohl sie zum Teil sehr deutlich von der ursprünglichen Vision Lovecrafts abwich. Der in Meade & Penny Friersons HPL abgedruckte Beitrag endet mit folgendem Absatz:
To sum up: The Cthulhu Mythos as it now stands is at least as much Derleth's invention as it is HPL's. The line of Lovecraft's development remains open -- no one has really taken up as yet where he left off -- and it leads toward the cosmic. Yet if one wants to get to the heart of what Lovecraft felt about the cosmos, one must sidestep Derleth and his followers. 
Das Interessante ist nun, dass Tierney trotz dieses Aufrufs in seinen eigenen Werken nicht zum "reinen" lovecraftschen Kosmizismus zurückkehrte. Er nahm vielmehr den Derleth-Mythos und deutete ihn nihilistisch um. Auch bei ihm herrscht ein kosmischer Konflikt zwischen den Älteren Göttern (Elder Gods) und den Großen Alten (Great Old Ones), doch ist dieser kein Kampf zwischen Gut und Böse. Die Großen Alten wollen die Welt in ihrer jetzigen Form zerstören und das absolute Chaos heraufführen. Die Älteren Götter versuchen dies zu verhindern. Aber dafür haben sie ihre eigenen, alles andere als sympathischen Motive. Sie, die "Lords of Pain", haben die materielle Welt geschaffen, damit sich irgendwann empfindungsfähige Lebewesen entwickeln können. Denn sie nähren sich von der psychischen Energie, die durch Schmerz und Leid freigesetzt wird.   
Bei Lovecraft sollte der Cthulhu-Mythos die Lage des Menschen angesichts eines sinn- und seelenlosen Universums versinnbildlichen, das von unveränderlichen Gesetzen beherrscht wird, die nichts mit unseren Wünschen, Bedürfnissen oder Moralvorstellungen zu tun haben.
Now all my tales are based on the fundamental premise that common human laws and interests and emotions have no validity or significance in the vast cosmos-at-large. (8)
Lovecrafts Mythos ist im Kern materialistisch, Tierneys dagegen in gewisser Weise blasphemisch. Die kosmischen Mächte stehen dem Menschen nicht einfach gleichgültig gegenüber, sie sind aktiv daran interessiert, ihm Leid zuzufügen. Das Universum ist nicht sinnlos. Es gibt eine "göttliche Weltordnung". Aber Gott ist ein Sadist.
 
Diese "dark cosmology" bildet den Hintergrund für einen Großteil von Tierneys literarischem Werk. Das gilt für die Geschichten um den Zeitreisenden John Taggart ebenso wie für die Red Sonja - Romane und den Simon of Gitta - Zyklus. Vor allem in letzterem verknüpft er sie mit Elementen aus dem antiken Gnostizismus. Denn schließlich gilt die materielle Welt auch dort als Schöpfung eines bösen Gottes, des Demiurgen.
 
Doch dieser kosmische Pessimismus führt nicht automatisch auch zu einer zynisch-misanthropen Weltsicht. Sehr schön lässt sich das an Winds of Zarr demonstrieren, denn eines der Themen des Romans ist gerade die Gefahr eines Abgleitens in einen mörderischen Menschenhass.
Tierney wurde von Cecil B. DeMilles epischer Talkie-Technicolor-Version der Ten Commandments (1956) zu der Erzählung inspiriert:
I remember I went to it five times the first year it ran! Of course I was steeped in Lovecraftian lore at that time and could sense what was going on “behind the scenes”. 
The Winds of Zarr
ist eine SciFi-Lovecraftianische Version der biblischen Exodus-Geschichte. Eine erste Fassung entstand 1959. Als der Roman 1975 schließlich veröffentlicht wurde, hatte ihn Tierney offensichtlich noch einmal einer Überarbeitung unterzogen, wird in ihm doch z.B. Präsident Nixon namentlich erwähnt. (9) Dennoch überrascht es, wie groß die Parallelen zur Präastronautik sind, hatte Tierney die ursprüngliche Version doch geschrieben, lange bevor die einschlägigen Bücher von Robert Charroux und Erich von Däniken erschienen waren. Immerhin werden die Ägyptischen Plagen und der Zug der Israeliten durchs Rote Meer hier mit der Intervention Außerirdischer erklärt. Der Roman ist damit ein besonders hübsches Beispiel für die enge Verbindung zwischen Cthulhu-Mythos und "Ancient Astronauts" - Humbug, die Jason Colavito in seinem Buch The Cult of Alien Gods ausführlich dokumentiert hat. (10)
Die Welt von Winds of Zarr ist dieselbe, in der auch die Simon of Gitta - Stories spielen. Das heißt vor allem, dass Howards Hyborian Age nicht nur ihre Vergangenheit darstellet, die durch einen großen Kataklysmus von der "realen" Historie getrennt ist, sondern sich Artefakte und Legenden aus dieser Vorzeit bis in die "Gegenwart" erhalten haben. So ist z.B. Nyala, die weibliche Hauptfigur des Romans, eine direkte Nachfahrin des Volks von Brythunia, die während ihrer Ausbildung zur Priesterin nicht nur "in den alten Aufzeichnungen von Stygia und Khem unterrichtet" wurde, sondern auch "das Heldenlied von Conan" gehört hat.
In seiner Darstellung des Mose – hier Mosche ben Amran genannt – hat Tierney mit großer Wahrscheinlichkeit Inspiration aus Sigmund Freuds Der Mann Moses und die monotheistische Religion bezogen. Denn nicht nur entpuppt sich der Prophet bei ihm als Ägypter, die Anfänge des jüdischen Eingottglaubens werden auch mit dem Aton-Kult des Pharao Echnaton verknüpft. Zugleich allerdings in einer hübsch blasphemischen Wende mit dem Cthulhu-Mythos. 
Wenn Lovecraft Elemente der christlichen Tradition mit den Großen Alten in Verbindung brachte, so geschah dies höchstens in Form der Identifikation Nyarlathoteps mit dem "Schwarzen Mann" aus dem Hexenglauben des 17. Jahrhunderts in Dreams in the Witch-House. Tierney hingegen hatte kein Problem damit, die großen "Weltreligionen" mit den Monstergöttern des Mythos zu verbinden. Und so ist Jahwe bei ihm in Wahrheit Yog-Sothoth. August Derleth hatte die Vorstellung geprägt, die Großen Alten seien vor Äonen von den Älteren Göttern an verschiedenen Orten der Erde "eingekerkert" worden. Und Yog-Sothoths Gefängnis befindet sich im Inneren eines Berges auf der Sinai-Halbinsel  (11) 
Bei Lovecraft standen die Großen Alten für die zerstörerischen Kräfte von Anarchie und Zerfall, die die Zivilisation bedrohen. Die Kultisten werden deshalb stets mit dem "Primitiven" oder "Degenerierten" in Verbindung gebracht. Der Inhalt des "Tierney-Mythos" scheint mir dagegen ein deutlich anderer zu sein. Was auch den unterschiedlichen Umgang mit den "Weltreligionen" erklärt.
 
Der eigentliche Protagonist von Winds of Zarr ist der Zeitreisende John Taggat, der aus einer postapokalyptischen Zukunft kommt: Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts kam es zu einem atomaren Weltkrieg. In seiner Folge zerfiel die Welt in drei totalitäre Machtblöcke, bei denen wir ganz offensichtlch an Ozeanien, Eurasien und Ostasien aus Orwells 1984 denken sollen. Doch dann tauchten plötzlich die Raumschiffe der Zarr – einer aus der Andromedagalaxis (?) stammenden Erobererrasse, die unter der Herrschaft des Großen Alten Zathog steht – über der Erde auf und legten die menschliche Zivilisation endgültig in Schutt und Asche. Taggart hat die Apokalypse nur deshalb überlebt, weil er sich den Zarr angeschlossen hat.
Grund für diesen "Verrat an der Menschheit" waren seine vorherigen Erfahrungen mit Krieg und Unterdrückung. Nach all dem Leid, das die Menschen über sich selbst gebracht hatten, schienen sie es ihm nicht mehr wert, weiter existieren zu dürfen. Doch anders als Taraan, ein zweiter Zeitreisender und Zarr-Kollaborateur, schreckt Taggart mitunter vor den mörderischen Konsequenzen seiner Entscheidung zurück. Zwar ist seine Wut über die Ungerechtigkeit der Welt mit einer tiefen Verachtung für die Mehrheit der Menschen gepaart. Wie er Nyala sagt:           

Sieh nur, wie einfach man Menschen in die Sklaverei, in Armut und Tod treibt, nur damit ein paar Fettwänste in übermäßigem Luxus leben können. Warum ziehen die Sklaven den Tod nicht vor? Die Menschheit ist wie eine Münze: 'Fettwanst' steht auf der einen und 'Feigling' auf der anderen Seite geschrieben. Ein Menschenschinder ist kein Held, sondern ein auszumerzendes Geschöpf. Und die Erfolgreichsten sind jene, die die meisten Feiglinge zusammenschlagen können und alle Mittel einsetzen, um dieses Ziel zu erreichen, sei es durch Folter, Verrat, Totschlag oder Mord.
Doch er empfindet immer noch zu viel Empathie für die Leidenden und Unterdrückten. Weshalb er sich auch ohne zu zögern auf die Seite der Sklaven stellt und die Zarr für ihre Befreiung vom Joch des Pharaos Ammenmeses einzuspannen versucht. Freilich ohne zu wissen, dass er damit nur den größeren Plänen der Außerirdischen in die Hände spielt.

Diese zwischen Rebellion und misanthroper Verzweifelung hin und her schwankende Weltsicht scheint mir dem "Tierney-Mythos" zugrundezuliegen. Ausgangspunkt ist dabei der Hass auf eine von Ausbeutung und Unterdrückung geprägte soziale Ordnung. Doch steigert sich dieser schließlich zu einer Art "metaphysischen" Wut auf die Ungerechtigkeit des menschlichen Daseins an sich. Ganz am Ende von Winds of Zarr erklärt Taggart:
Solange ein Lebewesen unter Schmerzen leben und in Schrecken sterben kann, stimmt etwas nicht mit dem Grundgesetz des Universums. Und dieses Grundgesetz muß geändert werden!
Ich würde nicht so weit gehen, Taggart als ein Alter Ego des Verfassers zu bezeichnen. Dazu weiß ich zu wenig über Richard L. Tierneys tatsächliche Weltsicht. Doch gibt es zumindest einige wenige Indizien, die dafür sprechen, dass er sich von der Realität des bürgerlichen Amerikas der 50er und 60er Jahre abgestoßen fühlte, jedoch keinerlei Hoffnung hegte, diese könne umgestürzt und durch eine bessere Ordnung ersetzt werden. So träumte er bei Beginn seines Studiums der Forstwirtschaft anscheinend davon, sich nach dem Abschluss in die Waldeinsamkeit zurückziehen zu können. Und Don Herron erzählt, Tierney habe lange Zeit vorgehabt (oder zumindest behauptet, es vorzuhaben) mit 40 Selbstmord zu begehen:
His rationale was purely intellectual. He had decided over the years that he’d never met anyone over the age of 40 worth talking to, and not to put himself in those ranks it’d be better to cash out.
Wenn Nyala Taggart am Ende von Winds of Zarr fragt: "[G]laubst du nicht, daß wir Leid mit Freude und Haß mit Liebe bekämpfen können?", wirkt das wie eine bewusste Anspielung auf den Love & Peace - Idealismus der Hippies. Und ich bezweifle nicht, dass Tierney diesen ebenso deutlich als naiv verworfen hätte, wie sein zeitreisender Protagonist.
Mir ist nichts über die politischen Ansichten des Autors bekannt. Seine 1997 erschienene Erzählung The Lords of Pain hinterlässt den Eindruck, dass er wohl eher nicht auf der radikalen Linken stand. Auch unterhielt er in den 70ern eine anhaltende Korrespondenz mit E. Hoffman Price, der zu dieser Zeit extrem rechte Standpunkte vertrat. (12) Robert M. Price bezeichnet den Freund in seinem Vorwort zu Sorcery Against Caesar als einen "freethinker" (13),– aber was heißt das schon genau? Ich jedenfalls habe das Gefühl, dass er einer jener instiktiven Rebellen ohne Perspektive war.  
 
Eben dieser Mischung aus Wut, Aufbegehren und Hoffnungslosigkeit werden wir wiederbegegnen, wenn wir uns im zweiten Teil dieses Beitrags dann endlich den Simon of Gitta - Geschichten selbst zuwenden.



(1) Natürlich speiste sich die frühe Sword & Sorcery daneben auch noch aus anderen Quellen. Vor allem H. Rider Haggard und Edgar Rice Burroughs dürfen nicht unerwähnt bleiben. 

(2) Brian Murphy: Flame and Crimson. A History of Sword-and-Sorcery. S. 12.

(3) Zit. nach: Ebd. S. 60. 

(4) Mark Finn: Blood & Thunder. The Life & Art of Robert E. Howard. S. 113f. Siehe auch Dierk Clemens Günther: History in Robert E. Howard's Fantastic Stories: From an Age Undreamed of to the Era of the Old West and Texas Frontier. (Ich hab' die Arbeit noch nicht selbst gelesen, aber sie klingt interessant).

(5) Ein schönes Beispiel für die diesbezügliche Vielgestaltigkeit des Subgenres ist die 2016 erschienene, von Jesse Bullington und Molly Tanzer zusammengestellte Anthologie Swords v. Cthulhu. Wie ich weiland in meiner Besprechung des Bandes geschrieben habe: "Die Anthologie ist eine in Setting, Stil und Ton recht vielfältige Sammlung von zweiundzwanzig Geschichten. Einige von ihnen greifen ganz direkt Versatzstücke des klassischen Cthulhu-Mythos auf, bei anderen besteht die Verbindung nur in atmosphärischer Hinsicht. Manche spielen vor einem historischen Hintergrund, andere sind in phantastischen Welten, eine sogar in Lovecrafts eigenen Dreamlands, angesiedelt."

(6) Zwei Beispiele kann man sich hier anschauen.

(7) Cora Buhlert schreibt in ihrem Beitrag Cele Goldsmith and the Sword and Sorcery Revival: "I hope that any history of sword and sorcery will also make room for Cele Goldsmith, who championed the genre when it had neither a name nor a market and without whom the sword and sorcery revival may well have been strangled in the crib." Für Flame and Crimson gilt das unglücklicherweise nicht. Ein Fehler, den Brian Murphy inzwischen wohl eingesehen hat und in einer überarbeiteten Neuauflage berichtigen will.

(8) H. P. Lovecraft: Selected Letters. Bd. II. S. 150. Dass die Entstehung des Cthulhu-Mythos letztlich wahrscheinlich weniger mit einem solchen Gefühl der "kosmischen" Verlorenheit als vielmehr mit gesellschaftlichen Ängsten Lovecrafts zu tun hatte, braucht uns hier nicht zu interessieren. Ich habe da vor Zeiten mal einen Essay zu veröffentlicht.  

(9) Ich habe Henry A. Quinns Übersetzung gelesen, die 1978 im Comet - Sonderband 1 erschien.

(10) In seinem Essay The Origins of the Space Gods erwähnt Colavito sogar Tierneys erstmals 1972 veröffentlichten Artikel Cthulhu in Mesoamerica.

(11) Was nicht bedeutet, Tierney stelle das Judentum als einen cthulhuiden Kult dar. Auch bei ihm hätte das mosaische Sittengesetz nicht von so einer monströsen Kreatur wie Yog-Sothoth, einer Verkörperung des reinen Chaos, geschaffen werden können. Dieser scheinbare Widerspruch wird folgendermaßen aufgelöst: Yog-Sothoth hat die Träume einiger besonders sensibler Menschen wie Echnaton, Hammurabi und Mosche beeinflusst, um sie zum Berg Sinai zu locken, damit sie ihn befreien. Dazu sind sie zwar nicht in der Lage, doch der vermeintliche "Ruf des Göttlichen" inspiriert sie zur Erfindung eigener Glaubenssysteme. Am Ende von Winds of Zarr finden unsere Held*innen die späteren "Gesetzestafeln", die sich als eine Hymne Echnatons und ein Auszug aus dem "Codex Hammurabi" entpuppen. Die Zehn Gebote sind also menschlichen Ursprungs.

(12) Berüchtigt ist Price' Vorwort zu dem 1975 erschienen Sammelband Far Lands Other Days, in dem er sich beim Ku Klux Klan für eine seiner alten Pulp-Stories entschuldigte und sich über die "civil ridghts ideocies" und andere liberale "Verbrechen" der Zeit erregte.

(13) In: Richard L. Tierney: Sorcery Against Caesar. S. ii.