"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Mittwoch, 27. Juni 2012

Die Schlümpfe schlagen zurück

Aus den unendlichen Tiefen des Internet dringen beunruhigende Neuigkeiten an unser Ohr. Es jault der Schwarze Hund, denn im sagenumwobenen Stechpalmenwald, an den Ufern des funkelnden Ozeans im fernen Sonnenstaat, bereitet ein Dunkler Herrscher die Eroberung der kinemathographischen Welt durch Horden edelwilder Ökoschlümpfe vor. Horcht und erbebt: 
James Cameron beginnt in diesem Herbst mit den Dreharbeiten für

AVATAR 2, 3 UND 4 !!!

Camerons Maxime war schon immer klotzen, nicht kleckern, aber die Idee, auf einen Schlag gleich drei Sequels zu seinem öden CGI-3D-Scifi-Pocahontas-Quark zu produzieren, erinnert mich irgendwie an die irren Pläne von Dr. Evil. Oder sollte das Ganze bloß ein besonders böser Scherz von Sigourney Weaver sein?

Und es sage mir jetzt bloß niemand, Avatar habe zwar einen lahmen Plot, dafür aber eine antikolonialistische Botschaft gehabt. Erstens machen gute Vorsätze noch keine guten Filme, und zweitens war Camerons aufgeblähter und manipulativer Streifen sowenig eine adäquate Auseinandersetzung mit dem Imperialismus wie Der mit dem Wolf tanzt eine adäquate Auseinandersetzung mit dem Völkermord an den amerikanischen Ureinwohnern ist. In beiden Fällen darf der 'edle Wilde' mal wieder als bloße Projektionsfläche für die Sehnsüchte zivilisationsmüder Westler dienen. Dass Cameron seine 'Zurück zur Natur' - Fantasien mithilfe modernster Tricktechnik auf die Leinwand gebracht hat, ist dabei der Gipfel der Ironie. Wer einen ernstzunehmenden antikolonialistischen Film sehen will, schaue sich lieber Schlacht um Algier oder Queimada von Gillo Pontecorvo an.

Und während ich noch die Botschaft vom avatarischen Overkill zu verarbeiten versuche, grüble ich bereits darüber nach, ob der kommende Judge Dredd - Film ein Werbevideo für den Faschismus sein soll oder ob ich da irgendeinen ironischen Unterton überhört habe ...  

Sonntag, 24. Juni 2012

Ein magischer Moment

Ich habe es schon seit einiger Zeit aufgegeben, mir die neuen Filme von Martin Scorsese anzuschauen, und so habe ich auch Hugo nicht gesehen. Aber ein Gutes mag dieser Film vielleicht haben. Er könnte den Namen Georges Méliès wieder etwas bekannter gemacht haben. Freundinnen und Freunde der SciFi mögen ihn als Schöpfer von La Voyage dans la Lune aus dem Jahre 1902 kennen, des ersten kinematographischen Mondflugs. Doch der französische Zauberer und Filmpionier hat uns eine ganze Reihe wunderbar exzentrischer Werke hinterlassen. Wie zum Beispiel Un Homme de Têtes. Die Geburtsstunde des Kinos muss wirklich ein magischer Moment in der Geschichte gewesen sein:




Deutsche Décadence

Wie vor einer Woche unverbindlich angekündigt, nun also ein weiteres phantastisches Poem. Diesmal aus der Feder des Meisters der marmorgleichen Verse – Stefan George; entstammend seinem wunderbar dekadenten Frühwerk Algabal:

Mein garten bedarf nicht luft und nicht wärme -
Der garten den ich mir selber erbaut
Und seiner vögel leblose schwärme
Haben noch nie einen frühling geschaut.

Von kohle die stämme - von kohle die äste
Und düstere felder am düsteren rain -
Der früchte nimmer gebrochene läste
Glänzen wie lava im pinien-hain.

Ein grauer schein aus verborgener höhle
Verrät nicht wann morgen wann abend naht
Und staubige dünste der mandel-öle
Schweben auf beeten und anger und saat.

Wie zeug ich dich aber im heiligtume
-- So fragt ich wenn ich es sinnend durchmass
In kühnen gespinsten der sorge vergass --
Dunkle grosse schwarze blume?

Donnerstag, 21. Juni 2012

Dampfbetriebene Gespenster?

Professor Xanathon aka Stefan Holzhauer hat vor einer Woche die Ausschreibung für den zweiten Band seiner Anthalogienreihe Steampunk-Chroniken ins Netz gestellt. Ziel soll es diesmal sein, "klassische viktorianische Gruselgeschichten mit Steampunk zu verbinden."

Um ehrlich zu sein, ich bin enttäuscht. Schon der erste Band hat mich ja nicht wirklich vom Hocker gerissen, doch hierbei erwarte ich mir noch weniger. Ich liebe viktorianische Spukgeschichten, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie sie durch die Hinzufügung von Steampunkelementen gewinnen sollten. Außerdem werden die Stories durch diese Themenvorgabe noch stärker als in Æthergarn auf das ausgelutschte Feld des ausgehenden 19. Jahrhunderts in England mit seinen korrekten Gentlemen und korsetttragenden Ladies beschränkt, statt dass man versuchen würde, dem deutschen Steampunk innovativere Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen.

Schade.

Mittwoch, 20. Juni 2012

Die Tragödie des Edward Upward

Fragt mich bloß nicht, warum das jetzt unter 'Mittwoch' erscheint. In Wirklichkeit wurde es jedenfalls  am Samstag, dem 23. Juni 2012, gepostet.


'Anubis' hat letzte Woche einige seiner Gedanken über Edward Upwards 1937 erschienenen Aufsatz Sketch of a Marxist Interpretation of Literature auf Lake Hermanstadt veröffentlicht. Meine erste Reaktion auf Upwards Text (in den Kommentaren zu 'Anubis'' Post) war übertrieben abfällig und etwas einseitig. Meine einzige Entschuldigung dafür ist, dass ich den Sozialistischen Realismus die von den Stalinisten 1934 zur Generallinie erklärte Kunstdoktrin leidenschaftlich hasse. Sie hat so unendlich viel Unheil im letzten Jahrhundert angerichtet, und ihr Schatten liegt bis heute über jeder Debatte über die Beziehung zwischen Kunst und revolutionärer Politik. Auch haben solche Karrikaturen des Marxismus, wie die von Upward vertretene, über Jahrzehnte den Zugang zum reichen Erbe der authentischen marxistischen Auseinandersetzung mit der Kunst versperrt. Das erklärt vielleicht ein wenig meine Wut.
Nachdem ich mich allerdings ein Bisschen näher mit der Person Upwards beschäftigt habe, ist meine Einstellung zu seinem Aufsatz eine etwas andere geworden. Er besitzt für mich auf einmal etwas tief tragisches. Er ist das Dokument eines Künstlers, der sich selbst Gewalt antut, weil er glaubt, dass er nur auf diesem Weg der Sache der Revolution dienen könne. Upward ist damit beispielhafter Vertreter einer ganzen Generation linker Intellektueller.

Als Sohn eines Arztes wuchs Edward Upward (1903-2009) im typisch britischen Mittelklassemilieu auf, empfand jedoch die Atmosphäre der ‘poshocracy’ – wie er sie nannte – schon früh als absolut unerträglich. Dabei fand er in seinem Schulkameraden Christopher Isherwood einen Gleichgesinnten. Isherwood beschrieb seinen Freund später als "a natural anarchist, a born romantic revolutionary." Die beiden gingen zusammen zum Studium nach Cambridge. Ersten literarischen Ausdruck fand ihre Rebellion gegen die konservative britische Gesellschaft interessanterweise in einer Reihe phantastischer Erzählungen. Paul Bond schreibt in seinem Nachruf auf den Schriftsteller: "Whilst in Cambridge, he and Isherwood produced a series of fantastic short stories set in the gothic-bucolic village of Mortmere. What Upward called the ‘surreal medievalism’ of the Mortmere stories offered both writers a literary outlet for their rebelliousness. ‘[A]ll accepted moral and social values were turned upside down and inside out, and every kind of extravagant behaviour was possible and usual. It was our private place of retreat from the rules and conventions of university life,’ wrote Isherwood of the stories. The Mortmere stories circulated in manuscript form amongst their friends, and their skill and invention became a landmark for the 'Auden generation.' Auden regularly read them to his poetry audiences." Wenn Upward in seinem Aufsatz die Phantastik als eine illegitime Flucht vor den Herausforderungen der Gegenwart abkanzelt, ist dies also zugleich eine Absage an seine eigene Vergangenheit.

Wie viele der begabtesten Schriftsteller seiner Generation (Isherwood, W.H. Auden, Stephen Spender), versuchte auch Upward schließlich, seine instinktive Rebellion gegen die bürgerliche Gesellschaft, ihre Wertvorstellungen und ihre Moral, mit dem Kampf der sozialistischen Arbeiterbewegung zu verbinden. Das inspirierende Vorbild der Russischen Revolution führte ihn dazu, sich der Kommunistischen Partei zuzuwenden. Die Beweggründe Upwards hierfür waren verständlich und ehrenwert. Mit der Sensibilität des echten Künstlers erkannte er, dass der Kapitalismus zu einem Hindernis für die weitere Entwicklung der Kultur und der menschlichen Persönlichkeit geworden war. Es war nicht seine Schuld, dass das Sowjetregime und die KP zu dem Zeitpunkt, als er sich ihnen zuwandte, längst aufgehört hatten, die legitimen Vertreter des Kommunismus zu sein. Wie es
Leo Trotzki 1939 in seinem Aufsatz Kunst und Revolution beschrieben hat: "Aber gerade auf diesem Wege hat die Geschichte den Künstlern eine kolossale Falle gestellt. Eine ganze Generation der 'linken' Intelligenz hat während der letzten zehn oder fünfzehn Jahre ihre Augen nach Osten gewandt und ihr Schicksal mehr oder weniger eng, wenn nicht mit dem revolutionären Proletariat, so wenigstens mit der siegreichen Revolution verknüpft. Das ist nicht dasselbe. In der siegreichen Revolution gibt es nicht nur die Revolution, sondern auch jene neue privilegierte Schicht, die sich auf ihren Schultern erhoben hat. In Wirklichkeit hat die 'linke' Intelligenz versucht, ihren Herrn zu wechseln. Hat sie dabei viel gewonnen?" Wohl eher nicht.

Die Kommunistische Partei, der sich Upward nach einem kurzen Besuch in der Sowjetunion 1932 anschloss, war bereits durch und durch stalinisiert. Und damit begann die wirkliche Tragödie des Edward Upward.
Stephen Spender erzählte später, er habe seinem Freund gegenüber einmal einige kritische Bemerkungen über die Parteisäuberungen in der UdSSR gemacht und als Antwort darauf zu hören bekommen, diese seien neben dem 'glorreichen Aufbau des Sozialismus' vernachlässigbare Randerscheinungen. Upward wurde zu einem linientreuen Stalinisten, den weder die wilden politischen Zickzacks, die die KPGB auf Order aus Moskau vollführte,  noch der Große Terror von 1936-38, als Stalin eine ganze Generation von Revolutionären und linken Intellektuellen (darunter so große Künstler wie Boris Pilnjak, Isaak Babel und Wsewolod Meyerhold) ermorden oder moralisch brechen ließ, in seiner Loyalität erschütterten. Und auch wenn er über das Ausmaß der Verfolgungen in der Sowjetunion sicher nicht Bescheid wusste, präsentierten die Moskauer Prozesse, in denen die alte Garde der Bolschewiki als eine Bande 'tollwütiger Hunde' und faschistischer Verräter diffamiert und dem Henker überantwortet wurde, doch aller Welt ein ziemlich deutliches Bild der stalinschen Despotie. Von den britischen Stalinisten wurden sie mit einer begeisterten Medienkampagne und einer blindwütigen Trotzkistenhatz begleitet. Vor all dem verschloss Upward die Augen. Offenbar wollte er es bis zu seinem Tod nicht wahrhaben, dass sein ehemaliges Idol Stalin mehr Kommunisten hatte umbringen lassen als Hitler und Mussolini zusammen.
Mit dieser Einstellung stand er natürlich nicht allein dar. Um nur einige deutsche Namen zu nennen: Bertolt Brecht, Heinrich Mann, Anna Seghers, Lion Feuchtwanger, Theodor W. Adorno, Ernst Bloch. Wenn sie auch nicht alle zu hundertprozentigen Stalinisten wurden, so bewahrten sie in den 30er Jahren doch ganz bewusst Stillschweigen über die blutigen Verbrechen der Kremlbürokratie.
Vergegenwärtigt man sich die historische Situation, so wird die Kapitulation so vieler hervor-ragender Intellektueller vor Stalin vielleicht etwas verständlicher. Angesichts von Hitlers Triumph und dem bedrohlichen Vormarsch des Faschismus in einer Reihe europäischer Nationen erschien die Sowjetunion vielen Linken wie das letzte Bollwerk gegen die hereinbrechende Barbarei. Aber auch wenn das Verhalten dieser Männer und Frauen unter den gegebenen Umständen nachvollziehbar erscheinen mag, ändert das doch nichts an den verheerenden Konsequenzen ihrer Hinwendung zum Stalinismus.
Eine der unverzichtbaren Voraussetzungen für künstlerisches Schaffen ist Aufrichtigkeit – sich selbst und der Welt gegenüber. Große Kunst verträgt sich nicht mit Heuchelei, Konformismus, bewusster Lüge, Liebedienerei oder moralischer und intellektueller Feigheit. Wie also sollten Künstler oder Künstlerinnen ihre Integrität bewahren können, wenn sie sich einer Macht unterordneten, die das monströseste Lügengebäude der Menschheitsgeschichte errichtet hatte? Wie hätten sie nicht verkümmern sollen in der Atmosphäre von Servilität, Byzantinismus und blindem Gehorsam, die in den stalinistischen Parteien und unter ihren Verbündeten herrschte? Um noch einmal Trotzkis Aufsatz zu zitieren: "Die Kunst kann nur insoweit ein großer Bundesgenosse der Revolution sein, als sie sich selbst treu bleibt. Dichter, Maler, Bildhauer, Musiker werden selbst ihren Weg und ihre Methode finden, wenn die emanzipatorische Bewegung der unterdrückten Klassen und Völker die Wolken der Skepsis und des Pessimismus verjagt, die heute den Horizont der Menschheit verdunkeln. Die erste Bedingung für ein solche Regenerierung ist die Abschüttelung der erstickenden Vormundschaft der Kremlbürokratie."
Spätestens seit Anfang der 30er Jahre rang Edward Upward mit dem Problem, wie er sein politisches Engagement mit seinem künstlerischen Schaffen vereinigen könne. Er wollte als Künstler seinen Beitrag im Kampf für eine menschlichere Gesellschaft leisten. Ein Verlangen, das zu kritisieren mir nicht in den Sinn kommen würde. Die Fragen, die sich ihm dabei stellten, sind keineswegs leicht zu beantworten. Sein ernsthaftes Bemühen, sie anzugehen, ist durchaus anerkennenswert. Doch leider begnügte er sich letztenendes weitgehend damit, die Antworten zu übernehmen, die ihm von den stalinistischen Kulturfunktionären vorgegeben worden waren.
Er schreibt: "For the Marxist a good book is one that is true to life. This does not mean that he prefers a photographic naturalism to all other styles of writing: on the contrary [...] For the Marxist critic [...] a good book is one that is true not merely to a temporarily existing situation but also to the future conditions which are developing within that situation. The greatest books are those which, sensing the forces of the future beneath the surface of the past or present reality, remain true to reality for the longest period of time" (S. 5f.). Damit wiederholt er im Grunde nur die Definition des Sozialistischen Realismus, die Stalins Chefhandlanger in Sachen Kultur Andrej Schdanow 1934 auf dem 1. Allunionskongress der Sowjetschriftsteller gegeben hatte: "Genosse Stalin hat unsere Schriftsteller die Ingenieure der menschlichen Seele genannt. Was heißt das? Welche Verpflichtung legt Ihnen dieser Name auf? Das heißt erstens, das Leben kennen, um es in den künstlerischen Werken wahrheitsgetreu darstellen zu können, nicht scholastisch, nicht tot, nicht einfach als 'objektive Wirklichkeit', sondern als die Wirklichkeit in  ihrer revolutionären Entwicklung."*
Zumindest in Upwards Formulierung steckt eigentlich ein ganz richtiger Gedanke. Ein Kunstwerk wird stets die Art und Weise widerspiegeln, in der sein Schöpfer oder seine Schöpferin die Welt wahrnimmt. Dabei ist es völlig unerheblich, ob es sich bei dem Werk selbst um realistische oder phantastische Kunst handelt. Sehr viel wichtiger als die gewählte Form ist die Weltsicht, die dem Werk zugrundeliegt (obwohl zwischen den beiden natürlich eine wie auch immer geartete Verbindung bestehen wird). Wendet man sich nun der Weltsicht zu, so wäre es in der Tat wünschenswert, wenn sich Künstler und Künstlerinnen der Veränderlichkeit der Welt und der sich in ihr vollziehenden Entwicklungen bewusst wären. Ein Gutteil der heutigen Kunst krankt meiner Meinung nach gerade daran, dass ihre Schöpfer und Schöpferinnen ein mehr oder weniger statisches Bild von der Welt haben, meist verbunden mit einem ebenso statischen Bild der 'menschlichen Natur'. Geschichte scheint ihnen oft eine bloße Aneinanderreihung meist wenig erfreulicher Episoden, der Mensch ein unveränderliches und ebenfalls wenig sympathisches Wesen zu sein. Dem gegenüber hat Upward ohne Zweifel recht, wenn er betont: "life is not static [...] movement is the only absolute fact in the material world" (S. 5).
Doch leider meint er, wenn er von den Entwicklungen spricht, die sich unter der Oberfläche der Gegenwart abspielen und deren sich der Schriftsteller bewusst sein müsste, letztenendes bloß den politischen Kampf, den er zudem in stalinistischem Sinne als ein Ringen zwischen der von Moskau angeführten 'kommunistischen' Arbeiterbewegung und den finsteren Mächten des Faschismus interpretiert. Unmissverständlich erklärt er: "For the Marxist the fundamental forces of to-day are those which are working to destroy capitalism and to establish socialism. Consequently he considers that no book can be true to life unless it recognises, more or less clearly, both the decadence of present-day society and the inevitability of revolution." Besagte 'fundamentalen Kräfte' identifiziert er ausdrücklich mit "Soviet Russia" und der "international working-class movement" (S. 8). Selbst wenn man außen vorlässt, dass das Sowjetregime und die von ihm kontrollierten KPs zu diesem Zeitpunkt längst konterrevolutionäre Kräfte geworden waren**, läuft eine solche Argumentation nicht auf die Ausbildung eines tieferen Verständnisses für die Widersprüche und Entwicklungen in der Gesellschaft bei Künstler oder Künstlerin hinaus, sondern auf deren bewusste Unterordnung unter ein politisches Programm. Ganz konsequent verkündet Upward denn auch: "No book written at the present time can be 'good' unless it is written from a Marxist or near-Marxist view-point" (S. 1) und "A writer to-day who wishes to produce the best work that he is capable of producing, must first of all become a socialist in his practical life, must go over to the progressive side of the class conflict" (S. 10f.).
Solche Statements stellen nicht nur eine Vergewaltigung der Kunst, sondern auch des Marxismus dar. Letzterer ist eine Methode zur Analyse der Gesellschaft und ihrer Bewegungsgesetze, mit dem Ziel, Prognosen zu entwerfen und Methoden zu entwickeln, mithilfe derer die Menschen bewusst in ihre Entwicklung eingreifen können. 'Marxistische' Kunst oder eine 'marxistische' Kunstdoktrin kann es im Grunde überhaupt nicht geben, denn wie Leo Trotzki ganz unumwunden erklärt hat: "Die Methoden des Marxismus sind nicht die Methoden der Kunst."***
Wenn ein Künstler oder eine Künstlerin sich mit dem Marxismus und marxistischer Gesellschaftsanalyse beschäftigt, kann das von Vorteil sein, insoweit dies bei ihm oder ihr zu einem tieferen Verständnis der gesellschaftlichen Realität beiträgt. Auf gar keinen Fall jedoch ist eine solche Aktivität die Voraussetzung für 'gute' Literatur oder muss zum Verfassen explizit politischer, 'marxistischer' Bücher führen. Und erst recht lässt sich daraus nicht die Forderung ableiten, dass Künstler und Künstlerinnen parteipolitisch aktiv werden müssten.

Die ganze Schlusspassage von Upwards Aufsatz, in der er dazulegen versucht, warum der Schriftsteller sich unbedingt der Kommunistischen Partei anschließen müsse****, atmet den Geist freiwilliger Selbsterniedrigung. Auf mich zumindest macht der Text den Eindruck, als sträube sich der Künstler in Upward instinktiv dagegen, sich der stalinistischen Parteidisziplin zu unterwerfen. Im Grunde weiß er, dass die Kunst ihre eigenen Methoden besitzt, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Methoden, die nicht mit denen des parteipolitischen Kampfes gleichgesetzt werden können. Aber sein Gewissen, sein Wunsch, einen Beitrag zum Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse und die Bedrohung durch Krieg und Faschismus zu leisten, zwingen ihn dazu, sich den Forderungen der KP und ihrer Moskauer Meister zu unterwerfen. Er sieht ganz einfach keine Alternative, auch wenn er sehr deutlich spürt, dass diese Entscheidung seiner künstlerischen Entwicklung hinderlich sein wird, trotz all seiner gegenteiligen Behauptungen. Spätestens an diesem Punkt scheint mir der Aufsatz gar nicht so sehr an andere Künstlerinnen und Künstler gerichtet zu sein; er ist vielmehr ein Versuch Upwards, sich selbst von der Richtigkeit seiner Entscheidung zu überzeugen. Und darin liegt für mich das, was ich die Tragödie von Edward Upward genannt habe.
Aus marxistischer Sicht kann es nämlich ganz und gar nicht die Aufgabe des Künstlers oder der Künstlerin sein, Parteisoldat zu werden. Was für ein Sinn sollte darin bestehen, ihn oder sie mit Arbeit zu überhäufen, die genausogut auch jemand leisten könnte, der über kein ausgeprägtes künstlerisches Talent verfügt? Wozu diese Verschwendung?
Die Kunst spielt eine wichtige Rolle in der Vorbereitung einer revolutionären Umwälzung, aber nicht, indem sie zu politischer Propaganda wird. Ihre Aufgabe ist vielmehr eine kulturelle, emotionale und ethische. Diese kann sie in vielerlei Gestalt erfüllen: Indem sie den Horizont der Menschen erweitert, ihnen neue Perspektiven auf sich selbst und die Welt eröffnet; indem sie ein unbarmherziges, aber nicht zynisches Bild der Realität entwirft; indem sie das Verlangen nach einer besseren, dem Menschen wirklich angemessenen Welt befeuert; indem sie den Menschen einen Eindruck davon vermittelt, welch ungeheures Potential in ihnen steckt; indem sie den Abscheu vor den herrschenden Verhältnissen, vor Ungerechtigkeit, Grausamkeit und engstirniger Bigotterie zum Ausdruck bringt. Die Liste ließe sich fortsetzen, und kein Punkt auf ihr hätte unmittelbar etwas mit politischer Ideologie zu tun. Denn wie Rosa Luxemburg so schön in der Einleitung zu ihrer Übersetzung von Korolenkos Geschichte meines Zeitgenossen geschrieben hat: "[B]eim wahren Künstler ist das soziale Rezept, das er empfiehlt, Nebensache: die Quelle seiner Kunst, ihr belebender Geist, nicht das Ziel, das er sich bewußt steckt, ist das Ausschlaggebende."

                                                                     * * *

PS: Ich hoffe, dass ich es morgen schaffe, noch ein paar kritische Anmerkungen zu 'Anubis'' Artikel über Sketch for a Marxist Interpretation of Literature auszuformulieren. Aber nagelt mich nicht darauf fest.

* A. Schdanow: Die Sowjetliteratur, die ideenreichste und fortschrittlichste Literatur der Welt. In: Hans-Jürgen Schmitt & Godehard Schramm (Hg.): Sozialistische Realismuskonzeptionen. Dokumente zum 1. Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller. S. 47.
** Zur Illustration lese man z.B. George Orwells Bericht über seine Erlebnisse im Spanischen Bürgerkrieg Homage to Catalonia oder schaue sich Ken Loachs Land and Freedom an.
*** Leo Trotzki: Die Parteipolitik in der Kunst. In: Ders.: Literatur und Revolution. S. 184.
**** Er spricht zwar an keiner Stelle von der KP, doch diese Abstinenz ist vermutlich einzig dem Umstand geschuldet, dass die stalinistischen Parteien 1937 die Volksfrontstrategie, d.h. die Politik prinzipienloser Bündnisse mit sozialdemokratischen und 'antifaschistischen' bürgerlichen Parteien, verfolgten. Aus dem Kontext geht jedoch eindeutig hervor, dass mit der 'sozialistischen Bewegung', in die der Künstler eintreten müsse, die KP bzw. eine ihrer Frontorganisationen gemeint ist.

Montag, 18. Juni 2012

Einer der wirklich großen Meister

Open Culture hat eine Liste der frei zugänglichen Filme des sowjetischen Regisseurs Andrei Tarkowski zusammengestellt. Von seinen sieben Hauptwerken scheint nur das letzte Das Opfer – derzeit nicht frei im Netz verfügbar zu sein.

Tarkowski (1932-86) war einer der wirklich großen Meister des Kinos in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Im ständigen Ringen mit der erstickenden Realität des Stalinismus und seiner vulgären, stumpfsinnigen Bürokratie schuf er eine Reihe von Filmen von großer poetischer Schönheit und tiefer Humanität. Freilich erwies sich seine christlich-pantheistische Spiritualität, die gegenüber dem Stalinismus eine rebellische und befreiende Qualität besessen hatte, letztlich als eine intellektuelle und künstlerische Sackgasse. Seine beiden letzten, im Exil produzierten Filme Nostlaghia und Das Opfer zeigen recht deutlich, dass diese Weltanschauung für eine fruchtbare und erhellende Auseinandersetzung mit der komplexen gesellschaftlichen Realität unserer Zeit inadäquat ist. Doch ändert dies nichts an der überragenden Bedeutung von Iwans Kindheit, Andrej Rubljow, Solaris, Der Spiegel und Stalker.
  
Für Freundinnen und Freunde des Phantastischen dürften besonders Solaris und Stalker inspiriert vom Roman Picknick am Wegesrand der Brüder Strugazki – von Interesse sein. Allerdings ist Tarkowskis ruhige, meditative und poetische Filmsprache sicher nicht jedermanns Sache. Sie bildet den größtmöglichen Gegenatz zu der hektischen, von raschen Schnitten geprägten Technik, die momentan große Teile des westlichen und japanischen Kinos dominiert. Für all diejenigen, die Tarkowski noch überhaupt nicht kennen, vermittelt der Trailer zu Stalker einen ersten, ungefähren Eindruck von der faszinierenden Welt, die einem diese Filme eröffnen, wenn man bereit ist, sich auf sie einzulassen.


Sonntag, 17. Juni 2012

Drei Preise für Cat

Catherynne M.Valente hat den diesjährigen Locus Award gleich in drei Kategorien gewonnen. Zwei der ausgezeichneten Werke sind online zugänglich.

Young Adult Book: The Girl Who Circumnavigated Fairyland in a Ship of Her Own Making

Samstag, 16. Juni 2012

Mit den fahrenden Schiffen ...

Es mag für manche keine Neuigkeit sein, aber mir ist soeben erst bewusst geworden, dass sich in Ann & Jeff VanderMeers Weird Fiction Review ein Artikel von Gio Clairval über den deutschen frühexpressionistischen Dichter Georg Heym findet. Ich habe ihn noch nicht gelesen, aber da Heym zu meinen poetischen Göttern gehört, dachte ich mir, ich könnte meiner Leserschaft rasch eines meiner Lieblingsgedichte von diesem viel zu jung verstorbenen Meister des Phantastischen und Makabren präsentieren. Und mal sehen, vielleicht schaffe ich es ja in Zukunft, an jedem Sonntag ein phantastisches Gedicht zu posten.

Mit den fahrenden Schiffen
Sind wir vorübergeschweift,
Die wir ewig herunter
Durch glänzende Winter gestreift.
Ferner kamen wir immer
Und tanzten im insligen Meer,
Weit ging die Flut uns vorbei,
Und Himmel war schallend und leer.

Sage die Stadt,
Wo ich nicht saß im Tor,
Ging dein Fuß da hindurch,
Der die Locke ich schor?
Unter dem sterbenden Abend
Das suchende Licht
Hielt ich, wer kam da hinab,
Ach, ewig in fremdes Gesicht.

Bei den Toten ich rief,
Im abgeschiedenen Ort,
Wo die Begrabenen wohnen;
Du, ach, warest nicht dort.
Und ich ging über Feld,
Und die wehenden Bäume zu Haupt,
Standen im frierenden Himmel,
Und waren im Winter entlaubt.

Raben und Krähen
Habe ich ausgesandt,
Und sie stoben im Grauen
Über das ziehende Land.
Aber sie fielen wie Steine
Zur Nacht mit traurigem Laut
Und hielten im eisernen Schnabel
Die Kränze von Stroh und Kraut.

Manchmal ist deine Stimme,
Die im Winde verstreicht,
Deine Hand, die im Traume,
Rühret die Schläfe mir leicht;
Alles war schon vorzeiten.
Und kehret wieder sich um.
Gehet in Trauer gehüllet,
Streuet Asche herum.

Waaaaaas ?!?!

In Vorbereitung zu einer etwas ausführlicheren Auseinandersetzung mit Frank Weinreichs Aufsatz Von Verfassungen mit und ohne Schwert - Impressionen idealer Herrschaftsformen in Mittelerde als Ausdruck des politischen Verständnisses von J.R.R. Tolkien habe ich vor kurzem einmal wieder dessen Fantasyessays durchgeblättert und bin dabei über folgende eigenwillige Aussage gestolpert: "Nur ganz wenige Autoren, etwa Raymond Feist und sein Midkemia oder Tracy Hickman und Margaret Weis mit der Dragonlance-Saga stehen in engster tolkienscher Tradition und weisen in ihrem Werk trotz enger Verwandschaft stilistische und inhaltliche Autonomie und annähernd tolkiensche Qualität auf. Wäre Tolkien nicht schon gewesen, würden sie eventuell literaturkritische Beachtung finden, nach ihm mußten sie jedoch Mainstream werden."

Bitte was?! Habe ich das jetzt richtig verstanden, und ist der gute Frank tatsächlich der Meinung, die Dragonlance-Bücher von Weis und Hickman wiesen literarische Qualitäten auf?

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich Ende der 80er Jahre diese Schmöker verschlungen habe. Neben den D&D-Gazetteers waren das wohl die ersten längeren Texte in englischer Sprache, die ich unabhängig von der Schullektüre gelesen habe. Insofern haben sie ganz sicher zu meiner Bildung beigetragen. Außerdem werde ich hoffentlich nie das wunderschöne Wochende vergessen, an dem ich zusammen mit einigen Kumpels Drachen der Verzweifelung und Drachen der Flammen gespielt habe. Aber machen solch nostalgische Erinnerungen die Urväter aller RPG-Romane zu literarisch wertvollen Werken?

Vor einiger Zeit habe ich versucht, die Chronciles wieder einmal zu lesen. Das Projekt erwies sich sehr schnell als ebenso undurchführbar wie eine ähnliche Aktion betreffs Terry Brooks' Schwert von Shannara. Nein, es macht ebensowenig Spaß die Notizen zu einer Rollenspielkampagne zu lesen wie ein amateurhaftes Tolkienplagiat.

So richtig zu Bewusstsein gekommen ist mir dabei allerdings wieder, wie ekelhaft spießig die Dragonlance-Bücher in Fragen der Sexualität sind. Da haben wir also auf der einen Seite die böse, brünette, kurzhaarige und promiskuitive Kitiara und auf der anderen die gute, blonde, wallend-lockige und keusche Laurana. Ich glaub, mir wird grad übel ... Dass die Hauptfunktion der beiden darin besteht, den inneren Konflikt des männlichen Helden Tanis wiederzuspiegeln, setzt dem Ganzen die Krone auf.
Wes Geistes Kind diese Bücher sind, verdeutlicht sehr schön die kleine Lektion in ‘Kein-Sex-vor-der-Ehe!’, die uns so ganz nebenbei in Dragons of Autumn Twilight (Kap. II, 9) erteilt wird.
In Kit sind die beiden weiblichen Schreckgespenster der christlichen Konservativen in eins verschmolzen worden: Die ‘Hure’ (=sexuell aktive Frau) und die ‘Emanze’. Kein Wunder, dass sie von allen Bösewichtern das grausigste Schicksal erwartet: Auf ewig die Geliebte des untoten Lord Soth zu sein. Das gute alte Talionsprinzip eben: Wer mit Sex sündigt wird mit Sex bestraft ...  Tracy Hickman ist bekanntlich ein frommer Mormone und für die stinklangweilige Laurana stand angeblich seine Ehefrau Modell.

Ich weiß schon, warum ich Kitiara stets tausendmal cooler gefunden habe. Der Dark Lady würde ich jederzeit den Treueid schwören. 

Donnerstag, 14. Juni 2012

All die hübschen kleinen Pferdchen

Gibt es eine schönere und unheimlichere Version dieses alten amerikanischen Wiegenliedes?

Eher Ikarus als Prometheus?

Nun ist Prometheus also international angelaufen, und die Reaktionen sind äußerst gemischt. Zu einem filmischen Meisterwerk hat den Streifen offenbar kaum jemand ausgerufen, aber ansonsten reichen die Beurteilungen von "At the Molehills of Blandness" bis zu: "It was a very finely crafted film, that despite some rough patches was still a riveting piece of cinema." Wie immer sehr amüsant ist Hal Duncans Kommentar ausgefallen (Vorsicht: Spoiler!). Die Jungs von RedLetterMedia sind sich nicht ganz sicher, wie sie den Film beurteilen sollen, und auch die Eindrücke, die Kyra, Arthur & Dan in FerretBrains Peacast in Worte zu fassen versuchen, zeichnen sich nicht eben durch Eindeutigkeit aus.

Bis wir uns hierzulande ein eigenes Urteil bilden können, wird noch etwas Zeit vergehen, aber was ich aus den unterschiedlichen Kommentaren für mich herausdestilliert habe, entspricht ungefähr meinen Erwartungen.

Praktisch alle sind sich einig darüber, dass der Film visuell äußerst eindrucksvoll ist. Das wundert mich weiter nicht, bestand darin doch schon immer Ridley Scotts besondere Stärke. Doch leider mangelt es ihm weitgehend an all den übrigen Eigenschaften, die einen wirklich großen Filmemacher ausmachen. Alien bleibt bis heute sein bedeutendster Film – ein echter Meilenstein in der Geschichte des SciFi-Kinos, wenn auch kein makelloses cineastisches Kunstwerk. Schon in Bladerunner zeigt sich dann der Primat der Oberfläche über den Inhalt. Die atemberaubende Szenerie und Scotts Fähigkeit, mit Hilfe der Optik eine intensive Atmosphäre zu schaffen, können leicht darüber hinwegtäuschen, dass es den Charakteren und ihren Beziehungen mitunter an menschlicher Tiefe mangelt. Dennoch bleibt seine Adaption von Philip K. Dicks Do Androids Dream of Electric Sheep natürlich ein Klassiker (und die wohl gelungenste PKD-Verfilmung). Die meisten Filme, die über die nächsten drei Jahrzehnte folgten, bieten eins ums andere Mal dasselbe Schauspiel: Hinter einer auf den ersten Blick beeindruckenden Fassade verbergen sich banale, unausgegorene oder schlichtweg dumme Ideen, was die Beschäftigung mit Scotts Oeuvre zu einer zunehmend frustrierenden Erfahrung macht. Seine mangelnde Bereitschaft, irgendetwas dazu zu lernen oder sich intensiver mit dem von ihm behandelten Material oder der Welt im Allgemeinen auseinanderzusetzen, macht es immer schwerer, sein unbestreitbar vorhandenes, aber eben sehr einseitiges Talent zu würdigen.
Nichts spricht dafür, dass Prometheus einen Wendepunkt in dieser Entwicklung darstellt. Wie erbärmlich die dem Film zugrundeliegenden Ideen offenbar sind, habe ich vor geraumer Zeit bereits einmal angesprochen. Zur Auffrischung hier ein weiteres von Scotts wirren Statements über den Ursprung der Menschheit: "There’s a writer, Erich von Däniken. One of his most famous books was called Chariots of the Gods. Everyone thinks he was out of his mind, you know, for number one, 'we are the creation of gods', if you go back to the 19th century anthropologists, Darwin, and say if you go look at Darwin for the moment and look at the Darwinian idea, the Darwinian thesis, which is seemingly very logical. You know, you’re going from something that gradually comes to two legs and gradually here we are. Then you can go beyond that and you look more mathematically at the feasibility of how we’re able to be sitting here, right now, in this place. [...] Things have changed so dramatically that you can start looking at the idea that all our history can be completely wrong and misguided. Because at some point someone has to put a statement down and have their own thesis, have their own theories. That was then later accepted or later is gradually dissolved and re-drawn or reworked. [...] It’s entirely ridiculous to believe that we are the only ones here. That’s why my first thought is that for us to be sitting here right now is actually mathematically impossible without a lot of assistance. Who assisted? Who made the right decisions? Who was pushing and pulling to adjust us? That’s a fair question." Wenn ich so was lese, komme ich aus dem Fremdschämen gar nicht mehr raus. Ich finde es deshalb absolut nicht verwunderlich, dass man allenthalben  zu hören bekommt, der Plot von Prometheus sei verworren und undurchsichtig. Mike & Jay bringen die allgemeine Irritation sehr schön rüber (Vorsicht: Spoiler! Spoiler!):


Offensichtlich krankt der Streifen ganz allgemein an einem schlampig gemachten Drehbuch, doch das eigentliche Problem besteht denke ich darin, dass Ridley Scott einen Film über die 'großen Fragen' drehen wollte: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was ist der Sinn unserer Existenz? Er wollte einen 'metaphysischen' SciFi-Film, sein 2001, kreieren. Scheinbar gibt es in Prometheus tatsächlich einige Szenen, die direkte Reminiszenzen an Kubricks Klassiker sind. Nun denke ich manchmal, man sollte die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest lieber gar nicht erst stellen. Die Antwort wird selten befriedigend ausfallen. Fragt die Mäuse. Ganz sicher jedoch sollte Ridley Scott sich nicht an diesen Themen versuchen. Er ist einfach nicht der richtige Mann dafür. Dass er es dennoch getan hat, kann ich mich nur als eine Folge von maßloser Selbstüberschätzung erklären.
Als junger Filmemacher hat Scott angeblich einmal gesagt, er wolle der John Ford des Science Fiction - Films werden. Damals wirkte das vermutlich eher sympathisch. Ein junger Rebell mit Ehrgeiz und Visionen. Und mit Alien und Bladerunner hatte er zwar noch lange nicht das Niveau des genialen Western-Großmeisters erreicht, aber doch genug geleistet, um berechtigte Hoffnungen in seine künftigen Arbeiten zu wecken. Inzwischen sind diese Hoffnungen gründlich enttäuscht worden, was allerdings nicht zu größerer Bescheidenheit auf Seiten von Scott geführt hat. Es wäre sicher etwas unfair, ihn allein dafür verantwortlich zu machen. Liest man, was Drehbuchschreiber Damon Lindelof über seine Zusammenarbeit mit dem Regisseur zu sagen hat, oder achtet auf den Ton, den die meisten Interviewer und Filmkritiker gegenüber Sir Ridley anschlagen, dann bekommt man den Eindruck, der Filmemacher sei von Menschen umgeben, die nur zu willig sind, ihm voller Ehrfurcht die Füße zu küssen. Nicht unbedingt das geeignete Umfeld, um eine selbstkritische Haltung zu entwickeln. Aber bei allem Verständnis für die ungesunden Folgen der Starkultur, letztlich sind wir Zuschauer und Zuschauerinnen es, die das Ganze ausbaden müssen.
Alle Interviews mit dem Regisseur bestätigen, dass Scott keinerlei originelle oder interessante Denkansätze im Zusammenhang mit den von ihm aufgeworfenen Fragen anzubieten hat. Die Lösung für dieses Dilemma ist denkbar simpel. Die Tatsache, dass Prometheus keine Antworten, sondern bloß kryptische Andeutungen liefert, wird selbst zum Gipfel der Tiefsinnigkeit erklärt! Nach dem Motto: Leute, es gibt keine eindeutigen Antworten auf die existentiellen Fragen! Das will euch mein Film sagen! Eine philosophisch akzeptable Aussage, die sich aber leider nicht mit dem Szenario des Films verträgt. Denn so, wie dieser angelegt ist, muss es Antworten geben. Und so wird man den Eindruck nicht los, dass das Mysteriöse der Handlung letztlich nur dazu dient, den Eindruck zu erwecken, hinter all dem verberge sich irgendetwas von Substanz, während die Wirklichkeit sehr viel trauriger aussieht. In der Masche, ein Geheimnis auf das andere zu türmen, ohne je zu einer befriedigenden Auflösung zu gelangen, wollen Lee & Darren von BlackDog Podcast wohl nicht zu Unrecht die besondere Handschrift von Damon Lindelof erkennen. Ganz denselben Trick hat dieser schließlich auch in Lost abgezogen. Dass spricht Scott jedoch nicht von der Hauptverantwortung frei. Lindelof hat wahrscheinlich ganz einfach seine individuelle Methode der Trickserei dem scottschen Primat der Oberfläche über den Inhalt hinzugefügt.

Eine der bisher bizarrsten Aussagen Scotts über seinen Film betrifft Jesus und seine Beziehung zu den Spacejockeys. Auch wenn diese Idee keinen direkten Ausdruck in Prometheus gefunden hat, führt dessen religiöse Symbolik doch auf jedenfall zu einem Problem, das ich einmal 'vermischte Motivik' nennen will. Wenn ich es recht verstanden habe, wollte Scott u.a. die Frage des Glaubens problematisieren. Seine Protagonistin Shaw ist eine tiefreligiöse Person, für die die Reise nach LV 223 eine Art Suche nach Gott darstellt. Scott selbst hält nicht eben viel von Religion   – "the biggest source of evil is of course religion" –, und dass Shaws Begegnung mit ihrem Schöpfer ganz anders abläuft, als sie sich das vorgestellt hat, war wohl als ein Kommentar in diese Richtung gedacht. Doch ist eine Expedition, die den biologischen Ursprung der Menschheit zu ergründen versucht, wirklich eine gute Metapher für eine religiöse oder spirituelle Suche? Muss das nicht zu einer irreführenden Vermischung von Glaube und Wissenschaft führen, zu einer Mixtur, die keinem der beiden gerecht wird? Ryan Britt hat dazu einen interessanten Artikel auf Tor veröffentlicht. Tatsächlich scheinen sich alle Wissenschaftler in Prometheus wie Gottsucher und nicht wie Wissenschaftler zu verhalten. Andererseits wird die simplistische Darstellung der 'Suche nach dem Schöpfer' wohl auch nicht den Empfindungen vieler wirklich religiöser Menschen gerecht. Wie verworren Scotts Gedanken zu diesem Thema sind, zeigt sich daran, dass er zugleich ein paar platte Gemeinplätze über die 'Übel der Religion' von sich geben und eine besonders abstruse Version des antiwissenschaftlichen 'Intelligent Design' für diskussionswürdig halten kann.

Es ist vielleicht nicht ganz fair, Prometheus mit Alien zu vergleichen. Dass dies dennoch von fast jedem gemacht wird, ist allerdings nur zu verständlich. Scott kann so oft betonen wie er will, dass der Film kein Prequel sei, die riesige Marketingmaschinerie, die im Vorfeld in Gang gesetzt wurde, war eindeutig darauf ausgerichtet, den Kultstatus des Klassikers auszunutzen, um den kommerziellen Erfolg des neuen Streifens sicherzustellen. Eine Rechnung, die offensichtlich aufgegangen ist. Noch bevor er in den Staaten angelaufen war, hatte er seine Produktionskosten angeblich bereits wieder eingespielt. Dass die Enttäuschung einiger Alien-Fans zu übertriebenen Reaktionen geführt hat (mehrfach soll es zu Vergleichen mit The Phantom Menace gekommen sein), tut dem keinen Abbruch. SciFi-Nerds sind ein schwer zufriedenzustellendes Publikum, aber sie bilden nicht die Mehrheit der Kinobesucher.

Sehen wir einmal von Scotts vermessenem Wunsch ab, die 'großen Fragen' zu thematisieren, so versucht Prometheus vor allem das obsessive Interesse der Fans am Alien-Universum auszubeuten. Ein meiner Meinung nach fehlgeleitetes Interesse.
Ich habe mich nie gefragt, wer oder was der Spacejockey ist oder woher die Eier in seinem abgestürzten Schiff stammen  und zwar aus einem einfachen Grund: Für das, was Alien großartig macht, sind diese Fragen völlig irrelevant. Die Stärke des Filmes (ich wiederhole mich) besteht in seiner Simplizität. Der Plot ist denkbar einfach und alles andere als originell: Eine Gruppe von Leuten auf einem Raumschiff fechtet einen Kampf ums Überleben mit einem mörderischen Monster aus. Der unvergleichliche Mr. Jim Moon hat in seinem Podcast Hypnobobs kürzlich sehr überzeugend dargelegt, dass es eine ganze Reihe von – höflich ausgedrückt – 'Inspirationsquellen' für Scotts Klassiker gibt. Was diesen dennoch zu einem wirklich großen Film macht, ist der dreckige 'Alltagsrealismus'. Unsere Heldinnen und Helden sind keine strahlenden Weltraumrecken oder mutigen Pioniere, sondern simple Malocherinnen und Malocher, die sich auf einmal mit einer Situation konfrontiert sehen, auf die sie absolut nicht vorbereitet sind. Und auch wenn die Crewmitglieder der Nostromo eher mit grobem Pinselstrich gezeichnet sind, besitzen sie alle doch eine spontane Lebendigkeit. Erst aufgrund des Erfolgs von Alien wurden diese Weltallproleten zu Klischees, in Scotts Film sind sie noch lebendige Individuen. Und es ist spannend mit anzusehen, wie sie mit der tödlichen Bedrohung umgehen, wie sie trotz aller Animositäten zusammenzuarbeiten versuchen, wie sie auf einmal nicht nur an ihre 'Prozente' denken, sondern sich für das Wohlergehen ihrer Kameradinnen und Kameraden zu interessieren beginnen. Obwohl Ripley als einzige das Massaker überlebt, ist die Grundstimmung des Filmes nicht pessimistisch oder zynisch.*
Die Antwort auf die Frage, woher das Alien ursprünglich stammt, würde dem nichts hinzufügen. Aber leider vergessen viele Geeks, dass die Welt, in der eine Geschichte spielt, einzig und allein im Interesse dieser Geschichte existiert. Über diese Funktion hinaus besitzt sie keinerlei Daseinsberechtigung. In Alien dienen der Spacejockey und sein Raumschiff in ihrer gigerschen Bizarrerie nur dazu, das Gefühl der unmenschlichen Fremdheit des Universums zu vermitteln. Würde man ihr Geheimnis lüften, dann würde man zerstören, wofür sie künstlerisch stehen.
Ich weiß nicht, wer für diese verquere Sicht auf imaginierte Welten in Büchern oder Filmen verantwortlich zu machen ist: J.R.R. Tolkien? Gene Rodenberry? Gary Gygax?
Auf jedenfall ist das der Grund, warum ich alle Diskussionen darüber, ob Prometheus möglicherweise eine negative Auswirkung auf Alien haben könnte, für ausgemachten Bullshit halte. Jeder einigermaßen reife Freund der cineastischen Kunst sollte einen Film als ein abgeschlossenes Kunstwerk, nicht als Teil eines 'Universums' betrachten. Solange Ridley Scott nicht anfängt, wie George Lucas seine alten Werke zu 'überarbeiten' und gleichzeitig die Originalversion vom Markt nimmt, kann nichts, was er tut, die Qualität seines genialen Jugendwerks verändern.

Und so schaue ich der deutschen Premiere von Promethetus zwar nicht mit Begeisterung, aber dafür mit absoluter Gelassenheit entgegen. Ganz gleich wie schlecht sein neuer Film auch sein mag, Ridley Scott hat vor zweinunddreißig dreiunddreißig Jahren einen unzerstörbaren Beitrag zur Geschichte des Scifi-Films geleistet, für den ihm alle Freundinnen und Freunde des Phantastischen auf ewig dankbar sein sollten. Ganz gleich, was der ergraute Sir Ridley heute und in Zukunft auf die Leinwand bringen wird.


PS: Der eigentliche Grund dafür, warum Prometheus  keine guten Karten bei mir hat, ist natürlich, dass Scotts Film offenbar der finale Todesstoß für Guillermo del Toros At the Mountains of Madness gewesen ist. Ich hätte zu gern gesehen, was der mexikanische Erzphantast aus Lovecrafts Kurzroman gemacht hätte.
PPS: Warum ich keine Probleme mit Spoilern habe? Ein Film, der es nicht wert ist, gesehen zu werden, nachdem er gespoilert wurde, ist es nicht wert, gesehen zu werden.

* Alien besitzt daneben noch eine zweite, sozusagen symbolische Ebene. Das Giger-Monstrum verkörpert sehr deutlich männliche sexuelle Gewalt. Im gegebenen Zusammenhang spielt dies jedoch keine Rolle.

Donnerstag, 7. Juni 2012

"Die Mühle! Nun mahlt sie wieder!"

Es kommt nicht häufig vor, dass man die Rezension eines deutschen Buches in englischer Übersetzung zu lesen bekommt, schon gar nicht im phantastischen Genre. Und so hat Erin Horákovás Besprechung von Otfried Preußlers Krabat auf Strange Horizons ein ganz eigentümliches Gefühl bei mir hinterlassen. Ein Bisschen so wie der Bericht von Amanda White, einer Studentin und angehenden Schriftstellerin aus Nashville/Tennessee, über ihre Reise auf der Deutschen Märchenstraße, deren erster Teil in Nr. 15 von Scheherezade’s Bequest, dem Online-Magazin von Cabinet des Fées, erschienen ist.* Auf einmal befindet man sich selbst in der Rolle des ‘Exoten’ und bekommt einen Eindruck davon, wie anders – um nicht zu sagen verzerrt – der Blick des ‘Fremden’ oft ist. Ich wohne derzeit im Herzen des Odenwaldes, aber ich käme nie auf die Idee, so über Deutschland zu schreiben: "Germany is the home to rolling hills, winding rivers, and forests so densely wooded they’ve been termed black – in all, the perfect setting for fairy tales to be woven into folklore." Das ist beinahe so etwas wie innerwestlicher Exotismus, was ich in diesem Fall allerdings eher charmant finde. Um ehrlich zu sein, enthält Horákovás Artikel nichts wirklich vergleichbares, die Ähnlichkeit besteht lediglich im ‘Blick von außen’. Wie dem auch sei, auf jedenfall hat ihre Rezension mich dazu animiert, ein paar meiner eigenen Gedanken über die Geschichte vom Waisenjungen, der auf der Mühle im Koselbruch zum Schüler der Schwarzen Kunst wird, auszuformulieren.

Horáková schreibt: "The book is a beloved classic in its homeland, but didn't fare so well in translation." Eine mögliche Erklärung dafür sieht sie in der engen Verbindung der Erzählung zu einem spezifischen geographischen und kulturellen Raum, der dem englischsprachigen Publikum weitgehend unbekannt sein dürfte. Ich wäre mir da nicht so sicher. Eine der großen Stärken von Krabat besteht zweifelsohne in der klaren Verortung in der Landschaft und Folklore der Oberlausitz. Aber ob ein deutscher Leser in dieser Hinsicht wirklich über ein größeres Hintergrundwissen verfügt? Er mag gehört haben, dass die Handlung auf einer alten Volkssage vom Ende des 18. Jahrhunderts basiert, aber wenn er nicht bereits zuvor ein Interesse an sorbischer Folklore besessen hat, wird er diese selbst kaum kennen. Die Tradition der Sternensinger ist ihm vielleicht nicht fremd, aber weiß er, dass die Hahnenfeder ein altes Attribut des Teufels ist, kennt er sorbische Osterbräuche oder ist ihm die wendische Sagengestalt des Pumphutt vertraut? Auch auf ihn wird hier vieles fremdartig wirken, zumal Krabat genaugenommen ja gar keine ‘deutsche’, sondern eine sorbische Erzählung ist.
In der englischen Übersetzung, die Erin Horáková vorgelegen hat, scheint man sich bemüht zu haben, diese Fremdartigkeit abzumildern, indem etwa der Name Pumphutt als ‘Big Hat’, der sorbische Begriff Kantorka als ‘The Singer’ wiedergeben wurde. Keine sehr glückliche Entscheidung, wie ich denke. Ob etwa auch der Koselbruch ins Englische übersetzt wurde? Schließlich ließe sich der Name des Ortes als 'sorb. Kosel = Zauber' + 'Bruch = Auwald' aufschlüsseln. Was Sekundärwelt-Fantasy angeht gehöre ich zu den Befürwortern der Übersetzung von Eigennamen, doch bei einer phantastischen Geschichte, die in einem klar erkennbaren Sprach- und Kulturraum angesiedelt ist, finde ich diese Herangehensweise ausgesprochen ungeschickt. Auf diese Weise wird automatisch ein Teil des Zaubers zerstört, der eine solche Erzählung umgibt.


Es fällt mir nicht leicht, die besondere Faszination, die für mich von Krabat ausgeht, richtig zu fassen und zu beschreiben. Aber ein Teil davon hat ganz sicher damit zu tun, dass Preußlers Buch den echten Geist alter Märchen und Volkssagen atmet. In den Szenen auf dem Viehmarkt kommt außerdem noch ein wenig Schwankerzählung in der Tradition von Der Pfaffe Amis, Dyl Ulenspiegel und dem Rollenwagenbüchlein hinzu. Auch ohne großes Hintergrundwissen spürt man einfach, dass die Geschichte einer authentischen Kultur und Tradition entwachsen ist, etwas, was auch das geschicktetste Worldbuilding eines modernen Fantasyautors nicht wirklich nachzuahmen vermag. Neben die geographische und kulturelle tritt als drittes die historische Verwurzelung. Zum einen hat sich Preußler eingehend mit dem Leben und Arbeiten auf einer Mühle des 17. Jahrhunderts beschäftigt, mit den Arbeitsabläufen, dem Jahresrhytmus, den Regeln und Gepflogenheiten der Müllerszunft, was seinen Schilderungen ein hohes Maß an Authentizität verleiht. Zum anderen ist der geschichtliche Kontext, in dem die Geschichte spielt, nicht bloßer Hintergrund, sondern prägt ganz entscheidend Figuren und Handlung, auch wenn dies an keiner Stille explizit ausgeführt wird. 
In diesem Punkt ist Erin Horáková ein merkwürdiger Fehler unterlaufen. Sie beginnt ihren Artikel wie folgt: "In the late 17th century, after the end of the world, a fourteen year old orphan boy named Krabat walks from town to town begging with a troupe of friends. Krabat isn't bitter about his lot. The conflict that will eventually be called the Thirty Years War (though it pushed at either side of that perimeter) has been going on for over a generation. This is the only life he can conceive of. What is there to be bitter about?" Dabei bildet der Dreißigjährige Krieg ganz eindeutig nicht den Hintergrund der Erzählung, sondern vielmehr der Nordische Krieg. Der Meister seinerseits hat im Großen Türkenkrieg gekämpft. Ich halte das für ein nicht unwichtiges ‘Detail’. Die Welt, in der Krabat lebt, ist geprägt von Krieg, Armut und Unterdrückung, aber sie ist nicht jene Höllenlandschaft, in der sich Simplicius Simplicissimus oder Mutter Courage bewegen.

Auch wenn Krabat der Hauch des echten Alten umgibt, ist die Erzählung andererseits wieder sehr modern. So haben die Figuren absolut nichts schablonenhaftes. Keine von ihnen ist ein bloßer Archetyp, sie alle sind lebendige, indidviduell gezeichnete Persönlichkeiten. Das gilt nicht nur für die Lehrlinge, sondern auch für den Meister, der keineswegs bloß dämonische, sondern auch sehr menschliche Züge trägt. Wenn er sich mitunter sinnlos betrinkt, die Lehrlinge ob ihrer Jugend beneidet oder davon erzählt, wie er im Krieg gezwungen war, seinen besten Freund zu töten, wird der einäugige Hexenmeister fast zu einer tragischen Gestalt. Und obwohl wir nie ihren Namen erfahren, ist auch die Kantorka keine bloße Verkörperung ‘weiblicher Reinheit’, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, ein mutiges, willensstarkes und kluges Mädchen.

Hinzu kommt, dass es Otfried Preußler gelungen ist, eine Volkssage aus dem 18. Jahrhundert in einer Weise neu zu erzählen, die eine Verbindung zu Themen des 20. Jahrhunderts eröffnet. Und dass nicht etwa, indem er den Stoff zu einer Allegorie auf Ereignisse der Gegenwart umgeformt hätte. Die Beziehungen sind sehr viel subtiler und zerstören oder verzerren nicht die alte Geschichte.
Der Autor selbst hat einmal geschrieben: "Mein Krabat ist [...] die Geschichte meiner Generation, und es ist die Geschichte aller jungen Leute,die mit der Macht und ihren Verlockungen in Berührung kommen und sich darin verstricken." Preußler gehörte zu jenen deutschen Künstlern, die geprägt wurden durch ihre Erfahrungen im Dritten Reich und im 2. Weltkrieg. Geboren und aufgewachsen in der nordböhmischen Stadt Reichenberg/Liberec wurde er als 19jähriger direkt nach dem Abitur an die Ostfront geschickt, geriet 1944 in sowjetische Kriegsgefangenschaft und verbrachte die nächsten fünf Jahre in unterschiedlichen Gefangenenlagern. In Krabat findet sich ohne Zweifel viel, was auf die Erfahrungen jener Jahre zurückgeht.
Krabat ist zu Beginn der Geschichte arm und heimatlos. Mehr oder weniger ziellos wandert er durch eine Welt, die geprägt ist von der Willkür der Mächtigen, die alle paar Jahre die jungen Männer in die Uniform prügeln, damit sie auf fernen Schlachtfeldern töten und sterben. Als der Meister ihn zu sich ruft und ihm eine Stelle als Lehrling anbietet, zögert er nicht lange, obwohl ihm der Einäugige unheimlich ist. Doch was hat die Welt ihm schon groß anderes zu bieten? Ohne es zu wissen, wird er damit Teil einer teuflischen Maschinerie, aus der er sich mit eigener Kraft nicht mehr befreien kann. Erin Horáková weist sehr scharfsichtig darauf hin, wie unverständlich und scheinbar sinnlos das Treiben auf der Mühle im Koselbruch eigentlich ist.  Die Lehrlinge müssen schwer schuften, aber man erfährt weder, woher das Getreide kommt, noch, was anschließend mit dem Mehl geschieht. Ebensowenig sind die Lektionen in der Schwarzen Schule auf irgendein Ziel ausgerichtet. Jeder muss zwar am Unterricht teilnehmen, doch welchen Teil des Lehrstoffs er sich wirklich aneignet, bleibt ihm selbst überlassen. Und was hat es mit dem Toten Gang und mit den Säcken auf sich, deren Inhalt in jeder Neumondnacht für den Gevatter mit der Hahnenfeder (den Teufel also) gemahlen werden muss? Scheinbar handelt es sich um Menschenknochen, doch davon abgesehen erfahren wir nichts über den Zweck dieser Arbeit. Ebenso willkürlich wirkt das alljährliche Menschenopfer. Sicher, der Meister würde selbst sterben müssen, wenn er nicht einen seiner Lehrlinge opferte, aber warum ist dem so?
Die Lehrlinge sind bloße Rädchen in einem bösen, mörderischen Getriebe, dessen Sinn und Funktion sie selbst nicht durchschauen. Wie Krabat dürften auch sie das Angebot des Meisters angenommen haben, weil das Leben auf der Mühle ihnen immer noch besser erschien als jenes auf der Straße. Letztlich sind es die Umstände, die sie zu Mittätern gemacht haben, was sie keineswegs von aller Verantwortung freispricht. Eine freie Entscheidung ist immer noch eine freie Entscheidung. Aber keiner von ihnen ist 'böse' in dem Sinne, wie man es von Schülern der Schwarzen Kunst vielleicht erwarten sollte. Selbst der Spitzel Lyschko ist bloß ein ordinärer Arschkriecher. Die meisten versuchen sich einfach so gut es geht mit den Verhältnissen zu arrangieren. Man geht seiner Arbeit nach und redet nicht von den Ermordeten. Vieles spricht dafür, dass auch der Meister selbst letztlich nur ein Gefangener dieses Mechanismus ist. Am Ende versucht er ihm ja sogar zu entfliehen, indem er Krabat vorschlägt, sein Nachfolger zu werden.
Die Mühle ist keine Allegorie auf den Nazismus, aber sie ruft doch Assoziationen hervor, die wir ganz ähnlich auch mit totalitären Regimen verbinden.

Am Ende rettet Krabat nicht Macht und nicht Schlauheit, sondern schlichte menschliche Anständigkeit. Seine Versuche, den Meister zu überlisten, scheitern kläglich. Seine magischen Fähigkeiten nützen ihm nichts. Es ist allein seine Angst um die Kantorka, welche dieser verrät, welchen der Lehrlinge sie zu wählen hat. Das mag nicht die allerprofundeste Botschaft sein, aber sie enthält ein gut Stück Wahrheit.

* Alle weiteren Teile werden (hoffentlich) nach und nach auf Enchanted Conversation erscheinen.

Mittwoch, 6. Juni 2012

Von Monstermonolithen und Killerkrabben

Fragt mich bloß nicht, wie's mir in den letzten Tagen ergangen ist! Als vorläufige Rettungs-strategie entschied ich mich jedenfalls dafür, ein paar alte SciFi-Horror-Flicks herauszukramen und die Flucht in die unbeschreiblichen Welten des Schlocks anzutreten. Nicht dass das wirklich etwas bringen würde, aber es vertreibt die Zeit, schadet nicht und erweist sich im Nachhinein vielleicht sogar als ganz interessant. Meine Wahl fiel dabei u.a. auf John Sherwoods The Monolith Monsters (1957) und Roger Cormans Attack of the Crab Monsters (1957).

Es muss irgendwann in der ersten Hälfte der 80er Jahre gewesen sein, in jener längst vergangenen Zeit, als sich die Auswahl im Fernsehen tatsächlich auf drei Kanäle beschränkte, da zeigte der Hessische Rundfunk (glaub ich jedenfalls) in einer allwöchentlichen Reihe die B-Movie-Klassiker von Jack Arnold. Schon recht früh wurde ich auf diese Weise mit so ikonischen Monstern wie Tarantula und der Kreatur von der Schwarzen Lagune bekannt gemacht. Einen tiefen Eindruck hinterließ bei mir außerdem ein Film mit dem deutschen Titel Das Geheimnis der Steinernen Monster. Erst viel später sollte ich erfahren, dass Arnold dabei überhaupt nicht die Regie geführt, sondern lediglich die Idee für das Drehbuch geliefert hatte. Allerdings besitzt der Film tatsächlich einen stark arnoldesken Ton, was wohl vor allem damit zu erklären ist, dass John Sherwood nie einen eigenen Stil entwickelte und sich in diesem Fall offenbar darauf beschränkte, der Vision seines Ideengebers möglichst nahe zu kommen. Wie in Tarantula spielt auch hier die Wüstenlandschaft eine große atmosphärische Rolle.
The Monolith Monsters präsentiert uns die vielleicht originellste Version einer außerirdischen Invasion in den B-Movies der 50er Jahre. Nicht dass der Film auf die Standardklischees des Genres verzichten würde: Die amerikanische Kleinstadt als Ort des Geschehens; der Geologe Dave Miller (B-Movie-Star Grant ‘Shrinking Man’ Williams) als ‘All-American-Hero’, der Intelligenz und Tatkraft in sich vereint; die hübsche, blonde Lehrerin (Lola Albright) als romantisches Interesse und Vertreterin ‘weiblicher Emotionalität’ und ‘Mütterlichkeit’; Daves Mentor Professor Flanders (Trevor Bardette) als Verkörperung der Wissenschaft; Zeitungsmann Martin Cochrane (Les Tremayne) als Stellvertreter der einfachen Bevölkerung. So weit ist also alles wie gehabt. Was Sherwoods Streifen außergewöhnlich macht, ist die Art der Invasoren aus dem All. Statt von intelligenten Eroberern oder Infiltratoren geht die Bedrohung von rasch wachsenden Kristallen aus, den Überresten eines in der kalifornischen Wüste eingeschlagenen Meteors. Das klingt erst einmal reichlich bizarr, funktioniert erstaunlicherweise jedoch sehr gut, und verleiht dem Film einen ganz eigenen Charakter.
Das Motiv der außerirdischen Invasion in den B-Movies der 50er  wir ja häufig als mehr oder weniger verhüllter Ausdruck der Kommunistenhysterie des Kalten Kriegs interpretiert. Im Allgemeinen dürfte dies wohl tatsächlich der Fall sein, auch wenn die besten Vertreter des Genres – wie etwa Don Siegels Invasion of the Body Snatchers oder Nigel Kneales Quatermass II - Serie – in dieser Hinsicht eine faszinierende Ambivalenz an den Tag legen und neben der scheinbar so selbstverständlichen antikommunistischen auch ganz andere Möglichkeiten der Interpretation eröffnen. Mit den Monolith Monsters verhält es sich noch einmal anders. Zwar glauben sowohl Dan Schneider als auch Glen R. Chapmandass man die Kristalle als Symbol für eine kommunistische ‘fünfte Kolonne’ verstehen könne, aber ich halte das für etwas sehr weit hergeholt. Statt nach einer tieferen Bedeutung zu suchen, ist es in diesem Fall denke ich angebrachter, sozusagen an der Oberfläche zu bleiben. Die Kristalle sind eine auf Silizium basierende Lebensform, die bei Berührung mit Wasser zu wachsen beginnt und ihrer Umgebung alles Silizium entzieht, was bei Menschen zu einer Art ‘Versteinerung’ führt. (Mit wissenschaftlicher Plausibilität hatten solche Filme bekanntlich wenig am Hut). Sie sind ganz einfach eine fremde Naturgewalt, der die Menschen anfangs hilflos gegenüberstehen, weil sie sie noch nicht verstehen. Dazu passt auch der fürchterlich pathetische Eröffnungsmonolog:


Das Ganze hat etwas leicht kosmizistisches: Die Unendlichkeit des Weltalls, die Winzigkeit der Erde, die weitgehende Schutzlosigkeit der Menschen vor dem, was aus den fremden Weiten kommen mag. Monolith Monsters wird aus diesem Grund auch immer wieder als ein Vorläufer zu The Andromeda Strain von Michael Crichton/Robert Wise bezeichnet.
Auf eine etwas andere Weise wird dasselbe Thema noch einmal angesprochen, wenn Daves Kollege Ben den Kristall zum ersten Mal untersucht und seinem Bekannten Cochrane dabei erzählt, es gebe nichts mehr wirklich 'neues' in der Welt, höchstens einige Dinge, die wir noch nicht ganz verstanden haben. Damit hat er zugleich recht und unrecht. Vor ihm auf dem Tisch liegt etwas wirklich neues, aber mit Hilfe der Wissenschaft werden Dave und Professor Flanders es zu verstehen lernen.
Der eigentliche Reiz von Monolith Monsters besteht aber ohnehin nicht in einem möglichen Subtext, sondern in den riesigen Kristallen selbst. In der großartigsten Szene des Filmes stehen Dave und Flanders in der Nähe des Kraters in der Wüste, während über ihnen mehrere der gewaltigen, schwarzglänzenden Gebilde in den düsteren, wolkenverhangenen Himmel ragen. Diese 'Monster' mögen nicht so bedrohlich wirken wie etwa eine Riesenspinne, aber auf ihre Art sind sie sehr viel unheimlicher und fremdartiger als Tarantula & Co.
Die Trickeffekte von Altmeister Clifford Stine, dessen Karriere 1933 auf dem Set von King Kong begonnen hatte, sind zwar nicht mehr taufrisch, wirken aber auch nicht lächerlich. Bis heute ist es ein Geheimnis geblieben, wie genau er den Eindruck hervorgerufen hat, dass die Kristalle sowohl in die Höhe als auch in die Breite wachsen. Vermutlich durch einen ebenso simplen wie wirkungsvollen perspektivischen Trick.

Mit Attack of the Crab Monsters bewegen wir uns in etwas anderes Territorium. Schlockmeister Roger Corman steht in dem Ruf, eine ausgezeichnete Nase dafür besessen zu haben, was in den Autokinos gerade gut ankam, woraufhin er nicht zögerte, mit einem minimalen Budget jeden Trend auszunutzen, um ein paar Dollars mitzuverdienen. In ihrer Absurdität sind die Crab Monsters ein ausgezeichnetes Beispiel für die Masse der in den 50ern beliebten Creature Features. Der Plot besitzt mehr Löcher als ein Schweizer Käse, die schauspielerischen Leistungen grenzen mitunter ans Unterirdische und die Monsterkrabben weisen fast schon Ed Woodsche Qualitäten auf. Doch andererseits war Corman ein wirklich talentierter Filmemacher, wie er insbesondere mit seinen Edgar Allan Poe - Adaptionen in den 60er Jahren beweisen sollte. Und davon kann man selbst in einem so lächerlichen Streifen wie den Crab Monsters etwas spüren.
Um was es eigentlich geht? Eine Gruppe von Wissenschaftlern und Marineleuten landet auf einer tropischen Insel, in deren Umgebung Atombombentests durchgeführt wurden. Sie sollen die Folgen radioaktiver Strahlung untersuchen, sind allerdings nicht die ersten mit diesem Auftrag. Vor ihnen ist bereits eine andere Gruppe auf diesem Eiland spurlos verschollen.
Wie seit Formicula jeder Monsterfreund weiß, führt Radioaktivität zu Riesenwuchs unter der heimischen Tierwelt. Diesmal hat es die Krabben erwischt. Allerdings haben diese nicht nur gigantische Formen angenommen, sie sind zudem quasi unverwundbar geworden (wofür eine besonders spaßige pseudowissenschaftliche Erklärung geliefert wird) und verfügen außerdem über die erstaunliche Fähigkeit, die Intelligenz und die Persönlichkeit der von ihnen aufgefressenen Menschen zu absorbieren. Außerdem scheinen sie telepathisch begabt zu sein, und ihr erster (schwer nachvollziehbarer) Schritt auf dem Weg zur Weltherrschaft besteht darin, die Insel peu à peu in die Luft zu jagen.
An dieser Story macht so gut wie nichts Sinn, was der Film durch ein stolperndes, aber alles in allem sehr rasches Pacing zu überspielen versucht (all der Unsinn wird in wenig mehr als 60 Minuten gepackt). Und doch besitzt Attack of the Crab Monsters passagenweise beinahe so etwas wie Charakter und Atmosphäre. Auch wenn er dies nicht konsequent durchhält, verleiht Corman der Geschichte einen apokalyptischen Touch. So hören wir bei der Landung des Teams eine Stimme aus dem Off den Beginn der Sintfluterzählung aus der Genesis zitieren. Die Insel selbst wirkt in der Tat bedrohlich und bedrückend, zumindest immer dann, wenn die Absurditäten des Plots nicht gerade die Stimmung zerstören. Die Sprengungen, die in unregelmäßigen Abständen das Eiland erschüttern, tragen zu dieser Endzeitatmosphäre bei, solange man nicht weiß, woher sie kommen. Und selbst die geisterhaften telepathischen Botschaften der Riesenkrabben besitzen anfangs eine wirklich unheimliche Qualität. Beinahe schon surreal (im positiven Sinne) mutet es an, wenn eine Wissenschaftlerin morgens aus dem Fenster schaut und sagt: ‘Once upon a time there was a mountain.’ Was sie damit ausdrücken will, ist natürlich, dass wieder ein Teil der Insel im Meer versunken ist, doch die stilisierte Sprache verleiht der Szene eine merkwürdig mythische Qualität.

Man verstehe mich nicht falsch: Attack of the Crab Monsters ist ganz fürchterlicher Trash, aber hier und da blitzt eben doch Roger Cormans Genie auf. Sich diesen Film anzuschauen, war darum eine wirklich eigenartige Erfahrung.