"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Samstag, 10. Dezember 2022

 Strandgut

Sonntag, 4. Dezember 2022

Was ist New Edge?

Meine Beschäftigung mit der Sword & Sorcery auf diesem Blog konzentrierte sich bislang beinah ausschließlich auf die Geschichte des Subgenres. Anfangs war "Let Me Tell You Of The Days Of High Adventure" ja sogar ausdrücklich als eine Reihe über die frühen Tage der S&S konzipiert, in der ich zeigen wollte, dass sie von Beginn an mehr war als Conan und Kull. Aber auch nachdem ich den Blickwinkel etwas erweitert hatte, bin ich nur sehr selten über die zweite Blüteära der 60er - 80er Jahre hinausgegangen. Die einzigen neueren Bücher, die ich hier besprochen habe, sind Saladin Ahmeds Throne of the Crescent Moon (2012) und die von Jesse Bullington & Molly Tanzer herausgegebene Anthologie Swords v Cthulhu (2016). Und mit den wirklich aktuellen Entwicklungen im Subgenre habe ich mich bislang überhaupt noch nicht beschäftigt. Auch deshalb, weil ich lange Zeit keinen echten Einblick in sie hatte. Zwar sind mir Websites/E-Magazine wie Heroic Fantasy Quarterly, Swords and Sorcery Magazine, Beneath Ceaseless Skies, Tales From The Magician's Skull und Whetstone durchaus bekannt, aber leider kann ich nicht behaupten, regelmäßig alle (oder auch nur die Mehrzahl) der dort erscheinenden Stories zu lesen. Was ich in Zukunft ändern möchte, denn es scheinen sich da in letzter Zeit recht spannende Sachen abzuspielen.
 
 
Der Begriff "New Edge" ist mir zuallererst in einem Twitter-Thread von Bobby Derie begegnet. Ich muss allerdings gestehen, dass die Nachricht von einer neuen "Bewegung", die offenbar im Frühjahr 2022 in der Sword & Sorcery ausgerufen worden war, anfangs wenig mehr als mildes Interesse in mir weckte. Erst als ich etwas später durch Cora Buhlert erfuhr, dass die Initiator*innen die Herausgabe eines gleichnamigen Magazins planten, wurde ich neugieriger. Konkrete Beispiele für die Veränderungen zu geben, die man anstrebt, ist doch stets überzeugender als alle programmatischen Proklamationen. Also abonnierte ich den entsprechenden Newsletter und konnte mir schließlich am 30. September das New Edge Sword and Sorcery Magazine #0 herunterladen. Die E-Book-Version kann man sich nachwievor kostenlos auf der Website besorgen. Printfassungen gibt es zum Selbstkostenpreis.
 
Doch bevor wir uns den Inhalt genauer anschauen, wollen wir erst einmal versuchen, uns ein etwas genaueres Bild davon zu machen, was die "New Edge" dem eigenen Selbstverständnis nach eigentlich sein soll. Scott Odens im April veröffentlichter Blogpost Putting a New Edge on an Old Blade, mit dem sich die junge Bewegung erstmals an eine breitere Öffentlichkeit im Fandom wandte, hinterließ bei mir ein eher zwiespältiges Gefühl. Denn er beginnt wie folgt:

Swords can grow dull. They can lose their edges through age, through misuse, through simple neglect. They can rust; their hilts can rot and fall off, leaving only a tang of metal for hands to grasp. A sword like that – if you permit me the extended metaphor – is a bit like old genres of fiction.

A genre can grow dull. The accretion of old social mores – the misogyny, racism, and homophobia of bygone eras – can oxidize a genre, making it seem as graceless as a barnacle-encrusted hunk of metal drawn from the sea. A genre’s founders can (and will) die, leaving less-invested imitators to tease out only the surface tropes while its deeper meanings are lost to the ages. And, over time, that genre starts to become irrelevant to the world at large.
In today’s fiction market, this is largely the fate of sword-and-sorcery.
Das klingt ein bisschen so, als lebten wir immer noch in der Ära der Clonans. Die Gewohnheit, ein möglichst dunkles Bild der aktuellen Lage (und erst recht der Vergangenheit) zu zeichnen, um damit die Notwendigkeit eines Neuaufbruchs zu unterstreichen, ist mir natürlich bekannt. Aber ich mag sie nicht besonders und denke sogar, dass dieser rhetorische Kniff potenzielle Gefahren in sich birgt. Und wer etwas besser mit der Geschichte der Sword & Sorcery vertraut ist und deshalb weiß, dass diese Charakterisierung bestenfalls eine gewaltige Simplifizierung darstellt, wird sich zurecht fragen, ob hier nicht gegen ein Phantom der Vergangenheit rebelliert wird.
Aber glücklicherweise erweist sich sehr schnell, dass dem nicht (oder nur bedingt) der Fall ist. Schon Odens Beitrag weist darauf hin, dass der Begriff "New Edge" in Wirklichkeit bereits weit über zehn Jahre alt ist. Zum ersten Mal verwendet wurde er in den 2000ern von Howard Andrew Jones, als dieser Mitherausgeber des längst untergegangenen eZines Flashing Swords war. Auf dessen Seiten hatte er in mehreren Essays zu einer Erneuerung der damals tatsächlich ziemlich moribunden Sword & Sorcery aufgerufen und dabei u.a. geschrieben:
We can find inspiration from the old tales without pastiching them. Specifically, setting aside the sexism and racism and the suspect politics but embracing the virtues of great pulp storytelling. The color. The pace. The headlong thrill and sense of wonder. The celebration not of the everyday and the petty but of those who dare to fight on when the odds are against them.
Seitdem ist viel Wasser den Styx heruntergeflossen. Regelrechte Pastiches sind zwar nicht völlig aus dem Subgenre  verschwunden -- so erschien z.B. 2020 Adrian Coles Elak, King of Atlantis --, scheinen mir aber keine signifikante Rolle mehr zu spielen. Auch habe ich das Gefühl, dass das von Clonans, Comics und 80er Jahre - Flicks geprägte Klischeebild der S&S als "stories about grunting, fur-diaper-wearing barbarians" bei weitem nicht mehr so allgemein verbreitet ist. Wie der Herausgeber des New Edge Magazine, Oliver Brackenbury vom "So I'm Wiriting a Novel ..." - Podcast, in einem auf Black Gate veröffentlichten Interview mit Michael Harrington selbst erklärt hat:
[W]e can put to rest any worries we have about anybody under thirty remembering the glut of Clonans in prose and film form of the 80’s which put a bit of a stink on the genre for years afterward. It’s just not something to be concerned about anymore, which is great news for bringing the genre back to prominence.
Natürlich ist auch heute nicht alles eitel Sonnenschein im Reich der Sword & Sorcery. Doch schon seit längerem lässt sich eine Art Wiedererwachen des Subgenres beobachten, bei dem unkoventionellere Stimmen eine nicht unwichtige Rolle spielen. Das habe selbst ich mitbekommen. Und Brackenbury wäre der letzte, der das leugnen würde. Warum also eine spezielle Bewegung ausrufen? Die Idee dazu entstand im Discord-Gedankenaustausch in der Whestone Tavern. Wie der Herausgeber erzählt:  
This resurgence of New Edge Sword & Sorcery as a term to rally behind, back in the spring of this year, started from that all too familiar conversational space of “How do we get more people into this genre?” Well, if you want more people getting into this thing we love, then you need to include more people!      
Inklusivität und Diversität bilden deshalb das zentrale Anliegen der "New Edge". Will man der Sword & Sorcery zu einer neuen Blüte verhelfen (und diesen Ehrgeiz hat die Bewegung), dann muss man ein neues Publikum und neue Kunstschaffende für sie gewinnen -- jenseits der alteingesessenen Fangemeinde. Und das wiederum kann nur gelingen, wenn jede/r sich in ihr willkommen fühlt. Wenn nicht nur Sexismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit etc. in der Szene offensiv angegangen, sondern auch aktive Bemühungen gestartet werden, Leute zu erreichen, die nicht der traditionell halt doch sehr "weiß-männlichen" alten Garde angehören. Wozu das Magazin einen energischen Beitrag leisten will. Wie Oliver Brackenbury in einem Gespräch mit Bobby Derie erklärt hat:  
My current plan to ensure diversity in the magazine is by being intentional about the authors whose work I solicit. I’m not doing subs, yet, and I suppose when I get there I’ll have to think about how to handle that. For now I’m limiting the number of white guys I publish in any given issue to one or two, out of six authors total.
Nicht dass er behaupten würde, er und seine Mitstreiter*innen aus der Whetstone -  Taverne seien die ersten oder einzigen, die entsprechende Anstrengungen unternähmen:
New Edge Swordy & Sorcery isn’t claiming to have invented the idea of diversity/equity/inclusion in S&S. What it does is add to diversity, equity, & inclusion in S&S, purposefully and with great vigor, while providing a rallying banner the various scattered parties already engaged in this work can choose to unite behind.  
Den Zielen der "New Edge", wie Brackenbury sie formuliert, würde ich mich 100%ig anschließen. Muss aber trotzdem noch einmal fragen, inwieweit es für deren Umsetzung nötig oder sinnvoll ist, eine distinkte "Bewegung" ins Leben zu rufen.
Ich kann zwar gut verstehen, dass es mitunter von Vorteil sein kann, ein Banner aufzupflanzen, um das Gleichgesinnte sich scharen können. "Nach innen" kann das sicher gemeinschaftsstiftend wirken und dabei helfen, eine Art Community des Austauschs und der solidarischen Kooperation zu schaffen. "Nach außen" mag es nützlich sein, um Aufmerksamkeit zu erregen und ein größeres Publikum zu erreichen. Dennoch hege ich eine gewisse Skepsis gegenüber "Bewegungen" im allgemeinen.
Oliver Brackenbury macht es sehr deutlich, dass er nicht den Gatekeeper der "New Edge" spielen will. Auf die Frage "Who decides what's New Edge Sword & Sorcery" anwortet er:
Luckily, as with all genres, there is no central authority. I wouldn’t want to be that authority even if there was some way to enforce its terrifying edicts! Far as I’m concerned, the readers decide for themselves, and can debate amongst themselves, just as we’ve all been doing for ages with sword & sorcery in general.
Er betont sogar ganz ausdrücklich, dass formale wie inhaltliche Experimentierfreude für ihn ein wichtiger Bestandteil der New Edge ist, wobei Brian Murphys Definition der Sword & Sorcery einen lockeren und flexiblen Rahmen für das Ganze abgeben könnte
“S&S can be many things and still be S&S” is a motto of mine. I think its flexibility is truly one of its greatest strengths.
I sometimes imagine it as a truly wild wrestling ring with posts, perhaps seven, akin to Brian Murphy’s excellent genre definition in Flame & Crimson: A History of Sword & Sorcery, that clearly mark boundaries. Yet what runs between them? A strong, highly elastic rope for authors to stretch and bounce off of, executing all kinds of cool, exciting moves!
Ich habe zwar das eine oder andere an Murphys Buch auszusetzen, aber Brackenburys Herangehensweise an die Sword & Sorcery sagt mir eigentlich sehr zu. Ich fürchte bloß, dass die meisten "Bewegungen" früher oder später trotzdem die Tendenz entwickeln, Regeln oder Vorgaben auszubilden, nach denen bestimmt wird, wer dazugehört und wer nicht. Dazu braucht es gar keine alles dominierende Autoritätsperson. Das kann sich ebensogut aus einer Form von Gruppendynamik entwickeln. Zumal die Gefahr der Cliquenbildung meines Erachtens aus sozio-kulturellen Gründen in künstlerisch-intellektuellen Kreisen immer sehr groß ist. Unabhängig vom individuellen Charakter  der beteiiligten Personen. Und wenn dieselbe "Bewegung" sich selbst als eine Art "progressive Avantgarde" darstellt, kann es schnell passieren, dass all jene, die sich ihr (aus welchen Gründen auch immer) nicht anschließen wollen, automatisch in den Ruf geraten, konservativ oder reaktionär zu sein. Vor allem in unserer durch die Culture Wars aufgeheizten Atmosphäre.
 
Freilich habe ich bislang kaum etwas gesehen, was diesen vagen Befürchtungen weitere Nahrung gegeben hätte. Einzig ein Beitrag von Jason Ray Carney auf seinem Blog Spiral Tower lässt erahnen, an welchen Punkten es zu ersten Auseinandersetzungen und Komplikationen kommen könnte. Dabei geht es weniger um neue Zukunftsperspektiven für die Sword & Sorcery als vielmehr um den Umgang mit der Vergangenheit des Subgenres.
 
Was Oliver Brackenbury in seinem Gespräch mit Michael Harrington zu diesem Thema sagt, klingt erfreulich ausgeglichen. Einerseits stellt er die "New Edge" ganz klar in eine Traditionslinie und spricht sich deshalb auch ausdrücklich für eine Beschäftigung mit den Werken der Vergangenheit aus:
[U]nderstanding what came before you in the genre is “very important.” Why? Because we are all standing on the shoulders of giants, whether or not we realize it. So long as you don’t study the greats because you think you have to outright copy them or people won’t accept you — boo to gatekeeping, by the way — then you can only benefit from thoughtful analysis and gleeful enjoyment of past tales. Learning the history of the genre at large isn’t mandatory, but it doesn’t hurt!
Andererseits betont er, dass es sich dabei um eine kritische und reflektierte Auseinandersetzung handeln müsse: "Replicating past works unthinkingly runs the risk of infusing your work with ideas you’d find repulsive – if you realized they were present."
Im Grunde unterscheidet sich das kaum von der Herangehensweise, die ich selbst vor gut anderthalb Jahren einmal in dem Artikel Vom Umgang mit Traditionen darzulegen versucht habe. 
 
Jason Ray Carneys kritische Anmerkungen beziehen sich denn auch nicht auf Brackenbury (dessen Ausführungen zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht veröffentlicht waren), sondern auf einen Newsletter seiner "New Edge" - Mitstreiter*innen Remco van Straten und Angeline B. Adams. Die beiden schreiben dort u.a.: "The Sword & Sorcery genre is currently going through […] a review […] discovering what the genre needs to be to survive, and what needs to be discarded." Carney merkt nicht nur (meiner Meinung nach zuecht) an, dass diese Selbstreflexion weder wirklich neu, noch so allgemein verbreitet ist wie hier angedeutet. Er hat vor allem ein Problem mit dem Begriff "discard". Impliziert dieser nicht, dass es Teile der Tradition gibt, die wir nicht bloß kritisch hinterfragen und analysieren, sondern gänzlich  über Bord werfen sollen? Erst recht, wenn man diesen Absatz hinzunimmt:
There is a form of creation through subtraction too, and one where it is very important to be intentional and look at who we might be excluding, and who we should be excluding – you cannot open the door to new, diverse, readers while putting people on a pedestal whose work is a turn-off to them.

Ich persönlich halte es ja grundsätzlich für Unsinn, irgendwen auf ein Podest zu stellen. Für mich ist eine kritische Herangehensweise stets geboten -- ganz gleich, ob es dabei um Robert E. Howard oder um Joanna Russ geht. Aber ich denke Carney berührt einen wichtigen Punkt, wenn er fragt: "Who is this "we" making decisions about what to include and exclude?"

Howard Andrew Jones schließt seinen Beitrag The Origin of the New Edge wie folgt:
My sincerest hope is that it will never become one of the dividing lines we keep tripping over and that the New Edge instead remains a campfire around which we can gather and share the kind of fiction we love.
Natürlich wird es immer Leute geben, mit denen man aus guten Gründen nicht am selben Lagerfeuer sitzen will. Abgrenzung kann notwendig sein. Schließlich gibt es in der Sword & Sorcery - Gemeinde tatsächlich ein offen rechtsextremes Segment. Dennoch hoffe auch ich, dass die "New Edge" eine möglichst offene und kameradschaftliche Atmosphäre pflegen wird, in der auch Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen im Geiste gegenseitigen Respekts und gemeinsamer Liebe zum Subgenre ausgetragen werden können. Dann besäße diese "Bewegung", wie immer sonst ihre Zukunft auch aussehen mag, ganz sicher das Potential, einen positiven Beitrag zur Erneuerung der Sword & Sorcery zu leisten.


Wenden wir uns nun also endlich dem Inhalt des Magazins zu. 
 
The Curse of the Horsetail Banner von Dariel R.A. Quiogue ist eine passable, aber nicht besonders innovative oder originelle S&S - Geschichte -- trotz des "mongolischen" Settings. 
Durch die Intrigen seines verräterischen Blutsbruders Jungar ist der ehemalige Khan Timur Orhan zum Vogelfreien geworden und befindet sich nun auf der Flucht durch die Steppe. Zufällig verschlägt es ihn dabei in eine Region, die für die Stämme eigentlich tabu ist, befindet sich dort doch das Grabmal des legendären Toktengri. Doch als er erschreckt feststellen muss, dass die letzte Ruhestädte des Großkhans von einem Trupp Soldaten aus Wulong (~China) entweiht und das Pferdeschweifbanner des Eroberers geraubt wurde, macht er sich alsbald an die Verfolgung der fremdländischen Frevler. Zumal er überzeugt davon ist, dass ihm die Magie des Banners zum Triumph über den verhassten Jungar verhelfen werde. Als sich ihm auf der Jagd der Adler Zunjebei hinzugesellt, wirkt das beinah wie ein göttliches Omen.  Weder die schwarzmagischen Künste des Eunuchen Lao Cheng noch die Truppen des Kaiserreiches werden ihn aufhalten können!
Natürlich ist es stets erfreulich, wenn eine Sword & Sorcery - Geschichte einmal pseudoeuropäische Gefilde verlässt und dabei nicht in die Falle des Exotismus tappt. Aber so revolutionär wie in den 70ern/80ern bei Charles R. Saunders' Nyumbani - Erzählungen oder Jessica Amanda Salmonsons Tomoe Gozen - Romanen ist das heute sicher nicht mehr. Und da meine persönliche Vorliebe ohnehin eher bei der "städtischen" Gauner- & Halunkenvariante des Subgenres liegt, stellte The Curse of the Horsetail Banner für mich nicht gerade einen fulminanten Auftakt dar.
 
The Ember Inside von Remco van Straten & Angeline B. Adams war da schon eher das, was ich mir unter "New Edge" vorgestellt hatte. Clever, thought-provoking und elegant erzählt.
Die wandernde Dichterin Ymke, ihre Partnerin, die Kriegerin Kaila, und ihr Kumpel Sebastien scheinen eine Art Gaunertrio zu sein. Aber darauf bekommen wir in der Geschichte nur vage Andeutungen. Eines Tages erhält Ymke eine Einladung von dem berühmten Dichter Sigismond, Verfasser des populären Epos Lay of Bärsk the Bloodied, das sie offenbar für ziemlichen Schund hält, auch wenn Kaila großen Spaß daran zu haben scheint. 
Sigismond hat offenbar das Wohlwollen seiner reichen und blaublütigen Patrone verloren. Die junge Generation ist nicht länger an den immer gleichen blutrünstigen Räuberpistolen interessiert.    
‘Is this what’s best in life?’ one duke’s daughter asked one evening. ‘Murder and violence, boots sliding over innards? What is the value in all of this? Where is the humanity?’
Also will er ihnen etwas anderes bieten:          
What I want, Ymke, is your story. They want humanity? I shall give them the true story of a girl who survived the war-torn wasteland of Cruonhinga and somehow made it in the world outside. A brave cripple -- they’ll love it. You of all people must know this. People love to compare themselves to the less fortunate, to believe they would offer succour, sanctuary, to such a person if given the chance.
Unsere Protagonistin ist von dieser Idee allerdings überhaupt nicht begeistert. Erstens sei das ganz und gar keine adäquate Beschreibung ihres Lebens und zweitens habe sie keine Lust, das dasselbe auf "a tale of pity or admonishment" reduziert werde. Doch Sigismond braucht seine Story und um sie zu bekommen, setzt er Ymke kurzerhand unter Drogen.
Was folgt ist eine Reihe von (scheinbaren) Episoden aus ihrem Leben: Die ungewollte Heirat mit einem Großgrundbesitzer; die Geburt von zwei Söhnen, die sie nie zu lieben vermochte; die Flucht in Tagträume von einem freien Leben; das beständige Lodern und Anwachsen einer wütenden Flamme in ihrem Inneren; Szenen von Krieg und Gewalt; die erste Begegnung mit Kale (Kaila); und schließlich der blutige Befreiungsschlag, wenn sie ihren Gatten tötet und dem dumpfen Leben eines Eheweibs entkommt.
Sigismond ist ganz und gar nicht zufrieden: 
Alack, I cannot use any of it. You have no talent for tragedy, Ymke! I wanted meekness, a story to make others weep. You disapprove of my Bärsk, and yet you gave me such hatred and bloodshed!
Doch am Ende erfahren wir, dass das überhaupt nicht Ymkes reale Lebensgeschichte war. Zu der aufgezwungenen Ehe ist es in Wirklichkeit nie gekommen. Weshalb sie sich auch nicht auf so gewaltsame Art selbst befreien musste.
The Ember Inside enthält eine ganze Reihe interessanter Ideen. So geht es u.a. sicher darum, wie das Schicksal Marginalisierter als Material für klischeehafte Stories missbraucht und dabei entstellt werden kann. Doch für mich ist die Erzählung vor allem eine intelligente Reflexion über die Art von Geschichten, die wir erzählen und hören wollen. Sigismonds Bärsk scheint für das klassische Blood & Thunder zu stehen. Dem wird anfangs mangelnde Humanität und Realitätsferne vorgeworfen. Doch die ebenso klassische Emanzipationsgeschichte Ymkes entpuppt sich am Ende gleichfalls als "unecht", mithin bloß als eine andere Art von Klischee. Aber das nimmt ihr nicht ihre Daseinsberechtigung. So falsch es auch ist, wenn wir das Leben realer Menschen auf solche simplistischen Formeln reduzieren (ganz gleich ob rührseliges Melodrama oder wütende Story von Unterdrückung & Selbstbefreiung), Geschichten dieser Art können uns berühren und Ausdruck sehr tiefer Emotionen sein. Weshalb Ymke am Ende sogar ihr (möglicherweise etwas vorschnelles) Urteil über Bärsk in Frage stellt. Was selbstredend nicht das Verhalten von Sigismond entschuldigt, der seine gerechte Strafe erhält.    
 
Old Moon Over Irukad von David C. Smith ist im Vergleich dazu wieder ziemlich klassische Sword & Sorcery - Kost: Ein diebisches Protagonistenpaar; ein verfallener Tempel; ein verräterischer Priester; vampirische Ungeheuer etc. Wenn ich mehr Spaß mit ihr hatte als mit Curse of the Horsetail Banner, dann weil sie meinen persönlichen Vorlieben entgegenkommt. Virissa und Edrion sind sympathische Halunken. Die Story beginnt und endet in einer Kneipe. Salz wird zur Abwehr von schwarzer Magie durch die Gegend geworfen. Und am Ende ist es der korpulente Schwertkämpfer Malon (Edrions Liebhaber), der die Situation rettet. Heldin wie Held sind queer, was für die eigentliche Handlung aber keine Rolle spielt. Doch gerade diese Selbstverständlichkeit ist ja durchaus begrüßenswert.
Hinzu kommt, dass David C. Smith als Verfasser des Oron / Attluma -Zyklus und Co-Autor der Red Sonja - Bücher ein echter Sword & Sorcery - Veteran ist. Seine Geschichte wirkt deshalb auch ein bisschen wie eine Art Statement, dass die "New Edge" kein aggressiver Bruch mit der vorhandenen Tradition sein will und auch deren Vertreter*innen einen Platz in ihr haben können.
 
The Beast of the Shadow Gum Trees von T.K. Rex entfernt sich sicher am weitesten von dem, was man sich klassischerweise unter Sword & Sorcery vorstellt. 
Moth ist eine Art Naturgeist, der aus Liebe zu dem Barden Amas menschliche Gestalt angenommen hat. Als sein Partner nach vielen Jahren stirbt, wünscht er sich selbsts nichts sehnlicher als den Frieden des Todes. Doch dieser wird ihm verwehrt und das Meer spült ihn stattdessen an die Küste eines fremden Landes. Dort begegnet er einem Einhorn, das gegen die von den Menschen hier vor Zeiten angepflanzten Wälder ankämpft, die das ursprüngliche Chaparral-Ökosystem (ein Begriff, den der Text leider wirklich benutzt) zu zerstören drohen.
Die Geschichte ist das deutlichste Beispiel für die Experimentierfreude, die Brackenbury mit der "New Edge" verbindet. Sie dürfte gemeint sein, wenn er in seinem Gespräch mit Harrington erwähnt: "There’s also been some exciting talk already about messing around with non-Western storytelling structures, and themes you don’t often come across in S&S, such as environmentalism." und "Nobody will mistake the tale for an REH story, it leans more into the mythic/weird side of the genre, and I think that’s plenty fine." Ich habe keinerlei Probleme mit so etwas, fühle mich dabei vielmehr an Jessica Amanda Salmonsons Bemühungen erinnert, die Grenzen der Heroic Fantasy in Amazons! stilistisch-inhaltlich zu erweitern. Und mit Stories wie Jaine Saint's Travails von Josephine Saxton oder The Woman Who Loved The Moon von Elizabeth A. Lynn enthielt ja auch diese 70er Jahre - Anthologie bereits so manches, was engstirnige S&S-Fans vermutlich niemals dem Subgenre zuordnen würden.
Was The Beast of the Shadow Gum Trees besonders auszeichnet ist die poetische und elegant rhythmisierte Sprache. Liest man die Geschichte laut, verfällt man dabei ziemlich schnell in eine Artt melodischen Singsang. Zwar enthält die Story den bei einer "Öko-Erzählung" beinah unausweichlichen Seitenhieb auf "Fortschritt" und "Wachstum": "The rate of new inventions has begun to build upon itself, and there are humans who believe that power comes from endless growth." Aber letztenendes geht es mehr um Themen von Vergänglichkeit, Trauer und Loslassen-Können. Und am Ende steht die Erkenntnis, dass Veränderung zwar stets von Verlust begleitet wird, doch dass das Leben/die Natur gerade dadurch immer wieder auch zu neuen Formen findet.
 
Vapors of Zinai von J..M. Clarke ist ein nettes Sword & Soul ("Afro - S&S") - Abenteuer, zu dem ich aber auch nur wenig zu sagen habe.
Kyembe, eine Art Magier "for hire", gelangt auf der Flucht vor seinem letzten (und seeehr unzufriedenen) Auftraggeber nicht ganz freiwillig ins verdammt ägyptisch anmutenden Reich von Zinai. Die ebenso schöne wie kluge und politisch gewandte Hohepriesterin Takhat rekrutiert ihn, um einer ziemlich ernsten Dämonenplage auf den Grund zu gehen, die nicht bloß reihenweise Todesopfer fordert, sondern dabei ist, Autorität und Macht der Priesterkaste zu untergraben.
Was mir an dieser Story besonders gut gefallen hat, ist die erfrischende Respektlosigkeit unseres Helden, dem jedwede Ehrfurcht vor Priestern, Göttern und Dämonen fremd ist. Dennoch erweist sich ihm Takhat als eine ebenbürtige Partnerin. Und dass der böse Dämonenbeschwörer nicht von Machtgier oder Rachsucht, sondern von Langeweile und Ennui angetrieben wird, war eine hübsche Abwechselung.
 
The Grief Note of Vultures von Bryn Hammond erwies sich sehr schnell als mein persönlicher Favorit. Die Geschichte beginnt mit der Schilderung einer gemeinsamen Mahlzeit. und schon das schien mir ein gutes Zeichen zu sein. Tatsächlich wird damit ein zentrales Element der Erzählung geschickt eingeführt: Die Reisegemeinschaft einer "multikulturellen" Karawane, die von unserer Heldin Angaj-Duzmut durch eine "zentralasiatische" Landschaft geführt wird. 
Das gefällt mir gleich auf meheren Ebenen. 
Angaj-Duzmut ist als Spross eines den Tanguten nachempfundenen Nomadenvolkes, die nach ihrer Flucht aus der reichen Stadt Fattimbet eine Zeit lang im "Commonwealth" der Vogelfreien und Gesetzlosen gelebt hat, eigentlich eine klassische Outsider - S&S - Heldin. Doch zugleich ist sie (für die Dauer dieses Abenteuers) Teil einer Gemeinschaft. Bei dieser handelt es sich aber eben gerade nicht um die archetypische "Heldengruppe", die auf irgendeiner Queste wäre. Die Karawane ist vielmehr eine aus der Arbeitswirklichkeit der Menschen geborene Zweckgemeinschaft. Dennoch verbindet ihre aus unterschiedlichsten Kulturkreisen, Religionsgruppen und Ethnien stammenden Mitglieder eine ganz selbstverständliche Kameradschaft. Es ist dieses "soziale" Setting das mir besonders zugesagt hat. Die zwischen den Reisegefährt*innen herrschende Toleranz ist dabei keineswegs ein "utopisches Wunschbild", sondern spiegelt die historische Realität der Gesellschaften wider, die während Antike und Mittelalter entlang der Seidenstraße existierten. Dort war es durchaus üblich, dass man in solch gemischten Karawanen reiste. Und Weltoffenheit ist (aus nachvollziehbaren Gründen) ein Charakteristikum vieler auf dem Handel basierender Zivilisationen.
Zugleich zeigt uns Bryn Hammond sehr schön, wie gut sich dieses "soziale" Setting mit Abenteuer und Action verbinden lässt. Denn wer weiß, was einem alles so auf einer solchen Reise begegnet? Im Falle von Angaj-Duzmut und ihren Gefährt*innen sind das monströse Geier, aus deren Körpern hier und da menschliche Gliedmaßen (oder auch mal ein Auge) wachsen. Die Gruppe sucht schließlich in einem (~buddhistischen) Tempel Zuflucht. Die Fresken im benachbarten Höhlenheiligtum sind nicht nur der Schlüssel zur Rettung, sondern heben noch einmal den quasi-anarchistischen Grundton der Geschichte hervor. Sind die dort abgebildeten Höllenqualen doch ganz den Martern und Bestrafungen nachempfunden, mit denen die Staatsgewalt ihre Untertanen "diszipliniert".
Die einzige Schwäche der Geschichte besteht für mich in der abschließenden Passage, in der uns Angaj-Duzmuts Geliebte, die "Räuberkönigin" des "Commonwealth", diesen Subtext noch einmal auf dem Silbertablett serviert. Was meiner Meinung nach nicht nötig gewesen wäre.       
 
Zum Abschluss noch ein paar kurze Worte über den restlichen Inhalt des Magazins.
Über die kurzen Aufsätze The Origins of New Edge von Howard Andrew Jones und What is New Edge Sword and Sorcery von Oliver Brackenbury muss ich denk ich nichts weiter sagen. Cora Buhlert hat einen sehr schönen und informativen Essay über C.L. Moore and Jirel of Joiry beigesteuert hat, der mir große Freude bereitet hat, nicht nur weil wir beide große Fans der Autorin sind, sondern auch, weil ich es stets begrüße, wenn die Aufmerksamkeit einmal wieder darauf gelenkt wird, dass die Sword & Sorcery von Anfang ihre Heldinnen hatte. Dasselbe gilt für Nicole Emmelhainz' Gender Performativity in Howard's Sword Woman. Zwar erscheinen mir einige ihrer Argumente etwas konstruiert, doch im Großen und Ganzen bietet der Text eine interessante Herangehensweise an die Figur der Dark Agnes. Brackenburys Interview with Milton Davis, das man sich hier auch anhören kann, zeigt am Beispiel der Sword & Soul, dass es schon seit längerem Bemühungen um mehr Diversität in der S&S gibt. Und Brian Murphys Beitrag The Outsider in Sword & Sorcery zeigt am Beispiel einer ganzen Reihe klassischer S&S-Held*innen, dass das Subgenre schon immer den Geist des Nonkonformismus und Rebellentums in sich getragen hat. Einen Geist, den es immer wieder neu und in neuen Formen zu entfachen gilt.
 
Ob der "New Edge" als "Bewegung" eine große Zukunft beschieden ist, vage ich nicht zu prophezeien. Aber die Null-Nummer des Magazins stellt ohne Zweifel eine lohnende Lektüre dar. Bleibt nur zu hoffen, dass es Oliver Brackenbury tatsächlich gelingen wird, weitere Ausgaben von New Edge Sword and Sorcery auf die Beine zu stellen, die dann über Crowdfunding finanziert werden sollen.

Mittwoch, 2. November 2022

Strandgut

Dienstag, 1. November 2022

Erste Begegnungen mit einer Meisterdiebin

Wenn man sich mit der Geschichte der Sword & Sorcery in ihrer ganzen Vielgestaltigkeit beschäftigen will, sieht man sich früher oder später mit dem Problem der mangelnden Zugänglichkeit konfrontiert. Die Beziehung des Genres zu kürzeren Erzählformen wie Short Story und Novelle wird meiner Meinung nach zwar manchmal etwas überbetont -- es gibt durchaus nicht wenige S&S-Romane --, aber traditionell ist sie doch tatsächlich recht eng. Und das wirft gewisse Probleme auf. Was die Anfangszeit in den Pulps angeht, kann man im Zweifelsfall ja immer noch auf das Internet Archive zurückgreifen, wo sämtliche Ausgaben von Weird Tales und anderen relevanten Magazinen (noch?) zu finden sind. Doch für die Ära der 60er - 80er Jahre sieht das deutlich anders aus. Viele der spannendsten Entwicklungen dieser Zeit spielten sich auf den Seiten von Fanzines oder Semi-Prozines ab. Wenn man Glück hat, wurden die Stories später noch einmal in Sammelbänden herausgegeben wie Darrell Schweitzers We Are All Legends, Richard Tierneys Sorcery Against Caesar, Ramsey Campbells Far Away & Never oder Janrae Franks In the Darkness, Hunting. Oder es gibt zeitgenössische Anthologien wie Jessica Amanda Salmonsons Amazons! und Amazons II, die einem einen Einblick gewähren. Aber auch an die ist es nicht immer leicht heranzukommen. So wurden z.B. Charles R. Saunders' Geschichten um die Kriegerin Dossouye zwar 2008 bei Sword & Soul Media zu einem Episodenroman verwoben neu herausgegeben, erwerben kann man den Band aber schon seit einiger Zeit nicht mehr. Selbst bei einem lebenden und nicht ganz unbekannten Autor wie Charles de Lint sieht die Sache nicht viel besser aus. Die meisten dürften ihn vor allem mit seinem Beitrag zur Urban Fantasy assoziieren, aber in den 70ern und 80ern schrieb er auch eine Reihe von S&S - Geschichten. Die wurden 2003 zwar in dem Sammelband A Handful of Coppers noch einmal neu aufgelegt, doch für den muss man Second Hand inzwischen mindestens $50 hinblättern. 
 
Daneben gibt es außerdem genug Autor*innen, deren Geschichten überhaupt nie gesammelt wurden, sondern nur einmal in den Magazinen oder Anthologien der Zeit abgedruckt worden sind. 
 
In einem Interview mit Steven Tompkins erzählte Charles Saunders 2007 über David Madison, der tragischerweise 1979 den Freitod gewählt hatte:
Even after all these years, I feel bad about David. He was one of the best of the generation of fantasy and S&S writers which came up through the fanzines and semi-prozines of the 1970s. His work could best be described as "punk S&S."
Klingt spannend, nicht wahr? Doch leider wird man seine Marcus & Diana - Geschichten nur lesen können, wenn man Zugang zu alten Ausgaben von Wyrd, Space & Time, The Diversifier und Dragonfields hat. Bloß Tower of Darkness wurde darüberhinaus auch im dritten Band von Andrew Offutts Swords against Darkness und Peter Bebergals Appendix N (2020) abgedruckt.
 
Noch etwas schlechter steht es um die Jaquerel - Geschichten von Janet Fox. Ich bin der Autorin erstmals in Band 1 von Marion Zimmer Bradleys Sword & Sorceress - Anthologien (bzw. in dessen deutscher Übersetzung Schwertschwester) begegnet, der ihre Story Gate of the Damned (Das Tor der Verdammten) enthält. Später habe ich sie dann in Salmonsons Amazons! mit Morien's Bitch (Moriens Hexe) wiedergetroffen. Und schließlich enthält auch der fünfte Band von Lin Carters Year's Best Fantasy Stories mit Demon and Demoiselle (Das Fräulein und der Dämon) einen Beitrag von ihr. Mit Jaquerel hat keine von den dreien etwas zu tun. Aber da mir vor allem die ersten beiden ziemlich gut gefallen hatten, wurde ich naturgemäß hellhörig, als ich in Charles Saunders' Nachruf auf seine 2010 verstorbene Kollegin und Freundin zu lesen bekam: "She also wrote several stories about a woman-warrior named Jacquerel". Ein kurzer Blick in ISFDB zeigte. dass es insgesamt sechs Geschichten über die Abenteuer der Diebin und Glücksritterin gibt. Doch ganz wie bei Madison hat sich auch bei Janet Fox bis heute niemand gefunden, die/der diesen kleinen Zyklus in gesammelter Form neu herausgegeben hätte. Was eine Schande ist! Dass in diesem Fall das Geschlecht der Autorin "erschwerend" hinzugekommen sein könnte, lässt sich zwar nicht konkret beweisen, unwahrscheinlich ist es aber sicher nicht. Schließlich gibt es genug andere Autorinnen (nicht nur) aus der Phantastik, denen es ähnlich ergangen ist, und deren geballtes Beispiel eine solche Vermutung zumindest nahelegt.
 
Dank der wunderbaren Luminist Archives bin ich vor einiger Zeit wenigstens an Nr. 16 von Weirdbook (1982) sowie die Fantasy Tales vom Frühjahr 1991 herangekommen -- und damit an How Jaquerel Was Slain By the God Brann sowie How Jaquerel Made War in Bel Azhurra.    
 
Es wäre interessant zu wissen, ob das Debut der Heldin How Jaquerel Fell Prey to Ankarrah eine Art Origin Story war, die ihren Hintergrund etwas genauer beleuchtete. Denn beide Stories vermitteln den Eindruck, dass es da einiges gibt, worauf nur im Vorbeigehen angespielt wird. Jaquerel (kurz Jaq) ist eine professionelle Diebin (und gewandte Schwertkämpferin), der anscheinend ein beachtlicher Ruf vorausgeht. In der ersten Story ist sie auf eigene Faust unterwegs, in der zweiten wurden ihre Dienste von der Diebesgilde an einen Provinzaristokraten vermittelt. Anders als viele andere Sword & Sorcery - Held*innen führt sie kein unstetes Wanderleben, sondern besitzt ein Heim und Hauptquartier in der "Street of Nine Tigers". Doch ihr "Beruf" führt sie immer wieder in abgelegenere Regionen wie das "Kingdom Between Two Rivers" oder das "benighted" Reich von Bel Azhurra. Sie bezeichnet sich selbst stolz als "a thief of high standing in the Guild of Honor". Diese Gilde agiert allem Anschein nach sehr professionell. So trägt Jaq einen mit offiziellem Siegel versehenen Vertrag mit sich, als sie in Bel Azhurra eintrifft. Zugleich scheint sie ein äußerst traditionsbewusster Verein zu sein und sogar eine Art "Bibel" zu besitzen, das "Book of Honor": "The Thieves' Guild still quotes from it on pompous occasions".*
Letzteres dürfte auch etwas mit den besonderen Eigenheiten der Welt zu tun haben, in der die Geschichten spielen. Vor allem mit der Natur ihrer Götter und Dämonen. Einerseits scheint deren Macht, vielleicht sogar ihr bloßes Dasein, stark von der Anzahl ihrer Anhänger*innen abhängig zu sein. So heißt es an einer Stelle von den Wäldern an der Grenze von Bel Azhurra:
She imagined she heard the thin ululation of a nightdemon beyond a fold in the hills, but surely that was her own imagination, for this area was so sparsely settled there could not be enough primitive minds gathered to bring even one of their crude demons into being.
Und im weiteren Verlauf der Geschichte begegnen wir auch den alten Kriegsgöttern des Landes, die aufgrund einer langen Friedensperiode ziemlich hinfällig geworden sind.**
Doch auch wenn die Götter damit ziemlich abhängig von den Menschen erscheinen, wäre andererseits niemand so dumm, ihre Existenz zu leugnen oder das Wagnis einzugehen, ihren Zorn zu wecken. Denn sie haben die Angewohnheit, unverhüllt und sehr direkt in die Welt einzugreifen. Was auch erklärt, warum das Schwören von Eiden eine so zentrale Rolle bei allen Übereinkünften und Verträgen zu spielen scheint. Denn etwaige Eidbrecher können davon ausgehen, dass sie eine sehr schnelle und höchst unangenehme Strafe ereilt.
Jaquerel hat offenbar eine etwas eigene Beziehung zu den Göttern. Als sie zusammen mit ihrem Diebskollegen Khem einen Eid gegenseitiger Loyalität ablegt, wird jedenfalls erwähnt, dass sie keinen "eigenen Gott" hat. Eine Information, die sie jedoch lieber für sich behält. Insgesamt legt sie ein ziemlich zynisch-berechnendes Denken und Verhalten an den Tag, wenn es um die himmlischen Mächte geht. Was aber nicht ganz unverständlich ist, wenn man sich anschaut, welche Erfahrungen sie im Zuge ihrer Abenteuer mit den Burschen macht.
 
In beiden Geschichten geht es um den Diebstahl eines magischen Juwels. Und in beiden Fällen hinterlassen die jeweiligen Götter, die aufgrund des unvermeidlichen Eides in die Geschehnisse verstrickt werden, keinen sonderlich positiven Eindruck. 
 
In How Jaquerel Was Slain By the God Brann tut sich unsere Heldin mit dem ebenso findigen Khem zusammen, um den magischen Edelstein "Waterclear" zu klauen, der sich im Besitz eines mächtigen Zauberers namens Hshmir-the-knowing befindet. Da derselbe stets nach Schaustellern sucht, um für Unterhaltung an seinem Hof zu sorgen, beschließen die beiden, sich mit einer Tanzbärennummer in den Palast einzuschleichen. Doch unglücklicherweise trifft Jaq auf einem ihrer Erkundungsgänge vorzeitig auf den guten Hshmir. Der lässt sie einen Blick in den "Waterclear" werfen. Was sie dort sieht, sei die Zukunft. Und die schaut leider gar nicht rosig aus. Jaq erblickt vielmehr ihren eigenen Tod von der Hand der Palastwache. Stellt sich die Frage, ob man vor seinem Schicksal davonlaufen kann? Die Antwortet lautet "nein". Jedenfalls nicht so leicht. Zwar gelingt es unserer Heldin im entscheidenden Moment den Ereignisverlauf zu ändern (was zu einem kurzen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum führt). Aber dazu muss sie den Eid brechen, den sie zusammen mit Khem geschworen hat. Was unmittelbar zum Auftritt eines sehr wütenden, axtschwingenden Gottes führt. Nur durch einen makabren Zufall gerät der arme Tanzbär dazwischen und bekommt den Hieb ab, der eigentlich die eidbrüchige Diebin erwischen sollte. Das vermeintliche "Opfer" stillt die Blutdurst der Gottheit. Was Jaq zwar das Leben rettet, aber kaum geeignet ist, ihre Meinung über die Himmlischen zu verbessern: 
"Your Brann is a barbaric god. Overly sentimental. It was no sacrifice."
"But we're alive."
"We can leave it at that."
How Jaquerel Made War in Bel Azhurra ist etwas länger und komplexer. Im Auftrag von Pyr, Bastardbruder des neuen "Wartords" von Bel Azhurra, soll Jaq ein magisches Geschmeide, den "Burningbright", stehlen. Der zum Vertragsabschluss notwendige Eid wird auf die Narnotha, die alten Kriegsgötter des Landes, abgelegt. Doch Pyr ist ein reichlich unsympathischer, brutaler und wenig vertrauenserweckender Geselle, weshalb die Diebin besondere Vorsicht walten lässt. Völlig zurecht, wie sich nach dem erfolgreich durchgeführten Diebstahl sehr schnell herausstellt. Als Pyr sich nicht an ihre Übereinkunft halten will  und mit Gewalt droht, flüchtet sich Jaq in den Tempel der Narnotha. Wo, wenn nicht hier, würden die Götter einen so schändlichen Eidbruch bestrafen? Aber nach einer gar zu langen Friedenszeit sind diese nicht nur schwach und senil geworden. Einer von ihnen, Klemith, ist sogar bereit, über Pyrs eigentlich unverzeihliche Tat hinwegzusehen, da dieser vorhat, seinen Bruder Canthus zu stürzen, einen für den Titel "Warlord" unangemessen friedliebenden Bücherliebhaber. Und natürlich wünschen die Narnotha sich nichts mehr als eine Rückkehr zu den alten Fehden und Eroberungsfeldzügen. Und so verdankt Jaq ihr Überleben nicht der Gerechtigkeit der Götter, sondern einer wütenden Volksmenge, die ihre eigenen Gründe hat, um Pyr zu hassen, und den magischen Qualitäten des "Burningbright". Das Geschmeide verleiht seiner Trägerin nämlich übermenschliche Kräfte, weckt dummerweise aber zugleich eine immer stärkere Kampfeslust in ihr. Und so landet Jaquerel nach anfänglichem Zögern schließlich zusammen mit dem rebellischen Haudegen Falklin an der Spitze eines Heerhaufens Aufständischer. Derweil Pyr sich mit seinem unzuverlässigen göttlichen Patron herumärgert und der arme Canthus nicht so recht versteht, warum sein friedliches Reich plötzlich in blutige Wirren versinkt.
 
Eine unbeschreibliche Offenbarung war für mich keine der beiden Erzählungen. Und die manchmal etwas abrupten Handlungssprünge haben mich anfangs sogar leicht irritiert. Aber alles in allem hatte ich doch viel Spaß mit ihnen. Saunders schreibt über Janet Fox: "She crafted her prose with exquisite care, never wasting a word and evoking vivid images and deep emotions." Was mir bei meinem -- leider halt sehr beschränkten -- Blick in ihr Werk besonders positiv aufgefallen ist, sind eine erfrischende Respektlosigkeit und ein feiner Sinn für Ironie, die aber nie den abenteuerlichen Gehalt der Stories untergraben oder sie ins Parodistische wenden (mit der möglichen Ausnahme von Demon and Demoiselle). Dazu gehört auch ein waches Verständnis für den mehr oder minder unterschwelligen Sexismus traditioneller Fantasywelten. Was jedoch nie im Zentrum der Geschichten steht oder offensiv angeprangert werden würde. Janet Fox beschränkt sich dabei auf eher beiläufige Kommentare. Wenn Jaquerel das Gewand zu sehen bekommt, das sie als Schaustellerin tragen soll, bemerkt sie z.B. trocken: "I'll have less dignity than the bear". Und in Bezug auf den lüsternen, alten Regenten von Bel Azhurra heißt es an einer Stelle: "She (Jaq) would have liked to send him sprawling to the pavement, but this didn't seem quite the time for it." Das Aufbegehren gegen den Sexismus ist nicht Thema der Geschichten, sondern verkörpert sich in Janet Fox' findigen und selbstbewussten Heldinnen. Das gilt nicht nur für Jaquerel, sondern ebenso für Scorpia in Gate of the Damned und Riska in Morrien's Bitch. Hinzu kommt außerdem immer mal wieder ein hübscher Hauch des Makabren.

Ich fürchte, es wird vermutlich nie zur Veröffentlichung eines eigenen Jaquerel - Sammelbandes kommem. Aber vielleicht findet sich ja zumindest irgendwann mal ein Verlag, der eine Anthologie mit Geschichten von Sword & Sorcery - Autorinnen der 70er & 80er Jahre herausgibt. Das wäre denk ich ein lohnendes Unterfangen. Und in einer solchen sollte sich auf jedenfall Platz für eines der Abenteuer der Diebin aus der "Street of Nine Tigers" finden.     

 

* Die Lektüre der Geschichten hat bei mir auch wieder einmal die Frage aufgeworfen, ob der heute so geläufige Fantasy-Topos der Diebesgilde auf Fritz Leibers Fafhrd & The Grey Mouser zurückgeht oder ob es da noch ältere literarische Vorläufer gibt. Einige hilfreiche Stimmen auf Twitter haben mir ein paar Hinweise geliefert, denen ich irgendwann mal näher nachzugehen gedenke.
 
** Auch hier könnte leiber'scher Einfluss vorliegen. Man denke an Odin und Loki in Rime Isle. Ganz allgemein wäre es interessant, sich einmal mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit sich die Darstellung von Göttern in der Sword & Sorcery von der in der High Fantasy unterscheidet. Ein Gedanke, der mir auch deshalb gekommen ist, weil ich gerade (aus Gründen) einige alte Dragonlance - Romane lese, in denen die Himmlischen ja schon eine merklich andere Rolle spielen. (FORESHADOWING)

Sonntag, 16. Oktober 2022

Expeditionen ins Reich der Eighties-Barbaren (XX): "Ator l'invincibile"

Kim Newman schreibt in seinem Klassiker Nightmare Movies:
Historically, the pattern of Italian commercial cinema has been an overlapping succession of genre cycles. Usually, but not invariably, triggered by the domestic popularity either of a specific American film or of a traditional Hollywood genre, these cycles come and go in a few years. During the short lifespan of any individual cycle, an incredible number of similar films are rushed through production and into distribution before the format wears thin and the popularity fades.
Einige dieser Zyklen spiegelten darüberhinaus auch etwas von den gesellschaftlichen Entwicklungen der Zeit wider. So hinterließen die rebellischen Strömungen der 60er, der gewaltige Ausbruch des Klassenkampfes im "Heißen Herbst"  und die darauf folgenden "Bleiernen Jahre" ihre Spuren in so unterschiedlichen Genres wie Italo-Western, Poliziotteschi und (auf unterschwelligere Weise) Giallo und Horror
Von dem kurzlebigen Sword & Sorcery - Boom der frühen 80er kann man das freilich eher nicht behaupten. Zwar konnten die Filmemacher dabei an die alten Peplum (Sandalenfilm) - Traditionen anknüpfen, aber ohne John Milius' Conan the Barbarian hätte es ihn vermutlich nicht gegeben. Der erreichte Italien offenbar überraschend früh bereits am 31. März 1982 -- und damit anderthalb Monate vor seiner offiziellen US-Premiere.** Über den Sommer machten sich die Knock-off - Spezialisten daran, allsogleich für wenig Geld die Abenteurer anderer Barbaren auf die Leinwand zu bannen. Die Nase vorn hatte dabei Franco Prosperi (den man nicht mit dem Mondo-Macher gleichen Namens verwechseln darf), dessen Gunan Il Guerriero am 9. September debütierte. Ihm folgte einen knappen Monat später Ator l'Invincibile.
 
Aristide Massaccesi alias Joe D'Amato ist vielleicht kein Regisseur, den man kennen muss, aber dafür einer, den man als Liebhaber des Euro-Exploitationfilms beinah zwangsläufig kennen wird. Mit einem gut 200 Filme umfassenden Oeuvre hat der gute Mann Beiträge zu fast allen Genres des italienischen B-Movies geschaffen. Horrorfans dürfte er vermutlich vor allem für Anthropophagus (1980) bekannt sein, der es in den 80ern auf die Schwarze Liste der britischen Video Nasties schaffte. Oder für so bizarre Horror-Erotika-Mixturen wie Le notti erotiche dei morti viventi / Erotic Nights of the Living Dead (1980) und Porno Holocaust (1981). Als Produzent zeichnete er u.a. mitverantwortlich für Claudio Fragassos legendär miesen Troll 2 (1990) und Claudio Lattanzis Killing Birds (1988), aber auch für Michele Soavis Debütfilm Deliria / Stagefright (1987). In den 70ern hatte er einen recht ordentlichen kommerziellen Erfolg mit den Black Emanuelle - Streifen feiern können, wobei er vor allem in den späteren Beiträgen zu der Serie immer mal wieder die von der Zensur gesetzten Grenzen ausgetestet hatte. Der Star der Serie Laura Gemser hat auch in Ator einen kurzen Auftritt. D'Amato hatte nie große künstlerische Ambitionen. Wie er von sich selbst einmal gesagt hat: "I have absolutely no interest in being an artist." Und tatsächlich käme wohl niemand auf die Idee, ihn auf eine Stufe mit solchen Großmeistern des italienischen Genre-Films zu stellen wie Mario Bava, Dario Argento, Lucio Fulci oder Sergio Martino. Aber auf seine bescheidene Art ist mir dieser ehrliche "Handwerker", dessen Liebe zum Film unbestreitbar war und der doch nie verleugnete, in erster Linie das zu drehen, was sich verkaufen ließ, irgendwie sympathisch. Und es ist auch nicht so, als habe er keinerlei  Talent besessen. In vielen seiner Filme finden sich durchaus einige interessant in Szene gesetzte Passagen. Doch nur selten wirken sie wie aus einem Guss. Und das gilt auch für seinen ersten Ausflug in die Gefilde der Sword & Sorcery.

Der erste Script-Entwurf für Ator stammte aus der Feder von Marco Modugno und Michele Soavi, der zu diesem Zeitpunkt noch ganz am Anfang seiner Karrire stand. Überarbeitet wurde das Ganze danach noch einmal von Jose Maria Sanchez und Joe D'Amato selbst. Vier Autoren? Das erklärt vielleicht, warum die Story in vielen Punkten zusammenhangslos und unlogisch wirkt. Nichtsdestoweniger hatte ich Ator stets als einen der sympathischeren El-Cheapo - S&S - Flicks der 80er in Erinnerung, Und ein kürzlich absolvierter Rewatch hat das noch einmal bestätigt. 
 
Schon der Vorspann lässt keinen Zweifel daran, dass wir es mit einem bewusst gemachten Conan - Knock-off zu tun haben, wenn in der Schwärze der Leinwand Flammen auflodern und eine bedeutungsschwangere Stimme aus dem Off einen Monolog zum Besten gibt. Freilich besitzt selbiger nichts von dem poetischen Pathos, der dem Original dank des Rückgriffs auf Robert E. Howards Phoenix on the Sword eigen it. Immerhin erfahren wir, wer die Bösen sind: Das "Spiderkingdom". Und natürlich gibt es eine Prophezeiung über den Helden, der kommen und die Herrschaft des finsteren "Ancient One" beenden wird. Unnötig verkompliziert durch einen Anhang über dessen Vater, der gleichfalls (wenn auich erfolglos) den Kampf gegen die dunklen Mächte aufgenommen hatte.
 
Es folgt eine Eröffnungssequenz um Ators Geburt: Wir sehen, wie das auserwählte Kind zur Welt kommt; allerlei Omen den bösen Hohepriester und Spinnenfetischisten (Dakar) alarmieren; dieser seine Handlanger losschickt, um das Problem aus der Welt zu schaffen; und der mysteriöse Schnauzbart- und Perückenträger Griba (Edumd Purdom) das Baby vor dem Massaker rettet. 
Ich muss sagen, diese ersten zehn Minuten schauen wirklich ziemlich hübsch aus. Insbesondere die beinah schon etwas bavaesk anmutende Farbgebung verleiht dem Ganzen eine sehr stimmungsvolle Atrmosphäre. Und dass D'Amato den "Tempel der Spinne" vom Halbrund eines alten römischen Theaters repräsentieren lässt, ist eine zwar sicher kostengünstige, aber gar nicht einmal so ungeschickte Lösung.  
    
 
Sobald die schicksalshafte Nacht vorbei ist nimmt der Film dann allerdings das eher banale Aussehen an, das er für den Großteil seiner Laufzeit beibehalten wird.
Griba übergibt den kleinen Ator einem armen Bauernpaar, in dessen Obhut er zu einem stattlichen jungen Mann mit einer wahren Löwenmähne von Haar (Miles O'Keefe) heranwächst. Dass er sich dabei zugleich in seine vermeintliche Schwester Sunya (Ritza Brown) verliebt, war sicher nicht geplant, gibt dafür aber Anlass zu folgenden unsterblichen Dialogzeilen:
- Why can't we marry? 
- Ator, we are brother and sister. 
- I'll talk with our father.
Wer von den vier Autoren sich wohl gedacht hat, dass das eine gute Zutat für diesen Film wäre? 
Das anschließende Vater-Sohn-Gespräch beginnt erwartungsgemäß awkward, führt aber rasch zur Enthüllung der tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse. Und so steht einer fröhlichen Hochzeitsfeier eigentlich nichts mehr im Weg. Doch unglücklicherweise hat einer der "Schwarzen Ritter" bei einem Spazierritt in der Nähe des Dorfes Griba erspäht, bei dem es sich offensichtlich um einen verbannten Adepten der Spinne handelt. Warum der Hohepriester deshalb beschließt, gleich die ganze Gemeinde abschlachten zu lassen, ist zwar nicht ganz nachvollziehbar, führt aber zum genretypischen Startmassaker, an dessen Ende der Held alleine in der Welt und erfüllt vom Verlangen nach Rache dasteht. Dass die Bösewichter dabei gleich noch die holde Sunya verschleppt haben, kommt als zusätzliche Motivation hinzu.
Doch bevor Ator sich auf seine Queste machen kann, muss er erstmal ein solides Kampftraining unter Gribas Anleitung durchlaufen. Schließlich will dieser den Auserwählten benutzen, um sich an dem Hohepriester für sein Exil zu rächen. Was er demselben natürlich nicht auf die Nase bindet. Vorerst verheimlicht er ihm sogar seine wahre Herkunft. Dennoch erhält Ator am Ende seiner Ausbildung das Schwert seines Vaters Terrant, was zwar als entscheidener Wendepunkt seiner Laufbahn in Szene gesetzt ist, im weiteren Verlauf der Handlung aber nicht noch einmal angesprochen wird.
Wirklich wichtiger ist seine erste Begegnung mit der schwertschwingenden Roon (Sabrina Siani). Da Ator kaum ein Klischee ungenutzt links liegen lässt, besteht diese selbstverständlich darin, dass er der Kriegerin hilfreich zur Seite springt, als sie in einen Kampf mit drei Kontrahenten verwickelt wird. Allerdings wird seine "Rettertat" keineswegs mit Dankbarkeit gewürdigt. Und als er Roon fragt, ob die Kerle Räuber gewesen seien, die sie überfallen hätten, antwortet sie ganz gelassen: "I was the one who robbed them." Sprichts, besteigt ihr Pferd und reitet ohne einen weiteren Kommentar mit den erbeuteten Gäulen der Erschlagen von dannen. Ein gelungener Einstand!
 
Wenig später macht sich Ator dann endlich auf seine Heldenreise zum Tempel der Spinne.
 
Doch bevor wir uns den Abenteuern zuwenden, die ihn dabei erwarten, muss unbedingt noch das dritte Mitglied unseres Trios erwähnt werden: Ein kleiner Bär, den Ator irgendwo im Wald aufgelesen hat, und der seitdem treu hinter ihm her hoppelt. Ab und an greift er sogar hilfreich in die Handlung ein, was leichte Reminszenzen an Beastmaster wachruft. Ob Don Coscarellis zweieinhalb Monate vor Ator in den USA angelaufener S&S-Flick tatsächlich ein Einfluss war, weiß ich allerdings nicht. Es soll Leute geben, die den Bären für den talentiertesten Darsteller des Streifens halten. Ganz so weit würde ich vielleicht nicht gehen, aber ganz sicher habe ich jeden seiner Auftritte mit einem lauten "Ooooo" quittiert. Übrigens verschwindet Freund Petz auf unerklärliche Weise jedesmal aus der Handlung, wenn man sich nicht länger im Freien tummelt, nur um später dann auf ebenso mysteriöse Weise wieder aufzutauchen. Aber das passt im Grunde sehr gut zum Gesamteindruck, den der Plot hinterlässt.
 
 
Ators Queste besteht aus fünf Episoden, von denen nur die allerletzte in irgendeinem Zusammenhang mit dem Ziel seiner Reise steht. Auf manch Betrachter*innen hat das wohl ziemlich anödend gewirkt. Schließlich existieren sie ganz offensichtlich nur, um die Laufzeit des Filmes voll zu kriegen. Aber da fast jede von ihnen irgendein Element enthält, das meine Aufmerksamkeit wachgehalten hat, und sie alle verhältnismäßig kurz sind, habe ich eigentlich keinen Grund, den zusammengestoppelten Charakter des Plots groß zu beklagen.
 
Kaum hat sich unser Held von Griba getrennt (ohne ein Wort des Abschieds übrigens!), da fällt er auch schon einem Stamm von Amazonen in die Hände. Zu denen gehört auch die ihm bereits bekannte Roon, die ihn in einem Wettkampf auch gleich als eine Art menschlichen "Zuchthengst" gewinnt. Doch als sie erfährt, dass er auf dem Weg zum Tempel der Spinne ist, verschiebt sie den Mutterschaftsurlaub vom Kriegrinnendasein lieber noch mal und beschließt stattdessen, ihm zur Flucht zu verhelfen. Ihre Beweggründe sind freilich alles andere als altruistisch. Vielmehr wird sie von der Aussicht auf die legendären Tempelschätze des "Ancient One" angetrieben.       
 

Interessanterweise taucht auch in Gunan Il Guerriero ein Amazonenvolk auf. Die Beliebtheit dieses Motivs im italienischen Genrefilm erklärt sich selbstredend nicht aus irgendwelchen Sympathien für weibliche Emanzipation. Eher schon aus einer Vorliebe für attraktive Frauen in Leder-Bikinis. Aber verglichen mit manch anderen Darstellungen nimmt sich Ator in dieser Hinsicht noch relativ sympathisch aus. So hatte es z.B. in der ersten Hälfte der 70er Jahre eine Handvoll "Amazonen" - Filme gegeben (Le Amazzoni - Donne d'amore e di guerra / Battle of the Amazons [1973], Le guerriere dal seno nudo / War Goddess [1973], Superuomini, superdonne, superbotte / Super Stooges vs the Wonder Women [1975]), deren Inhalt allem Anschein nach stets darauf hinauslief, dass die Kriegerinnen von irgendwelchen Typen bezwungen oder "gezähmt" werden. Von dem extrem abstoßenden Thor Il Conquistatore (1983) ganz zu schweigen. Mit Abstand der widerlichste Streifen, von dem ich das Pech hatte, ihm auf meinen barbarischen Expeditionen zu begegnen. Nichts dergleichen bei Ator. Selbst die kurze "Catfight"-Szene bleibt äußerst zahm. Bei einem Roger Corman - Flick hätte das anders ausgesehen (vgl. etwa Barbarian Queen II [1990]). Zwar schließt sich an die gemeinsame Flucht alsbald die obligatorische "Badeszene im Wald" an, aber zumindest in der Version, die mir zur Verfügung stand, bekommt man dabei bloß die leicht verschwommene Gestalt von Sabrina Siani im Hintergrund der Einstellung zu sehen. Wobei ich mich allerdings frage, ob hier nicht etwas herausgekürzt worden ist. Denn traditionell existieren solche Szenen doch ausschließlich als Entschuldigung, die badende Heldin halbnackt ablichten zu dürfen. Und dass Sianis Karriere im italienischen S&S - Film -- neben Ator war sie auch bei Gunan, Sangraal (1983), Il Trono di fuoco (1983) und Lucio Fulcis Conquest (1983) dabei -- wohl eher nicht auf ihr schauspielerisches Talent zurückgeführt werden kann, ist leider kaum zu bestreiten.
Wie dem auch sei, wir dürfen jedenfalls heilfroh sein, dass wir das Amazonen-Intermezzo ohne größere Ärgernisse oder Peinlichkeiten hinter uns lassen können. Bloß am Rande sei erwähnt, dass Roons Zugehörigkeit zu dem Stamm eigentlich kaum Sinn macht. Ist sie doch ein unverkennbares Valeria - Stand-in. Mehr Diebin und Glücksritterin als stolze Kriegerin. Aber wer an diesem Punkt noch nach Stimmigkeit der Charakterzeichnung oder innerer Logik fragt, hat eh verloren.
 
Es folgt Laura Gemsers Gastauftritt als verführerische Zauberin -- halb Circe, halb Lamia. Wie zu erwarten der "erotischste" Part des Filmes, dabei aber auch recht harmlos. Erwähnenswert ist eigentlich nur der bizarre Kopfschmuck, den Gemser trägt, sowie die Tatsache, dass unser Held sein Überleben den gemeinsamen Anstrengungen von Juniorbär und Roon verdankt. Warum die Hexe es auf ihn abgesehen hatte, bleibt selbstverständlich völlig schleierhaft.   
 

In der Folge von George Romeros Dawn of the Dead aka Zombi (1978) und Lucio Fulcis Zombi 2 (1979) waren die Lebenden Toten Anfang der 80er Jahre im italienischen Genrefilm sehr angesagt. Kein Wunder also, dass ein paar von ihnen auch in Ator kurz durch die Landschaft schlurfen dürfen. Inhaltlich ist diese Episode wenig dramatisch -- es kommt nicht einmal zu einem Schlagabtausch mit Held & Heldin --, aber dafür gehört sie zu den filmerisch eindrucksvolleren. Mit viel Trockeneis und blendendem Gegenlicht verwandelt D'Amato die herumwankenden Statisten in ominöse Silhouetten.   
 
 
Den Lebenden Leichen glücklich entronnen beschließt man, dass es an der Zeit ist, endlich mal eine zünftige Fantasytaverne aufzusuchen. Roon ist außerdem der Ansicht, dass man sich ein paar Pferde organisieren sollte. Wobei sie bereits begehrliche Blicke auf den Geldbeutel der örtlichen Puffmutter wirft. Leider ist ihr Plan, wie sie diesen in die Hände bekommen könnte, reichlich tumb. Was der Sequenz viel von ihrem potenziellen Charme raubt.
 
Aber wir nähern uns eh dem Ende der Geschichte und so taucht plötzlich wie aus dem Nichts heraus erneut der gute Griba auf, um Ator nun endlich seine wahre Bestimmung zu enthüllen. Doch bevor unser Held dem bösen Spinnenpriester gegenübertreten und seine geliebte Sunya befreien kann, muss er noch rasch den magischen Schild von Mordor (!!) in seinen Besitz bringen. Also unternehmen Ator und Roon einen kurzen Abstecher in einige unter einem Vulkan gelegene Kavernen, wo ein (anscheinend ziemlich unfreundliches) Volk blinder Schmiede haust und emsig (magische?) Waffen produziert. Cooler als das eigentliche Finale ist der recht geschickt in Szene gesetzte Kampf, den Ator dort gegen seinen eigenen Schatten ausfechten muss. Und natürlich ist es erneut Roon, die ihm dabei seine Haut rettet. Was ihn allerdings nicht davon abhält, ihre ach so materialistische Goldgier weiterhin mit herablassenden Kommentaren und moralisch überlegenem Naserümpfen zu bedenken.
 
Der Endkampf im Tempel wirkt im Vergleich dazu leider etwas antiklimaktisch. Daran kann weder Gribas "dramatischer" Verrat (der Kerl hatte es die ganze Zeit bloß darauf abgesehen, selbst den Thron des Hohepriesters zu besteigen), noch der Auftritt einer wunderbar plumpen animatronischen Monsterspinne etwas ändern. Dass Roon bei dem Gefecht zu Tode kommt, ist zwar ärgerlich, aber in gewisser Weise auch folgerichtig. Damit die Storyline um die Rettung der "Damsel in Distress" zu einem ungetrübt "glücklichen Ende" gelangen kann, muss die eigenständigere Frauenfigur (und potenzielle Rivalin) beseitigt werden. Denn selbstverständlich hatte sich im Laufe der Geschichte eine "erotische Spannung" zwischen Held und Heldin aufgebaut. Dass die beiden auch einfach Freunde hätten sein können, wäre in Filmen dieser Zeit und dieses Genres undenkbar gewesen.
 
Warum D'Amato es offenbar für eine gute Idee hielt, seinen Fantasyflick mit einem fürchterlich schmalzigen Popsong zu beenden, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Vielleicht dachte er sich, er könne seinem Publikum zum Abschluss nicht noch einmal das immer gleiche musikalische Motiv vorsetzen, und das für den Soundtrack vorgesehene Budget war leider bereits aufgebraucht.
 
Ator l'Invicible ist astreiner Schlock. Die Sets billig. Die Darsteller*innen hölzern. Der Plot größtenteils wirr und zusammenhangslos. Dennoch finde ich, dass der Streifen besser ist als sein Ruf. Wer dieses Sammelsurium aus zum Teil völlig absurden Szenen "öde" findet, hat wohl noch nie Gunan oder Trono di fuoco gesehen. Im Vergleich zu diesen traurigen Vertretern der italienischen Sword & Sorcery ist Joe D'Amatos erster Ator - Flick ein wahres Feuerwerk an trashiger Unterhaltsamkeit.



* Kim Newman: Nightmare Movies. A Critical History of the Horror Film, 1968-88. S. 187.

** In einigen früheren Beiträgen zu dieser Reihe bin ich von einem merklich späteren Datum ausgegangen (man sollte sich halt nie 100%ig auf IMDB verlassen), was zu einigen kuriosen Fehleinschätzungen geführt hat, die ich aber zu faul bin, noch einmal zu korrigieren.