Wenn man sich mit der Geschichte der Sword & Sorcery in ihrer ganzen Vielgestaltigkeit beschäftigen will, sieht man sich früher oder später mit dem Problem der mangelnden Zugänglichkeit konfrontiert. Die Beziehung des Genres zu kürzeren Erzählformen wie Short Story und Novelle wird meiner Meinung nach zwar manchmal etwas überbetont -- es gibt durchaus nicht wenige S&S-Romane --, aber traditionell ist sie doch tatsächlich recht eng. Und das wirft gewisse Probleme auf. Was die Anfangszeit in den Pulps angeht, kann man im Zweifelsfall ja immer noch auf das Internet Archive zurückgreifen, wo sämtliche Ausgaben von Weird Tales und anderen relevanten Magazinen (noch?) zu finden sind. Doch für die Ära der 60er - 80er Jahre sieht das deutlich anders aus. Viele der spannendsten Entwicklungen dieser Zeit spielten sich auf den Seiten von Fanzines oder Semi-Prozines ab. Wenn man Glück hat, wurden die Stories später noch einmal in Sammelbänden herausgegeben wie Darrell Schweitzers We Are All Legends, Richard Tierneys Sorcery Against Caesar, Ramsey Campbells Far Away & Never oder Janrae Franks In the Darkness, Hunting. Oder es gibt zeitgenössische Anthologien wie Jessica Amanda Salmonsons Amazons! und Amazons II, die einem einen Einblick gewähren. Aber auch an die ist es nicht immer leicht heranzukommen. So wurden z.B. Charles R. Saunders' Geschichten um die Kriegerin Dossouye zwar 2008 bei Sword & Soul Media zu einem Episodenroman verwoben neu herausgegeben, erwerben kann man den Band aber schon seit einiger Zeit nicht mehr. Selbst bei einem lebenden und nicht ganz unbekannten Autor wie Charles de Lint sieht die Sache nicht viel besser aus. Die meisten dürften ihn vor allem mit seinem Beitrag zur Urban Fantasy assoziieren, aber in den 70ern und 80ern schrieb er auch eine Reihe von S&S - Geschichten. Die wurden 2003 zwar in dem Sammelband A Handful of Coppers noch einmal neu aufgelegt, doch für den muss man Second Hand inzwischen mindestens $50 hinblättern.
Daneben gibt es außerdem genug Autor*innen, deren Geschichten überhaupt nie gesammelt wurden, sondern nur einmal in den Magazinen oder Anthologien der Zeit abgedruckt worden sind.
In einem Interview mit Steven Tompkins erzählte Charles Saunders 2007 über David Madison, der tragischerweise 1979 den Freitod gewählt hatte:
Even after all these years, I feel bad about David. He was one of the best of the generation of fantasy and S&S writers which came up through the fanzines and semi-prozines of the 1970s. His work could best be described as "punk S&S."
Klingt spannend, nicht wahr? Doch leider wird man seine Marcus & Diana - Geschichten nur lesen können, wenn man Zugang zu alten Ausgaben von Wyrd, Space & Time, The Diversifier und Dragonfields hat. Bloß Tower of Darkness wurde darüberhinaus auch im dritten Band von Andrew Offutts Swords against Darkness und Peter Bebergals Appendix N (2020) abgedruckt.
Noch etwas schlechter steht es um die Jaquerel - Geschichten von Janet Fox. Ich bin der Autorin erstmals in Band 1 von Marion Zimmer Bradleys Sword & Sorceress - Anthologien (bzw. in dessen deutscher Übersetzung Schwertschwester) begegnet, der ihre Story Gate of the Damned (Das Tor der Verdammten) enthält. Später habe ich sie dann in Salmonsons Amazons! mit Morien's Bitch (Moriens Hexe) wiedergetroffen. Und schließlich enthält auch der fünfte Band von Lin Carters Year's Best Fantasy Stories mit Demon and Demoiselle (Das Fräulein und der Dämon) einen Beitrag von ihr. Mit Jaquerel hat keine von den dreien etwas zu tun. Aber da mir vor allem die ersten beiden ziemlich gut gefallen hatten, wurde ich naturgemäß hellhörig, als ich in Charles Saunders' Nachruf auf seine 2010 verstorbene Kollegin und Freundin zu lesen bekam: "She also wrote several stories about a woman-warrior named Jacquerel". Ein kurzer Blick in ISFDB zeigte. dass es insgesamt sechs Geschichten über die Abenteuer der Diebin und Glücksritterin gibt. Doch ganz wie bei Madison hat sich auch bei Janet Fox bis heute niemand gefunden, die/der diesen kleinen Zyklus in gesammelter Form neu herausgegeben hätte. Was eine Schande ist! Dass in diesem Fall das Geschlecht der Autorin "erschwerend" hinzugekommen sein könnte, lässt sich zwar nicht konkret beweisen, unwahrscheinlich ist es aber sicher nicht. Schließlich gibt es genug andere Autorinnen (nicht nur) aus der Phantastik, denen es ähnlich ergangen ist, und deren geballtes Beispiel eine solche Vermutung zumindest nahelegt.
Dank der wunderbaren Luminist Archives bin ich vor einiger Zeit wenigstens an Nr. 16 von Weirdbook (1982) sowie die Fantasy Tales vom Frühjahr 1991 herangekommen -- und damit an How Jaquerel Was Slain By the God Brann sowie How Jaquerel Made War in Bel Azhurra.
Es wäre interessant zu wissen, ob das Debut der Heldin How Jaquerel Fell Prey to Ankarrah eine Art Origin Story war, die ihren Hintergrund etwas genauer beleuchtete. Denn beide Stories vermitteln den Eindruck, dass es da einiges gibt, worauf nur im Vorbeigehen angespielt wird. Jaquerel (kurz Jaq) ist eine professionelle Diebin (und gewandte Schwertkämpferin), der anscheinend ein beachtlicher Ruf vorausgeht. In der ersten Story ist sie auf eigene Faust unterwegs, in der zweiten wurden ihre Dienste von der Diebesgilde an einen Provinzaristokraten vermittelt. Anders als viele andere Sword & Sorcery - Held*innen führt sie kein unstetes Wanderleben, sondern besitzt ein Heim und Hauptquartier in der "Street of Nine Tigers". Doch ihr "Beruf" führt sie immer wieder in abgelegenere Regionen wie das "Kingdom Between Two Rivers" oder das "benighted" Reich von Bel Azhurra. Sie bezeichnet sich selbst stolz als "a thief of high standing in the Guild of Honor". Diese Gilde agiert allem Anschein nach sehr professionell. So trägt Jaq einen mit offiziellem Siegel versehenen Vertrag mit sich, als sie in Bel Azhurra eintrifft. Zugleich scheint sie ein äußerst traditionsbewusster Verein zu sein und sogar eine Art "Bibel" zu besitzen, das "Book of Honor": "The Thieves' Guild still quotes from it on pompous occasions".*
Letzteres dürfte auch etwas mit den besonderen Eigenheiten der Welt zu tun haben, in der die Geschichten spielen. Vor allem mit der Natur ihrer Götter und Dämonen. Einerseits scheint deren Macht, vielleicht sogar ihr bloßes Dasein, stark von der Anzahl ihrer Anhänger*innen abhängig zu sein. So heißt es an einer Stelle von den Wäldern an der Grenze von Bel Azhurra:
She imagined she heard the thin ululation of a nightdemon beyond a fold in the hills, but surely that was her own imagination, for this area was so sparsely settled there could not be enough primitive minds gathered to bring even one of their crude demons into being.Und im weiteren Verlauf der Geschichte begegnen wir auch den alten Kriegsgöttern des Landes, die aufgrund einer langen Friedensperiode ziemlich hinfällig geworden sind.**
Doch auch wenn die Götter damit ziemlich abhängig von den Menschen erscheinen, wäre andererseits niemand so dumm, ihre Existenz zu leugnen oder das Wagnis einzugehen, ihren Zorn zu wecken. Denn sie haben die Angewohnheit, unverhüllt und sehr direkt in die Welt einzugreifen. Was auch erklärt, warum das Schwören von Eiden eine so zentrale Rolle bei allen Übereinkünften und Verträgen zu spielen scheint. Denn etwaige Eidbrecher können davon ausgehen, dass sie eine sehr schnelle und höchst unangenehme Strafe ereilt.
Jaquerel hat offenbar eine etwas eigene Beziehung zu den Göttern. Als sie zusammen mit ihrem Diebskollegen Khem einen Eid gegenseitiger Loyalität ablegt, wird jedenfalls erwähnt, dass sie keinen "eigenen Gott" hat. Eine Information, die sie jedoch lieber für sich behält. Insgesamt legt sie ein ziemlich zynisch-berechnendes Denken und Verhalten an den Tag, wenn es um die himmlischen Mächte geht. Was aber nicht ganz unverständlich ist, wenn man sich anschaut, welche Erfahrungen sie im Zuge ihrer Abenteuer mit den Burschen macht.
In beiden Geschichten geht es um den Diebstahl eines magischen Juwels. Und in beiden Fällen hinterlassen die jeweiligen Götter, die aufgrund des unvermeidlichen Eides in die Geschehnisse verstrickt werden, keinen sonderlich positiven Eindruck.
In How Jaquerel Was Slain By the God Brann tut sich unsere Heldin mit dem ebenso findigen Khem zusammen, um den magischen Edelstein "Waterclear" zu klauen, der sich im Besitz eines mächtigen Zauberers namens Hshmir-the-knowing befindet. Da derselbe stets nach Schaustellern sucht, um für Unterhaltung an seinem Hof zu sorgen, beschließen die beiden, sich mit einer Tanzbärennummer in den Palast einzuschleichen. Doch unglücklicherweise trifft Jaq auf einem ihrer Erkundungsgänge vorzeitig auf den guten Hshmir. Der lässt sie einen Blick in den "Waterclear" werfen. Was sie dort sieht, sei die Zukunft. Und die schaut leider gar nicht rosig aus. Jaq erblickt vielmehr ihren eigenen Tod von der Hand der Palastwache. Stellt sich die Frage, ob man vor seinem Schicksal davonlaufen kann? Die Antwortet lautet "nein". Jedenfalls nicht so leicht. Zwar gelingt es unserer Heldin im entscheidenden Moment den Ereignisverlauf zu ändern (was zu einem kurzen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum führt). Aber dazu muss sie den Eid brechen, den sie zusammen mit Khem geschworen hat. Was unmittelbar zum Auftritt eines sehr wütenden, axtschwingenden Gottes führt. Nur durch einen makabren Zufall gerät der arme Tanzbär dazwischen und bekommt den Hieb ab, der eigentlich die eidbrüchige Diebin erwischen sollte. Das vermeintliche "Opfer" stillt die Blutdurst der Gottheit. Was Jaq zwar das Leben rettet, aber kaum geeignet ist, ihre Meinung über die Himmlischen zu verbessern:
"Your Brann is a barbaric god. Overly sentimental. It was no sacrifice.""But we're alive.""We can leave it at that."
How Jaquerel Made War in Bel Azhurra ist etwas länger und komplexer. Im Auftrag von Pyr, Bastardbruder des neuen "Wartords" von Bel Azhurra, soll Jaq ein magisches Geschmeide, den "Burningbright", stehlen. Der zum Vertragsabschluss notwendige Eid wird auf die Narnotha, die alten Kriegsgötter des Landes, abgelegt. Doch Pyr ist ein reichlich unsympathischer, brutaler und wenig vertrauenserweckender Geselle, weshalb die Diebin besondere Vorsicht walten lässt. Völlig zurecht, wie sich nach dem erfolgreich durchgeführten Diebstahl sehr schnell herausstellt. Als Pyr sich nicht an ihre Übereinkunft halten will und mit Gewalt droht, flüchtet sich Jaq in den Tempel der Narnotha. Wo, wenn nicht hier, würden die Götter einen so schändlichen Eidbruch bestrafen? Aber nach einer gar zu langen Friedenszeit sind diese nicht nur schwach und senil geworden. Einer von ihnen, Klemith, ist sogar bereit, über Pyrs eigentlich unverzeihliche Tat hinwegzusehen, da dieser vorhat, seinen Bruder Canthus zu stürzen, einen für den Titel "Warlord" unangemessen friedliebenden Bücherliebhaber. Und natürlich wünschen die Narnotha sich nichts mehr als eine Rückkehr zu den alten Fehden und Eroberungsfeldzügen. Und so verdankt Jaq ihr Überleben nicht der Gerechtigkeit der Götter, sondern einer wütenden Volksmenge, die ihre eigenen Gründe hat, um Pyr zu hassen, und den magischen Qualitäten des "Burningbright". Das Geschmeide verleiht seiner Trägerin nämlich übermenschliche Kräfte, weckt dummerweise aber zugleich eine immer stärkere Kampfeslust in ihr. Und so landet Jaquerel nach anfänglichem Zögern schließlich zusammen mit dem rebellischen Haudegen Falklin an der Spitze eines Heerhaufens Aufständischer. Derweil Pyr sich mit seinem unzuverlässigen göttlichen Patron herumärgert und der arme Canthus nicht so recht versteht, warum sein friedliches Reich plötzlich in blutige Wirren versinkt.
Eine unbeschreibliche Offenbarung war für mich keine der beiden Erzählungen. Und die manchmal etwas abrupten Handlungssprünge haben mich anfangs sogar leicht irritiert. Aber alles in allem hatte ich doch viel Spaß mit ihnen. Saunders schreibt über Janet Fox: "She crafted her prose with exquisite care, never wasting a word and evoking vivid images and deep emotions." Was mir bei meinem -- leider halt sehr beschränkten -- Blick in ihr Werk besonders positiv aufgefallen ist, sind eine erfrischende Respektlosigkeit und ein feiner Sinn für Ironie, die aber nie den abenteuerlichen Gehalt der Stories untergraben oder sie ins Parodistische wenden (mit der möglichen Ausnahme von Demon and Demoiselle). Dazu gehört auch ein waches Verständnis für den mehr oder minder unterschwelligen Sexismus traditioneller Fantasywelten. Was jedoch nie im Zentrum der Geschichten steht oder offensiv angeprangert werden würde. Janet Fox beschränkt sich dabei auf eher beiläufige Kommentare. Wenn Jaquerel das Gewand zu sehen bekommt, das sie als Schaustellerin tragen soll, bemerkt sie z.B. trocken: "I'll have less dignity than the bear". Und in Bezug auf den lüsternen, alten Regenten von Bel Azhurra heißt es an einer Stelle: "She (Jaq) would have liked to send him sprawling to the pavement, but this didn't seem quite the time for it." Das Aufbegehren gegen den Sexismus ist nicht Thema der Geschichten, sondern verkörpert sich in Janet Fox' findigen und selbstbewussten Heldinnen. Das gilt nicht nur für Jaquerel, sondern ebenso für Scorpia in Gate of the Damned und Riska in Morrien's Bitch. Hinzu kommt außerdem immer mal wieder ein hübscher Hauch des Makabren.
Ich fürchte, es wird vermutlich nie zur Veröffentlichung eines eigenen Jaquerel - Sammelbandes kommem. Aber vielleicht findet sich ja zumindest irgendwann mal ein Verlag, der eine Anthologie mit Geschichten von Sword & Sorcery - Autorinnen der 70er & 80er Jahre herausgibt. Das wäre denk ich ein lohnendes Unterfangen. Und in einer solchen sollte sich auf jedenfall Platz für eines der Abenteuer der Diebin aus der "Street of Nine Tigers" finden.
* Die Lektüre der Geschichten hat bei mir auch wieder einmal die Frage aufgeworfen, ob der heute so geläufige Fantasy-Topos der Diebesgilde auf Fritz Leibers Fafhrd & The Grey Mouser zurückgeht oder ob es da noch ältere literarische Vorläufer gibt. Einige hilfreiche Stimmen auf Twitter haben mir ein paar Hinweise geliefert, denen ich irgendwann mal näher nachzugehen gedenke.
** Auch hier könnte leiber'scher Einfluss vorliegen. Man denke an Odin und Loki in Rime Isle. Ganz allgemein wäre es interessant, sich einmal mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit sich die Darstellung von Göttern in der Sword & Sorcery von der in der High Fantasy unterscheidet. Ein Gedanke, der mir auch deshalb gekommen ist, weil ich gerade (aus Gründen) einige alte Dragonlance - Romane lese, in denen die Himmlischen ja schon eine merklich andere Rolle spielen. (FORESHADOWING)
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