"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Samstag, 10. Dezember 2022

 Strandgut

Sonntag, 4. Dezember 2022

Was ist New Edge?

Meine Beschäftigung mit der Sword & Sorcery auf diesem Blog konzentrierte sich bislang beinah ausschließlich auf die Geschichte des Subgenres. Anfangs war "Let Me Tell You Of The Days Of High Adventure" ja sogar ausdrücklich als eine Reihe über die frühen Tage der S&S konzipiert, in der ich zeigen wollte, dass sie von Beginn an mehr war als Conan und Kull. Aber auch nachdem ich den Blickwinkel etwas erweitert hatte, bin ich nur sehr selten über die zweite Blüteära der 60er - 80er Jahre hinausgegangen. Die einzigen neueren Bücher, die ich hier besprochen habe, sind Saladin Ahmeds Throne of the Crescent Moon (2012) und die von Jesse Bullington & Molly Tanzer herausgegebene Anthologie Swords v Cthulhu (2016). Und mit den wirklich aktuellen Entwicklungen im Subgenre habe ich mich bislang überhaupt noch nicht beschäftigt. Auch deshalb, weil ich lange Zeit keinen echten Einblick in sie hatte. Zwar sind mir Websites/E-Magazine wie Heroic Fantasy Quarterly, Swords and Sorcery Magazine, Beneath Ceaseless Skies, Tales From The Magician's Skull und Whetstone durchaus bekannt, aber leider kann ich nicht behaupten, regelmäßig alle (oder auch nur die Mehrzahl) der dort erscheinenden Stories zu lesen. Was ich in Zukunft ändern möchte, denn es scheinen sich da in letzter Zeit recht spannende Sachen abzuspielen.
 
 
Der Begriff "New Edge" ist mir zuallererst in einem Twitter-Thread von Bobby Derie begegnet. Ich muss allerdings gestehen, dass die Nachricht von einer neuen "Bewegung", die offenbar im Frühjahr 2022 in der Sword & Sorcery ausgerufen worden war, anfangs wenig mehr als mildes Interesse in mir weckte. Erst als ich etwas später durch Cora Buhlert erfuhr, dass die Initiator*innen die Herausgabe eines gleichnamigen Magazins planten, wurde ich neugieriger. Konkrete Beispiele für die Veränderungen zu geben, die man anstrebt, ist doch stets überzeugender als alle programmatischen Proklamationen. Also abonnierte ich den entsprechenden Newsletter und konnte mir schließlich am 30. September das New Edge Sword and Sorcery Magazine #0 herunterladen. Die E-Book-Version kann man sich nachwievor kostenlos auf der Website besorgen. Printfassungen gibt es zum Selbstkostenpreis.
 
Doch bevor wir uns den Inhalt genauer anschauen, wollen wir erst einmal versuchen, uns ein etwas genaueres Bild davon zu machen, was die "New Edge" dem eigenen Selbstverständnis nach eigentlich sein soll. Scott Odens im April veröffentlichter Blogpost Putting a New Edge on an Old Blade, mit dem sich die junge Bewegung erstmals an eine breitere Öffentlichkeit im Fandom wandte, hinterließ bei mir ein eher zwiespältiges Gefühl. Denn er beginnt wie folgt:

Swords can grow dull. They can lose their edges through age, through misuse, through simple neglect. They can rust; their hilts can rot and fall off, leaving only a tang of metal for hands to grasp. A sword like that – if you permit me the extended metaphor – is a bit like old genres of fiction.

A genre can grow dull. The accretion of old social mores – the misogyny, racism, and homophobia of bygone eras – can oxidize a genre, making it seem as graceless as a barnacle-encrusted hunk of metal drawn from the sea. A genre’s founders can (and will) die, leaving less-invested imitators to tease out only the surface tropes while its deeper meanings are lost to the ages. And, over time, that genre starts to become irrelevant to the world at large.
In today’s fiction market, this is largely the fate of sword-and-sorcery.
Das klingt ein bisschen so, als lebten wir immer noch in der Ära der Clonans. Die Gewohnheit, ein möglichst dunkles Bild der aktuellen Lage (und erst recht der Vergangenheit) zu zeichnen, um damit die Notwendigkeit eines Neuaufbruchs zu unterstreichen, ist mir natürlich bekannt. Aber ich mag sie nicht besonders und denke sogar, dass dieser rhetorische Kniff potenzielle Gefahren in sich birgt. Und wer etwas besser mit der Geschichte der Sword & Sorcery vertraut ist und deshalb weiß, dass diese Charakterisierung bestenfalls eine gewaltige Simplifizierung darstellt, wird sich zurecht fragen, ob hier nicht gegen ein Phantom der Vergangenheit rebelliert wird.
Aber glücklicherweise erweist sich sehr schnell, dass dem nicht (oder nur bedingt) der Fall ist. Schon Odens Beitrag weist darauf hin, dass der Begriff "New Edge" in Wirklichkeit bereits weit über zehn Jahre alt ist. Zum ersten Mal verwendet wurde er in den 2000ern von Howard Andrew Jones, als dieser Mitherausgeber des längst untergegangenen eZines Flashing Swords war. Auf dessen Seiten hatte er in mehreren Essays zu einer Erneuerung der damals tatsächlich ziemlich moribunden Sword & Sorcery aufgerufen und dabei u.a. geschrieben:
We can find inspiration from the old tales without pastiching them. Specifically, setting aside the sexism and racism and the suspect politics but embracing the virtues of great pulp storytelling. The color. The pace. The headlong thrill and sense of wonder. The celebration not of the everyday and the petty but of those who dare to fight on when the odds are against them.
Seitdem ist viel Wasser den Styx heruntergeflossen. Regelrechte Pastiches sind zwar nicht völlig aus dem Subgenre  verschwunden -- so erschien z.B. 2020 Adrian Coles Elak, King of Atlantis --, scheinen mir aber keine signifikante Rolle mehr zu spielen. Auch habe ich das Gefühl, dass das von Clonans, Comics und 80er Jahre - Flicks geprägte Klischeebild der S&S als "stories about grunting, fur-diaper-wearing barbarians" bei weitem nicht mehr so allgemein verbreitet ist. Wie der Herausgeber des New Edge Magazine, Oliver Brackenbury vom "So I'm Wiriting a Novel ..." - Podcast, in einem auf Black Gate veröffentlichten Interview mit Michael Harrington selbst erklärt hat:
[W]e can put to rest any worries we have about anybody under thirty remembering the glut of Clonans in prose and film form of the 80’s which put a bit of a stink on the genre for years afterward. It’s just not something to be concerned about anymore, which is great news for bringing the genre back to prominence.
Natürlich ist auch heute nicht alles eitel Sonnenschein im Reich der Sword & Sorcery. Doch schon seit längerem lässt sich eine Art Wiedererwachen des Subgenres beobachten, bei dem unkoventionellere Stimmen eine nicht unwichtige Rolle spielen. Das habe selbst ich mitbekommen. Und Brackenbury wäre der letzte, der das leugnen würde. Warum also eine spezielle Bewegung ausrufen? Die Idee dazu entstand im Discord-Gedankenaustausch in der Whestone Tavern. Wie der Herausgeber erzählt:  
This resurgence of New Edge Sword & Sorcery as a term to rally behind, back in the spring of this year, started from that all too familiar conversational space of “How do we get more people into this genre?” Well, if you want more people getting into this thing we love, then you need to include more people!      
Inklusivität und Diversität bilden deshalb das zentrale Anliegen der "New Edge". Will man der Sword & Sorcery zu einer neuen Blüte verhelfen (und diesen Ehrgeiz hat die Bewegung), dann muss man ein neues Publikum und neue Kunstschaffende für sie gewinnen -- jenseits der alteingesessenen Fangemeinde. Und das wiederum kann nur gelingen, wenn jede/r sich in ihr willkommen fühlt. Wenn nicht nur Sexismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit etc. in der Szene offensiv angegangen, sondern auch aktive Bemühungen gestartet werden, Leute zu erreichen, die nicht der traditionell halt doch sehr "weiß-männlichen" alten Garde angehören. Wozu das Magazin einen energischen Beitrag leisten will. Wie Oliver Brackenbury in einem Gespräch mit Bobby Derie erklärt hat:  
My current plan to ensure diversity in the magazine is by being intentional about the authors whose work I solicit. I’m not doing subs, yet, and I suppose when I get there I’ll have to think about how to handle that. For now I’m limiting the number of white guys I publish in any given issue to one or two, out of six authors total.
Nicht dass er behaupten würde, er und seine Mitstreiter*innen aus der Whetstone -  Taverne seien die ersten oder einzigen, die entsprechende Anstrengungen unternähmen:
New Edge Swordy & Sorcery isn’t claiming to have invented the idea of diversity/equity/inclusion in S&S. What it does is add to diversity, equity, & inclusion in S&S, purposefully and with great vigor, while providing a rallying banner the various scattered parties already engaged in this work can choose to unite behind.  
Den Zielen der "New Edge", wie Brackenbury sie formuliert, würde ich mich 100%ig anschließen. Muss aber trotzdem noch einmal fragen, inwieweit es für deren Umsetzung nötig oder sinnvoll ist, eine distinkte "Bewegung" ins Leben zu rufen.
Ich kann zwar gut verstehen, dass es mitunter von Vorteil sein kann, ein Banner aufzupflanzen, um das Gleichgesinnte sich scharen können. "Nach innen" kann das sicher gemeinschaftsstiftend wirken und dabei helfen, eine Art Community des Austauschs und der solidarischen Kooperation zu schaffen. "Nach außen" mag es nützlich sein, um Aufmerksamkeit zu erregen und ein größeres Publikum zu erreichen. Dennoch hege ich eine gewisse Skepsis gegenüber "Bewegungen" im allgemeinen.
Oliver Brackenbury macht es sehr deutlich, dass er nicht den Gatekeeper der "New Edge" spielen will. Auf die Frage "Who decides what's New Edge Sword & Sorcery" anwortet er:
Luckily, as with all genres, there is no central authority. I wouldn’t want to be that authority even if there was some way to enforce its terrifying edicts! Far as I’m concerned, the readers decide for themselves, and can debate amongst themselves, just as we’ve all been doing for ages with sword & sorcery in general.
Er betont sogar ganz ausdrücklich, dass formale wie inhaltliche Experimentierfreude für ihn ein wichtiger Bestandteil der New Edge ist, wobei Brian Murphys Definition der Sword & Sorcery einen lockeren und flexiblen Rahmen für das Ganze abgeben könnte
“S&S can be many things and still be S&S” is a motto of mine. I think its flexibility is truly one of its greatest strengths.
I sometimes imagine it as a truly wild wrestling ring with posts, perhaps seven, akin to Brian Murphy’s excellent genre definition in Flame & Crimson: A History of Sword & Sorcery, that clearly mark boundaries. Yet what runs between them? A strong, highly elastic rope for authors to stretch and bounce off of, executing all kinds of cool, exciting moves!
Ich habe zwar das eine oder andere an Murphys Buch auszusetzen, aber Brackenburys Herangehensweise an die Sword & Sorcery sagt mir eigentlich sehr zu. Ich fürchte bloß, dass die meisten "Bewegungen" früher oder später trotzdem die Tendenz entwickeln, Regeln oder Vorgaben auszubilden, nach denen bestimmt wird, wer dazugehört und wer nicht. Dazu braucht es gar keine alles dominierende Autoritätsperson. Das kann sich ebensogut aus einer Form von Gruppendynamik entwickeln. Zumal die Gefahr der Cliquenbildung meines Erachtens aus sozio-kulturellen Gründen in künstlerisch-intellektuellen Kreisen immer sehr groß ist. Unabhängig vom individuellen Charakter  der beteiiligten Personen. Und wenn dieselbe "Bewegung" sich selbst als eine Art "progressive Avantgarde" darstellt, kann es schnell passieren, dass all jene, die sich ihr (aus welchen Gründen auch immer) nicht anschließen wollen, automatisch in den Ruf geraten, konservativ oder reaktionär zu sein. Vor allem in unserer durch die Culture Wars aufgeheizten Atmosphäre.
 
Freilich habe ich bislang kaum etwas gesehen, was diesen vagen Befürchtungen weitere Nahrung gegeben hätte. Einzig ein Beitrag von Jason Ray Carney auf seinem Blog Spiral Tower lässt erahnen, an welchen Punkten es zu ersten Auseinandersetzungen und Komplikationen kommen könnte. Dabei geht es weniger um neue Zukunftsperspektiven für die Sword & Sorcery als vielmehr um den Umgang mit der Vergangenheit des Subgenres.
 
Was Oliver Brackenbury in seinem Gespräch mit Michael Harrington zu diesem Thema sagt, klingt erfreulich ausgeglichen. Einerseits stellt er die "New Edge" ganz klar in eine Traditionslinie und spricht sich deshalb auch ausdrücklich für eine Beschäftigung mit den Werken der Vergangenheit aus:
[U]nderstanding what came before you in the genre is “very important.” Why? Because we are all standing on the shoulders of giants, whether or not we realize it. So long as you don’t study the greats because you think you have to outright copy them or people won’t accept you — boo to gatekeeping, by the way — then you can only benefit from thoughtful analysis and gleeful enjoyment of past tales. Learning the history of the genre at large isn’t mandatory, but it doesn’t hurt!
Andererseits betont er, dass es sich dabei um eine kritische und reflektierte Auseinandersetzung handeln müsse: "Replicating past works unthinkingly runs the risk of infusing your work with ideas you’d find repulsive – if you realized they were present."
Im Grunde unterscheidet sich das kaum von der Herangehensweise, die ich selbst vor gut anderthalb Jahren einmal in dem Artikel Vom Umgang mit Traditionen darzulegen versucht habe. 
 
Jason Ray Carneys kritische Anmerkungen beziehen sich denn auch nicht auf Brackenbury (dessen Ausführungen zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht veröffentlicht waren), sondern auf einen Newsletter seiner "New Edge" - Mitstreiter*innen Remco van Straten und Angeline B. Adams. Die beiden schreiben dort u.a.: "The Sword & Sorcery genre is currently going through […] a review […] discovering what the genre needs to be to survive, and what needs to be discarded." Carney merkt nicht nur (meiner Meinung nach zuecht) an, dass diese Selbstreflexion weder wirklich neu, noch so allgemein verbreitet ist wie hier angedeutet. Er hat vor allem ein Problem mit dem Begriff "discard". Impliziert dieser nicht, dass es Teile der Tradition gibt, die wir nicht bloß kritisch hinterfragen und analysieren, sondern gänzlich  über Bord werfen sollen? Erst recht, wenn man diesen Absatz hinzunimmt:
There is a form of creation through subtraction too, and one where it is very important to be intentional and look at who we might be excluding, and who we should be excluding – you cannot open the door to new, diverse, readers while putting people on a pedestal whose work is a turn-off to them.

Ich persönlich halte es ja grundsätzlich für Unsinn, irgendwen auf ein Podest zu stellen. Für mich ist eine kritische Herangehensweise stets geboten -- ganz gleich, ob es dabei um Robert E. Howard oder um Joanna Russ geht. Aber ich denke Carney berührt einen wichtigen Punkt, wenn er fragt: "Who is this "we" making decisions about what to include and exclude?"

Howard Andrew Jones schließt seinen Beitrag The Origin of the New Edge wie folgt:
My sincerest hope is that it will never become one of the dividing lines we keep tripping over and that the New Edge instead remains a campfire around which we can gather and share the kind of fiction we love.
Natürlich wird es immer Leute geben, mit denen man aus guten Gründen nicht am selben Lagerfeuer sitzen will. Abgrenzung kann notwendig sein. Schließlich gibt es in der Sword & Sorcery - Gemeinde tatsächlich ein offen rechtsextremes Segment. Dennoch hoffe auch ich, dass die "New Edge" eine möglichst offene und kameradschaftliche Atmosphäre pflegen wird, in der auch Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen im Geiste gegenseitigen Respekts und gemeinsamer Liebe zum Subgenre ausgetragen werden können. Dann besäße diese "Bewegung", wie immer sonst ihre Zukunft auch aussehen mag, ganz sicher das Potential, einen positiven Beitrag zur Erneuerung der Sword & Sorcery zu leisten.


Wenden wir uns nun also endlich dem Inhalt des Magazins zu. 
 
The Curse of the Horsetail Banner von Dariel R.A. Quiogue ist eine passable, aber nicht besonders innovative oder originelle S&S - Geschichte -- trotz des "mongolischen" Settings. 
Durch die Intrigen seines verräterischen Blutsbruders Jungar ist der ehemalige Khan Timur Orhan zum Vogelfreien geworden und befindet sich nun auf der Flucht durch die Steppe. Zufällig verschlägt es ihn dabei in eine Region, die für die Stämme eigentlich tabu ist, befindet sich dort doch das Grabmal des legendären Toktengri. Doch als er erschreckt feststellen muss, dass die letzte Ruhestädte des Großkhans von einem Trupp Soldaten aus Wulong (~China) entweiht und das Pferdeschweifbanner des Eroberers geraubt wurde, macht er sich alsbald an die Verfolgung der fremdländischen Frevler. Zumal er überzeugt davon ist, dass ihm die Magie des Banners zum Triumph über den verhassten Jungar verhelfen werde. Als sich ihm auf der Jagd der Adler Zunjebei hinzugesellt, wirkt das beinah wie ein göttliches Omen.  Weder die schwarzmagischen Künste des Eunuchen Lao Cheng noch die Truppen des Kaiserreiches werden ihn aufhalten können!
Natürlich ist es stets erfreulich, wenn eine Sword & Sorcery - Geschichte einmal pseudoeuropäische Gefilde verlässt und dabei nicht in die Falle des Exotismus tappt. Aber so revolutionär wie in den 70ern/80ern bei Charles R. Saunders' Nyumbani - Erzählungen oder Jessica Amanda Salmonsons Tomoe Gozen - Romanen ist das heute sicher nicht mehr. Und da meine persönliche Vorliebe ohnehin eher bei der "städtischen" Gauner- & Halunkenvariante des Subgenres liegt, stellte The Curse of the Horsetail Banner für mich nicht gerade einen fulminanten Auftakt dar.
 
The Ember Inside von Remco van Straten & Angeline B. Adams war da schon eher das, was ich mir unter "New Edge" vorgestellt hatte. Clever, thought-provoking und elegant erzählt.
Die wandernde Dichterin Ymke, ihre Partnerin, die Kriegerin Kaila, und ihr Kumpel Sebastien scheinen eine Art Gaunertrio zu sein. Aber darauf bekommen wir in der Geschichte nur vage Andeutungen. Eines Tages erhält Ymke eine Einladung von dem berühmten Dichter Sigismond, Verfasser des populären Epos Lay of Bärsk the Bloodied, das sie offenbar für ziemlichen Schund hält, auch wenn Kaila großen Spaß daran zu haben scheint. 
Sigismond hat offenbar das Wohlwollen seiner reichen und blaublütigen Patrone verloren. Die junge Generation ist nicht länger an den immer gleichen blutrünstigen Räuberpistolen interessiert.    
‘Is this what’s best in life?’ one duke’s daughter asked one evening. ‘Murder and violence, boots sliding over innards? What is the value in all of this? Where is the humanity?’
Also will er ihnen etwas anderes bieten:          
What I want, Ymke, is your story. They want humanity? I shall give them the true story of a girl who survived the war-torn wasteland of Cruonhinga and somehow made it in the world outside. A brave cripple -- they’ll love it. You of all people must know this. People love to compare themselves to the less fortunate, to believe they would offer succour, sanctuary, to such a person if given the chance.
Unsere Protagonistin ist von dieser Idee allerdings überhaupt nicht begeistert. Erstens sei das ganz und gar keine adäquate Beschreibung ihres Lebens und zweitens habe sie keine Lust, das dasselbe auf "a tale of pity or admonishment" reduziert werde. Doch Sigismond braucht seine Story und um sie zu bekommen, setzt er Ymke kurzerhand unter Drogen.
Was folgt ist eine Reihe von (scheinbaren) Episoden aus ihrem Leben: Die ungewollte Heirat mit einem Großgrundbesitzer; die Geburt von zwei Söhnen, die sie nie zu lieben vermochte; die Flucht in Tagträume von einem freien Leben; das beständige Lodern und Anwachsen einer wütenden Flamme in ihrem Inneren; Szenen von Krieg und Gewalt; die erste Begegnung mit Kale (Kaila); und schließlich der blutige Befreiungsschlag, wenn sie ihren Gatten tötet und dem dumpfen Leben eines Eheweibs entkommt.
Sigismond ist ganz und gar nicht zufrieden: 
Alack, I cannot use any of it. You have no talent for tragedy, Ymke! I wanted meekness, a story to make others weep. You disapprove of my Bärsk, and yet you gave me such hatred and bloodshed!
Doch am Ende erfahren wir, dass das überhaupt nicht Ymkes reale Lebensgeschichte war. Zu der aufgezwungenen Ehe ist es in Wirklichkeit nie gekommen. Weshalb sie sich auch nicht auf so gewaltsame Art selbst befreien musste.
The Ember Inside enthält eine ganze Reihe interessanter Ideen. So geht es u.a. sicher darum, wie das Schicksal Marginalisierter als Material für klischeehafte Stories missbraucht und dabei entstellt werden kann. Doch für mich ist die Erzählung vor allem eine intelligente Reflexion über die Art von Geschichten, die wir erzählen und hören wollen. Sigismonds Bärsk scheint für das klassische Blood & Thunder zu stehen. Dem wird anfangs mangelnde Humanität und Realitätsferne vorgeworfen. Doch die ebenso klassische Emanzipationsgeschichte Ymkes entpuppt sich am Ende gleichfalls als "unecht", mithin bloß als eine andere Art von Klischee. Aber das nimmt ihr nicht ihre Daseinsberechtigung. So falsch es auch ist, wenn wir das Leben realer Menschen auf solche simplistischen Formeln reduzieren (ganz gleich ob rührseliges Melodrama oder wütende Story von Unterdrückung & Selbstbefreiung), Geschichten dieser Art können uns berühren und Ausdruck sehr tiefer Emotionen sein. Weshalb Ymke am Ende sogar ihr (möglicherweise etwas vorschnelles) Urteil über Bärsk in Frage stellt. Was selbstredend nicht das Verhalten von Sigismond entschuldigt, der seine gerechte Strafe erhält.    
 
Old Moon Over Irukad von David C. Smith ist im Vergleich dazu wieder ziemlich klassische Sword & Sorcery - Kost: Ein diebisches Protagonistenpaar; ein verfallener Tempel; ein verräterischer Priester; vampirische Ungeheuer etc. Wenn ich mehr Spaß mit ihr hatte als mit Curse of the Horsetail Banner, dann weil sie meinen persönlichen Vorlieben entgegenkommt. Virissa und Edrion sind sympathische Halunken. Die Story beginnt und endet in einer Kneipe. Salz wird zur Abwehr von schwarzer Magie durch die Gegend geworfen. Und am Ende ist es der korpulente Schwertkämpfer Malon (Edrions Liebhaber), der die Situation rettet. Heldin wie Held sind queer, was für die eigentliche Handlung aber keine Rolle spielt. Doch gerade diese Selbstverständlichkeit ist ja durchaus begrüßenswert.
Hinzu kommt, dass David C. Smith als Verfasser des Oron / Attluma -Zyklus und Co-Autor der Red Sonja - Bücher ein echter Sword & Sorcery - Veteran ist. Seine Geschichte wirkt deshalb auch ein bisschen wie eine Art Statement, dass die "New Edge" kein aggressiver Bruch mit der vorhandenen Tradition sein will und auch deren Vertreter*innen einen Platz in ihr haben können.
 
The Beast of the Shadow Gum Trees von T.K. Rex entfernt sich sicher am weitesten von dem, was man sich klassischerweise unter Sword & Sorcery vorstellt. 
Moth ist eine Art Naturgeist, der aus Liebe zu dem Barden Amas menschliche Gestalt angenommen hat. Als sein Partner nach vielen Jahren stirbt, wünscht er sich selbsts nichts sehnlicher als den Frieden des Todes. Doch dieser wird ihm verwehrt und das Meer spült ihn stattdessen an die Küste eines fremden Landes. Dort begegnet er einem Einhorn, das gegen die von den Menschen hier vor Zeiten angepflanzten Wälder ankämpft, die das ursprüngliche Chaparral-Ökosystem (ein Begriff, den der Text leider wirklich benutzt) zu zerstören drohen.
Die Geschichte ist das deutlichste Beispiel für die Experimentierfreude, die Brackenbury mit der "New Edge" verbindet. Sie dürfte gemeint sein, wenn er in seinem Gespräch mit Harrington erwähnt: "There’s also been some exciting talk already about messing around with non-Western storytelling structures, and themes you don’t often come across in S&S, such as environmentalism." und "Nobody will mistake the tale for an REH story, it leans more into the mythic/weird side of the genre, and I think that’s plenty fine." Ich habe keinerlei Probleme mit so etwas, fühle mich dabei vielmehr an Jessica Amanda Salmonsons Bemühungen erinnert, die Grenzen der Heroic Fantasy in Amazons! stilistisch-inhaltlich zu erweitern. Und mit Stories wie Jaine Saint's Travails von Josephine Saxton oder The Woman Who Loved The Moon von Elizabeth A. Lynn enthielt ja auch diese 70er Jahre - Anthologie bereits so manches, was engstirnige S&S-Fans vermutlich niemals dem Subgenre zuordnen würden.
Was The Beast of the Shadow Gum Trees besonders auszeichnet ist die poetische und elegant rhythmisierte Sprache. Liest man die Geschichte laut, verfällt man dabei ziemlich schnell in eine Artt melodischen Singsang. Zwar enthält die Story den bei einer "Öko-Erzählung" beinah unausweichlichen Seitenhieb auf "Fortschritt" und "Wachstum": "The rate of new inventions has begun to build upon itself, and there are humans who believe that power comes from endless growth." Aber letztenendes geht es mehr um Themen von Vergänglichkeit, Trauer und Loslassen-Können. Und am Ende steht die Erkenntnis, dass Veränderung zwar stets von Verlust begleitet wird, doch dass das Leben/die Natur gerade dadurch immer wieder auch zu neuen Formen findet.
 
Vapors of Zinai von J..M. Clarke ist ein nettes Sword & Soul ("Afro - S&S") - Abenteuer, zu dem ich aber auch nur wenig zu sagen habe.
Kyembe, eine Art Magier "for hire", gelangt auf der Flucht vor seinem letzten (und seeehr unzufriedenen) Auftraggeber nicht ganz freiwillig ins verdammt ägyptisch anmutenden Reich von Zinai. Die ebenso schöne wie kluge und politisch gewandte Hohepriesterin Takhat rekrutiert ihn, um einer ziemlich ernsten Dämonenplage auf den Grund zu gehen, die nicht bloß reihenweise Todesopfer fordert, sondern dabei ist, Autorität und Macht der Priesterkaste zu untergraben.
Was mir an dieser Story besonders gut gefallen hat, ist die erfrischende Respektlosigkeit unseres Helden, dem jedwede Ehrfurcht vor Priestern, Göttern und Dämonen fremd ist. Dennoch erweist sich ihm Takhat als eine ebenbürtige Partnerin. Und dass der böse Dämonenbeschwörer nicht von Machtgier oder Rachsucht, sondern von Langeweile und Ennui angetrieben wird, war eine hübsche Abwechselung.
 
The Grief Note of Vultures von Bryn Hammond erwies sich sehr schnell als mein persönlicher Favorit. Die Geschichte beginnt mit der Schilderung einer gemeinsamen Mahlzeit. und schon das schien mir ein gutes Zeichen zu sein. Tatsächlich wird damit ein zentrales Element der Erzählung geschickt eingeführt: Die Reisegemeinschaft einer "multikulturellen" Karawane, die von unserer Heldin Angaj-Duzmut durch eine "zentralasiatische" Landschaft geführt wird. 
Das gefällt mir gleich auf meheren Ebenen. 
Angaj-Duzmut ist als Spross eines den Tanguten nachempfundenen Nomadenvolkes, die nach ihrer Flucht aus der reichen Stadt Fattimbet eine Zeit lang im "Commonwealth" der Vogelfreien und Gesetzlosen gelebt hat, eigentlich eine klassische Outsider - S&S - Heldin. Doch zugleich ist sie (für die Dauer dieses Abenteuers) Teil einer Gemeinschaft. Bei dieser handelt es sich aber eben gerade nicht um die archetypische "Heldengruppe", die auf irgendeiner Queste wäre. Die Karawane ist vielmehr eine aus der Arbeitswirklichkeit der Menschen geborene Zweckgemeinschaft. Dennoch verbindet ihre aus unterschiedlichsten Kulturkreisen, Religionsgruppen und Ethnien stammenden Mitglieder eine ganz selbstverständliche Kameradschaft. Es ist dieses "soziale" Setting das mir besonders zugesagt hat. Die zwischen den Reisegefährt*innen herrschende Toleranz ist dabei keineswegs ein "utopisches Wunschbild", sondern spiegelt die historische Realität der Gesellschaften wider, die während Antike und Mittelalter entlang der Seidenstraße existierten. Dort war es durchaus üblich, dass man in solch gemischten Karawanen reiste. Und Weltoffenheit ist (aus nachvollziehbaren Gründen) ein Charakteristikum vieler auf dem Handel basierender Zivilisationen.
Zugleich zeigt uns Bryn Hammond sehr schön, wie gut sich dieses "soziale" Setting mit Abenteuer und Action verbinden lässt. Denn wer weiß, was einem alles so auf einer solchen Reise begegnet? Im Falle von Angaj-Duzmut und ihren Gefährt*innen sind das monströse Geier, aus deren Körpern hier und da menschliche Gliedmaßen (oder auch mal ein Auge) wachsen. Die Gruppe sucht schließlich in einem (~buddhistischen) Tempel Zuflucht. Die Fresken im benachbarten Höhlenheiligtum sind nicht nur der Schlüssel zur Rettung, sondern heben noch einmal den quasi-anarchistischen Grundton der Geschichte hervor. Sind die dort abgebildeten Höllenqualen doch ganz den Martern und Bestrafungen nachempfunden, mit denen die Staatsgewalt ihre Untertanen "diszipliniert".
Die einzige Schwäche der Geschichte besteht für mich in der abschließenden Passage, in der uns Angaj-Duzmuts Geliebte, die "Räuberkönigin" des "Commonwealth", diesen Subtext noch einmal auf dem Silbertablett serviert. Was meiner Meinung nach nicht nötig gewesen wäre.       
 
Zum Abschluss noch ein paar kurze Worte über den restlichen Inhalt des Magazins.
Über die kurzen Aufsätze The Origins of New Edge von Howard Andrew Jones und What is New Edge Sword and Sorcery von Oliver Brackenbury muss ich denk ich nichts weiter sagen. Cora Buhlert hat einen sehr schönen und informativen Essay über C.L. Moore and Jirel of Joiry beigesteuert hat, der mir große Freude bereitet hat, nicht nur weil wir beide große Fans der Autorin sind, sondern auch, weil ich es stets begrüße, wenn die Aufmerksamkeit einmal wieder darauf gelenkt wird, dass die Sword & Sorcery von Anfang ihre Heldinnen hatte. Dasselbe gilt für Nicole Emmelhainz' Gender Performativity in Howard's Sword Woman. Zwar erscheinen mir einige ihrer Argumente etwas konstruiert, doch im Großen und Ganzen bietet der Text eine interessante Herangehensweise an die Figur der Dark Agnes. Brackenburys Interview with Milton Davis, das man sich hier auch anhören kann, zeigt am Beispiel der Sword & Soul, dass es schon seit längerem Bemühungen um mehr Diversität in der S&S gibt. Und Brian Murphys Beitrag The Outsider in Sword & Sorcery zeigt am Beispiel einer ganzen Reihe klassischer S&S-Held*innen, dass das Subgenre schon immer den Geist des Nonkonformismus und Rebellentums in sich getragen hat. Einen Geist, den es immer wieder neu und in neuen Formen zu entfachen gilt.
 
Ob der "New Edge" als "Bewegung" eine große Zukunft beschieden ist, vage ich nicht zu prophezeien. Aber die Null-Nummer des Magazins stellt ohne Zweifel eine lohnende Lektüre dar. Bleibt nur zu hoffen, dass es Oliver Brackenbury tatsächlich gelingen wird, weitere Ausgaben von New Edge Sword and Sorcery auf die Beine zu stellen, die dann über Crowdfunding finanziert werden sollen.