"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Samstag, 31. Dezember 2016

Strandgut der Woche

Sonntag, 25. Dezember 2016

Julzeit-Vergnügen

When I returned to the drawing-room I found the company seated round the fire listening to the parson, who was deeply ensconced in a high-backed oaken chair, the work of some cunning artificer of yore, which had been brought from the library for his particular accommodation. From this venerable piece of furniture, with which his shadowy figure and dark weazen face so admirably accorded, he was dealing out strange accounts of the popular superstitions and legends of the surrounding country, with which he had become acquainted in the course of his antiquarian researches. I am half inclined to think that the old gentleman was himself somewhat tinctured with superstition, as men  are very apt to be who live a recluse and studious life in a sequestered part of the country and pore over black-letter tracts, so often filled with the marvelous and supernatural.   

Wie berichtet, war ich nicht unbedingt in Festtagslaune, als Heilig Abend herannahte. Das hat sich inzwischen erfreulicherweise etwas geändert. Grund hierfür war vor allem ein Weihnachtsgeschenk besonderer Art, als eine sehr liebe Freundin, von der ich seit längerer Zeit nichts mehr gehört hatte, sich plötzlich bei mir zurückmeldete. 
Wie dem auch sei, auf jedenfall befand ich mich heute in der richtigen Stimmung, um das Fest auf eine Weise zu feiern, die mir besonders sympathisch ist.
 
Alle, die meinem Blog schon etwas länger folgen, wissen vermutlich, dass ich ein großer Freund der alten englischen Tradition bin, sich zur Julzeit mit dem Erzählen von Gespenstergeschichten zu unterhalten. Da kam mir ein anderes, etwas materielleres -- aber gleichfalls phantastisches -- Weihnachtsgeschenk sehr entgegen, das ich am Abend zuvor erhalten hatte: Die von Leah Moore und John Reppion kreierte Comicadaption der ersten vier Ghost Stories of an Antiquary des unsterblichen M.R. James.

Ich muss gestehen, dass der Comic eine Kunstform ist, zu der ich lange Zeit keinen rechten Zugang habe finden können. Warum, weiß ich selbst nicht so genau. Auf jedenfall ist meine Vertrautheit mit ihr auch heute noch sehr unterentwickelt. Was mich allerdings nicht davon abgehalten hat, das exquisite kleine Bändchen schon beim ersten Hineinschmökern äußerst ansprechend zu finden. Moore und Reppion beweisen ein tiefes Einfühlungsvermögen in Montys Erzählkunst, deren besondere Qualitäten sie sehr geschickt in das neue Medium zu übertragen verstehen. Die Zeichnungen von Aneke, Kit Buss, Fouad Mezher und Alisdair Wood verleihen aufgrund der sehr unterschiedlichen Stile der Künstlerinnen & Künstler jeder der vier Geschichten (Canon Alberic's Scrap-book, Lost Hearts, The Mezzotint und The Ash-tree) einen distinkten Charakter. Selbstredend kann eine erste, oberflächliche Lektüre einem Werk dieser Art nicht gerecht werden. Es verlangt nach eingehenderer und aufmerksamerer Betrachtung. Dennoch kann ich Ghost Stories of an Antiquary Vol. 1 schon jetzt jedem Freund & jeder Freundin des Phantastischen, und vor allem natürlich allen Verehrerinnen & Verehrern von M.R. James und der klassischen englischen Gespenstergeschichte, wärmstens ans Herz legen. {Interviews mit John Reppion & Leah Moore zu dem Buch kann man sich in diesen Episoden von A Podcast to the Curious und The Northern Soul Podcast anhören.}

Da der 24. Dezember nicht nur Heilig Abend, sondern zugleich der Geburtstag des von mir tief verehrten Fritz Leiber ist, dachte ich mir, die Lektüre einer seiner unheimlichen Kurzgeschichten sei gleichfalls keine schlechte Idee für den ersten Weihnachtstag. Ich entschied mich für The Girl with the Hungry Eyes
Wenn Monty der unbestrittene Großmeister der klassischen Geistergeschichte ist, legt uns Leiber mit dieser beeindruckenden kleinen Story ein frühes Beispiel für einen spezifisch modernen Horror vor.

Doch so schön es auch ist, eine gute Spukgeschichte zu lesen, es ist nicht dasselbe, wie sie erzählt zu bekommen. Für die richtige Julfest-Unterhaltung musste ich mich anderswo umschauen. Glücklicherweise kenne ich genug britische Freunde & Freundinnen des Unheimlichen & Phantastischen, die diese Tradition ihrer Heimat hochhalten und zur Weihnachtszeit entsprechende Beiträge ins Netz stellen.
Da hätten wir z.B. Christopher Browns großartige A Drinker's Story. Was mich an dieser Geschichte besonders angesprochen hat, ist, dass der Akt des Erzählens selbst ein integraler Bestandteil der Erzähluing ist. Sie würde nicht diesselbe Wirkung erzielen, wenn man sie lesen würde.
Der gute Mr. Jim Moon derweil erfreut uns in Do You Hear What I Hear mit einem Bericht darüber, wie die alte Standuhr, die allen Hörern & Hörerinnen seines Podcasts Hypnobobs wohlbekannt sein dürfte, ursprünglich ihren Weg in Darlingtons "Great Library of Dreams" gefunden hat. Dabei wandelt er wieder einmal auf den Spuren des großen Geisterjägers Carnacki.
Und die wundervolle Julia Morgan (Morgan Scorpion) schließlich hat vor einigen Stunden eine von ihr vorgetragene Fassung von Elizabeth Gaskells The Old Nurse's Story hochgeladen. Für weitere nächtliche Julzeit-Vergnügen ist damit gesorgt.

Samstag, 24. Dezember 2016

Strandgut der Woche

Freitag, 23. Dezember 2016

It's beginning to look a lot like ...

Nein, es ist mir nicht gelungen, meinen Blog in den letzten Wochen etwas weihnachtlicher zu gestalten. Zumindest ein Grund dafür ist jobbedingt. Sagen wir's mal so: Die Versuchung, zu einem Grinch zu werden, wird durch eine Arbeit im Einzelhandel nicht unbedingt abgemildert. Und wenn deine Arbeitgeber dann auch noch den Anschein erwecken, bei Ebenezer Scrooge in die Lehre gegangen zu sein, ist das gleichfalls nicht eben geeignet, festliche Stimmung aufkommen zu lassen.
Nun, wie dem auch sei, da ich sonst nichts adventliches zu stande gebracht habe, wollte ich meine Leserinnen & Leser wenigstens mit diesem Liedchen beglücken. Es stammt von der ersten Weihnachts-CD der großartigen H.P. Lovecraft Historical Society -- A Very Scary Solstice. Ich habe leider keine Ahnung, wer das Video kreiert hat.

   

Dienstag, 20. Dezember 2016

Ein verdammt schlechter Scherz

Auch wenn es sicher nicht ganz falsch ist, in der anhaltenden Schwemme von Remakes, Reboots und Sequels ein Symptom der tiefen Krise des amerikanischen Films zu sehen, sollte man nicht bei jedem neuen Remake-Gerücht, das aus Hollywood an die Öffentlichkeit dringt, augenblicklich in den kulturpessimistischen Meckermodus verfallen.
Einmal ganz davon abgesehen, dass erfahrungsgemäß ohnehin nur ein sehr kleiner Prozentsatz dieser Gerüchte jemals zu einer tatsächlichen Filmproduktion heranreifen wird, sollten wir nicht vergessen, dass Remakes seit altersher Teil der Filmindustrie waren. So war es z.B. etwas peinlich, mit ansehen zu müssen, wie Scharen von Filmkritikern und -kritikerinnen den diesjährigen Ben-Hur in die tiefsten Tiefen der Hölle verdammten, mit dem Argument, es handele sich bei ihm um ein Remake des William Wyler / Charlton Heston - Klassikers von 1959. Dass dieser selbst ein Remake gewesen war, scheint den meisten von ihnen nicht bewusst gewesen zu sein. {Wer das epische Original von 1925 nicht kennt, sei auf Fritzi Kramers gleichfalls epischen Blogpost auf Movies Silently verwiesen.} Eine ganze Reihe von Douglas Sirks klassischen Melodramen der 50er Jahre wie Magnificent Obsession (1954), There's Always Tomorrow (1956) und Imitation of Life (1959) sind Remakes. Hey, Joseph Losey hat 1951 sogar ein Remake von Fritz Langs M - Eine Stadt sucht einen Mörder (1931) gedreht! 

Und doch tauchen immer mal wieder Remake - Pläne auf, bei denen einem zurecht die Ohren schlackern. Eine neue, "ernsthafte" Version von Ed Woods Plan 9 From Outer Space? Eine Suspiria - TV-Serie? Das klingt schon recht bizarr.
Aber auch solcherart Präzedenzfälle hatten mich nicht auf die Meldung vorbereiten können, die mir vor ein paar Tagen unter die Augen gekommen ist: Sam Esmail, der Schöpfer von Mr. Robot, soll im Auftrag von Universal Cabel Productions ein Remake von Metropolis in Form einer TV-Miniserie drehen!

Bitte was!?! Das kann doch eigentlich bloß´ein schlechter Scherz sein!
Wohlgemerkt bin ich selbst überhaupt kein glühender Verehrer von Fritz Langs Original aus dem Jahre 1927. Aber das macht die Sache auf seine Art nur noch schlimmer.
In cinematographischer Hinsicht ist Metropolis ganz ohne Frage ein unsterbliches Meisterwerk. Der Film sieht einfach atemberaubend aus. Doch es wäre nicht nur verdammt arrogant von Esmail, wollte er versuchen, den großen Fritz Lang in diesem Bereich nachzuahmen {oder zu "übertreffen"}, der expressionistische Stil des Originals wäre wohl auch kaum für eine TV-Serie unserer Tage geeignet. Bleibt letztlich also nur Thea von Harbous Story. Und ich sage es ganz unumwunden: Diese Story ist absoluter Bullshit! Die ganze kindische Parabel vom "Herz", das der "Mittler zwischen Hirn und Händen" sein muss, wobei Freder Fredersen am Ende in die Rolle eines Christus des Kapitalismus schlüpft, ist in meinen Augen nicht nur fürchterlich peinlich, sondern auch stockreaktionär. Das Märchen von der Versöhnung der Klassen, die der selbstlose Fabrikantensohn herbeiführt, war vor dem Hintergrund der heftigen Klassenkämpfe der 20er Jahre absurd und wäre es ebenso vor dem Hintergrund der sich immer weiter verschärfenden sozialen Konflikte unserer Zeit.
Ich bin mir natürlich im Klaren darüber, dass die Story der TV-Serie mit ziemlicher Sicherheit sehr stark von ihrem Vorbild abweichen wird. Dennoch frage ich mich, was anderes Sam Esmail dazu verleitet haben könnte, ein solch absurdes Projekt überhaupt erst zu entwickeln. Irgendetwas muss ihn an der Geschichte angesprochen haben. Andernfalls ließe sich das Ganze bloß als der irr-arrogante Versuch interpretieren, sich mit Fritz Lang messen zu wollen. Und wie erbärmlich wäre das erst.
Der Plan eines Remakes von Metropolis ist deshalb nicht bloß eine schallende Ohrfeige für alle Freunde & Freundinnen des klassischen Films, sondern zugleich ein Beleg für die intellektuelle Armut Esmails. Wie schon Mr. Robot gezeigt hat, fühlt sich der Drehbuchschreiber & Regisseur offenbar dazu getrieben, sich mit der ständig wachsenden sozialen Polarisation in der US (und der Welt -) Gesellschaft auseinanderzusetzen. Doch scheint er nicht über den dafür nötigen historischen, politischen und sozialen Tiefblick zu verfügen.

Samstag, 17. Dezember 2016

Strandgut der Woche

Samstag, 10. Dezember 2016

Ein altes Adventsprogramm

Der gute Frank Böhmert hat kürzlich auf seinem Blog einen sehr schönen Beitrag über die Freuden des "Weihnachtsrummels" veröffentlicht. Nun befinde ich mich selbst zwar noch nicht ganz in (vor)weihnachtlicher Stimmung, aber sein Post hat in mir den Wunsch geweckt, es auch hier etwas adventlicher zu gestalten. Ob mir dies gelingen wird, wird sich zeigen, sind die Wochen vor dem Fest in meinem Brotjob doch traditionell besonders stressig. Fürs Erste muss ich mich damit begnügen, meine Leserinnen & Leser auf mein altes Adventsprogramm aus dem Jahr 2013 zu verweisen.
 
1. Advent: "The Box of Delights"
2. Advent: "Sir Gawain and the Green Knight"
3. Advent: "A Christmas Carol"
4. Advent: "The Blue Carbuncle"

Strandgut der Woche

Donnerstag, 8. Dezember 2016

Back in the U.S.S.R. (V)

You, octagonal yurt,
Again sweetly tune my gaze!
It seems I bid farewell to you
And I left for the city's bright sights.

I bid farewell to you, my sickly one,
A young man in his prime ...
The cloud of smoke above you
Has thinned to a charred shock of hair.

Though it was so painful for me
To leave you, my ailing one,
I could not toss off like old boots
My thirst for knowledge, for light!

I left with the secret desire
To learn, to experience and to suffer
And, before life soured
My youthful years, to see life.

I left without telling anyone
That I would return to my birthright, to you
But I would return with a truth that triumphed,
Tempered in red-hot battle.

It was hard then for me to wander
Through strange and unknown places,
I remember those days – I wept from mockery.
All around both merriment and uproar.

Though I tried to be bold and proud,
My heart sometimes cringed at the phrase,
"Hey, Buryat! You, slant-eyes!"
With which they regaled me, the wanderer, more than once.

I would have pierced my heart with steel,
Would have put a bullet through my temple,
If the winds from the distant forest
Had not stirred up the sand near the yurt.

I am now ringed by the radiance
Of the resounding triumph of labor.
Be gone, oh former suffering,
Forever, forever, forever!

Pjotr Dambinow, The Octagonal Yurt (1)  


Wie ich in Blogposts über den Maler Nikolai Roerich sowie die symbolistische Literatur (hier * hier * hier) in der Vergangenheit schon mehrmals geschildert habe, hatte sich um die Jahrhundertwende in bedeutenden Teilen der russischen Intelligenzija eine starke Faszination für allerlei mystische Heilslehren ausgebreitet, wobei neben dem von Dimitri Mereschkowski gepredigten, christlichen "neuen religiösen Bewusstsein" die von der russischen Generalstochter Helena Blavatsky gegründete Theosophie eine wichtige Rolle spielte. 
Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass so manche der bürgerlichen Intellektuellen, für die die Oktoberrevolution einem Weltuntergang gleichkam, die Hoffnung hegten, die asiatischen Völkerschaften des ehemaligen Zarenreiches würden sich als das Bollwerk erweisen, an dem die revolutionäre Flutwelle schließlich zerbrechen werde. – Asien ist uralt, weise und unveränderlich, der Bolschewismus nur ein vorübergehender Fieberwahn. (2)
So glaubte z.B. die Dichterin Marina Zwetajewa während einer Reise auf die Krim einer Welt zu begegnen, an deren patriarchalisch-schwermütiger Würde die Sturmflut der Revolution wirkungslos abprallen werde:
Ein Kaffeehaus in Otusi. An den Wänden bolschewistische Aufrufe. An den Tischen langbärtige Tataren. Wie langsam sie trinken, wie sparsam sie reden, wie gewichtig sie sich bewegen. Für sie ist die Zeit stehengeblieben. Das 17. Jahrhundert gleicht dem 20. Jahrhundert. Auch die Tässchen sind die gleichen, blaue, mit kabbalistischen Zeichen, ohne Henkel ... Bolschewismus? Marxismus? Plakate, schreit euch die Kehle heiser! Was gehen uns eure Maschinen, Lenins und Trotzkis an, was eure neugeborenen Proletariate, eure sich zersetzenden Borgeoisien ... Wir haben den Ramadan, den Mullah, den Wein und die dunkle Erinnerung an eine große Herrscherin ... Hier dieses siedene Pech auf dem Grund vergoldeter Tässchen ... Wir stehen außerhalb, wir stehen darüber, wir sind seit ewigen Zeiten. Ihr müsst erst werden, wir sind schon vergangen. Wir sind ein für allemal. Uns gibt es gar nicht. (3)
Seien wir ehrlich: Ist diese vermeintliche "Ehrfurcht" vor dem "unveränderlichen Asien" bei Lichte betrachtet nicht selbst ein Ausdruck westlich-europäischer Arroganz?  – Wir haben die Elektrizität, das Auto und die moderne Medizin, bleibt ihr mal schön bei euren Mullahs und eurem Tässchen Mokka.

Doch schon bald sollte sich herausstellen, dass auch für Asiens Völker die Zeit keineswegs stehengeblieben war.

Es gibt kaum ein dümmeres Vorurteil als den Glauben an die Unveränderlichkeit des "Nationalcharakters". Die Mentalität eines Volkes ist weiter nichts als die aufgespeicherte Masse seiner historischen Erfahrungen. Sie wird geformt von sozialen, kulturellen und politischen Kräften und verändert sich zusammen mit ihnen. Zwar ist die Tradition ein psychologischer Faktor von beträchtlicher konservativer Widerstandskraft, doch letztlich erweist sich die Macht der Geschichte jeder noch so fest verwurzelten "nationalen Eigenart" als überlegen.
Der Kapitalismus hatte bereits in den Jahrzehnten vor der Revolution begonnen, das wirtschaftliche und soziale Fundament zu zersetzen, auf dem die traditionelle Lebensweise der "kleinen Völker" des Russischen Reiches beruhte. Die Revolution und die bewusste Politik der Bolschewiki beschleunigten diesen Prozess und hoben ihn auf ein neues Niveau. 
Zwar geriet die wirtschaftliche Integration der Peripherie infolge der durch Welt- und Bürgerkrieg hervorgerufenen Krise erst einmal ins Stocken, dafür riss allein schon die Heftigkeit der sozialen Kämpfe die "kleinen Völker" aufs unbarmherzigste aus ihrem mittelalterlichen Schlummer. 
Zugleich begann sich eine kulturelle Umwälzung von nie dagewesenem Umfang Bahn zu brechen. Die Sowjetregierung erklärte dem Analphabetentum den Krieg, gründete unzählige neue Schulen, Bibliotheken und Kultureinrichtungen, mobilisierte die Jugend gegen die patriarchalen und feudalen Vorurteile ihrer Eltern. Große Bedeutung kam dabei u.a. dem Ringen um die Befreiung der Frau zu. Die bolschewistische Frauenorganisation Schenotdel führte in den asiatischen Sowjetrepubliken einen unermüdlichen Kampf gegen die traditionelle Despotengewalt von Vater und Ehemann, gegen jahrhundertealte religiöse und kulturelle Vorurteile und die faktische Haussklaverei der Frau. Eine ganze Reihe ihrer Vertreterinnen fielen dabei Mordanschlägen religiöser Fanatiker zum Opfer. Aus gutem Grund bekommen wir in Dsiga Wertows großartigem Film Schestaja Tschast' Mira / Ein Sechstel der Erde (1926) eine Szene zu sehen, in der eine Muslimin öffentlich den Schleier ablegt. (4) Organisationen wie der 1923 in Tiflis gegründete Mohammedanische Frauenklub waren bemüht, auch die am stärksten den alten Traditionen verhaftet gebliebenen Teile der weiblichen Bevölkerung zu erreichen. In seinen Räumen wurde nicht nur politische Propaganda betrieben, hier fanden auch Lese- und Schreibkurse, populärwissenschaftliche Vortragsabende und kulturelle Veranstaltungen statt, außerdem wurde den Frauen juristische Beratung angeboten.
Zwar sahen sich die Kommunisten hin und wieder dazu gezwungen, Kompromisse mit konservativeren Kräften unter den nationalen Minderheiten einzugehen, doch im Großen und Ganzen war die Entwicklung nicht aufzuhalten. Man vergleiche Zwetajewas wehmütige Szenerie – ihre langbärtigen Tartaren, die über Tässchen mit "kabbalistischen Zeichen" sitzen – mit der Beschreibung der jungen Studenten und Studentinnen, denen der britische Journalist Henry N. Brailsford wenige Jahre später an der Tartarischen RABFAK [Arbeiterfakultät] in Kasan begegnete: 
They are a stimulating sight when the students are Russians, but a view of the faces of these Tartar and Bashkir students made me long for a knowledge of their speech, that I might explore their minds. The heads and faces were remarkable enough as one saw them massed in the class room. The straight black hair, the high cheek-bones, the closely set eyes and the wide nostrils proclaimed their Mongolian descent. But through what mental adventures must they be passing! Conceive the bewilderment of these girls in their early twenties, if anyone had told them, ten years ago, that their destiny is not the veil and subjection in a Tartar laborer's hut, but a share in the learned work of the new rulers of Russia. That dark-skinned, comely girl with the great shock of black hair grew up in a Nomad's tent, the inheritor of a mental world which had neither changed nor expanded for ten centuries. today she sits gazing at charts and pictures which illustrate the Darwinian theory, and dreams of her coming work as a doctor. The lad beside her, who may have hoped to herd horses on the steppe, may take his degree in economics, and live to administer the industries of the Republic. (5)
Mir geht es nicht darum, die frühsowjetische Nationalitätenpolitik kritiklos zu verherrlichen. Die Bolschewiki selbst taten dies ja auch nicht. Vielmehr erklärten sie immer wieder, dass sie im Interesse der Revolution bereit seien, sich jederzeit über die formalen Grundsätze der Demokratie hinwegzusetzen. Und das Recht auf nationale Selbstbestimmung bildete da keine Ausnahme. Nach dem Einmarsch der Roten Armee in Georgien und der Zerschlagung der menschewistischen Republik im Feburar 1921 erklärte Trotzki ohne Umschweife: 
We do not only recognize, but we also give full support to the principle of self-determination, wherever it is directed against feudal, capitalist and imperialist states. But wherever the fiction of self-determination, in the hands of the bourgeoisie, becomes a weapon directed against the proletarian revolution, we have no occasion to treat this fiction differently from the other ‘principles’ of democracy perverted by capitalism. (6)
Auch war nicht zufällig die Nationalitätenpolitik einer der Punkte, an denen sich Lenins "letzter Kampf" gegen Stalin und die erstarkende Bürokratie entzündenn würde. Doch dazu später mehr.
Jedenfalls kann ein objektiver Betrachter der Sowjetgeschichte kaum leugnen, dass der Sieg der Bolschewiki den Weg ebnete für eine nie dagewesene kulturelle Blüte unter den nationalen Minderheiten des Russischen Reiches. Völker, die seit Jahrhunderten unter der Knute des Zarismus und den Russifizierungsbestrebungen seiner Beamten gelitten hatten, deren Kinder in der Schule nicht einmal ihre eigene Muttersprache hatten benutzen, geschweige denn die Kultur und Geschichte ihrer Heimat hatten kennenlernen dürfen, erwachten zu einem neuen und selbstbewussten Leben. 
Zu ihnen gehörte auch das Volk der Burjaten oder Burjat-Mongolen.

Die russische Expansion nach Sibirien setzte im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts ein, als der Kosakenataman Jermak Timofejewitsch und seine Mannen im Auftrag der Nowgoroder Kaufmannsfamilie Stroganow und mit dem Segen von Zar Iwan IV. "Grozny" ("dem Schrecklichen") erstmals in die finsteren Wälder jenseits des Urals vorstießen. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts brachte das Zarenreich schließlich auch die fernöstliche Region um den Baikalsee unter seine Kontrolle und unterwarf sich das dort lebende Volk der Burjaten – Nachkommen mongolischer Stämme, die gut vier Jahrhunderte zuvor vom Süden kommend in den Landstrich eingewandert waren und sich mit den dort lebenden Tungusen und anderen sibirischen Völkerschaften vermischt hatten.
Befestigte Kosakensiedlungen (ostrogi) bildeten die Vorposten des Reiches in den neu eroberten Gebieten. Die Hauptgefahr ging allerdings nicht in erster Linie von den einheimischen Stämmen aus – auch wenn es 1695/96 zu Aufständen der Burjaten kam –, als vielmehr vom China der Qing-Dynastie, das Russlands neugewonnene Vormachtstellung im Fernen Osten mit großem Argwohn registrierte. Die Russen schickten daraufhin mehrere Emissäre an den Hof des Kaisers K’ang-hsi, und schließlich trafen sich im Jahre 1689 zwei Gesandtschaften in der russischen Siedlung Nertschinsk und handelten einen Vertrag aus, der den Flusslauf des Amur und das Hsingan-Gebirge als Grenze zwischen den beiden Reichen festschrieb. Dennoch blieb die Lage in den nächsten Jahrzehnten ziemlich gespannt.
In eben diese Zeit fallen auch die ersten Anfänge buddhistischer Missionstätigkeit in Burjatien. Im Jahr 1712 erreichte eine Gruppe von einhundertfünfzig Gelug-pa - Mönchen (7) aus Tibet und der Mongolei die Ufer des Baikalsees und begann unter den burjatischen Stämmen "das Rad des Dharma zu drehen". Die russischen Behörden verfolgten das eifrige Wirken der Lamas mit zunehmendem Unbehagen. Die Mönche stammten aus Gebieten, die dem Einfluß der Qing unterstanden, und die Statthalter des Zaren sahen in der rasch wachsenden buddhistischen Gemeinde deshalb wohl nicht ganz zu Unrecht eine Art "fünfte Kolonne" Pekings. An diesen Befürchtungen änderte auch der russisch-chinesische Vertrag von Kjachta wenig, in dem 1727 der Grenverlauf entlang von Amur und Argun erneut fixiert wurde.
Doch schließlich entwickelte Savva Ragusinski, der russische Botschafter in Peking, eine ebenso einfache wie geniale Strategie zur Lösung des Problems. Statt den Buddhismus zu bekämpfen, solle die Regierung vielmehr alles daran setzen, eine starke und unabhängige buddhistische Hierarchie in Burjatien aufzubauen, die keinerlei Verbindungen zu den chinesisch kontrollierten "Heimatgebieten" mehr haben dürfe. So könne man nicht nur der Gefahr einer Einflussnahme durch China begegnen, sondern würde zugleich eine loyale burjatische Elite heranbilden, die im Zaren ihren Schutzherrn sehen werde. Diesen Plan legte Ragusinski 1728 in einer Art Memorandum mit dem nichtssagenden Titel Instruktionen für das Wachpersonal an unseren Grenzen nieder. Er forderte darin, die russisch-chinesische Grenze für alle ausländischen Lamas zu schließen und gleichzeitig aus jedem burjatischen Klan zwei Jungen auszuwählen, die in Zukunft hohe Posten in der buddhistischen Hierarchie einnehmen sollten. Die bereits vorhandenen religiösen Institutionen müsse man nicht nur anerkennen, sondern sogar nach Kräften unterstützen. Gleichzeitig sei jedoch Sorge dafür zu tragen, dass alle Verbindungen der Großlamas nach Tibet, der Mongolei, Urga (Yihe Huree) und der Mandschurai gekappt würden. (8)
Die russische Herrschaft in Sibirien basierte zu einem Gutteil auf der Zusammenarbeit mit den einheimischen Eliten. Lokale Kleinfürsten und Stammesoberhäupter wurden in das imperiale System integriert, solange sie dem Zaren Tribut entrichteten. Sogenannte "Diensttataren" bildeten einen wichtigen Bestandteil der russischen Truppen. Raguzinskis Vorschlag entsprach vollkommen dieser politischen Strategie und stieß in Petersburg auf offene Ohren. 1741 wurde der Buddhismus in einem Dekret der Zarin Jelisaweta Petrowna offiziell als eine der Religionen des Reiches anerkannt.
Bis 1777 wurden insgesamt zwölf buddhistische Klöster in Transbaikalien gegründet. 1764 schuf man den Rang des Pandito Chambo Lama, der als oberster weltlicher und geistlicher Würdenträger der burjatischen Buddhisten stets aus den Reihen der einheimischen Großlamas und tulkus (9) stammte. Sitz des Hierarchen war anfangs das 1730 gegründete Kloster (datsan) von Shiretui tsongol'skii, doch kam es schon bald zu heftigen Rivalitäten zwischen der Führung des Heiligtums und den mächtigen Lamas des Gänsesee-Klosters (Gusino Ozero). 1808 setzte sich das Gänsesee-Kloster endgültig gegen seinen Rivalen durch, und der Sitz des Pandito Chambo Lama wurde in das südlich von Verchne-Udinsk (heute Ulan-Ude) gelegene Heiligtum verlegt, das bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts das unbestrittene Zentrum des Buddhismus in Burjatien blieb. Nach der Gründung des Gouvernements Irkutsk im Jahr 1801 trieb die russische Verwaltung den Aufbau einer starken einheimischen Hierarchie mit Unterstützung des burjatischen Adels weiter voran, wobei sich die zaristischen Behörden allerdings das Recht vorbehielten, bei der Besetzung von wichtigen religiösen Posten ein entscheidenes Wörtchen mitzureden. Anders als die Kalmüken, die gleichfalls der Lehre des Buddha folgten, blieben die Burjaten deshalb weitgehend verschont von den aggressiven Missionsbemühungen der orthodoxen Kirche. 
Der Versuch der russischen Behörden, den burjatischen Sangha (10) vollständig von der Mongolei und Tibet zu isolieren, war allerdings nur zum Teil erfolgreich. Als Angehörige der "gelben Kirche" sahen die burjatischen Buddhisten im Dalai Lama immer noch ihr religiöses Oberhaupt, und manch ein Lama machte sich trotz aller Verbote auf die lange und beschwerliche Reise in das ferne Schneeland, um in den großen Klöstern der Gelug-pa religiöse Unterweisung zu suchen.
Die Zentren des burjatischen Buddhismus lagen südlich und östlich des Baikalsees, wo die Burjaten auch weiterhin an der nomadischen Lebensweie ihrer mongolischen Vorfahren festhielten. Inmitten von Tundra und Bergland erhoben sich hier die großen buddhistischen Klöster, deren Äbte als Feudalherren über das Umland und seine Bewohner herrschten. Weiter im Westen wandten sich die Burjaten verstärkt dem Ackerbau zu und eigenartigerweise erwies sich der vorbuddhistische schamanistische Glaube gerade in diesen bäuerlich geprägten Regionen als besonders zäh.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu einschneidenden Veränderungen in den sozialen und kulturellen Verhältnissen der Region, als die kapitalistische Entwicklung, die seit der Aufhebung der Leibeigenschaft im Jahr 1861 ganz Russland erfasst hatte, auch den Fernen Osten erreichte. Zentrum der Entwicklung wurde die Stadt Irkutsk, ein wichtiger Warenumschlagsplatz im russisch-chinesischen Handel. Symbol und Motor des wirtschaftlichen Fortschritts war die Transsibirische Eisenbahn, deren Bau im Frühjahr 1891 in Wladiwostok und zugleich in Tscheljabinsk am Ural begonnen worden war. Am 16. August 1898 rollte der erste Zug aus Moskau im Bahnhof von Irkutsk ein. Mit der Transsib begann zunehmend russisches und ausländisches Kapital in die bisher weitgehend unzugänglichen Regionen zu strömen. Existierten 1894 in ganz Sibirien nur fünf Banken, so waren es ihrer 1911 bereits knapp siebzig, zehn davon in Wladiwostok. Der Bau der Eisenbahnstrecke selbst war zu einem Gutteil mittels französischer und belgischer Anleihen finanziert worden, nun floss ausländisches Geld auch in Fabriken, Bergwerke und Handelsunternehmen.
Das Aufblühen der Gouvernementshauptstadt Irkutsk begann auch die in ihrer Umgebung am Westufer des Baikalsees lebenden Burjaten zu beeinflussen. Burjatische Kaufleute wurden als Zwischen- und Kleinhändler zu einem wichtigen Bestandteil der lokalen sibirischen Wirtschaft. Hinzu kamen erste moderne Schulen, die zum Teil von nach Sibirien verbannten Russen gegründet worden waren, und in denen die Schüler anders als in den buddhistischen Klöstern mit modernen wissenschaftlichen Ideen bekannt gemacht wurden. Auf dieser materiellen und kulturellen Grundlage entwickelte sich vor allem im Westteil Burjatiens eine moderne nationale Intelligenzija. Es ist kein Zufall, dass so hervorragende Vertreter der burjatischen Nationalbewegung wie der Politiker Michail Bogdanow oder der Dichter und Dramatiker Pjotr Dambinow ausgerechnet aus der kleinen, nahe bei Irkutsk gelegenen Siedlung Bokhan stammten.

Die Metropole Ostsibiriens trug die Züge einer typischen russischen Kolonialsiedlung Ihr Stadtbild wurde geprägt von den Türmen unzähliger orthodoxer Kirchen und Klöster. Als Symbol imperialer Herrlichkeit erhob sich im Zentrum der mächtige Triumphbogen zu Ehren des Fürsten Murawjew, der einst den Fluss Amur erkundet und dem Zarenreich so einen Zugang zum Pazifischen Ozean eröffnet hatte. Wie überall in Sibirien bestanden die meisten Häuser aus Holz – 1879 hatte eine fürchterliche Feuersbrunst große Teile der Stadt hinweggerafft –, die Straßen waren schlammig und ungepflastert, und im Hotel Metropol, dem besten Haus am Ort, kostete eine Übernachtung oder ein Mittagsmahl mehr als im sprichwörtlich teuren St. Petersburg. Insgesamt haftete der Stadt trotz ihres raschen Wachstums und ihrer bereits beeindruckenden Größe immer noch etwas Provisorisches und Hinterwäldlerisches an. Die örtliche Elite bestand wie vor hundert Jahren aus dem Gouverneur und seiner Familie, den zaristischen Verwaltungsbeamten und Offizieren sowie einer Handvoll reicher Kaufleute – allesamt Russen. Dennoch galt Irkutsk nicht ganz zu unrecht als das "Paris Sibiriens", immerhin gab es hier mehrere Theater, eine öffentliche Bibliothek und seit 1901 sogar elektrisches Licht. Den meisten Burjaten jedoch erschien die Stadt nach wie vor als eine fremde und bedrohliche Welt, wie es Pjotr Dambinow später in einem seiner Gedichte beschrieben hat:
 
For me, a Buryat, it's so unexpected - and new
Are the peals and whistles…
The sighs, shouts, the uproar, the pipescreams,
The many-colored lights…

The churches, temples rising to the depths of the heavens,
The towers and palaces…
The waltzes, the dancing, the sounds - songs,
The endlessly festive balls…

And the ladies' attire? - so slim in the middle…
How could this not be a miracle!
Could I have imagined this in my native lands,
Living off the free steppe?

It's so new for me to see the hungry here,
Dying in the dust!
Next to them, I see the well-fed and carefree,
Drowning drunkenly in intoxication!

I cannot comprehend the house of ill repute,
With the red lamp, the flame…
Where the desired city, in naked passion,
Lusts time away both night and day!...

Oh, you city, city! Illuminated brightly
With electric light! -
You are alien, strange to me, and tiresome…
Tiresome, tiresome in every way!

Die zaghaft einsetzende Modernisierung änderte nichts an der ungeheuren Armut, unter der die meisten Burjaten litten. Viele Familien hatten ständig mit dem Hunger zu kämpfen. Der amerikanische Historiker und Ethnologe Jeremiah Curtin, der im Jahr 1900 die Region bereiste, um burjatische Mythen und Legenden zu sammeln, zeichnet ein eindringliches Bild von der traurigen Trostlosigkeit der kleinen Dörfer im Hinterland:
The earth was covered with dust which in the middle of the space occupied reached to the ankles as one walked through it. This stratum, thicker in some places, covered everything to the rim of the village, reaching to the outer houses and beyond them, growing thinner toward the open country till at last one could note it no longer. The dust is the dried and pulverised droppings of animals, such as sheep, horses, and horned cattle. In time of thaw and rain the droppings become a soft mud, in dry, warm weather they are turned into dust. When the days are calm the dust keeps its place and people wade through it; when the wind blows, it fills the air in all directions and is carried into each chink, cranny, and little crevice, into the smallest places. People breathe it, swallow it, drink it, eat it, live, move and have their being in it. (11)
Von ganz ähnlichen Eindrücken wusste auch der russische Forscher B.E. Petri in einem Brief ins heimatliche Petersburg zu berichten, als er sich auf einer Reise zur heiligen Insel Olkhon im Baikalsee befand: „I have to admit, however, that I truly long to return to St. Petersburg. I am sick of smoke inside the yurts, the dirt all around, all over the body and in the food…the journeys on bumpy wagons, the rain…“ (12)
Curtins Buch A Journey in Southern Siberia, das ethnologische Beobachtungen und mythologische Erzählungen mit einem sehr lebendigen Reisebericht verbindet, konfrontiert den Leser mehr als einmal mit den traurigen Zuständen, die Anfang des 20. Jahrhunderts an den Ufern des Baikalsees herrschten: Eine rückständige Landwirtschaft und damit verbunden eine äußerst einseitige Ernährung der Bevölkerung; der Mangel an den elementarsten Formen der Hygiene; die tiefe Kulturlosigkeit und maßlose Habgier der großbäuerlichen Kreise; vor allem aber der allgegenwärtige Alkoholismus. Kein Wort taucht so häufig in Curtins Bericht auf wie tarasun, der Name eines aus fermentierter Milch gewonnen Schnapses. Und mehr als einmal hat der Forscher mit der Trunksucht seiner burjatischen Kutscher, Helfer und Informanten zu kämpfen. Über den burjatischen Kulaken Arkokoff – einen besonders unappetitlichen, aber wohl auch typischen Vertreter seiner Klasse, bei dem Curtin mehrere Tage wohnt – schreibt der Forscher: „Arkokoff professes to be greatly devoted to the old religion; perhaps he is. One thing is certain, he is tremendously devoted to making and hoarding money and drinking tarasun.“ (13)

Das materielle und kulturelle Elend; der Chauvinismus der großrussischen Siedler und Beamten; die zahllosen Beleidigungen und Erniedrigungen, denen die Angehörigen eines unterdrückten Volkes tagtäglich ausgesetzt sind – Gegen all dies versuchten die jungen burjatischen Intellektuellen anzukämpfen. Der sich entfaltende Kapitalismus hatte die unterdrückten Nationen des Riesenreiches aus ihrem jahrhundertelangen Dornröschenschlaf geweckt. Ein neues Nationalbewusstsein entwickelte sich. Die sprichwörtlichen "Hundert Völker" Russlands rieben sich die Augen und rüttelten, vorerst noch zaghaft, an den Gitterstäben des zaristischen Völkergefängnisses.
Die burjatischen Nationalisten waren in gewissem Sinne die jüngeren Geschwister jener russischen Intellektuellen, die in den 1850er und 60er Jahren den Kampf gegen den Zarismus und die alte Feudalgesellschaft aufgenommen hatten. Sie teilten viele Eigenschaften mit jener außergewöhnlichen Generationen, die den Begriff der "Intelligenzija" geprägt hatte und mit Namen wie Herzen, Belinski, Dobroljubow und Tschernyschewski verbunden ist. Wie diese empfanden auch sie den Dienst am Volk als eine geradezu heilige Pflicht und unterwarfen sich einem strengen demokratischen Ethos. Ihr Nationalbewusstsein war im allgemeinen weltoffen, auch wenn viele von ihnen panmongolischen Überzeugungen huldigten: Da gab es z.B. Bazar Baraadin, der an der Petersburger Universität bei den berühmten Orientalisten Stcherbatski und Oldenburg studiert hatte, nun selbst ein bedeutender Buddhologe war und eine neue mongolische Schrift entwickelte, die sich an der modernen Aussprache orientierte und so die Kommunikation zwischen den verschiedenen Völkern mongolischer Abstammung erleichtern sollte. Doch die Liebe zur eigenen Kultur und Tradition verbanden die jungen Idealisten mit Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Ideen und den Errungenschaften der Wissenschaft. Sie betrachteten es als ihre höchste Aufgabe, das Wissen, das sie in Schulen und Universitäten erworben hatten, in den Dienst des einfachen Volkes ihrer Heimat zu stellen, das Licht der Kultur in jede Hütte und Jurte zu tragen und ihre ganze Energie darauf zu verwenden, die Burjaten von Unterdrückung und Unwissenheit zu befreien. Dieses tiefe Pflichtbewusstsein gegenüber dem Volk findet beredten Ausdruck in einem Brief des jungen Wassili Michailow, den dieser als Student aus St. Petersburg an seinen Vater Andrei schrieb:
The most important things for me are the Mongolian and Kalmyk languages and those disciplines that will in some way help me to study Siberia in general and to understand as much as possible the moral and intellectual level of our people who are suffering in ignorance, who are oppressed and forgotten. My moral obligation, the obligation of a person who loves his people, his fellow tribesmen, is to return to my own, to Siberia, and dedicate all my strength to serving my homeland in general and my tribesmen in particular. Let my road be filled with obstacles, let these obstacles rise up before me and crush me like cliffs, let those I long to help react to me coldly. I will not be moved because I will do my duty.
In mancherlei Hinsicht unterschieden sich die burjatischen Intellektuellen allerdings auch sehr deutlich von ihren russischen Vettern und Cousinen der 60er Jahre. So waren nur die wenigsten von ihnen materialistische "Nihilisten" vom Typus des Jewgeni Basarow aus Turgenjews berühmtem Roman Väter und Söhne. Der Ferne Osten Sibiriens lag in sozialer wie kultureller Hinsicht noch immer weit hinter dem europäischen Teil Russlands zurück, und die jahrhundertealten religiösen Traditionen lasteten schwer auf den Schultern der jungen Männer und Frauen und beeinflussten ihr Denken und Fühlen, auch wenn sie Darwins Ursprung der Arten studiert hatten. Sie waren die Vertreter einer Übergangszeit, einen Fuß bereits in der modernen Welt, den anderen noch auf dem religiös durchtränkten Boden der Vergangenheit. So schreibt Jeremiah Curtin über Wassili Michailow:
This young Buriat proved to be a very interesting person. He was at that time a student at the Irkutsk gymnasium. He had passed six years there, and intended to work still another year. Besides studying he had read a good deal, and knew something of great problems in science and also in history. He could talk about Darwin, and the descent of man, and had some knowledge of chemistry. Above all, and for me that was the main point, he knew considerable about his own people, the Buriats. I congratulated him very heartily on being one of a people who had preserved their primeval religion, and who still held to the customs and beliefs of their remote ancestors. I told him that the Buriats were the only Eastern Mongols who had done this, an act which might be considered an exploit and a service to science.
Sein Vater Andrei bekundete voller Stoz: „Bishops and priests [...] have asked me to be baptized, but I would not. I will stay with the beliefs into which I was born." (14) Beide nahmen jedes Jahr an buddhistischen Zeremonien in den Klöstern Transbaikaliens teil.
Von Tsyben Jamtsarano, einem der bedeutendsten Vertreter des bürgerlichen Nationalismus Burjatiens, berichtete ein Bekannter:
He was a well-educated person, but nonetheless very superstitious. He believed in the most impossible things, such as amazons, devils, cannibals, dragons living in wells, cattle living in lakes and only coming out occasionally ... He believed in shamans, and when he was ill, he summoned shamans, healers, lamas, and Russian doctors, taking all their medications simultaneously and agreeing with their magical effects ...
Sowohl Andrei Michailow als auch Jamtsarano glaubten, dass der Buddhismus eine fortschrittliche Rolle in der gesellschaftlichen Entwicklung Burjatiens spielen könne und sahen in ihm vor allem eine Waffe gegen den Alkoholismus. 
Doch keineswegs alle Intellektuellen teilten ihre Überzeugungen. Die burjatische Nationalbewegung umfasste vielmehr eine Vielzahl politischer und weltanschaulicher Strömungen.

Auf ihrem äußersten rechten Flügel standen radikale Verfechter panmongolischer und panbuddhistischer Ideen wie der Großlama Agvan Dorschiew oder der in Petersburg lebende Arzt Pjotr Badmajew, die bei der Verwirklichung ihrer bizarren Träume auf die Unterstützung des russischen Imperialismus setzten.
Der in der Mitte des 19. Jahrhunderts geborene Dorschiew zählt sicher zu den faszinierendsten Gestalten des russischen Buddhismus und spielte eine wichtige Rolle sowohl in der Geschichte Tibets als auch in der seiner burjatischen Heimat. Zu Beginn der 70er Jahre hatte er sich in das ferne Schneeland begeben, um im Kloster Drepung – einem der drei riesigen Hauptköster der Gelug-pa in der Nähe Lhasas – seine religiöse und philosophische Ausbildung zu vervollkommnen. Er erwarb sich den Titel eines Tsanid-Hambo ("Meisters der buddhistischen Philosophie") und wurde zu einem der Lehrmeister des XIII. Dalai Lama Tubten Gyatso. Mit der Zeit entwickelte sich ein enges und vertrauensvolles Verhältnis zwischen dem Burjaten und seinem Schüler, der zu einem intelligenten, selbstbewussten und äußerst ehrgeizigen jungen Mann heranwuchs.  In der Folge spielte Dorschiew eine wichtige Rolle in den politischen Manövern, in deren Verlauf sich Tibet immer weiter in das Netz des "Great Game" verhedderte, jenes großen Ringens zwischen Russland und Großbritannien um die Vorherrschaft über Zentralasien. Auf sein Anraten hin versuchte Tubten Gyatso sich die Unterstützung des Zaren zu sichern, was in einer Katastrophe enden sollte. Im Januar 1904 rückten britische Truppen unter dem Kommando von Sir Francis Younghusband im Schneeland ein. Der Kundun musste in die Äußere Mongolei flüchten, und Dorschiew kehrte in seine russische Heimat zurück.
Seiner Stellung innerhalb der burjatischen Nationalbewegung tat dies jedoch keinen Abbruch. Dorschiew war nicht der einzige Lama unter den nationalistischen Wortführern, doch was seinen kulturellen Horizont und seine Welterfahrung anging, übertraf er die übrigen buddhistischen Hierarchen um ein vielfaches. Das Kloster Drepung und der Hof des Dalai Lama mit ihrem Ränke- und Intrigenspiel waren seine politische Schule gewesen. In Paris hatte er 1898 die europäische Kultur in einer ihrer führenden Zentren kennenlernen können. Seit 1902 hatte er nicht nur Beziehungen zum Zarenhof und hohen zaristischen Beamten wie Fürst Uchtomskij, sondern auch zu einflussreichen Teilen der Petersburger Intelligenz – Künstlern, Gelehrten und Journalisten – geknüpft. Sein Ausflug in die Welt der internationalen Politik endete zwar mit einem Fiasko, dennoch hatte er dabei zweifelsohne wichtige Erfahrungen gesammelt und manch interessante Einsichten gewonnen. Außerdem dürfte die Position, die er als Berater des Dalai Lama an der Spitze des tibetischen Staates eingenommen hatte, sein Selbstbewusstsein beträchtlich gestärkt haben. Unter den burjatischen Lamas musste sich Dorschiew in der Tat vorkommen wie der Hecht im Karpfenteich. Und so griff er immer wieder mit Veröffentlichungen in der sibirischen Presse in die politischen Debatten ein, wobei er sich mit großer Entschiedenheit gegen den säkularen Nationalismus der fortschrittlicheren Intellektuellen wandte und trotz der Katastrophe von 1904 weiterhin an seiner Vision eines buddhistischen Großreichs unter der Schutzherrschaft des Zaren festhielt.
Freilich wurden die überspannten Hoffnungen des Großlamas und seiner Gesinnungsgenossen selbst von ausgesprochen konservativen Nationalisten wie Tsyben Jamtsarano nicht geteilt. Auch standen diese der russischen Herrschaft über ihr Volk im allgemeinen sehr viel kritischer gegenüber als die Panbuddhisten. Einig waren sie sich mit Dorschiew allerdings in der Unterstützung der buddhistischen Religion, in der Ablehnung des politischen Radikalismus und im Kampf gegen das "Assimilantentum". Für Jamatsarano war der Buddhismus der „Fluchtpunkt des nationalen Geistes... der nationalen Individualität und Solidarität“ und ein unverzichtbarer Schutzwall gegen den Einfluss der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands (SDAPR), deren Politik letzlich auf die Auflösung der traditionellen Kultur und Gesellschaftsordnung Burjatiens hinauslaufe, weswegen er die Marxisten im Revolutionsjahr 1905 als die „Partei der Kapitalisierung und Proletarisierung“ beschimpfte. (15) Diese feindselige Haltung gegenüber der SDAPR war übrigens unter den Führern der verschiedenen Nationalbewegungen im Zarenreich keine Seltenheit. So schrieb Mahmud Behbudi, einer der Gründer des nationalistischen Dschaddidismus in Turkestan, 1906 über die Sozialdemokraten: „Our present epoch is not propitious for carrying out their program. . .. Their wishes appear fantastic and joining this party is extremely dangerous for us Muslims." (16)
Etwas anders verhielt es sich natürlich mit dem selbst sozialdemokratisch beeinflussten Michail Bogdanow und anderen Vertretern des linken Flügels. Bogdanow betrachtete den Buddhismus ganz sicher nicht als eine Kraft, die zur Verbreitung von Bildung und Kultur unter den Burjaten beitragen könnte. Außerdem wandte er sich gegen den kulturellen Seperatismus vieler Intellektueller und äußerste ernste Zweifel an der Lebensfähigkeit der traditionellen burjatischen Kultur: 
Will not the omnipotent god of Western European culture, capital, succeed in crushing us? Capital, which has brought new ways of life to Russia and is striding powerfully forward? We must recall that we do not live in the Middle Ages when every little ethnic group could live inside its own little world completely isolated from the outside. We live in the twentieth century when the process of capitalist development is destroying almost all ethnic differences, no matter what Great Walls of China have been thrown up around them. Our salvation lies not in trembling beneath our invented national traits, but in the possibly modest and firm mastery of civilized ways. (17)
Doch welchem Flügel der Bewegung sie auch angehören mochten, die allermeisten Nationalisten der ersten Generation waren keineswegs Revolutionäre und nicht einmal Demokraten im politischen Sinn des Wortes. Sie riefen nicht zum Kampf gegen die Zarenherrschaft auf, sondern sahen ihre Hauptaufgabe in geduldiger, friedlicher Kulturarbeit. Einen recht guten Eindruck von der Aktivität dieser burjatischen "Kulturträger" vermittelt uns ein Brief des Dorfschullehrers Archip Alachanow aus dem Jahre 1913 an Wassil Michailow in Petersburg. Der Lehrer berichtet darin von einem Neujahrsabend, den man im abgelegenen Kharazargai organisiert habe. Zu den Festlichkeiten gehörten die Inszenierung eines burjatisches Theaterstücks mit dem Titel Ukhyl (Der Tod), eine burjatische Tanzvorführung und der Vortrag eines russischen Gedichtes. Im Anschluss sang der örtliche Chor unter Begleitung von Balalaikas und Gitarren burjatische Volksweisen und schließlich klang der Abend mit Tanz und dem Spielen von "Stille Post" aus. Wie Alachanow mit einer Mischung aus Stolz und Ironie bemerkt, waren sämtliche "Großkopferten" der benachbarten Gebiete zugegen. Die Veranstaltung wirkt in ihrer Harmlosigkeit beinahe ein wenig lächerlich. Nichts deutet auf ein subversives Element in den Festlichkeiten hin. Und doch waren Abende wie dieser Bestandteil des mühseligen Ringens, ein wenig Kultur und Aufklärung in Regionen zu tragen, in denen die Menschen noch immer nach den Sitten und Gebräuchen einer vorfeudalen Zeit lebten.

Aber ebenso wie die burjatische Intelligenz ihr Entstehen gesamtrussischen Entwicklungen verdankte, war auch ihr weiteres Schicksal unauflöslich mit demjenigen Russlands verknüpft.
Ein Großteil der intellektuellen Elite des russischen Sibirien bestand aus ehemaligen politischen Verbannten, auch wenn das revolutionäre Feuer bei den meisten von ihnen mit den Jahren zu einem liberalen Glimmen heruntergebrannt war. Das Gouvernement Irkutsk war Verbannungsort für unzählige Revolutionäre aus dem europäischen Teil des Zarenreiches. Bereits die Dekabristen – diese aristokratischen Urväter der revolutionären Bewegung Russlands, die inspiriert von den Ideen der Aufklärung und der Französischen Revolution 1826 einen Putschversuch gegen Zar Nikolaus I. unternommen hatten – waren hierher deportiert worden. Einige ihrer bedeutendsten Vertreter, wie Fürst Sergej Trubezkoi und seine Frau Ekaterina Iwanowna sowie Fürst Serge Wolkonski und seine Frau Maria Nikolajewna, hatten sich damals in Irkutsk niedergelassen. Der Einfluss der idealistischen Adeligen auf die Kultur der Stadt war noch Jahrzehnte später zu spüren. Von 1859 bis 1861 lebte der nach Sibirien verbannte Michail Bakunin in Irkutsk, bevor er über den Fluss Amur aus Russland floh. Nach der Niederschlagung des polnischen Aufstands von 1863 wurden über 10.000 Männer und Frauen nach Ostsibirien deportiert. 1864 gelangte der zu Zwangsarbeit verurteilte Publizist Nikolai Tschernyschewski – einer der glänzendsten Vertreter der russischen Aufklärung und das geistige Haupt der demokratischen Bewegung der 60er Jahre – nach Irkutsk. Im Zuge der Zerschlagung der revolutionären Partei Narodnaja Wolja in den 80er Jahren und mit dem Beginn der sozialistischen Arbeiterbewegung in den 90er Jahren stieg die Zahl der Deportierten, die man über die Flüsse Sibiriens in die Tiefen der Taiga verschickte, um sie dort lebendig zu begraben, dann immer weiter an.
Eine Reihe bedeutender Vertreter des russischen Sozialismus gelangte auf diesem Weg in das Gouvernement Irkutsk. 1897 traf Nikolai E. Fedosejew als Verbannter in Ostsibirien ein, einer der ersten russischen Marxisten, zu dessen Kasaner Studentenzirkel 1889 auch der junge Lenin gehört hatte. Drei Jahre später, als Jeremiah Curtin die burjatischen Dörfer auf der Suche nach Mythen und Märchen durchstreifte, wurde etwas weiter im Norden ein junger Revolutionär die Lena stromaufwärts nach Ust-Kut gebracht. Schon bald erschienen Artikel aus seiner Feder in der Irkutsker Zeitung Östliche Rundschau, in denen sich der Autor u.a. mit dem sibirischen Bauerntum und den russischen Klassikern, mit Ibsen und Gerhart Hauptmann, Nietzsche und Maupassant, Leonid Andrejew und Maxim Gorki auseinandersetzte. Siebzehn Jahre später sollte der brillante marxistische Schriftsteller, der seine Beiträge mit dem Pseudonym "Antid Oto" unterzeichnete, gemeinsam mit Lenin an der Spitze der Oktoberrevolution stehen – Leo Trotzki. Während seiner Verbannung beteiligte er sich am Aufbau der ersten sozialdemokratischen Organisation in Ostsibirien. 1901 wurde ein Komitee der SDAPR in Irkutsk gegründet. In seinem Umfeld war auch der polnische Verbannte Felix Dserschinski tätig, der spätere Leiter der Tscheka. 1904 schließlich traf ein weiterer Deportierter im Gouvernement ein, der wie Trotzki einen gewaltigen Einfluss auf die künftigen Geschicke des Landes ausüben sollte, wenn auch in völlig anderer Richtung. Der junge Georgier, der im übrigen nur einen Monat in Sibirien blieb und dann ins heimatliche Tiflis floh, nannte sich Koba – den Namen Stalin würde er erst in späteren Jahren benutzen.

Vor allem jene Burjaten, die an den Ufern des Flusses Angara lebten, kamen häufiger in Kontakt mit den deportierten Revolutionären und erhielten so aus erster Hand Informationen über die großen politischen und sozialen Kämpfe, die in Russland wüteten. Auf manch einen von ihnen sprang dabei der revolutionäre Funke über. Die Grundfesten des Zarenreiches begannen allmählich zu zerbröckeln und dieser Prozess machte auch vor dem fernen Burjatien nicht halt. Am Horizont zogen bereits die Sturmwolken der ersten Revolution herauf.

Fortsetzung folgt ...




(1) Viele der Zitate in dem folgenden mehrteiligen Text wurden der Artikelserie Voices of Buryat History entnommen, die leider nicht mehr im Netz abrufbar ist. Oft war es mir deshalb nicht möglich, Quellenangaben zu liefern.
(2) Freilich konnten Elemente dieses alten Mystizismus auch mit der revolutionären Begeisterung der ersten Jahre des Sowjetregimes verschmelzen. So brachte z.B. der Stanislawski-Schüler Walentin Smyschliajew zur Eröffnung des Moskauer Proletkult-Theaters im November 1918 eine Dramatisierung von Émile Verhaerens Gedicht La Révolte auf die Bühne, welche sehr deutlich in der Tradition der symbolistischen Mysterienspiele stand. Das Stück begann mit einer "Schöpfungsszene", die auf Motive aus der Genesis und dem Prolog des Johannesevangeliums zurückgriff: "The entire auditorium is sunk in darkness, from which the formless, fleeting sounds of music are born, which slowly grow into an ecstatic hymn. The curtain slowly parts, and the spectator cannot make out anything onstage. Streams of golden sparks shatter the darkness and merge with the stars. The howl of a formless, perturbed crowd, the trampling of running feet. Slowly the red reflections of fires disperse the dark. The spectator begins to make out some lines reminiscent of the angles of houses, a window, a door; but these are not sharp lines, rather quivering, smashed, rebelling. He sees a seething, stirred-up crowd. Out of this chaos rise the words." (V. Smyshliaev: Opyt instsenirovki stikhotvoreniia Verkharna 'Vosstaniia’. In: Gorn (Die Esse) [Zeitschrift des Moskauer Proletkult], Nr.. 2-3 (1919), S. 82. Zit. nach: James von Geldern: Bolshevik Festivals, 1917-1920. S. 56/57.)

(3) Marina Zwetajewa: Auf eigenen Wegen. S. 15/16.
(4) Wertow würde dieses Thema acht Jahre später zum Leitmotiv für den ersten Teil seiner Drei Lieder über Lenin (1934) machen. Ein Film, der leider bereits sehr stark vom stalinistischen Geist – dem offiziellen Leninkult und der Verherrlichung von Zwangskollektivierung & Fünfjahresplan – erfüllt ist.
Wenn Dave Crouch in seinem 2006 erschienenen Artikel The Bolsheviks and Islam die Entschleierungskampagne (Hudschum) als einen stalinistischen Irrweg bezeichnet und sich ganz allgemein bemüht, die antireligiöse Politik der Bolschewiki kleinzureden, so spiegeln sich darin parteipolitische Interessen wider. Crouch ist (oder war?) Mitglied der britischen Socialist Workers Party (SWP), die zu dieser Zeit im Rahmen der "Antikriegskoalition" Respect ein prinzipienloses Bündnis mit der fundamentalistischen Muslim Association of Britain (MAB) eingegangen war. Vgl.: Chris Marsden / Julie Hyland: Respect-Unity coalition in Britain: a marriage of Labourism and Islamism. Part 1 * Part 2.
(5) Henry Noel Brailsford: How The Soviets Work. Kap. 7.
(6) Leo Trotzki: Between Red and White. Kap.9. Eigentlich stand Trotzki dieser überhasteten militärischen Aktion äußerst kritisch gegenüber. Die Intervention in Georgien scheint hinter dem Rücken der Parteiführung vom Kommando der 11. Armee eingeleitet worden zu sein. "Am 17. Februar 1921 benachrichtigte S.S. Kamenew, der Oberbefehlshaber der Roten Armee, Skljaniski, dass der Angriff der 11. Armee die Führer vor 'die vollendete Tatsache' des Einmarsches in Georgien gestellt habe. [...] Lenin und Trotzki, ersterer zurückhaltend, letzterer feindlich, beugten sich schweigend vor den vollendeten Tatsachen. Trotzki sollte sogar ein wenig später öffentlich polemisieren, um dieses Eingreifen und die Invasion Georgiens zu verteidigen, Mit seiner Partei solidarisch, selbst im Irrturm, akzeptierte er so, vor der internationalen Arbeiterbewegung für das Eingreifen in Georgien die Verantwortung zu tragen." (Pierre Broué: Trotzki. Eine politische Biographie. Bd. 1. S. 334.)
(7) Die Gelug-pa, auch "Gelbmützen" genannt, bilden eine der vier Hauptschulen des tibetischen Buddhismus. Ihr Oberhaupt ist der Dalai Lama. Der Orden wurde um das Jahr 1400 von dem Gelehrten Tsong-kha-pa als eine Art Reformbewegung gegründet. Nach blutigen Bürgerkriegen mit den anderen Schulen und Teilen der weltlichen Aristokratie eroberten die Gelug-pa in der Mitte des 17. Jahrhunderts unter Führung des V. Dalai Lama Lobsang Gyatso und mit Unterstützung des Mongolenfürsten Guschri Khan die Herrschaft über Tibet. 
(8) Zur Frühgeschichte des burjatischen Buddhismus und seiner Beziehung zu den zaristischen Behörden vgl. Victor M. Fics Besprechung von Lukos Belkas Tibetsky buddhismus v Burjatsku in Vol. 4 des Journal of Global Buddhism. Yihe Huree ist der alte Name des heutigen Ulaanbaatar. 
(9)  Die tulkus sind die berühmten "reinkarnierten Lamas" des tibetischen Buddhismus; Würdenträger, von denen es heißt, dass sie nach ihrem Tode wiedergeboren werden, um ihre eigene Nachfolge anzutreten. Diese einmalige Form der Erbfolge entstand ursprünglich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Tibet und diente dort der Festigung der zuvor äußerst instabilen Ordensinstitutionen. Das tibetische Wort tulku ist eine Übersetzung des Sanskritbegriffes nirmanakaya, der eigentlich den irdischen Leib eines Buddha bezeichnet. Es ist hier nicht der passende Ort, um auf die buddhistische "Drei-Leiber-Lehre" einzugehen, jedenfalls ist die im Westen weitverbreitete Übersetzung "lebender Buddha" etwas unglücklich gewählt. Im tibetischen Kontext bedeutet der Begriff tulku zweierlei: 1) Der betreffende Lama gilt als die irdische Manifestation eines bestimmten Buddhas oder Bodhisattvas. 2) Da er ein vollkommen Erleuchteter ist, kann er seine eigene Wiedergeburt nach Belieben steuern und inkarniert sich "aus Mitgefühl mit den leidenden Wesen" immer wieder als Nachfolger seiner selbst.
(10) Sangha (skt.) = Mönchsgemeinschaft; buddhistische Gemeinde; "Kirche".
(11) Jeremiah Curtin: A Journey in Southern Siberia. S. 36. 
(12) A.A. Sirina: Zabytye stranitsy sibirskoi ethnografii: B.E. Petri. In: Repressirovannye etnografy. Bd. 1. S. 63.
(13) Jeremiah Curtin: A Journey in Southern Siberia. S. 83.
(14) Ebd. S. 31/38.
(15) Zit. nach: K. M. Gerasimova: Obnovlenèeskoe dvišenije lamaistskovo duchovenstva. S. 17. Vgl.: Boris Krumnow: Die Buddhistische Erneuerungsbewegung im Sowjetrussland der 20er Jahre.
(16) Zit. nach: Abeed Khalid: The Politics of Muslim Cultural Reform. Jadidism in Central Asia. S. 220.
(17) Mikhail Bogdanov: Buriatskoe ‘vozrozhdenie'. In: Sibirskie voprosy, Nr. 3 (1907), S. 47.