"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Samstag, 11. Dezember 2021

Strandgut

Sonntag, 5. Dezember 2021

Let Me Tell You Of The Days Of High Adventure

Imaro von Charles R. Saunders

 
And I began to realize that in the SF and fantasy genre, blacks were, with only few exceptions, either left out or depicted in racist and stereotypic ways.  I had a choice:  I could either stop reading SF and fantasy, or try to do something about my dissatisfaction with it by writing my own stories and trying to get them published.  I chose the latter course.
                                                                       Charles R.Saunders


Als der schwarze Schriftsteller Milton J. Davis in den frühen 2000ern mit der Arbeit an seinem Fantasyepos Meji begann, hatte er das Gefühl, damit völliges Neuland zu betreten. Denn so sehr er sich auch umschaute, niemand vor ihm schien je "an African-based sword and sorcery book" geschrieben zu haben. (1) Erst als ihm einige Jahre später die von Sheree R. Thomas herausgegebene Anthologie Dark Matter: A Century of Speculative Fiction from the African Diaspora unter die Finger kam, die auch einen Neuabdruck von Charles R. Saunders' Kurzgeschichte Gimmile's Songs enthielt, wurde ihm klar, wie falsch er mit dieser Einschätzung gelegen hatte. (2) Und als 2006 dann auch noch bei Night Shade Books eine überarbeitete Fassung des ersten Imaro - Romans erschien, konnte endgültig kein Zweifel mehr daran bestehen, dass sein eigener Roman in einer Tradition stand, deren Existenz ihm bis dahin überhaupt nicht bewusst gewesen war. Einer Tradition freilich, die bislang nur aus einem einzigen Autor und seinem Werk bestand.

Milton Davis' anfängliche Fehleinschätzung ist nicht weiter verwunderlich, war Saunders seit Mitte der 80er Jahre doch gänzlich von der Bühne der SF&F verschwunden. Im Fandom war sogar immer mal wieder das Gerücht umgegangen, er sei gestorben. Seine Kurzgeschichten und Romane waren schon seit langem nur noch mit viel Glück in irgendwelchen Antiquariaten aufzustöbern gewesen. 

In der Folge begannen die beiden zusammen  mit einigen anderen Mitstreitern wie Richard Tyler (aka Uraeus) ein neues Subgenre zu etablieren, das sie Sword & Soul tauften. 2008 gründete Uraeus den Verlag Sword & Soul Media. Richtig Fahrt nahm das Unternehmen ab 2010 auf, wie man diesem auf Black Gate erschienenen Beitrag von Davis entnehmen kann. Es zeigte sich schnell, dass sie keineswegs die einzigen waren, die Freude daran hatten, den abenteuerlichen Geist der Sword & Sorcery mit dem kulturellen und mythologischen Reichtum der Völker Afrikas zu verschmelzen.

Aber auch wenn die Sword & Soul als eigenständiges Subgenre erst wenig mehr als ein Jahrzehnt alt ist, sollten wir nie vergessen, dass ihre Wurzeln bis in die 70er Jahre zurückreichen das "Goldene Zeitalter" der S&S und zugleich eine Ära des politischen Radikalismus. Und dass ihr Vater Charles R. Saunders war ein Schriftsteller, den man nach seinem Tod im Mai 2020 in einem anonymen Armengrab verscharren wollte und der nur dank einer Crowdfunding-Kampagne schließlich doch noch eine würdige letzte Ruhestätte erhalten hat.      

                                                  * * *

Geboren am 12. Juli 1946 in Elizabeth (Pennsylvania), fiel Saunders erstmals im Alter von 12 Jahren mit Andre Nortons Star Man's Son 2250 A.D. / Daybreak2250 A.D. ein SciFi-Buch in die Hände. Schon bald war er ein begeisterter Leser und Fan des Genres: 

[T]hroughout junior high and high school, I read hard SF – Heinlein, Hal Clement, Murray Leinster, and so on – as well as the more adventuresome "planet stories," pulpish-type stuff, which was pure escapism. I didn't pay much attention to the identity of the authors back then; it was the content that appealed to me because of the way it stretched my imagination.

Hinzu kamen ab 1963 die bei Ballantine Books neu aufgelegten Werke von Edgar Rice Burroughs. Vor allem Tarzan hatte einen recht bedeutenden Einfluss auf den jungen Saunders. In der rassistischen Darstellung Afrikas und seiner Völker allerdings hauptsächlich als Negativmodell, dem er später mit seinen eigenen Erzählungen ganz bewusst ein anderes Bild entgegenzusetzen versuchte. Immerhin enthielten die Tarzan - Comics aber auch Gaylord Du Bois' Reihe Brothers of the Spear: "It showed blacks and whites as equals.  That made a deep impression on me, but it was only later that it influenced my work."

 
Die Welle der Tolkienbegeisterung, die ab 1965 über Amerika hereinbrach, erfasste Saunders nicht: "I wanted more action than contemplation in the fiction." Seine endgültige Wende hin zur Fantasy kam vielmehr erst 1966, als L. Sprague de Camp bei Lancer Books begann, Robert E. Howards Conan - Stories neu aufzulegen. Wie für so viele waren es auch für ihn zuerst einmal Frank Frazettas Cover, die ihn zu den Büchern greifen ließen: "The cover of the first Lancer Books edition of  Conan, with Howard's Cimmerian hardhead locked in deadly combat with Thak the man-ape, was the catalyst that determined much of my future." Er blieb ein lebenslanger Bewunderer des großen Künstlers. Doch war es vor allem der Inhalt der Bücher, der einen tiefen und bleibenden Einfluss auf ihn hatte: 
Once I started reading those books, I was hooked! Of course, I still read the hard and New Wave SF. But fantasy appealed to something deeper in me – the soul of the storyteller, perhaps. It was when I discovered fantasy that I also discovered that I wanted to be a storyteller – a griot, although I hadn't yet discovered that term.
Charles R.Saunders hatte "sein" Genre gefunden. Auch wenn er sich vorerst noch nicht selbst in ihm betätigen sollte: "I wasn't one of these wunderkinds who start writing publishable fiction in their teens.
 
Mindestens ebenso wichtig für seine spätere schriftstellerische Tätigkeit wie diese frühen Begegnungen mit der Genreliteratur war die politische Atmosphäre der Zeit. Saunders wuchs in der Ära der Bürgerrechtsbewegung, der Rebellion der Schwarzen gegen die Jim Crow - Ordnung auf. 
 
Im selben Jahr, in dem er sein erstes Science Fiction - Buch zur Hand nahm, fand der Dockum Drug StoreSit-in in Witchita (Kansas) statt, einer der Vorläufer des sehr viel bekannteren Greensboro Sit-ins von 1960. Es folgten die "Freedom Rides" von 1961 und die Kampagnen in Albany (1961/62) und Birmingham (1963). Im August 1963 versammelten sich 200.000-300.000 Menschen zum "March on Washington for Jobs and Freedom", bei dem Martin Luther King seine berühmte "I Have a Dream" - Rede hielt. Die Kennedy-Administration hatte gehofft, die Massendemonstration dafür instrumentalisieren zu können, der Bewegung die radikale Spitze zu nehmen. Doch das Gegenteil war der Fall. Weder reformerische Zugeständnisse, noch die Brutalität der Polizei, der Terror des Ku Klux Klan oder die Machenschaften des FBI vermochten die zunehmende Radikalisierung zu stoppen. 1964 brach Malcolm X mit der Nation of Islam und der rassistischen Ideologie Elijah Muhammads. In der Folge verband er den Kampf gegen Rassismus immer deutlicher mit einer antikapitalistischen Perspektive. Zugleich trug er einen militanten Geist in die Bürgerrechtsbewegung hinein, der auch durch seine Ermordung im Februar 1965 nicht gebannt werden konnte.       
1964 war auch das Jahr, in dem Charles Saunders sein Studium an der historisch "schwarzen" Universität Lincoln in Pennsylvania begann. Die vier Jahre, die er dort verbringen sollte, fallen mit der zunehnmenden Radikalisierung der Bewegung zusammen. Von den Selma-Montgomery-Märschen von 1965 über die Gründung der Black Panther Party (BPP) 1966 bis zu den großen Ghettoaufständen von 1967. Der Kampf gegen Jim Crow begann in eine breitere Revolte gegen die bürgerliche Ordnung überzugehen. Im selben Jahr, in dem Saunders seinen Abschluss in Psychologie machte, fiel Martin Luther King, der sich in den letzten Monaten deutlich nach links bewegt hatte, einem Attentat zum Opfer und erneut kam es zu aufstandsartigen Unruhen in den Innenstädten. 

In einem Interview mit Amy Harlib beschreibt der Schriftsteller die stürmischen Entwicklungen dieser Jahre wie folgt: 

 
Seldom has so much changed during a four-year period.  So much was going on, from three-piece suits and processed hair to Afros and dashikis.  From integration to Black Power. From non-violent demonstrations to riots in the streets.  From punching somebody for calling you black to shouting "Black is beautiful!"

David C. Smith schreibt in seinem Nachruf auf den Freund: "He had been radicalized in the late sixties in Chicago, where he had associated with the Black Panthers". Ich habe nirgends einen zusätzlichen Beleg hierfür finden können. Selbst dass Saunders sich 1968/69 in Chicago aufgehalten hätte, wird in keinem der anderen Artikel und Interviews erwähnt, die ich gelesen habe. Aber wenn der künftige Schriftsteller tatsächlich Verbindungen zur BPP gehabt haben sollte, wäre dies schon interessant. Denn die Panthers hatten denkbar wenig für "kulturellen Nationalismus" übrig. Die "Rückbesinnung auf das afrikanische Erbe" erschien ihnen bestenfalls als ein Ausweichen vor den revolutionären Aufgaben der Gegenwart. Wenn es nicht sogar Ausdruck eines antiweißen Seperatismus war, der letztenendes bloß der herrschenden Klasse in die Hände spielte, indem er die Spaltung der Arbeiterklasse nach Hautfarbe oder ethnischer Herkunft noch verstärkte. Sollte sich Saunders Ende der 60er Jahre tatsächlich im Umreis der Chicagoer BPP bewegt haben, dürfte er mit ziemlicher Sicherheit Fred Hampton begegnet sein. Der begnadete junge Agitator konnte ziemlich harsche undspöttische Worte über "Africanized fools" wie Maulana Karenga finden, die glaubten, der Weg vorwärts bestehe darin, "to wear dashikis", "to learn about the motherland and what roots to eat of the ground" und "to go back to 11th century culture". Hampton gehörte zu den BPP-Führern, die am deutlichsten die Notwendigkeit eines gemeinsamen Kampfes aller Unterdrückten und Ausgebeuteten gegen die herrschende Klasse und ihren Staat formulierte. Was mit ein Grund dafür gewesen sein dürfte, warum er am 4. Dezember 1969 in einer koordinierten Aktion des FBI und der Chicagoer Polizei brutal ermordet wurde.   

 
Nun stehen Ideologie und politische Praxis der Black Panther, die stark von Maoismus und "Third World" - Nationalismus beeinflusst waren, sicher nicht über aller Kritik. Und der "Rückgriff auf das afrikanische Erbe" ist ein in historischer, kultureller und politischer Hinsicht viel zu komplexes Thema, um es an dieser Stelle ernsthaft diskutieren zu können. Doch verhält es sich meiner Ansicht nach schon so, dass der "kulturelle Nationalismus" und die ihn begleitende Ideologie des "Afrozentrismus" in der Folge hauptsächlich von Vertreter*innen jener schwarzen Mittelklasse aufgegriffen wurden, deren Aufstieg mit dem Zerfall der Bürgerrechtsbewegung begann und deren Ziel letztenendes nur noch darin bestand, sich selbst eine möglichst privilegierte Stellung innerhalb der Hierarchie der bürgerlichen Gesellschaft zu sichern.     

Wie gesagt weiß ich nicht genau, wie Charles Saunders' politische Überzeugungen zu dieser Zeit ausgesehen haben. Aber selbst wenn er tatsächlich Kontakt zu den Black Panthers gehabt haben sollte (und deren Programm wird ihm auf jedenfall bekannt gewesen sein), so wird er deren kategorische Ablehnung des "kulturellen Nationalismus" sicher nicht geteilt haben. Zu deutlich ist sein späteres Werk von dieser "Hinwendung zum afrikanischen Erbe" geprägt. Doch zeigt sich dabei auch, dass eine Geistesströmung, die politisch zwar in eine Sackgasse führt, in kultureller Hinsicht sehr wohl äußerst fruchtbare Entwicklungen anstoßen kann.

Schon während seines Studiums begann Saunders sich intensivst mit afrikanischer Geschichte, Kultur und Mythologie zu beschäftigen. Dabei kam es ihm zu Gute, dass er auf der Lincoln-Universität mit einer ganzen Reihe von Studenten in Kontakt kam, die selbst aus afrikanischen Ländern stammten. Zusammen mit der Entdeckung der Sword & Sorcery war dies die Initialzündung für seine spätere schriftstellerische Tätigkeit:

In the mid- and late-1960s, I made two life-changing discoveries. The first was the full panoply of African history, culture, mythology and folklore. The other was sword-and-sorcery. My interest in Africa came first; sword-and-sorcery came hard on its heels. The eventual commingling of those two passions was inevitable.

Doch bevor er sich daran machen konnte, diese Leidenschaft in die Tat umzusetzen, erreichte Charles R. Saunders 1969 erst einmal sein Einberufungsbefehl. Wie zehntausende anderer junger Männer, die kein Verlangen danach verspürten, dem US-Imperialismus als Killer und Kanonenfutter zu dienen, und die den Krieg in Vietnam als verbrecherisch und zutiefst unmoralisch betrachteten, entzog sich Saunders dem durch die Flucht nach Kanada, wo er für den Rest seines Lebens bleiben sollte. Nach kürzeren Aufenthalten in Toronto und Hamilton (Ontario) ließ er sich in Ottawa nieder. Von hier aus begann er seine Abenteuer im Feld der Phantastik.

Die allererste Story, die Saunders 1971 zu Papier brachte, war "an extremely rough draft" der Imaro - Geschichte The Place of Stones. Bereits ganz am Anfang seiner schriftstellerischen Tätigkeit stand also die Gestalt des Ilyassai-Kriegers, der zu diesem Zeitpunkt freilich noch ganz die "stereotypical mighty-thewed sword-and-sorcery fighting machine" war. Die Idee zu der Figur soll ihm angeblich während eines Tarzan - Films mit Johnny Weissmüller gekommen sein: "He fantasised, while watching, what it would look like if a Black man stepped out of the bushes, and proceeded to 'kick Tarzan's ass' ". In den folgenden Jahren schrieb er noch einige weitere Imaro-Stories und begann außerdem an einem Roman über die Mutters seines Helden, Katisa, zu arbeiten. (3)  

Fantastic galt zu dieser Zeit offenbar immer noch als das führende Genre-Magazin. Wie Saunders später einmal erzählt hat: "During the 70s everybody and his dog, gerbil and goldfish wanted to get into Fantastic". In den 60ern hatte das Magazin unter der Leitung von Cele Goldsmith (Lali) eine zentrale Rolle dabei gespielt, dem Sword & Sorcery - Boom den Boden zu bereiten. Doch der neue Herausgeber Ted White erkannte anscheinend nicht, was ihm mit Imaro angeboten wurde. Saunders erhielt nicht einmal eine Antwort auf die Geschichte, die er eingeschickt hatte. Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob der "afrikanische" Inhalt dabei irgendeine Rolle spielte. 

Die Lage änderte sich erst, als Saunders die aufblühende Welt der Fanzines und Semi-Prozines für sich entdeckte. Durch eine Anzeige in Fantastic (oder Vampirella?!?) war er auf das von Gene Day herausgegebene Magazin Dark Fantasy aufmerksam geworden. Da die kanadische Post gerade mal wieder bestreikt wurde und Days Wohnort Gananoque nicht gar zu weit von Ottawa entfernt lag, machte er sich 1974 auf, um dem Zine-Herausgeber persönlich eine seiner Geschichten vorzulegen. Er hatte seine Zweifel, wie Day auf die Imaro-Story Miya-wa-zimu (The City of Madness) reagieren würde: 

I wondered whether he'd be able to relate to what I was trying to do; my attempt to bring genuine, non-stereotypical African elements to the genre we both enjoyed. From what I could see, Gananoque had only one black person within its town limits: me.

Die Sorge war unberechtigt. Day zeigte sich begeistert und brachte die Erzählung in zwei Teilen im Juli & Oktober 1974 heraus. Zwischen den beiden entwickelte sich eine enge Freundschaft, die bis zu Gene Days frühem und tragischen Tod 1982 Bestand haben sollte. In den folgenden Jahren erschienen immer wieder Imaro-Stories in Dark Fantasy. Im Dezember 1978 gab es sogar ein "All Imaro Issue". Daneben wurden Kurzgeschichten und Essays von Charles Saunders alsbald auch in anderen Zines wie The Diversifier, Space and Time, Black Lite und Weirdbook veröffentlicht. Der Schriftsteller wurde schnell heimisch in der SFF-Community. Zwischenzeitlich betätigte er sich sogar selbst als Herausgeber von zwei Zines: Stardock (1977/78) und Dragonfields (1978-83). Letzteres gab er zusammen mit Charles de Lint heraus, der ein lebenslanger Freund bleiben würde. Andere Autor*innen mit denen Saunders in dieser Zeit in engeren Kontakt kam waren u.a. Karl Edward Wagner, Tanith Lee, Janet Fox und David Madison. Die Veröffentlichung von Miya-wa-zimu in Dark Fantasy hatte aber auch noch andere Folgen. Lin Carter entschied sich, die Geschichte 1975 in den ersten Band seiner Anthologienreihe The Year's Best Fantasy Stories aufzunehmen. Schon ungewöhnlich für das Debüt eines Schriftstellers! Dadurch wurde auch Don Wolheim, der Chef von DAW Books, auf den Autor aufmerksam.

 
Charles R. Saunders sah sich in diesen Jahren "as kind of a pioneer". Und das mit gutem Recht. 
Unter dem Einfluss der politischen Kämpfe der 60er Jahre hatte er sich irgendwann nicht länger damit abfinden können, dass Schwarze in der Science Fiction und Fantasy der Zeit in den allermeisten Fällen auf Stereotypen oder rassistische Klischees reduziert wurden. Wenn er die Literatur, die er liebte, nicht aufgeben wollte, blieb ihm letztenendes gar nichts anderes übrig, als selbst die Geschichten zu schreiben, die er lesen wollte.
Saunders' wichtigstes literarisches Vorbild war Robert E. Howard. Schließlich waren es dessen Conan-Stories gewesen, die den Funken des Geschichtenerzählers in ihm entfacht hatten. Aber gerade sie waren alles andere als frei von Rassismus. Sein eigener Einstieg in die Sword & Sorcery musste deshalb beinah zwangsläufig mit einer scharfen Kritik an dem rassistischen Erbe einhergehen, das das Subgenre immer noch weitgehend unreflektiert mit sich herumschleppte. Dies fand Ausdruck in seinem 1975 veröffentlichten Essay Die, Black Dog!, in dem er sein Feuer nicht nur gegen die "Unholy Trinity of the Golden Age of Pulps" Howard, Lovecraft und Clark Ashton Smith richtete, sondern auch gegen die selbsterklärten Gralshüter des conanschen Erbes: L. Sprague de Camp und Lin Carter.
Die beiden hatten zwar in einigen ihrer Conan-Pastiches dem Cimmerier mit Juma dem Kushiten einen ebenbürtigen schwarzen Kumpel an die Seite gestellt, aber in vielem folgten sie dennoch altbekannten rassistischen Klischees. Wie Saunders in einem Interview mit Steve Tompkins anmerkte:
These stories demonstrated a blind spot most people of their generation had, regardless of their level of education. They simply could not accept the notion that black Africans were capable of developing their own civilisations. It was as though they could not even imagine such a thing. Whenever blacks lived in a semblance of civilization, it was always either something built on the ruins of an older, more advanced culture, or else it was introduced by white outsiders and maintained by a half-caste elite.  

Das Ziel, das Saunders mit den Imaro-Geschichten verfolgte, war es nicht einfach nur, einen schwarzen Sword & Sorcery - Helden zu kreieren, der kein Sidekick mehr war. Er wollte ihn in eine Welt einbetten, die den ganzen Reichtum und die Vielgestaltigkeit der historischen afrikanischen Kulturen widerspiegeln sollte, und damit einen auf der Wirklichkeit basierenden Gegenentwurf zu den Klischees schaffen, die seit H. Rider Haggard und Edgar Rice Burroughs fester Bestandteil der westlichen Abenteuerliteratur waren. Dieser Welt gab er den Namen Nyumbani Swahili für "Heimat". Als Vorbild diente ihm dabei Robert E. Howards Hyborian Age mit seinen kaum verhüllten Analogien zu realen Völkern und Ländern. In späteren Jahren hatte Saunders manchmal das Gefühl, dabei etwas zu weit gegangen zu sein:

I took real historical places and transmuted them into places on a parallel Earth in which magic works and African societies developed in different ways.  As I look back, I see that I may have emulated Howard a little too much.  I used too many real place names in my Imaro stories.  Even so, though, I was doing something brand-new back then, and it was exciting to me even when I had no idea the stories would ever get published.      

Schaut man sich eine Karte von Nyumbani an, wird man darauf in der Tat eine ganze Reihe historischer und realtweltlicher Namen entdecken Abomey, Axum, Azania, Kala Hari, Kitwara, Cush, Punt.

Ironischerweise war es ausgerechnet Jessica Amanda Salmonson, die das revolutionäre in Saunders' Herangehensweise an die Sword & Sorcery zuerst nicht erkennen konnte. Einige Jahre später würde sie selbst mit ihrer Anthologie Amazons (1979) einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das Subgenre für mehr weibliche Hauptfiguren zu öffnen. Doch in Imaro konnte sie nach der Lektüre von City of Madness bloß eine Art "schwarzen Clonan" erkennen. In seiner Antwort Of Chocolate-Covered Conans and Pompous Pygmies (1976) legte Saunders sein Anliegen noch einmal detailliert da. Ich denke, der Essay verdient es, etwas ausführlicher zitiert zu werden:

When the Imaro character and the Nyumbani setting first began to gestate in my mind, my fear was that they would turn out to be little more than another in the endless parade of pseudo-Conans and thinly disguised Hyborian Ages. A sort of Robert E. Howard in blackface, if you will. Of course, any honest writer of S&S must admit the Howardian influence. The challenge is to channel his various into the brand new genre of S&S.
In response to this challenge, I decided to do something more than smear burnt cork on Conan and substitute Zimbabwe for Zingara. I decided to mine new territory, and create new settings and storylines for fantasy, S&S and even a little bit of horror. The territory: Africa.
Africa, you say? Isn't that the land of savages, a reservoir for harem-slaves, a cauldron of cannibals, the home of the black scoundrel who killed Tarzan's ape foster-mother? Well, if one's only source of information on the continent were the Burroughs-Howard-Haggard-Daktari-Ramar school of (un)imaginative African adventure, you might be perfectly justified in wondering what a fantasy writer could do with Africa that hadn't already be done to death.
But ... there is much, much more to Africa than that. In its history, mythology and folklore, I found enough material to create a whole new proto-continent: Nyumbani. (...)
Africa had civilizations in plenty. There was Cush, which was totally dissimilar to REH's rendition (...) There was Ife, producer of bronze sculptures so beautiful that certain racist historians thought that they had been created by a shipwrecked Greek. There was Kumbi, the original Ghana, the "Empire of Salt and Gold". There was Axum, the site of the monolithic Churches of Lalibela ...(...)
My primary motivation for starting to write fantasy was to get some black representation into the spectrum of make-believe. (...) When I first got into fantasy as a reader, I was simultaneously fascinated by the good old "sensawunda" and angered by the at-times blatant racism. My solution to that problem was to write my own fantasy. Now, that solution has become secondary, as my current primary driving force has become love of writing. But that secondary motivation is still significant.   

Jessica Amanda Salmonson würde rasch einsehen, wie falsch sie mit ihrer anfänglichen Einschätzung von Imaro gelegen hatte. Zwischen ihr und Charles Saunders entwickelte sich ein reger Briefverkehr, und schließlich sollte er der einzige männliche Autor werden, der mit einem Beitrag in Amazons vertreten war. Wobei ihm sogar das besondere Privileg einer um 14 Tage überschrittenen Deadline zuteil wurde. 

1979 waren genug Imaro-Geschichten erschienen, um an die Möglichkeit eines Sammelbandes denken zu können. Saunders unterbreitete die Idee Don Wolheim, doch der Verleger war der Ansicht, dass die Figur einen eigenen Roman verdient hätte. Nach einigem Überlegen kam auch der Autor zu dem Schluss, dass dies der richtige Weg sein würde, um die Saga seines Helden zu erzählen. Er begann damit, eine ganze Quadrologie zu entwerfen. Deren erster Band würde allerdings noch auf einigen der bisher erschienen Stories basieren, die Charles Saunders noch einmal überarbeitete und zu einer zusammenhängenden Handlung verflocht.

1981 erschien Imaro dann tatsächlich bei DAW Books. Doch tragisch-ironischer Weise war dies zugleich der Anfang einer Entwicklung, die mit dem jahrzehntelangen Abschied Saunders' von der Fantasy enden sollte.
Schon das Erscheinen des ersten Bandes war von widrigen Umständen begleitet. Der Verlag hatte beschlossen, den Schriftzug "The Epic Novel of a Black Tarzan" auf das Cover zu setzen. Was Saunders mehr als nur ein bisschen verärgerte, schließlich hatte er seinen Helden bewusst als "the brother who could kick Tarzan's ass", als "antidote", nicht als Klon gestaltet. Doch es sollte ohnehin ganz anders kommen, denn das Edgar Rice Burroughs - Estate drohte umgehend, DAW Books zu verklagen. Das Buch musste vom Verkauf zurückgezogen, neue Cover gedruckt werden. Schon hatte Imrao dem Verlag zusätzliche Kosten bereitet. Und dann brauchte Saunders auch noch mehere Jahre, um die zwei Folgebände abzuschließen. Als Imaro II: The Quest for Cush 1984 auf den Markt kam, war der erste Band bereits aus den Buchhandlungen verschwunden. Ein Jahr später folgte zwar noch The Trail of Bohu, doch der Abschlussband der Saga, The Naama War, würde erst fünfundzwanzig Jahre später erscheinen. 

Ungefähr zur selben Zeit, als DAW Books Imaro endgültig fallen ließ, übersiedelte Charles R. Saunders von Ottawa nach Nova Scotia. In der Folgezeit würde er sich hauptsächlich als Journalist und Aktivist betätigen, nebenbei aber auch eine Reihe von Sachbüchern u.a. über die schwarze Community seiner neuen Heimat schreiben. Anfangs versuchte er sich zwar noch kurz als Drehbuchschreiber und lieferte die Scripts für zwei der ultrabilligen Sword & Sorcery - Flicks von Alejandro Sessa ab: Amazons (1986) (4) und Stormquest (1987). Doch dies waren für lange Zeit seine letzten Beiträge zum Genre.

Warum den Imaro-Romanen bei ihrem ersten Erscheinen nicht der Erfolg zuteil wurde, den sie sicher verdient gehabt hätten, und warum ihr Schöpfer in den nächsten zwei Jahrzehnten bei vielen in der SFF-Gemeinde in Vergessenheit geriet? Darauf gibt es denke ich keine simple Antwort.

Lag es am "afrozentrischen" Charakter des Werkes? Möglich. Hinzu kam aber sicher auch, dass vor allem Quest for Cush und Trail of Bohu zu einer Zeit erschienen, als der Sword & Sorcery - Boom zu einem Ende gekommen war und die High Fantasy das Genre zu dominieren begonnen hatte. Auch wenn ich es für einseitig halte, die 80er Jahre als bloße Niedergangszeit für die S&S zu betrachten, lässt sich doch nicht leugnen, dass Abenteuergeschichten im Stile Imaros weitgehend aus der Mode gekommen waren. 
Geriet Saunders deshalb so schnell in Vergessenheit, weil er ein schwarzer Autor war? Das mag eine Rolle gespielt haben. Doch letztlich erging es vielen seiner weißen Sword & Sorcery - Kamerad*innen aus dieser Ära nicht anders. Wer kennt heute z.B. noch Janet Fox und ihre Jaquerel-Geschichten oder David Madisons Zyklus um Marcus & Diana, von dem Saunders selbst einmal als "punk S&S" gesprochen hat? Und anders als dem Schöpfer von Imaro und Dossouye war diesen beiden nicht einmal eine späte Renaissance beschieden. Ihre Geschichten wurden nie wieder neu aufgelegt.
Monokausale Erklärungen sind halt selten richtig.
Wie dem auch sei. Wir können uns jedenfalls glücklich schätzen, dass zumindest einige von Charles R. Saunders' Werken inzwischen wieder zugänglich geworden sind. Auch wenn sie sicher immer noch nicht den Status innehaben, der ihnen eigentlich zukommt.

                                                  * * *

Bevor wir uns nun dem Inhalt des ersten Imaro-Romans zuwenden, muss ich noch zwei Anmerkungen vorausschicken.

1) Ich habe den Band nicht in der Form gelesen, in der er 1981 bei DAW Books veröffentlicht wurde, sondern in der überarbeiteten Fassung, die 2006 bei Night Shade Books erschienen ist. Die beiden unterscheiden sich vor allem in zwei Punkten: The City of Madness, die in der ursprünglichen Version den Abschluss gebildet hatte, wurde an den Anfang von Quest for Cush verschoben, ist also nicht mehr Teil des Romanes. Außerdem wurde Slaves of the Giant Kings durch die neue Erzählung The Afua ersetzt. Grund hierfür war, dass der Inhalt der alten Geschichte beunruhigende Parallelen zum Völkermord in Burundi und Ruanda aufwies. Imaro hatte darin eine Sklavenrevolte von "Kahutu" gegen ihre "Mwambututsi" - Herren angeführt, die mit einem Massaker endete. Saunders hatte die beiden Völker nach dem Vorbild der realen Hutu und Tutsi gezeichnet. Dass er nach den grauenhaften Ereignissen von 1993/94 das Gefühl hatte, eine solche Geschichte dem Publikum nicht unverändert vorlegen zu können, ist gut nachvollziehbar. Die Gedanken, die er sich dabei machte, kann man hier nachlesen.

2) Ich habe bislang nur den ersten Band der Saga lesen können. Im Unterschied zu vielen anderen Sword & Sorcery - Held*innen macht Imaro im Laufe seiner Abenteuer eine wirkliche charakterliche Entwicklung durch. Von dieser habe ich nur den Anfang sehen können. Auch ist er in gewisser Hinsicht ein "Chosen One", ein von den Göttern Berührter mit einer Bestimmung. Auch davon habe ich nur die ersten zaghaften Ansätze miterleben dürfen. Meine Sicht auf den Helden ist somit begrenzt und manche meiner Beurteilungen würden durch die späteren Bände vielleicht widerlegt. Auch durfte ich noch nicht Imaros besten Freund, den kultivierten und gebildeten Bambuti ("Pygmäen") Pomphis kennenlernen. (5)

     

                                                  * * *      

 

Imaro wächst in den Weiten der Tamburure-Savanne unter dem stolzen Krieger- und Hirtenvolk der Ilyassai auf, die den realweltlichen Massai nachempfunden sind. Doch von Kindheit an ist er ein Außenseiter. Seine Mutter Katisa hatte ihren Stamm verlassen, um einer Heirat mit dem oibonok ("Zauberer/Schamanen") Chitendu zu entgehen. Als sie drei Jahre später mit ihrem in der Fremde geborenen Sohn zurückkehrt, um die teuflischen Machenschaften Chitendus bloßzustellen, wird sie dafür mit der endgültigen Verbannung bestraft. Man nimmt Imaro zwar in den Stamm auf, aber als "son-of-no-father" hat er ständig unter der Verachtung des Kitoko-Clans zu leiden. Seine Kindheit und Jugend ist geprägt von unzähligen Grausamkeiten und Demütigungen. Zwar ist er der Enkel des ol-arem ("Häuptlings") Mubaku, doch diese Verwandtschaft wird brutal verleugnet: "He recalled a day, long past, when he had unwittingly called Mubaku 'mkale-yu-mzazi' father of my mother. On that day, Mubaku had beaten him senseless." Das einzige Lebewesen, dem er sich während seiner Jugend freundschaftlich verbunden fühlt, ist seine Kuh Kulu. Doch selbst diese verliert er durch die Boshaftigkeit seines größten Feindes Kanoko.

Als Imaro während seines ersten Abenteuers in einen Kampf mit Kriegern des Nachbarstammes der Turkhana verwickelt wird, muss er zu seinem Erstaunen feststellen, dass er eine beunruhigende Verwandtschaft zu dem Zauberer ("n'tu-mchawi") N'Tu-mwaa mit der gescheckten Haut verspürt, der die feindliche Rotte anführt:  

Imaro shook his head angrily, as if to rid himself of the inexplicable sense of ... kinship ... he felt with his dead foe. They were, each of them, different from the others in their tribes. Each, in his own way, had striven to gain the acceptance and respect of those who despised them for their differentness. N'tu-mwaa's weapon in that struggle was sorcery; Imaro's strength.

Seine überlegenen Körperkräfte und sein Kampf- und Jagdgeschick sind in der Tat das einzige, was Imaro hoffen lässt, doch noch irgendwann den Respekt seiner Stammesbrüder gewinnen zu können. Doch als der Tag seines Mannbarkeitsrituals ("olmaiyo") herangerückt ist, bei dem er auf sich allein gestellt einen Löwen erlegen muss, zeigt sich auf äußerst grausame Weise, dass ihm dank der schwarzen Künste des neuen oibonok Muburi selbst diese Chance verweigert wird. Stattdessen wird er endgültig zu einem Ausgestoßenen seines Volkes.

 
Charles R. Saunders zeichnet ein bemerkenswert ungeschöntes Bild der Stammesgesellschaft, in der Imaro aufwächst – frei von jeder Romantisierung oder Idealisierung. Selbst wenn unser Held nicht der "son-of-no-father" wäre, wäre ihm hier ein harsches Leben beschieden. Die Ilyassai sind ein hartes Volk, nicht ohne Grund gefürchtet von allen ihren Nachbarn. Raubzüge gegen andere Stämme sind nichts ungewöhnliches. Bei einem von diesen erbeutet Imaro seine erste "Frau" Keteke. Männer dürfen Sex mit stammesfremden Frauen haben, Frauen jedoch nicht mit stammesfremden Männern, wie das Schicksal Katisas ja sehr deutlich gezeigt hat.

Zugleich erhalten wir aber auch einen einfühlsamen Eindruck vom Weltbild dieser Hirtennomaden von der tiefen Verbundenheit, die sie zu ihrem Vieh ("ngombe") empfinden; von ihrer Beziehung zu den wilden Tieren der Savanne, die stets bei ihren Eigennamen genannt werden ("Chui", der Leopard; "Matisho", die Hyäne; "Kifaru", das Nashorn; "Ngatun", der Löwe; "Tembo", der Elefant) und die deshalb mehr als "Persönlichkeiten" denn als Tierarten erscheinen.

Die Geschichte von der grausamen Kindheit und Jugend Imaros legt außerdem auf sehr glaubhafte Weise die Basis für die Psychologie unseres Helden. Als er seinem Volk endgültig den Rücken kehrt, wird von dem Krieger gesagt, dass er im tiefsten Inneren "a hurt child" sei. Nicht unbedingt das, was man vom Protagonisten einer Heroic Fantasy - Saga erwarten würde. Doch daraus erklären sich die Verbitterung und die vielen Selbstzweifel, die Imaro in diesem ersten Band mit sich herumschleppt. Auch sein Hang zu wilden Wutausbrüchen, die ihn zwar nur selten, aber dann um so brutaler überkommen, findet hierein eine psychologisch glaubwürdige Begründung. Für viele Jahre waren sie das einzige Ventil, das ihm zum Ausdruck seiner Verletztheit und Frustation offenstand.

In der zweiten größeren Erzählung des ersten Teils The Place of Stones deutet sich erstmals etwas von Imaros künftiger Bestimmung an. Die Konfrontation des Kriegers mit dem oibonok Chitendu dem Mann, der letztlich für sein unglückliches Schicksal verantwortlich istbesitzt einen deutlich cthulhuiden Vibe. Schauplatz ist eine uralte Ruinenstadt, die sich inmitten der Savanne erhebt:

Ages ago, the misshapen pile of crumbling masonry was a building, an edifice of colossal proportions. The gigantic stone blocks from which it had been constructed once fit together with immaculate precision. But that time was thousands of rains ago, as humans measure time. Now, the strcuture was only a mound of aging stone, futilely defying the passage of the rains even as the name of its long-dead builders had long since been forgotten. It hulked in the midst of the Tamburure like a monument to a time so distant that even the land surrounding it had changed.

Der Körper des Zauberers hat eine grausige Metamorphose durchlaufen – offenbar der Preis, den er für seine "schwarze Magie" ("mchawi") zahlen musste:

His elephantine legs rose from the ground like wrinkled tree trunks. Long, bony arms hung like sticks from a pair of narrow, knobby shoulders. The hands at their ends were inconguously delicate and graceful. Other than his head, those hands were the only human features Chitendu had left.
His torso was worst of all: a mass of tendrils that seemed imbued with a life independent from the rest of his hideous form. Like a swarm of maggots infesting a rotted carcass, the tendrils writhed, expanding and contracting in their anchors of grotesque, alien tissue. They glowed green, like fungus. 

Wer da jetzt an Wilbur Whateley denken muss, liegt gar nicht so falsch. Tatsächlich war Lovecrafts The Dunwich Horror eine der Inspirationen für das monströse Erscheinungsbild der finsteren Zauberer von Naama, die im Laufe der Saga offenbar zu Imaros Erzfeinden werden, im ersten Band aber nur durch einige ihrer niederen Akolythen wie Chitendu vertreten werden. Auch verdanken die Mashataan die Dämonengötter, die von diesen Zauberern verehrt werden und die Quelle ihrer Macht sind einiges dem Vorbild von Lovecrafts Großen Alten "elder, alien, malevolent beings lurking in the interdimensional shadows of the cosmos." (6) 

Für den Moment allerdings bildet dieser Kampf erst einmal bloß den Abschluss von Imaros Kindheits- und Jugendgeschichte. Als die Ilyassai Zeugen seines Triumphes werden, sind sie endlich bereit, den Krieger als einen der ihren zu akzeptieren. Mehr noch sie preisen ihn als den mächtigsten Helden, der jemals ihrem Stamm entsprungen sei. Doch diese Anerkennung kommt zu spät 

"You did not accept me before," he said tonelessly. "I will not accept you now."

Imaro wendet sich endgültig von seinem Volk ab und macht sich auf in die Fremde.

Der zweite Teil des Romans beginnt mit Imaros Ankunft im Dschungel von Kajua. Wir dürfen miterleben, wie verunsichernd die neue und so völlig anders geartete Umgebung am Anfang auf unseren Helden wirkt. Seine über Jahre antrainierten, aber ganz an das Leben in der Savanne angepassten Jäger- und Kriegerinstinkte ("kufahume") lassen ihn angesichts all der ungewohnten Sinneseindrücke erst mal im Stich. Trotz allem ist Imaro halt kein Übermensch. Aber auch wenn es recht früh zu einem dramatischen Kampf mit "Mjino" (dem Krokodil) kommt, rücken ohnehin erst einmal andere Themen in den Vordergrund. Nachdem der Krieger zwei Männer des Mtumwe-Volkes vor dem gefräßigen Reptil gerettet hat, erfährt er nämlich zum ersten Mal in seinem Leben Dankbarkeit, Offenheit und Gastfreundschaft. Und mit Busa und Msuli gewinnt er erstmals auch wirkliche Freunde. Das Leben des friedlichen Fischervolkes ist so völlig anders als alles, was er bisher kannte. Sehr schön veranschaulicht wird der Unterschied zwischen den Kulturen mit den verschiedenen Tänzen, die Imaro und seine Gastgeber während des großen Willkommensfestes aufführen. Auf Dauer könnte Imaro sich vermutlich nicht in diese Gesellschaft einfügen. Dazu ist er zu sehr der Krieger. Doch macht er unter den Mtumwe zumindest die Erfahrung, dass nicht die ganze Welt sein Feind ist. Dass auch ihm menschliche Gemeinschaft zuteil werden kann.

 

Gar zu lange hält der Frieden allerdings nicht an. Das Dorf wird überfallen. Die Angreifer rauben nicht nur die mit Gold bedeckte Götterfigur der Mtumwe (den titelgebenden "Afua"), sondern auch den durch ein magisches Gift paralysierten Imaro. 

Als unser Held aus seinen Fieberträumen erwacht befindet er sich weit jenseits des Dschungels und in den Händen der "haramia", einer Gruppe von Räubern und Gesetzlosen. Diese wollen ihn eigentlich in einer der großen Städte an der Ostküste von Nyumbani als Sklaven verkaufen. Doch nachdem er eine äußerst brutale "Aufnahmeprüfung" bestanden hat, wird er in ihre Reihen aufgenommen. Bis zum Ende des ersten Romans wird Imaros Schicksal mit dem der haramia verknüpft bleiben.

Ganz wir Imaro eröffnet sich auch den Lesenden an dieser Stelle erstmals ein Blick auf die Größe und Vielgestaltigkeit Nyumbanis und seiner Völker. Der bunt zusammengewürfelte Brigantentrupp setzt sich aus Verbrechern, Ex-Sklaven, Verbannten und Glücksrittern zusammen, die aus allen möglichen Ländern des Kontinentes stammen.

In appearance, these new people were diverse, with none resembling the inhabitants of either the Tamburure or the Kajua. Some were tall; others, as short as half-grown Ilyassai children. The complexion of most was a deep, umber brown, not unlike the color of Imaro's own skin. But some were as dark as midnight, and others had skin the color of cinnamon and amber. Some bore ritual scarification, though not as extensive as that of the Mtumwe.
The garments in which these people were clad were bewildering in their variety. Some wore trousers, called suruali, of white or black cotton; others wore loin-wraps. Some went naked above the waist; others wore vests of cloth, or leather harnesses studded with silver and gold. Turbans covered heads of some; others wore their hair bushy or in rows of braids. Imaro was astonished to see that some of the men shaved their scalps as bare as those of the women of the Tamburure tribes. 

Der Anführer des Trupps Rumanzila, der in einer der Küstenstädte zur Welt kam, hatte sogar einen Vater, der aus einem der Fernen Länder jenseits des Meeres stammte. Wobei wir offensichtlich an Indien denken sollen, mit dem die Swahili-Reiche des Mittelalters, die Azania und Zanj als Vorbild dienten, regen Handel unterhielten.

Seine Kraft und sein Kampfgeschick erwerben Imaro schon bald den Respekt der meisten haramia, wecken bei einigen von ihnen aber auch Neid und Missgunst. Und Rumanzila, der seine Truppe mit der ständigen Androhung von Gewalt zusammenhält, misstraut dem fremden Krieger, der sich einfach nicht einschüchtern lässt. 

Als die Briganten eine junge Frau entführen, die eigentlich für den Harem irgendeines Fürsten bestimmt war, gelangen die unter der Oberfläche brodelnden Konflikte schließlich zum offenen Ausbruch. Für Rumanzila ist Tanisha lediglich ein Beutestück, eine Ware, die man an den Meistbietenden weiterverkaufen wird. Doch hinter dem Rücken des Anführers kommt es schon bald zu einer leidenschäftlichen Liebesaffäre zwischen ihr und Imaro. Als diese entdeckt wird, weiß unser Held, dass seine einzige Überlebenschance nun darin besteht, Rumanzila zu töten und selbst die Führung der haramia zu übernehmen. Die Situation verschärft sich noch einmal dramatisch, als es ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt auch noch zu schwarzmagischen Shenanigans um das Afua-Standbild kommt.

Imaros Leben mit den haramia ist der Teil des Romans, der am ehesten an Conans Abenteuer erinnert. Denn im Laufe seiner langen Karriere konnte man den Cimmmerier ja auch häufiger unter Briganten, Korsaren und Kosaken antreffen. Und früher oder später gelangte er dabei stets in die Position des Anführers. Interessanterweise wird Imaro in diesem Zusammenhang mehrfach als "Barbar" bezeichnet, denn als solcher erscheint der Ilyassai-Krieger den Bewohnern der Ostküste. Er teilt zwar nicht unbedingt Conans Verachtung für die vermeintliche Dekadenz der "Zivilisation", aber vieles am Leben der Menschen hier erscheint ihm fremd. Als jemand, der aus einer Gesellschaft kommt, in der es allem Anschein nach noch keine feste Vorstellung von "Privateigentum" gab (7), kann er z.B. die Gier nach Reichtum anfangs nur schwer nachvollziehen. Und die Institution der Sklaverei die Idee, dass ein Mensch das Eigentum eines anderen Menschen sein könnte erscheint ihm widernatürlich und verachtenswert. Nachdem er zum Anführer geworden ist, verbietet er den haramia die Sklavenjagd, auch wenn Plündern und Brandschatzen weiterhin die Haupttätigkeit der wilden Horde bleiben, es unter seiner Führung sogar zu Überfällen auf kleinere Städte kommt. Meine Privatdefinition der Sword & Sorcery als "Fantasy der plebejischen Underdogs" lässt sich zwar nur bedingt auf Imaro anwenden, aber es ist sicher kein Zufall, dass sein größter Gegenspieler unter den haramia, der eitle Bomunu, ein in die Verbannung geschickter Adeliger aus dem Reich Zanj ist, der glaubt, dass ihm aufgrund seiner aristokratischen Herkunft die Führung zustehen würde. Und ein "Underdog" ist Imaro auf jedenfall. Als sein Ruf als besonders erfolgreicher "Räuberhauptmann" wächst, gibt man ihm in den Küstenreichen sogar den Namen N'tun-je the Outsider".

Dieses Außenseitertum bedeutet für Imaro allerdings noch etwas ganz anderes als für Conan. Es wird begleitet von einem schmerzlichen Gefühl der Isoliertheit. Als Führer der haramia genießt er zwar den Respekt und die Bewunderung der Gesetzlosen – zumindest solange alles gut läuft –, doch echte Freunde gewinnt er nur sehr wenige unter ihnen. Menschlich nahe stehen ihm eigentlich nur der Krieger Ngodire – selbst ein Fremder unter den haramia und der einzige, der auf Augenhöhe mit Imaro interagiert – und Tanisha.

Imaros große Liebe erscheint anfangs noch ganz als die "leichtbekleidete Damsell", die wir (auch dank Frank Frazetta) so gerne mit der "klassischen" Sword & Sorcery assoziieren. Sie entstammt sogar einem Volk, bei dem es üblich ist, die hübschesten jungen Mädchen zu Konkubinen auszubilden, um sie als eine Art Tribut an die Herrscher der kriegerischen Nachbarländer zu übergeben. Auf diese Weise sichern sich die Shikaza gegen etwaige Invasionen ab! Ein Brauch, den selbst Tanisha erst nach einiger Zeit an Imaros Seite in Frage zu stellen beginnt. In der letzten Geschichte Betrayal in Blood hat sich ihre Erscheinung dann allerdings deutlich gewandelt:

The Shikaza woman had long ago eschewed the gold, jewels, and other finery that usually bedecked her. She was clad like the other bandits: in suruali trousers and a leather breastplate that had been looted from a dead soldier and modified to accomodate her proportions. A short sword was sheathed at her side; Imaro had taught her how to use it, and its blade had already tasted blood.  
Sie ist der einzige Mensch, dem Imaro vorbehaltlos vertraut, mit dem er seine Zweifel und Ängste teilt.

Denn seit der Konfrontation mit einer Dämonin in Horror in the Black Hills hat er eine vage Ahnung von seinem übernatürlichen Schicksal. Er spürt, dass es ihm bestimmt ist, gegen die Hohen Zauberer von Naama und ihre finsteren Götter zu kämpfen. Ein Wissen, dass ihm vorerst allerdings vor allem regelmäßige schreckliche Alpträume bereitet. Und seine Selbstzweifel verstärkt. Eigentlich sehnt es ihn nach nichts so sehr wie nach menschlicher Gemeinschaft. Und die haramia scheinen am ehesten "sein Volk" werden zu können, eine Gruppe, in der er sich heimisch fühlen könnte.  

The Ilyassai were my mother's people, not mine [...] The Mtumwe of the river could never be my people. Their ways could never be mine. But the haramia they are outsiders, like me. 

Aber wenn sie "sein Volk" sein sollen, dann ist er auch für ihr Wohlergehen verantwortlich. Hat er das Recht, sie in einen Konflikt mit dämonischen Kräften hineinzuziehen, von deren Macht er selbst nur eine sehr verschwommene Vorstellung hat? Müsste er ihnen nicht zumindest offen und ehrlich erklären, wohin seine Bestimmung ihn treibt? Damit sie selbst entscheiden können, ob sie ihm darin folgen wollen oder nicht?

Doch bevor sich Imaro in dieser Frage zu einer Entscheidung durchringen kann, bricht auch schon eine blutige Katastrophe über die haramia herein. Zwei Heere aus den Küstenreichen von Zanj und Azania, Verrat in den eigenen Reihen und der Auftritt eines weiteren Akolythen der Zauberer von Naama besiegeln das Schicksal der Gesetzlosen. Schließlich ist es ausgerechnet Ngodire – der Mann, den Imaro am meisten respektiert – der das Band zwischen ihm und der Brigantentruppe für aufgelöst erklärt. Und so ist unser Held am Ende des Romans wieder genauso einsam und aufsich allein gestellt wie nach seinem Bruch mit den Ilyassai. Nur Tanisha ist ihm geblieben, doch die befindet sich in den Händen seiner Feinde.

Imaro ist ein würdiger Auftakt für eine große Sword & Sorcery - Saga. Sicher merkt man dem Roman stellenweise noch deutlich an, dass er aus ursprünglich für sich alleinstehenden Stories und Novellen zusammengefügt wurde. Vor allem Imaros erstes Jugendabenteuer Turkhana Knives und Horror in the Black Hills besitzen einen etwas episodenhaften Charakter. Was auf mich aber keineswegs störend gewirkt hat. Charles R. Saunders' Held ist eine menschlich komplexe Figur, der man Unrecht tun würde, wollte man in ihr bloß einen "schwarzen Conan" sehen. Und die bunte Welt von Nyumbani besitzt einen besonderen Reiz. Die Vorherrschaft pseudo-europäischer, pseudo-mittelalterlicher Settings ist in der Fantasyliteratur heute zwar sicher nicht mehr ganz so ungebrochen wie in den 70er und 80er Jahren. Aber es wirkt (zumindest auf mich) immer noch äußerst erfrischend, wenn eine Sword & Sorcery - Erzählung einmal vor einem anderen kulturellen Hintergrund spielt. Und der Autor dabei nicht in die Falle des Exotismus getappt ist.

Der erste Imaro - Roman endet mit einem Cliffhanger. Ein Grund mehr, warum ich mich alsbald auf die Jagd nach den restlichen drei Bänden machen sollte.       




(1) Milton J. Davis: A Gathering at the Meeting Tree. In: Milton J. Davis & Charles R. Saunders (Hg.): Griots. A Sword and Soul Anthology. S. 12.

(2) Die Kurzgeschichte war erstmals 1984 im ersten Band der von Marion Zimmer Bradley herausgegebenen Anthologien-Reihe Sword and Sorceress erschienen und gehört zu dem kleinen Zyklus um die Kriegerin Dossouye, den Saunders fünf Jahre zuvor auf den Seiten von Jessica Amanda Salmonsons Amazons mit Agbewe's Sword begonnen hatte.

(3) Der unveröffentlichte Roman wurde später zur Grundlage für eine Erzählung, die schließlich in stark überarbeiteter Form Aufnahme in den Sammelband Nyumbani Tales fand, aber auch hier gelesen werden kann.  

(4) Der von Roger Corman produzierte Streifen ist eine *räusper-räusper* "Adaption" von Agbewe's Sword. Habe das Machwerk vor langer Zeit einmal im Rahmen meiner "Expeditionen ins Reich der Eighties - Barbaren"besprochen. Vielleicht sollte ich das Format irgendwann mal wiederbeleben und mir auch Stormquest vorknöpfen?

(5) Auch dies eine bewusste Umkehrung rassistischer Klischees: "The Pygmies, or the Bambuti, have long been considered one of the most primitve peoples on Earth, ranking right up (down?) there with the Australian Aborigenes and the natives of New Guinea. So I thought it would be a gas to hit the public with a Cushite-educated Pygmy who could read and speak thirty-six languages, translate the Necronomicon into Yoruba, plan better bank robberies than Dillinger, and make love in eighty-three different positions." In The Blacksmith and the Bambuti und Pomphis and the Poor Man kann man zwei der Abenteuer nachlesen, die der kleine Mann vor seiner Begegnung mit Imaro erlebt hat.

(6) Charles R. Saunders war vermutlich auch der erste schwarze Autor, der eine  Geschichte mit direkter Verbindung zum Cthulhu-Mythos geschrieben hat. Jeroboam Henley's Debt erschien erstmals 1982 in Potboiler #4 und wurde 2011 in Ross E Lockharts Book of Cthulhu neu abgedruckt. Man kann sich die Story aber auch auf der Website der Innsmouth Free Press durchlesen. Bobby Derie hat sie vor Zeiten auf seinem exquisiten Blog Deep Cuts in a Lovecraftian Vein besprochen.

(7) "Reichtum" besteht bei den Ilyassai ausschließlich aus ihrem Vieh (ngombe). Doch die Herden scheinen Stammeseigentum zu sein. Allerdings dient die Anzahl der Rinder, die einem Krieger/Hirten anvertraut wird, als Statussymbol, als Gradmesser für Ansehen und Rang.

Donnerstag, 18. November 2021

Strandgut