Amazons II, hg. von Jessica Amanda Salmonson
1980 gewann Jessica Amanda Salmonsons im Vorjahr bei DAW Books erschienene Anthologie Amazons! den World Fantasy Award. Ein Zeichen der Zeit? Schließlich wurde die Auszeichnung im selben Jahr in der Roman-Kategorie Elizabeth A. Lynns Watchtower verliehen, dem ersten Teil ihrer Chronicles of Tornor. Und in dem spielen ja zwei lesbische Kriegerinnen eine nicht unwichtige Rolle. In der Tat begannen Anfang der 80er immer mehr Heldinnen in die Gefilde der Sword & Sorcery vorzustoßen. Salmonson hat diese Entwicklung in der Vergangenheit wiederholt ganz unmittelbar auf den von ihr zusammengestellten Sammelband zurückgeführt. So erklärte sie z.B. in einem Interview mit G.W. Thomas, das auf Dark Worlds veröffentlicht wurde:
Before Amazons!, if you looked really hard, you might very
occasionally find a sword & sorcery tale with swordfighting women, &
nine times out of ten she’d be more of a sex goddess than heroic figure. But
after Amazons!, which was extremely well received & topped the Locus
list & such like, a veritable floodgate opened, so that soon after Amazon
heroic fantasies were practically the dominant form.
Amazons! fand ohne Zweifel begeisterte Aufnahme in der Szene (beim
World Fantasy Award schlug der Band immerhin die erste
Thieves' World - Anthologie aus dem Rennen) und hatte einen gewaltigen Einfluss auf die Entwicklung des Genres. Dennoch dürfte der Wandel auch unabhängig davon einfach "in der Luft gelegen" haben. Wie ich in meiner
Besprechung der Anthologie dargelegt habe, muss
Amazons! vor dem Hintergrund der feministischen Bewegung der 60er/70er gesehen werden, die ihrerseits Teil der sehr viel breiteren rebellischen Massenbewegungen der Zeit war. Dass der damit verbundene gesellschaftliche und kulturelle Umbruch sich irgendwann auch in der Fantasyliteratur widerspiegeln würde, war nur logisch.
Wie dem auch sei, der Trend ist jedenfalls unverkennbar. So erschienen 1980 u.a. die erste
Jaquerel-Story von Janet Fox (
How Jaquerel Fell Prey to Ankarrah), Janrae Franks
The Hawk That Hunted Lions und
In the Darkness, Hunting (Teil ihres Zyklus um
Chimquar the Lionhhawk), Phyllis Ann Karrs Roman
Frostflower and Thorn sowie der dritte Teil von Lynns
Tornor - Chroniken
The Northern Girl. Im darauffolgenden Jahr veröffentlichte
Ace Books den ersten Band von Jessica Amanda Salmonsons eigener Sword & Sorcery - Trilogie
Tomoe Gozen.
Ungefähr zur selben Zeit dürfte Salmonson auch an der Zusammenstellung ihrer zweiten Amazons - Anthologie gearbeitet haben, die 1982 erneut bei DAW Books erschien. Mit der wollen wir uns heute ein wenig beschäftigen. Dabei verzichte ich auf jede weitere Einleitung, da ich alles Wichtige bereits im Zusammmenhang mit dem Vorgängerband gesagt zu haben glaube. Erneut hatte ich nur Zugang zur deutschsprachigen Fassung, die 1983 bei Bastei Lübbe unter dem Titel Neue Amazonen-Geschichten veröffentlicht wurde. Die Übersetzung von Eva Eppers hinterlässt allerdings einen sehr viel sorgfältiger gemachten Eindruck als Andrea Dorfmüllers Arbeit am Vorgängerband.
* Das Vorwort
Art, History, and Amazons (Amazonen in Geschichte und Kunst) enthält diesmal kaum politisch-programmatische Erklärungen. Salmonson beschränkt sich darauf, Beispiele für Amazonengestalten aus der Literaturgeschichte anzuführen (u.a. Camilla aus Vergils
Aeneis, Bradamante & Marfisa aus Ariosts
Orlando Furioso und Clorinda aus Tassos
Gerusalemme liberata) und den wichtigen Beitrag hervorzuheben, den Frauen schon immer zur "
Entstehung von phantastischen Abenteuergeschichten" geleistet hätten. Dabei betont sie vor allem deren zentrale Rolle bei der Weitergabe von Märchen und Volksüberlieferungen. Der größte Teil der Einleitung besteht aus einer Aufzählung aller möglichen historischen "Amazonen", von Palmyras Königin
Zenobia und Kiews Königin
Olga über Alexanders Halbschwester
Cynane, die chinesische "Piratenkönigin" Hsi Kai /
Ching Shih, Jamaikas
Nanny of the Maroons, "La Maupin"
Julie d'Aubigny und
Running Eagle (Pi'tamaka) bis zu "Nonnen-Shogun"
Hōjō Masako und
Razia Sultana von Dehli.
* For a Daughter (Für eine Tochter) von F. M. Busby: Kurioserweise wird in den einleitenden Bemerkungen davon ausgegangen, Busby sei eine Autorin. Dabei war der zu diesem Zeitpunkt bereits über sechzigjährige Francis Marion "Buz" Busby seit Jahrzehnten eine prominente Figur in der amerikanischen SFF-Szene und von 1974-76 Vizepräsident der SFWA (Science Fiction Writers of America). Keine Ahnung, was da schiefgelaufen ist. Die Novelle selbst gehört jedoch sicher zu den interessantesten Beiträgen in der Anthologie.
Das Motiv der Kriegerin, die nur mit dem Mann Sex hat, der sie im Kampf besiegt, gehört spätestens seit Marvels Red Sonja zu den Klischees der Sword & Sorcery. Und im Allgemeinen ist das sicher ein eher unangenehmes Klischees. Aus guten Gründen ist es seit 2013 auch aus den Red Sonja - Comics verschwunden. Um so faszinierender ist es, wie Busby eben dieses Motiv auf eine ganz ungewohnte und überraschende Weise verwendet und daraus eine ziemlich komplexe Erzählung webt.
For a Daughter spielt in einer bronzezeitlich anmutenden Welt, in der die Menschen in kleinen, voneinander unabhängigen Dorfgemeinschaften leben. Unsere Heldin Atla entstammt einer Gemeinde, die ausschließlich aus Frauen besteht. Wenn sie ein entsprechendes Alter erreicht haben, verlassen die jungen Kriegerinnen das Dorf, ziehen durch die umliegenden Lande und fordern vielversprechend erscheinende Männer zu einem Duell heraus. Sollte der Mann obsiegen, schläft die Kriegerin mit ihm. Wird sie im Verlauf des nächsten Monats schwanger, bleibt sie bis zur Geburt des Kindes bei dem Mann. Andernfalls trennen sich die beiden wieder. Töchter, die aus einer solchen Verbindung hervorgehen, werden Teil der mütterlichen Dorfgemeinschaft, Söhne der väterlichen. Im Rahmen der geschilderten Welt macht dieses System durchaus Sinn und hat nichts mit männlich-chauvinistischen Fantasien vom "Zähmen" der "wilden Frau" zu tun. Auch wenn einige der Männer, denen Atla begegnet, das vielleicht schon so sehen. Tatsächlich geht es darum, dem Amazonenstamm möglichst starke Nachkommen zu sichern. Das mutet vielleicht etwas "sozialdarwinistisch" an, kommt mir im Kontext dieser Welt aber nicht unrealistisch vor.
Wirklich interessant wird die Geschichte vor allem durch ihren Antagonisten. Solange Atla und Firalc nach ihrem Zweikampf gemeinsam durch die Lande ziehen, behandelt er sie respektvoll und man bekommt beinah den Eindruck, zwischen den beiden könnte sich ein echtes emotionales Band entwickeln. Die Lage ändert sich drastisch, nachdem sie in seinem Dorf Flusstal angekommen sind und sich herausgestellt hat, dass er in Wahrheit der dortige Häuptling Clarif ist. In Flusstal herrscht eine streng patriarchalische Ordnung und es zeigt sich schon bald, dass Clarif nicht vorhat, Atla nach der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter gehen zu lassen, wie die Regeln es eigentlich vorschreiben. Doch das macht ihn nicht zu einem eindimensionalen Bösewicht. Ohne Frage, er hintergeht sie mehrmals und versucht sie ihrer Freiheit zu berauben. Er hat das blutige Ende verdient, das ihn erwartet. Aber er ist nicht einfach ein chauvinistisches Monster. Seine Motivation ist es nicht, sie zu einem "gefügigen Eheweib" machen zu wollen. Wie wir erfahren, stammte er ursprünglich aus einer weit entfernten Region, in der ein größeres Reich existiert hatte, das unter dem Ansturm von Reiternomaden zusammengebrochen ist. Nun träumt er davon, die Dorfgemeinden des Umlandes unter seiner Führung zu vereinigen und ein ähnliches Reich zu schmieden. Er glaubt, dass er dieses Ziel nur erreichen kann, wenn er seine gesamte Dorfgemeinschaft in einen Heerhaufen verwandelt –
einschließlich der Frauen. Atla soll deren Ausbildung übernehmen. Dabei übersieht er allerdings völlig, dass sich zuerst einmal die gesellschaftliche Stellung der Frauen in Flusstal radikal verändern müsste, wenn diese Kriegerinnen wie Atla werden sollen. Clarifs unterwürfig-verängstigt-eifersüchtige Ehefrau Thyris demonstriert recht plastisch den Typ Frau, der durch die patriarchalische Ordnung von Flusstal geformt wurde. Kriegerinnen könnten sich nur in Rebellion gegen dieselbe herausbilden.
* Tochter der Kriegsgöttin (The Battle Crow's Daughter) von Gillian Fitzgerald: Die Geschichte spielt im Irland des 9. Jahrhunderts, einige Jahrzehnte nach der Gründung der ersten Wikingersiedlungen auf der Grünen Insel. Um einen langen und blutigen Krieg zu beenden, verheiratet ein irischer Häuptling seine Tochter Maeve mit dem jüngeren Sohn des Dänenhäuptlings Torvald. Obwohl sie davon nicht gerade begeistert ist, fügt sie sich pflichtbewusst in diese Ehe und versucht das Beste daraus zu machen. Unglücklicherweise ist Harald Torvaldson ein grober Klotz, der keinen Hehl daraus macht, wie sehr er die ihm aufgezwungene Gattin verachtet. Um den Ausbruch eines neuerlichen Krieges zwischen den beiden Volksgruppen zu verhindern, erträgt die stolze Maeve alle Respektlosigkeiten ihres Gemahls, weiß dabei aber stets, ihre Würde zu wahren. So setzt sie gegen Haralds Willen ihr regelmäßiges Fechttraining mit dem alten Krieger Hrolf fort. Doch nach dem Tod von Torvald eskaliert die Lage und schließlich ist ein Punkt erreicht, an dem Maeve die permanenten Kränkungen nicht länger ertragen kann und beschließt, zu ihrem Volk zurückzukehren. Als sie im Wald auf ein verlassenes Heiligtum der
Morrigu stößt und spontan ein Gebet an die alte Göttin sendet, eröffnet ihr diese eine Möglichkeit, sich an Harald zu rächen, ohne einen Krieg auszulösen.
Ein klein wenig schwingt in dieser Geschichte die zu jener Zeit sehr populäre Vorstellung mit, Frauen hätten in der altirischen Gesellschaft einen überraschend egalitären Status genossen. Was zumindest umstritten ist. Andererseits hat mich etwas verwundert, warum Harald die Idee von bewaffneten Frauen für derart "widernatürlich" hält. Was ist mit den
"Schildmaiden"? Aber letztlich sind solche historischen Fragen nur von untergeordneter Bedeutung. Denn erfreulicherweise stellt
The Battle Crow's Daughter das ganze nicht als einen Konflikt zwischen zwei Kulturen dar, von denen dann die eine das "gute" Matriarchat, die andere das "böse" Patriarchat vertreten würde. Der alte Torvald etwa behandelt seine Schwiegertochter stets mit Respekt und Hochachtung. Nicht anders sein älterer Sohn Ingvar, der gegen Ende der Geschichte von einer langen Wikingfahrt zurückkehrt. Das Problem liegt nicht in einem unauflösbaren Gegensatz zwischen zwei Völkern, sondern in dummen, brutalen und eingebildeten Männern wie Harald, der Maeve darin nur zu sehr an ihren eigenen Bruder erinnert.
* Southern Lights (Südlichter) von Tanith Lee: Die Geschichte ist eine Art Fortsetzung zu Northern Chess, Tanith Lees Beitrag zur ersten Amazons - Anthologie. In einem Anfall von Heimweh hat sich die fahrende Ritterin Jaisel zurück in die Südlande begeben. Doch muss sie sehr schnell feststellen, dass man ihr dort wie ehedem bloß mit Spott und Feindseligkeit begegnet. "Alles in allem, was sich in dem Land nicht hätte ändern sollen, hatte sich geändert. Was sich besser geändert hätte, war sich gleich geblieben." Also zieht sie eher ziellos immer weiter hinauf in das Gebirge im Süden, obwohl der Winter hereingebrochen ist und sie besser Ausschau nach einem Unterschlupf für die kalte Jahreszeit halten sollte. Schließlich muss sie einsehen, dass es wohl an der Zeit ist, umzukehren, als in der Dämmerung des hereinbrechenden Abends plötzlich unzählige Lichter aufflammen, die sich als die Fenster einer kleinen Stadt entpuppen. Dort wird offenbar gerade ein Fest –
die "Lichter-der-Engel-Nacht" –
gefeiert. Aber für Jaisel öffnet sich keine Tür und es scheint nicht einmal ein Gasthaus zu geben. Doch dann begegnet sie am Dorfbrunnen einer wunderschönen jungen Frau, die sie überraschenderweise dazu einlädt, die Nacht im Haus ihres Vaters, des Gelehrten Parrivot, zu verbringen. Vielleicht noch seltsamer ist allerdings, dass Ghisanne nicht zu realisieren scheint, dass Jaisel eine Frau ist. Unsere Heldin tut gut daran, auf der Hut zu bleiben. Es erwarten sie ein Alchimist mit Glasaugen, magische Automaten, verdächtige Geräusche aus dem Dachgeschoss und die Einladung, das Bett mit der Tochter des Hauses zu teilen.
Ich habe noch nichts von Tanith Lee gelesen, was mich enttäuscht hätte. Und Southern Lights bildet da keine Ausnahme. Sehr ansprechend fand ich es, dass Jaisel von keiner der Wendungen in der Story wirklich überrumpelt wird. Sie ist gedanklich stets genauso weit wie ein aufmerksam Lesender. Hinzu kommt ein guter Schuss E.T.A. Hoffmann, eine ziemlich düster-traurige finale Enthüllung und der hübsche Satz: "In einer Welt, wo die meisten Frauen nicht besser sind als Puppen, mag eine Puppe als Mensch gelten. Aber eines Tages, alter Mann, eines Tages ..."
* Zroya's Trizub (Zroyas Trizub) von Gordon Derevanchuk: In ihren einleitenden Bemerkungen beklagt Jessica Amanda Salmonson, dass ein Gutteil aller Fantasygeschichten immer noch in schlampig recherchierten und klischeehaften pseudo-westeuropäisch-mittelalterlichen Settings angesiedelt seien. Als positives Gegenbeispiel nennt sie Charles R. Saunders' phantastisch-afrikanisches Nyumbani. Gordon Derevanchuk seinerseits habe auf seine slawischen Wurzeln zurückgegriffen, um uns "Welten, Themen und Personen von ungewöhnlicher Tiefe und Glaubwürdigkeit vorzustellen."
In der Tat sind die aus slawischen Mythen, Märchen und Heldenepen entlehnten Elemente sicher das Interessanteste an Zroya's Trizub. Allerdings geht Derevanchuk bei deren Präsentation nicht immer besonders geschickt vor. Man nehme z.B. folgenden Absatz:
Die frühesten Fabeln und Legenden Antyas sind voller seltsamer und wunderbarer Gestalten. Zu den am meisten ehrfurchtgebietenden dieser überlebensgroßen Helden gehörten die weiblichen Krieger, die man unter dem Namen Polyanitzas kannte. Sie waren den männlichen Kriegern der Sagen, den Bogatyrs, ebenbürtig und manchmal sogar überlegen. Sie waren übermenschlich.
Dieser Einschub folgt dem furchterfüllten Aufschrei "
Polyanitza!", den eine Schar von "Waldtrollen" (
Lisovyki) ausstößt, die gerade von unserer Heldin abgemetzelt wird.
Dass der Autor es für nötig hielt, seiner Leserschaft die aus der altrussischen Heldenepik stammenden Begriffe "Polyanitza" und "Bogatyr" zu erklären, ist nachvollziehbar. Dennoch macht dieser Absatz, der wie ein Auszug aus einem Lexikon über slawische Folklore wirkt, mitten in einer blutig-dramatischen Kampfszene einen etwas ungelenken Eindruck.
Auch könnte der Umstand, dass Heldin Tindira wiederholt als "Zigeunerin" bezeichnet wird, auf heutige Leser*innen irritierend wirken. Allerdings ist die Geschichte frei von antiziganistischen Klischees. Tindiras Volkszugehörigkeit dient ausschließlich dazu, ihren Außenseiterinnenstatus zu unterstreichen.
Die Erzählung selbst ist eine ziemlich typische Rachegeschichte, die sich allerdings durch einige besonders finstere und verstörende Elemente auszeichnet. Als die schwangere Tindira eines Abend einer Horde "Lisovyki" in die Hände fällt, schneiden diese in einer Opferzeremonie zu Ehren des dämonischen "Chernobog" ("Schwarzer Gott") das ungeborene Kind aus ihrem Leib und foltern es über Stunden zu Tode. Die junge Frau überlebt die grausige Tortur und begegnet wenig später einer Baba Yaga (inklusive klassischem "Haus-auf-Hühnerbeinen"). Die alte Hexe bietet Tindira eine Möglichkeit zur Rache an, für die sie freilich einen nicht genauer definierten "Preis" wird zahlen müssen. Ohne zu zögern macht sich unsere Heldin auf, den Dreizack der Zroya (alternativer Name der altslawischen Göttin
Zorya) zu erringen. Nach einer Auseinandersetzung mit einem
"Vodyanik" kehrt sie so bewaffnet in den Wald der "Lisovyki" zurück und richtet ein furchtbares Blutbad unter ihnen an, wobei im Kampfesrausch die Kräfte einer "Polyanitza" in ihr erwachen. Die Geschichte endet auf einer weiteren verstörenden Note, als Tindira nach dem Vollzug ihrer Rache zur Hütte der Baba Yaga zurückkehrt und sich zeigt, wie der "Preis" aussieht, den sie zu zahlen hat.
Die Wahl eines Dreizacks als Waffe der Heldin mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen. Meines Wissens nach gibt es dafür keine Vorbilder in der slawischen Heldenepik. Doch der
"Tryzub" ist ein wichtiges Symbol des ukrainischen Nationalismus, das auf (vermutlich falsch interpretierte) Siegel aus der Ära der Kiewer Rus zurückgeht. Es wurde sowohl von der antibolschewistischen "Ukrainischen Volksrepublik" (1918/19) als auch von der faschistischen OUN-M der 40er Jahre benutzt. Ob seine Verwendung in der Story als ein Hinweis auf Gordon Derevanchuks politische Überzeugungen gedeutet werden muss, sei dahingestellt.
* The Robber Girl (Das Räubermädchen) von Phyllis Ann Karr: Heldin dieser Geschichte ist das Räubermädchen aus Hans Christian Andersens Die Schneekönigin, das dort bloß eine Nebenfigur gewesen war. Nun muss ich zugeben, dass ich mit Andersens Werk nur unzureichend vertraut bin. Wenn es um Kunstmärchen des 19. Jahrhunderts geht, ist und bleibt mein Favorit Hauff mit seinen Sammlungen Die Karawane, Das Wirtshaus im Spessart usw. Darum kann ich auch nicht sagen, ob Phyllis Ann Karrs Story –
über einige nebenbei fallen gelassenen Bemerkungen der Ich-Erzählerin hinaus –
irgendwelche direkten Anspielungen auf Andersen enthält. Auf jedenfall ist sie in einem hübsch märchenhaften Ton gehalten. Der allerdings mit einer ordentlichen Prise Ironie gewürzt ist, denn unser Räubermädchen ist nicht unbedingt die klassische Märchenheldin.
Nachdem sie einen reichen Reisenden um sein Pferd und seine Geldbörse erleichtert hat, wird sie den Großteil ihrer Beute schon in der nächsten Ortschaft beim Kartenspiel mit drei honorigen Bürgern wieder los. Doch während man reichlich "rotem Wein und braunem Schnaps" zuspricht, erzählen die Drei vom "Palast der Ewigen Freude", der sich ganz in der Nähe auf einer magischen Insel befinden soll. Also macht sich unsere Heldin unverzüglich auf, um die dort lebenden unsterblichen Aristos auszuplündern. Insel und Palast werden in guter Märchenmanier von drei Schwänen, drei Hunden und drei Hähnen bewacht. Kein Problem für unser gewitztes Räubermädchen. Dumm bloß, dass sie beim Plündern vom örtlichen Prinzen überrascht wird. Während des folgenden Handgemenges schießt sie mit ihrer Pistole ein Loch in die magische Kristallkuppel, die wie eine Käseglocke über dem Palast liegt, und verschafft damit dem Tod Zugang. Allsogleich haucht der arme Prinz sein Leben aus. Dass sich das Räubermädchen nach einigem hin und her schließlich aufmacht, den Prinzen aus dem Totenreich zurückzuholen, hat wenig mit Edelmut oder einem schlechten Gewissen zu tun:
Ich überdachte die Angelegenheit, während ich meinen Frühstücksspeck briet. Die Graue Burg des Todes war bestimmt recht interessant anzusehen und gut geeignet, um später damit zu prahlen. Und wenn mein blasses Gretchen losziehen konnte, um ihren albernen Karl vor der Schneekönigin zu retten, konnte ich ja wohl den närrischen Prinzen von der verzauberten Insel dem Tod abjagen.
Ein magischer Rubin, den sie aus dem Palast entwendet hat und der alle Sinneswahrnehmungen übernatürlich verschärft, erweist sich bei dieser Queste als äußerst nützlich –
besitzt aber auch seine Nachteile: So reitet sie sich z.B. den Arsch wund, als sie ihn eine Zeit lang in der Hosentasche trägt ... Alles in allem ist
The Robber Girl ganz sicher –
"
Schnipp-Schnapp-Schnuff!" –
einer der charmantesten Beiträge zu der Anthologie.
* Lady of the Forest End (Lady vom Ende des Waldes) von Gael Baudino: In ihrer Einleitung vergleicht Jessica Amanda Salmonson die Story mit Jack Vance und Fritz Leiber, was die Verbindung des "Dramatischen mit dem Komischen" angehe. Das scheint mir zwar etwas hochgegriffen und wir werden in dieser Anthologie noch auf eine Kurzgeschichte stoßen, der das meiner Ansicht nach besser gelungen ist. Aber unterhaltsam ist es ganz sicher, die Kriegerin Avdoyta auf ihrer Fahrt zum Palast der Zauberin Cynthia von den Leuchtenden Bergen zu begleiten, der sie ein magisches Medaillon zurückgeben will, das diese ihrem Liebhaber verliehen hatte, der sein Leben auf der Klinge unserer Heldin ausgeröchelt hat. Ihr nicht ganz freiwillige Begleiter ist dabei der Magiermönch Monmouth. Trotz einiger netter Szenen, wie dem ersten Auftritt der leidenschaftlichen Gärtnerin Cynthia in ihrem riesigen Treibhaus oder Monmouths Bemühungen, bei der Flucht einen Sarg mit kostbaren Reliquien mitzuschleppen, hinterlässt die Story keinen tieferen Eindruck. Amüsant, aber eben auch nicht mehr.
* The Ivory Comb (Der Elfenbeinkamm) von Eleanor Arnason: Ganz anders schaut es da mit Eleanor Arnasons Beitrag aus. Für mich ist The Ivory Comb einer der absoluten Höhepunkte von Amazons II. Und das vor allem, weil es der Autorin beinah perfekt gelungen ist, Ton, Inhalt und Sprache eines authetischen Volksmythos nachzuahmen.
Dass es sich bei den Bewohnern ihrer Welt zwar eindeutig um Menschen handelt, ihre Körper jedoch offensichtlich fellbedeckt sind, ist zwar bloß ein nebensächliches Detail, verleiht dem Ganzen aber trotzdem einen ganz eigenen Touch.
Hoch im Norden lebt eine Alte Frau, deren Zelt im Himmel steht. Täglich kämmt sie ihr Fell, und dabei purzeln aus diesem all die Tiere auf die Erde herab, so dass diese stets voller Leben bleibt und die Jagdbeute nie ausgeht. Doch eines Tages entwendet "Unheilsstifter", ein übelwollender Trickstergott, ihren Elfenbeinkamm und Hunger und Elend kommen über das Volk. Und so muss sich "Seilmacher", selbst wahrscheinlich eine der Töchter von "Unheilsstifter", in den Norden aufmachen, um die Ordnung wieder herzustellen.
Sehr gut gefallen hat mir auch, dass The Ivory Comb jene Deftigkeit und Unverklemmtheit besitzt, durch die sich viele authentische Volksüberlieferungen auszeichnen. So versteckt sich "Unheilsstifter" mit dem gestohlenen Kamm zwischenzeitlich in der Vagina der Alten Frau. Und der Trick, auf den "Seilmacher" verfällt, um ihn da raus zu bekommen, ist gleichfalls nichts für prüde Gemüter.
* The Borders of Sabazel (Die Grenzen von Sabazel) von Lillian Steward Carl: Ich fürchte, zu dieser Story habe ich nur wenig zu sagen. Angesiedelt in einem pseudohistorischen Kleinasien, erzählt sie von dem Bemühen der Amazonenkönigin Danica, die Unabhängigkeit ihres Reiches Sabazel zu bewahren, indem sie ein Bündnis mit dem "Welteroberer" Bellasteros schließt, der sehr deutlich Züge Alexanders des Großen trägt. Sie bietet ihm ihre Hilfe bei der Erstürmung einer vermeintlich uneinnehmbaren Festung an und gewinnt im Laufe dieser Kampagne allmählich den Respekt des Herrschers.
Ich habe nicht wirklich etwas an der Story auszusetzen. Sie ist kompetent geschrieben und auch die Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren ist nicht ohne Reiz. Aber zumindest aus heutiger Sicht wirkt sie einfach nicht besonders originell. Bei Erscheinen der Anthologie mag das freilich noch anders ausgesehen haben, und tatsächlich bildete die Kurzgeschichte den Startpunkt für eine spätere
Sabazel - Romanserie.
* Who Courts A Reluctant Maiden (Der Widerspenstigen Rache) von Ardath Mayhar: Im Vergleich zu Lady of the Forest End scheint mir in Ardath Mayhars Geschichte die Verbindung von Humor und Abenteuer sehr viel besser gelungen. Das liegt vor allem an der äußerst sympathischen Hauptfigur und Ich-Erzählerin. Die zwei Meter große Grittel Sundotha, mit Schultern und Muskeln, die "auch einen Schmied neidisch machen könnten", ist jemand, dem man nicht krumm kommen sollte. Denn wenn ihr Zorn einmal geweckt ist, bleibt kein Auge trocken. Mit einer bemerkenswerten Unbekümmertheit wandert sie durch eine recht grausame Welt und scheint vor nichts und niemandem Angst zu haben. Dabei verfügt sie über einen scharfen Gerechtigkeitssinn, der Hauptgrund dafür gewesen sein dürfte, dass ihre Eltern sie irgendwann vor die Tür gesetzt haben.
Nun bin ich meistens ziemlich friedfertig, meistens. Allerdings habe ich eine Eigenart, die meine Mutter wild machte. Ungerechtigkeit bringt mein Blut zum Kochen, und ich habe das Bedürfnis, alle die zu verprügeln, die sich ihrer schuldig machen. Tatsächlich gibt es Menschen in der Burg meines Vaters, die meine Faust oder meinen Stock zu spüren bekamen, weil sie ihre Frauen oder Kinder schlugen. Vielleicht war dies der Grund, dass mein Vater schließlich meiner Mutter erlaubte, mich fortzuschicken, obwohl er den Verlust meiner Arbeitskraft auf den Feldern bedauerte.
Es ist vor allem ihr Charakter und ihre Erzählstimme, die der Geschichte etwas wunderbar humoriges verleihen. Denn eigentlich ist nichts spaßiges an der Situation, die Grittel in Burg Kranold vorfindet, als sie sich dort für etwas "
ehrliche Arbeit" verdingen will. Der örtliche Westentaschendespot Lord Darin ist nicht nur ebenso lüstern wie sadistisch, sondern ein regelrechter Dämonenbündler. Was unsere Heldin nicht davon abhält, alsbald wüste Kinnhaken zu verteilen. Zwar landet sie für kurze Zeit in der Folterkammer des fiesen Feudalherren, aber auch schmiedeeiserne Ketten können eine Grittel Sundotha nicht lange aufhalten. Erst recht nicht, wenn sie aus Bequemlichkeitsgründen nur von minderer Qualität sind:
Sekunden später hing ich an Hand- und Fußgelenken an der Wand seiner Folterkammer, die er sich aus Bequemlichkeitsgründen in einer fensterlosen Spülküche, in der Nähe seines Schlafzimmers eingerichtet hatte. [...]Die Küche war nicht so fest gebaut, wie eine wirkliche Folterkammer. Als ich meinen Unterarm anspannte, bewegten sich die Bolzen in dem alten Mörtel zwischen den Steinen.
Und so bekommt am Ende nicht unsere Heldin, sondern Lord Darin die Peitsche zu spüren. Nachdem sie noch einen "Staring Contest" mit dem Dämonen Azatoth (!) gewonnen und ein paar Gefolgsleute des bösen Lords vermöbelt hat, befreit sie die Sklavinnen von Burg Kranold und zieht lächelnd weiter ihres Weges.
* The Soul Slayer (Der Seelenräuber) von Lee Killough: Dies war für mich die schwächste Geschichte der Anthologie. Der Plot ist denkbar simpel: Heldin macht sich auf, den von einem Warlord gefangen genommenen Ehemann zu befreien – Sie dringt in das Lager der bösen Horde ein – Es kommt zur Konfrontation mit dem Oberbösewicht – Nach einigem hin und her erschlägt sie ihn – The End. Weder die Heldin, noch der Warlord sind besonders interessante Charaktere.
Doch mein Hauptproblem liegt woanders: Die Ruinen eines postapokalyptischen New York als Setting hatten bereits zu dieser Zeit eine lange Tradition in der amerikanischen Science Fiction: Angefangen bei J.A. Mitchells The Last American (1889) über Nelson S. Bonds Magic City (1941) bis zu Comics wie Mighty Samson (ab 1964) oder Filmen wie Beneath the Planet of the Apes (1970). Das Problem bei The Soul Slayer ist nun, dass man beim Lesen gar nicht realisieren wird, dass das tabubehaftete Gol Manaan, in dessen Ruinen die böse Horde ihr Lager aufgeschlagen hat, das ehemalige Manhattan sein soll. Denn wer an New York denkt, denkt natürlich an Skyscraper. Doch die zerfallenen Gebäude von Gol Manaan werden nie als "titanisch" beschrieben. Und so stellt sich auch keine entsprechend unheimlich-verstörende Atmosphäre ein. Warum dann aber überhaupt dieses Setting? Das einzig interessante Motiv, dass Lee Killough dem postapokalyptischen Szenario abgewinnt, ist das Tabu gegenüber Eisen. Denn dieses Metall wird mit der industriellen Welt der Vergangenheit und ihrem Untergang identifiziert. Es gilt deshalb als "teuflisch" und eiserne Waffen im wahrsten Sinne des Wortes als "Seelenräuber".
* Nightwork (Nachtarbeit) von Jo Clayton: Beinah das genaue Gegenteil gilt von Nightwork. Hier ist es gerade das Worldbuilding, das einen Gutteil der Qualität der Story ausmacht. Auch wenn vieles nur angedeutet wird, bekommt man beim Lesen doch das Gefühl einer sehr komplexen und faszinierenden Welt, durch die sich unsere Heldin Yassim – eine Mischung aus wandernder Kriegerin, Priesterin und Zauberin – bewegt: Die fremdartigen Vierlo-Reittiere; die Szenerie weiter Getreidefelder, durch die sich eine Dammstraße zieht; eine "Alte Religion", die verstärkt Verfolgungen ausgesetzt ist; eine Feudalordnung, die aus der Eroberung des Landes und der Unterwerfung seiner Urbevölkerung erwachsen ist; streng geometrisch angelegte Festungen, von denen aus despotische Grundbesitzer über die Bauernschaft herrschen usw. Die eigentliche Handlung erzählt davon, wie unsere Heldin ihre offizielle Mission für eine Nacht unterbricht, um die junge Tochter einer Bäuerin aus der Festung des lokalen Feudalherren zu befreien, dessen Sohn seinen unangreifbaren Status dazu ausnutzt, seinen pädophilen Gelüsten nachzugehen. Ich habe keine Ahnung, ob Jo Clayton später noch einmal in diese Welt
zurückgekehrt ist, aber ich hätte nichts dagegen, Yassim noch auf ein
paar weiteren Abenteuern zu begleiten.
* In the Lost Lands (Das verlassene Land) von George R. R. Martin: "Man kann alles, was man sich je wünschen mag, bei Alys der Grauen kaufen. Aber es ist besser, dies nicht zu tun."
Die Anthologie schließt auf einer sehr starken Note. Lady Melange wünscht sich die Fähigkeit, Wolfsgestalt annehmen zu können. Die Graue Alys hat noch niemanden abgewiesen, und so schickt sie auf mysteriösen Wegen Botschaften in alle Welt. Es dauert nicht lange und der geheimnisvolle Boyce taucht bei ihr auf. Der Jäger mit dem schlohweißen Haar behauptet, sie zu einem Werwolf führen zu können, der im Verlassenen Land jenseits des Gebirges lebt. Gemeinsam machen sich die beiden auf den Weg. Doch sowohl Boyce als auch die Graue Alys sind mehr, als sie zu seien scheinen. Und zumindest für einen von ihnen wird diese Reise ein äußerst grausiges Ende nehmen.
George R.R. Martins Kurzgeschichte lebt in erster Linie von ihrer düsteren Atmosphäre, die ganz der Szenerie des Verlassenen Landes entspricht, in das das Paar vorstößt:
Von Zeit zu Zeit sahen sie eine Gruppe von Bäumen, die knorrig und verdreht in den Himmel ragten, die Früchte an ihren Ästen waren indigoblau und hatten einen eigenartigen Schimmer. Dann wieder schauikelten sie durch einen seichten Bach, aber niemals war das Wasser mehr als knöcheltief. An manchen Stellen überzogen weiße Flechten die unfruchtbare graue Erde. Aber all das war selten. Zumeist gab es nur Leere, die trostlose tote Ebene auf allen Seiten und den Wind. Der Wind war schrecklich in dem Verlassenen Land. Er wehte unablässig und war kalt und bitter, und manchmal roch er nach Asche, und manchmal heulte und kreischte er, wie eine arme, auf ewig verdammte Seele.
Und doch besitzt diese Ödnis mitunter eine merkwürdige Schönheit. Vor allem, wenn des Nachts das Nordlicht über dem Horizont aufflammt.
Und wie das Land, so auch die beiden Protagonisten. Kalt und mitleidlos, doch zugleich von einer tiefen Melancholie und einer gefährlichen Leidenschaft erfüllt.
Alles in allem ist Amazons II ähnlich lesenswert wie der Vorgängerband und bietet einen guten Einblick in die Zeit der frühen 80er, als immer mehr Heldinnen die vermeintlich so "männlichen" Gefilde der Sword & Sorcery zu bevölkern begannen. Auffällig ist allerdings, dass die Anthologie keine Beiträge enthält, die ähnlich experimentell anmuten würden wie Josephine Saxtons quasi-surrealistische Jaine Saint's Travails in Amazons! Man hat das Gefühl, dass die Zeiten des New Wave - Avantgardismus endgültig vorbei sind. Die stilistische Bandbreite der hier versammelten Geschichten ist immer noch recht groß, hält sich aber doch in einem sehr viel klarer abgesteckten Rahmen.
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