"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Mittwoch, 18. September 2013

El Hombre Lobo

Für eingefleischte Fans des europäischen Horrors ist Paul Naschy eine echte Legende. Und das aus gutem Grund: Der am 6. September 1934 unter dem Namen Jacinto Molina Álvarez in Madrid geborene Schauspieler hat in seiner Karriere so gut wie alle Monster und Bösewichter des klassischen Horrorfilms verkörpert: Graf Dracula und Frankensteins Ungeheuer, die Mumie, den Buckligen und Dr. Fu Manchu, vor allem aber den Werwolf. In dieser Vollständigkeit dürfte er damit einzig dastehen. Zu einer Ikone des Grauens hat ihn freilich vor allem die Rolle des polnischen Lykanthropen Waldemar Daninsky gemacht, den er in insgesamt zwölf Filmen verkörperte, weshalb er in seiner Heimat vor allem als "El Hombre Lobo", manchmal auch etwas unglücklich als "Spaniens Lon Chaney Jr.", bekannt ist.

Nun sind die Gefilde des iberischen Horrors für mich größtenteils Terra Incognita. Von ein paar Jess Franco - Flicks abgesehen, habe ich bisher noch keine nennenswerten Vorstöße in diese Region unternommen. {Obwohl seit einer halben Ewigkeit einige der spanischen "Spätwerke" von Boris Karloff in Form alter VHS-Kassetten bei mir rumliegen. Doch da hab ich mich bisher noch nicht rangetraut ...}. Paul Naschys Namen bin ich das erste Mal in der zweiten Episode von Hypnobobs Zombi Zombi - Serie begegnet, in der Mr. Jim Moon sich unter anderem mit Jose Luis Merinos The Hanging Woman (La Orgia de los Muertos) beschäftigt, in dem der gute Mann offenbar einen nekrophilen Totengräber spielt. Was Jim über die Karriere des Schauspielers zu sagen hatte, fand ich zwar faszinierend, doch eigenen Nachforschungen kam vorerst stets irgendetwas anderes in die Quere. Dann nahm sich vor einigen Tagen Christopher Brown in seinem Video Nasties Podcast den achten Waldemar Daninsky - Film The Werewolf and the Yeti (La Maldicion de la Bestia) vor, der {aus welchen Gründen auch immer} in den 80er Jahren auf der berüchtigten Liste der in Großbritannien verbotenen Filme landete. Und diesmal hatte ich das Gefühl, es wäre allmählich wirklich an der Zeit, mich einmal selbst auf die Spuren von "El Hombre Lobo" zu begeben.

Doch bevor ich meinem kleinen Expeditionsbericht abgebe, rasch noch ein paar Informationen über Naschys Leben.* Obwohl seine frühe Kindheit in die Zeit des Spanischen Bürgerkriegs fiel und er einen Gutteil seiner Jugend während der brutalsten Phase des Franco-Faschismus durchlebte, wuchs er alles in allem unter recht angenehmen Bedingungen auf. Die Familie des Fell- und Lederwarenhändlers Enrique Molina scheint relativ liberal und weltoffen gewesen zu sein, man pflegte Umgang mit Künstlern und Schriftstellern, und früh schon wurde der kleine Jacinto zu einem leidenschaftlichen Kinogänger. Den tiefsten Eindruck hinterließ dabei Lon Chaney Jrs. tragischer Werwolf aus Universals Frankenstein Meets the Wolf Man (1943).
Auf Drängen seiner Eltern begann er erst Agrikultur, dann Architektur zu studieren, doch seine wirkliche Liebe gehörte dem Sport und dem Film. Er begann eine erfolgreiche Karriere als Gewichtheber, die 1958 im Gewinn der spanischen Meisterschaft im Leichtgewicht gipfelte, und betätigte sich daneben als Designer für Schallplattencover, Comiczeichner und Verfasser von Pulp-Western. 1960 wirkte er als Statist in Nicholas Rays Bibelepos King of Kings mit und spielte außerdem einen mongolischen Anführer in Luis Lucias Abenteuerfilm El Principe Encanado. In den folgenden Jahren übernahm Jacinto nicht nur weiter Nebenrollen in Filmen, sondern arbeitete außerdem als Regie- und Produktions-Assistent sowie als Location Scout. Dabei begegnete er u.a. 1966 Boris Karloff auf dem Set von I Spy. 1967 erhielt er seine erste Hauptrolle in Enrique López Eguiluz' Krimi Agonizando en el Crimen.
Im selben Jahr schrieb er das Drehbuch für einen Werwolffilm. Allerdings fiel es nicht leicht, Interessenten für ein solches Projekt zu finden. In der spanischen Filmindustrie jener Zeit spielte das Horrorgenre praktisch keine Rolle, und die meisten Verantwortlichen bezweifelten, dass es ein Publikum für La Marca del Hombre Lobo geben könnte. Doch Jacinto gab nicht so schnell auf, und schließlich gelang es ihm tatsächlich, einen Geldgeber zu finden und Enrique López Eguiluz als Regisseur zu gewinnen. Die Idee, für die Hauptrolle des Waldemar Daninsky den legendären Lon Chaney Jr. zu verpflichten, musste man allerdings schon bald fallen lassen, da der inzwischen 62jährige Schauspieler aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Spanien reisen konnte. Einen Ersatz zu finden, war nicht einfach, und so übernahm Jacinto Molina Álvarez am Ende selbst den Part. Da der Streifen international vermarktet werden sollte, schien es angebracht, wenn sein "Star" einen entsprechend eingängigen Namen tragen würde. Und so war die Geburtsstunde von "El Hombre Lobo" zugleich die von "Paul Naschy".
La Marca del Hombre Lobo war erfolgreich genug, um in kürzester Zeit zur Produktion einer ganzen Reihe von "Sequels"** zu führen: Las Noches del Hombre Lobo {1968 in Paris gedreht, doch nie in die Kinos gelangt, gilt als verloren}; Los Monstruos del Terror {aka Dracula vs Frankenstein [1969]}; La Furia del Hombre Lobo {aka The Fury of the Wolf Man [1970]} und La Noche de Walpurgis {aka The Werewolf vs The Vampire Woman aka Nacht der Vampire [1970]}.

Letzterer Film gilt als Naschys bekanntestes und kommerziell erfolgreichstes Werk und wird oft als der eigentliche Startpunkt des spanischen Horrorbooms der 70er Jahre bezeichnet. Grund genug, denke ich, um La Noche de Walpurgis zur Stätte meiner ersten Begegnung mit "El Hombre Lobo" zu machen. {Dass der Flick auf Youtube zu finden ist, hat dabei natürlich auch eine Rolle gespielt ...}:

 
Der Film beginnt bizarrerweise mit einem toten Daninsky, an dem zwei Ärzte eine Autopsie vornehmen. Als sie die silbernen Gewehrkugeln aus seinem Herzen entfernen, kehrt das Leben freilich sehr schnell in den guten Waldemar zurück, und da draußen gerade der Vollmond scheint, dürfen wir alsbald "El Hombre Lobo" in blutiger Aktion erleben. Pech für die beiden Ärzte.Welche Funktion genau diese Szene eigentlich erfüllen soll, bleibt schleierhaft. Aber das gilt für so einige Szenen in  The Werewolf vs The Vampire Woman.
Die eigentliche Geschichte beginnt damit, dass die beiden Studentinnen Elvira (Gaby Fuchs) und Genevieve (Barbara Capell) sich in eine abgelegene Region Nordfrankreichs aufmachen, um dort nach dem Grab der berüchtigten mittelalterlichen Gräfin Wandesa Dárvula de Nadasdy zu suchen, die im Rufe stand, eine Hexe und Vampirin zu sein. Dort begegnen sie zufällig Waldemar Daninsky, der ihnen sofort anbietet, für die Dauer ihres Aufenthaltes in seinem abgelegenen Landhaus zu wohnen. Obwohl Elvira der melancholische Pole anfangs etwas unheimlich ist, und dessen offenbar geistesgestörte Schwester Elizabeth (Yelena Samarina) die Mädchen mit eindeutig mörderischen Absichten attackiert, nehmen die beiden das Angebot an. Und mit Waldemars Hilfe dauert es nicht lang, und sie haben auch die letzte Ruhestätte der satanischen Aristokratin gefunden. Dummerweise entfernt Genevieve das silberne Kruzifix, das in der Brust des mumifizierten Leichnams steckt, was erwartungsgemäß zur alsbaldigen Wiederauferstehung der vampirischen Wandesa (Patty Shepard) führt.
Ein Juwel des phantastischen Kinos ist The Werewolf vs The Vampire Woman ganz sicher nicht. Das Drehbuch wirkt reichlich unausgegoren. So erscheint z.B. die eigenartige Nebenhandlung um den perversen alten Sack Pierre völlig unnötig, die {unvermeidliche} Romanze zwischen Elvira und Waldemar gänzlich unglaubwürdig. Dass die Dialoge oft etwas holprig und gestelzt daherkommen, hilft auch nicht gerade, auch wenn dafür möglicherweise die englische Synchronisation verantwortlich zu machen ist. Und doch besitzt der Film auch seine starken Seiten. Sämtliche Vampirszenen zeichnen sich durch einen unwirklich-gespenstischen Lyrismus aus, der beweist, das hinter der Kamera ein Mann mit Talent und Stilgefühl stand.
Bei selbigem handelte es sich um den äußerst interessanten León Klimovsky, mit dem zusammen Naschy insgesamt acht Filme drehen sollte. Geboren 1906 in Buenos Aires gehörte er zu den Pionieren der Filmkunst in Argentinien, wenn auch weniger als eigenständiger Künstler, denn vielmehr als Förderer künstlerisch anspruchsvoller Kinoprogramme und Filmclubs. Mitte der 40er Jahre konnte er sein Regiedebut mit einer Adaption von Dostojewskijs Der Spieler feiern. In den 50ern siedelte er nach Spanien über. Und auch wenn sich sein Traum, ein allgemein anerkannter Filmemacher zu werden, nie erfüllen sollte, wurde er in der Folge doch zu einem vielbeschäftigten B-Movie-Regisseur, ohne dass seine leidenschaftliche Liebe zum Film als Kunstform deswegen je erloschen wäre.
Wenn ich gesagt habe, dass das Sehenswerte an La Noche de Walpurgis die Vampirszenen seien, bedeutet das im Umkehrschluss leider auch, dass mich "El Hombre Lobo" nicht wirklich beeindruckt hat. Ja, Naschy als tragischer Werwolf besitzt ein gewisses Charisma, aber auch nicht viel mehr. Auf gar keinen Fall kommt er in Sachen Ausstrahlung gegen Herzogin Wandesa oder die von ihr vampirifizierte Genevieve an. Glaubt man Wikipedia, so waren einige Leute damals schon bereit, die Krone der europäischen Horrorkönigin von Barbara Steele auf Patty Shepard zu übertragen. Das erscheint im Rückblick nicht ganz nachvollziehbar, aber es macht doch sehr deutlich, wer der wahre Star dieses Streifens ist.

Die 70er Jahre erlebten eine regelrechte Explosion des spanischen Horrorfilms, und Paul Naschy wurde dabei sein bekanntestes Gesicht.
Mir stellt sich dabei ganz spontan die Frage, ob es irgendeinen Zusammenhang zwischen den turbulenten gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen im Spanien jener Jahre und dem Horrorboom gegeben hat. Seit Beginn der 60er Jahre befand sich das faschistische Regime in einem Zustand der Dauerkrise. 1962 wurden weite Teile des Landes von einer Welle militanter Streiks erfasst, und in der Folgezeit gelang es den illegalen Arbeiterkomitees (Comisiones Obreras, CC.OO) ihren Einfluss so weit auszubauen, dass ihre Mitglieder 1966 einen überwältigenden Erfolg bei den Wahlen innerhalb der staatlichen Gewerkschaften (Sindicatos) verzeichnen konnten. Auch wenn die stalinistische PCE, die die CC.OO dominierte, eine opportunistische und klar antirevolutionäre Linie vertrat***, war dies doch ein deutliches Zeichen für die wachsende Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse. Franco reagierte mit einer Mischung aus wirtschaftlichen Konzessionen und politischer Repression. Die Syndikatswahlen wurden annuliert, und 1969 verhängte die Regierung den Ausnahmezustand. Doch das Zerbröckeln der Diktatur war auf Dauer nicht aufzuhalten. In den frühen 70er Jahren unternahm die baskische Seperatistenbewegung ETA eine Reihe von Terrorattacken auf Vertreter des Regimes, die in der Ermordung von Premier Luis Carrero Blanco im Dezember 1973 gipfelten. Das Todesjahr des Diktators 1975 war geprägt von zahllosen Streiks und Studentenunruhen. Und auch wenn eine revolutionäre Abrechnung mit dem Regime und seinen Nutznießern durch die vereinten Anstrengungen von Bürgerlichen, "Reformfaschisten", Sozialdemokraten und Stalinisten verhindert werden konnte, starb zusammen mit dem Generalissimus auch die Diktatur.
Vor diesem Hintergrund finde ich es naheliegend, sich zu fragen, ob im spanischen Horror der späten 60er und frühen 70er Jahre irgendwelche Spuren der zunehmenden sozialen Spannungen zu finden sind, oder ob es sich bei ihm ausschließlich um Eskapismus handelte. Zumindest ein Beispiel für einen Genrefilm, der etwas von der gesellschaftlichen Realität der späten Francoära widerspiegelt, ist mir dank des guten Chris Brown bekannt: Eloy de la Iglesias The Cannibal Man (La Semana del asesino) aus dem Jahre 1972. Doch wie verhält es sich mit den thematisch eher konventionellen Streifen, denen Paul Naschy seine Berühmtheit verdankt? Natürlich erwarte ich keinen direkten politischen Kommentar in einem B-Movie mit Werwölfen, Vampiren oder mittelalterlichen Hexenmeistern. Was ich mir jedoch sehr wohl vorstellen könnte, wäre eine Art unterirdischer Vibe, in dem etwas von der angespannten Atmosphäre jener Zeit zum Ausdruck kommt.

Eine Antwort auf diese Frage kann ich natürlich nicht geben, da mir aus eigener Erfahrung ja bloß eine Handvoll iberischer Horrorflicks bekannt ist. Doch fände ich es wirklich spannend, sich diesem Teil des B-Movie- und Exploitation-Universums einmal von dieser Seite aus anzunähern. Für den Moment freilich habe ich erst einmal genug von "El Hombre Lobo" und seinen cineastischen Eskapaden, und lasse diesen Gedanken deshalb als eine Art Missionsauftrag für künftige Expeditionen hier stehen.  



* Vgl.: Paul Naschy - Von Monden und Monstren auf der Website des Geheimnisvollen Filmclubs Buio Omega.
** Der Begriff ist nicht ganz zutreffend, da die Hauptfigur zwar stets ein Werwolf mit dem Namen Waldemar Daninsky ist, die Streifen jedoch keine fortlaufende Geschichte erzählen, und die Umstände, unter denen der "Held" sich den Fluch der Lykanthropie zugezogen hat, von Film zu Film unterschiedlich ausfallen..
*** Vgl. den dritten Teil von Dave Hylands Artikel En Lucha's Andy Durgan: Historical distortions to justify political betrayal of Spanish workers.

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