"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Montag, 30. April 2012

Von Mönchen, Heroen und nationalen Chauvinisten

Es ist eine traurige Tatsache, dass die Heldenepik scheinbar überall auf der Welt besonders gerne für nationalistische Propaganda missbraucht wird. Unsere hauseigenen Verwurstungen des Nibelungenliedes durch völkische, kaiserliche und nazistische Parteigänger sind wohl allgemein bekannt. Vor einiger Zeit habe ich hier bereits kurz auf das üble Spiel hingewiesen, dass die Hindu-Chauvinsten mit dem Ramayana treiben. Jetzt möchte ich einen Blick nach Sri Lanka werfen.

Wie in Indien kommt die politische Rechte auch hier häufig in religiösem Gewande daher. Der singhalesische Nationalismus ist von seinem Zwillingsbruder, dem buddhistischen Fundamentalis-mus, kaum zu trennen. An der Spitze der rechtsextremen Jathika Hela Urumaya (‘Partei des nationalen Erbes’) stehen buddhistische Mönche. Die Wurzeln dieser Verbindung reichen zurück bis zur buddhistischen Erneuerungsbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Mit der Verfassungsreform von 1972, die den Buddhismus zur Staatsreligion erklärte, machte sich der Staat diese Ideologie offiziell zu eigen. Ihr bisher blutigstes Produkt war der über zwanzigjährige Bürgerkrieg gegen die tamilische Seperatistenbewegung LTTE (‘Liberation Tigers of Tamil Eelam’), der mit dem antitamilischen Pogrom vom ‘Schwarzen Freitag’ 1983 begann und mit der endgültigen Niederlage der Tiger im Mai 2009 endete. Die Tamilen, die den Norden und Osten der Insel bewohnen und mehrheitlich Hindus sind, sind die bevorzugten Opfer der singhalesisch-buddhistischen Rechten, aber auch Muslime und Christen bekommen immer wieder ihren Hass zu spüren. Kernstück ihrer Ideologie ist das Prinzip der dharmadwipa (‘Insel des Dharma’ = der buddhistischen Lehre). Danach ist Sri Lanka so etwas wie ein Gelobtes Land des Buddhismus, und die heiligste Pflicht der Singhalesen besteht in der Verteidigung und Verbreitung der Lehre des Erhabenen. Als literarische Grundlage muss dafür regelmäßig das im 4. Jahrhundert entstandene Mahavamsa herhalten, und das hat dieses Stück Weltliteratur wirklich nicht verdient.

Genaugenommen ist das Mahavamsa kein Heldenepos, sondern eine Verschronik des Königreichs Lanka von der singhalesischen Landnahme durch den legendären Vijaya bis zur Regierungszeit Mahasenas. Aber wie wir noch sehen werden, trägt eine der zentralen Erzählungen deutlich heldenepische Züge. Das in Pali verfasste Werk stellt eine faszinierende Mischung aus Mythen, Legenden, geschichtlichen Überlieferungen und märchenhaften Anekdoten dar. Der Bericht gruppiert sich vor allem um zwei Könige: Um Devanampiya, unter dessen Herrschaft der Buddhismus auf der Insel eingeführt wurde, und um den Heroen Dutthagamani. Nebenbei gewährt uns das Epos auch einen interessanten Einblick in Kultur, Gesellschaft und Religion der alten Singhalesen, so etwa in das komplexe Bewässerungssystem, das den großflächigen Reisanbau, auf dem ihre Gesellschaft basierte, überhaupt erst ermöglichte.

Mahanama, der Verfasser des Epos, war ein buddhistischer Mönch und eine entsprechend große Rolle spielt die Religion des Erhabenen in seinem Werk. So beschäftigen sich die Kapitel II bis V überhaupt nicht mit Sri Lanka, sondern behandeln die frühe Geschichte des Buddhismus von Siddharta Gautama bis zum indischen Maurya- König Ashoka und den drei großen Konzilien, auf denen die Reinheit der Lehre sichergestellt werden sollte.
Das Mahavamsa ist allerdings bemüht, von Anfang an eine besonders enge Verbindung zwischen dem Buddha und dem Inselreich herzustellen. So berichtet das erste Kapitel von drei wundersamen Reisen Gautamas nach Sri Lanka, "[f]or Lanka was known to the Conqueror as a place where his doctrine should (thereafter) shine in glory." Um die Insel für die Lehre zu gewinnen, drängt er zuerst die dort lebenden Yakkhas (1) zurück, indem er sie in Angst und Schrecken versetzt, schlichtet dann einen Krieg zwischen zwei Naga-Königen (2) und heiligt schließlich durch seine Anwesenheit eine Reihe von Orten, die später zu Zentren des Buddhismus werden sollen.
Um die besondere Verbindung zwischen Sri Lanka und dem Buddha noch stärker hervorzuheben, wird die Ankunft Vijayas und der Singhalesen auf den Tag von Gautamas paranirvana, seinen Todestag also, verlegt. An eben diesem Tag unterstellt Gautama die Singhalesen und Lanka auch der besonderen Obhut Sakkas, des Königs der Götter: "When the Guide of the World, having accomplished the salvation of the whole world and having reached the utmost stage of blissful rest, was lying on the bed of nibbana; in the midst of the great assembly of gods, he, the great sage, the greatest of those who have speech, spoke to Sakka who stood there near him: ‘Vijaya, son of king Sihabahu, is come to Lanka from the country of Lala, together with seven hundred followers. In Lanka, o lord of gods, will my religion be established, therefore carefully protect him with his followers and Lanka.’" Außerdem bestimmt er schon jetzt die Überführung von Reliquien und eines Ablegers des Bodhi-Baumes (3) nach Lanka, sowie die Art der Wunder, die sich dabei ereignen werden.

Den ersten Schwerpunkt legt das Mahavamsa auf die Regierungszeit König Devanampiyas und die Einführung des Buddhismus auf der Insel durch Mahinda, einen Sohn Ashokas. Dabei erfährt die Verbindung zwischen Sri Lanka und der buddhistischen Lehre noch einmal eine weitere Vertiefung, wenn Mahinda dem König in Kapitel XV erzählt, dass vor Gautama bereits die ersten drei Buddhas des gegenwärtigen Weltzeitalters die Insel besucht und dort eine Reliquie sowie einen Ableger ihres jeweiligen Bodhi-Baumes zurückgelassen hätten. Auf diese Weise erscheint die Bekehrung Sri Lankas zum Buddhismus nur als Wiederherstellung eines zwischenzeitlich verlorengegangenen Zustandes.
Die Ankunft der Missionare gleicht einer zweiten Landnahme, wenn die Wahrsager Devanampiyas von den Mönchen sagen: "The earth is occupied by these (bikkhus); they will be lords upon the island." Ganz in diesem Sinne läßt Devanampiya den aus Indien überführten Bodhi-Baum bei seiner Ankunft zum König salben. Das bedeutet allerdings nicht, dass Sri Lanka nun eine buddhistische Theokratie geworden wäre. Die Mönche üben zwar großen Einfluß auf die Könige aus, die Herrschaft verbleibt jedoch in den Händen der Monarchen. Kapitel XXXIII berichtet zwar von dem Versuch der Mönchsgemeinschaft, sich auch in die Thronfolge einzumischen und einen ihr genehmen Prätendenten auf den Thron zu heben, doch dieser Vorstoß scheitert, und die Mönche müssen sich König Lanja Tissa unterwerfen. Allerdings stellt für das Mahavamsa die Förderung des Buddhismus die vornehmste Aufgabe eines jeden singhalesischen Königs dar. So gibt die Chronik für jeden König genau an, welche Klöster und Heiligtümer er errichten und welche Schenkungen er der Mönchsgemeinschaft zukommen ließ. Ebenso ist es Aufgabe des Herrschers, Häretiker zu bekämpfen und sie aus dem Land zu vertreiben.

Seinen Höhepunkt erreicht das Mahavamsa mit der Erzählung von König Duttaghamani.
In den Augen der singhalesisch-buddhistischen Chauvinsten ist er der große Nationalheld, und jeder aufrechte singhalesische Politiker sollte seinem Vorbild nacheifern. Das Epos feiert ihn vor allem als den Bezwinger der damilas, die zu dieser Zeit einen Großteil der Insel beherrschten, als Vereiniger des Reiches und Erbauer des Großen Stupa von Anuradhapura. Die Nationalisten identifizieren die damilas der Chronik mit den heutigen Tamilen und benutzen die Geschichte von Duttaghamanis Kriegszügen auf diese Weise für ihre antitamilische Propaganda. Aber auch wenn diese Gleichsetzung korrekt seien sollte (4), bietet das Mahavamsa eigentlich wenig Stoff für eine Verteufelung der Tamilem. Es werden zwar einzelne Übergriffe der damilas auf buddhistische Heiligtümer erwähnt, ihr König Elara ist aber keineswegs ein blutrünstiger Tyrann, sondern vielmehr ein Ausbund an Gerechtigkeit und die vielleicht sympathischste Herrschergestalt der gesamten Chronik. Kapitel XXI erzählt in einer Reihe kleiner, märchenhafter Anekdoten von dem peniblen Rechtsempfinden des Königs, der seinen einzigen Sohn hinrichten lässt, weil dieser mit seinem Streitwagen ein Kalb getötet hat, und sogar einer Vogelmutter Gerechtigkeit widerfahren lässt, deren Kinder von einer Schlange gefressen wurden. Obwohl er kein Buddhist ist, erweist sich seine Tugendhaftigkeit als so groß, dass er mit ihrer Hilfe sogar eine Dürre zu beenden und Regen herbeizurufen vermag. Nicht gerade ein ideales Feindbild.

Das für mich faszinierende an der Erzählung von Duttaghamani ist, dass das Mahavamsa mit seinem Auftreten zu einem Stück heroischer Dichtung wird. Die Vorstellung einer buddhistischen Heldenepik mag auf den ersten Blick absurd erscheinen. Das liegt zum einen an der bei uns weitverbreiteten, romantisch verklärten Sicht auf den Buddhismus als einer pazifistischen Religion. Andererseits scheint das buddhistische Ethos mit seiner Betonung von Selbstzucht, Mäßigung und Mitgefühl dem Ethos des Heroischen – dem Stolz und der Maßlosigkeit, der Todesverachtung und Kampfeslust des Helden – in der Tat diametral entgegengesetzt zu sein. Und wirklich hat man beim Lesen des Mahavamsa das Gefühl, einen klassisch heroischen Stoff vor sich zu haben, der nachträglich 'buddhisiert' wurde. Ich habe allerdings keine Ahnung, ob dem wirklich so ist.

Duttaghamani ist der Sohn des Königs Kakavanna, der über die Provinz Rohana herrscht. Obwohl er die Wiedergeburt eines heiligen Mönches ist, verdeutlicht bereits seine Geburtsgeschichte, dass hier ein Krieger zur Welt kommen soll. Seine Mutter hat nämlich recht ungewöhnliche Wünsche für ihr Kindbett. Sie verlangt nicht nur nach einer gewaltigen Honigwabe als Kissen, sondern wünscht auch das Wasser zu trinken, mit dem das Schwert gewaschen wurde, welches König Elaras obersten Krieger enthauptet hat. Schon vor seiner Geburt besteht damit eine tödliche Feindschaft zwischen Duttaghamani und den damilas.
Am Tag seiner Geburt führt eine Elefantenmutter ihr Junges aus dem Dschungel und lässt es bei den Menschen zurück. Das Tier wächst zu dem gewaltigen und furchteinflößenden Kriegselefanten Kandula heran.
Schon als zwölfjähriger Junge ist Duttaghamani von der Idee besessen, die damilas zu vernichten, und mit sechszehn Jahren ist er "vigorous, renowned, intelligent and a hero in majesty and might."  Ihm zur Seite stehen die zehn gewaltigsten Krieger Lankas, die in Kapitel XXIII eingehend beschrieben werden. Doch Kakavanna fürchtet um das Leben seines Sohnes und untersagt ihm deshalb, gegen König Elara in den Krieg zu ziehen. Dreimal bittet der Held seinen Vater um die Erlaubnis zum Kampf, dreimal wird sie ihm verweigert. Schließlich schickt der zornige Duttaghamani seinem Vater Frauenschmuck mit der beleidigenden Botschaft: "If my father were a man he would not speak thus: therefore shall he put this on." Die hochfahrende Art des Prinzen und die Verhöhnung des (scheinbaren) Feiglings sind typisch für die heroische Dichtung. Vorerst bringt ihm die Beleidigung des Vaters allerdings das Exil ein.

Nach dem Tod Kakavannas kommt es zum Krieg zwischen Duttaghamani und seinem Bruder Tissa. Als unser Held inmitten des Schlachtgetümmels mit seinem Pferd über den Elefanten Kandula springt und dabei seinen Bruder mit dem Speer verletzt, wendet sich der Elefant von Tissa ab und unterwirft sich Duttaghamani. Damit hat der Held seine Überlegenheit unter Beweis gestellt. Er bezwingt die Armee seines Bruders in einem blutigen Kampf und versöhnt sich schließlich mit dem gedemütigten Tissa.
Auf Kandula reitend und umgeben von den zehn Helden kann Duttaghamani nun endlich an der Spitze seines gewaltigen Heeres gegen die damilas ziehen. Dieser Feldzug trägt von Anfang an die Züge eines buddhistischen Kreuzzugs. Duttaghamani läßt eine Reliquie in den Schaft seines Speeres einarbeiten und wird von fünfhundert Mönchen begleitet. Die himmlischen Mächte greifen direkt in das Geschehen ein, als sich die Rüstungen der singhalesischen Krieger durch ein Wunder feuerrot verfärben, damit sie im Schlachtgetümmel Freund und Feind auseinanderhalten können.
Während der Eroberung von Vijitanagara stellen insbesondere Nadhimitta und Suranimila, zwei der Zehn Helden, ihre heroischen Qualitäten unter Beweis. Nachdem es Kandula endlich gelungen ist, das eiserne Tor der Stadt zu durchbrechen, verzichten die beiden darauf, dem Elefanten zu folgen, und schlagen stattdessen eigenhändig zwei weitere Breschen in den Befestigungswall. Ihren Höhepunkt erreicht die heldenepische Erzählung aber naturgemäß mit der Entscheidungsschlacht zwischen Duttaghanami und Elara vor den Toren der Hauptstadt. Zuerst bezwingt Suranimila den größten Krieger der damilas, Dighajantu:
"When the mighty (warrior) had in this manner scattered also the other bodies of troops, he charged at the body of troops with which king Gamani stood. But when he began to attack the king, the mighty warrior Suranimila insulted him, proclaiming his own name. Dighajantu thought: `I will slay him,' and leaped into the air full of rage. But Suranimila held the shield toward him as he alighted (in leaping). But Dighajantu thought: `I will cleave him in twain, together with the shield,' and struck the shield with the sword. Then Suranimila let go the shield. And as he clove (only) the shield thus released Dighajantu fell there, and Suranimila, springing up, slew the fallen (man) with his spear. Phussadeva [einer der Zehn Helden] blew his conch shell, the army of the Damilas was scattered; nay, Elara turned to flee and they slew many Damilas. The water in the tank there was dyed red with the blood of the slain, therefore it was known by the name Kulantavapi."

Duttaghamani setzt dem fliehenden Elara nach und erschlägt ihn eigenhändig. Damit ist die Schlacht entschieden.
Dass der siegreiche König seinen gefallenen Gegner mit einer würdevollen Beisetzung ehrt, entspricht durchaus noch den Gepflogenheiten heldenepischer Dichtung:
"When he had thus been victorious in battle and had united Lanka under one rule he marched, with chariots, troops and beasts for riders, into the capital. In the city he caused the drum to be beaten, and when he had summoned the people from a yojana around he celebrated the funeral rites for king Elara. On the spot where his body had fallen he burned it with the catafalque, and there did he build a monument and ordain worship. And even to this day the princes of Lanka, when they draw near to this place, are wont to silence their music because of this worship."
Doch was dann folgt, ist ein Schlag ins Gesicht des heroischen Geistes. Duttaghamani wird nämlich auf einmal von Gewissensbissen geplagt:
"Sitting then on the terrace of the royal palace, adorned, lighted with fragrant lamps and filled with many a perfume, magnificent with nymphs in the guise of dancing-girls, while he rested on his soft and fair couch, covered with costly draperies, he, looking back upon his glorious victory, great though it was, knew no joy, remembering that thereby was wrought the destruction of millions (of beings)."
An dieser Stelle tritt der Konflikt zwischen heroischem und buddhistischem Ethos offen zutage. Doch, und das macht den Text so interessant, der Konflikt führt nicht zu einem offenen Bruch in der Erzählung, die beiden gegensätzlichen Wertsysteme werden vielmehr miteinander versöhnt. Um diese schier unmöglich erscheinende Aufgabe zu bewältigen, greifen nun acht Arahants [Heilige] in die Handlung ein. Von der Mönchsgemeinschaft beauftragt, suchen sie den König auf, um seine moralischen Bedenken zu zerstreuen. Duttaghamani ist fest davon überzeugt, für immer seinen Seelenfrieden eingebüßt zu haben: "’How shall there be any comfort for me, O venerable sirs, since by me was caused the slaughter of a great host numbering millions?’" Die Antwort der acht Arahats muss für alle, die den Buddhismus für eine friedvolle und humane Religion halten, erschüttern:
"’From this deed arises no hindrance in thy way to heaven. Only one and a half human beings have been slain here by thee, O lord of men. The one had come unto the (three) refuges, the other had taken on himself the five precepts Unbelievers and men of evil life were the rest, not more to be esteemed than beasts. But as for thee, thou wilt bring glory to the doctrine of the Buddha in manifold ways; therefore cast away care from thy heart, O ruler of men!’"
Der Eroberungskrieg gegen einen tugendhaften König, dem Abertausende damilas zum Opfer gefallen sind, ist offenbar dadurch gerechtfertigt, dass er dem höheren Ruhm der buddhistischen Lehre diente. Damit erweist sich das buddhistische Ethos praktisch als noch unmenschlicher als das heroische. Dieses ehrt und betrauert den erschlagenen König zumindest als würdigen Gegner. Die religiöse Sichtweise hingegen beraubt den Feind seiner Menschlichkeit. Er ist ein Ungläubiger und darum nicht mehr wert als ein Vieh. Die einzigen wirklichen Opfer des Krieges sind zwei Anhänger Duttaghamanis, da diese ja gläubige Buddhisten waren.

Wie man sich denken kann, leiten die singhalesischen Chauvinisten aus dieser Passage ihre Ideologie vom ’gerechten Krieg’ (dharma yuddhaya) ab, mit dem sie den Vernichtungskrieg gegen die LTTE legitimierten. (5) Aus diesem Geist heraus feierte z.B. der Mönch Sobitha Thera, Führer der rechtsradikalen Jathika Sangha Sabha (‘Nationaler Mönchsrat’), den obersten Strategen des Bürgerkriegs, General Ratwatte, an dessen Geburtstag 1998 als einen modernen Duttaghamani und forderte die Fortsetzung des Krieges ‘bis zum vollständigen Sieg’. (6) Nach dem Sieg über die LTTE feierten zahlreiche buddhistische Gemeinschaften Präsident Mahinda Rajapakse als einen ‘neuen König’ in der Nachfolge Duttaghamanis und verliehen ihm Titel wie Vishvakeerthi Sinhaladheeswara (‘Allumfassender Glorreicher Oberherr der Singhalesen’), Shree Wickrema Lankadheeswara (‘Heldenhafter Kriegsherr von Lanka’) und Raajavamsa Vibhooshana Dharamadveepa Chakravarti (‘Königlicher Weltherrscher der glorreichen Insel des Dharma’). (7)

An den heldenepischen Teil der Duttaghamani-Geschichte schließt sich ein ausführlicher Bericht über den Bau des Großen Stupa von Anuradhapura an, mit dem der König seine Rolle als Beschützer und Förderer des dharma unter Beweis stellt. Dieser Teil des Mahavamsa ist es, der am ehesten der Untermauerung der dharmadwipa-Ideologie dienen kann. Für den Verfasser des Epos ist die Errichtung des Heiligtums nämlich ein Ereignis von weltumspannender, ja geradezu kosmischer Bedeutung. Die Materialien, die Duttaghamani für den Bau des Stupa benötigt Ziegelsteine, Gold, Silber, Perlen, Korallen und Juwelen   werden auf Anweisung des Götterkönigs Sakka von den Himmlischen auf die Insel getragen. Die Reliquien, die in das Monument versenkt werden sollen, müssen zuvor auf recht abenteuerliche Weise aus dem Unterwasserpalast der Nagas entwendet werden. Am wichtigsten jedoch ist der Umstand, dass Zehntausende von Mönchen aus allen Ländern des Buddhismus kommend in Anuradhapura zusammenströmen, um dem Ereignis beizuwohnen. Das Eingreifen der Götter und mehr noch die Anwesenheit der fremdländischen Mönche machen deutlich, dass der Bau des Stupa mehr ist als ein frommer Akt Duttaghamanis oder ein Symbol für die Vereinigung Sri Lankas unter buddhistischer Herrschaft. Er betrifft vielmehr die gesamte buddhistische Ökumene. Dadurch bekommt Sri Lanka eine außergewöhnliche Stellung innerhalb der buddhistischen Welt zugesprochen.
Hier mögen die Ursprünge der dharmadwipa-Idee liegen. Sie auf die Politik der Gegenwart anzuwenden, ist freilich in etwa so, als würde man sich in Deutschland oder Frankreich heute auf die Reichsideologie des Mittelalters berufen.

Allen Freunden und Freundinnen heroischer Dichtung und jedem, der sich für die buddhistische Kultur Südasiens interessiert, kann ich die Lektüre der 'Großen Chronik' von Lanka jedenfalls nur wärmstens empfehlen.

(1) Der Nama Yakkha bezeichnet in den buddhistischen Palitexten eine Klasse nichtmenschlicher Lebewesen, die häufig als Naturgeister auftreten und den Menschen überwiegend wohlgesonnen sind. Ab und an werden sie aber auch als dämonische Menschenfresser beschrieben.
(2) Die Nagas sind Schlangendämonen.
(3) Der Bodhi-Baum ist der heilige Baum, unter dem Gautama saß, als er die Erleuchtung erlangte. Jeder Buddha besitzt seinen eigenen Bodhi-Baum.
(4) Die Religionswissenschaftlerin Tessa Bartholomeuz zieht diese Identifikation in ihrem Aufsatz In Defense of Dharma: Just-War Ideology in Buddhist Sri Lanka in Zweifel: "It is important to note that, whatever the Mahavamsa's meaning of the Pali word damila, the Sinhala word for Tamil is demala, while twentieth-century Sinhala interpreters of Dutugemunu's war against damilas translate damila as Tamil, demala."
(5) Für eine genaue Analyse dieser buddhistischen Kriegsideologie vgl. Tessa Bartolomeuz' Buch In Defense of Dharma.
(6) Vgl.: Bartholomeuz' Aufsatz.
(7) Siehe hier

Zu früh gefreut

Ich hatte mich seit einiger Zeit der vagen Hoffnung hingegeben, Black Gate habe sich endlich von Theodore Beale getrennt. Doch wie ich heute Morgen mit Ekel und Frustration feststellen musste, ist dem leider nicht so.
'Theo' (aufgrund seines Blogs auch als 'Vox Day' bekannt) ist neben John C. Wright die mit Abstand widerlichste Gestalt, die mir in der Phantastik-Netzgemeinde bisher untergekommen ist. Ein 'libertärer' christlicher Fundamentalist, der immer wieder mit ebenso bizarren wie abstoßenden Statements von sich reden macht. Kleine Auswahl gefällig?

Über die USA als 'christliche Nation': "The main reason American liberties have been systematically reduced since 1851 is because the influence of Christianity throughout the nation has declined." Nur zur Erinnerung: Der Bürgerkrieg, der zur Abschaffung der Sklaverei führte, fand 1861-65 statt!
Über Homosexualität: "Homosexuality is a birth defect from every relevant secular, material, and sociological perspective...[we must] help them achieve sexual normality."
Über Atheismus: "[A]theism may be little more than a mental disorder taking the form of literal autism." (aus seinem Buch The Irrational Atheist)
Über Vergewaltigung in der Ehe: "[T[here is no such thing as marital rape. Once consent is formally given in public ceremony, it cannot be revoked [...] That the 'marital rape' concept is not only legally oxymoronic, but deeply undesirable for both sexes, is exemplified by its implications for sex that by definition precludes consent. Let's face it, any man or woman who believes in the criminalization of wake-me-up sex is not an individual with whom any decently hedonistic being would want to be saddled for a lifetime."
Über Frauenrechte: "In fact, I very much like women and wish them well, which is precisely why I consider women's rights to be a disease that should be eradicated."
Über die wachsende Zahl an Wissenschaftlerinnen: "It is written that 'women ruin everything'; having destroyed the liberal arts, the classics and the pseudo-sciences, it is now abundantly clear that the more rigorous sciences are next on the equalitarians’ destructive agenda. And so, in the not-too-distant future, two plus two will finally be determined to equal five if a women feels that it should, or at least it will as long as she happens to feel that way."
Voller Stolz hat er einmal verkündet: "I have been one of the very few retrogradists openly calling for the elimination of women’s suffrage in the interest of human liberty."

Derart offen trägt er seine Ansichten in den Artikeln für Black Gate zwar nicht zur Schau, doch ein paar antifeministische oder antimuslimische Ausfälle am Rande kann er sich selten verkneifen. Sein aktueller Beitrag bildet da keine Ausnahme.
Den Anlass bildet ein Blogpost von Daniel Abraham, in dem der Autor des Long Price Quartet die sattsam bekannte Masche kritisiert, sexistische, rassistische oder gewaltverherrlichende Elemente in der High Fantasy mit dem Hinweis auf die ‘historische Authentizität’ (‘im Mittelalter war das halt so’) zu legitimieren.* Da der gute Theo eine große Vorliebe für eben dieses Argument besitzt, fühlt er sich offenbar gedrängt, gegen Abraham zu polemisieren und nebenbei ein paar abfällige und groteske Bemerkungen über die bösen Feministinnen loszuwerden.

Ich frage mich ehrlich, warum Black Gate – ein Blog, für den immerhin Leute wie C.S.E.Cooney und Matthew David Surridge schreiben – diesem Herrn weiterhin eine Plattform zur Verfügung stellt. Mit der Frage von Zensur und Meinungsfreiheit hat das meiner Meinung nach absolut nichts zu tun. Selbstverständlich sollte Beale etwa in Form eines Kommentars jederzeit das Recht haben, seine Ansichten zu äußern, wie unappetitlich diese auch sein mögen. Aber er ist ein offizieller Blogger und damit Teil des Teams von Black Gate. Der üble Eindruck, den seine Ergüsse regelmäßig hervorrufen, fällt damit zwangsläufig auch auf das Gesamtprojekt zurück.

* Zu demselben Thema hat 'Wulfila' von der Bibliotheka Phantastika vor gut einem Jahr auch schon mal einen interessanten Beitrag verfasst.

Samstag, 28. April 2012

Happy Birthday, Gronk!

Wie immer bin ich auch diesmal zu spät dran ...
Ich hoffe nur, das kleine grünhäutige & blonde Monster verzeiht mir.  Doch wie dem auch sei, ich wünsche Gronk und seiner IHRER* Schöpferin Katie Cook alles alles Gute zum zweiten Geburtstag! Mögen sie uns noch lange mit ihren allwöchentlichen Comicstrips beglücken!

* Oh Gott, ist mir das jetzt peinlich ... 

Freitag, 27. April 2012

Quoth the raven, "Nevermore"


Das fröhliche Plündern der Literaturgeschichte geht weiter. Während das Projekt, H.G. Wells, Jules Verne und Robert Louis Stevenson auf ein Steampunk-Abenteuer zu schicken (Royal Honour Society), noch Zukunftsmusik sein mag, ist die Idee, Edgar Allan Poe gegen einen psychopathischen Serienkiller antreten zu lassen, bereits traurige Realität geworden:


Poe (John Cusak) muss einen Mörder jagen, der sich in seinen Methoden vom Werk des Schriftstellers inspirieren lässt und dessen Geliebte Emily entführt hat. Seufz! Originalität, wohin bist du verschwunden?

Filme, die nach Poes berühmtesten Gedicht benannt wurden, gibt es schon einige. Tatsächlich erinnert die Idee, Menschen nach Vorbildern aus den Stories des Meisters des Makabren zu töten, an Lew Landers’ Klassiker aus dem Jahre 1935, in dem Bela Lugosi den Chirurgen Richard Vollin spielte, der sich eine Folterkammer voller Poe-inspirierter Mordmaschinen eingerichtet hat. Und auch Roger Corman, der Schöpfer der legendären 60er Jahre - Poe - Verfilmungen mit Vincent Price, drehte einen Raven, in dem neben Price Boris Karloff und Peter Lorre (sowie ein junger Jack Nicholson) mitwirkten.

Angesicht solch prachtvoller Vorgänger wird es der Film von James McTeigue (V for Vendetta) fürchte ich schwer haben, irgendwelche Sympathien bei mir zu wecken. Auch kann ich mich einfach nicht mit der Idee anfreunden, große Schriftsteller der Vergangenheit zu Action- oder Thrillerhelden zu machen. Ich frage noch einmal: Was soll der Sinn davon sein – außer, dass man einen berühmten Namen für Marketingzwecke missbraucht? Von den Mord-Gimmicks einmal abgesehen, hat dieser Film nichts mit dem realen Poe zu tun. Selbstredend hatte dieser nicht einmal eine Geliebte mit dem Namen Emily. Poes Leben würde eine faszinierende Geschichte abgeben. Die Jagd nach einem Serienkiller hingegen ist inzwischen einfach bloß öde.

Was wir wohl als nächstes vorgesetzt bekommen? Tolkien, C.S. Lewis und den Rest der Inklings als Geheimagenten, die im Auftrag von Winston Churchill gegen Hitler kämpfen?    

Doch bevor ich mich richtig aufrege, übergebe ich lieber dem großen Vincent Price das Wort, damit dieser uns zeigen möge, worin die wahre Magie von Edgar Allan Poe besteht:


Donnerstag, 26. April 2012

Hals Lieblingsmonster

Ich finde es immer ziemlich ärgerlich, wenn Frankenstein als eine Warnung vor der angeblichen Hybris des modernen Menschen interpretiert wird. Oft geschieht dies dann auch noch mit einer deutlich religiösen Konnotation (‘Gott spielen’). Dass ein solches Element in Mary Shelleys Roman vielleicht auch vorhanden ist, will ich überhaupt nicht leugnen. Schließlich standen die Romantiker dem Glauben der Aufklärer an die Allmacht der Vernunft eher skeptisch gegenüber. Doch als eine radikale Absage an den Fortschrittsglauben war das Buch sicher nicht gedacht. Immerhin widmete es die Schriftstellerin ihrem Vater William Godwin, und hatte dieser in der ersten Auflage seiner Inquiry Concerning Political Justice nicht sogar die These aufgestellt, der von Staat und Privateigentum befreite Mensch der Zukunft werde in der Lage sein, körperliche Unsterblichkeit zu erlangen? Ich liebe die Universal-Horrorfilme der 30er Jahre, zu deren Glanzstücken James Whales Frankenstein (1931) und Bride of Frankenstein (1935) mit dem unsterblichen Boris Karloff gehören. Doch leider waren es vermutlich gerade sie, die die quasireligiöse und antiwissenschaftliche Interpretation der Geschichte um Victor Frankenstein und seine Kreatur ins kollektiven Bewusstsein eingebrannt haben.

Um so erfreulicher finde ich es, dass man in Jeff & Ann VanderMeers stets lesenswerter Weird Fiction Review jetzt eine völlig andere (und meiner eigenen Sichtweise sehr viel näherstehende) Interpretation des Monsters aus der Feder von Hal Duncan, dem Autor von The Book of All Hours, finden kann.

Dienstag, 24. April 2012

Philosophischer Tiefsinn oder fortschreitende Hirnerweichung?


Ich habe hier vor einigen Wochen schon einmal meine Ansicht kundgetan, dass ich die Vermischung des Alien-Franchise mit Dänikens ‘Präastronautik’, auf denen Ridley Scotts neuer Film Prometheus zu beruhen scheint, nicht eben für eine glänzende Idee halte. Dass man das auch ganz anders sehen kann, beweist Matt Cardin mit seinem bei SF Signal geposteten Beitrag Is Ridley Scott’s ‘Prometheus’ A Lovecraftian ‘2001’? Er glaubt aus ganz demselben Grund, in dem Film schon jetzt "a cultural, psychological, and philosophical landmark" erkennen zu können.

Na und?’ könnte man da vielleicht fragen. ‘Jedem das seine’. Natürlich ist es mir im Grunde völlig egal, was sich Cardin von Prometheus verspricht. Ich frage mich bloß, auf welchem intellektuellen Niveau hier operiert wird, sowohl von Scott als auch von all jenen, die seine bizarren Ambitionen in Richtung philosophischer Tiefsinn ernst nehmen.

Wie die Überschrift schon zeigt, rückt Cardin Prometheus (bzw. seine Traumvariante des Filmes) sowohl in die Nähe von Stanley Kubricks 2001 – A Space Odyssey als auch von H.P. Lovecrafts Cthulhu-Mythos.

Ersteres ist für mich in erster Linie ein ästhetisches Problem. Man kann durchaus geteilter Meinung darüber sein, ob 2001 tatsächlich so ungeheuer tiefsinnig ist, wie immer wieder behauptet wird. Doch ganz gleich, wie man sich zu dieser Frage stellt – ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie man ernsthaft glauben kann, ausgerechnet Ridley Scott wäre in der Lage, einen Film zu schaffen, der in künstlerischer Hinsicht einen Vergleich mit Stanley Kubricks Werk aushalten könnte. Selbst zu seinen besten Zeiten (und die sind lange her) spielte Scott nicht in derselben Liga wie Kubrick, und spätetstens seit Thelma & Louise (1991) geht’s bei ihm eigentlich nur noch bergab. American Gangster (2007) war der einzige (milde, nicht strahlende) Lichtblick in einer langen Reihe von Filmen, deren Qualität zwischen mäßig (Gladiator, Kingdom of Heaven) und echt mies (Hannibal, Black Hawk Down, Body of Lies, Robin Hood) schwankte. Und wenn die Trailer zu Prometheus etwas zeigen, dann, dass Scott sich einmal mehr auf seine bewährte ‘düstere’ Ästhetik verlassen hat, um ‘Atmosphäre’ zu schaffen. Nichts deutet auf eine irgendwie originelle Herangehensweise hin.

Etwas komplizierter wird es bei dem Lovecraft-Vergleich. Matt Cardin ist sich offenbar bewusst, dass die meisten Leute beim Namen Däniken zu grinsen anfangen, also lässt er den Schweizer links liegen und beruft sich lieber auf den Gentleman von Providence, wenn es um die angebliche philosophische Tiefe der Idee von der Menschheit als Produkt außerirdischer Zuchtprogramme geht. Tatsächlich kommt dieses Motiv in At the Mountains of Madness vor, aber Scott selbst beruft sich halt nicht auf Lovecraft, sondern ganz ausdrücklich auf Däniken. Zur Umgehung dieses Problems zieht Cardin die These von Jason Colavito heran, der es für wahrscheinlich hält, dass Däniken auf dem Umweg über die französischen Okkultautoren Jacques Bergier & Louis Pauwels tatsächlich von Lovecraft beeinflusst wurde. Colavitos Arbeiten sind sehr interessant, nur übergeht Cardin einen Punkt, den der 'skeptische Xenoarchäologe' immer wieder hervorhebt. Im Unterschied zu Däniken glaubte Lovecraft nicht wirklich daran, dass vor Urzeiten Außerirdische die Erde besucht und eigene Zivilisationen gegründet oder den Lauf der Menschheitsgeschichte beeinflusst hätten. Für ihn und seine Schriftstellerfreunde war der Cthulhu-Mythos nicht mehr als ein amüsantes Spiel. In ihrer Korrespondenz behandelten Lovecraft und Clark Ashton Smith den Mythos z.B. stets mit Ironie und Humor. Die Vorstellung, die Menschen seien von irgendwelchen übermächtigen Aliens als Haustiere gezüchtet worden, mochte ihrem pessimistischen Menschen-bild entgegenkommen, für eine ernstzunehmende Idee hielten sie sie nicht.

Die Stories von Creepy Howie zu missbrauchen, um Scotts Auslassungen über Alienbesuche und prähistorische Zivilisationen in einem besseren Licht erscheinen zu lassen, finde ich reichlich unfein. Und es ist wirklich peinlich, was für einen Scheiß der Regisseur in den letzten Wochen da so von sich gegeben hat.


Beweisstück Nr. 1: "NASA and the Vatican agree that is almost mathematically impossible that we can be where we are today without there being a little help along the way [...] That's what we're looking at (in the film), at some of Eric van Daniken's ideas of how did we humans come about." Was den Heiligen Stuhl betrifft, möchte ich mich nicht mit Scott streiten. Obwohl es auch da eine ganze Reihe gebildeter Köpfe gibt. Aber dass die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der NASA auf einmal der unsinnigen These vom 'intelligenten Design' oder gar der 'Präastronautik' huldigen würden, wäre mir neu.

Beweisstück Nr. 2: a): "In the ‘60s there was a guy called Erich Von Daniken who did a very popular book called Chariots of the Gods?, and he proposed previsitation, which we all pooh-poohed. But the more we get into it, the more science accepts the fact that we’re not alone in this universe, and there’s every feasible chance that there’s more of us, not exactly as we are, but creatures that are organically living in other parts of this particular galaxy. (Stephen) Hawking said he thinks that there are and that he hopes they don’t visit. Because if they do, they’re way ahead of us." Jetzt werde ich aber wirklich ärgerlich! Zuerst erweckt Scott den Eindruck, als wäre die Vorstellung, es könne noch anderes intelligentes Leben in unserer Galaxis geben, zur Zeit des Erscheinens von Dänikens Buch 1968 von keinem 'Mainstream' - Wissenschaftler ernsthaft in Erwägung gezogen worden. Hey, Ridley, nicht jeder ist so ein Ignorant wie Du! Schon 1960 hatte Frank Drake das wissenschaftliche SETI (Search for Extraterrestrial Intelligence) - Programm ins Leben gerufen, ein Jahr später fand die erste SETI-Konferenz am Green-Bank-Observatorium statt und 1966 veröffentlichten Carl Sagan und der sowjetische Astronom Josef Schklowski ihr einflussreiches Buch Intelligent Life in the Universe. In dieser Hinsicht war Däniken wirklich kein mutiger Pionier. Aber ihm ging es ja auch nicht wirklich darum, dass es auch auf anderen Planeten intelligentes Leben geben könnte, sondern das Sodom und Gomorrah mit Atombomben zerstört wurden. Wirklich unverschämt wird Scott jedoch, wenn er es so darstellt, als würden die 'Mainstream' - Wissenschaftler allmählich zu den gleichen Überzeugungen gelangen wie Däniken und als 'Beweis' dafür Stephen Hawkings Aussagen über die mögliche Existenz von  extraterrestrischer Intelligenz anführt. Noch einmal: Das ist nicht der Punkt!
Und in Wirklichkeit geht es ja auch Scott um ganz  etwas anderes: b) "I think it’s [Dänikens präastronautischer Blödsinn] entirely logical. The idea that we’ve been here three billion years and nothing happened until 75,000 years ago is absolute nonsense. If something happened here two billion years ago, if there was a civilization at least equal to ours, there would be nothing left after two billion years. It would be carbon. We talk about Atlantis and cities under water that have long gone, long submerged, but they’re in the relatively recent past. I’m talking about one-and-a-half-billion years ago – was this planet really empty? I don’t think so." Nicht wissen, sondern glauben!

Mir ist es letzlich völlig egal, ob ein mittelmäßiger Filmemacher wie Ridley Scott zum Glauben an Däniken konvertiert ist. Nur bitte, bitte verkauft mir das nicht als philosophischen Tiefsinn! Oder soll ich Mel Gibsons christlichen Fundamentalismus von jetzt an auch als Ausdruck 'wahrer Spiritualität' bewundern?


Linktips:
Wer ein bisschen was über SETI erfahren möchte, lese das Interview, das Genevieve Valentine für Lightspeed Magazine mit SETI-Chefin Jill Tarter geführt hat.
Und was Däniken angeht, so empfehle ich die Lektüre von John T. Omohundros bereits 1976 erschienenem Artikel aus dem Skeptical Inquirer.

Freitag, 20. April 2012

Gerade entdeckt

                                 "Dear Howie ..."
                                                 .... H.P. Lovecrafts Beziehungstips !!!

Zwei Arten Nostalgie (II)

William Morris ist unter Genrefans vor allem als der ‘offizielle’ Schöpfer der ersten Sekundärwelt-Fantasy bekannt. Matthew David Surridge vertritt in dieser Frage zwar eine abweichende Meinung und verleiht die Krone stattdessen Sara Coleridge mit ihrem 1837 veröffetlichten Buch Phantasmion, doch wie dem auch sei, Morris’ Einfluss auf J.R.R. Tolkien zumindest steht außer Zweifel. Als dieser seine ersten ernsthaften schriftstellerischen Gehversuche machte, schrieb er im Oktober 1914 an seine künftige Ehefrau Edith: "Neben den anderen Arbeiten versuche ich jetzt, aus einer von den Geschichten – in Wirklichkeit eine sehr große und höchst tragische Geschichte – eine kurze Erzählung zu machen, so etwa in der Art der Romanzen von Morris, mit eingestreuten Brocken Gedichte". (1)  Hier ging es noch nicht um eine Erzählung aus dem späteren Mythenkreis des Silmarillion. Vielmehr beabsichtigte Tolkien zu dieser Zeit, die Geschichte des Helden Kullervo aus dem finnischen Epos Kalevala zu einer ‘Romanze’ umzuarbeiten. (2) Das Projekt gelangte nie über das Anfangsstadium hinaus, doch der Einfluss von Morris ist auch in späteren Werken noch deutlich zu spüren. So dürfte die Rahmenerzählung der Lost Tales – der Urform des Silmarillion – dem Vorbild von The Earthly Paradise nachgebildet worden sein. In beiden Fällen gelangen Seefahrer aus Nordeuropa, die sich auf die Suche nach den Paradiesesinseln im Westen gemacht haben, schließlich an einen fernen Ort, wo ihnen Geschichten aus alter Zeit erzählt werden. Auch verdankt der ‘Mirkwood’ (‘Düsterwald’) im Hobbit seinen Namen vermutlich nicht nur dem ‘Myrkvid’ der germanischen Heldensage, sondern auch Morris’ The House of the Wolfings. Und noch in einem Brief aus dem Jahre 1960 schreibt Tolkien, die Szenerie der "Totensümpfe und [der] Zugänge zum Morannon" im Herr der Ringe habe viel "von William Morris und seinen Hunnen und Römern, etwa in The House of the Wolfings oder The Roots of the Mountains." (3)

Für moderne Leserinnen und Leser mögen The Well at the World’s End oder The Water of the Wondrous Isles erst einmal schwer verdauliche Kost sein. Aber es lohnt sich, wenn man nicht schon nach der ersten Seite das Buch wieder aus der Hand legt. Nachdem man sich einmal an Morris’ archaisierenden Stil gewöhnt hat, erschließt sich einem die poetische Schönheit dieser Texte. Mehr noch als für seine Ritterromanzen gilt dies für die Germanen-Geschichten House of the Wolfings und Roots of the Mountains. (4)


Die Schriften Ruskins übten einen entscheidenden Einfluss auf das Denken des jungen William Morris aus. Viele Jahre später schrieb er in seinem Aufsatz How I Became A Socialist:
"Before the uprising of modern Socialism almost all intelligent people either were, or professed themselves to be, quite contented with the civilization of this century. [...] But besides these contented ones there were others who were not really contented, but had a vague sentiment of repulsion to the triumph of civilization, but were coerced into silence by the measureless power of Whiggery. (5) Lastly, there were a few who were in open rebellion against the said Whiggery – a few, say two, Carlyle and Ruskin. The latter, before my days of practical Socialism, was my master towards the ideal aforesaid, and, looking backward, I cannot help saying, by the way, how deadly dull the world would have been twenty years ago but for Ruskin! It was through him that I learned to give form to my discontent, which I must say was not by any means vague. Apart from the desire to produce beautiful things, the leading passion of my life has been and is hatred of modern civilization."
Gemeinsam mit seinem Freund Edward Burne-Jones schloss sich Morris zu Beginn der 1850er Jahre der Bewegung der Präraffaeliten an, zu der so bedeutende Maler und Dichter gehörten wie Dante Gabriel Rossetti, Christina Rossetti, William Holman Hunt, John Everett Millais und Algernon Charles Swinburne. Der Präraffaelitismus war eine ästhetische Rebellion gegen das viktorianische Bürgertum, gegen seine satte Selbstzufriedenheit, seinen platten Utilitarismus und seinen schlechten Geschmack. Der Hässlichkeit und dem Schmutz der britischen Industriestädte, der vulgären Prunksucht und nackten Profitgier der neureichen Bourgeoisie stellten die jungen Künstler elegische Traumwelten und von symbolischen Bezügen durchtränkte religiöse Szenerien entgegen. Ruskin war ihr Inspirator und Förderer, und wie er suchten auch sie ihre Vorbilder in der mittelalterlichen Kunst. Dante, Chaucer und Malory waren neben dem Shakespeare der Sonette ihre Lieblingsautoren. Morris’ größter literarischer Beitrag zu der Bewegung war der Gedichtband The Defence of Guenevere. Allerdings erging es den Präraffaeliten wie so vielen Rebellen der Kunst vor und nach ihnen: sie wurden schon bald zu den Lieblingen der von ihnen so gehassten Philister. Was als Revolte begann, endete als gefeierte Modeströmung.

Im Grunde war dieser Ausgang bereits in der rein ästhetischen Form der Rebellion angelegt, und Morris spürte dies schon sehr bald. Als er sich daran machte, seinen riesigen Gedichtszyklus The Earthly Paradise niederzuschreiben, fühlte er sich in seinem Kampf gegen die verhasste bürgerliche Zivilisation bereits immer mehr auf verlorenem Posten. Historiker E. P. Thompson spricht sehr treffend von einer "poetry of despair". (6) Das Werk ist ein wahres Epos des Eskapismus. In der Apology, die dem ersten Band vorangestellt ist, stilisiert Morris sich selbst zum "idle singer of an empty day":

Dreamer of dreams, born out of my due time,
Why should I strive to set the crooked straight?
Let it suffice me that my murmuring rhyme
Beats with light wing against the ivory gate,
Telling a tale not too importunate
To those who in the sleepy region stay,
Lulled by the singer of an empty day. (7)

Doch anders als die meisten Präraffaeliten begnügte sich Morris auf Dauer nicht mit der Flucht in ein ästhetisches Paralleluniversum, das ihm keine wirkliche Befriedigung bereiten konnte. Er suchte nach Möglichkeiten, seine Ideale in die Wirklichkeit umzusetzen. Dies führte zur Gründung seiner berühmten ‘Firma’, die der industriell gefertigten Massenware die Produkte des Kunsthandwerks entgegenstellte. Wieder war es das Mittelalter, das dabei als Vorbild diente. Diese Unternehmung ging weit über bloße Fragen des Designs oder der Produktionsmethoden hinaus. Ihr Ziel bestand in einer allgemeinen Verschönerung und Humanisierung des Lebens: "Den Menschen Freude an den Dingen zu vermitteln, die sie nun einmal benutzen müssen, das ist die eine große Aufgabe des Dekorativen, den Menschen Freude an den Dingen zu vermitteln, die sie ebenso unvermeidlich herstellen müssen, ist die andere." (8) Morris teilte die Überzeugung Ruskins, dass nur in einer schönen Umgebung künstlerisches Schaffen und ein menschenwürdiges Leben möglich seien. (9) Dazu gehörte es auch, den arbeitenden Menschen von der Knechtung durch die von Mechanisierung und Arbeitsteilung geprägte Industrie zu befreien: "Unter echter Kunst verstehe ich den Ausdruck der Freude, die der Mensch bei seiner Arbeit empfindet. Ich glaube nicht, daß er in seiner Arbeit glücklich sein kann, ohne diesem Glücksgefühl Ausdruck zu verleihen [...] Wenn ein Mensch eine Arbeit verrichten muß, die er verachtet, die nicht seinen natürlichen und rechtmäßigen Wunsch nach Freude befriedigt, muß der größte Teil seines Lebens unglücklich und ohne Selbstrespekt verlaufen. [...] Die Arbeit, die von der ziviliserten Welt geleistet wird, ist weitgehend unredliche Arbeit." (10)

Freilich war Morris schon bald gezwungen einzusehen, dass dieses Ziel auf dem von ihm eingeschlagenen Weg nicht zu verwirklichen war. In den vier Wänden der ‘Firma’ mochte man die Entfremdung der Arbeit vielleicht überwinden können, an der Gesellschaft als Ganzer änderte dies nichts. Und die Produkte dieser Arbeit – Möbel, Tapeten, Buntglasfenster usw. – landeten am Ende in den Villen der Aristokraten und Bourgeois. Der ‘einfache Mann’ konnte sie sich nicht leisten. Einmal mehr wurde die Rebellion zu einem Modeartikel degradiert. Morris erkannte immer deutlicher, dass seine Ideale nur durch die Überwindung der kapitalistischen Gesellschafts-ordnung verwirklicht werden konnten. Eine Wirtschaftsform, deren einziger Motor das Profitstreben ist, muss der Feind alles Schönen und Menschlichen sein: "Gibt es die Möglichkeit, Geld zu raffen? Dann fällen Sie nur die schönen Bäume um Ihre Häuser, reißen Sie ruhig alte und ehrwürdige Gebäude um des Geldes willen ab, das ein paar Quadratmeter Londoner Dreck einbringen; verschmutzen Sie Ihre Flüsse, verfinstern Sie nur die Sonne und verpesten Sie die Luft mit Rauch und Schlimmerem, es braucht sich niemand darum zu kümmern oder Abhilfe zu schaffen: das ist alles, was die moderne Wirtschaft, das Kontor [= die kapitalistische Industrie] in seiner Rücksichtslosigkeit gegenüber der Werkstatt [=dem Handwerk] in dieser Hinsicht für uns tut." (11) Ein ‘wahres Gemeinwesen’ musste an die Stelle der ‘Zivilisation’ gesetzt werden.

Die Begegnung mit dem Sozialismus bedeutete eine Art persönlicher Erlösung für William Morris. Er hatte sich bereits sehr weit auf dem Pfad des hoffnungslosen Pessismismus fortbewegt, der Ruskin in den Abgrund geführt hatte und den später auch J.R.R. Tolkien beschreiten sollte. Im Rückblick beschrieb er seine damaligen Gefühle wie folgt: "The hope of the past times was gone, the struggles of mankind for many ages had produced nothing but this sordid, aimless, ugly confusion; the immediate future seemed to me likely to intensify all the present evils by sweeping away the last survivals of the days before the dull squalor of civilization had settled down on the world." (12) Was ihm schließlich den Ausweg aus dieser Misere eröffnete war die Erkenntnis, dass der Künstler auf sich allein gestellt die Welt zwar nicht zu ändern vermag, er aber nicht der einzige ist, der Grund hat, gegen die bestehende Ordnung der Dinge aufzubegehren. Oberflächlich betrachtet haben die anderen zwar vielleicht nicht die gleichen Motive wie er, doch letztenendes besteht einzig in ihrer Revolte die Hoffnung auf eine Wiedergeburt der Kultur. Morris überwandt seine Isolation, indem er sich dem Sozialismus und der Arbeiterbewegung anschloss. Seinem Freund George Burne-Jones, der ihm hierin nicht zu folgen vermochte, erklärte er: "I can’t help it. The ideas which have taken hold of me will not let me rest .... One must turn to hope, and only in one direction do I see it – on the road to Revolution: everything else is gone ...." (13) Die innere Befreiung, die dieser Schritt für ihn bedeutet haben muss, verarbeitete er in den ersten Gedichten seines Zyklus The Pilgrims of Hope, in dem er die Geschichte eines jungen Paares erzählt, das vom Land nach London kommt, sich dort der kommunistischen Bewegung anschließt und schließlich 1871 nach Frankreich geht, um für die Kommune zu kämpfen:

Time was we have grieved, we have feared, we have faltered,
For ourselves, for each other, while yet we were twain;
And no whit of the world by our sorrow was altered,
Our faintness grieved nothing, our fear was in vain.

Now our fear and our faintness, our sorrow, our passion,
We shall feel all henceforth as we felt it erewhile;
But now from all this the due deeds we shall fashion
Of the eyes without blindness, the heart without guile.

Let us grieve then – and help every soul in our sorrow;
Let us fear – and press forward where few dare to go;
Let us falter in hope – and plan deeds for the morrow,
The world crowned with freedom, the fall of the foe.

Und so wurde aus dem Träumer Morris der Revolutionär Morris. Als eine der herausragenden Führungspersönlichkeiten des zugegebenermaßen recht kleinen englischen Sozialismus jener Zeit widmete er für viele Jahre den Großteil seiner Energie der unentwegten Propaganda der Revolution.

Interessanterweise entstanden in eben dieser Zeit auch seine großen Romanzen. In keiner von ihnen wird man auf offen politisches Gedankengut stoßen. Er beabsichtigte nicht, 'sozialistische Märchen' zu schreiben, wie dies Oscar Wilde und viel später auch Naomi Mitchison getan haben. Dennoch wird man bei einer genaueren Lektüre seiner phantastischen Werke zahlreiche Spuren seiner sozialistischen Weltanschauung entdecken können. Als Beispiel mag The House of the Wolfings dienen, von dem Morris einmal erklärte: "It is meant to illustrate the melting of the individual into the society of the tribes". (14) In dieser Erzählung versuchte er, das Bild einer ‘urkommunistischen’ Gesellschaft zu zeichnen. Ackerland und Vieh sind Eigentum der großen Sippenverbände. Auch wenn es einige besonders angesehene und einflussreiche Familien gibt, werden alle wichtigen Entscheidungen doch von der Volksversammlung getroffen, die z.B. im Kriegsfall den Führer des Heeresaufgebots bestimmt. Das zentrale Thema der Romanze ist, dass in einer solchen auf Kameradschaft basierenden Gesellschaft, das Glück des Einzelnen und das Glück des Kollektivs unauflöslich miteinander verbunden sind. Die göttliche Wood-sun versucht, ihren menschlichen Geliebten Thiodolf um den Preis des Untergangs seiner Sippe vor dem Tod in der Schlacht zu bewahren, um schließlich einsehen zu müssen, dass dieses Verlangen sinnlos ist. Nicht weil bei Morris der alte Nazispruch ‘Du bist nichts, dein Volk ist alles’ gelten würde, sondern weil sich Thiodolf ein glückliches und erfülltes Leben nur in der Gemeinschaft seiner Sippengenossen vorstellen kann:
"[H]is thoughts wandered, and made for him pictures of his life that should be when this time of battle was over; so that he saw nothing of the troubles that were upon his hands that night, but rather he saw himself partaking in the deeds of the life of man. There he was between the plough-stilts in the acres of the kindred when the west wind was blowing over the promise of early spring; or smiting down the ripe wheat in the hot afternoon amidst the laughter and merry talk of man and maid; or far away over Mirkwood-water watching the edges of the wood against the prowling wolf and lynx, the stars just beginning to shine over his head, as now they were; or wending the windless woods in the first frosts before the snow came, the hunter's bow or javelin in hand: or coming back from the wood with the quarry on the sledge across the snow, when winter was deep, through the biting icy wind and the whirl of the drifting snow, to the lights and music of the Great Roof, and the merry talk therein and the smiling of the faces glad to see the hunting-carles come back; and the full draughts of mead, and the sweet rest at night-tide when the north wind was moaning round the ancient home." (15)
Das Motiv der ‘barbarischen’ Germanen, die gegen die die ‘Zivilisation’ verkörpernden Römer kämpfen, wird manchen vielleicht an den guten alten ‘Two Guns’ Bob erinnern, insbesondere an seine Stories um den Piktenkönig Bran Mak Morn. Doch während Robert E. Howard sein Bild des ‘Barbaren’ nach dem Vorbild des durch und durch bürgerlichen ‘rugged individualism’ entwarf, steht bei Morris die Gruppe im Vordergrund. Seine ‘Barbaren’ leben in einer kollektivistischen Gesellschaft. Und trotz der heftigen Romantisierung kommt diese Vorstellung der historischen Realität sehr viel näher als Conan und Konsorten.

Doch kehren wir zur ursprünglichen Frage zurück. Bei Leuten wie Carlyle, Ruskin oder Morris war der Blick zurück auf das Mittelalter mehr als bloß die nostalgische Sehnsucht nach der ‘guten, alten Zeit’. Sie fanden in der mittelalterlichen Kultur eine Art Plattform, von der aus sie die bürgerliche Gesellschaft von außen betrachten und beurteilen konnten. Eine vergleichbare Funktion kann das viktorianische Zeitalter für die Steampunks nicht spielen. Das 19. Jahrhundert war nicht die Ära einer grundsätzlich andersgearteten Gesellschaftsordnung, sondern vielmehr die Geburtsepoche des industriellen Kapitalismus, in dem wir nach wie vor leben. (16) Eines der großen Potentiale des Steampunk besteht gerade in der Auseinandersetzung mit diesen Wurzeln unserer heutigen Welt. Voraussetzung dafür ist allerdings der Verzicht auf jede Form nostalgischer Romantisierung des Viktorianismus.

(1) Brief an Edith Bratt [Oktober 1914]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 1. S. 13f.
(2) Mit ‘Romanze’ ist hier stets der englische Begriff ‘heroic romance’ gemeint, für den es meines Wissen nach leider keine adäquate deutsche Entsprechung gibt, da in diesem Kontext ja nicht der mittelalterliche Versroman (e.g. Perceval, Iwein oder Sir Gawain and the Green Knight) gemeint ist.
(3) Brief an Professor L. W. Forster [31. Dezember 1960]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 226. S. 397.
(4) Sämtliche phantastischen Werke von WilliamMorris sind hier zu finden.
(5) Die Whigs waren die liberale ‘Partei’ im England des 19. Jahrhunderts.
(6) Vgl.: E. P. Thompson: William Morris. Romantic to Revolutionary. S. 114-34.
(7) William Morris: The Earthly Paradise (March-August). S. 1.
(8) William Morris: Die niederen Künste. Die dekorativen Künste, ihr Verhältnis zu modernem Leben und Fortschritt. In: Gisela Hönnighausen (Hg.): Die Präraffaeliten. Dichtung, Malerei, Ästhetik, Rezeption. S. 96.
(9) "Schöne Kunst kann nur von Menschen hervorgebracht werden, die schöne Dinge um sich haben und die Muße besitzen, sie zu betrachten." (John Ruskin: Die zwei Pfade. Modernes Handwerk und moderner Entwurf. In: Gisela Hönnighausen (Hg.): a.a.O. S. 65.)
(10) William Morris: Die Kunst des Volkes. In: Gisela Hönnighausen (Hg.): a.a.O. S. 99f.
(11) William Morris: Die niederen Künste. In: Gisela Hönnighausen (Hg.): a.a.O. S. 97f.
(12) William Morris: How I Became a Socialist.
(13) Zit. nach.: E. P. Thompson: William Morris.
(14)  William Morris: Letters. S. 302. Zit. nach: E. P. Thompson: William Morris. Romantic to Revolutionary. S. 676.
(15) William Morris: The House of the Wolfings. Kap. 17. In Roots of the Mountains erleben wir den beginnenden Zerfall dieser Sippenordnung.
(16) All das Gerede vom Übergang der Industrie- in die Dienstleistungs- oder Informationsgesellschaft ist nichts als heiße Luft. Selbstverständlich bildet die industrielle Produktion auch heute noch die Grundlage unserer Gesellschaftsordnung, auch wenn sie in immer höherem Maße aus den Metropolen abgewandert ist.

Donnerstag, 19. April 2012

Die Geister der Klassengesellschaft

Gibt es eigentlich irgendeine kulturelle oder historische Erklärung dafür, dass gerade die Briten die Großmeister der traditionellen Spukgeschichte sind? Und das nicht nur auf literarischem Gebiet – Sheridan Le Fanu, Algernon Blackwood, Arthur Machen, Montague Rhodes James –, sondern auch in Fernsehadaptionen?
Ich will gar nicht erst versuchen, eine Antwort auf diese Frage zu finden, sondern stattdessen lieber vier Beispiele für dieses eigentümliche Phänomen vorstellen, von denen wenigstens drei wirklich atemberaubend sind.

(1) Whistle And I’ll Come To You (1968)
(2) The Exorcism (1972)
(3) The Stone Tape (1972)
(4) The Crooked House (2008)

Es handelt sich dabei sämtlichst um Produktionen der BBC.

(1) Die Tradition des britischen Fernsehsenders, um Weihnachten herum Verfilmungen von Spukgeschichten auszustrahlen, besitzt ihren Ursprung in Jonathan Millers Adaption von MR James’ Kurzgeschichte Oh, Whistle And I’ll Come To You, My Lad, die 1968 witzigerweise nicht zur Julzeit, sondern im grünen Mai auf die Bildschirme gelangte. Noch kurioser erscheint der Umstand, dass sie im Rahmen von Omnibus – einer Reihe von Kunstdokumentationen – ausgestrahlt wurde. Aber der prominente Theaterregisseur Miller wollte sie nicht nur als eine Literaturverfilmung, sondern auch als eine Kritik an James verstanden wissen, in dem er den typischen snobistischen Oxbridge-Don sah. Ob dieses Urteil gerecht und seine Interpretation der literarischen Vorlage angemessen ist, sei dahingestellt. Für sich genommen ist der 42minütige Film jedoch ganz sicher eine der Sternstunden des psychologischen Horrors. Michael Hordern* spielt Professor James Parkin, der während eines Urlaubs an der Küste eine alte Flöte mit der Inschrift "Quis est iste qui venit" (‘Wer ist das, der kommt?’) findet und damit das Grauen herbeiruft, als eine zugleich unangenehme und bemitleidenswerte Gestalt. Der ständig vor sich hin murmelnde und summende Parker ist nicht der Typ des sympathischen ‘zerstreuten Gelehrten’. Er wirkt vielmehr arrogant, unfähig, echte menschliche Beziehungen einzugehen, und auf beunruhigende Weise infantil. Der Film legt es nahe, das Phantom als Ausdruck der verdrängten und unterdrückten Teile seiner Psyche und nicht als ein übernatürliches Wesen zu verstehen. Das macht die Ereignisse jedoch nicht weniger unheimlich. Parkers panische Angst vor dem, was er geweckt hat, seine Verzweifelung und sein finaler Zusammenbruch sind verstörend genug. Hinzu kommt die brillante Kameraführung, die sowohl Horderns großartiges Spiel als auch die Atmosphäre der Verlorenheit, die von der menschenleeren Küstenlandschaft Norfolks ausgeht, aufs intensivste zur Geltung bringt. Aus gutem Grund gilt Millers Film als echter Klassiker.

1972 war ein ausgesprochen gutes Jahr für britische Horrorfreunde. Neben der zweiten offiziellen Ghost Story for Christmas (der MR James - Adaption A Warning To The Curious) präsentierte die BBC ihrem Publikum noch mindestens zwei weitere Spukgeschichten von außergewöhnlicher Qualität.

(2) Don Taylors The Exorcism bildete den ersten Teil der kurzlebigen Serie Dead of Night und wird von vielen Liebhabern des Unheimlichen bis heute als "one of the most frightening pieces of TV drama ever shown" gefeiert. Hypnogorias eloquenter Mr. Jim Moon fügt leicht ironisch hinzu: "It may be one of the only Marxist ghost stories ever produced."
Der Inhalt ist schnell erzählt. Zwei befreundete Ehepaare – Edmund & Rachel, Dan & Margaret – wollen in einem frisch renovierten Cottage den Weihnachtsabend verbringen. Der Film beginnt damit, dass Edmund seinen Kumpel Dan herumführt, ihm stolz den ganzen Chic und Schnickschack zeigt, den er hat einbauen lassen, und dabei selbstzufrieden anmerkt, er habe das alte Bauernhaus quasi für ‘n Appel und ‘n Ei erworben. Nein, unsere Protagonisten sind keine sonderlich sympathischen Zeitgenossen. Sie sind typische Vertreter der aufsteigenden, akademisch gebildeten, ‘linken’ Mittelklasse der 70er Jahre, die sich selbst für wunder wie clever und aufgeklärt halten, in Worten immer noch mit dem’Sozialismus’ kokettieren, in der Praxis aber nur ein Ziel kennen – alle Annehmlichkeiten des Kapitalismus in vollen Zügen zu genießen. Edmund arbeitet in der Werbebranche, Dan schreibt ‘sozialkritische’ Artikelchen, die sich ausgezeichnet verkaufen, ihre Ehefrauen sind Ehefrauen. Ihre Herkunft aus der Arbeiterklasse ist für sie bloß ein Argument mehr, den kleinbürgerlichen Lebensstil rückhaltlos zu umarmen. Sollte es nicht endlich an der Zeit sein, dass auch sie – die ‘Linken’ – die guten Seiten des Lebens auskosten dürfen, auch wenn die Generation der Väter sie dafür als halbe Verräter verurteilt? Ein wenig erinnern die vier an die Figuren aus Maxim Gorkis Sommergäste. Der soziale Typus des ehemals progressiven Intellektuellen, der sich mit dem Establishment aussöhnt und zu einem besonders raffgierigen Kleinbürger mutiert, hat sich über die Jahrzehnte nicht wirklich verändert. Unglücklicherweise (?) beherbergt das Cottage aber auch den Geist einer lang verstorbenen Pächterin, die ein grausames Exempel an den Schnöseln zu statuieren gedenkt.
Was die Größe von The Exorcism ausmacht ist, neben der für BBC-Produktionen dieser Zeit scheinbar fast selbstverständlichen Qualität der schauspielerischen Leistungen, der nahezu perfekte Spannungsaufbau. Von der unheimlichen Melodie, die Rachel plötzlich in den Sinn kommt, über den Rotwein, der sich in Blut verwandelt, bis hin zu der mumifizierten Kinderleiche, die auf einem der Betten auftaucht, wird mit großartigem Timing Schritt für Schritt eine unheimliche und zunehmend klaustrophobische Atmosphäre aufgebaut. Im letzten Viertel des Filmes bläut uns Taylor die politisch-moralische Botschaft dann freilich mit dem Holzhammer ein, was zu einem bedauerlichen Abfall der ansonsten superben Qualität führt. Bewunderungswürdig bleibt die schiere Kompromisslosigkeit der Erzählung. Hier wird niemand geläutert, sondern hier wird unbarmherzig Rache genommen. Der unverhüllte Ausdruck von Klassenhass, noch ungetrübt durch die bald darauf in Mode kommende ‘Ironie’, erscheint im Rückblick geradezu erfrischend.

(3) Mit dem abendfüllenden Film The Stone Tape konnten die englischen Fernsehzuschauer im selben Jahr 1972 einmal mehr das Talent von Nigel Kneale bewundern. In der britischen TV-Phantastik des letzten Jahrhunderts ist der Drehbuchautor Kneale eine der zentralen Figuren. Aus seiner Feder stammte nicht nur die Figur des Dr. Quatermass, auf ihn geht auch die erste Filmadaption von George Orwells Nineteen Eighty-Four aus dem Jahre 1954 zurück. Außerdem schuf er u.a. den (leider etwas in Vergessenheit geratenenen) dystopischen Klassiker The Year of the Sex Olympics (1968), die Serie Beasts und die Susan Hill - Adaption The Woman in Black (1989). Und verlässt man die Sphäre des Phantastischen, so gebührt ihm zudem die Ehre, die Fernsehversion von John Osbornes Look Back in Anger geschaffen zu haben. Dass er keine Lust hatte, ein Drehbuch auf der Grundlage von Ian Flemings James Bond - Dreck zu schreiben, macht ihn in meinen Augen nur sympathischer.
Die Story von The Stone Tape klingt wie ein typischer SciFi-Horror-Schlock aus der guten alten Zeit. Eine Gruppe von Wissenschaftlern quartiert sich in einem englischen Schloss ein und muss schon bald bemerken, dass es dort spukt. Sie interpretiert das Phänomen als eine Form von ‘Aufnahme’, und da ihre Mission darin besteht, für eine Elektronikfirma ein neues Medium zu entwickeln und damit die Japaner aus dem Feld zu schlagen, versuchen sie, die Erscheinung ‘wissenschaftlich’ zu untersuchen. Das hat vor allem für die Computerspezialistin Jill katastrophale Folgen. Eine von Nigel Kneales Stärken bestand darin, solchen Genreklischees einen intelligenten Dreh zu verleihen. Und so fragt man sich schon sehr bald, was oder wer hier eigentlich gruseliger ist, das Phantom im Keller oder Peter, der Leiter des Projektes. Dieser erweist sich als ein skrupelloser Egoist. Alles hat sich dem Erfolg des Unternehmens (und damit seiner eigenen Karriere) unterzuordnen. Mitarbeiter werden wie Lakaien behandelt. ‘Versager’ verdienen nichts als Verachtung. Er steigt mit seiner Sekretärin ins Bett und führt trotzdem regelmäßig widerlich süßliche Telefonate mit seiner Ehefrau. Am Ende macht er die ‘verrückte’ Jill für ihren eigenen Tod verantwortlich und lässt die Ergebnisse ihrer Arbeit vernichten.

Was die drei Filme miteinander verbindet ist große Schauspielkunst, ein intelligentes Drehbuch und ein scharfer Blick für gesellschaftliche Zusammenhänge.

(4) Die dreiteilige Miniserie The Crooked House aus dem Jahr 2008 beweist, dass diese Tradition jenseits des Kanals noch nicht vollkommen ausgestorben ist. Kreatives Hirn des Projektes war Mark Gatiss, bekannt von Dr. Who und Sherlock. Das Ganze ist als Episodenfilm angelegt, was an alte Amicus-Streifen wie Dr. Terror’s House of Horror (Die Todeskarten des Dr. Schreck) oder Tales from the Crypt erinnert.
Der neu hinzugezogene Lehrer Ben hat einen alten Türklopfer im Garten seines Hauses gefunden und bringt ihn zum Kurator des örtlichen Museums. Dieser erzählt ihm, der Klopfer habe zur Eingangstür von Geep Manor gehört, einem kürzlich abgerissenen Gebäude aus der Tudor-Ära, dem der Ruf des Unheimlichen anhing. Die ersten beiden Folgen beschäftigen sich mit Episoden aus der Geschichte des Hauses, die der leicht diabolisch wirkende Kurator dem neugierig gewordenen Ben erzählt. Die dritte führt die Rahmenerzählung fort, und wir erfahren, was geschieht, als Ben den Klopfer an seiner eigenen Haustür anbringt (nichts gutes, versteht sich). Die Komposition wirkt etwas unausgewogen, zumal die dritte Story die schwächste ist. Mir persönlich hat die erste Episode am besten gefallen.
Im ausgehenden 18. Jahrhundert erwirbt der reiche Spekulant Joseph Bloxham Geep Manor und lässt es renovieren. Bald schon treiben nächtliche Geräusche und auf unerklärliche Weise auftauchende Blutflecken den Mann an den Rand des Wahnsinns. Könnte es etwas damit zu tun haben, dass der ebenso geschäftstüchtige Zimmermann die Überreste eines Galgens für die neue Holzvertäfelung verwendet hat?
Was diese Episode für mich heraushebt ist, dass Gatiss hier eine Verbindung zwischen den gesellschaftlichen Realitäten und dem übernatürlichen Grauen herstellt, wie wir dies auch bei den Klassikern der 60er/70er Jahre gesehen haben. Bloxham ist ein Vertreter des reich gewordenen Bürgertums. Er versteht sich selbst als moderner, der Vernunft verbundener Mensch, als ein Kind der Aufklärung. Gleichzeitig legt er die ganze Skrupellosigkeit und heuchlerische Selbstgerechtigkeit des erfolgreichen Bourgeois an den Tag. Die windigen Spekulationen, die ihm seinen Reichtum eingebracht haben, betrachtet er als Beweis für seine Intelligenz und Geschäftstüchtigkeit. Dass sein ehemaliger Geschäftspartner durch dieselben ruiniert wurde, belastet sein Gewissen nicht sonderlich. Zumindest versucht er sich diesen Anschein zu geben. Als der im Schuldgefängnis gelandete Selbstmord begeht, ist das für Bloxham bloß ein Beweis moralischer Schwäche. Ein richtiger Mann hätte sich aufgerappelt und wieder hochgearbeitet! Parallel zu Bloxhams psychischem Zerfall aufgrund der Spukerscheinungen in Geep Manor bekommen wir den ökonomischen Zerfall der Familie des von ihm ruinierten und in den Selbstmord getriebenen Mannes zu sehen. Und auch das Motiv des Galgens fügt sich gut in diesen Kontext ein. Zu jener Zeit wurden in Großbritannien bereits Bagatelldelikte mit dem Tode bestraft. Der Galgen kann darum sehr wohl als ein Symbol für die grausame Herrschaft der Reichen über die Armen verstanden werden.
Ob es bloß ein Zufall ist, dass dieses gesellschaftliche Motiv immer mehr verschwindet, je näher die Episoden der Gegenwart kommen? Die handelnden Personen erscheinen immer weniger als Teil eines sozialen Kosmos, sondern als isolierte Individuen. Die zweite Episode etwa präsentiert uns zwar ein buntes Bild der 20er Jahre, aber die Ereignisse könnten beinah in jeder beliebigen Epoche spielen. In der dritten Folge schließlich ist alles aufs Persönliche reduziert. Das Umfeld ist zur bloßen Kulisse geworden.
Es fällt Künstlern heute offenbar sehr viel leichter, die Klassengesellschaft einer vergangenen Epoche darzustellen, als sich mit der Klassengesellschaft auseinanderzusetzen, in der sie selbst leben.

* Info für Fantasyfans: Hordern verlieh seine Stimme nicht nur dem Kaninchengott Frith in Martin Rosens Watership Down (1978), sondern auch Gandalf und Merlin in den BBC-Hörspielfassungen von Lord of the Rings (1981) und T. H. Whites The Sword in the Stone (1982).

Mittwoch, 18. April 2012

Der "Hobbit" bleibt trotzdem lesenswert

Vor Zeiten brachte die Hobbit Presse einmal einige recht interessante Phantastik-Titel in ansehnlicher Aufmachung (nein, ich meine nicht die alte Gormenghast-Ausgabe!) auf den deutschen Buchmarkt. Doch kaum wirft Peter Jacksons nächster Tolkien-Blockbuster seine Schatten voraus, da stopft der Verlag sein Herbst-Programm ausschließlich mit Büchern voll, die von dem zu erwartenden Hype profitieren könnten.

J.R.R. Tolkien: »Der Hobbit« mit Filmcover (ET: September 2012)
J.R.R. Tolkien: »Der Herr der Ringe« mit Filmcover (ET: September 2012)
J.R.R. Tolkien: »Der Hobbit« als Luxusausgabe (ET: September 2012)
Ian Brodie: »Der Herr der Ringe – Reiseführer zu den Schauplätzen« (ET: September 2012)
»Der Hobbit« Eine unerwartete Reise. Die Entstehung des Films (ET: November 2012)
Der Hobbit-Almanach (ET: November 2012)
»Der Hobbit« Eine unerwartete Reise. Die Geschichte in Fotos (ET: November 2012)
Die Welt der Hobbits (ET: November 2012)
Brian Sibley: »Der Hobbit« Eine unerwartete Reise. Das offizielle Filmbuch (ET: November 2012)
Jude Fisher: »Der Hobbit« Eine unerwartete Reise. Das offizielle Begleitbuch (ET: November 2012)

Wollen mich die Herren und Damen bei Klett-Cotta auf Teufel komm raus zum Anti-Tolkienisten machen?! Oder geht es ihnen bloß darum, meine Vorurteile über den traurigen Zustand des deutschsprachigen Phantastik-Buchmarkts zu bestätigen?

Sonntag, 15. April 2012

Die Poesie der Wirklichkeit

Kürzlich bin ich im Netz ganz zufällig auf ein wirklich wunderschönes Projekt gestoßen:

                                                 John Boswells
               Symphony of Science

Der New Yorker Musiker hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit seiner Kunst zur Verbreitung einer wissenschaftlichen Weltsicht beizutragen. Zu diesem Ziel hat er bisher vierzehn Videos geschaffen, in denen Aussagen berühmter Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wie Penelope Boston, Richard Dawkins, Richard Feynman, Jane Goodall, Neil deGrasse Tyson, Stephen Hawking, Michio Kaku, Carolyn Porco, Carl Sagan und Tara Shears mit seiner Musik und entsprechenden Videosequenzen verschmolzen worden sind. Herausgekommen ist dabei ein Hohelied auf Vernunft und Wissenschaft, das uns vor Augen führt, dass naturwissenschaftliche Erkenntnis die Welt nicht 'öde' oder 'banal' macht, wie manche Leute behaupten, sondern uns vielmehr überhaupt erst erlaubt, sie in ihrer ganzen überwältigenden Komplexität und Schönheit wahrzunehmen. Die Realität ist unendlich viel wunderbarer und faszinierender als alle religiösen Mythen, und die Wissenschaft ist unser Zugang zu diesen Wundern.

Apropos: John Joseph Adams & David Barr Kirtley von Geek's Guide to the Galaxy haben letzten September ein Interview mit Richard Dawkins geführt, in dem es u.a. um den aktuellen Stand der Evolutionsbiologie, Dawkins neuestes Buch The Magic of Reality und seine Freundschaft mit Douglas Adams (The Hitchhiker's Guide to the Galaxy) geht. Hörenswert! Dabei kommen sie auch auf jene hübsche Aktion zu sprechen, bei der Adams als 'Überraschungsgast' bei einem Vortrag seines Freundes auftrat und eine Passage aus The Restaurant at the End of the Universe vortrug:


Samstag, 14. April 2012

Exotische Gefilde?

Der Verlag Zubaan Books, inoffizieller Nachfolger von Indiens erstem feministischen Verlag Kali for Women, wird unter dem Titel Breaking the Bow eine Anthologie phantastischer Kurzgeschichten herausgeben, die vom Ramayana inspiriert wurden. Die Autorinnen und Autoren stellen sich damit in eine jahrhundertealte Tradition, die immer neue Varianten der Geschichte von Rama, Sita, dem Affengeneral Hanuman und dem Dämonenfürsten Ravana hervorgebracht hat – von Valmikis berühmten Sanskrit-Epos über südindische Schattenspiele bis zu thailändischen Tanztheaterstücken. Wie die indische Historikerin Romila Thapar schreibt: "The Ramayana does not belong to any one moment in history for it has its own history which lies embedded in the many versions which were woven around the theme at different times and places. [...] The appropriation of the story by a multiplicity of groups meant a multiplicity of versions through which the social aspirations and ideological concerns of each group were articulated. The story in these versions included significant variations which changed the conceptualization of character, event and meaning."* Im heutigen Indien wird das Ramayana leider immer wieder von den Hindu-Chauvinisten der Bharatiya Janata Party und ihren faschistischen Verbündeten für ihre reaktionären politischen Ziele missbraucht.** Um so erfreulicher ist es, wenn gezeigt wird, dass es auch ganz andere Möglichkeiten des Umgangs mit dem reichen kulturellen Erbes des Landes gibt.***

Für uns ‘westliche’ Fans des Phantastischen könnte das Buch außerdem Anlass sein, wieder einmal über die zwar nicht länger unangefochtene, aber immer noch sehr deutliche Dominanz des pseudoeuropäischen Pseudomittelalters in der Fantasy nachzudenken.

Immer wenn es darum geht, die Fantasy gegen ihre Kritiker zu verteidigen, wird eine gewaltige internationale literarische Tradition heraufbeschworen, in deren Nachfolge das Genre angeblich stehe und die vom Gilgamesch-Epos bis Shakespeare reiche. Wenn dem tatsächlich so ist, warum macht das Genre dann fast immer nur einen winzigen (den westeuropäisch-mittelalterlichen) Teil dieses Erbes fruchtbar? Trauen sich die Autorinnen und Autoren nicht, über den Tellerrand der europäischen Kulturtradition hinauszuschauen? Scheuen sie die dafür nötige Arbeit? Fürchten sie, der Sünde der ‘kulturellen Aneignung’ (‘cultural appropriation’) angeklagt zu werden? Doch das sollte kein Grund sein, sich auf die europäische Tradition zu beschränken. Man muss sich nur darüber im Klaren sein, dass der Zugriff auf das kulturelle Erbe anderer Völker Sensibilität, Fleiß und ein klares Bewusstsein für die von Kolonialismus und Ausbeutung geprägte Geschichte der Interaktion zwischen Europa und dem Rest der Welt erfordert.

Die Gefahr des Exotismus, des Missbrauchs einer fremden Kultur als Projektionsfläche für die Sehnsüchte eines Teils der westlichen Gesellschaft, ist natürlich eine sehr reale. Was mich zu einem in meinen Augen höchst problematischen Text führt, über den ich kürzlich gestolpert bin: Friedhelm Schneidewinds Vortrag Fantastik als Friedensstifter? Gehalten wurde dieser sowohl auf der Gründungskonferenz der Gesellschaft für Fantastikforschung als auch auf dem letztjährigen Tolkien Thing. Schneidewind – Autor von Büchern wie Mythologie und phantastische Literatur, Das große Tolkien-Lexikon und Das kleine Vampir-ABC – ist insbesondere in deutschen Tolkienistenkreisen eine recht bekannte Persönlichkeit, und das allein bereits lässt eine kritische Auseinandersetzung mit den von ihm entwickelten Ideen geboten erscheinen.

Seine Grundthese lautet: "Fantastik und insbesondere die Fantasy kann als Vermittler kultureller Kenntnisse und kulturübergreifenden Verständnisses dienen, und Verständnis ist EINE Grundlage für Toleranz und für friedlichen Umgang miteinander."

Wenn dies nur als eine Beschreibung des möglichen Potentials der Fantasy gemeint wäre, würde ich mich dem sofort anschließen. Schneidewind scheint jedoch der Ansicht zu sein, dass die Fantasy in ihrer überwältigenden Mehrheit dies schon heute leiste. Dabei übergeht er die unbestreitbare Tatsache, dass der Fremde, ‘Andere’ in sehr vielen Werken der Fantasy als der Bedrohliche, Feindselige, Böse erscheint.
Besonders ironisch wirkt auf mich dabei der Umstand, dass dieser Vortrag auf einem Tolkien Thing gehalten wurde. Denn das Werk des ‘Professors’ zeichnet sich ja gerade nicht durch Offenheit gegenüber dem Fremden aus. Die Welt, in der seine Geschichten spielen, ist ganz bewusst als mittel- und nordwesteuropäisch angelegt. Was sich jenseits der Grenzen dieses Kulturraums befindet wird als fremdartige, barbarische Bedrohung wahrgenommen. Die Völker des Südens und Ostens leben ‘unter dem Schatten’, und es ist Gondors göttliche Mission, als Schutzwall gegen sie zu fungieren.
Was mich jedoch wirklich erschreckt hat ist, dass Schneidewind die exotistische Darstellung fremder Kulturen offenbar nicht als Problem, sondern als etwas Positives betrachtet.
Er beginnt seinen Vortrag mit Erinnerungen an die Lektüre seiner frühen Jugend. Eine besonders verehrte Stellung kommt dabei Karl May zu, den er auch heute noch zu seinen Lieblingsschriftstellern zählt. Man kann über die literarischen Qualitäten Mays denken wie man will, als einen ernstzunehmenden ‘Vermittler kultureller Kenntnisse’ kann man ihn ganz sicher nicht bezeichnen. Auch ich war als Kind ein begeisterter Leser der Abenteuer von Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar, aber einem einigermaßen gebildeten Erwachsenen sollte doch klar sein, dass diese Bücher das Paradebeispiel für Orientalismus in der deutschen Unterhaltungsliteratur sind. Und wie Schneidewind gar im Stande war, aus dem legendär rassistischen Blauroten Methusalem eine ehrliche Bewunderung für die chinesische Kultur herauszulesen, entzieht sich meiner Vorstellungskraft.
Einen aktuelleren Beleg für seine These glaubt er in James Camerons Avatar gefunden zu haben. Dabei ist dieser Film doch nun wirklich ein besonders krasses und primtives Beispiel für das uralte Klischee vom ’edlen Wilden’. In englischsprachigen Kreisen hat man ihm nicht ohne Grund den Spottnamen Dances With Smurfs (Der mit dem Schlumpf tanzt) verpasst.
Aber es wird noch schlimmer. Schneidewind schreibt: "Durch übernatürlich schöne, romantische usw. Darstellungen, wie sie in der Fantasy möglich sind, können emotionale Reize gesetzt oder Klischeevorstellungen bedient werden, die in einer ‘natürlichen’ Welt nicht möglich oder zumindest nur über Umwege erreichbar sind." Und hierin sieht er einen Vorteil der Fantasy! Wie können die Romantisierung fremder Kulturen und das Bedienen von Klischeevorstellungen etwas begrüßenswertes sein?! Ich bin ehrlich verwirrt. Wenn es ihm tatsächlich darum geht, das Verständnis für die 'Anderen' zu fördern, dann sollte ihm doch eigentlich klar sein, dass diesem Anliegen nicht durch eine 'übernatürlich schöne' Darstellung ihrer Kultur (oder deren Fantasyäquivalent) gedient wird. Mein Lieblingsbeispiel ist da immer Tibet. Wie kein anderes Land der Welt ist das Schneeland zur Projektionsfläche für die Sehnsucht westlicher Intellektueller nach einem 'spirituellen', 'friedvollen', 'naturverbundenen' Leben geworden. Blockbuster wie Kundun oder Seven Years in Tibet haben alles getan, um dieses Bild in den Köpfen der Menschen in Europa und Amerika zu verankern.  Zum Verständnis der tibetischen Gesellschaft – der ‘alten’ wie der heutigen – hat all dieser Shangri-la - Kitsch ganz sicher nicht beigetragen. Wenn ich mich recht entsinne war es der nationalistische Aktivist und Schriftsteller Jamyang Norbu (The Mandala of Sherlock Holmes), der im Zusammenhang mit Hollywoods Tibetstreifen erklärte, dass es ihn einfach bloß wütend mache, wenn man seine Landsleute im Westen so darstelle, als müssten sie bloß den Mund aufmachen, um sofort irgendwelche 'buddhistischen Weisheiten' von sich zu geben. In politischer Hinsicht fühle ich mich ihm ganz und gar nicht verbunden, hier jedoch kann ich ihn voll und ganz verstehen.

Wenn die Fantasy die Rolle einer Vermittlerin zwischen den Kulturen spielen soll, dann müssen ihre Vertreter erkennen, dass Exotismus auch eine Form von Rassismus ist. Für Schneidewind scheint dies allerdings ein Buch mit sieben Siegeln zu sein.

* Romila Thapar: The Ramayana Syndrome. S. 72. Zit. nach: Paula Richman (Hg.): Many Ramayanas: The Diversity of a Narrative Tradition in South Asia. S. 4.
** Man denke nur an die Zerstörung der Babri Masjid (Moschee) in Ayodhya, dem ‘Geburtsort’ Ramas, im Jahre 1992 durch die Anhänger des rechtsextremen Vishwa Hindu Parishad (‘Weltrat der Hindus’).
*** Ein weiteres Beispiel hierfür ist Deepa Mehtas großartiger Film Fire, der der Regisseurin den mörderischen Hass der Hindu-Fundamentalisten einbrachte.