"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Sonntag, 26. Februar 2023

Klassiker-Reread: "Die Legenden der Drachenlanze" von Tracy Hickman & Margaret Weis (5/7)

 
Nachdem vorgestern auf FragmentAnsichten der erste Teil des Gesprächs erschienen ist, das Christina, Alessandra und ich anlässlich unseres Rereads der "Legenden der Drachenlanze" geführt haben, nun also die (erste) Fortsetzung.
 
(2) Das Gute, das Böse und konservative Fantasy 

[Alessandra] Auf der "Metaebene", wenn man so will, ging es für mich in dem Buch auch viel um das Hinterfragen von Gut und Böse – was ein bisschen paradox ist, wenn man bedenkt, dass Krynn in dieser Hinsicht eine sehr flache, statische Trennung vornimmt. Immerhin haben wir hier einen expliziten „Gott des Guten“ (=Paladin) und eine „Göttin des Bösen“ (=Takhisis). Insofern ist es kein Wunder, dass dieses Hinterfragen oft etwas halbherzig anmutet. Trotzdem hat es einige sehr starke Stellen hervorgebracht. Ich denke, dass man Par-Salian keine Sympathien entgegenbringt, war von Weis/Hickman durchaus gewollt - spätestens in der Szene, in der er halb in eine Statue verwandelt wird, geht Caramon ja hart mit ihm ins Gericht. Die wohl intensivste Szene war für mich aber die, in der Raistlin nach der Schlacht von Pax Tharkas die toten Gossenzwerge findet, die die Festung verteidigt haben (in "Die Königin der Finsternis", dt. Band 4). Er stellt fest, dass davon nichts in den Geschichtsbüchern stand und fragt sich, ob das ein Zeichen ist, dass die Zeit bereits verändert wurde und er nicht mehr in einer Schleife gefangen ist. Direkt danach wird ihm aber klar, dass es bloß niemanden interessiert hat, was aus den Gossenzwergen wurde und es daher nicht in den Schriften stand. Diese Stelle sorgt erstens dafür, dass Raistlins Motivation – ähnlich wie bei deinem Beispiel mit dem Pestdorf, Peter – klarer wird. Zweitens wird er dadurch symapthischer, was nach allem, was er Crysania, seinem Bruder, Dalamar und so ziemlich jedem anderen auf seinem Weg während der Bücher antut, auch bitter nötig ist, allem Verständnis für seinen Seelen-Unfrieden zum Trotz. Und drittens zeigt es, dass selbst die "Neutralen", repräsentiert durch den Schreiber Astinus, sich offenbar nicht um die Schwachen kümmern. Es ist schade, dass solche Stellen im Unverhältnis stehen zu den sonst stereotypen Einteilungen.

[Christina] Ich finde, dass das gar nicht mal nur "Metaebene" ist, sondern sehr früh als zentrales Motiv herausgestellt wird. In "Die Brüder" (dt. Band 1, Kapitel 11) diskutieren Raistlin und Crysania exakt darüber: Was ist das Böse? Raistlin erklärt, dass sein geschwächter Körper der Preis für seine Macht war, welche Crysania aber als böse anprangert. Dann fragt er, ob Ehrgeiz automatisch böse sei und ein paar Seiten später zeigt er ihr das Armenviertel von Palanthas, dessen Elend von den sich "gut" nennenden Leuten ignoriert wird. Crysania will sich auch abwenden, doch Raistlin zwingt sie hinzusehen:

"Wir sind nicht so verschieden. [...] Ich lebe in einem Turm und widme mich meinen Studien. Du lebst in deinem Turm und widmest dich deinem Glauben. Und die Welt dreht sich" (Raistlin) "Das ist das wahre Böse", sagte Crysania zu den Flammen. "Dazusitzen und nichts zu tun."

Das war für mich der Aufhänger (auch nochmal zum Punkt der Motivation) der gesamten „Legenden“-Reihe. Und dieses Nichtstun ist ja genau das, was Astinus, Par-Salian und irgendwie auch die Götter (s. das Pestdorfkapitel) machen.

[Peter] Stimme all dem voll und ganz zu. Die Pax-Tharkas-Szene war sogar eine der ganz wenigen, die ich auch nach Jahrzehnten noch in Erinnerung hatte. (Zu schade bloß, dass die vorhergehende, in der wir zu sehen bekommen, wie die Gossenzwerge tatsächlich gestorben sind, so völlig missglückt ist. Da sollen sie lächerlich und tragisch zugleich wirken, was für mich so gar nicht funktioniert hat.) Und Par-Salian fand ich eigentlich eine ganz interessante (und ziemlich unsympathische) Figur. Wenn er z. B. eingesteht, dass die Zauberer-Konklave Raistlin in gewisser Weise als "lebendige Waffe" für den Krieg gegen Takhisis "geformt" hat. Oder er fest damit rechnet, dass Crysania sterben wird, wenn er sie in die Vergangenheit schickt.

Mein Problem bei dem Ganzen ist allerdings, dass mir diese Thematik nicht wirklich konsequent durchgeführt zu sein scheint. Es gibt all diese Szenen, in denen die Figuren (und das ganze Gut-gegen-Böse-Dings) sehr viel ambivalenter erscheinen. Aber am Ende gibt es dann doch wieder eine sehr klare Einteilung. Darum bin ich mir auch etwas unsicher, wie wir die Raistlin-Crysania-Szene aus dem ersten Buch eigentlich lesen sollen. Wenn die beiden bei ihrer gemeinsamen "Queste" tatsächlich auch von dem Wunsch angetrieben werden, die Ungerechtigkeiten der Welt zu beseitigen, wie haben wir es dann zu bewerten, dass diese Queste am Ende als eindeutig "böse" verdammt wird?

[Christina] Wird sie das denn? Ich finde, nur Raistlins Weg wird als Hybris entlarvt/geframet und gleichzeitig bekommt er ein bisschen Vergebung (Redemption-Arc?), wenn er am Ende Caramon und Crysania die Flucht ermöglicht. Wie gesagt, das "Tal des Leidens" für eine danach bessere Welt zu durchschreiten, "verdammt" die Quest in meinen Augen nicht per se. Ist aber die Frage, ob die Welt dann wirklich besser ist. Aber ja, sie war grundsätzlich fragwürdig und hätte die Welt in ihren Tod gestürzt, also will ich dir auch nicht völlig widersprechen.

[Alessandra] Ich bin da bei Christina – ich habe es nicht so verstanden, als würde der Weg von Raistlin und Crysania grundsätzlich als böse verdammt. Er war quasi ein Bug, von der Welt nicht vorgesehen – was mich, nebenbei bemerkt, auch hat fragen lassen, was überhaupt das Wesen der Götter ausmacht. Wäre Raistlin erfolgreich gewesen, hätte das ja bedeutet, dass Götter im Prinzip nur mächtige Magiekundige sind. 

In Bezug auf die ethische Bewertung vor allem von Raistlin fand ich es interessant, wie in den letzten beiden Bänden (auf Englisch dann im letzten Band) dessen Halbschwester Kitiara als Gegenspielerin inszeniert wurde. Obwohl sie keine Apokalypse herbeiführt, wird sie uns hier als "die Böse" präsentiert. Sie handelt ähnlich berechnend wie Raistlin und verrät wie er ihre Freunde, wenn es mehr Macht für sie bedeutet.

Trotzdem wird Raistlin gewissermaßen Vergebung zuteil, ihr nicht, sondern sie wird im Gegenteil zu einem Leben als Untote an der Seite eines verfluchten Ritters verdammt. Ich mag Kitiara als Figur nicht besonders und war immer froh, wenn ihre Kapitel vorbei waren. Aber wie sie als das kaltherzige Böse dargestellt wurde, dem nur in der Liebe zu Tanis ein wenig Sympathien zugestanden wurde, war schon nicht ganz fair. (Am Ende war ich auch geneigt, es als latent sexistisch zu lesen, dass alle weiblichen Figuren im Buch, die über Macht verfügen, an dieser mehr oder weniger zugrunde gehen.)

[Peter] Uff ja, Kitiara ... Die halt ich ganz grundsätzlich für eine ziemlich problematische Figur. Das fängt schon damit an, dass sie und Laurana in den "Chronicles" zumindest anfangs hauptsächlich dazu existieren, die innere Zerrissenheit von Tanis zu verkörpern. Die Elfin und die Menschenfrau. Die Gute und die Böse. Darum sind sie auch in fast allem als Gegensatzpaar konstruiert. Das fängt schon bei Äußerlichkeiten an: Langes blondes Wallehaar bei Laurana, kurze braune Locken bei Kit. Was das Ganze für mich aber besonders unangenehm macht, ist, dass sich dieser Gegensatz vor allem in der Sexualität zeigt. Laurana ist die reine und unschuldige Jungfrau. Kitiara ist promiskuitiv, hat Spaß am Sex mit vielen wechselnden Partnern. Und das wird eindeutig als "verwerflich" dargestellt. Darum finde ich das Schicksal, das ihr Weis & Hickman letztlich bereiten, auch so gruselig. Sie wird dazu verdammt, in alle Ewigkeit die "Geliebte" eines lebenden Leichnams zu sein! In gewisser Weise wird sie mit dem bestraft, worin sie "gesündigt" hat. Jedenfalls werde ich das Gefühl nicht los, dass diese Figur viel von einer extrem konservativen Reaktion auf die Veränderungen der Zeit enthält. "Sexuelle Revolution" und so. Und auch auf deren Widerspiegelung in Teilen der Fantasyliteratur der 70er.

[Alessandra] An dem Punkt grätsche ich kurz rein. Generell hatte ich beim Lesen oft den Eindruck, dass wir hier die Art von Fantasy haben, die quasi dafür verantwortlich ist, dass wir uns heute so aktiv gegen Klischees und -ismen stellen müssen, die sich im Genre (vor allem in Subgenres wie eben der High Fantasy) lange verfestigt hatten. Bücher wie "Der Träumer in der Zitadelle" oder "Wenn Voiha erwacht", die wir in vorherigen Rereads besprochen hatten, waren da deutlich progressiver sowohl im Weltenbau als auch der Figurenzeichnung, obwohl sie älter sind als Drachenlanze. Und so sehr ich die "Legenden" auch mag und ihnen zugutehalte, dass sie sich manchmal durchaus um Ambivalenzen bemüht haben – das konservative Bild wird hier ja immer wieder sichtbar. Auch wenn es um die Figur von Crysania geht. Sobald sie auch nur mal das entfernteste Anzeichen von sexueller Anziehung verspürt, wird sie direkt von Raistlin zurechtgewiesen. Und meistens folgt dann auch noch ein selbstreflexiver Monolog von ihr, in dem sie feststellt, dass Raistlin Recht hatte und sie vom Weg abgekommen ist, sich hat ablenken lassen oder was auch immer. 

[Christina] Noch mal zu Kitiara: Auch wenn das vielleicht Haarspalterei ist, Peter, aber ist es dann wirklich eine problematische Figur oder sind nicht eher die anderen Figuren im Umgang mit ihr (und letztlich der Plot) problematisch? Ich weiß natürlich, wie du das meinst und stimme euch beiden in den Beobachtungen zu, aber ich dachte zuerst, es käme gleich ganz viel Kritik an Handlungen der Figur Kitiara.

Interessanterweise hab ich wenige Erinnerungen an sie aus den „Chroniken“, außer dass ich sie als Jugendliche wirklich mochte und sie teilweise sowas wie eine Vorbildfunktion als selbstbestimmte Frau (mit viel Wut) für mich hatte. Auch jetzt in den „Legenden“ war sie zwar eindeutig als die Böse konzipiert, aber – wie ihr oben herausgearbeitet habt – ihrer Zeit voraus.

Der Sexismus und allgemein -ismen sind mir auch extrem stark aufgefallen. Crysania und Kitiara hatten hier sehr deutliche Heilige-und-Hure-Vibes und die anderen Frauen waren zu weinenden Hausfrauen degradiert worden. (Übrigens gab es nur bei den Frauen zerrissene Kleidung, und höchstens bei Caramon mal einen knappen Lendenschurz *räusper*). 

Aber auch die Darstellung von kognitiven Leistungen, Körpergewicht, Krankheiten etc. war extrem unsensibel, teilweise war das für mich wirklich nur noch schwer zu ertragen und nur mit Hinblick auf die Zeit aus der es stammt lesbar.

[Peter] Mein Eindruck ist, dass Kitiara auf viele Leserinnen genau so gewirkt hat. Als Beispiel einer selbstbestimmten Frau, als Identifikationsfigur, Vorbild oder Inspiration. Jedenfalls hab ich das schon ein paar Mal so gelesen. Aber im Kontext der Erzählung erscheinen doch gerade diese Züge explizit oder implizit als Teil dessen, was sie zu einer der Bösen macht, oder? Und macht es das nicht irgendwie noch unangenehmer? Als "ihrer Zeit voraus" würde ich die Figur jedenfalls auf gar keinen Fall bezeichnen. Es gab gerade in der Sword & Sorcery der 70er und frühen 80er bereits eine ganze Reihe von Frauenfiguren, die mindestens ebenso selbstbestimmt aufgetreten sind, ohne deshalb als böse oder unmoralisch abqualifiziert zu werden. Nicht selten waren die da sogar die Heldinnen. Meine persönliche Tinfoil-Hat-Theorie ist ja, dass Kitiara (ob bewusst oder unbewusst) eine konservative Reaktion auf genau diesen neuen Typ Fantasyheldin darstellt. Beweisen kann ich das natürlich nicht. Margaret Weis hat nach eigener Aussage praktisch keine zeitgenössische Fantasyliteratur gelesen. Aber bei Hickman wird das sicher anders ausgesehen haben. Who knows?

[Alessandra] Was die Darstellung von Krankheiten angeht: Ich hab Raistlin in der Vergangenheit manchmal als (einigermaßen) positives Beispiel für die Darstellung von "Helden"-Figuren mit Behinderung / chronischer Krankheit genannt. Aber nach der erneuten Lektüre muss ich auch sagen, dass das in meiner Erinnerung deutlich unproblematischer war. In "Die Stadt der Göttin" erhält er durch die Zeitreise ja einen "jüngeren, stärkeren, gesünderen" Körper und ich fand es z. B. ganz schön unangenehm, wie das an seine Fähigkeit gekoppelt wurde, Zuneigung zu Crysania zu empfinden. (Mal ganz davon abgesehen, dass ich irgendwann reichlich verwirrt war, wie viel von seinen Beeinträchtigungen jetzt eigentlich angeboren ist und was durch die Prüfung / Fistandantilus verursacht wurde. Und wenn man davon absieht, dass Raistlin viel hustet und einige issues durch das soziale Stigma hat, wird nie so ganz deutlich, was die Krankheit nun eigentlich für Barrieren für ihn mitbringt.)

Seine physische Darstellung spielt generell damit zusammen, wie in den Büchern die Figuren über ihre Optik charakterisiert werden (wie eben auch schon mit Kit und Laurana beschrieben). Richtig übel fand ich z. B., wie in "Der Hammer der Götter" (dt. Band 5) der fiese Hauptmann von Kitiara schon dadurch auf die Seite des Bösen gestellt wird, dass er einen krummen Rücken hat – und das ist dann auch noch gleich die Begründung dafür, weshalb Kit nichts mit ihm anfängt. Hinzu kommen Figuren wie die Gossenzwerge oder auch Tolpan, die quasi aufgrund von Volkszugehörigkeit einen minderen Intellekt eingeschrieben bekommen haben. Ich glaube, Weis/Hickman hatten hier durchaus einen hehren Anspruch an sich selbst, aber in der Ausführung tummeln sich u. a. Ableismen und Lookismus.

[Peter] Also was Raistlins "Gebrechen" angeht, ist es "kanonisch" glaub ich so, dass er von Geburt an schwächlich war. Wenn ich mich recht erinnere, wäre er sogar als Baby gestorben, wenn Kitiara nicht so verbissen um sein Leben gekämpft hätte. Die "Prüfung" hat das wohl nur noch einmal verstärkt. Aber um ehrlich zu sein, war ich bei der Lektüre jetzt ähnlich verwirrt, was seinen Körperzustand in den unterschiedlichen Zeitebenen betrifft. Mal ist er plötzlich der "starke junge Mann" mit dem "muskulösen Körper", dann hustet er doch wieder Blut. Wie's gerade für die Szene passt ...

[Christina] Ich habe Raistlin auch als besseres Beispiel für behinderte/chronisch kranke Figuren im Hinterkopf gehabt, was sich beim Reread leider nicht mehr bestätigt.

Die Darstellung von Alkoholismus und PTBS war auch sehr stereotyp abwertend geschrieben – als weinerlich übersensibel (allerdings spannend zu Rollenklischees, weil der trinkende Caramon ja anfangs als der Versager-Mann schlechthin dargestellt wird, er aber später seine Weichheit bzw. gefühlvolle Empathie schönerweise behält). Gerade was den psychischen Aspekt angeht, hätte das viel Tiefe ins Buch bringen können, war aber nur auf Ekel und "stell dich mal nicht so an"-Momente beschränkt. Dass das dann auch durch ein bisschen Sport bei den Gladiatoren behoben werden konnte, war hart realitätsfern

Auffällig war dann auch, dass die bösen Figuren alle verschiedene Disabilities hatten, die sie äußerlich als Böse für die Leserschaft kennzeichnen sollten [Dazu 2 Literaturempfehlungen, die sich mit Disabilities motivgeschichtlich auseinandersetzen –> "Literary Disability Studies – Theorie und Praxis in der Literaturwissenschaft" Hrsg. Matthias Luserke-Jaqui; "Entstellt – über Märchen, Behinderung und Teilhabe" von Amanda Leduc]

Zu der Verwirrung bei Raislin möchte ich noch hinzufügen, dass die Augen mich etwas verwirrt haben, weil die Stundenglasaugen, mit denen er Verfall sieht, hatte er ja erst nach der Prüfung. Aber in der Zeit gereist hatte er dann zwischendurch seinen Vor-Prüfungs-Körper, jedoch mit spiegelnden Augen? Ständig "zerbrachen" seine Augen in den Büchern oder hatten nur einen "kleinen Spalt", bevor die Betrachtenden wieder nur sich selbst sahen ... da hab ich entweder etwas überlesen oder die Erklärung/Trennung nicht verstanden.

[Peter] Da ich zufällig grad die allererste Drachenlanze-Kurzgeschichte "The Test of the Twins" gelesen habe, die noch vor den „Chroniken“ im "Dragon Magazine" erschienen ist, und in der es um die Prüfung geht, kann ich zumindest so viel dazu sagen: Auch dort ist bereits von "spiegelnden Augen" die Rede. Allerdings mehr als Metapher. Soll wohl verdeutlichen, wie verschlossen und kontrolliert Raist ist. Niemand darf seine Emotionen lesen können. In den "Legenden" scheint das dann allerdings manchmal wörtlich genommen zu werden. Schon komisch. Ich denke aber auch, dass die ausdruckslosen Augen auf Raistlins "innere Leere" verweisen sollen, die vor allem gegen Ende dann so oft betont wird.

 

Weiter geht's übermorgen dann erneut auf FragmentAnsichten mit den Themen "Die Figur Raistlin und Figurenkonstellationen".

Montag, 20. Februar 2023

Klassiker-Reread: "Die Legenden der Drachenlanze" von Tracy Hickman & Margaret Weis (2/7)

Mormonisches in Krynn
 
Nach unserer Beschäftigung mit der Entstehung der ursprünglichen  Dragonlance - Saga, nun also der zweite "Begleitartikel" zum diesjährigen Klassiker-Reread von Alessandra Reß und mir. (Bei dem wir diesmal Christina F. Srebalus als Guest Star dabei hatten). Nummer Drei wird übermorgen auf  FragmentAnsichten erscheinen. 
 
Ob dieser Eindruck einer strengen statistischen Überprüfung standhalten würde, sei dahingestellt, aber wenn man einen Blick auf die amerikanische SFF wirft, wird man das Gefühl nicht los, dass Autor*innen mormonischen Glaubens überdurchschnittlich stark in ihr vertreten sind. Die bekanntesten Namen dürften Orson Scott Card, Stephenie Meyer und Brandon Sanderson sein. Doch gibt es noch eine Menge anderer wie z.B. Shannon Hale, James Dashner, Anne Perry und Jessica Day George. Ob sie dem Glauben ihrer Kirche alle ähnlich stark verbunden sind wie Tracy Hickman, weiß ich natürlich nicht. (1) 
 
Erklärungsansätze für dieses Phänomen scheint es eine ganze Menge zu geben. Der Spötter und Zyniker in mir würde ja sagen, dass das Book of Mormon mit seiner bizarren "Urgeschichte Amerikas" als eines einst von Israeliten besiedelten "Gelobten Landes" selbst schon ein Stück Fantasyliteratur ist, die Affinität also bis zu Joseph Smith und den Anfängen der Kirche der Heiligen der Letzten Tage zurückreicht. Tatsächlich erklärte YA-Autorin Julie Berry einmal in einem Interview mit dem Boston Globe:
I think Mormons believe a lot of things that are pretty fantastic – we believe in miracles and angels and ancient prophets and rediscovered Scripture – so maybe it is almost natural for us to dive into these other stories. 
SF-Autor Scott Parkin hingegen zieht zur Erklärung ein relativ unverkrampftes und offenes Verhältnis zu Rationalismus und Wissenschaft heran, das den Mormonismus gegenüber anderen strenggläubigen Strömungen auszeichne:
At its base, Mormons believe there is pretty much a rational basis for everything, including our relationship to God. That things can be understood. So the idea that there are rational explanations and that it’s okay to explore those explanations is one of the reasons why the rigors of science fiction appeals to so many Mormons.
Darüberhinaus erwähnt er ein Gefühl des Außenseitertums, des "Andersseins", das von vielen Mormon*innen geteilt werde und möglicherweise dazu beitrage, warum sie sich zur Phantastik im allgemeinen, nicht nur zur Science Fiction, hingezogen fühlten:
Mormons have always had this sense of alienation, of being on the margins of society, they have a sense of what it means to be isolated, to not be understood by the broader culture, and this gives us a bit of an alien mindset. 
In ihrem Artikel “Is It Something in the Water?” Why Mormons Write Science Fiction and Fantasy erwähnen Katherine Morris & Kathleen Dalton Woodbury die kurze Erzählung The Angel of the Praries als "perhaps the first example of Mormon speculative fiction". Ihr Verfasser Parley P. Pratt war einer der ursprünglichen Zwölf Apostel der Kirche und die Story fand den Beifall des Propheten persönlich. Allerdings ließe sich fragen, ob diese utopische Vision einer theokratischen Regierung, die nach dem Untergang der Vereinigten Staaten über ein blühendes Amerika (und den Rest der Welt) herrscht, diese Bezeichnung tatsächlich verdient, unterscheidet sie sich doch kaum von all den offiziellen "göttlichen Offenbarungen" aus der Frühzeit der Bewegung. 
Ein geeigneterer Kandidat scheint mir da Nephi Andersons 1898 erschienener Roman Added Upon zu sein. Der schildert den Entwicklungsgang mehrerer Seelen von Luzifers Rebellion und dem Krieg im Himmel über die irdische Existenz bis hin zur gottgleichen Freiheit nach der Auferstehung. In seiner Thematik wirkt er wie die Bestätigung einer These, die Literatur- und Religionswissenschaftler Terryl Givens in seinem Buch People of Paradox aufgestellt hat und derzufolge sich die Affinität zur phantastischen Literatur aus dem Charakter der mormonischen Theologie erklären  lasse:
Science fiction (or the more-encompassing ‘speculative fiction’), though still struggling for respect as serious art, is the literary form best suited to the exposition and exploration of ideas at the margins of conventional thinking, whether in technology, ethics, politics, or religion. And indeed, some Mormon doctrine is so unsettling in its transgression of established ways of conceiving reality that it may be more at home in the imagined universes of Card than in journals of theology.

Ein Beispiel dafür sei die mormonische Lehre der "Apotheosis", derzufolge alle Menschen das Potential besitzen, sich nach einer langen, unterschiedliche Existenzformen durchlaufenden Evolution bis auf das Niveau des göttlichen Daseins hinaufzuentwickeln – also quasi selbst Götter zu werden! Eben das wird in dem langen Gedicht beschrieben, das den letzten Teil von Added Upon bildet. Wobei dieser kuriose Evolutionsprozess sogar mit pseudo-darwinistischen Elementen angereichert wird:

In this celestial world, the fittest have
Survived. To them alone the pow'r is given
To propagate their kind. 'Twas wisely planned.
The race of Gods must not deteriorate.
Thus everlasting increase is denied
To those who have not reached perfection's plane.
Herein is justice, wisdom all-divine,
That every child born into spirit world
Has perfect parentage, thus equal chance
Is given all to reach the highest goal,
And win the race which runs up through the worlds.

Das lässt aufhorchen, denn ähnelt das nicht in gewisser Weise Raistlins ehrgeizigem Verlangen in den Legends - Büchern? Und wie hat man sein Ziel, ein leibhaftiger Gott werden zu wollen, vor diesem Hintergrund zu beurteilen? – Eine spannende Frage, der ich hier aber nicht weiter nachgehen will. Stattdessen werde ich mich im folgenden hauptsächlich mit Motiven aus der ersten Dragonlance - Trilogie befassen, die meines Erachtens ziemlich deutliche mormonische Anklänge aufweisen.   

Das zentrale Thema zumindest des ersten Bandes der Chronicles ist die Rückkehr des Wissens um die Wahren Götter nach Jahrhunderten (nicht nur) spiritueller Finsternis, in die Krynn nach dem Cataclysm (2) versunken war. Dies geschieht in Form der "Disks of Mishakal", die die Gefährten in der ersten Hälfte von Dragons of Autumn Twilight aus der versunkenen Stadt Xak Tsaroth bergen. In die einhundertsechzig aus Platin geformten Scheiben ist die Wahre Lehre eingraviert und sie werden später zu so etwas wie der Bibel der neu aufgerichteten Kirche der Guten Götter.
 
Wenn man sich des mormonischen Hintergrunds von Tracy Hickman bewusst ist, wird man gar nicht anders können als hierin eine deutliche Parallele zu den "Goldplatten" zu sehen, von denen Joseph Smith behauptete, dass er sie 1827 unter Anleitung des Engels Moroni im Hügel "Cumorah" im Westen des Staates New York gefunden habe. Auf diesen Platten sollen die "alten Überlieferungen" aufgezeichnet gewesen sein, die den Inhalt des Book of Mormon bilden.
 
Doch damit endet die Sache noch nicht. Wirklich interessant wird es erst mit Goldmoon und Riverwind, die in erster Linie für das Auffinden der "Disks" verantwortlich sind. Dass letzterem auf seiner Queste "a woman dressed in blue light" (die Göttin Mishakal) erschienen ist, könnte man mit Smiths wiederholten Engelsvisionen vergleichen. Aber sehr viel wichtiger ist, dass sich in den beiden Figuren etwas vom mormonischen Blick auf die amerikanischen Ureinwohner widerzuspiegeln scheint. Sie sind "barbarians from the Plains" und gehören zum Stamm der Que-Shu. In dem von Mary Kirchoff herausgegebenen Band The Art of the Dragonlance Saga bekommt man zu lesen:
Goldmoon's character was really unclear until the novels gave her depth. All the artists knew about her at the beginning was that she had silvery golden hair, in contrast to the rest of the tribe, which was viewed as being similar to American indians. (3)
Um die (mögliche) Bedeutung dessen zu verstehen, ist es nötig einen etwas längeren Exkurs in die bizarre Geschichtsmythologie des Mormonismus zu unternehmen.
 
Das Book of Mormon erzählt von vier hebräischen Volksstämmen, die vor Urzeiten Amerika besiedelt hätten. Von diesen interessieren uns hier allerdings nur die Nephiten und die Lamaniten. Die beiden sollen gemeinsam um 600 v.u.Z. die Gestade des neuen "Gelobten Landes" erreicht haben. Bald schon kam es zu Zwistigkeiten zwischen den gottesfürchtigen Nephiten und den abtrünnigen Lamaniten, woraufhin Gott letztere mit einem Fluch belegte, dessen Folgen so beschrieben werden:
And he had caused the cursing to come upon them, yea, even a sore cursing, because of their iniquity. For behold, they had hardened their hearts against him, that they had become like unto a flint; wherefore, as they were white, and exceedingly fair and delightsome, that they might not be enticing unto my people the Lord God did cause a skin of blackness to come upon them. [...]
And because of their cursing which was upon them they did become an idle people, full of mischief and subtlety, and did seek in the wilderness for beasts of prey. (4)
Dieser Fluch wurde Jahrhunderte später noch einmal verstärkt, nachdem die Lamaniten die Nephiten in einem blutigen Krieg vollständig ausgerottet hatten:
for this people shall be scattered, and shall become a dark, a filthy, and a loathsome people, beyond the description of that which ever hath been amongst us, yea, even that which hath been among the Lamanites, and this because of their unbelief and idolatry. (5)
Dass die Lamaniten mit den amerikanischen Ureinwohnern gleichzusetzen sind, wird besonders deutlich, wenn der Prophet Nephi in einer Vision die künftige europäische Kolonisierung Amerikas schaut. Wobei die damit verbundenen Verbrechen und Gewalttaten göttlichen Segen erhalten.
And it came to pass that I beheld many multitudes of the Gentiles upon the land of promise; and I beheld the wrath of God, that it was upon the seed of my brethren [den Lamaniten]; and they were scattered before the Gentiles and were smitten.
And I beheld the Spirit of the Lord, that it was upon the Gentiles, and they did prosper and obtain the land for their inheritance; and I beheld that they were white, and exceedingly fair and beautiful, like unto my people [den Nephiten] before they were slain. (6)
Eine dunkle Hautfarbe als äußeres Zeichen der Verworfenheit eines Volkes zu betrachten, war eine geläufige rassistische Vorstellung der Zeit. Insbesondere im Zusammenhang mit dem sog. "Fluch von Ham", der als religiöse Rechtfertigung für die Sklaverei in den Südstaaten verwendet wurde – auch von mormonischen Autoritäten (7). Im Fall der Lamaniten kommen aber noch einige spezifischere Elemente hinzu. 
Es ist sicher kein Zufall, dass sie als "an idle people" bezeichnet werden, während es von den Nephiten ausdrücklich heißt: "I, Nephi, did cause my people to be industrious, and to labor with their hands." (2 Nephi 5, 17) Die indigenen Völker als "faul" oder "träge" zu bezeichnen, war unter den europäischen Kolonisatoren ziemlich weit verbreitet. Verantwortlich dafür war nicht einfach bloß irgendeine Idee von "weißer Überlegenheit", sondern das Aufeinanderprallen zweier grundverschiedener Gesellschaftssysteme und der auf ihrer Basis erwachsenen Lebensweisen und Wertvorstellungen. Der auf dem Privateigentum basierende Siedler-Kapitalismus auf der einen, die auf unterschiedlichen Formen des Stammeseigentums basierenden indigenen Gesellschaften andererseits. Das äußerte sich auch in der jeweiligen "Arbeitsmoral". Die vom Protestantismus mit religiösen Weihen versehene bürgerliche Grundtugend des "Fleißes", d.h. des "geregelten", disziplinierten "Arbeitstages", musste vor allem den Jäger- und Sammlervölkern fremd sein, einfach weil sie in ihrer Welt keinen Sinn machte. (8)
 
Dass der weiße Siedlerrassismus der Gesellschaft, in der Joseph Smith aufgewachsen war, Eingang in seine "Heilige Schrift" fand, ist vielleicht nicht so verwunderlich. Aber der mormonische Blick auf die Ureinwohner ist durchaus ambivalenter. 
Auf den Lamaniten ruht zwar ein Fluch, aber sie sind zugleich Nachkommen des Auserwählten Volkes. Ihre Wiederaufnahme in die Gnade Gottes wird als eines der zentralen Ereignisse der (nahe bevorstehenden) Endzeit erwartet. Was u.a. die starken Missionsbemühungen und die relativ "tolerante", wenn auch paternalistische Einstellung der frühen Kirche gegenüber den Ureinwohnern erklärt. (9) Als die Mormonen ab 1847 begannen, in Utah einzuwandern, zeigte sich dann allerdings sehr schnell, dass die materielle Dynamik der Kolonisierung stärker war als alle möglichen religiös-ideologischen Vorbehalte. Wie überall an der amerikanischen "Frontier" endete der Zusammenprall der beiden Gesellschaftsformen auch hier mit dem Untergang der indigenen, mit Landraub, Vertreibung, Mord, Hunger, Seuchen und Elend für die eingeborenen Stämme. (10) 
 
Joseph Smiths Nachfolger Brigham Young kodifizierte in seiner Lehre von den "cursed lineages" eine rassistische Hierarchie der "verworfenen Völker". Dabei standen die Lamaniten allerdings immer noch an der Spitze, vor den Juden und den Schwarzen (den Nachfahren Kains). (11) Und ihre künftige Bekehrung blieb auch weiterhin wichtiger Bestandteil der mormonischen Heilsgeschichte. Freilich ist auch diese Vorstellung alles andere als frei vom Rassismus des 19. Jahrhunderts. So wird im Zweiten Buch Nephi prophezeit:
And then shall they rejoice; for they shall know that it is a blessing unto them from the hand of God; and their scales of darkness shall begin to fall from their eyes; and many generations shall not pass away among them, save they shall be a white and a delightsome people. (12)
Wenn eine dunkle Hautfarbe äußeres Anzeichen eines göttlichen Fluches ist, macht es nur Sinn, dass dessen Aufhebung mit der Verwandlung in ein "weißes" Erscheinungsbild einhergeht. Und lange Zeit wurde das in der mormonischen Kirche sehr wörtlich genommen. Wie es 1855 ein Missionar, der unter den Shoshonen am Salmon River in Idaho tätig war, besungen hat:
For we are going to the land of Laman
To plant the Gospel standard there,
To bring them out from degredation
To a people, white and fair. (13)

Vor allem in Reaktion auf die Bürgerrechtsbewegung der 50er & 60er Jahre ist diese wörtliche Interpretation inzwischen zwar aus der Mode gekommen, aber sie stellt doch einen wichtigen Bestandteil mormonischer Tradition dar.

Vor diesem Hintergrund gewinnt Goldmoons " silvery golden hair" doch eine spezielle Bedeutung.
Dass die "Plains People" nach dem Vorbild der amerikanischen Ureinwohner gezeichnet sind, steht außer Frage. Und der Umstand, dass die Stämme ständig im Kampf miteinander liegen, verweist gleichfalls auf die Lamaniten: "And behold also, the Lamanites are at war one with another; and the whole face of this land is one continual round of murder and bloodshed; and no one knoweth the end of the war" (Mormon 8, 8). Doch gleichzeitig kommt von ihnen das Heil. Die Figur des stolzen, verschlossenen und wenig gesprächigen Riverwind lässt unschwer gewisse Züge des "edlen Wilden" erkennen. Ein Klischee, das auch in der Frühzeit des Mormonismus seine Rolle bei der Herausbildung des ambivalenten Lamaniten-Bildes gespielt hatte. Aber zugleich ist er ein Pariah unter seinem eigenen Volk. Denn wie Goldmoon erzählt:
Riverwind's familiy was cast out of our tribe years ago for refusing to worship our ancestors- His grandfather believed in ancient gods who existed before the Cataclysm, though he could find little evidence of them left on Krynn. (14) 
Man könnte seine Familie durchaus mit Lamaniten vergleichen, die dem allgemein in Vergessenheit geratenenen "wahren Glauben" ihrer Vorväter auch in der Zeit der Gottferne die Treue gehalten haben. Und er selbst wird sogar beinah zum Märtyrer, als der Stamm ihn steinigen will, und nur göttliche Intervention ihm das Leben rettet.
Dennoch ist es nicht er, sondern Goldmoon, die am Ende zur ersten "wahren Klerikerin" seit dem Cataclysm wird, nachdem sie sich selbst geopfert hat und von den Göttern ins Leben zurückgeschickt wurde. Durch sie kehrt der "wahre Glaube" in die Welt zurück. Ist es da so abwegig, ihr auffällig "weißes" Erscheinungsbild mit den mormonischen Vorstellungen von der Wiederaufnahme der Lamaniten in die Gnade Gottes zu verknüpfen?
 
Allerdings behält Goldmoon ihre religiöse Führungsrolle nicht lange bei. Sobald die Gefährten die versklavte Bevölkerung von Abanasinia aus der Festung Pax Tharkas befreit haben, tritt Graubart Elistan an die Spitze. Er wird der eigentliche Neubegründer der "Kirche" und bleibt bis in die Legends - Bücher hinein ihr Oberhaupt. Um noch einmal The Art of the Dragonlance Saga zu zitieren:
He was seen as Krynn's answer to Moses, leading the people from their bondage under the evil Verminaard to freedom and the discovery of the true gods. Therefore, it was not unusual that the design team pictured him looking like Charlton Heston! (13)  
Den eigentlichen Exodus, die "Wanderung durch die Wüste", bekommen wir in den Romanen nicht zu sehen. Dragons of Autumn Twilight endet mit der Flucht aus Pax Tharkas und Dragons of Winter Night setzt erst im Zwergenreich von Thorbardin wieder ein. Die dazwischen liegenden Ereignisse werden nur in der RPG-Kampagne (dem Modul Dragons of Hope) genauer abgehandelt. Aber das Motiv des "Auszugs aus der Gefangenschaft" findet sich schon in Larry Elmores frühester Concept Art, war also sicher zentral für den ursprünglichen Storyentwurf.
Meines Erachtens sollte man dabei aber nicht nur an den biblischen Exodus denken, sondern auch an dessen historisch-mythisches Reenactment durch die frühen Mormonen. Der 1846 einsetzende Auszug der Gemeinde aus Nauvoo (Illinois) nach Westen und die anschließende Kolonisierung von Utah nahm in der kollektiven Erinnerung der Gläubigen nämlich die Gestalt einer zweiten "Wüstenwanderung" an, wobei Brigham Young als "Prophet" der Kirche die Rolle des Moses spielte. 
 
Weniger bedeutungsschwer und sehr viel kurioser ist schließlich noch der Fall der "Glasses of Arcanist", einer magischen Brille, die der Kender Tasslehoff Burrfoot in Thorbardin mitgehen lässt und mit der man fremde Sprachen und Schriftzeichen lesen kann. Klingt wie ein typisches RPG-Fantasy-Gimmick, aber der gute Joseph Smith besaß ein ganz ähnliches Artfakt – nach alltestamentarischem Vorbild "Urim & Thummim" genannt –, mit dessen Hilfe er die in "reformiertem Ägyptisch" verfassten Inschriften auf den "Goldenen Platten" gelesen und in das Book of Mormon übersetzt haben soll. Smith war tief verwurzelt in den volksmagischen Traditionen seines Heimatmilieus, und die haben vor allem in der Frühzeit der mormonischen Bewegung deutliche Spuren hinterlassen. "Urim & Thummim" etwa waren die religiös aufgepeppten Nachfolger der "Seer Stones", mit deren Hilfe der künftige Prophet zuvor (ganz professionell!) nach verborgenen Schätzen wie einer verlorenen spanischen Goldmine gesucht hatte ...
 
Nach all dem stellt sich natürlich die Frage, ob Dragonlance nicht nur solche motivischen Anklänge enthält, sondern auch in seinem Gehalt entsprechende Ideen und Wertvorstellungen widerspiegelt.
 
Ich muss gestehen, dass ich die Chronicles in diesem Leben vermutlich nicht noch einmal ganz lesen werde. Weshalb ich auch keine wirklich fundierte Antwort auf diese Frage geben kann. Allerdings habe ich mir vor einiger Zeit mal wieder die (ziemlich dröge) Animationsverfilmung von Dragons of Autumn Twilight aus dem Jahr 2008 angeschaut. (16) Dabei ist mir (erneut) aufgefallen, was für eine zentrale Rolle vor allem gegen Ende das "Vertrauen in die göttlichen Mächte" spielt. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass das in den Büchern ähnlich aufdringlich gewesen wäre. 
Der einzige Punkt, bei dem ich das deutliche Gefühl habe, einen religiös-konservativen Vibe herauszuspüren, ist die Art, in der die Bücher mit Sex und Sexualität umgehen. Besonders deutlich wird das für mich in der Figur Kitiaras. Aber da wir dieses Thema auch in unserer gemeinsamen Gesprächsrunde anschneiden werden, will ich mich hier auf ein anderes, leicht bizarres Beispiel aus Dragons of Autumn Twilight beschränken. Es gibt da nämlich diese kurze Szene, in der Goldmoon plötzlich eine kleine "Kein Sex for der Ehe" - Predigt hält.
Tika und Caramon, die dabei sind ein Paar zu werden, haben sich von Leidenschaft überwältigt beinah gemeinsam in die Büsche geschlagen. Als Goldmoon das mitbekommt, hält sie es für ihre Pflicht, den Krieger beiseite zu nehmen und ein ernstes Wörtchen mit ihm zu reden. Sie klärt ihn darüber auf, dass das ehemalige Schankmädchen in Wahrheit noch sehr unerfahren und unsicher sei und er sie deshalb auf gar keinen Fall drängen dürfe:    
She's frightened, Caramon. She's heard a lot of stories. Don't rush her. She desperately wants approval from you. and she might do anything to win it. But don't let her use that as reason to do something she'll regret later. If you truly love her, time will prove it and enhance the moment's sweetness.
Für sich genommen vielleicht gar kein so schlechter Ratschlag. Aber das Gespräch erhält eine deutlich moralistische Wendung, wenn Goldmoon erklärt, dass auch sie und Riverwind, trotz ihrer bereits sehr viel längeren Beziehung, noch keinen Sex gehabt hätten, und das auch gut und richtig so sei.
We have waited long, and sometimes the pain is unbearable. But the law of my people are strict. [...] When our vows are spoken, we will lie together as man and wife. Not until then. (17) 
Ich kann mich nicht erinnern, dass diese kurze Unterhaltung für den weiteren Handlungsverlauf oder die Entwicklung der Figuren irgendwie von Relevanz gewesen wäre. Was den Eindruck verstärkt, dass wir es dabei in Wirklichkeit mit einer moralischen Message an die jugendliche Leserschaft der Bücher zu tun haben. 
 
Zum Abschluss wollen wir dann doch noch einen kurzen Blick in die Legends werfen. Denn wenigstens ein Motiv gibt es auch dort, das mir zumindest mormonisch angehaucht erscheint – der Kingpriest of Istar.
Eine ebenso mächtige wie korrumpierte Kirche, die quasi nach politischer Weltherrschaft strebt, in deren Reihen Frömmigkeit durch den Glauben an die "falschen Götter" "money, power, ambition" ersetzt wurde, und an deren Spitze jemand steht, der sich selbst für Paladines "true representative on Krynn" hält. (18) – woran könnte einen das erinnern? 
Wie bereits erwähnt beschreibt das Erste Buch Nephi in Form einer Vision die mormonische Interpretation der Geschichte Amerikas. Eine wichtige Rolle spielt dabei die "great and abominable church": "She had dominion over all the earth, among all nations, kindreds, tongues, and people." (1 Nephi 14, 11) Prunk und materieller Reichtum sind ihr äußeres Erkennungszeichen: "And I also saw gold, and silver, and silks, and scarlets, and fine-twined linen, and all manner of precious clothing; and I saw many harlots." (1 Nephi 13, 7) Vor ihrer unterdrückerischen Herrschaft fliehen die Frommen unter den "Heiden" an die Gestade des neuen Gelobten Landes. 
Dass Joseph Smith hier an die antikatholische Polemik der Reformationszeit und die Traditionen der "Pilgerväter" und anderer früher Kolonisatoren anknüpfte, ist unschwer zu erkennen. Dazu gehört auch der Rückgriff auf die Bilderwelt der Johannesapokalypse, wenn die "böse Kirche" mit der Hure Babylon identifiziert wird: "that great church, which is the mother of abominations; and she is the whore of all the earth." (1 Nephi 14, 10).
Ist es zu weit hergeholt, wenn man in der Gestalt des Kingpriest Anklänge an dieses reformatorisch-mormonische Bild von Papsttum und Katholischer Kirche erkennt?
Einen entscheidenden Unterschied gibt es freilich: Die "great and abominable church" ist die Kirche Satans, die sich hauptsächlich damit beschäftigt, die "Heiligen" zu verfolgen und zu ermorden. Auch das natürlich gute alte Tradition, war es in der Reformationszeit doch üblich gewesen, den Papst mit dem Antichrist zu identifizieren. Der Kingpriest hingegen ist trotz seiner Verblendung ein Vertreter des "Guten", kein heimlicher Anhänger der Queen of Darkness. Die Hybris und der Fall Istars sollen ja gerade vor Augen führen, was passiert, wenn das kosmische Pendel zu stark in die "gute" Richtung ausschlägt.
 
Womit wir erneut beim Gut-Böse-Dualismus der ursprünglichen Dragonlance - Saga angekommen wären. Was vielleicht gar kein so schlechter Übergang zu Alessandras "Kanonenfutter"-Beitrag ist, den ihr dann am Mittwoch werdet lesen können.


(1) Mit Wilum H. Pugmire habe ich mich hier vor Zeiten schon einmal mt einem phantastischen Schriftsteller beschäftigt, dessen Beziehung zum Mormonismus sehr konfliktreich war, auch wenn er am Ende seines Lebens in den Schoß der Kirche zurückkehrte.

(2) In der deutschen Übersetzung wird das quasi-apokalyptische Ereignis, bei dem ein riesiger Flammenberg auf die Metropole von Istar herabgestürzt ist, offenbar "Umwälzung" genannt, was für meinen Geschmack denn doch etwas zu harmlos klingt.

(3) Mary Kirchoff: The Art of the Dragonlance Saga. S. 42.

(4) 2 Nephi 5, 21 & 24

(5) Mormon 5, 15

(6) 1 Nephi 13, 14/15

(7) Joseph Smith verwendete dieses Argument erstmals 1836, als er in einem Artikel klar Stellung gegen den Abolitionismus bezog, für den er früher gewisse Sympathien gehegt hatte. Wohl eine politisch motivierte Kehrtwende. Dieselbe Rechtfertigung wurde später auch von Brigham Young verwendet, unter dessen Führung Utah zu einem Sklavenhalterstaat wurde.  

(8) Die grundlegende Bedeutung der unterschiedlichen Eigentumsformen wurde von US-Beamten der Zeit immer wieder ganz offen ausgesprochen. So erklärte z.B. Indian Commissioner T.J. Morgan, das „Gemeineigentum an einem allzu großen Teil des Landes“ sei eine der „schädlichsten und verderblichsten Ursachen, die es den Indianern unmöglich machen, die Wohltaten der Zivilisation zu begreifen“, da sich daraus für sie die „Möglichkeit [ergebe] das von ihnen so geliebte Vagabundenleben zu führen, und die Unmöglichkeit, sich mit dem Privateigentum vertraut zu machen.“ (Zit. nach: Eric Hobsbawm: Europäische Revolutionen. S. 295). Und Commissioner John H. Oberly verurteilte lautstark den "degrading communism" des Stammeseigentums. Nur dessen Zerschlagung und die Parzellierung des Landes werde den Ureinwohnern die Möglichkeit eröffnen, den "exalting egotism of American civilization" nachzuahmen, "so that he will say ‘I’ instead of ‘We,’ and 'This is mine,’ instead of 'This is ours.’“ (Zit. nach: Theodore W. Allen: The Invention of the White Race. Volume 1: Racial Oppression and Social Control. S. 38).

(9) Vgl: Kaleb C. Miner: "O Stop and Tell Me, Red Man": Indian Removal and the Lamanite Mission of 1830-31.

(10) Vgl.: Howard A. Christy: Open Hand and Mailed Fist: Mormon-Indian Relations in Utah 1847-1852. In: Utah Historical Quarterly. Vol. 46, Nr. 3. S. 216-35.

(11) Vgl.: Arnold H. Green: Gathering and Election: Israelite Descent and Universalism in Mormon Discourse. In: Journal of Mormon History. Vol. 25, No, 1 (1999). S. 204-07. Ab den 1880er Jahren wurde die Idee der "cursed lineages" von einigen mormonischen Denkern zusätzlich mit zeitgenössischen rassistischen Theorien wie dem sog. "Anglo-Israelism" verknüpft, der die Überlegenheit der "angelsächsischen Rasse" aus ihrer vermeintlichen Abstammung vom Volk Israel ableitete. Solche Ideen blieben bis weit ins 20. Jahrhundert in den Reihen der Kirche virulent.

(12) 2 Nephi 30, 6. Seit 1981 ist in allen offiziellen Ausgaben des Buches Mormon "white" durch "pure" ersetzt worden, im Einklang mit einer überarbeiteten Fassung, die Joseph Smith selbst 1840 herausgegeben hatte.

(13) Zit, nach: Stanley J. Thayne: The Blood of Father Lehi: Indigenous Americans and the Book of Mormon.  S. 204.

(14) Margaret Weis & Tracy Hickman: Dragons of Autumn Twilight. S. 76.

(15) Mary Kirchoff: The Art of the Dragonlance Saga. S. 102.

(16) Hatte ganz vergessen, dass Goldmoon von Lucy Lawless gesprochen wird. Macht den Film aber leider auch nicht besser ...

(17) Margaret Weis & Tracy Hickman: Dragons of Autumn Twilight. S. 356/57.

(18) Margaret Weis & Tracy Hickman: Time of the Twins. S. 368; 371.

Samstag, 18. Februar 2023

Klassiker-Reread: "Die Legenden der Drachenlanze" von Tracy Hickman & Margaret Weis (1/7)

 Die Geburt von Dragonlance
 
Als sich Alessandra Reß und ich Ende 2019 zu einem gemeinsamen Reread von Joy Chants Wenn Voiha erwacht zusammentaten und das anschließende Gespräch auf unseren beiden Blogs veröffentlichten (Teil 1 * Teil 2), ahnten wir nicht, dass wir damit eine alljährliche Tradition ins Leben rufen würden. Aber wir hatten einfach zu viel Spaß mit der Sache gehabt, um es bei dem einen Mal zu belassen. Und so wandten wir uns 2021 Patricia A. McKillips Erdzauber - Trilogie zu und erweiterten das Format zu einer kleinen Blog-Serie (Teil 1 * Teil 2 * Teil 3 * Teil 4 * Teil 5 * Teil 6). Im darauffolgenden Jahr luden wir mit Sören Heim erstmals einen Gast zu unserem Klassiker-Reread ein, so dass die anschließende Diskussion über Esther Rochons Der Träumer in der Zitadelle diesmal auf drei Blogs verteilt wurde (Teil 1 * Teil 2 * Teil 3).
 
Die Idee, sich irgendwann einmal auch einige der alten Dragonlance - Bücher vorzunehmen, kam glaube ich schon recht früh auf. Sobald sie konkretere Formen anzunehmen begann, war schnell klar, dass unsere Wahl dabei auf die Legends - Trilogie (die im Deutschen auf sechs Bücher aufgesplittet worden war) fallen würde. 
 
Erneut  luden wir einen Gast zu unserem großen Palaver ein. Christina F. Srebalus ist ehemalige Dozentin für Film- und Medienwissenschaften, die heute als freischaffende Künstlerin und Illustratorin arbeitet. Und wer ihre Zeichnungen und anderen Kreationen noch nicht kennt, sollte das schleunigst nachholen!
 
Es wurde eine sehr lebendige und spannende Gesprächsrunde. Doch bevor wir uns dem zuwenden, versuche ich in diesem Einführungsartikel erst einmal, den Weg nachzuzeichnen, der zur Entstehung der ursprünglichen Dragonlance - Saga führte. Dabei bin ich in so manches Kaninchenloch gestolpert und konnte so einigen Abschweifungen nicht widerstehen.
 
                                                  * * *
 
Tracy Hickman kam 1955 in Salt Lake City (Utah) auf die Welt. Er wuchs in einem stark vom Mormonismus ("Church of Jesus Christ of Latter-day Saints") durchtränkten Umfeld auf, doch seine Beziehung zum mormonischen Glauben war anfangs eher halbherzig. Bis er im Alter von 18 Jahren eine Art persönliches Erweckungserlebnis hatte: 
That night, as I pondered what I wanted and, more importantly, what God wanted, I was suddenly filled with the spirit of truth so strongly that it felt like a physical blow. I knew – just knew – that I had been called to serve God and the knowledge wouldn’t leave me.
In der Folge begab er sich für zwei Jahre als Missionar zuerst nach Hawai, dann nach Indonesien. 1977 kehrte er ins heimatliche Utah zurück und heiratete einige Monate später sein "high school sweet heart" Laura Curtis. Er begann ein Studium an der Brigham Young University, brach dieses aber schon nach zwei Semestern wieder ab, als das erste Kind des jungen Paares geboren wurde. Geld musste herangeschafft werden. Die nächsten Jahre arbeitete Hickman in allen möglichen Gelegenheitsjobs, um die bald schon auf vier Köpfe angewachsene Familie durchzubekommen: "supermarket stockboy, movie projectionist, [movie] theater manager, glass worker, television assistant director, and drill press operator in a genealogy center." Am Ende versuchte er sich sogar an der Produktion eines "arcade immersion game", nur um von seinem Partner übers Ohr gehauen und mit $30.000 Schulden zurückgelassen zu werden.
 
Es war Laura, die ihren Ehemann mit D&D bekannt machte. (1) Bald schon begannen die beiden, eigene Abenteuerszenarien zu entwerfen, "covering page after page of graph paper with detailed diagrams of dungeons". (2) Teile von Tracys Studienkredit (student loan) wurden in den Erwerb der neuen AD&D-Regelbücher angelegt. Und 1979 gründeten sie gar ihren eigenen kleinen Verlag DayStar West Media und veröffentlichten dort zwei ihrer Module – Rahasia (1979) und Pharaoh (1980). Das verhalf ihnen zu einer gewissen Bekanntheit in (vermutlich eher lokalen) Rollenspielerkreisen – auch wenn man sie dort mitunter für die "Hickman sisters" hielt. 
Als Tracy schließlich arbeitslos wurde und die finanzielle Lage der Familie immer düsterer aussah, boten sie TSR die beiden Szenarien 1981 zum Kauf an, "in the hope that they would pay us enough money for us to purchase shoes for our kids that winter". Die Antwort fiel ziemlich überraschend aus: Man bot Hickman einen Job als Game Designer an: "They said it would be easier to publish my adventures if I was part of the company." Natürlich wäre es dazu nötig, nach Lake Geneva in Wisconsin überzusiedeln.
Die Entscheidung fiel den beiden nicht leicht. Die Heimat verlassen und in einen gut 2.000 km entfernten Bundesstaat ziehen, in dem die Hickmans niemanden kannten, in der vagen Hoffnung auf eine Karriere in der jungen RPG-Industrie? Tracys Eltern rieten vehement ab und sein Vater stellte ihm als Alternative einen sicheren Job als Koch in Flagstaff/Arizona in Aussicht. Aber letztenendes erwies sich die Chance, den eigenen Träumen folgen zu können, als zu verführerisch. Und so packten die Hickmans im März 1982 ihre wenigen Habseligkeiten in den von TSR gestellten Umzugsvan, setzten sich in ihr Auto und machten sich auf die Reise gen Osten. Auf der viertägigen Fahrt diskutierten sie, welchen Projektentwurf sie TSR vorlegen könnten, um einen guten Einstand bei dem neuen Arbeitgeber zu machen. 
 
In Artikeln und Interviews bekommt man immer wieder zu lesen, dass dabei die Grundidee für die spätere Dragonlance - Saga entstanden sei. Tracy Hickman selbst hat einmal geschrieben: "It was on that long road between the life we left behind and the hope we had for the future that Dragonlance was born". Doch wie weit gediehen das Konzept tatsächlich war, als die Familie am St. Patrick's Day in Lake Geneva eintraf, muss dahingestellt bleiben. Mary Kirchoff erwähnt in ihrem Vorwort zu The Art of the Dragonlance Saga eine "three-part tale, originally titled Eye of the Dragon". (3) War das der ursprüngliche Entwurf? Über den konkreten Inhalt habe ich jedenfalls nichts finden können, außer dass es darin um "a world dominated by dragons" (4) gehen sollte. Doch sehr viel wichtiger ist ohnehin die gestalterische Idee, die dem Entwurf zugrundelag. Das Szenario sollte "a means of telling a fantasy story through a gaming experience" sein.
Bereits zwei Jahre zuvor hatten die Hickmans im Vorwort zu ihrem Pharaoh - Modul ein 4 - Punkte - Programm umrissen, das der von ihnen damals geplanten "Nightventure" - Reihe zugrunde liegen sollte, und in dem es u.a. hieß:
1. A player objective more worthwhile than simply pillaging and killing.
2. An intriguing story that is intricately woven into play itself.
Diese neuartige Herangehensweise an das Konstruieren von D&D - Modulen war ohne Zweifel der wichtigste Beitrag, den die Hickmans 1982 zu TSR mitbrachten. Statt einfach nur die Spielwiese für die Abenteuer der Heldengruppe abzustecken, sollten Szenarien vielmehr zu Vehikeln des Geschichtenerzählens werden. Schon als sie ihr altes Modul Pharaoh zur Desert of Desolation - Trilogie (1982/83) erweiterten, versuchten sie etwas von diesem Konzept umzusetzen, trotz des klassischen "Dungeon Crawling". Noch sehr viel deutlicher war dies bei Ravenloft (1983) Nicht nur mischten sie darin D&D eine ordentliche Dosis Gothic Horror bei, sie machten ihren Ersatz-Dracula Strahd von Zarovich auch zum eigentlichen Herzstück des Moduls. Es ist seine Geschichte, die die Hickmans mit dem Abenteuer erzählen wollen. Um: "The actions of the PCs are, in many ways, beside the point, because their sole purpose is to help to facilitate a melodrama of lust, betrayal, despair, and love beyond the grave in which NPCs are the primary actors." Die Module waren damit Vorreiter einer Entwicklung, die in Fankreisen anscheinend manchmal als "Hickman-Revolution" bezeichnet wird und D&D dauerhaft verändern und prägen würde. 
 
Nichts sollte diese Wende eindeutiger verkörpern als Dragonlance
 
Unglücklicherweise wurde die Entstehungschronologie der Saga für mich um so verwirrender und widersprüchlicher, je mehr ich darüber gelesen habe. Was folgt ist das, was sich mir letztenendes als am wahrscheinlichsten herauskristallisiert hat, wobei ich einige abweichende Angaben aus Büchern und Artikeln ignoriert (oder "umgedeutet") habe. Ihr seid gewarnt!
 
Allem Anschein nach hatte TSR im Frühjahr 1982 eine professionelle Marktanalyse in Auftrag gegeben, deren Ergebnis u.a. folgende Punkte enthielt: "(1) Dungeons and Dragons is your core product; (2) you have lots of Dungeons; and, finally, (3) you need more Dragons." Daran konnte Tracy Hickman anknüpfen, und den ersten Verbündeten, den er für sein Projekt gewann, war Harold Johnson, der vor kurzem zum "Director of Games Research & Development" ernannt worden war. Die beiden setzten sich zusammen und entwickelten auf der Grundlage des ursprünglichen Hickman'schen Entwurfs das Konzept für eine Kampagne, die insgesamt 12 Module umfassen sollte, bei denen jeweils einer der D&D-Drachentypen im Zentrum stehen würde. Dabei wollten sie zugleich die Idee vom "Rollenspiel als Geschichtenerzählen" im großen Stil und besonders radikal umsetzen. Wie Johnson einmal erzählt hat:
[W]e wanted something more than a Kill-the-Dragon-of-the-Month series, which is what Marketing was proposing. We were tired of the old hack-and-slash modules, and we figured out players were tired of those, too. We wanted a game with depth, a game where there was more than just find the monster, kill it, snatch the treasure, find the next monster ... (5)
Die Kampagne sollte die epische Saga einer Heldengruppe erzählen, deren Mitglieder zwar die verschiedenen D&D-Klassen vertreten, zugleich aber ausgearbeitete Figuren mit eigener Hintergrundsgeschichte und distinkten Charakterzügen sein würden.
In einem Artikel, der im November 1984 anlässlich des Erscheinens des ersten Dragonlance - Romanes in Dragon #91 erschien, schreibt Hickman:
The world of Krynn is one of the most ambitious and complex gaming environments ever devised. Over a year of extensive pre-planning and design was put in by the design team before work on the first module was even begun.
Wann genau diese Arbeit begann, ist mir allerdings nicht ganz klar. Offenbar begannen Hickman und Johnson damit, Mitstreiter für ihr mit dem Codenamen "Overlord" versehenes Projekt zu rekrutieren, lange bevor sie den Segen des Mangements hatten. Zu der Gruppe gehörten schließlich u.a. Larry Elmore, Jeff Grubb, Roger E. Moore, Doug Niles und Michael Williams. Laura Hickman scheint von diesem Zeitpunkt an nicht mehr direkt beteiligt gewesen zu sein.
Anfangs hatten einige der Autoren und Designer gewisse Vorbehalte gegenüber dem "epischen" Charakter der geplanten RPG-Kampagne. Douglas Niles etwa hat einmal erzählt: "I didn't think players would want to have their characters tied into playing out a story that someone else had written." Vor allem, das die Spieler*innen quasi dazu gedrängt werden würden, vorgegebene Figuren zu verwenden, erschien vielen erst einmal fragwürdig. Doch Hickmans "Vision" erwies sich als äußerst ansteckend und bald schon waren sie alle mit ungebremstem Enthusiasmus bei der Sache. Das galt auch und gerade für die beteiligten Illustratoren: Hickman erinnert sich:   
Harold and I spent one afternoon describing Krynn and its people and creatures to Larry Elmore [...] We particularly concentrated on the characters, since these were one of the most important elements in the game. Larry was so excited by the concept that he went home and in one weekend on his own time produced the four original Dragonlance paintings portraying the major characters and events. (6)
Als wäre eine zwölfteilige RPG-Kampagne nicht schon ehrgeizig genug gewesen, hatte Tracy Hickman außerdem die Idee, Dragonlance von Anfang an zu einer Art "multimedialem Franchise" zu machen. Neben den Modulen sollte außerdem eine Roman-Trilogie erscheinen, die die selbe Geschichte erzählen würde, sowie ein eigener Kalender und ein Brettspiel.
 
Letztenendes war es wohl vor allem Harold Johnson, der das Management von dem Projekt zu überzeugen vermochte. Dass ihm dies gelang, mag auch etwas mit der allgemeinen Situation zu tun gehabt haben, in der TSR sich zu diesem Zeitpunkt befand.
1982 war das Jahr des großen Überschwangs. Seit 1979 waren Umsatz und Profit des Unternehmens rasend schnell von $2,2 Millionen & $160.000 auf $20,8 Millionen & $1,8 Millionen angewachsen. In der Chefetage gab man sich der berauschenden Vorstellung von einem schier endlos expandierenden Absatzmarkt hin. In einem Artikel, der Anfang Januar 1983 im Wall Street Journal erschien, verkündete Gary Gygax voller Überzeugung: "Sales will continue to almost double in each of the next two years". (7) Niemand im Management besaß wirkliche Erfahrung im Leiten eines solchen Unternehmens. Und alles spricht dafür, dass sie nicht wirklich wussten, wie sie mit den Millionen umgehen sollten, die ihnen urplötzlich zur Verfügung standen. 
Eine Folge davon war das sprunghafte Anwachsen des Design-Teams. Jon Peterson fasst die bei TSR vorherrschende Stimmung in seinem Buch Game Wizards so zusammen: "Why not hire as many as you can, if limitless growth was just around the corner?" (8) Ein Gutteil der "Project Overlord" - Truppe (Hickman, Niles, Grubb) gehörte zu diesem neuen Schub.
Doch vor allem versuchte TSR, sich geschäftlich weiter aufzufächern. Einige dieser Unternehmungen waren naheliegend: Merchandise und Miniaturen. Andere klingen eher kurios: so der Erwerb der "Greenfield Needlewomen" oder der Versuch, eine D&D - Radioshow auf die Beine zu stellen. Außerdem erwarb TSR das altehrwürdige SFF-Magazin Astounding Stories und übernahm mit SPI ("Simulations Publications, Inc.") eines der Traditionsunternehmen der amerikanischen "Wargaming" - Industrie.  
In diesem Kontext erschien vermutlich selbst ein so ehrgeiziges Projekt wie Dragonlance deutlich weniger spektakulär und riskant, als man annehmen sollte. Tracy Hickman hat einmal erzählt: "We proposed the series to the company originally as something of a 'stop-gap' measure: it was supposed to be a project to do until the next 'big thing' came along.
Die Ironie besteht darin, dass die "offizielle" Entwicklungsphase von Dragonlance parallel zur hereinbrechenden Krise von TSR verlief, die das Unternehmen in kürzester Zeit an den Rand des Abgrunds brachte. Und am Ende erwies sich die Saga nicht als "'stop-gap' measure", sondern als eines der wenigen zukunftsweisenden Projekte der Ära.
 
Doch darauf werden wir später noch zurückkommen. Jetzt wollen wir erst einmal einen Blick in TSRs Buchabteilung werfen. Denn mit der mussten Hickman und Johnson ja eine Kooperation beginnen, nachdem "Project Overlord" den Segen der Chefetage erhalten hatte.
Der allererste D&D-Roman war bereits 1978 bei Athenaeum Press erschienen. Und geschrieben hatte ihn niemand anderes als Andre Norton, nachdem Gary Gygax sie zwei Jahre zuvor zu einer Spielrunde eingeladen hatte. Allerdings ist Quag Keep eher ein Kuriosum und hat nur wenig mit der späteren Flut an Tie-in - Novels zu tun. In dem Roman geht es nämlich um eine Rollenspielgruppe, deren Mitglieder sich in Greyhawk in Gestalt ihrer Figuren wiederfinden und dort Abenteuer erleben. Thematisch hat es also mehr mit Joel Rosenbergs späterer Guardians of the Flame - Reihe (und in gewisser Hinsicht auch mit der D&D - Cartoon - Serie) zu tun.     
Ein Auszug aus Quag Keep war vorab in Dragon #12 (Februar 1978) abgedruckt worden.  Auch zuvor schon waren auf den Seiten des Magazins Geschichten namhafter Autoren erschienen. Gardner F. Fox mit seinen Abenteuern des Kriegers Niall "of the Far Travels" überrascht vielleicht nicht wirklich, denn der Gute war ja ein notorischer Vielschreiber in bester Pulp-Tradition. Wirklich bemerkenswert fand ich hingegen, dass hier im Dezember 1977 auch zum allerersten Mal Fritz Leibers Fafhrd & The Grey Mouser - Story Sea Magic erschienen war. Dennoch gab es anfangs keine konkreten Pläne, ins "Literaturgeschäft" einzusteigen, obwohl auch Gygax selbst sich gern als Schriftsteller versuchte.
Die eigentliche Entstehung von TSR's Buchabteilung ist aufs engste mit den Namen zweier Frauen verbunden: Rose Estes und Jean Black. 
Nach einer Zeit als "a hippie, a student, a newspaper reporter, and an advertising copy writer" sowie einer gescheiterten Ehe war Rose Estes 1977 mit ihren drei Kindern im ländlichen Wisconsin gelandet. Eher durch Zufall hatte sie einen Marketing-Job bei dem damals noch sehr bescheidenen Unternehmen TSR angenommen. Sie war zwar ein passionierter Fantasy-Fan, wurde aber nie zur Rollenspielerin. Im Zuge ihrer zahlreichen Tätigkeiten war sie auch an der Öffentlichkeitsarbeit beteiligt, mit der TSR ab 1979 auf die hereinbrechende "Satanic Panic" zu reagieren versuchte. Teil dessen war die Gründung eines eigenen "Education Department", das Materialien für den Schulunterricht entwickeln sollte. TSR wollte sich damit als ein besonders "verantwortungsbewusstes" Unternehmen präsentieren, dem "die Zukunft von Amerikas Jugend" am Herzen lag. Über eine gemeinsame Bekannte hatte Estes kurz zuvor Jean Blashfield Black kennengelernt, die äußerst geeignet erschien, diese Abteilung zu führen. Immerhin hatte sie in leitender Position an der Produktion der zwanzigbändigen Young People's Science Encyclopedia (1962) sowie der Enyclopedia of Aviation and Space Sciences Above and Beyond (1967) – mitgewirkt. Dennoch erwies sich das "Education Department" schon bald als eine Totgeburt. Zwar entstanden unter der Ägide von Black und James Ward tatsächlich drei "Abenteuermodule für den Schulunterricht", doch gelang es nicht, diese auch zu vermarkten. Zumal das Management sich weigerte, weitere professionelle Mitarbeiter*innen für das Projekt einzustellen. 
Erneut war es Rose Estes, die Schwung in die Sache brachte. Ungefähr zur selben Zeit packte sie nämlich erneut ihre Hippie-Wanderlust. Sie nahm sich den Sommer frei und folgte einem Wanderzirkus durch die Weiten Amerika. In Decorah (Iowa) angekommen, fiel ihr dabei in einem Waschsalon (!) zufällig ein "Choose Your Own Adventure" - Buch in die Hände. "I realized within a few pages, it was exactly what TSR needed to do to make people understand D&D ". Was folgte, schildert Cecilia D'Anastasio in ihrem Artikel Dungeons & Dragons Wouldn't Be What It Is Today Without These Women so:
Pushing aside her traveling circus adventure, Estes and her children drove back to Lake Geneva, Wisconsin and dropped the book on the desk of the head of sales. He gave it, and her, no thought for weeks, she said. She continued to remind him about the book, and he continued to ignore her, until finally, she remembers, he told her to write it herself if she cared so much. “I’d never written fiction. But I was so mad – Don’t tell me I can’t do something – so I did it. I wrote the book, longhand on legal pads. I took it back and gave it to him.” Later, after a meeting with a publishing company, Estes’ choose-your-own-adventure book was allegedly touted as an upcoming product. “The [head of sales] came back and casually dropped a pile of legal pads on my desk. He said, ‘Write three more.’ So I did.
Und so entstanden D&D's Endless Quest - Bücher. Die ersten vier, alle von Rose Estes geschrieben, erschienen 1982 und erwiesen sich als ein echter Verkaufsschlager. Die Serie wurde bis 1987 fortgesetzt und umfasste schließlich sechsunddreißig Bände. (9) 1983 entstand außerdem das etwas kuriose Spin-Off Heartquest, eine Mixtur aus "Choose Your Own Adenture" und Romance Novel, mit der man vor allem ein weibliches Publikum ansprechen wollte. (10)
Der Erfolg der Endless Quest - Bände führte dazu, dass sich das "Eductation Department" in eine Buchabteilung verwandelte. Und diese erhielt Ende 1982 / Anfang 1983 (?) Zuwachs durch eine neue Editorin. Margaret Weis hatte sich eigentlich für einen Posten als "Games Editor" beworben, aber da ihre bisherige Berufserfahrung nichts mit Spielen, aber dafür um so mehr mit Verlagswesen zu tun hatte, nahm Jean Black sie stattdessen in ihr kleines Team auf. Eine folgenschwere Entscheidung für das weitere Schicksal von Dragonlance.
 
Geboren und aufgewachsen in Independence (Missouri) hatte Margaret Weis schon von jungen Jahren an davon geträumt, einmal Schriftstellerin zu werden. 1970 machte sie ihren Bachelor - Abschluss in Literatur und "Creative Writing" an der University of Missouri, doch vorerst eröffneten sich ihre keine Möglichkeiten, ihrer wahren Leidenschaft nachzugehen. Sie arbeitete als Korrektorin, dann Lektorin bei einem kleinen Verlag in Kansas City, bis sie 1972 eine Anstellung bei Herald House im heimatlichen Independence fand. Dort legte sie in den folgenden zehn Jahren eine recht beachtliche Karriere hin. Dabei erhielt sie auch erstmals die Gelegenheit, selbst Bücher zu schreiben. Wenn auch nicht die Romane, die vorerst bloß als Manuskripte in ihrer Schreibtischschublade liegen blieben. Dafür erschienen über die Jahre eine ganze Reihe von Kinder- und Jugendbüchern aus ihrer Feder. Angefangen mit einer Biographie von Jesse und Frank James bis zu Sachbüchern über "computer graphics, robots and the history of Thanksgiving" sowie "an adventure book written at a 2nd-grade reading level (intended for prisoners)". (11) Eine Anzeige im Publisher's Weekly führte sie schließlich zu TSR.
 
Dort arbeitete Weis anfangs an der Endless Quest - Serie mit und schrieb auch einen eigenen Band (The Endless Catacombs). Doch schon bald wurde es ihre wichtigste Aufgabe, zusammen mit Tracy Hickman eine ungefähre Handlungsstruktur für die geplanten Dragonlance - Romane zu entwickeln. Es dauerte nicht lange und der allgemeine Enthusiasmus, der im Entwicklungsteam von "Project Overlord" herrschte, hatte auch sie gepackt. Wie sie später einmal erzählt hat:
Although I can remember being a bit intimidated by the people on the design team, particularly Michael Williams' red suspenders, Doug Niles's full beard, and Tracy's havit of talking with his feet propped up on the desk, I was soon enthralled with this world these people had created. I moved into Krynn, lock, stock and barrel (12)
Ähnlich wie bei Gygax' zeitgleichem Herzensprojekt, dem geplanten D&D - Film, für den James Goldman (The Lion in Winter [1968]; Robin and Marian [1976]) das Drehbuch schreiben sollte, wollte TSR auch für die Dragonlance - Romane anfangs einen namhaften Autor gewinnen, der nach den Vorgaben von Hickman & Weis die eigentlichen Bücher schreiben würde. Wen genau man dabei im Visier hatte, scheint unbekannt zu sein. Dass man damit scheiterte, hatte Margaret Weis zufolge hauptsächlich zwei Gründe: "[T]hey couldn't afford it for one, and for two none of the really big people wanted to write books and characters they didn't have the copyright on" Dennoch wandte man sich zuerst einmal an einen (oder mehrere?) professionelle(n) Schriftsteller. Doch die Ergebnisse waren unbefriedigend. Hickman und Weis gelangten mehr und mehr zu der Überzeugung, dass es an ihnen sei, die Bücher selbst zu schreiben:  .
I worked with Tracy, and the more we worked with the project, the more it became obvious to us that we were the people to write the books – mainly because we loved the game while this other author didn't – plus the fact he wasn't doing a very good job. So we got together one weekend and wrote the prologue for the first five chapters of DragonLance.
Jean Black zeigte sich beeindruckt von der Leseprobe, die die beiden ihr vorlegten, und so erhielten sie den offiziellen Auftrag, die Romane zu schreiben, die schließlich unter dem Titel Dragonlance: Chronicles erscheinen würden. Der erste Band Dragons of Autumn Twilight entstand parallel zu den entsprechenden Abenteuermodulen und orientiert sich inhaltlich sehr eng an Dragons of Despair (DL1) und Dragons of Flame (DL2). Doch schon bald realisierten Weis und Hickman, dass diese Herangehensweise ihnen nicht nur ein übergroßes Figurenensemble aufzwang, sondern ihnen auch erzählerisch zu große Einschränkungen auferlegte. Weshalb im zweiten Teil Dragons of Winter Night die Heldengruppe aufgespalten wird und der Handlungsverlauf sich stärker vom Inhalt der entsprechenden Module entfernt.
 
Während das Dragonlance - Team munter an seinem Weltenbau herumbosselte und Weis/Hickman ihrer Saga literarische Gestalt zu verleihen begannen, geriet TSR in eine immer tiefere Krise. Die in Aussicht gestellte alljährliche Verdoppelung der Verkaufszahlen hatte sich rasch als eine euphorische (Selbst)Illusion entpuppt. Viele der im "Jahr des Überschwangs" gestarteten Versuche, sich geschäftlich weiter aufzufächern, erwiesen sich schon bald als Fehlinvestitionen. Gygax' Traum von Hollywood rückte in immer weitere Ferne. Und im Management trieb der Nepotismus zum Teil groteske Blüten. Im Rechnungsjahr 1983 fuhr TSR zum ersten Mal Verluste in Höhe von $69.000 ein. Vor allem aber geriet das Unternehmen in immer größere Abhängigkeit zu den Banken, die es mit den nötigen Krediten versorgten und die auf tiefgreifendene Umstrukturierungen drängten. Es kam zu Umwälzungen in der Chefetage und Massenentlassungen. Zwischen 1983 und 1984 schrumpfte der feste Mitarbeiterstab von 400 auf 167 Angestellte. Das Erscheinungsjahr von Dragonlance, 1984, markierte das zehnjährige Jubiläum von TSR und war zugleich in den Worten von Jon Peterson das "cursed year" des jungen Unternehmens.
 
Inwieweit dies die Umstände beeinflusste, unter denen die Saga ans Licht der Öffentlichkeit trat, kann ich nicht beurteilen. Fakt ist jedenfalls, dass die Entscheidungsträger in der Konzernleitung dem Projekt, nun da es soweit war, mit großer Skepsis begegneten. Die ursprünglich auf zwölf Module angelegte Kampagne war bereits auf (vorerst) vier eingeschrumpft worden. Wie Doug Niles, der Dragons of Flame geschrieben hatte, berichtet: "I think the company wanted a plan so they could kill the module line after four adventures if it fizzled out." DL4 (Dragons of Desolation) war als vorläufiges Finale angelegt, mit dem die eigentliche Saga zwar nicht beendet, den Spieler*innen aber ein befriedigender Abschluss geboten wurde. Das Roman-Projekt wurde mit mindestens ebenso großer Vorsicht, wenn nicht offenem Misstrauen, gehandhabt. Margaret Weis erzählt: "All we got were people continually telling us it would fail, so in the end TSR only wanted to print 30,000 copies – but the minimum print run they could do was 50,000, and they had to settle for the larger run."
Entsprechend zurückhaltend gestaltete sich auch die offizielle PR. Im Januar und Februar 1984 erschienen unscheinbare, kleine Anzeigen im Dragon Magazine, die aus nicht viel mehr als dem Dragonlance - Logo und dem Schriftzug "coming soon!" bestanden. In der Märzausgabe wurde dann Margaret Weis' Kurzgeschichte The Test of the Twins abgedruckt. Dem folgte im April eine einseitige farbige Anzeige, die Clyde Caldwells Cover-Illustraton für das inzwischen erschienene Modul Dragons of Despair zeigte. Im Mai, dem Erscheinungsmonat von Dragons of Flame, gab es schließlich noch Roger E. Moores Story A Stone's Throw Away, mit der der Leserschaft die neue "Rasse" der Kender vorgestellt wurde. Danach wurde es erst einmal wieder still um die Saga, bis im November ein längerer Beitrag im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Dragons of Autumn Twilight erschien. Doch Chronicles: a novel idea beschäftigt sich hauptsächlich mit der Frage, was DMs und Spieler*innen für ihre Kampagne aus den Romanen beziehen könnten und wirkt deshalb beinahe wie ein "Rechtfertigungsversuch" für deren Existenz.
Wie schon während der Entwicklungsphase war es auch jetzt vor allem der Enthusiasmus des Teams, der Schwung in die Sache brachte. Mit der Gründung der "Weis and Hickman Traveling Road Show" startete man unabhängig vom Management eine eigene PR-Kampagne, die vor allem aus dramatisierten Lesungen bestand:
They enlisted the help of some friends, including Terry Phillips, whose whispery, raspy version of Raistlin Majere inspired the authors' portrait of the mage. Gary Pack played Tanis, Doug Niles was Flint, Tracy was Fizban the Fabulous, Laura Curtis [Hickman] played Bupu and Tika, and Harold Johnson portrayed Sturm Brightblade. Janet Pack was drawn in to play Tasslehoff, and other people were grabbed as they became available. (13) 
Den vorläufigen Höhepunkt bildete die GenCon im August 1984. Die hauseigene Convention in Wisconsin war traditionell der Ort, an dem TSR einem breiteren Publikum seine Neuerscheinungen präsentierte. In diesem Jahr wirkte sie dabei in Jon Petersons Worten wie eine Vorwegnahme dessen, "what a post-Gygax TSR might look like" (14). Bewusst geplant war das wohl nicht, auch wenn es symptomatisch erscheint, dass Gygax zu keiner der offiziellen Verantstaltungen als Gast eingeladen worden war. Aber im Rückblick wirken so Sachen wie Ed Greenwoods Spielrunde "Into the Forgotten Realms" und das "Dragonlance Interactive Theater" in der Tat wie Zeichen eines Zeitenwandels.
 
Das folgende Jahr sah die Veröffentlichung des ersten Dragonlance - Kalenders, der zweiten Charge an Modulen (DL6 - DL10) sowie des Rests der Chronicles - Trilogie, Dragons of Winter Night (April) und Dragons of Spring Dawning (November). Das Projekt hatte sich sehr schnell als voller Erfolg erwiesen und ebnete den Weg für eine der wichtigsten (und profitabelsten) künftigen Entwicklungen TSRs. Um noch einmal Game Wizards zu zitieren: "If the company showed any fresh promise in this diffuclt times, the move into fantsy novels, ones with tie-ins to the gaming portfolio, was probably it." (15) Die Chronicles verkauften sich so gut, dass Weis und Hickman umgehend an das Schreiben einer zweiten Trilogie, der Legends, gehen konnten, deren Bände im Verlaufe des nächsten Jahres erscheinen würden. Bis 1987 sollen sich die Bücher insgesamt zwei Millionen Mal verkauft haben. (16)
 
Der Erfolg der Dragonlance - Romane und der mächtige Impuls, der damit der weiteren Entwicklung von TSR's Buchabteilung gegeben wurde, führte erst einmal dazu, dass Gary Gygax sich einen lange gehegten Wunsch erfüllen und sein Debüt als Romanautor feiern konnte. Aber die Umstände, unter denen das geschah, sahen sicher anders aus, als er sich das vorgestellt hatte. Im Oktober 1985 erschien Saga of Old City als erster Teil einer Greyhawk Adventures - Buchreihe. Am 22. desselben Monats trat jene schicksalshafte Vorstandssitzung zusammen, in deren Verlauf Lorraine Williams, die Gygax zur Rettung des Unternehmens an Bord geholt hatte, überraschend offenlegte, dass sie sich hinter dessen Rücken die Mehrheit der Anteile gesichert hatte. Gygax verlor seinen Führungsposten und (für immer) die Kontrolle über D&D. Ein Jahr später verließ er TSR.

Wenn wir versuchen wollen, Dragonlance im Kontext der amerikanischen Fantasyliteratur (und ihrer Rückwirkung auf D&D) einzuordnen, ist ein kurzer Blick in Gygax' ersten Roman recht erhellend. Denn obwohl Saga of Old City sein Erscheinen im Grunde den Chronicles verdankte, verkörpert das Buch in gewisser Weise eine ältere Entwicklungsstufe.
Gygax hatte schon seit längerem mit der Idee gespielt, einen eigenen Roman zu schreiben. Und Gord the Rogue, der Held von Saga of Old City (und einer ganzen Reihe weiterer Bücher), war zwischenzeitlich sogar mal als Protagonist für ein Filmprojekt der DDEC (17) im Gespräch gewesen. Wie der Name schon vermuten lässt, handelt es sich um einen nachgerade archetypischen Sword & Sorcery - Helden. Gord ist ein Gauner aus den Slums von Greyhawk City, der erst zum erfolgreichen Meisterdieb, dann zum epischen Heroen aufsteigt. Im Vorwort zu seiner in Dragon #100 (August 1985) veröffentlichten Kurzgeschichte At Moonset Blackcat Comes gesteht Gygax ganz offen ein, dass Gord und sein barbarischer Kumpel Chert mehr als nur ein bisschen dem Vorbild von "Fritz Leiber's famous characters Fafhrd and the Gray Mouser" verdanken. Dies war die Spielart der Fantasy, auf der D&D ursprünglich in erster Linie beruht hatte. Schon das Vorwort zur allerersten Ausgabe des Regelwerks (1974) erwähnte als Vorbilder neben Leiber "Burroughs' Martian adventures", "Howard's Conan saga" und "the de Camp and Pratt fantasies". Tolkien hingegen wurde nicht genannt. Bis einschließlich Nr #27 (Juli 1979) wurde Dragon als "The Magazine of Fantasy, Sword & Sorcery, and Science Fiction Game Playing" verkauft. Und noch die Einleitung zum Dungeon Masters Guide (1979) bezeichnet AD&D ausdrücklich als "sword & sorcery role playing gaming". Darin spiegelte sich etwas von Gygax' persönlichen Vorlieben wieder. Wie er in einem in Dragon #95 (März 1985) erschienenen Artikel über seine prägenden Leseerlebnisse erzählt:
Somewhere I came across a story by Robert E. Howard, an early taste of the elixir of fantasy to which I rapidly became addicted. Even now I vividly recall my first perusal of Conan the Conqueror, Howard's only full-length novel. After I finished reading that piece of sword & sorcery literature for the first time, my concepts of adventure were never quite the same again.
In einem Interview mit TheOneRing bezeichnete er sich als "a Swords & Sorcery novel fan from way back – I read my first Conan yarn about 1948, was a fan and collector of the pulp SF and fantasy magazines since 1950". 
Doch natürlich war er damit nicht allein. Als Kyle Gray in ihrem Artikel Points to ponder (Dragon #39 [Juli 1980]) Beispiele für schwertschwingende Heldinnen aus der Fantasyliteratur aufzählte, griff sie dabei sicher nicht zufällig ausschließlich auf die S&S zurück: Jirel of Joiry, Dark Agnes, Red Sonja sowie "Roland Green's Gwyanna of his Wandor series". Kein Wort von Éowyn. Soweit meine beschränkten Kenntnisse mir erlauben, darüber ein Urteil abzugeben, scheint der Geist der Pulp-Phantastik in einem Gutteil des frühen D&D sehr präsent gewesen zu sein. Ein besonders schönes Beispiel dafür sind die drei Module von Tom Moldvay, die 1981/82 erschienen, und die ich gerne als sein "Pulp-Trio" bezeichne. Sie alle greifen sehr deutlich auf entsprechende Motive zurück: The Isle of Dread (zusammen mit David "Zeb" Cook geschrieben) enthält viel Lost World und King Kong (inklusive Dinos); The Lost City bedient sich bei Robert E. Howards Conan-Stories The Slithering Shadow & Red Nails und besitzt außerdem einen cthulhuiden Monstergott; Castle Amber schließlich quillt über vor literarischen Bezügen, vor allem auf Clark Ashton Smiths Averoigne-Geschichten und das Werk Edgar Allan Poes. (18) Moldvay war 1979 von seinem Freund Lawrence Schick an Bord geholt worden, nachdem dieser die Leitung von TSRs neu gegründetem Design Department übernommen hatte. Seit den Mitt - 70ern hatten die beiden eine eigene Kampagnenwelt entwickelt, die in abgewandelter Form nun mit dem Expertenset von 1981 zur "Known World" von D&D wurde (später Mystara genannt). Wie man diesem Artikel von Schick und diesen Q&As entnehmen kann, ließen sie sich dabei u.a. von Howards Hyborian Age und Lovecrafts Cthulhu-Mythos inspirieren.
Abgesehen von den persönlichen Vorlieben einzelner Autoren und Designer, entsprach dies auch dem allgemeineren Bild der amerikanischen Fantasy der 70er Jahre. Trotz der Tolkienbegeisterung der späten 60er war die Sword & Sorcery eindeutig das dominierende Subgenre. Parallel dazu erlebten eine ganze Reihe alter Pulp-Autor*innen ein Revival. Das änderte sich sehr deutlich im darauffolgenden Jahrzehnt. Der High Fantasy - Boom begann zwar schon 1977 mit der Veröffentlichung von Terry Brooks' Sword of Shannara, aber es dauerte eine Reihe von Jahren, bis er sich allgemein durchsetzte. 
 
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Gygax' Artikel The Influence of J.R.R. Tolkien on the D&D and AD&D games mehrere Monate nach der Veröffentlichung von Dragons of Autumn Twilight erschien. In ihm erklärte er, dass der Lord of the Rings keinen signifikanten Einfluss auf die Entstehung von D&D gehabt habe, und erklärte alle tolkienschen Versatzstücke, die dennoch ihren Weg in das Regelwerk gefunden hatten, mit Marketinggründen: 
The seeming parallels and inspirations are actually the results of a studied effort to capitalize on the then-current craze for Tolkien's literature. Frankly, to attract those readers – and often at the urging of persons who were playing prototypical forms of D&D games – I used certain names and attributes in a superficial manner, merely to get their attention! 
Der Artikel endet mit der apodiktischen Erklärung: "[I]t is well nigh impossible to recreate any Tolkien-based fantasy while remaining within the boundaries of the game system." Doch Dragonlance war im Grunde genau das! RPG-Kampagne wie Romane stellten in gewisser Weise die Anpassung von D&D an den High Fantasy - Boom der 80er Jahre dar. Zur selben Zeit versuchte TSR zwar auch noch mit Modulen wie Conan Unchained! (1984) und Conan Against Darkness! (1984) sowie dem Conan - RPG (1985) von David Cook an den Erfolg von John Milius' Conan the Barbarian (1982) anzuknüpfen, aber die Zukunft lag eindeutig in Krynn.
 
Und mit Tracy Hickman hatte man genau den richtigen Mann, um diese Wende in die Wege zu leiten. Dieser besitzt nämlich eine sehr spezielle, stark von seinen religiösen Überzeugungen geprägte Sicht auf das Genre. Für ihn ist Fantasy "a moral medium". Was genau er darunter versteht, wird deutlich, wenn man seinen Essay Ethics in Fantasy: Morality in D&D liest, eine sehr eigene Antwort auf die Satanic Panic der 80er Jahre. Dort teilt er die phantastische Literatur in drei Kategorien ein. Cyberpunk sei "clearly counter-moral" mit seiner "depressing view of society and the future". Das Subgenre findet deshalb keine Gnade unter seinem strengen Auge. Die Science Fiction im allgemeinen steht in der Mitte. Sie bezeichnet er als "amoral", da sie sowohl eine anti-moralische als auch eine moralische Sichtweise zum Ausdruck bringen könne. Doch sein Favorit ist eindeutig die Fantasy, denn ihr genuines Thema sei der Kampf zwischen Gut und Böse und damit eine klare moralische Einteilung der Welt. Natürlich meint er damit vor allem die High Fantasy – oder "epic fantasy" wie er sich ausdrückt.
Fantasy [...] and particularly epic fantasy has traditionally dealt with the conflicts of good and evil in fairly clear terms. Theirs little doubt about who's wearing the white hats in the Lord of the Rings.
Die Sword & Sorcery mit ihren nicht selten etwas anrüchigen Held*innen bewegte sich hingegen von Anfang an eher in einer moralischen Grauzone.
                 
Da die Protagonist*innen der Chronicles zugleich als Spielercharaktere in einer D&D - Kampagne fungierten, entsprechen sie nicht unbedingt den üblichen Konventionen der High Fantasy. Das gilt vor allem für die Kerntruppe der "Innfellows" – den grummeligen alten Zwerg Flint Fireforge, die ungleichen Zwillingsbrüder Caramon und Raistlin Majere, den stets frohgemuten Tasslehoff Burrfoot, den altmodisch-"ritterlichen" Sturm Brightblade und den nur zögerlich seine Anführerrolle akzeptierenden Tanis Half-Elven. Als wanderlustige Abenteurer, von denen sich einige zwischenzeitlich auch schon mal als Söldner verdingt haben, besitzen sie beinahe so etwas wie eine "Sword & Sorcery - Vergangenheit". Schankmädchen Tika gehört gleichfalls zu dieser Kategorie. Allerdings fällt auf, dass der obligatorische "Dieb" der Gruppe (schließlich sollten alle Charakterklassen vertreten sein), kein Gauner und Halunke ist, sondern der Kender Tas (in der deutschen Übersetzung Tolpan), Angehöriger eines Volkes, das von unzähmbarer Neugier getrieben ständig irgendwelche intereressanten Gegenstände "mitgehen" lässt, ohne dabei das Gefühl zu haben, einen Diebstahl zu begehen. Auch wenn dieses Verhalten hauptsächlich dazu dient, irgendwelche "humorvollen" Verwicklungen zu initiieren, scheint mir seine "Unschuld" außerdem ein hilfreicher Kniff zu sein, damit die Figur nicht mit der "moralischen Ordnung" der Erzählung in Konflikt gerät. (19) Denn nicht nur gesellen sich der Gruppe bald schon Figuren wie die "Barbarenprinzessin" (und von den Göttern auserwählte) Goldmoon und ihr Geliebter Riverwind sowie die aristokratischen Elfen Laurana und Gilthanas hinzu. Unsere Held*innen finden sich außerdem sehr rasch in einen gewaltigen Krieg zwischen den Mächten des Guten und des Bösen verwickelt, in dem ihnen eine zentrale Rolle zukommt und von dessern Ausgang das Schicksal der Welt abhängt. Immerhin sind nicht nur die Drachen, die seit langem nur noch als Gestalten aus Sage und Mythos galten, nach Krynn zurückgekehrt. Takhisis, Königin der Finsternis und höchste Göttin des Pantheons des "Bösen", hat vor, die Welt in körperlicher Form zu betreten und dort persönlich ihre Herrschaft aufzurichten.
Zwar existiert in der Welt von Dragonlance das eigentümliche Ideal eines "Gleichgewichts zwischen Gut und Böse" (20). Und selbst in den Chronicles ist die moralische Einteilung der Welt nicht völlig simplistisch. So besitzen auch die "guten" Völker ihre Schattenseiten. Sei es die quasi-kolonialistische Manier, in der die "zvilisierten" Elfenvölker von Qualinesti und Silvanesti auf ihre "wilden" Verwandten – die Kaganesti – herabschauen. Oder der verbohrte Adelsstolz der Ritter von Solamnia. Dennoch entspricht die Trilogie im Kern sehr gut Hickmans Vorstellungen von der "epic fantasy".  
 
Nun hege ich schon seit längerem den Verdacht, dass der High Fantasy - Boom der 80er Jahre in vielem ein Rückschritt war und darin allgemeinere gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegelte. Um diese These wirklich belegen zu können, müsste ich freilich erst einmal sehr viel mehr epische Fantasy der Zeit lesen. Und das wird mit ziemlicher Sicherheit nie geschehen. Ich bewege mich hier also auf extrem unsicherem Boden. Dennoch dachte ich mir, es könnte interessant sein, einige meiner dahingehenden Gedanken, soweit sie mit D&D und Dragonlance zu tun haben, hier kurz auszuführen.
 
Die 80er Jahre waren eine Ära der allgemeinen Reaktion. Dem Niedergang der rebellischen Massenbewegungen der 60er/70er und einer Reihe militanter Klassenkämpfe folgte der Gegenangriff der herrschenden Elite an allen Fronten – ökonomisch, politisch, ideologisch, kulturell. Dazu gehörte auch der Aufstieg des christlichen Fundamentalismus zu einer politisch einflussreichen Kraft. 
Die Satanic Panic war eine der Formen, in denen dies zum Ausdruck gelangte. Das wurde selbst in Rollenspielerkreisen registriert. Im November 1984 erschien ein Kommentar in Alarums & Excursions, in dem es hieß: "With Jerry Falwell now whispering in Ronny's (Reagans) ear, we might be seeing more of this. Stay tuned." (21) Anlass war die Neuveröffentlichung von Deities and Demigods unter dem "neutraleren" Titel Legends and Lore, wobei man zudem das leicht psychedelische Originalcover von Erol Otis durch ein High Fantasy - mäßiges Jeff Easley - Gemälde von Odin ersetzt hatte. Der Kommentator war nicht der einzige, der darin einen Kniefall vor "Moral Majority" und ähnlichen Gruppen sah.
Mein Eindruck ist, dass TSR sich dem konservativen Geist der Reagan-Ära ganz allgemein rasch und relativ widerstandslos anpasste. Offenbar stellte man bereits in den frühen 80ern eine Liste von Selbstzensur-Regeln auf, die sich eng an denen des berüchtigten Comics Code orientierten. Spätestens ab 1984 enthielt dieser "Code of Ethics" wohl auch folgende Punkte:

3: Agents of Law Enforcement: Agents of law enforcement (constables, policemen, judges, government officials, and respected institutions) should not be depicted in such a way as to create disrespect for current established authorities/social values. When such an agent is depicted as corrupt, the example must be expressed as an exception and the "culprit" should ultimately be "brought to justice".

4: Crime and Criminals: Crimes shall not be presented in such ways as to promote distrust of law enforcement agents/agencies or to inspire others with the desire to imitate criminals. Crime should be depicted as a sordid and unpleasant activity. Criminals should not be presented in glamorous circumstances. Player character thieves are constantly encouraged to act towards the common good.

Ähnliche Klauseln, die die herrschende Ordnung vor jeder Form von Kritik schützten, hatten schon in Hollywoods Hays Code der 30er Jahre gestanden. 
Allem Anschein nach wurden diese Regeln nie besonders strikt durchgesetzt (und bewahrten D&D selbstredend auch nicht vor dem Zorn konservativer Moralapostel). Aber ihre bloße Existenz ist denk ich vielsagend. Vor allem wenn man zum Vergleich einen Blick nach Großbritannien wirft. Denn wie auch immer man die spätere Entwicklung von Warhammer beurteilen mag, in seinen Anfängen besaß das Spiel ohne Zweifel einen satirisch-subversiven Zug und enthielt kaum verhüllte Spitzen gegen das Thatcher-Regime und gegen alles, was die Eiserne Lady verkörperte. Nicht nur hier zeigen sich TSR und Games Workshop als sehr gegensätzlich. (22)
Offen politischen Ausdruck fand TSRs Anpassung freilich selten. Das einzige mir bekannte Beispiel ist die Desert Master - Minikampagne. David "Zeb" Cooks Module Master of the Desert Nomads und Temple of Death (1983) sind zwar noch in erster Linie von der alten Pulp-Ästhetik geprägt. Doch das Szenario eines großen Krieges zwischen der Republik Darokin und den wilden und fanatisierten Horden aus der Wüste lässt bereits unverkennbar an das propagandistische Bild der Bedrohung aus dem "Nahen Osten" denken. Und in Michael Dobsons Red Arrow, Black Shield (1985) finden sich dann Illustrationen der Oberbösewichter Hosadus und Alrethus, die sich ohne Probleme als Karrikaturen von Ayatollah Khomeini und Oberst Gaddafi identifizieren lassen. 
 
Nichts dergleichen findet sich in der ursprünglichen Dragonlance - Saga. Dennoch würde ich behaupten, dass sich die Wende hin zur High Fantasy, die mit Kampagne und Romanen vollzogen wurde, zumindest sehr gut in diesen Anpassungsprozess einfügte. Nicht zufällig lautete Punkt 1 des "Code of Ethics":
Good vs. Evil: Evil shall never be portrayed in an attractive light and shall be used only as a foe to illustrate a moral issue. All product shall focus on the struggle of "good versus injustice and evil", casting the protagonist as an "agent of right."
Dazu passte Tracy Hickmans Vorstellung von der Fantasy als "moral medium" wie die Faust aufs Auge.

Aber was ist mit seiner Co-Autorin? Auch wenn Hickman die Grundidee für die Saga gehabt hatte, war Margaret Weis doch seine ebenbürtige Partnerin, als es daran ging, Dragonlance wirklich zum Leben zu erwecken. Hier wird es etwas schwierig. Hickman macht keinen Hehl daraus, eine "deeply religious person" zu sein, dessen schriftstellerisches Werk stark von seinem Glauben beeinflusst ist. Von Weis habe ich vergleichbare Aussagen über ihre Weltanschauung nicht finden können. Allerdings ist es schon auffällig, dass Herald House, der Verlag bei dem sie gearbeitet hatte, bevor sie zu TSR stieß, Eigentum der "Community of Christ " ist, einer Art mormonischen Konfession, die nicht der Hauptkirche angehört. Und auf jedenfall war auch für sie der Lord of the Rings das definierende Vorbild eines Fantasyromans:
I read Tolkien when it made its first big sweep in the colleges back in 1966. Agirlfriend of mine gave me copy of the books while I was in summer school at MU. I literally couldn’t put them down! I never found any other fantasy I liked, and just never read any fantasy after Tolkien. (23)
Dennoch ist es vielleicht kein Zufall, dass die moralisch ambivalenteste Figur der Saga, der Zauberer Raistlin, im Grunde ihre Schöpfung war: "[W]hen I first read what little there was about Raistlin in the design team's sourcebook, I knew he was mine." Sie machte ihn zum "tragic anti-hero; the man who will be finally consumed by his fatal flaw -- his thirst for power". Doch zugleich wollte sie erreichen, dass die Leser*innen Empathie für ihn empfinden. "I wanted people to understand him, to even identify with him". (24) Ob sie dabei das strikte Gut-Böse-Schema tatsächlich sprengte, ist Ansichtssache. Auf jedenfall schuf sie mit Raistlin die wohl interessanteste Figur der Saga. Und mit der Beziehung zwischen ihm und seinem Zwillingsbruder Caramon eines ihrer originellsten Motive. Schon in The Test of the Twins, der allerersten Dragonlance - Story, die das Publikum zu lesen bekam, geht es um sie:
Although twins; the two brothers could not have been more different. Raistlin, frail and sickly magician and scholar, pondered this difference frequently. They were one whole man split in two: Caramon the body, Raistlin the mind. As such, the two needed and depended on each other far more than other brothers. But, in some ways, it was an unwholesome dependence, for it was as if each was incomplete without the other. At least, this was how it seemed to Raistlin. He bitterly resented whatever gods had played such a trick which cursed him with a weak body when he longed for mastery over others. He was thankful that, at least, he had been granted the skills of a magician. It gave him the power he craved. These skills almost made him the equal of his brother.
Caramon – strong and muscular, a born fighter – always laughed heartily whenever Raistlin discussed their differences. Caramon enjoyed being his „little“ brother's protector. But, although he was very fond of Raistlin, Caramon pitied his weaker twin. Unfortunately, Caramon had a tendency to express his brotherly concern in unthoughtful ways. He often let his pity show, not realizing it was like a knife twisting in his brother's soul.

Es mag nicht die eleganteste Art sein, in der Margaret Weis diese Beziehung hier einführt. Und in Nuancen würde das Verhältnis der beiden Brüder sich später auch noch verändern. Dennoch überrascht es nicht, dass die zweite Trilogie Dragonlance: Legends das Brüderpaar ganz ins Zentrum rückt. Oder doch zumindest diesen Anschein erweckt, wenn man sich die Titel (Time of the Twins - War of the Twins - Test of the Twins) und die ursprünglichen Larry Elmore - Cover anschaut.

                                                  * * *

Der erste Teil unseres Gespräches über diese Bücher wird nächsten Freitag auf Alessandras Blog FragmentAnsichten erscheinen. Zuvor wird es aber noch zwei weitere "Begleitartikel" geben. Am Montag werde ich ein paar der mormonischen Motive, die sich vor allem in den Chronicles finden, etwas genauer unter die Lupe nehmen. Denn wie inzwischen klar sein sollte, spielten Tracy Hickmans religiöse Überzeugungen eine wichtige Rolle für die "moralische Ordnung" der ursprünglichen Saga. Allerdings sollte der damit verbundene strikte Gut-Böse-Dualismus in der weiteren Entwicklung des Franchises eine Relativierung erfahren. Worauf Alessandra, die da sehr viel belesener ist als ich, dann am Mittwoch in ihrem Beitrag Kanonenfutter mit Identitätskrise Die Drakonier eingehen wird.

 

 

(1) Peter Archer schreibt in 30 Years of Adventure dies sei bereits "before he went abroad" geschehen. Aber das klingt unglaubwürdig und scheint auch einem Interview in Dragon #120 (April 1987) zu widersprechen, in dem Tracy Hickman erzählt, wie er eines Abends eher zufällig in Lauras Spielgruppe hineingestolpert sei, woraufhin sie ihm "the blue Basic set" zum Geburtstag geschenkt habe. Diesem Artikel zufolge geschah dies denn auch 1978, ein Jahr nach dem Erscheinen der "blauen Box".

(2) Peter Archer: Dragonlance. In: 30 Years of Adventure: A Celebration of Dungeons & Dragons. S. 66.

(3) Mary Kirchoff: The Art of the Dragonlance Saga. S. 8.

(4) 30 Years of Adventure. S. 65.

(5) Zit. nach: Mary Kirchoff: The Art of the Dragonlance Saga. S. 8/9.

(6) Zit. nach: Ebd. S. 9. Die vier Ölgemälde enthalten einige interessante Details. So hat Kitiara noch langes blondes Haar. Vermutlich wurde dies später verändert, um den Gegensatz zu Laurana, die hier noch gar nicht auftaucht, hervorzuheben. Der Schmied Theros Ironfeld, der zu einer der ganz wenigen schwarzen Figuren der Ursprungssaga werden sollte, erscheint noch als alter weißer Mann. Flint Fireforge trägt bunte Dandyklamotten. Und vielleicht am erstaunlichsten: Tanis Half-Elven gehörte offenbar nicht zu den ursprünglichen Hauptfiguren! Drei der Gemälde kann man sich hier anschauen.

(7) Zit. nach: Jon Peterson: Game Wizards. The Epic Battle for Dungeons & Dragons. S. 251.

(8) Ebd. S. 234.

(9) Insgesamt schrieb Estes neun dieser Bücher, die in den 80er Jahren auch alle in deutscher Übersetzung bei Bertelsmann erschienen sind. Die Rache der Regenbogendrachen und Die Säulen von Pentegarn müssten hier sogar irgendwo noch rumfliegen ...

(10) Estes verließ TSR 1983, nachdem man ihr verweigert hatte, eine zuvor versprochene Option auf den Erwerb einiger Unternehmensanteile wahrzunehmen. Ein Jahr später verklagte sie die Firma. Dennoch würde sie ab 1987 noch ganze fünf Greyhawk Adventures - Romane für deren Buchabteilung schreiben.

(11) TSR Profiles (Margaret Weis). In: Dragon #243 (Januar 1998). S. 120.

(12) Zit. nach: Mary Kirchoff: The Art of the Dragonlance Saga.S. 12.

(13) Peter Archer: Dragonlance. In: 30 Years of Adventure. S, 72/74.

(14) Jon Peterson: Game Wizards. S. 280.

(15) Ebd. S. 283.

(16) Vgl.: TSR Profiles (Tracy Hickman). In: Dragon #120 (April 1987). Ein Jahr später verließen die beiden TSR. Margaret Weis hat die Gründe dafür einmal so beschrieben: "TSR has a theory there will be no stars. It's not like we felt that suddenly we had become such a wonderful success that they should treat us well. It was simply that with all their writers and artists, they had a pool of many wonderful creative people they could have promoted for the company's benefit. But instead they took great pleasure in beating you down and constantly telling you that anybody could have done this, that TSR could have picked up anybody off the street and got them to write the same book or paint an almost identical cover." Als ihr gemeinsames Darksword - Projekt abgelehnt wurde und man ihnen bei Bantam Books für dasselbe ein verführerisches Angebot machte, gab es keinen Grund mehr zu bleiben.  

(17) Dungeons and Dragons Entertainment Corporation, der 1983 gegründete Arm von TSR, der für Film- und Fernsehproduktionen verantwortlich war und sich unter Gygax' persönlicher Führung in Hollywood etablierte.

(18) Über Castle Amber habe ich vor sechs Jahren hier schon einmal was geschrieben.

(19) Was nicht heißt, dass ich glauben würde, die Kender-Rasse und die Figur des Tas seien bewusst aus diesem Grund geschaffen worden. Die Kender sind in erster Linie ein Hobbit/Halbling - Ersatz, da das Design-Team zu heftige Tolkienanleihen vermeiden wollte. Und offenbar hatten sie alle furchtbar viel Spaß mit Tas. Na ja, ich schätze, man muss nicht alles verstehen können ... 

(20) Bei  dieser erneuten Beschäftigung mit Dragonlance ist mir die Idee eines Gleichgewichts ehrlich gesagt immer unverständlicher geworden. In einer Welt wie dem moorcock'schen Multiversum, in der sich mit Chaos und Ordnung (Law) unterschiedliche Philosophien und keine moralischen Prinzipien gegenüberstehen, wäre ein solches Ideal für mich einleuchtend. Aber das ist hier ja nicht der Fall. Wenn "böse" wirklich böse bedeutet (Gewalt, Unterdrückung, Grausamkeit etc.), finde ich es schwer nachvollziehbar, was das positive an einer solchen "Balance" sein soll.   

(21) Zit. nach: Jon Peterson: Game Wizards. S. 282.

(22) Irgendwann möchte ich mich unter diesem Blickwinkel mal etwas genauer mit der britischen Szene der 80er Jahre beschäftigen und dann nicht nur mit Games Workshop. Doch dafür bräuchte es erst noch mal ein gerüttelt Maß an Recherche-Arbeit.

(23) TSR Profiles (Margaret Weis). In: Dragon #120 (April 1987) 

(24) Zit. nach: Mary Kirchoff: The Art of the Dragonlance Saga. S. 47/48.