Teil 3: Lektüre-Rückblick
Dies ist der dritte Teil einer kleinen Artikelserie, die Alessandra von FragmentAnsichten und ich anlässlich unseres Rereads von Patricia McKillips Erdzauber veranstalten. Im ersten Teil habe ich mich mit dem genrehistorischen Kontext beschäftigt, in dem die Trilogie Ende der 70er Jahre erschien. Danach hat sich Alessandra auf ihrem Blog mit Motiven der inselkeltischen Mythologie auseinandergesetzt, die sich in Erdzauber finden. Anschließend wollten wir beide eigentlich etwas über unseren Erstkontakt mit der Trilogie berichten. Alessandra hat das auch getan. Bei mir sieht es ein bisschen anders aus.
Eigentlich sollte es in diesem Beitrag ja um die allererste Begegnung mit Erdzauber gehen. Aber um ehrlich zu sein, kann ich mich da an nicht mehr allzuviel erinnern, und der Artikel wäre noch kürzer und ziemlich nichtssagend ausgefallen. So werde ich denn stattdessen über meine drei früheren Lektüren berichten, die jeweils im Abtand von ungefähr 10 Jahren stattgefunden haben und in deren Verlauf sich mein Blick auf Patricia McKillips Trilogie mehr und mehr gewandelt hat.
Erdzauber erschien erstmals 1981 in Deutschland bei Goldmann in einer Übersetzung von Mechtild Sandberg. Ich nehme an, es war eine etwas spätere Auflage, die mich in der ersten Hälfte der 80er zum ersten Mal ins Reich des Erhabenen entführte. Auf jedenfall war die Lektüre Teil meiner ersten "Fantasyphase", die mit Michael Endes Unendlicher Geschichte begonnen hatte, dann aber vor allem vom Herr der Ringe und allem anderen, was ich von Tolkien in die Finger kriegen konnte, geprägt worden war.
Wie gesagt habe ich keine starken Erinnerungen daran. Ich weiß noch, dass mich die Rätselgeschichten faszinierten, die immer mal wieder in die Handlung eingestreut sind. Vor allem eine von ihnen, die von einem Mann erzählt, der sich unwissentlich von seinem größten Feind einmauern lässt, in dem Irrglauben, die Mauer diene seinem Schutz. Das brachte ich irgendwie mit eigenen Gefühlen von Ausgegrenztheit, Angst und Isolation in Verbindung. Doch abgesehen davon, scheint mich Erdzauber nicht besonders stark beeindruckt zu haben. Aber hey, ich war 10/11 Jahre, und in dem Alter hat man sicher nicht den feinsten literarischen Geschmack.
Deutlich anders schaute es aus, als ich die Trilogie Mitte der 90er Jahre erneut zur Hand nahm. In der Zwischenzeit hatte ich mich weitestgehend von der Phantastik abgewandt und jahrelang in anderen literarischen Gefilden getummelt. Erdzauber dürfte eines der ersten Fantasybücher gewesen sein, dem ich mich erneut zuwandte. Und ich war ziemlich begeistert.
Aus heutiger Sicht wundere ich mir zwar ein bisschen darüber, aber alle unkonventionelleren Wendungen in der Handlung überraschten mich wirklich und ich brauchte fast bis zum Ende des Romans, um die wahre Natur Thods und die Rolle des Sternenträgers zu enträtseln. Wahrscheinlich war mein Bild von epischer Fantasy zu diesem Zeitpunkt noch völlig von den geradlinigen High Fantasy - Romanen geprägt, die einen Gutteil meiner Kindheitslektüre gebildet hatten. Jedenfalls fand ich Erdzauber bei dieser zweiten Begegnung extrem packend. Auch wenn ich leider etwas bezweifle, dass die Trilogie auf jüngere Lesende heute noch so wirken würde.
Meine dritte Begegnung muss sich irgendwann in den 2000ern abgespielt haben. Inzwischen befand ich mich tief in meiner zweiten "Fantasyphase". Und diesmal waren es nicht länger irgendwelche Plottwists, sondern vor allem die poetische Sprache, die mich begeisterte. Eng damit verbunden außerdem die Art, in der Patricia McKillip Magie darstellt. Bis heute würde ich sagen, dass sie in dieser Hinsicht eine meiner absoluten Favoritinnen in der phantastischen Literatur ist.
Es ist vielleicht etwas unfair, die Verantwortung dafür ausschließlich auf D&D abzuwälzen. Schließlich hatte Gary Gygax da sehr viel von Jack Vances Tales of the Dying Earth geklaut. Dennoch glaube ich, dass das Aufkommen von RPGs sehr viel dazu beigetragen hat, die Idee von "Magiesystemen" in der Fantasyliteratur zu verbreiten. Und mit denen hab' ich so meine Probleme. Es sei denn, Magie wird in der Erzählung bewusst als ein Analog für Technik verwendet. Andernfalls führen sie in meinen Augen gar zu oft dazu, dieselbe ihrer zauberhaften Aura zu berauben und sie banal erscheinen zu lassen.
Wie dem auch sei, in Erdzauber jedenfalls hat Magie nichts mit dem Herunterbeten irgenwelcher Formeln oder dem Herumfuchteln mit Zauberstäben zu tun. Es geht dabei vor allem um Einfühlen – Einfühlen in die Natur und die Elemente, in andere Lebewesen und Personen. Und McKillip versteht dies auf wunderbare Weise zu beschreiben. Man nehme etwa die folgende Schilderung von Morgons erster Verwandlung in einen Baum:
Er rührte sich nicht. Die Kälte begann ihn zu quälen und verging, als die Stille greifbar wurde, mit seinem Atem und seinem Herzschlag pulsierte, in seine Gedanken und in seine Knochen einsickerte, bis er sich ausgehöhlt fühlte, eine Hülle winterlicher Stille. Die Bäume, die ihn umringten, schienen eine Wärme einzuschließen, die vor dem Winter schützte wie die Steinhäuser von Kyrth. Als er lauschte, hörte er plötzlich das Rauschen ihrer Adern, die aus den Tiefen unter dem Schnee und unter der hartgefrorenen Erde Leben sogen. Er fühlte sich angewurzelt, in den Rhythmus des Berges eingebunden; sein eigener Rhythmus wurde still, verlor sich, aller Erinnerung fern, in der Stille, die ihn formte. Ein Wissen ohne Worte durchpulste ihn von zeitlosem Alter, von grimmigen Stürmen, vom Beginn und vom Ende der Jahreszeiten, von einem geduldigen, ruhigen Warten auf etwas, das tiefer lag als Wurzeln, das tiefer als das Herz des Berges Isig in der Erde schlief, das eben zu erwachen begann ...
Es gab zwar auch in der Welt von Erdzauber einmal eine Art Magierakademie. Aber mit ziemlicher Sicherheit sollten wir uns die Schule von Lungold nicht wie ein zweites Hogswart (oder auch nur Roke) vorstellen.
Wenn Morgon von König Har die Kunst lernt, sich in eine der rentierartigen Vesta zu verwandeln, sind die Parallelen zu einem schamanistischen Ritual sehr offensichtlich. Die beiden verbringen mehrere Tage und Nächte in einer Art Schwitzhütte. Morgon muss seinen Geist dem Geist des Wolfskönigs öffnen, bis es ihm unter dessen Anleitung schließlich gelingt, sich in das Wesen des Landes und der herumstreifenden Vesta einzufühlen. Zum Abschluss werden ihm zwei Male in die Handflächen eingebrannt.
Wenn ich so auf meine drei früheren Lektüren von Erdzauber zurückschaue, wird mir klar, dass ich Patricia McKillips Trilogie bei jedem erneuten Lesen tiefer zu schätzen gelernt habe. Und das, obwohl ich über die Jahre eigentlich eine immer kritischere Einstellung gegenüber klassischen High Fantasy - Erzählungen entwickelt habe. Meine Erfahrung war also das genaue Gegenteil der typischen ernüchternden Wiederbegegnung mit einer nostalgisch verklärten Kindheits- oder Jugendlektüre.
Und auch bei meinem dritten Reread sind mir wieder andere, bislang nicht so bewusst wahrgenommene Facetten ins Auge gestochen, die meine Wertschätzung für diesen Klassiker erhöht haben. Doch darauf komme ich in dem abschließenden Gespräch mit Alessandra zu sprechen, dessen zwei Teile wir (wenn alles klappt) am nächsten Freitag & Montag veröffentlichen werden ...
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