Vor kurzem habe ich mir Julie Hoversons Hörspiel-Adaption von H.P. Lovecrafts Erzählung The Rats in the Walls angehört, die man zusammen mit vielen anderen Hörspielen und Lesungen {nicht nur von Werken des alten Gentlemans} auf der famosen Website 19 Nocturne Boulevard finden kann.
Ich muss allerdings zugeben, dass sie mir nicht 100%ig zugesagt hat. Schon eher nach meinem Geschmack ist da Hoversons Adaption von The Dunwich Horror {mit Drunken Zombies Lord Blood-Rah als der "Stimme des Necronomicon"!}.Bei den Ratten erschien mir vieles zu überzogen gespielt, und auch wenn ich absolut nichts gegen eine parodistische Herangehensweise an Lovecraft habe, finde ich eine Vermischung von "ernsthaft" und "ironisch" doch nicht wirklich klug. Jedenfalls nicht, wenn sie sich bis in das grausige Finale in den Gewölben unter Exham Priory erstreckt. Keinerlei Probleme hingegen habe ich damit, dass die Hauptfigur zu Mrs. De la Poer {gesprochen von Julie Hoverson selbst} geworden ist. Frauen sind in Lovecrafts Oeuvre mehr als bloß "unterrepräsentiert", und eine kleine Korrektur kann da absolut nichts schaden. Was mir außerdem besonders gut gefallen hat, ist, dass die Autorin das Motiv von De la Poers Sohn, der an den Folgen einer Weltkriegsverletzung gestorben ist, gegenüber ihrer Vorlage deutlich stärker betont, in dem sie die Erzählung immer wieder durch Auszüge aus Briefen des jungen Soldaten unterbricht. Denn es ist dieses Motiv, welches Rats in the Walls in meinen Augen sehr deutlich von beinahe allen anderen Lovecraft-Stories unterscheidet und der Erzählung einen Hauch echter Menschlichkeit verleiht, wie wir ihn vom alten Gentleman sonst eher nicht gewohnt sind.
Im Kern freilich ist The Rats in the Walls einmal mehr eine Geschichte über Degeneration und Atavismus, und spiegelt insofern die von mir schon öfters angesprochene Angst Lovecrafts vor einem Zusammenbruch der Zivilisation {wohl aber auch vor den "triebhaften" Elementen seiner eigenen Persönlichkeit} wider:
Der reiche Amerikaner De la Poer zieht nach England und kauft den ehemaligen Familiensitz Exham Priory, den er restaurieren lässt, um dort seinen Lebensabend zu verbringen, nachdem sein einziger Sohn den Verletzungen erlegen ist, die ihm im Weltkrieg zugefüt wurden.
Schon bald erfährt er, dass seine Familie in der alten Heimat selbst noch nach Jahrhunderten einen denkbar schlechten Ruf genießt. Man erzählt sich wüste Schauergeschichten über die blutigen Untaten und perversen Ausschweifungen der alten De la Poers. Walther, der Vorfahr unseres Helden, ermordete schließlich im 17. Jahrhunderts seine ganze Sippschaft und floh nach Virginia. Drei Monate nach diesem Ereignis soll ein riesiges Heer von Ratten aus dem verlassenen Schloss hervorgequollen und über das Umland hergefallen sein. Und dann gibt es da auch noch düstere Legenden über einen Tempel der Muttergöttin Kybele, der in antiken Zeiten an der Stelle von Exham Priory gestanden haben soll. Man munkelt von bizarren Ritualen, die auch Jahrhunderte nach dem offiziellen Untergang des Kultes von heimlichen Anhängern der Magna Mater zelebriert worden seien.
Kaum ist De la Poer in die wiederaufgebaute Burg eingezogen, da geschehen merkwürdige Dinge. Des nachts quälen ihn Alpträume von einem furchtbaren Schweinehirten und seiner pilzüberwucherten Herde. Außerdem glaubt er, das Getrappel unzähliger Ratten hinter den Wänden seines Schlafzimmers zu hören, obwohl es eigentlich keine Nager in dem Gebäude geben dürfte. Die Tiere scheinen durch das Gemäuer nach unten zu laufen – in den Keller und noch tiefer hinab. Man entdeckt einen geheimen Eingang und zusammen mit sechs anderen Männern, zu denen auch sein Nachbar Norrys und ein Spiritist namens Thornton gehören, beginnt De la Poer den Abstieg in das Reich des Grauens:
Der Abstieg ins Innere der Erde ist offensichtlich ein Abstieg "zu den Wurzeln", in die Vergangenheit sowohl der Familie De la Poer als auch der Menschheit. Zugleich lässt sie sich als eine Reise ins Unterbewusste interpretieren. Und möglicherweise spielt auch noch das klassische Motiv der Unterweltfahrt mit hinein, ist die Höhle doch so etwas wie ein Totenreich.
Dass es dabei um mehr als nur eine Art Familienfluch geht, machen die eigenartigen Bauwerke deutlich, die sich in der gewaltigen Grotte befinden, und für deren Vorhandensein es keinen vernünftigen Grund gibt. Offensichtlich sollen sie unterschiedliche Entwicklungsstufen der Zivilisation repräsentieren, so wie die verschiedenartigen Skelettformen die biologische Evolution des Menschen verkörpern. In De la Poers wahnsinnigem Gestammel vollzieht sich gleichfalls eine Art "kulturelle" Rückentwicklung – von Neuenglisch über Angelsächsisch zu Kymrisch (Walisisch). Es wird hier also gleich auf mehreren Ebenen ein atavistischer Rückfall in die Barbarei beschrieben.
Interpretieren wir den Abstieg in die Höhle als Vordringen ins Unterbewusste, so würde das bedeuten, dass sich unter der dünnen, über Jahrhunderte gewachsenen Schicht aus Kultur und Zivilisation immer noch die primtive, menschenfressende Bestie verbirgt, die jeden Augenblick wieder hervorbrechen kann. Ein typisch lovecraftianisches Motiv.
Und was die mögliche Parallel zu einer Unterweltfahrt angeht: Warum suchen Helden wie Odysseus oder Aeneas den Hades auf? Um etwas über die Zukunft zu erfahren ...
So weit ist das alles zwar recht beeindruckend umgesetzt, aber eben doch typisch Lovecraft. Doch wenn der dem Wahnsinn verfallende De la Poer "The war ate my boy, damn them all ..." hervorstößt, dann wird damit plötzlich eine Note angeschlagen, die in einer Erzählung des Gentlemans von Providence eher fremd wirkt. Zumindest andeutungsweise zeigt sich hier eine ganz andere Idee als die von der allgemeinen Degeneration: Wenn die gesellschaftliche Wirklichkeit so grausam ist, wenn Hundertausende junger Menschen auf den Schlachtfeldern des Weltkriegs einen sinnlosen Tod sterben mussten, was ist dann an offenem Kannibalismus noch so schrecklich?
Ich kann natürlich nicht wirklich beweisen, dass dies tatsächlich Lovecrafts Gedanke gewesen ist. Doch was mich darin bestärkt, zu glauben, dass meine Interpretation nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, ist die sich direkt anschließende Schlusspassage der Erzählung. Wie sonst fast nie in seinen Geschichten zeigt der alte Gentleman hier nämlich so etwas wie ehrliches Mitgefühl für seinen Protagonisten:
* Ja, ich würde meine Katze auch nicht so nennen, und finde es völlig in Ordnung, dass Julie Hoverson ihr einen anderen Namen verpasst hat. Es ist jedoch vielleicht ganz interessant, zu erfahren, dass Lovecraft selbst als Kind eine Katze namens Nigger-Man besessen hatte, die fortlief, kurz nachdem die Familie das Haus des alten Whipple van Buren Philipps hatte verlassen müssen, d.h. zu genau dem Zeitpunkt, als der für den Autor offenbar traumatische soziale Absturz der Familie stattgefunden hatte.
Im Kern freilich ist The Rats in the Walls einmal mehr eine Geschichte über Degeneration und Atavismus, und spiegelt insofern die von mir schon öfters angesprochene Angst Lovecrafts vor einem Zusammenbruch der Zivilisation {wohl aber auch vor den "triebhaften" Elementen seiner eigenen Persönlichkeit} wider:
Der reiche Amerikaner De la Poer zieht nach England und kauft den ehemaligen Familiensitz Exham Priory, den er restaurieren lässt, um dort seinen Lebensabend zu verbringen, nachdem sein einziger Sohn den Verletzungen erlegen ist, die ihm im Weltkrieg zugefüt wurden.
Schon bald erfährt er, dass seine Familie in der alten Heimat selbst noch nach Jahrhunderten einen denkbar schlechten Ruf genießt. Man erzählt sich wüste Schauergeschichten über die blutigen Untaten und perversen Ausschweifungen der alten De la Poers. Walther, der Vorfahr unseres Helden, ermordete schließlich im 17. Jahrhunderts seine ganze Sippschaft und floh nach Virginia. Drei Monate nach diesem Ereignis soll ein riesiges Heer von Ratten aus dem verlassenen Schloss hervorgequollen und über das Umland hergefallen sein. Und dann gibt es da auch noch düstere Legenden über einen Tempel der Muttergöttin Kybele, der in antiken Zeiten an der Stelle von Exham Priory gestanden haben soll. Man munkelt von bizarren Ritualen, die auch Jahrhunderte nach dem offiziellen Untergang des Kultes von heimlichen Anhängern der Magna Mater zelebriert worden seien.
Kaum ist De la Poer in die wiederaufgebaute Burg eingezogen, da geschehen merkwürdige Dinge. Des nachts quälen ihn Alpträume von einem furchtbaren Schweinehirten und seiner pilzüberwucherten Herde. Außerdem glaubt er, das Getrappel unzähliger Ratten hinter den Wänden seines Schlafzimmers zu hören, obwohl es eigentlich keine Nager in dem Gebäude geben dürfte. Die Tiere scheinen durch das Gemäuer nach unten zu laufen – in den Keller und noch tiefer hinab. Man entdeckt einen geheimen Eingang und zusammen mit sechs anderen Männern, zu denen auch sein Nachbar Norrys und ein Spiritist namens Thornton gehören, beginnt De la Poer den Abstieg in das Reich des Grauens:
Through a nearly square opening in the tiled floor, sprawling on a flight of stone steps so prodigiously worn that it was little more than an inclined plane at the centre, was a ghastly array of human or semi-human bones. Those which retained their collocation as skeletons showed attitudes of panic fear, and over all were the marks of rodent gnawing. The skulls denoted nothing short of utter idiocy, cretinism, or primitive semi-apedom. [...]De la Poer wird schlagartig bewusst, worin das grausige Geheimnis seiner Sippe besteht. Seine Vorfahren waren Kannibalen und diese Höhle hatte einst die Funktion eines riesigen "Viehstalls". Während er durch die grauenvolle Szenerie taumelt, beginnen sich seine Gedanken allmählich immer mehr zu verwirren. Er verliert seine Begleiter aus den Augen, nur Captain Norrys ist noch in seiner Nähe. Und dann ...
I must be very deliberate now, and choose my words. After ploughing down a few steps amidst the gnawled bones we saw that there was light ahead; not any mystic phosphorescence, but a filtered daylight which could not come except from unknown fissures in the cliff that over-looked the waste valley. [...]
It was a twilit grotto of enormous height, stretching away farther than any eye could see; a subterraneous world of limitless mystery and horrible suggestion. There were buildings and other architectural remains – in one terrified glance I saw a weird pattern of tumuli, a savage circle of monoliths, a low-domed Roman ruin, a sprawling Saxon pile, and an early English edifice of wood – but all these were dwarfed by the ghoulish spectacle presented by the general surface of the ground. For yards about the steps extended an insane tangle of human bones, or bones at least as human as those on the steps. Like a foamy sea they stretched, some fallen apart, but others wholly or partly articulated as skeletons; these latter invariably in postures of daemoniac frenzy, either fighting off some menace or clutching other forms with cannibal intent. When Dr Trask, the anthropologist, stopped to classify the skulls, he found a degraded mixture which utterly baffled him. They were mostly lower than the Piltdown man in the scale of evolution, but in every case definitely human. Many were of higher grade, and a very few were the skulls of supremely and sensitively developed types. All the bones were gnawed, mostly by rats, but somewhat by others of the half-human drove. Mixed with them were many tiny bones of rats -- fallen members of the lethal army which closed the ancient epic.
My searchlight expired, but still I ran. I heard voices, and yowls, and echoes, but above all there gently rose that impious, insidious scurrying; gently rising, rising, as a stiff bloated corpse gently rises above an oily river that flows under the endless onyx bridges to a black, putrid sea. Something bumped into me - something soft and plump. It must have been the rats; the viscous, gelatinous, ravenous army that feast on the dead and the living ... Why shouldn't rats eat a de la Poer as a de la Poer eats forbidden things? ... The war ate my boy, damn them all ... and the Yanks ate Carfax with flames and burnt Grandsire Delapore and the secret ... No, no, I tell you, I am not that daemon swineherd in the twilit grotto! It was not Edward Norrys' fat face on that flabby fungous thing! Who says I am a de la Poer? He lived, but my boy died! ... Shall a Norrys hold the land of a de la Poer? ... It's voodoo, I tell you ... that spotted snake ... Curse you, Thornton, I'll teach you to faint at what my family do! ... 'Sblood, thou stinkard, I'll learn ye how to gust ... wolde ye swynke me thilke wys?... Magna Mater! Magna Mater!... Atys... Dia ad aghaidh's ad aodaun... agus bas dunarch ort! Dhonas 's dholas ort, agus leat-sa!... Ungl unl... rrlh ... chchch... This is what they say I said when they found me in the blackness after three hours; found me crouching in the blackness over the plump, half-eaten body of Capt. Norrys.Rats in the Walls gehört ohne Zweifel zu Lovecrafts eindrucksvollsten Geschichten. Ihr symbolischer Charakter ist unschwer zu erkennen, aber nicht eindeutig aufzuschlüsseln.
Der Abstieg ins Innere der Erde ist offensichtlich ein Abstieg "zu den Wurzeln", in die Vergangenheit sowohl der Familie De la Poer als auch der Menschheit. Zugleich lässt sie sich als eine Reise ins Unterbewusste interpretieren. Und möglicherweise spielt auch noch das klassische Motiv der Unterweltfahrt mit hinein, ist die Höhle doch so etwas wie ein Totenreich.
Dass es dabei um mehr als nur eine Art Familienfluch geht, machen die eigenartigen Bauwerke deutlich, die sich in der gewaltigen Grotte befinden, und für deren Vorhandensein es keinen vernünftigen Grund gibt. Offensichtlich sollen sie unterschiedliche Entwicklungsstufen der Zivilisation repräsentieren, so wie die verschiedenartigen Skelettformen die biologische Evolution des Menschen verkörpern. In De la Poers wahnsinnigem Gestammel vollzieht sich gleichfalls eine Art "kulturelle" Rückentwicklung – von Neuenglisch über Angelsächsisch zu Kymrisch (Walisisch). Es wird hier also gleich auf mehreren Ebenen ein atavistischer Rückfall in die Barbarei beschrieben.
Interpretieren wir den Abstieg in die Höhle als Vordringen ins Unterbewusste, so würde das bedeuten, dass sich unter der dünnen, über Jahrhunderte gewachsenen Schicht aus Kultur und Zivilisation immer noch die primtive, menschenfressende Bestie verbirgt, die jeden Augenblick wieder hervorbrechen kann. Ein typisch lovecraftianisches Motiv.
Und was die mögliche Parallel zu einer Unterweltfahrt angeht: Warum suchen Helden wie Odysseus oder Aeneas den Hades auf? Um etwas über die Zukunft zu erfahren ...
So weit ist das alles zwar recht beeindruckend umgesetzt, aber eben doch typisch Lovecraft. Doch wenn der dem Wahnsinn verfallende De la Poer "The war ate my boy, damn them all ..." hervorstößt, dann wird damit plötzlich eine Note angeschlagen, die in einer Erzählung des Gentlemans von Providence eher fremd wirkt. Zumindest andeutungsweise zeigt sich hier eine ganz andere Idee als die von der allgemeinen Degeneration: Wenn die gesellschaftliche Wirklichkeit so grausam ist, wenn Hundertausende junger Menschen auf den Schlachtfeldern des Weltkriegs einen sinnlosen Tod sterben mussten, was ist dann an offenem Kannibalismus noch so schrecklich?
Ich kann natürlich nicht wirklich beweisen, dass dies tatsächlich Lovecrafts Gedanke gewesen ist. Doch was mich darin bestärkt, zu glauben, dass meine Interpretation nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, ist die sich direkt anschließende Schlusspassage der Erzählung. Wie sonst fast nie in seinen Geschichten zeigt der alte Gentleman hier nämlich so etwas wie ehrliches Mitgefühl für seinen Protagonisten:
Now they have blown up Exham Priory, taken my Nigger-Man [seine über alles geliebte Katze]* away from me, and shut me into this barred room at Hanwell with fearful whispers about my heredity and experiences. Thornton is in the next room, but they prevent me from talking to him. They are trying, too, to suppress most of the facts concerning the priory. When I speak of poor Norrys they accuse me of a hideous thing, but they must know that I did not do it. They must know it was the rats; the slithering, scurrying rats whose scampering will never let me sleep; the daemon rats that race behind the padding in this room and beckon me down to greater horrors than I have ever known; the rats they can never hear; the rats, the rats in the walls.Oder sehe ich das alles völlig falsch?
* Ja, ich würde meine Katze auch nicht so nennen, und finde es völlig in Ordnung, dass Julie Hoverson ihr einen anderen Namen verpasst hat. Es ist jedoch vielleicht ganz interessant, zu erfahren, dass Lovecraft selbst als Kind eine Katze namens Nigger-Man besessen hatte, die fortlief, kurz nachdem die Familie das Haus des alten Whipple van Buren Philipps hatte verlassen müssen, d.h. zu genau dem Zeitpunkt, als der für den Autor offenbar traumatische soziale Absturz der Familie stattgefunden hatte.
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