"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Freitag, 4. Mai 2012

Der Fall R. Scott Bakker

‘Anubis’ hat gestern auf Lake Hermanstadt einen interessanten Beitrag zu der offenbar immer noch munter weiter köchelnden Debatte um den Verfasser des Prince of Nothing gepostet. In meinen Augen nimmt diese Diskussion allmählich tragikomische Züge an. Bakker sieht sich selbst als einen missverstandenen Progressiven, und tatsächlich enthält sein Aufsatz The Skeptical Fantasist, auf den ‘Anubis’ dankenswerter Weise verlinkt, einige diskussionswürdige Gedanken. Doch leider ist er zugleich der Gefangene einer äußerst reaktionären Ideologie, deren innere Logik ihn in der Auseinandersetzung mit seinen Kritikerinnen dazu treibt, immer unmöglichere Positionen zu beziehen.

Bakkers Weltbild ist durch und durch biologistisch und orientiert sich an den Ideen der sog. Evolutionären Psychologie. Dabei wirft er permanent soziale und biologische Kategorien durcheinander. So auch bei dem von ‘Anubis’ angesprochenen Thema der sexualisierten Gewalt. Ich entnehme meine Beispiele den Zitaten in Foz Meadows’ Post.
Einerseits erklärt er: "I have a very grim, very pessimistic view of male sexuality. For instance, in NP [his new book, Neuropath] one of the ‘future facts’ referenced is the discovery of a ‘rape module’ in male brains… As dismaying as this possibility is, it seems to make a whole helluva lot of evolutionary sense". Männer werden demnach von ihrer Natur zur Vergewaltigung getrieben.

Andererseits versucht er die Darstellung von Frauen in seinen Büchern so zu verteidigen: "So, yes, women get the short end of the stick in all my books.Why? Because they find themselves caught in predatory systems designed to exploit them. Depicting strong women, ‘magic exemptions’, simply fuels the boot-strapping illusion that is strangling contemporary feminism: the assumption that the individual can overcome their social circumstances". Hier sind es also plötzlich ‘soziale Umstände’, die zur Unterdrückung der Frau führen, welche sich in seinen Büchern oft in der Form sexueller Gewalt manifestiert. Oder soll ich das so verstehen, dass diese ‘sozialen Umstände’ bloß das Produkt der ‘Biologie des Mannes’ sind?
Bakker hat nicht so ganz unrecht, wenn er schreibt, dass eine gesellschaftliche Ordnung letztlich nicht von einigen starken Individuen überwunden werden kann. Aber ‘soziale Umstände’, die auf unveränderlichen biologischen Eigenschaften basieren, lassen sich nicht nur nicht von Individuen, sondern von überhaupt niemandem überwinden. Wer soziale Phänomene wie Sexismus oder Rassismus aus ausschließlich biologischen Wurzeln erklärt, legitimiert sie in letzter Konsequenz, ob er das nun will oder nicht. Bakkers feministische Kontrahentinnen mit ihrem meist individualistisch verstandenen Konzept des ‘female empowerment’ stehen nicht über aller Kritik. Dennoch sind sie es, die in dieser Auseinandersetzung die fortschrittlichen Prinzipien vertreten. Foz Meadow schreibt:
"Feminism believes that the world can and will get better for women: in fact, it exists to make this happen! Feminism has a higher opinion of men than you do, because it doesn’t countenance the biological inevitability of male violence; rather, it acknowledges that, as some cultures and individuals believe this (falsely) to be so, it ends up being promoted, excused and deferred to beyond all reason."
Sie verteidigt hier den Kernbestand des aufklärerischen Humanismus, den Glauben an die Veränderbarkeit der Welt und des Menschen, gegen eine biologistische Ideologie, die – unabhängig von Bakkers Intentionen – stets der Legitimation des Status Quo dient.

Lange Zeit hielt ich R. Scott Bakker dank seiner philosophischen Prätentionen bloß für einen nicht ganz ernst zu nehmenden Möchtegern-Nietzsche. Nach der Lektüre von The Skeptical Fantasist denke ich jedoch, dass ich ihm da vielleicht ein bisschen Unrecht getan habe. Der Autor ist zwar Kanadier, doch zum Hintergrund, vor dem man sein Weltbild sehen muss, gehört offenbar der Aufstieg des christlichen Fundamentalismus in den USA zu einer einflussreichen politischen Kraft. Sein Biologismus ließe sich mithin als Versuch interpretieren, dem Ansturm des Obskurantismus eine ‘wissenschaftliche’ Weltanschauung entgegenzustellen. Warum er dabei bei einer Ideologie gelandet ist, die bloß eine andere, ‘aufgeklärtere’ Spielart rechten Denkens darstellt, erklärt sich aus seiner Überzeugung, dass die Naturwissenschaften die einzige Form rationaler Erkenntnis darstellen.
Es würde zu weit führen, wollte ich versuchen, meine Ansicht darüber darzulegen, warum scheinbar die Mehrheit der heutigen Intellektuellen nicht mehr an die Möglichkeit objektiver Erkenntnis in den Gesellschaftswissenschaften glaubt. Eine der Folgen davon ist jedenfalls das Anwachsen eines ‘naturwissenschaftlichen’ Vulgärmaterialismus. Doch wie der Fall R. Scott Bakker zeigt, ist das eine Sackgasse. Dieser Ideologie wohnt nichts notwendig Progressives inne. Ein besonders krasses Beispiel dafür bietet der Ende letzten Jahres verstorbene Journalist Christopher Hitchens – ein prinzipienloser Opportunist der übelsten Sorte. Der amerikanische Trotzkist David Walsh schreibt über dessen aggressiv zur Schau getragenen Atheismus: "Indeed, Hitchens’ anti-religion became largely yet another means of expressing his contempt for the general population and asserting his own supposed superiority."
Und wer diesen Vulgärmaterialismus so weit treibt wie Bakker muss ganz automatisch bei extrem elitären Ansichten landen. Einer der zentralen Glaubenssätze seiner Weltanschauung besagt, dass Menschen die gentische Veranlagung dazu besitzen, sich stets in mehr oder weniger überschaubaren Gruppen zu definieren und Ideologien zu entwickeln, die es ihnen erlauben, die eigene Gruppe als überlegen wahrzunehmen. Auf dieses ‘biologische Faktum’ führt er alle möglichen gesellschaftlichen und kulturellen Phänomene zurück – vom Rassenhass bis zum Snobismus der Literaturkritiker. Es stellt sich dann allerdings die Frage, warum gerade Mr. R. Scott Bakker in der Lage sein sollte, sich über dieses biologisch verankerte Gruppenbewusstsein zu erheben. Sollte er am Ende ein genetisch überlegener Mensch sein? So weit würde er natürlich nicht gehen, er reißt sogar Witze über die Vorstellung seiner möglichen biologischen Superiorität. Doch im Rahmen seines eigenen Weltbildes wäre dies die einzig vernünftige Erklärung. Und wer mal in seinen Blog hineingelesen hat, der weiß um Bakkers unerträgliche Arroganz. Der Mann will zur selben Zeit ein subversiver Avantgardist sein und von der Öffentlichkeit als großer Autor anerkannt werden. Darum reagiert er so empfindlich auf jedwede Kritik. Da kann man ihm bloß zurufen: Ach Scott, es ist halt nicht leicht, ein Übermensch zu sein.

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