Corrupted romanticism is as
unwholesome as [...]
corrupted realism.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mit etwas Verspätung einen kurzen Beitrag zur Feier von J.R.R. Tolkiens einhundertfünfundzwanzigstem Geburtstag zu schreiben. Doch nun hat der gute "Murilegus rex" auf seinem Blog Lake Hermanstadt einen äußerst lesenswerten Beitrag mit dem Titel Gibt es faschistische Fantasy? veröffentlicht, dessen Lektüre mich dazu animiert hat, in einem meiner alten Tolkien - Manuskripte herumzublättern und einige Passagen hervorzukramen, die sich als eine Art weiterführender Kommentar zu diesem Essay eignen könnten
unwholesome as [...]
corrupted realism.
Michael Moorcock, Epic Pooh
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mit etwas Verspätung einen kurzen Beitrag zur Feier von J.R.R. Tolkiens einhundertfünfundzwanzigstem Geburtstag zu schreiben. Doch nun hat der gute "Murilegus rex" auf seinem Blog Lake Hermanstadt einen äußerst lesenswerten Beitrag mit dem Titel Gibt es faschistische Fantasy? veröffentlicht, dessen Lektüre mich dazu animiert hat, in einem meiner alten Tolkien - Manuskripte herumzublättern und einige Passagen hervorzukramen, die sich als eine Art weiterführender Kommentar zu diesem Essay eignen könnten
In Auseinandersetzung mit dem neonazistischen Blödsinn der Metapedia beschäftigt sich "Murilegus rex" in erster Linie mit der Frage, inwieweit sich Tolkiens Lord of the Rings mit der "Rassenlehre", wie sie von den Nationalsozialisten und anderen vertreten wurde, vereinbaren lässt. Ohne Zweifel ein interessantes Thema, doch in Anbetracht des Titels, den sein Essays trägt, scheint mir das etwas zu kurz gegriffen. Faschismus – sowohl als Ideologie wie als politische Bewegung – lässt sich nicht auf das Element des Rassismus reduzieren. Wobei ich wohl rasch hinzufügen sollte, dass ich nicht glaube, "Muriligus rex" habe diesen Eindruck vermitteln wollen. Das Folgende ist darum auch nicht als Kritik an seinem Text gedacht. Vielmehr möchte ich versuchen, das Thema "Tolkien und der Faschismus" von einer etwas anderen Perspektive – abseits des Fragenkomplexes Rassismus/Rassentheorie – anzugehen.
Michael Moorcock, den man als den Urvater der linken Tolkienkritik in der Phanatstik-Szene bezeichnen kann, zählt in seinem Essay Starship Stormtroopers den "Professor" zusammen mit H.P. Lovecraft, Robert Heinlein und Ayn Rand zu den "crypto-fascists" – ein Begriff, der ungefähr so verschwommen ist wie unser "faschistoid".
Dem ließe sich mit gutem Recht entgegenhalten, dass der Geist des Lord of the Rings in vielerlei Hinsicht ganz und gar nicht den Wertvorstellungen des Faschismus entspricht: Hochmütiges
Herrenmenschentum à la Boromir oder Denethor erscheint in keinem
guten Licht; die Hobbits verkörpern einen auf der Tugend des Mitgefühls basierenden Heldentypus, den Arno
Breker unter Garantie nie in meterhohe Marmorblöcke gemeißelt
hätte; und natürlich gleicht auch der edle König Aragorn mitnichten
Adolf dem Anstreicher, sondern eher einem wiedergekommenen Artus. Und dennoch gibt es da
meiner Meinung nach tatsächlich einige Berührungspunkte. Nicht weil Tolkien ein verkappter Nazi
gewesen wäre, sondern weil er die Welt aus einer ähnlichen sozialen
Perspektive betrachtete – der Perspektive des von den
Erschütterungen des beginnenden 20. Jahrhunderts verängstigten
Kleinbürgers.
Ironischerweise finden sich Spuren dieser Verwandtschaft weniger in den heldischen Gestalten der blonden und blauäugigen Rohirrim, sondern eher in den grünen Gauen des Auenlandes mit seinen ebenso beschränkten wie glücklichen Bäuerlein. Wir haben bei dem Wort Faschismus fälschlicherweise immer gleich Massenaufmärsche, schwarze SS-Uniformen oder muskelbepackte Siegfrieds vor Augen. Aber neben dem Militaristischen und vermeintlich "Heroischen" hat das Sentimentale einen ebenso festen Platz in der faschistischen "Kultur": Heimat, Natur, Landleben, Familie. Einer der gruseligsten Aspekte des Faschismus war es ja gerade, dass es sich bei ihm um ein auf wagnersche Dimensionen aufgeblähtes Spießertum handelte. Einige besonders haarsträubende Beispiele dafür werden uns in den besten Passagen von Michail Romms Dokumentarfilmklassiker Der gewöhnliche Faschismus präsentiert.
Moorcock schreibt in Epic
Pooh: „The appeal of the Shire has certain similarities with
the appeal of the ‘Greenwood’ which is, unquestionably, rooted in
most of us.“ (1) Es waren Romantiker wie John Keats, Leigh Hunt und Thomas Love
Peacock, die aus dem "grene wode" der alten Balladen um
Robin Hood einen poetischen Zufluchtsort vor dem von industrieller
Revolution und Manchesterkapitalismus gezeichneten England ihrer Tage
gemacht hatten. In ihm fand ihr Ideal eines freien, natürlichen und
kameradschaftlichen Lebens seinen Ausdruck. Doch hatte bei ihnen
dabei stets eine rebellische Note mitgeschwungen. Schließlich waren
Robin und seine "merry men" in erster Linie dafür bekannt gewesen, fette
Mönche um ihr Gold zu erleichtern und den hochmütigen Sheriff von
Nottingham an der Nase herumzuführen. Dieser Aspekt ist bei Tolkien
gänzlich verlorengegangen. Ihm hätte sicher weder der ironische
Tonfall von Peacocks seinerzeit sehr beliebtem Roman Maid Marian
noch der heftige Antiklerikalismus von Hunts Robin Hood - Balladen
gefallen. Von der romantischen Revolte erhalten hat sich bei ihm in erster Linie die Sehnsucht nach einer verklärten vorindustriellen Vergangenheit. Dies zeigt sich vielleicht am deutlichsten in der Darstellung des Auenlandes.
Wie ich in einem älteren Blogpost über die Politik des Herr der Ringe ausführlicher ausgeführt habe, sehe ich eine enge Verwandtschaft zwischen dem von Tolkien gezeichneten Bild eines Utopias der kleinen Bauern und biederen Handwerker und der Ideologie des sog. "Distributismus", die von G.K. Chesterton und Hilaire Belloc vertreten wurde. Mein damaliger Beitrag endete mit folgendem Absatz:
Und genau das ist auch der Punkt, an dem es zu beunruhigenden Überschneidungen mit der Ideologie des Faschismus kommt. Handelt es sich bei diesem doch gleichfalls um eine Art Revolte des Kleinbürgertums gegen die herrschenden Verhältnisse.Das bedeutet natürlich nicht, dass Tolkien [Bellocs] The Servile State oder vergleichbare Schriften tatsächlich gelesen haben muss. Sein Denken wurzelte jedoch in denselben sozialen Verhältnissen wie das der Chesterbelloc (so nannte Bernard Shaw scherzhaft den Kreis um Belloc und Chesterton). Dass sich die Mittelschichten angesichts einer gesellschaftlichen Krise in die "gute, alte Zeit" zurücksehnen, ist ein häufig zu beobachtendes Phänomen. In ihrer sozialen Stellung sowohl von den "Plutokraten" als auch von den Proletariern bedroht, wünschen sie, den Kapitalismus nicht abzuschaffen, sondern auf das Niveau einer Gesellschaft kleiner Warenproduzenten zurückführen zu können. Wie Chesterton es ausdrückte: "Too much capitalism does not mean too many capitalists, but too few capitalists." Nicht selten entdecken die Ideologen des Kleinbürgertums das ersehnte Goldene Zeitalter im zünftlerischen Handwerk des Mittelalters, während sie den mit der Scholle verbundenen Bauern als Idealtyp den entwurzelten und bedrohlichen städtischen Massen gegenüberstellen. Hierin berühren sich der "Distributismus" und Tolkiens literaterische Vision.
Auch Mussolini und Hitler
sagten im Namen des bedrohten Mittelstandes dem Finanzkapital den
Kampf an, schworen die "Zinsknechtschaft" zu brechen und gaben
sich während der "Kampfzeit
der Bewegung" alles in allem äußerst "revolutionär", während sie
gleichzeitig die "Marxisten" zu den Hauptfeinden der Nation
erklärten und die Terrorbanden der Fasci di Combattimento und der SA
gegen die Arbeiterbewegung in den Kampf schickten. Das "ewige"
Programm der NSDAP von 1920 forderte u.a.
die Schaffung eines gesunden Mittelstandes und seine Erhaltung. Kommunalsierung der Großwarenhäusern und ihre Vermietung zu billigen Preisen an kleine Gewerbetreibende, schärfste Berücksichtigung aller kleinen Gewerbetreibenden bei Lieferungen an den Staat, die Länder oder Gemeinden [...] Verstaatlichung aller bisher bereits vergesellschafteten (Trusts) Betriebe [...] Gewinnbeteiligung an Großbetrieben (2)Viele italienische Faschisten und der linke Flügel der Nazis um die Brüder Strasser gebärdeten sich noch sehr viel radikaler. (3)
Die wütende Feindschaft gegen den Sozialismus, die Idealisierung des kleinen Gewerbetreibenden, der Hass auf die "Bonzen" und "Shylocks", die kultische Verehrung des "gesunden Bauernstandes" und der patriarchalischen Familie (Chesterton und Belloc waren unversöhnliche Gegner des Frauenwahlrechts) – all diese Züge teilten Distributismus und Faschismus. Auch sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die von den Chesterbelloc attackierten "Plutokraten" ominöserweise sehr oft jüdische Namen trugen. George Orwell erwähnt in seinem Essay Anti-Semitism in Britain „Chesterton’s endless tirades against Jews, which he thrust into stories and essays upon the flimsiest pretexts“ als krassestes Beispiel für den virulenten Judenhass, der zu Beginn des Jahrhunderts in Englands gebildeter Klasse herrschte.
Angesichts der sich
verschärfenden Klassenkämpfe in Großbritannien und der
bolschewistischen Revolution in Russland rückten die Chesterbelloc
in den 20er und 30er Jahren immer weiter nach rechts. Belloc hatte
seine politische Karriere als Mitglied der sozialdemokratischen
Fabian Society begonnen und war von 1906 bis 1910 Abgeordneter
der Liberalen Partei im Unterhaus gewesen.
Jetzt forderte er die Auflösung des Parlaments und die Schaffung von
ständischen Vertretungen nach dem Vorbild der mittelalterlichen
Korporationen. Zusammen mit Chesterton predigte er in den Spalten der
G.K.’s Weekly sein System des Distributismus und zog kreuz
und quer durchs Land, um distributistische Ortsgruppen zu gründen.
Die Chesterbelloc als Faschisten zu bezeichnen, wäre sicher falsch.
Chestertons humaner Charakter macht es beinahe
unmöglich, sich den geistreichen Dicken in der Uniform von Oswald
Mosleys Schwarzhemden vorzustellen. Dennoch war es kein Zufall und
auch kein Missverständnis, dass der Distributismus in den USA seinen
begeistertsten Anhänger ausgerechnet in Seward Collins fand. Der
Herausgeber der American Review, auf deren Seiten u.a. die
Southern Agrarians ihre Farmer- und Sklavenhalterromantik
propagierten, bezeichnete sich selbst offen als "american
fascist" und war ein glühender Verehrer Hitlers und Mussolinis.
Belloc mochte sein Ideal im Merry England des Mittelalters erblicken,
doch wären seine korporatistischen Fantasien politische Wirklichkeit
geworden, so hätte das Ergebnis eher dem katholisch-faschistischen
Ständestaat des portugiesischen Diktators António de Oliveira
Salazar geglichen. In den 30er Jahren äußerten die Distributisten
vermehrt Sympathien für Mussolini. Chesterton interviewte den Duce
für den G.K.’s Weekly, während er zugleich seinen alten
Buhmann, den jüdischen Plutokraten, um den Typus des jüdischen
Bolschewiken ergänzte. Der Übergang vom konservativen
Antikapitalismus zum Faschismus ist oft fließend, wie in England
schon lange zuvor das Beispiel Thomas Carlyles gezeigt hatte.
Tolkiens Katholizismus
und Antisozialismus, sein ständisches Gesellschaftsideal und sein
Hang zu feudaler Romantik rückten ihn in die Nähe der
Chesterbelloc. Andererseits trennte ihn sein tiefes Misstrauen
gegenüber allen politischen Bewegungen und Reformvorhaben von
den Distributisten.
Für das „erbärmliche
Reich des Führers" (4) hatte er nur wohlverdiente Verachtung übrig, auch wenn er sich
einmal positiv über die deutschen „Tugenden des Gehorsams und
des Patriotismus“ (5) äußerte. Ebenso soll nicht verschwiegen werden, dass er stets ein
erklärter Gegner des Antisemitismus war. Er war ganz sicher kein
Faschist, doch seine Weltanschauung und vor allem sein wütender
Antikommunismus brachten ihn mitunter genauso wie die Chesterbelloc
in ausgesprochen unappetitliche politische Gesellschaft.
Am deutlichsten zeigt sich das vielleicht im Zusammenhang mit Tolkiens Reaktion auf den Spanischen Bürgerkrieg. Während der heroische Kampf der arbeitenden Massen Spaniens gegen die Faschisten einen begeisterten Widerhall unter Großbritanniens linken Intellektuellen fand und zu deren weiterer Radikalisierung beitrug, stand Tolkien felsenfest auf der Seite General Francos, kämpfte dieser doch mit dem Segen des Papstes gegen die gottlosen "Roten".
Wir dürfen getrost davon
ausgehen, dass Tolkien auch nicht das Geringste über die Revolution
in Spanien wusste, außer dass katholische Priester von den
revolutionären Milizen getötet und Kirchen zerstört worden waren.
Die monarchistischen Requetes-Milizen hingegen zogen mit dem
Schlachtruf "Viva Cristo Rey!" ("Es lebe König Christus!")
in den Kampf gegen die Republik, und ihre Stellungen wurden von
Parolen wie „Quando matas un rojo tienes un ano de purgatorio de
menos!“ (‘Wenn Du einen Roten tötest, musst Du ein Jahr
weniger im Fegefeuer verbringen!’) geziert. (6) Echte Kreuzritter eben ...
Als im Oktober 1944 der
rechtsradikale katholische Dichter Roy Campbell – ein fanatischer Anhänger Francos und Apologet Hitlers, dessen Verse zeitweilig in Oswald Mosleys Zeitung veröffentlicht wurden – bei den Inklings aufkreuzte, war
Tolkien begeistert. In einem Brief an seinen
Sohn Christopher verklärte er ihn zu einer Art "fahrendem Ritter"
– „ganz so wie ‘Trotter’ [der ursprüngliche Name von Strider/Streicher] im Tänzelnden
Pony, genauso!“ – und zeigte sich geschmeichelt, dass dieser
„kraftvolle Dichter und Soldat in Oxford hauptsächlich Lewis
(und mich) hatte sehen wollen." (7) C.S. Lewis attackierte
Campbell und dessen „particular blend of Catholicism and
Fascism“ (8) heftig, wofür Tolkien ihn
seinerseits scharf kritisierte – offenbar saß der Freund der
„roten Propaganda“ auf. Er selbst jedenfalls war tief
beeindruckt von dem „Soldaten, Dichter und bekehrten Christen“.
Zu den "Heldentaten" dieses "Teufelskerls" gehörte es unter
anderem, den avantgardistischen Bildhauer Jacob Epstein und den
linken Schriftsteller Stephen Spender zusammengeschlagen zu haben,
was Tolkien mit Genugtuung vermerkte: Von Campbells Histörchen „am
besten gefallen hat mir eine über den schmierigen Epstein (den
Bildhauer), wie er sich mit dem geschlagen und ihn für eine Woche
ins Krankenhaus gebracht hat.“ Diese Bemerkung wirkt
besonders erschreckend, weil uns Tolkien ansonsten als ein Mensch
begegnet, der jede sinnlose Gewalt verabscheute. Sein blindwütiger
Hass auf die "Roten" und insbesondere auf die linken britischen
Intellektuellen scheint die übelsten Seiten seines Wesens geweckt zu haben. (9)
Es ist vielleicht kein
Zufall, dass wir in demselben Brief auf eine jener Passagen stoßen,
in denen sein Abscheu vor der modernen "Maschinengesellschaft"
apokalyptische Dimensionen annimmt, und er offen vom Untergang der
menschlichen Zivilisation träumt:
Nicht das Nicht-menschliche (z.B. das Wetter) und auch nicht der Mensch (sogar auf einer niedrigen Stufe), sondern das vom Menschen Gemachte ist das letztlich Entmutigende und Unerträgliche. Würde ein ragnarök [das Weltende in der nordgermanischen Mythologie] alle Slums, Gaswerke, die schäbigen Garagen und die langen Vororte mit ihren Bogenlampen niederbrennen, so könnten von mir aus auch alle Kunstwerke mit verbrennen – und ich würde wieder zu den Bäumen zurückkehren.
In einem anderen Brief
ergeht er sich, auf die Terrorakte antifaschistischer
Widerstandsbewegungen anspielend, in einer anarchischen und
unmenschlichen Lust an der Zerstörung:
Der einzige Lichtblick ist, dass unter den verdrossenen Leuten die Gewohnheit wächst, Fabriken und Kraftwerke in die Luft zu sprengen; hoffentlich kann diese heute als ‘patriotisch’ geförderte Gewohnheit sich halten. Aber sie wird nichts nützen, wenn sie nicht universal ist. (10)
Das sind natürlich
vereinzelte extreme Ausbrüche. Tolkien litt Zeit seines Lebens unter
ziemlich heftigen Gemütsschwankungen und wir können davon ausgehen,
dass diese Zeilen in einer seiner
depressiven Phasen geschrieben wurden. Dennoch zeigen sie sehr
deutlich, worauf sein Denken in letzter Konsequenz hinauslief.
An dieser Stelle lässt sich auch der Bogen zurück zum Lord of the Rings schlagen – insbesondere zur Schilderung der "Befreiung des Auenlandes" ("Scouring of the Shire") am Ende des Romans.
Die menschlichen Gehilfen
Sarumans werden als "ruffians" bezeichnet. {Carroux’ Übersetzung "Strolche" klingt etwas altbacken, der Begriff "Rowdy" kommt dem Gemeinten vermutlich näher.} Die "ruffians" sind großmäulige und brutale Burschen, die faul in
der Gegend herumlungern, Schwächere terrorisieren und von der Arbeit
anderer leben. Das Regiment, das Lotho mit ihrer Hilfe
errichtet hat, scheint Tolkiens Vorstellung von Kommunismus zu
entsprechen:
Es gab nichts mehr zu rauchen, außer für seine Menschen; und der Oberst hielt nichts von Bier, außer für seine Menschen, und schloss alle Wirtshäuser; und alles außer den Vorschriften wurde knapper und knapper, es sei denn, man konnte ein bisschen von seinem Eigentum verstecken, wenn die Strolche herumgingen und Lebensmittel ‘zur gerechten Verteilung’ einsammelten: was bedeutete, dass sie es bekamen und wir nicht, abgesehen von dem Abfall, den man sich in den Büttelhäusern holen durfte, wenn man ihn verdauen konnte.
Einer der Hobbits
beschwert sich:
Wir bauen eine Menge Nahrungsmittel an, aber wir wissen nicht so recht, was daraus wird. Es sind alle diese ‘Sammler’ und ‘Verteiler’, nehme ich an, die herumgehen und zählen und abmessen und das Zeug ins Lager bringen. Sie sammeln mehr ein, als sie verteilen, und das meiste von der Ernte sehen wir nicht wieder.
Die "ruffians" sind
degenerierte und entartete Kreaturen, was man bereits an ihrem
Aussehen ablesen kann: „Sie schielten und hatten eine fahle
Gesichtsfarbe.“ In ihrer Mehrheit dürfte es sich bei ihnen um
das Produkt von Sarumans teuflischen Experimenten handeln, der
versucht hat, Menschen und Orks miteinander zu kreuzen. Wer anderes
sind diese "ruffians" als der städtische "Mob", vor dessen "Machtergreifung" es Tolkien graust, und deren monströses Porträt er bereits in Gestalt der Orks gezeichnet hatte?
Und
selbstverständlich sind es diese "ruffians", die im
Auftrag Lothos die Industrialisierung in das ländliche Idyll
getragen haben. Wenn Bauer Hüttinger über die Neue Mühle schimpft,
glaubt man, die Stimme des Oxford-Dons zu hören, der beim Anblick
jeder neugebauten Straße ausrief: „Das wird aus Englands letztem
Boden!“
Nehmt Sandigmanns Mühle zum Beispiel. Pickel [Lotho] hat sie fast sofort als er nach Beutelsend kam, abgerissen. Dann brachte er einen Haufen übelaussehender Menschen her, damit sie eine größere bauten und sie mit Rädern und allen möglichen ausländischen Erfindungen vollstopften. Nur der dumme Timm war froh darüber, und jetzt arbeitet er da und reinigt Räder für die Menschen, wo sein Vater der Müller und sein eigener Herr gewesen war. Pickels Gedanke war, mehr und schneller zu mahlen, das sagte er jedenfalls. Er hat noch andere Mühlen wie diese. Aber man muss Mahlgut haben, ehe man mahlen kann; und für die neue Mühle war nicht mehr da als für die alte.
Es dürfte schwer fallen,
ein dümmeres Argument gegen den technischen Fortschritt zu finden.
Aber letztlich geht es ja gar nicht um Produktivität. Denn ganz
gleich wie Lothos ursprüngliche Motive ausgesehen haben mögen, am
Ende steht Zerstörung um der Zerstörung willen:
Doch seit Scharrer [Saruman] kam, mahlen sie überhaupt kein Korn mehr. Da ist immer ein Gehämmere und aufsteigender Rauch und Gestank, und nicht mal nachts hat man Frieden in Hobbingen. Und sie gießen absichtlich Unrat aus; die ganze untere Wässer haben sie verunreinigt, und die fließt ja in den Brandywein. Wenn sie das Auenland zu einer Wüste machen wollen, dann sind sie auf dem richtigen Weg.
Nach Erscheinen des Lord of the Rings äußerten einige Kritiker die Vermutung, das Regime
Scharrers spiele auf die Verhältnisse in England nach dem 2.
Weltkrieg an, als die mit überwältigender Mehrheit gewählte
Labour-Regierung unter Premierminister Clement Attlee im Rahmen eines
keynesianischen Wirtschaftsprogramms eine Reihe begrenzter
Verstaatlichungen und Sozialreformen durchführte – was für die
Tories einer Einführung des Sozialismus gleichkam. Tolkien lehnte
eine solche Interpretation stets entschieden ab, dennoch kann man gut
verstehen, wie Leser des Romans auf diese Idee kommen konnten.
Der Aufstand der Hobbits
gegen Scharrer und seine Bande ist im Kern eine Revolte von Bauern
und Kleinbürgern gegen die Moderne. Er ist jene herbeigesehnte
Bewegung "verdrossener Menschen", die „Fabriken und
Kraftwerke in die Luft sprengen.“ Zwar soll es Leute geben, die die "Befreiung des Auenlandes" „durchaus
marxistisch als proletarischen Sklavenaufstand“ interpretieren, doch wie ihnen das gelungen ist, kann ich mir ehrlich gesagt nur schwer vorstellen. Natürlich geht es auch
um die Befreiung von einer Diktatur, denn für Tolkien sind
technischer Fortschritt und Despotie gar nicht voneinander
zu trennen. Doch der antimoderne Zug ist einfach zu offensichtlich,
um übersehen werden zu können. Suchte man nach einer Parallele zum
Aufstand der Hobbits in der realen Geschichte, so käme einem
zuallererst Andreas Hofers Tiroler Rebellion gegen Napoleon und seine
bayerischen Alliierten in den Sinn, zu deren Auslösern u.a. der von
Kapuzinerpater Haspinger gepredigte Widerstand gegen die von Bayern
und Franzosen eingeführte Pockenimpfung gehörte ...
Gerade da, wo Tolkien rebellisch zu werden scheint, ist seine
Erzählung am fragwürdigsten.
Zum Abschluss sollte ich wohl noch einmal betonen, dass ich den Geist von Tolkiens literarischem Werk für äußerst ambivalent und widersprüchlich halte. Er erschöpft sich nicht in dem von mir hier beschriebenen reaktionären Element. Der Lord of the Rings enthält meiner Ansicht nach viel bewundernswertes und tief menschliches. Dennoch halte ich eine ernsthafte und kritische Auseinandersetzung mit den problematischen Seiten der tolkienschen Fantasy für geboten – gerade von Seiten derer, die die Schöpfung des "Professors" schätzen und lieben.
(1) Michael Moorcock: Wizardry and Wild
Romance. S. 127.
(2) Zit. nach: Reinhard Kühnl: Formen
bürgerlicher Herrschaft. Liberalismus – Faschismus. S. 92.
(3) Nach ihrer Machtergreifung zeigten die faschistischen Parteien selbstverständlich keinerlei Neigung dazu, ihr Programm der "kleinbürgerlichen Revolution" tatsächlich umzusetzen. Um Leo Trotzkis Essay Porträt des Nationalsozialismus zu zitieren: "Der deutsche wie der italienische Faschismus stiegen zur Macht über
den Rücken des Kleinbürgertums, das sie zu einem Rammbock gegen die
Arbeiterklasse und die Einrichtungen der Demokratie zusammenpressten.
Aber der Faschismus, einmal an der Macht, ist alles andere als eine
Regierung des Kleinbürgertums. Mussolini hat recht, die Mittelklassen
sind nicht fähig zu selbstständiger Politik. In Perioden großer Krisen
sind sie berufen, die Politik einer der beiden Hauptklassen bis zur
Absurdität zu treiben. Dem Faschismus gelang es, sie in den Dienst des
Kapitals zu stellen. [...] Das Programm der kleinbürgerlichen Illusionen wird dabei nicht
abgeschafft, es wird einfach von der Wirklichkeit abgetrennt und in
Ritualhandlungen (Arbeitsdienstpflicht, Eintopfsonntag etc.) aufgelöst."
(4) J.R.R. Tolkien: Über Märchen. In:
Ders.: Die Ungeheuer und ihre Kritiker. S. 190.
(5) Brief an Michael Tolkien [9. Juni 1941]. In:
J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 46. S. 76.
(6) Vgl.: Mieczyslaw Bortenstein (M.
Casanova): Spain Betrayed. How the Popular Front Opend the Gates
to Franco. Kap. 5. In: Revolutionary History. Vol. 4. No.
1-2.
(7) Brief an Christopher Tolkien [6. Oktober 1944].
In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 83. S. 127ff.
(8) Humphrey Carpenter: The Inklings. C. S.
Lewis, J. R. R. Tolkien, Charles William and their friends. S.
192.
(9) Ironischerweise spielt Tolkien in
demselben Brief auf W. H. Audens Übersiedelung nach Amerika im Jahre
1939 als Beweis für die angebliche Feigheit der Linken an. In
Wirklichkeit war die "Flucht" des Dichters ein äußeres
Anzeichen für dessen zunehmende Demoralisierung und die sich nun
rasch vollziehende Abwendung vom Sozialismus; – der erste Schritt
auf einem Weg, über den er schließlich zu einem gläubigen Christen
und großen Bewunderer des Lord of the Rings werden sollte! Der "heldenhafte" Campbell seinerseits verkroch sich nach dem Krieg
in Salazars Portugal und schrieb für das von Diana Mosley, der Witwe
des britischen Faschistenführers, herausgegebene Magazin The
European.
(10) Brief an Christopher Tolkien [29. November
1943]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 52. S. 88.
Die Konzentration auf die Rassenlehre war gewissermaßen vorgegeben durch das Metapedia-Material, das JRRT vor allem als Rassentheoretiker zu vereinnahmen versucht. Ich will noch weitere Posts zum Thema schreiben, die sich jeweils auf einen Aspekt faschistischer Ideologie konzentrieren. Da ich die ideologischen Elemente herausgreife, finde ich es super, dass du in deinem Text auf die politischen und sozialgeschichtlichen Umstände eingehst, die zum Aufstieg des historischen Faschismus geführt haben.
AntwortenLöschenIh schließe mich an, gutes Material, sinnvoll aufgebaute Darlegung.
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