"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Freitag, 27. Februar 2015

"Of all the souls I have encountered in my travels, his was the most human"

Ich habe erst relativ spät, im Alter von ungefähr achtzehn, meinen Weg zu Star Trek gefunden, und als ich einige Jahre später eine regelrechte Trekkie-Phase durchlebte, war es nicht die Original Series, sondern The Next Generation, welche meinem Herzen am nächsten stand. 
Dennoch war Spock immer die Figur des Trek-Universums, der ich mich am stärksten verbunden gefühlt habe, und noch heute hängt ein Bild des halbvulkanischen Wissenschaftsoffiziers der Enterprise über meinem Schreibtisch an der Wand. Spock verkörpert für mich wie kaum ein zweiter jene Werte, die Star Trek auszeichnen, und aus einer simplen SciFi-Serie der 60er Jahre etwas gemacht haben, was uns auch Jahrzehnte später noch anzusprechen und zu berühren vermag: Vernunft, Optimismus, Offenheit, Toleranz, Neugier, Empathie, Mut und Selbstlosigkeit.

Leonard Nimoy, der heute im Alter von 83 Jahren seiner Lungenerkrankung (COPD) erlag, war ohne Zweifel sehr viel mehr als Spock. Freunde & Freundinnen des phantastischen Films werden z.B. auch an Philip Kaufmans Remake von Invasion of the Body Snatchers denken müssen. Dennoch wird sein Name zweifellos auf immer mit der Figur des berühmtesten Vulkaniers aller Zeiten verbunden bleiben, dem er auf so bewunderungswürdige Weise Leben einzuhauchen verstand.

Ehren wir sein Andenken, indem wir uns immer wieder auf jene Werte zu besinnen versuchen, als deren bester Vertreter Spock in die Annalen des phantastischen Fernsehens eingegangen ist.

Live long and prosper!

 

Samstag, 21. Februar 2015

Strandgut der Woche

Mittwoch, 18. Februar 2015

Expeditionen ins Reich der Eighties-Barbaren (XI): "Il trono di fuoco / The Throne of Fire"

Nachdem wir uns nun wohl lange genug im Königreich von Corman herumgetrieben haben, scheint es mir an der Zeit, eine andere Provinz von Filmfantasyland aufzusuchen. Zwar ist es ziemlich wahrscheinlich, dass wir Rogers Domäne nicht das letzte Mal gesehen haben, doch soll uns unsere abenteuerliche Queste für den Moment erst einmal über die Weiten des Ozeans und in jenes Land führen, wo nach dem alten Dichterwort nicht nur "die Zitronen blüh'n", sondern angeblich auch "der Drachen alte Brut" in "Höhlen haust".

Italiens B-Movie-Industrie hat die Methode, erfolgreiche amerikanische Formate aufzuschnappen, um mit ebenso schnell wie billig produzierten Flicks nachzulegen, über die Jahrzehnte beinah zu einer eigenen Kunstform entwickelt. Und fast immer finden sich – in Kim Newmans Worten neben den hastig hingeschluderten Kopien auch "surprisingly sophisticated mixes of imitation, pastiche, parody, deconstruction, reinterpretationen and operatic inflation".* Ob dies auch auf den Sword & Sorcery - Film zutrifft? Wir werden sehen.

Weniger als einen Monat nachdem John Milius' Conan the Barbarian im September 1982 in italienischen Kinos angelaufen war, befand sich Joe D'Amato bereits in der Lage, seinen Landsleuten mit Ator l'Invincibile einen hauseigenen Barbarenflick vorsetzen zu können. Wie die allermeisten Kreationen des berühmt-berüchtigten Schlockmeisters nicht eben ein glanzvoller Vertreter seines Genres, aber doch ein weiterer Beleg für die feine Nase und den untrüglichen Geschäftssinn des alten Joe. Der gute Mann mag kein großer Filmemacher gewesen sein, aber er wusste stets, was sein Publikum zu sehen wünschte.

Beim ollen Ator und seinen drei Nachfolgern vorbeizuschauen, darauf möchte ich vorerst verzichten. Stattdessen wollen wir unser Augenmerk auf drei Filme lenken, die neben D'Amatos muskelbepacktem Krieger mit der grauslichen Frisur zum zeitlich ersten Aufgebot der Pasta-Variante des Sword & Sorcery - Kinos gehörten: Gunan il guerriero (1982), Il trono di fuoco (1983) und Sangraal (1982).
Unter Freunden & Freundinnen des europäischen Exploitationfilms genießt der letzte vermutlich das größte Ansehen, dennoch wollen wir unseren italienischen Abstecher mit den zwei Filmen beginnen, die Franco Prosperis Eintrag in die Annalen des Fantasyfilms darstellen..
 
Francesco "Franco" Prosperi den man nicht mit dem Mondo-Macher gleichen Namens verwechseln darf hatte seine Karriere an der Seite von Mario Bava begonnen – u.a. während des Drehs von Gli invasori / Erik the Conqueror (1961), Ercole al centro della Terra / Hercules in the Haunted World (1961) und La ragazza che sapeva troppo / The Girl Who Knew Too Much (1963), dem Film, der allgemein als der erste Giallo gilt. In der Folge führte er bei einer Reihe von Kriegsfilmen, Komödien, Action-, Kriminal- und Horrorstreifen Regie, ohne je zu größerer Bekanntheit zu gelangen. Erwähnt seien bloß Qualcuno ha tradito / Every Man is my Enemy (1967) mit einem Drehbuch von Dario Argento; die Abenteuerkomödie Una matta, matta, matta corsa in Russia / Unbelievable Adventures of Italians in Russia (1974), deren italienischer Titel wohl Assoziationen zu Stanley Kramers It's a Mad, Mad Mad, Mad World (1963) wecken sollte; sowie La settima donna / The Last House on the Beach (1978), einer der zahlreichen Cash-ins zu Wes Cravens Last House on the Left, das der üblichen Vergewaltigungs- & Rachestory einen Schuss Nunsploitation hinzufügte. Außerdem zeichnete er mitverantwortlich für Jess Francos Mondo Cannibale (1980) – einen schröcklich miserablen Flick, wenn ich Chris & Tom von der {im Gegensatz dazu sehr empfehlenswerten} Strange and Deadly Show glauben darf.
 
Seine beiden Sword & Sorcery - Streifen bildeten den Schlusspunkt unter Prosperis Laufbahn als Filmemacher. Das lässt wenig gutes erwarten, aber wahrhaft heroische Questen ähneln halt eher selten einem vergnüglichen Urlaubstrip, selbst wenn sie einen ins sonnige Italien führen. In der Hoffnung, damit das Schlimmste gleich zu Beginn hinter uns zu bringen, wollen wir zu allererst auf dem "Feuerthron" Platz nehmen. Hört sich gar nicht nett an? Ist es auch nicht ...   



Sich Il trono di fuoco anzuschauen ist ohne Zweifel eine im Großen und Ganzen eher langweilige, zugleich aber auch ziemlich eigenartige Erfahrung.

Die Story klingt denkbar unoriginell: Der finstere Belio {eine Art Sendbote Satans} zeugt gemeinsam mit einer Hexe den nicht weniger finsteren Morak {eine Art Antichrist}. An der Spitze einiger pelzbemützter Barbaren und mit Unterstützung eines verräterischen und kahlköpfigen Schnauzbartträgers ermordet der üble Bursche den guten König des Landes. Doch dummerweise kann er nur dann den magischen "Feuerthron" besteigen, wenn er seine Herrschaft durch eine Hochzeit mit Prinzessin Valkari legitim gemacht hat. Und nicht nur hat die ebenso holde wie kampferprobte Maid keine Lust, einen Ehebund mit dem Mörder ihres Vaters zu schließen, in Gestalt des Recken Siegfried {kein Witz} steht dem bösen Morak außerdem ein muskulös-heroischer Widersacher gegenüber, der nichts unversucht lässt, um dessen teuflische Weltherrschaftspläne zu durchkreuzen.

Der olle Nietzsche war bekanntlich der Meinung, wir sollten im Geiste des "amor fati" die Ewige Wiederkehr des Gleichen freudig begrüßen. Wenn es noch irgendwelcher Argumente bedarf, um seine Philosophie ad absurdum zu führen, so scheint mir Il trono di fuoco dafür ein besonders überzeugendes zu sein. Nach einer Art kurzem Prolog nämlich besteht der Plot des Films aus der wiederholten Abfolge der Sequenzen "Kampf - Gefangennahme - Flucht", was schon sehr bald eher an die Qualen des Sisyphos erinnert als dass es irgendeine "Liebe zum Schicksal" in uns hervorrufen würde. Erst recht, weil am Ende klar wird, dass wir diesen eigenartigen Zyklus einzig der Dummheit unseres Bösewichtes zu verdanken haben: Statt die edle Blondine im Leder-BH mit der angedrohten Ermordung ihrer Freunde/Untertanen zur Ehe zu zwingen, hätte der gute Morak sie gleich zu Beginn einer schwarzmagischen Gehirnwäsche unterziehen und den lästigen Siegfried kurzerhand enthaupten lassen sollen. Aber nein, dann wäre der Film ja bereits nach zwanzig Minuten zu Ende gewesen. Also muss sich unser Möchtegern-Antichrist wie der letzte Idiot aufführen. Dass der von Harrison Muller Jr. verkörperte Morak dennoch der interessanteste Charakter in Il trono di fuoco ist, sagt eine Menge aus ...

Und doch ich kann mir nicht helfen – Prosperis nach allen einigermaßen objektiven Maßstäben wirklich unterirdisches Machwerk hat trotzdem etwas auf widersinnige Weise faszinierendes an sich. 
Zuerst war mir nicht ganz klar, worin sich dieser Streifen von den billigen Corman-Produktionen unterscheidet, die die letzten Anlaufpunkte auf unser abenteuerlichen Reise dargestellt haben. Da war bloß das starke, aber unbestimmte Gefühl, es mit etwas auf schwer zu beschreibende Weie "Unwirklichem" zu tun zu haben. 
Nicht dass Il trono di fuoco irgendwelche Ähnlichkeiten zu den phantasmagorischen Visionen von Lucio Fulcis Sword & Sorcery - Flick Conquest aufweisen würde, den ich hier schon einmal kurz besprochen habe. Die beiden sind so weit voneinander entfernt wie Tol Eressea und Barad-dûr! Ebensowenig ist der Grund für das eigenartige Flair des Films in dem Umstand zu suchen, dass Pietro Torrisi (Siegfried) und Sabrina Siani (Valkari) alle beide sowas wie Heroen des italienischen Fantasy - B-Movies – in ihrer Bararenunterwäsche nicht so recht in die eher mitteleuropäisch anmutende Landschaft des Ganzen zu passen scheinen. Nein! des Rätsels Lösung liegt anderswo: In der verwirrenden Art, in der Prosperi seinen Film in Szene gesetzt hat. {Dass zumindest in der ersten Hälfte die Musik immer dann verstummt, wenn es zu einer Kampfszene kommt, trägt freilich ebenfalls zu dem verwirrenden Eindruck bei, den der Film hinterlässt.}

Immer wieder begegnen wir extrem langen Einstellungen, in denen eine Person schreitend oder reitend einen weiten Raum – sei es einen Saal, einen Hof oder eine Ebene – durchquert. Hin und wieder wird versucht, diesen Sequenzen durch ein gemächliches Heran-Zoomen der Figuren etwas mehr Lebendigkeit zu verleihen, doch selbst dann noch wirken sie wie willkürliche Verzögerungen im Ablauf der Handlung. An wenigstens zwei Stellen wird dies noch durch den Einsatz von Zeitlupen verstärkt. Beim ersten Mal ließe sich das vielleicht noch dadurch entschuldigen, dass wir es mit einer Art "Flashback" zu tun haben, was eine leichte "Verfremdung" nachvollziehbar erscheinen lassen würde. Doch beim "großen Endkampf" wirkt dieser "Kunstgriff" bloß noch nirritierend und bizarr ....

Sobald ich erkannt zu haben glaubte, warum Il trono di fuoco so eigenartig auf mich gewirkt hatte, begann ich mich zu fragen, ob wir es mit einem bewusst {wenn auch tölpelhaft} eingesetzten Stilmittel zu tun haben. Hatte Prosperi vielleicht geglaubt, seinem Film mit diesen Sequenzen so etwas wie einen epischen Charakter verleihen zu können? Oder sollte man sie angesichts des lächerlich geringen Budgets vielleicht eher als verzweifelten Versuch interpretieren, den ohnehin weitgehend plotlosen Film künstlich in die Länge zu ziehen? Oder war das Ganze einfach bloß Ausdruck von Prosperis absoluter Unfähigkeit?

Ich habe keine Antwort auf diese Fragen, doch bin ich zufällig über eine Rezension von Last House on the Beach gestolpert, in der zu lesen ist: "Franco Prosperi has a weird penchant for unmotivated slow motion." Das würde wohl eher darauf hindeuten, dass wir es bei dem Ganzen mit einem individuellen Spleen des Regisseurs zu tun haben, dem dieser in seinen Filmen auf gedankenlose Weise frönt. Ob das besser oder schlimmer als die anderen Erklärungsmöglichkeiten ist, weiß ich ehrlich gesagt nicht ... Mal seh'n, ob wir diesem "Stil" in Gunan il guerriero wiederbegegnen werden ...


* Kim Newman: Nightmare Movies. A Critical History of the Horror Film, 1968-88. S. 188.

Montag, 16. Februar 2015

"Ein Weltgebäude ohne Wände, soviel Platz muss sein"

Eigentlich wollte ich ja heute anlässlich von Iain Banks' Geburtstag einen kurzen Beitrag zu seinen Culture - Büchern veröffentlichen, aber das ist mir {wie man sieht} nicht gelungen. Was soll's, Morgen ist ja auch noch ein Tag. Stattdessen nun also ein Song, der für mich wie kaum ein zweiter "utopischen Geist" zu atmen und deshalb ganz gut hierher zu passen scheint: Was ist ist von den Einstürzenden Neubauten:
 

{Berlin, Palast der Republik, November 2004}

Zwei Dinge sind unendlich
Die Dummheit und das All
Kein . . . . . . , nur . . . . . überall
Mehr . . . . . . und . . . . zu hauf
Nur die Liebe und das Wetter hören nimmer, nimmer auf
Wir fordern etwas Abwechslung in uns'rer Umlaufbahn
endgültige Befreiung von Newtons Schwerkraftwahn
keine Gravitätlichkeiten, Fliegen fällt sonst schwer
Schluss mit Kontinentendrift, Pangea wieder her
 

Was ist ist
Was nicht ist ist möglich
Nur was nicht ist ist möglich
 

Wir fordern mehr . . . mit unser'm . . . Charme
Mehr . . . und . . . , Birnen, Marzipan
Wir wollen noch mehr . . , Substanzen illegal
Kein Montagsresteessen, 5-Sterne minimal
A firstclass - bonusticket from . . . to Berlin
eine Kiste mit Champagner, Biowodka, Biogin
ein Weltgebäude ohne Wände, soviel Platz muss sein
einen Morgen ohne Kater, ohne Reue, nicht allein
 

Was ist ist
Was nicht ist ist möglich
Nur was nicht ist ist möglich
 

Wir fordern Sonnenuntergang fürs ganze Abendland
Tanzvermögen, unerschöpflich, die Nacht danach ist lang
ohne . . . . . . end jenseits von Kritik
einen völlig leeren Himmel, angereichert mit Musik
Wir schreiben schwarze Zahlen ins utopische Kalkül
Wir fordern Fingerspitzen und das passende Gefühl
Tagsüber auch die Sterne, mehr Sterne überhaupt
Und heute schon die Gestrigen zum Untertagebau
 

Was ist ist
Was nicht ist ist möglich
Nur was nicht ist ist möglich
 

Wir wollen züngeln, zündeln, wandeln, tänzeln auf dem Grat
bulimische Verschlankung für den ganzen Staat
und . . . . . . . keinen Kopfsalat
Gefängnis für Hans Munstermann für Fälschung und Verrat
Wir fordern auch die Buchstaben zurück ins Alphabet
Damit Unsereins im Babylon-Gestammel sich versteht
Wir fodern . . . . und . . . . .
Die Musik muss endlich richig laut, damit uns jemand glaubt
 

Was ist ist
Was nicht ist ist möglich
Nur was nicht ist ist möglich


Wie bei Blixa Bargeld & Co üblich eine geniale Mischung aus dadaistischem Unsinn und echter Poesie ...

Samstag, 14. Februar 2015

Strandgut der Woche

Donnerstag, 12. Februar 2015

Wer braucht "Spaceballs 2"?

Dass viele der Neuigkeiten und Gerüchte, die man aus Hollywood so zu hören bekommt, reichlich bizarr klingen, ist natürlich nichts neues: Ein Reboot von Stargate? Eine von niemandem herbeigesehnte Neuauflage des Highlander? Eine neuer Indiana Jones mit Chris Pratt als Indy? Eine "Rekalibration" {was auch immer das sein soll} von Halloween? Derlei Schlagzeilen bin ich inzwischen gewohnt und sie rufen darum auch kaum mehr als ein Achselzucken bei mir hervor. Hin und wieder aber taucht dann doch noch etwas auf, das so absurd klingt, dass es mich aus meiner Apathie reißt. Selbiges war kürzlich der Fall, als ich lesen musste, Mel Brooks arbeite allen Ernstes an einem Sequel zu Spaceballs.    
With a new Star Wars trilogy in the works, comedian and filmmaker Mel Brooks says he’s actively working on a sequel to his iconic spoofing Spaceballs, which would begin filming after the December 2015 release of Star Wars: The Force Awakens.
During a recent appearance on Adam Carolla’s Take a Knee podcast, Brooks confirmed his desire to make the film, which would be entitled Spaceballs: Search For More Money. He said his intention is to bring back as many as the film’s original cast members as possible, including Rick Moranis, who has all but retired from acting in recent years.
Warum mich diese Botschaft stärker getroffen hat als all der andere Bullshit? Lasst es mich so formulieren: Mel Brooks war einmal ein großer Filmemacher, doch Spaceballs war nie ein großer Film.

Kaum jemand wird widersprechen können, dass die letzten Jahre in Brooks' Karriere als Regisseur einem rapiden Absturz glichen. Der Mann, der uns so wunderbare Klassiker wie The Producers (1968), Blazing Saddles (1974) und Young Frankenstein (1974) geschenkt hatte, verabschiedete sich vom Kinopublikum mit solch unglaublich öden, humor- und fantasielosen Machwerken wie Robin Hood: Man in Tights (1993) und {schauder} Dracula: Dead and Loving It (1995). Dieser Niedergang ist in seinen Ausmaßen geradezu erschreckend. Irgendwann in den 80er Jahren scheint die Quelle von Brooks' Kreativität – aus welchen Gründen auch immer – mit einmal ausgetrocknet zu sein, und sie sollte nie wieder in ihrer alten Frische zu sprudeln beginnen. Wo genau der Beginn dieses Prozesses anzusetzen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander, für mich lassen sich erste Symptome dessen bereits in History of the World, Part 1 (1981) ausmachen und mit Spaceballs (1987) beginnt dann der freie Fall.
Ich will gar nicht leugnen, dass der Streifen die eine oder andere witzige Szene enthält, aber das kann ihn in meinen Augen nicht retten. Ihm fehlen die Kreativität, Sorgfalt und Leidenschaft, die Brooks' wirklich große Filmparodien auszeichneten. Blazing Saddles und Young Frankenstein bestehen nicht einfach aus einer Aneinanderreihung mehr oder weniger gelungener Witze mit mehr oder weniger deutlichem Bezug zu ihrem "Quellenmaterial", sie schaffen es auf großartige Weise, den Look und die Atmosphäre eines klassischen Western oder Universal-Horrorfilms nachzuahmen. Ähnliches gilt für High Anxiety (1977), wenn Brooks z.B. einige von Hitchcocks berühmten cinematographischen Kunstgriffen kopiert. Diese Streifen verraten ein tiefes Verständnis für die Art von Filmen, die sie parodieren. Und vermutlich auch eine große Liebe zu ihnen. Nichts dergleichen lässt sich über Spaceballs sagen. Am nächsten kommt der Film dem vielleicht noch in der Szene mit dem Vorbeiflug des nicht enden wollenden Raumschiffs Spaceballs One, doch was dem folgt, scheint von Leuten gemacht zu sein, die kein Gefühl dafür hatten, was Star Wars oder den SciFi-Film im Allgemeinen ausmacht.
Zugegebenermaßen fand ich Spaceballs ziemlich witzig, als ich ihn mir zum ersten Mal anschaute, aber das liegt nun bereits eine halbe Ewigkeit zurück und ich war damals ... ich weiß nicht ... maximal achtzehn. Als ich mir den Streifen vor ein paar Jahren dann wieder einmal {und diesmal im englischen Original} reingezogen habe, musste ich mit Erschrecken feststellen, wie uninspiriert und streckenweise geradezu peinlich er in Wirklichkeit ist. Ich denke ein Großteil der Liebe, die dem Film auch heute noch von vielen entgegengebracht wird, wurzelt letztlich in ähnlich nostalgischen Erinnerungen.
Ulkigerweise war mir zum Zeitpunkt meiner ersten Begegnung mit Brooks' Werk auch schon der Film bekannt, den ich heute als eine sehr viel gelungenere Star Wars - Parodie Spaceballs entgegenstellen würde: The Ice Pirates von 1984. Ich weiß, eine Einschätzung, die wahrscheinlich nur von sehr wenigen geteilt wird {auf Rotten Tomatoes bekommt der Flick gerade mal 11%}, aber ich bleibe dabei: Stewart Raffills trashiger SciFi-Streifen ist vielleicht nicht wirklich ein besserer Film und er enthält vermutlich ebensoviele müde und pubertäre Witze wie Spaceballs, doch im Unterschied zu ihm ist er bei allem Rumgeblödel zugleich ein nett pulpiges Weltraumabenteuer, und das macht für mich den entscheidenden Unterschied aus: Spaceballs besteht aus einer Aneinanderreihung meist nur mäßig amüsanter Gags, für die der Plot und die Charaktere lediglich als Aufhänger fungieren. Der Film versucht gar nicht erst, eine wirkliche Story zu erzählen, die einen irgendwie packen oder auch nur interessieren könnte. The Ice Pirates hingegen mag zwar ein echt mieser Film sein, aber er erzählt weigstens eine echte Geschichte, in deren Verlauf ich zumindest echte Sympathien für Jason und seinen Trupp von Misfits & Underdogs entwickeln konnte.     

Roger Ebert schrieb seinerzeit in seiner Rezension von Spaceballs::
Did Mel Brooks make "Spaceballs" to celebrate the 10th anniversary of the "Star Wars" saga? Last month we celebrated the first decade of George Lucas's great entertainment, and now here is Brooks's satire, complete with Dark Helmet and Pizza the Hutt. [...]
The strangest thing about "Spaceballs" is that it should have been made several years ago, before our appetite for "Star Wars" satires had been completely exhausted.
In der Tat fragt man sich, was vier Jahre nach Return of the Jedi ein solcher Streifen noch in den Kinos zu suchen hatte. Anders als Blazing Saddles, Young Frankenstein, High Anxiety oder History of the World parodiert Spaceballs kein ganzes Genre, sondern ganz spezifisch Star Wars. Daran ändern auch die paar willkürlich eingestreuten "Anspielungen" auf Star Trek, Alien und Planet of the Apes nichts. Doch der große Hype war 1987  bereits vorbei. Ebenso angestaubt mussten deshalb Brooks' satirische Seitenhiebe auf die geldscheffelnden Merchandising-Maschinerie wirken, für die George Lucas schon seit langem berüchtigt war.

Wenn also bereits die erste Inkarnation von Spaceballs leicht anachronistisch wirken musste, um wieviel mehr würde dies für ein 2016 oder 2017 in die Kinos gelangendes Sequel gelten? Selbst wenn J.J. Abrams' The Force Awakens zu einem großen Erfolg werden sollte, wird der Film doch unter Garantie nichts auslösen, was dem Star Wars - Hype der späten 70er und frühen 80er gleichkäme.

Warum also streut der inzwischen achtundachtzigjährige Brooks Gerüchte über Spaceballs 2 aus? Braucht er dringend Geld und hofft tatsächlich, die Wiederauferstehung von Star Wars ausnutzen zu können? Ist er nicht länger damit zufrieden, seine alten Klassiker wie The Producers und Young Frankenstein in Broadway-Musical zu verwandeln? Will er's sich selbst und der Welt zwanzig Jahre nach seinem Abschied vom Regiestuhl noch einmal beweisen? Oder ist das Ganze bloß ein Spaß, den sich der alte Komiker auf Kosten der gerüchtegeilen Filmfangemeinde macht? Zumal es äußerst unwahrscheinlich ist, dass Rick Moranis aus dem Ruhezustand zurückkehren und sich erneut den schwarzen Riesenhelm überstülpen wird. Und Brooks selbst hat gesagt: "“Without Rick, I wouldn’t do it".

Montag, 9. Februar 2015

Der Décadent der Fantasy (3)

Nach einer einmonatigen Pause setze ich hiermit die Veröffentlichung meiner mäandernden Schreibereien über Leben und Werk von Clark Ashton Smith fort.
(Teil 1 * Teil 2 * Teil 4)


Kapitel 2: Der König der Bohème


Im Jahre 1890 traf ein junger Mann von einundzwanzig Jahren von Long Island kommend in San Francisco ein, dem es bestimmt war, König der Bohème und Mentor Clark Ashton Smiths zu werden. Sein Name war George Sterling. Der Sohn eines ebenso frommen wie trinkfreudigen Arztes aus der Walfängersiedlung Sag Harbor hatte ursprünglich katholischer Priester werden sollen und war von seinem Vater deswegen auf das St. Charles College in Ellicott City, Maryland, geschickt worden. Dort jedoch hatte ihn der dilettierende Dichter Father John B. Tabb glücklicherweise davon überzeugt, dass er sein Leben nicht dem Christengott, sondern dem Dienst an Apollo weihen sollte. Nach einem heftigen Überwürfnis mit den enttäuschten Eltern hatte sich Sterling nach Kalifornien aufgemacht, dem El Dorado der amerikanischen Träume, um eine Stellung im Büro seines Onkels Frank C. Havens, eines ausgesprochen erfolgreichen Immobilienhändlers in Oakland, anzutreten.
Havens war nicht nur der geborene Spekulant – schlau, gierig, risikofreudig und von keinem gar zu skrupulösen Gewissen belastet –, sondern auch eine Art Freigeist und Mäzen, der enge Beziehungen zur örtlichen Künstlerszene unterhielt. Es fiel dem jungen Sterling deshalb nicht schwer, Zugang zu den Kreisen der Dichter, Maler und Bohèmiens zu finden. Er lernte Joaquin Miller kennen, der in "The Hights" – seinem Blockhaus in Oakland – residierte und einen Kreis junger Künstler und Bewunderer um sich geschart hatte, und nahm sich den altgewordenen "Byron der Sierras" in vielem zum Vorbild. Wobei man sich allerdings fragen muss, ob das eine so glückliche Wahl war. Miller war eine ausgesprochene Schauspielernatur, dem es gefiel, sich der Welt in der Rolle des exzentrischen Poeten zu präsentieren. Nicht nur seine Feinde nannten ihn darum oft einen Selbstdarsteller. Wenn sich seine Jünger in "The Hights" um ihn scharten, gab er außerdem recht gerne den Baron Münchhausen und begeisterte mit haarsträubenden und frei erfundenen Geschichten über seine Abenteuer in den alten Frontier-Tagen. Legendär war z.B. sein "Regentanz", den er bei den Indianern erlernt haben wollte. Ein gewisses Element der Selbststilisierung sollte leider auch George Sterling stets eigen bleiben. Anders als Miller betrieb er diese allerdings nie, um sein Ansehen und den Absatz seiner Bücher zu steigern.
Seinen wahren "Meister" freilich lernte er erst 1892 kennen, als er die Bekanntschaft von Ambrose Bierce machte. Er zeigte sich zutiefst beeindruckt von dem berühmten Schriftsteller und gefürchteten Kritiker. Der große Zyniker war nicht frei von Eitelkeit und ließ sich die Verehrungsbezeugungen des jungen Poeten in spe gern gefallen. Er machte ihn zu seinem Protegé, und über Jahre hinweg legte Sterling ihm jede neugeschriebene Verszeile zur kritischen Begutachtung vor. Bierce schwor ihn ganz auf das Vorbild der Klassiker und Romantiker ein, und sein Leben lang sollte er sich schwer damit tun, über die traditionellen Formen des Versbaus hinauszugehen. In späteren Jahren musste er selbst eingestehen, dass „[i]n view of the modern movement in poetry, he was not, perhaps the best master I could have known.“ (1) Sicher färbte auch etwas von Bierce’ Misanthropie auf ihn ab, doch im Grunde blieb dessen ätzender Zynismus seinem sanften Wesen fremd. Ohne Zweifel profitierte Sterling von der Kritik und den Ratschlägen seines erfahrenen "Meisters", dennoch dürfte es für seine weitere Entwicklung von Vorteil gewesen sein, dass dieser 1896 nach New York übersiedelte, um für Hearsts American und später den Cosmopolitan zu arbeiten.

 
George Sterlings erster Gedichtband – The Testimony of the Suns and Other Poems – erschien 1903, doch bereits zuvor war er zum Mittelpunkt der San Franciscoer Bohème geworden. Er muss eine ausgesprochen einnehmende und faszinierende Persönlichkeit gewesen sein. Die meisten seiner Freunde sahen in ihm die lebendige Verkörperung des Dichtertums. Und es war eine recht beeindruckende Gruppe, die sich da regelmäßig in Guiseppe Coppas italienischem Restaurant traf, über Gott und die Welt diskutierte, am Wochenende aufs Land hinauszog, Bacchus huldigte und das freie Künstlerleben in vollen Zügen genoss. Zum engeren Kreis gehörten u.a. die Maler Xavier Martinez und Maynard Dixon, der Bildhauer Robert Ingersoll Aitken, der Architekt und Dichter Herman George Scheffauer, der Humorist Gelett Burgess, der Kritiker Porter Garnett, der Schriftsteller Herman Whitaker – und natürlich: Jack London.
Nach seiner Rückkehr vom Klondike und einem Jahr voll Hunger, Arbeit und Misserfolgen war im Januar 1899 endlich Londons erste Erzählung im Overland Monthly veröffentlicht worden, und sein Stern befand sich nun im raschen Aufstieg. 1903 erschien mit Call of the Wild sein erfolgreichster, ein Jahr später mit The Sea-Wolf einer seiner besten Romane. Auch wenn man sich auf den ersten Blick kaum einen stärkeren Gegensatz vorstellen kann, als den zwischen dem sanften Melancholiker Sterling und dem vitalen Kraftmenschen London, entwickelte sich zwischen den beiden sehr schnell eine innige Freundschaft, denn eines zumindest verband die so unterschiedlichen Männer: „[T]hey liked to be individuals and not to conform to the pattern. They were not of the Establishment, we would say nowadays, wouldn’t we?“ So formulierte es später Ethel Duffy Turner, die zusammen mit ihrem Mann, dem bekannten "muckraker" John Kenneth Turner, bald gleichfalls zu der Gruppe stoßen sollte. (2) Und so bildeten "der Grieche" und "der ‘Wolf", wie sich Sterling und London gegenseitig nannten, in den Piedmont-Tagen ein ebenso ungewöhnliches wie unzertrennliches Gespann.
Ambrose Bierce war verständlicherweise ganz und gar nicht angetan von der Freundschaft seines Zöglings mit dem "roten Anarchisten". Sterling seinerseits bemühte sich nach Kräften um eine "Versöhnung" zwischen seinem verehrten Mentor und seinem besten Freund, was schließlich in einem legendären Besäufnis anlässlich des Mittsommerfestes des Bohemian Clubs von 1910 gipfelte. Danach waren "Bitter" Bierce und "der Wolf" zwar keine Freunde, scheinen sich aber zumindest mit zähneknirschendem Respekt behandelt zu haben.

Es waren die goldenen Tage der Bohème, über die der sozialistische Anwalt Austin Lewis, der auch zu der munteren Schar gehörte, gut fünfundzwanzig Jahre später in einem Nachruf auf seinen Freund Sterling schrieb:
 
He was then the center of a very interesting group, which ranged from Joaquin Miller to young and untried artists and writers. The more intimate members of this group met at Coppa's restaurant in San Francisco, on week days and on Sundays in Alameda County. None of us will ever forget those Sundays.
Jack London had then just started upon his career and was living at Piedmont with his first wife, Bessie, and two small children, Joan and Bess. Sometimes we went to Jack's place for the festivities. Frequently, however, we went to a farm house, the name of which I have forgotten, adjoining a large estate in Piedmont. Occasionally, we went to The Hights, Joaquin Miller's place, and would go over the fields and sit by the quarry, discussing the affairs of the universe and listening to the rhapsodical lies of the old bard. [...]
Hermann Scheffauer, then an architect and rising young poet, protégé of Ambrose Bierce, as was George Sterling, held forth on real-politik and modernity. [...]
The afternoons at Piedmont were merry affairs. George's beautiful sisters frequently came. There was a gathering of youth and beauty. ‘Bob’ Aitken, the sculptor, and other artists, like Xavier Martinez, were nearly always there. We picnicked, danced, played, sang and argued till night found us weary and happy. We usually finished up at George Sterling's house, where Carrie, his wife, was the loveliest and merriest of hostesses.
No one, I fancy, can claim to have really known George Sterling, without some acquaintance with him on these occasions. He was the happiest and most graceful of the crowd. An athlete of prowess, he gave Whitaker, formally an instructor in the British Army and Jack London, whose strength and vigor are well known, a good match. He could run and jump, haul and throw, drink and shout with the best of them. He made a sort of chant to which he used to sing ‘Thus spake the Lord in the vault above the Cherubim’ lustily and well. He was then full of fire and life with no evidence at all of the mordant melancholia which was afterwards so destructive to his morale. [...]
I like to think of George Sterling as he was in those days. I see him oftenest as he stood laughing at a picnic at Piedmont, with all his friends about him. I think that nothing will dislodge that picture from my memory. (3)

Wie Austin Lewis andeutet, sollte dem König der Bohème die Sorglosigkeit und Lebensfreude jener ersten Jahre nicht auf Dauer erhalten bleiben. Doch werden wir noch sehen, dass Sterlings Tragödie, die mit dem Freitod endete, nicht nur persönlicher Natur war, sondern zugleich Ausdruck einer allgemeinen Krise der rebellischen Intelligenzija. Doch dies lag noch in ferner Zukunft.
Die Tage von Piedmont endeten 1906. Der schwerkranke Charles W. Stoddard hatte ein Jahr zuvor die südlich der Bucht von San Francisco gelegene Halbinsel von Monterey als eine Art Refugium für sich entdeckt und war mit einer Gruppe Gleichgesinnter dorthin gezogen. Bald darauf folgten ihm George Sterling und seine Frau Carrie. Sie ließen sich in dem idyllischen Örtchen Carmel-by-the-Sea, in unmittelbarer Nachbarschaft der alten Franziskanermission San Carlos Borromeo de Carmelo, nieder, und bildeten so den Kern einer rasch wachsenden Künstlerkolonie. Vor allem nach dem großen Erdbeben vom April 1906, das einen verheerenden Großbrand in San Francisco auslöste, kam es zu einem wahren Exodus der Intelligenzija. Eine bekannte Selbstkarrikatur Maynard Dixons zeigt den mit Koffern, Teppichen, Zeichenblöcken und Leinwandrollen bepackten Künstler auf der Flucht aus der brennenden Stadt. Sterling half seinen Freunden und Bekannten so gut es ging bei der Übersiedelung. Zehn Tage nach der Katastrophe schrieb er in einem Brief an Ambrose Bierce: „I've had a lively time of late“, und fügte hinzu: „I fear I'll be known as `the man who made Carmel famous.“ (4)

Mittelpunkt des intellektuellen Lebens blieb natürlich auch weiterhin San Francisco, denn dort saßen die Redakteure, Verleger und Buchhändler, doch die Steilküste, der Strand und die Wälder von Monterey wurden für die nächsten Jahre zu einer Art Arkadien der kalifornischen Bohème. 
In seinem Roman The Valley of the Moon beschreibt Jack London die Ankunft seiner Helden Saxon und Billy in Carmel:
 
They had taken the direct county road across the hills from Monterey, instead of the Seventeen Mile Drive around by the coast, so that Carmel Bay came upon them without any fore-glimmerings of its beauty. Dropping down through the pungent pines, they passed woods-embowered cottages, quaint and rustic, of artists and writers, and went on across wind-blown rolling sandhills held to place by sturdy lupine and nodding with pale California poppies. Saxon screamed in sudden wonder of delight, then caught her breath and gazed at the amazing peacock-blue of a breaker, shot through with golden sunlight, overfalling in a mile-long sweep and thundering into white ruin of foam on a crescent beach of sand scarcely less white. (5)

Die landschaftliche Schönheit der Region, die unberührte Natur, der romantische Zauber der halbverfallenen Franziskanerkirche und die relative Abgeschiedenheit der gerade erst im Entstehen begriffenen Siedlung an der Küste machten den Ort zu einem idealen Refugium für die Intelligenzija der Bay Area. Während Monterey in Stoddards Worten bereits drauf und dran war, "in die Hände von Krösus" zu fallen und sich in ein "modisches Ausflugsziel" zu verwandeln, herrschte hier noch die Atmosphäre, die den alten Dichter ursprünglich auf die Halbinsel gelockt hatte:

There was nothing to disturb one in the land [...] save the clang of the combers on the long, lonely beach; the cry of the sea-bird wheeling overhead, or the occasional bang of a rifle. Even the narrow-gauge railway, that stopped discreetly just before reaching the village [of Monterey], broke the monotony of local life but twice in the twenty-four hours. The whistle of the arriving and departing train, the signal of the occasional steamer--ah! but for these, what a sweet, sad, silent spot were that! I used to believe that possibly some day the unbroken stillness of the wilderness might again envelop it. (6)

Es war sicher nicht schwer, sich einzubilden, der verhassten bürgerlichen Gesellschaft zumindest für einige Zeit entflohen zu sein, während man durch die menschenleeren Wälder streifte, am Strand entlangspazierte und dabei Austern und Abalonen sammelte, sich übermütig in die Brandung stürzte, auf den Klippen herumkletterte oder sich zu einem Picknick in der versteckten China-Bucht versammelte. Ein Hauch von Walden lag über der kleinen Kolonie, nur dass anders als bei Thoreau vorgesehen die Eisenbahn jederzeit einen bequemen Trip nach San Francisco mit seinen Dance-halls, Kneipen, Cafés und den Bordellen von "Barbary Coast" erlaubte, wenn es einem nach etwas Abwechselung vom "Leben in den Wäldern" verlangte. Und – ein nicht zu vernachlässigendes Argument! – dieses Leben war angenehm billig. Wie Xavier Martinez’ Frau Elsie berichtet: „You could get good ‘dago red’ for two bits a gallon, tubs of beans for next to nothing. You could go fishing for abalones, mussels, all free - raid orchards and a few things like that. You could get vegetables very cheaply from the Japanese or Chinese and you could live quite comfortably.“ (7) In den Sommermonaten schlugen manche ihr Lager direkt am Strand auf und nächtigten unter dem Sternenzelt, aber die meisten erwarben irgendwann für wenig Geld ein Haus. Und so siedelte sich in wenigen Jahren eine kleine Gemeinde von Malern, Musikern, Schriftstellern, Schauspielern und Universitätsprofessoren in Carmel-by-the-Sea an. 1910 sollen 60% der Einwohner Künstler gewesen sein. Im selben Jahr gründete Herbert Heron das noch heute existierende Forest Theater, auf dessen Bühne u.a. Mary Austins Fire unter der Regie der Dichterin uraufgeführt wurde. Zu den vielen Besuchern, die nur für einige Monate in Carmel blieben, gehörten auch Upton Sinclair und der junge Sinclair Lewis.
Der Ironie, dass ihr kleines antibürgerliches Utopia letztenendes einer cleveren Geschäftsidee der Immobilienhändler James Franklin Devendorf und Frank Powers entsprungen war, die 1903 ein großes Stück Waldland in Küstennähe erworben hatten, das sie nun für 50-100$ pro Grundstück gezielt an „School Teachers of California and other Brain Workers“ verkauften, scheinen sich die Intellektuellen nicht bewusst gewesen zu sein. (8) Für George Sterling jedenfalls war dies das selige Reich Bohemia, seine Nationalhymne der legendäre Abalone Song, der stets angestimmt wurde, wenn es darin ging, die leckeren Meeresbewohner zu verspeisen, ob am abendlichen Lagerfeuer oder in Pop Ernests Café in Monterey:

Oh! some folks boast of quail and toast,
Because they think it's tony;
But I'm content to owe my rent
And live on abalone.

Oh! Mission Point's a friendly joint,
Where every crab's a crony;
And true and kind you'll ever find
The clinging abalone.

He wanders free beside the sea
Where'er the coast is stony;
He flaps his wings and madly sings -
The plaintive abalone.

By Carmel Bay, the people say 
We feed the lazzaroni
On Boston beans and fresh sardines
And toothsome abalone.

Some live on hope, some live on dope,
And some on alimony;
But my tom-cat, he lives on fat
And tender abalone.

Oh! some drink rain, and some champagne,
Or brandy by the pony;
But I will try a little rye
With a dash of abalone.

Oh! Some like jam, and some like ham,
and some like macaroni;
But bring to me a pail of gin
And a tub of abalone.

Oh, some folks think the Lord is fat,
Some think that He is bony;
But as for me, I think that He
Is like an abalone. 

Derweil George Sterling und die "Carmel Crowd" den Abalone Song schmetterten, auf der Jagd nach Kaninchen durch die Wälder streiften oder sich beim Anblick der tosenden Brandung an den Felsen von Point Lobos von der Muse – oder auch fleischlicheren Göttinnen – küssen ließen, besuchte Clark Ashton Smith im vergleichsweise abgelegenen Auburn die Schule. 

Er war das Urbild des sensiblen, künstlerisch begabten Außenseiters – körperlich schwach, fast kränklich; still und in sich gekehrt. Einige Jahre später charakterisierte ihn Mrs. George W. Hamilton, die Ehefrau des Bezirksstaatsanwaltes von Placer County, folgendermaßen: „I wish I could picture to your mind the loneliness of this boy's life. He is so pitifully bashful that the pleasures which interest other boys have never entered his life. He is so keenly sensitive that he does not care for crowds. His body is very frail, but his mind – we who are not poets cannot conceive of its greatness.“ (9)
Es gehört nicht allzuviel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass seine Schulzeit vermutlich nicht die allerglücklichste gewesen ist. Auch wenn er selbst später seine Kindheit als „happy enough“ bezeichnete – wenn man von einigen langwierigeren Krankheiten absehe (10) –, so meinte er damit doch vermutlich in erster Linie die Verhältnisse daheim, nicht die in Klassenzimmer und Schulhof. Dafür spricht auch, dass er aufgrund seiner Leistungen zwar die High School hätte besuchen können, es ihn aber nur ein-zwei Tage an der Placer Union hielt, dann war seine Schullaufbahn ein für alle Mal beendet. Er wurde zum Autodidakten, arbeitete sich systematisch durch die Encyclopedia Britannica und die ungekürzte Ausgabe von Websters Wörtberbuch, brachte sich selbst Latein, später auch Französisch und schließlich sogar Spanisch bei.
Wie bei einem Menschen seines Schlags nicht anders zu erwarten, suchte und fand Clark Ashton schon in jungen Jahren Zuflucht in der Welt der Bücher: „[M]y real education began with the reading of Robinson Crusoe (un-abridged), Gulliver’s Travels, the fairy tales of Andersen and the Countess D’Aulney, The Arabian Nights“ etc. (11) Aus der öden Wirklichkeit von Auburn floh der sensible Junge in das farbenprächtige Universum von Tausendundeiner Nacht. Zusammen mit William Beckfords Caliph Vathek und den Japanbüchern Lafcadio Hearns legten die Erzählungen der namenlosen arabischen und persischen Meister den Samen, aus dem viel später die bizarren Blüten von Zothique hervorsprießen sollten.
Als Dreizehnjähriger fiel ihm in der Schulbücherei eine Ausgabe von Edgar Allan Poes Gedichten in die Hände: „[A]nd, despite the objurgations of the librarian, who considered Poe ‘unwholesome,’ [I] carried the priceless volume home to revel for enchanted days in its undreamt-of melodies.“ Smith hatte sein erstes literarisches Idol gefunden, und seine ersten Versuche im Verseschmieden, die bald darauf folgten, bestanden hauptsächlich aus Imitationen von Poe und dem Rubaiyat des Omar Khayyam, das er in der klassischen Übersetzung von Edward Fitzgerald gelesen hatte. 
Ungefähr ein Jahr später stieß er in einer Ausgabe des Cosmopolitan auf George Sterlings A Wine of Wizardry und war überwältigt:
The poem, with its necromantic music, and splendours as of sunset on jewels and cathedral windows, was veritably all that its title implied; and – to pile marvel upon enchantment – there was the knowledge that it had been written in my own time, by someone who lived little more than a hundred miles away. (12)
In der Folge durchforstete er alle Magazine, derer er habhaft werden konnte, nach weiteren Gedichten Sterlings. Dass er seinem Abgott je in persona begegnen könnte, kam ihm nicht in den Sinn.
Schon sehr früh hatte Clark Ashton damit begonnen, orientalische Geschichten mit Titeln wie The Fulfilled Prophecy, The Shah’s Messenger, The Yogi’s Ring, The Opal of Dehli, The Bronze Image, The Haunted Gong, Fakhreddin, The Emir’s Captive oder Prince Alcorez and the Magician zu schreiben. Eine interessante Parallele zu H. P. Lovecraft, der als Kind inspiriert von Tausendundeiner Nacht ähnliches zu Papier brachte, wobei er kurioserweise den Namen Abdul Alhazred – heute jedem Cthulhu-Jünger als der wahnsinnige Verfasser des grauenvollen Necronomicon bekannt – als "Pseudonym" verwendete Daneben hatte Smith bereits im Alter von 14-15 Jahren zwei ausgewachsene Abenteuerromane verfasst: Black Diamonds und The Sword of Zagan. Ein Format, zu dem er nie wieder zurückkehren würde. Von den Orient-Stories verdient lediglich Prince Alcorez and the Magician Aufmerksamkeit. Mit dem Prinzen von Balkh begegnet uns hier zum ersten Mal der Typus des dekadenten Despoten, der in späteren Erzählungen immer wieder auftreten wird. Und die Umstände seiner Ermordung durch den mysteriösen Hinduzauberer Amaro verraten bereits etwas vom echt smithschen Flair. In den Jahren 1910-12 gelang es Clark Ashton, vier in Indien angesiedelte Kurzgeschichten an den Overland Monthly und das Bostoner Magazin The Black Cat zu verkaufen: The Malay Krise, The Ghost of Mohammed Din, The Mahout und The Raja and the Tiger. Abgesehen davon, dass sie sehr deutlich den Einfluss Rudyard Kiplings erkennen lassen, sind sie nicht von Interesse. Nur die letzte weist in stilistischer Hinsicht bereits einige leichte Anklänge an seine späteren Werke auf.
Doch vorerst gedachte er nicht, in dieser Richtung weiterzuarbeiten, sondern konzentrierte sich ganz auf seine Lyrik. Und hier sah der Weg sehr viel steiniger aus. Auburn stand nicht gerade im Ruf, eine Kulturmetropole zu sein. Zwar hatte in den 1850er Jahren Eulalie hier gelebt, die "erste Dichterin Kaliforniens", deren putzige Buds, Blossoms and Leaves heute völlig zurecht kein Mensch mehr kennt. Doch das war bereits ferne Vergangenheit, und Eulalie interessierte wohl auch zu Clark Ashtons Zeiten bereits nur noch als Figur der Lokalhistorie. Später hatte Ambrose Bierce einige Zeit im örtlichen Hotel residiert. Eine der Spukgeschichten aus Can Such Things Be spielt in Auburn, und in The Perverted Village verspottete er die Stadt als Königreich der üblen Nachrede und Gerüchtemacherei: „Sweet Auburn! liveliest village of the plain,/ Where Health and Slander welcome every train. [...] The brook that runs by many a scandal-mill,/ The church whose pastor groans upon the grill,/ The cowthorn bush with seats beneath the shade,/ Where hearts are struck and reputations flayed“ (13) Keine sehr ermunternden Aussichten für einen eigenwilligen jungen Dichter mit exzentrischem Charakter wie Clark Ashton.
Doch zum Glück gab es wenigstens den Monday Night Club, eine Art Forum kulturell und sozial interessierter Bürger, wo er einige seiner Gedichte mit Erfolg vortrug. Hier begegnete er Emily J. Hamilton, die an der Placer Union High School Englisch unterrichtete und eine alte Bekannte George Sterlings war. In den Piedmont-Tagen hatte sie selbst zum Kreis um Sterling, London, Martinez und Whitaker gehört. Sie schlug ihm vor, dem verehrten Dichter einige seiner Werke zu schicken. Smith war zugleich begeistert und eingeschüchtert: „It seemed rather like venturing to address a demigod, and I was a little doubtful whether the deity could even be reached through a medium so mundane and prosaic as the mails. [...] How could I find the presumption to approach this Apollonian being with my own Marsyas-like crudities?“ Doch Ms. Hamilton versicherte ihm, sein Idol sei kein unnahbarer Halbgott, sondern vielmehr „very human – almost, if anything, too human. He [is] gracious, kindly, helpful, to the novices of the Muse.“ (14) Also nahm er sich ein Herz und schickte Sterling einige seiner Verse, und Anfang Februar 1911 erreichte der erste Brief des Königs der Bohème die kleine Hütte auf dem Boulder Ridge.
Der Dichter des Wine of Wizardry zeigte sich beeindruckt von der sprachlichen Meisterschaft, die der gerade einmal achtzehnjährige Smith in vielen seiner Werke an den Tag legte: „You are, I take it, still young. If so, I think a bright future awaits you.“ Zugleich warnte er ihn: „Your work is rather too delicate for the man in the crowd, but you will count that, I hope, no disadvantage.“ (15) Es entwickelte sich ein reger Briefwechsel zwischen den beiden. Sterling machte detaillierte kritische Anmerkungen und Änderungsvorschläge zu den ersten Gedichten Smiths, riet ihm zu „daily reading of [Robert] Browning and the Old Testament to counteract the 'overmuch honeycomb' that is the young poet's first portion“ und bestätigte ihm immer wieder sein außergewöhnliches Talent: „I do not think I err in saying that such work on the part of a youth of eighteen years is phenomenal, and an indication of true genius.“ (16)
Im Mai schickte ihm Clark Ashton die ersten seiner "kosmischen" Gedichte, zeigte sich vorerst aber noch unsicher, ob er diese Richtung weiter verfolgen solle. Bei Sterling löste Smiths Ode to the Abyss wahre Begeisterungsstürme aus: 
 
But what roc’s egg have you sent me with this lark? I dont’t believe you’re 18 years old! You’re 35, and have been stuffing yourself for eight years on [Keats’] Hyperion, [Shelleys] Prometheus Unbound, [Miltons] Paradise Lost and (I say it as shouldn’t) [Sterlings] The Testimony of the Suns. Your splendid ‘Ode to the Abyss’ is fitted to rank, so far as quality goes, with the first three, and is better than the last. And I’m not inferring you’re not original. Your work is slightly influenced by, but entirely independent of, all those four poems.
Well, perhaps you are eighteen. Genius happens, as Whistler wrote. [...] I must, am forced to, against my own sense of literary caution, consider that this amazing ode of yours is the most remarkable example of youthful (which isn’t in the way of decrial) genius in the history of literature. Pope and Keats are nowhere in comparison. (17)

Solch maßloses Lob und solche bei aller Bewunderung für das frühreife Talent Clark Ashtons doch reichlich übertriebenen Vergleiche mit den Giganten der englischsprachigen Literatur, sollte der junge Dichter in den folgenden Jahren noch öfters zu hören bekommen. George Sterling war sicher ein sehr einfühlsamer und wohlmeinender Mentor, ob er auch immer ein besonders kluger gewesen ist, muss bezweifelt werden. Auf jedenfall wird der Zuspruch durch seinen verehrten Mentor Smith darin bestärkt haben, seiner Neigung zum "Kosmizismus" auch weiterhin nachzugeben.
Auch wenn man Milton und Keats aus dem Spiel lässt, so verrät Ode of the Abyss doch ohne Zweifel ein feines Gespür für die musikalischen Qualitäten der englischen Sprache, und ist ein erstes Beispiel für Smiths ganz eigene Adaption des kosmischen Themas. Die Anfangszeilen des Gedichtes lauten:

O many-gulfed, unalterable one,
Whose deep sustains
Far-drifting world and sun,
Thou wast ere ever star put out on thee;
And thou shalt be
When never world remains;
When all the suns' triumphant strength and pride
Is sunk in voidness absolute,
And their majestic music wide
In vaster silence rendered mute.
And though God's will were night to dusk the blue,
And law to cancel and disperse
The tangled tissues of the universe,
His might were impotent to conquer thee,
O indivisible infinity !

Anders als in Sterlings eigenen "Star Poems" oder den Werken von Herman Scheffauer liegt der Hauptakzent bei Clark Ashton von Anfang an nicht so sehr auf dem ewigen Kreislauf des Entstehens und Vergehens, sondern auf dem letztenendlichen Triumph der Leere, aus der alles hervorgeht und in die sich alles wieder auflöst, die selbst aber ewigen Bestand hat. Der Nihilismus ist hier sehr viel ausgeprägter als bei den anderen "Kosmizisten" der kalifornischen Jahrhundertwende. Schon damals hatte Smith in den „blatant optimists“ (18), den mit ein wenig literarischer Bildung ausgestatteten Babbitts, die von der Kunst moralische Erbauung oder angenehme Unterhaltung erwarteten, seine natürlichen Feinde erkannt. Wir werden auf all dies in einem späteren Kapitel zurückkommen.
George Sterling verbrachte den Sommer 1911 an der Ostküste, wo er Ode to the Abyss u.a. Ambrose Bierce und dem berühmten Dichter Edwin Markham zeigte, die beide positiv reagierten. Der grimmige Kritiker Bierce, der schon die Werke manch junger Schriftsteller genüsslich zerpflückt und der Lächerlichkeit preisgegeben hatte, bezeichnete Smiths Ode in einem Brief an Sterling vom August desselben Jahres als „admirable“. Es verfüge über „many striking passages“ und „a large theme treated with dignity and power“. (19) Markham war gleichfalls beeindruckt, musste allerdings eingestehen, dass „the theme [...] a little beyond his mind“ sei. (20) Auf jedenfall begann der Name Clark Ashton Smith dank Sterlings Bemühungen in literarischen Kreisen allmählich bekannt zu werden. Die Hoffnung, Ode to the Abyss in der prestigeträchtigen North American Review zu veröffentlichen, zerschlug sich allerdings.

Im November 1911 führte der ehemalige Diplomat Boutwell Dunlap – wie Emily J. Hamilton ein Mitglied des Monday Night Club – den jungen Dichter in San Francisco ein, vermittelte ein Zeitungsinterview und stellte ihn dem Verleger A. M. Robertson vor. Robertson war ein echtes Original der örtlichen Literaturszene und „a person of principle. He published George Sterling's works. He knew that he was losing money on them, but he was willing to do it because he felt that Sterling was a great poet.“ (21) Er gehörte zu jener bewunderungswürdigen Gattung von Buchhändler-Verlegern, für die Literatur in erster Linie immer noch eine Kunstform und keine Ware darstellte und von denen es in der Bay Area zumindest zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch einige gab  – neben Robertson z.B. William Doxey, der u.a. Yone Noguchis Voice of the Valley, Emma Frances Dawson’s An Itinerant House und David Park Barnitz’ Book of Jade veröffentlichte. Offenbar erkannte der manchmal etwas schrullige, aber ebenso begeisterungsfähige Verleger das Talent des jungen Smith, und schlug ihm vor, einen Gedichtband herauszugeben. Allerdings sollte es noch ein Jahr dauern, bis dieses Projekt dann auch in die Tat umgesetzt wurde. Freilich konnte Clark Ashton Robertson zu diesem Zeitpunkt auch noch keine genügende Anzahl von Gedichten vorlegen, die die Herausgabe eines ganzen Buches gerechtfertigt hätte.

Nach diesem kurzen Ausflug in die Randbereiche der Bohème erwartete ihn aufs Neue das verhasste Auburn, in dem er sich jetzt sicher einsamer fühlte als jemals zuvor. Er sah in seiner Heimatstadt einen Ort „peopled with particulary impenetrable (and impenitent) Philistines, whose Goliaths are Bierce’s ‘champions of offended dulness.“ (22) Auch die Mehrheit der Mitglieder des Monday Night Club nahm er nicht von dieser Charakterisierung aus, und vermutlich hatte er damit gar nicht einmal so unrecht.
Sterling, der inzwischen nach Kalifornien zurückgekehrt war, lud seinen Protegé ein, ihn in Carmel zu besuchen, und Clark Ashton wäre sicher am liebsten sofort aufgebrochen, denn „Auburn is nothing but a cage, and with little gilding on the bars at that.“ (23) Doch konnte er sich eine Reise nach Monterey einfach nicht leisten und scheute gleichzeitig davor zurück, dieses finanzielle Problem Sterling gegenüber anzusprechen. Es brauchte einige Zeit, bis dieser von selbst den Grund für das Zögern seines jungen Freundes erkannte und ihm zehn Dollar zukommen ließ. Und so machte sich Smith im Juni 1912 endlich auf den Weg.
Seine Ankunft im Reich Bohemia schilderte er vierzehn Jahre später in einem Nachruf auf den Freund wie die Szene aus einer romantischen Erzählung:
 
I decided to walk the four miles over the ridge to Carmel, and started in the thickening dusk through a country that was thrillingly new and strange to me. Some dweller on the outskirts of Carmel steered me vaguely in the general direction of Sterling's house. The road ran obscurely through a black forest starred with infrequent lights, and seemed to end at the last visible light. A woman (Mrs. Michael Williams, I believe) redirected me. I had only to cross a wooden footbridge and follow a narrow, winding path down the ravine. There, in the pine-fragrant darkness, I came to the blurred outlines of a cabin and a house; I knocked on the cabin's door. A high, cracked, New England voice sang out, ‘Come in, Clark Ashton Smith!’.

Es musste ihm erscheinen, als habe er eine andere Welt betreten. In Auburn war er stets der misstrauisch beäugte oder mitleidig belächelte Außenseiter gewesen. Hier fand er eine Gemeinschaft von Menschen, die wie er empfanden.
  
Thus, for me, began a month of rare companionship and happiness. [...]
Life [...] seemed simple and leisurely there. Almost every morning, if I recall rightly George took me on a round of calls, often distributing surplus game among his friends. There were wagon-rides up the Carmel valley, along the 17 mile Drive to Point Lobos, and a sea-fowl haunted spot several miles below Lobos where we picnicked with the Turner family. There were mussel-stews and incredibly complicated ‘mulligans’ cooked amid the white sand-dunes; there were walks to Pebble Beach and in the woodlands carpeted with yerba buena and wild strawberry plants.
Also, there were rituals to be observed, such as the pounding of abalone steaks with a big wooden mallet on a boulder in the back yard; and the making each afternoon of a huge pitcher of punch, compounded subtly with Bourbon and soda, sliced pineapple and mint from the meadow-bottom below the house. I was priviledged to purvey the mint. (24)

Kein Wunder, dass das Leben in Carmel Smith wie das Ideal menschlicher Existenz vorkam, und die Halbinsel von Monetery noch Jahrzehnte später für ihn den Reiz einer Landschaft besaß, in der trotz der Verwüstungen der Moderne die Alten Götter noch nicht ganz gestorben waren, wo man mit etwas Glück in der Dämmerung eines warmen Sommerabends den huschenden Schatten eines Satyrs oder einer Nymphe erspähen konnte und jedes Treffen unter Freunden mit einem Trankopfer an den großen Dionysos eröffnet wurde.

Im Anschluss an Smiths Besuch in der Künstlerkolonie versuchte Sterling auch ein Treffen mit Ambrose Bierce zu arrangieren, den Clark Ashton tief verehrte und der sich im Sommer 1912 zum letzten Mal in Kalifornien aufhielt, doch erwies sich dies offenbar als unmöglich.
Der Monat in Carmel vertiefte nicht nur die Freundschaft zwischen Smith und Sterling, er bildete sozusagen die förmliche Initiation des jungen Dichters in die Bohème der Bay Area. Bevor wir uns mit Clark Ashtons erstem Gedichtband The Star-Treader, der im November 1912 erschien, und seinem weiteren Schicksal beschäftigen, wollen wir darum etwas genauer den Charakter jener Künstlerszene zu bestimmen versuchen, zu der er sich von nun an zählen durfte.


(1) George Sterling: The Shadow Maker. [1925]. Zit. nach: Peter Kratzke: The Man Who WouldHave It All: George Sterling and the American Dream.
(2) Ethel Duffy Turner: Writers and Revolutionists. S. 27f. Als "muckraker" ("Schmutzaufwühler") bezeichnet man eine Gruppe amerikanischer Schriftsteller, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts Korruption und Ausbeutung in ihren Werken thematisierten. Bekanntestes Beispiel ist Upton Sinclair mit seinem 1906 erschienen Roman The Jungle über die Verhältnisse in den riesigen Schlachthöfen von Chicago.
(3) Austin Lewis: George Sterling at Play. In: Overland Monthly and Out West Magazine. Vol.85; Issue 11; November 1927. S. 344.
(4) Zit. nach: Theresa Poletti: Fleeing flames and ruins to Carmel colony.
(5) Jack London: The Valley of the Moon. S. 370.
(6) Charles W. Stoddard: A Memory of Monterey. In: Ders.: In the Footprints of the Padres. S. 161f.
(7) Elsie Whitaker Martinez: San Francisco Bay Area Writers and Artists. S. 223.
(8) Vgl.: Theresa Poletti: Fleeing flames and ruins to Carmel colony.
(9) Mrs. G. K. [sic] Hamilton: A Poet and His Poetry. In: The Auburn Daily Journal. (27. 3. 1915). Zit. nach: Scott Connors: Auburn’s Forgotten Son: ClarkAshton Smith.
(10) CAS an Samuel J. Sackett (30.6.1949). In: Selected Letters of Clark Ashton Smith. S. 359.
(11) CAS an L. Sprague de Camp (21.10.1953). In: Selected Letters of Clark Ashton Smith. S. 370f.
(12) Clark Ashton Smith: George Sterling – An Appreciation. In: David E. Schultz & S.T. Joshi (Hg.): The Shadow of the Unattained. S. 294.
(13) Ambrose Bierce: The Perverted Village. In: Ders.: Black Beetles in Amber. In: The Collected Works. Bd. 5. S. 148.
(14) Clark Ashton Smith: George Sterling: Poet and Friend. In: David E. Schultz & S.T. Joshi (Hg.): The Shadow of the Unattained. S. 298. Der Satyr Marsyas forderte Apollo zu einem musikalischen Zweikampf heraus, unterlag nach dem Schiedsspruch der Musen und wurde von dem erzürnten Gott für seine Unverschämtheit grausam bestraft. Apollo hängte ihn an eine Fichte und zog ihm bei lebendigem Leib die Haut ab.
(15) GS an CAS (31.1.1911). In: David E. Schultz & S.T. Joshi (Hg.): The Shadow of the Unattained. S. 19.
(16) GS an CAS (28.2.1911). In: David E. Schultz & S.T. Joshi (Hg.): The Shadow of the Unattained. S. 20. 
(17) GS an CAS (13.7.1911). In: David E. Schultz & S.T. Joshi (Hg.): The Shadow of the Unattained. S. 27.
(18) CAS an GS (21.5.1911). In: David E. Schultz & S.T. Joshi (Hg.): The Shadow of the Unattained. S. 26.
(19) Zit. nach: Scott Connors: Auburn’s Forgotten Son: Clark Ashton Smith.
(20) GS an CAS (5.10.1911). In: David E. Schultz & S.T. Joshi (Hg.): The Shadow of the Unattained. S. 30.
(21) Herbert Coggins: From Horatio Alger to Eugene Debs. S. 64.
(22) CAS an GS (24.3.1912). In: David E. Schultz & S.T. Joshi (Hg.): The Shadow of the Unattained. S. 39.
(23) CAS an GS (6.10.1911). In: David E. Schultz & S.T. Joshi (Hg.): The Shadow of the Unattained. S. 31.
(24) Clark Ashton Smith: George Sterling: Poet and Friend. In: David E. Schultz & S.T. Joshi (Hg.): The Shadow of the Unattained. S. 299; 301.