Ah ja .. Peplums ... Sandalenfilme ... Die wunderbar naive Welt von Herkules, Maciste, Samson, Ursus ... Ein vage antik-mediterran-mythologisch anmutendes Universum, in dem eher leicht bekleidete Heroen mit enormen Bizeps epische Kämpfe gegen böse Tyrannen, hinterhältige Zauberer und Hexen sowie sagenumwobene Ungeheuer ausfechten, um die Welt ein kleines Stück besser zu machen {und nebenbei oft auch die Liebe irgendeiner hübschen Prinzessin zu gewinnen} ...
Von allen Genres des italienischen B-Movies ist der Peplum das älteste. Sein Stammbaum reicht zurück bis in die frühen Tage von Italiens Kino – in die Ära vor dem 1. Weltkrieg, als der Stolz auf die antike Vergangenheit und der {spätestens nach der Eroberung Libyens 1911/12 imperiale Formen annehmende} Nationalismus der italienischen Bourgeoisie seinen filmischen Ausdruck in einer Reihe epischer Produktionen fand, von denen Giovanni Pastrones Carbiria (1914) als der bedeutendste gelten darf. Alle, die Stummfilme nicht grundsätzlich für uniteressant halten, sollten sich diesen Streifen – an dem übrigens auch der Dichterkönig der italienischen Décadence Gabriele D'Annunzio mitwirkte – unbedingt einmal anschauen. Er war nicht nur eine der Inspirationsquellen für D.W. Griffiths episches Meisterwerk Intolerance (1916), sondern bezeichnet auch die Geburtsstunde von Maciste, dem ersten großen Peplum-Helden.
Von 1915 bis 1927 durfte der von Bartolomeo Pagano verkörperte Maciste {wenn auch leider nicht länger als schwarzer Sklave} in sage und schreibe sechsundzwanzig Filmen weitere Abenteuer erleben und unermüdlich gegen das Böse kämpfen. Ob man sie alle dem Peplum zuordnen kann, darf allerdings bezweifelt werden, tragen einige von ihnen doch Titel wie Maciste turist / Maciste der Tourist (1917) oder Maciste e il nipote di America / Maciste und der amerikanische Neffe (1924). Mit Paganos Rückzug von der Schauspielerei endete 1926/27 auch das erste Kapitel in der Geschichte des Genres.
Bevor Italien die alte Tradition nach dem 2. Weltkrieg wieder aufnehmen konnte*, hatte Hollywood bereits begonnen, seine großen Antik- und Bibelschinken zu drehen, und ohne Filme wie Mervyn LeRoys Quo Vadis? (1951) oder Cecil B. De Milles Samson and Delilah (1952) hätte es vermutlich auch keinen neuen Peplum gegeben. So war die Wiedergeburt eines uritalienischen Genres ironischerweise zugleich die Geburt eines später geradzu berüchtigt werdenden Kunstgriffs der italienischen Filmindustrie: Jedes erfolgreiche amerikanische Format schnell {und meist billig} im "Land, wo die Zitronen blühn" zu kopieren. Vorreiter des neuen Peplum war Riccardo Freda mit Spartaco / Sins of Rome (1953) und Teodora, imperatrice di Bisanzio / Theodora, Slave Empress (1954), doch so richtig los ging's erst mit dem von Dino de Laurentiis – dem "patron saint of pasta production" (Kim Newman)** – finanzierten Ulysses von 1955. Der Erfolg des Streifens mit Kirk Douglas in der Hauptrolle führte 1957 zur Produktion von Le fatiche di Ercole / Hercules, und der war nicht nur in Italien, sondern dank des Marketingtalents von Joseph E. Levine 1959 auch in den USA ein Riesenhit. Und so bezwang Steven Reeves' muskelbepackter Halbgott nicht nur monströse Löwen und Stiere, sondern öffnete auch die Schleusen für eine wahre Flut von Peplums, die für das nächste Jahrfünft über das italienische Kinopublikum hereinbrechen sollte.*** 1960 erlebte die Wiederauferstehung von Maciste, 1961 die Geburt von Ursus und Samson.
Ich weiß nicht mehr wo, aber in irgendeinem Artikel oder Dokumentarfilm ist mir mal die These untergekommen, man könne den Peplum als das italienische Pendant zum westdeutschen Heimatfilm der 50er Jahre betrachten. Beide seien Ausdruck der Flucht in eine nostalgisch verklärte Vergangenheit mit dem Ziel, einer Auseinandersetzung mit dem gerade untergegangenen Faschismus aus dem Weg zu gehen und zugleich konservative Werte zu restituieren. Beide Genres seien somit als kulturell und politisch reaktionär einzustufen.
Zugegeben, es fällt nicht schwer, Argumente für eine solche Einschätzung zu finden. Feiert der Peplum nicht den "männlich"-martialischen Helden? Sind die "barbarischen Horden" und."dekadenten" Despoten, mit denen es unsere Muskelmänner zu tun bekommen, nicht typisch konservative Feind- und Zerrbilder? Ist das Frauenbild der Sandalenfilme – verkörpert in dem Gegensatzpaar gute "damsel in distress" und böse "femme fatale" – nicht schlichtweg zum Jammern? Und weckt der Rückgriff auf die Antike nicht gar leise Erinnerungen an die römisch-imperialen Fantasien der Mussolini-Ära?
Ja, ja, ja und hmm, vielleicht. –
Dennoch kann ich mich dieser These nicht so recht anschließen. Und dass nicht bloß, weil ich derartig generalisierte Urteile über ganze Genres grundsätzlich für problematisch halte. Wer weiß, vielleicht ließe sich bei einer vorurteilsfreien Herangehensweise sogar unter den Heimatfilmen der 50er Jahre hie und da etwas Interessantes finden? {Keine Angst, ich habe nicht vor, mich einem dahingehenden Selbstexperiment zu unterziehen. Niemand muss befürchten, hier schon bald eine Besprechung von Der Förster vom Silberwald vorzufinden.}
Die Geschichte des italienischen und des (west)deutschen Films ist einfach zu unterschiedlich, um eine derart krude Parallelisierung zu rechtfertigen. Bevor der B-Movie mit den Peplums seinen ersten großen Triumph feiern konnte, hatte es im italienischen Film bereits eine Ära höchster künstlerischer Blüte im Zeichen des Neorealismus gegeben. {Ich werde das an dieser Stelle nicht genauer ausführen, aber ich denke, dass man den italienischen B-Movie teilweise auch als eine Reaktion auf die ästhetische Krise des Neorealismus verstehen kann.} Nichts vergleichbares war der Heimatfilm-, Karl May- und Edgar Wallace-Welle in Deutschland vorausgegangen, wenn man von einigen vereinzelten Ausnahmen in der unmittelbaren Nachkriegszeit – wie etwa Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns (1946) – absieht.
Um den Peplum richtig einzuschätzen, halte ich es für sehr viel ergiebiger, wenn man ihn mit der ihm nachfolgenden Modewelle im italienischen B-Movie vergleicht – dem Spaghettiwestern, der Mitte der 60er Jahre mit Sergio Leones Per un pugno di dollari / A Fistful of Dollars (1964) die Herrschaft antrat. Könnte es einen extremeren Gegensatz geben? Auf der einen Seite das ungebrochene Heldenbild und der naive Optimismus des Sandalenfilms. Auf der anderen Seite der dreckige Zynismus des Italowesterns. {Dass sich die beiden großen Sergios – Leone & Corbucci – ihre Regisseurs-Sporen im Peplum verdient hatten, verstärkt diesen Eindruck nur noch.}
Welche Schlussfolgerungen könnte man aus einer solchen Gegenüberstellung ziehen?
Im Zuge des Weltwirtschaftsbooms der 50er und frühen 60er Jahre kamen auch in Italien erstmals breitere Bevölkerungsschichten in den Genuss eines bescheidenen Wohlstands. Vor allem 1959-62 gilt als die Zeit des "Italienischen Wirtschaftswunders". Zwar darf man diese Entwicklung nicht überbewerten {so verstärkte sich z.B. gleichzeitig der Gegensatz zwischen dem "reichen" industriellen Norden und dem agrarischen Süden}, noch sollte man ihre Schattenseiten ignorieren {mit tatkräftiger Unterstützung der stalinistischen KP war es Italiens Elite gelungen, den Sturz des Faschismus zu überleben, und Hand in Hand mit der katholischen Hierarchie dominierte sie auch weiterhin das wirtschaftliche, politische und kulturelle Leben des Landes}. Aber nichtsdestotrotz lässt sich nicht leugnen, dass es für viele Italiener und Italienerinnen handfeste Gründe gab, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Vor diesem Hintergrund betrachtet wirkt der Peplum weniger wie eine Flucht vor den Sünden der Vergangenheit als vielmehr wie ein Ausdruck der Hoffnung auf ein besseres Morgen.
Zur Untermauerung dieser Interpretation lässt sich z.B. die Schlussszene des Ur-Peplums Ulysses heranziehen. Die Geschichte des listenreichen Eroberers von Troja findet ihren Höhepunkt bekanntlich in einem wüsten Blutbad, das der zurückgekehrte Held unter Penelopes Freiern veranstaltet. Und in dieser Hinsicht hält sich der Film recht genau an seine literarische Vorlage. Dem Gemetzel folgt die Wiedervereinigung des Paares. Beide sind verstört über all das Blutvergießen, das diesem lange herbeigesehnten Moment vorausgehen musste. Wie Odysseus sagt: "So many years of our youth wandered in the savagery of war." Doch all diesem Leid und all dieser Grausamkeit soll nun ein friedvolles und glückliches Leben folgen. Ließe sich diese Szene vor dem Hintergrund der damaligen gesellschaftlichen Realität Italiens nicht als Ausdruck der Sehnsucht deuten, dass nach den Schrecken von Faschismus und Krieg auch für das italienische Volk endlich eine Ära von Frieden und Glück anbrechen möge?
Auf mögliche Erklärungen, warum es Mitte der 60er mit dem Spaghettiwestern dann zu einem so krassen Umbruch im Ton der B-Movies gekommen ist, werde ich das nächte Mal vielleicht etwas genauer eingehen.
Für alle, denen eine solche "zeitgeschichtliche" Herangehensweise etwas zu weit hergeholt erscheint {und es ist eine sehr wacklige These}, rasch noch ein paar allgemeinere Argumente zur "Verteidigung" des Genres: Im Ganzen gesehen haben die meisten Peplums einen deutlich populistischen Anstrich. Vergessen wir nicht, dass Fredas erster Proto-Peplum ein Spartacus-Film war. Und auch späterhin sind die Antagonisten meist irgendwelche grausamen und intriganten Despoten. Um den wiederbelebten Maciste wird sogar ein eigener Mythos entwickelt, demzufolge es die Bestimmung dieses Heroen ist, unablässig durch die Länder und Zeiten zu reisen, um den Unterdrückten beizustehen. Die Helden des Sandalenfilms mögen Halbgötter oder Übermenschen sein, aber dennoch haben sie häufig etwas sehr Bodenständiges an sich. Selbst als König wirkt Herkules alles andere als "majestätisch". Sie sind in gewisser Weise "Volkshelden". Was jedoch am wichtigsten ist: In ihrer charmanten Naivität machen viele Peplums einfach einen Riesenspaß. Und in den besten von ihnen finden sich zudem so manche in filmerischer Hinsicht wirklich beeindruckende Sequenzen.
Ich bin nun beileibe kein echter Peplum-Experte, und meine Bekanntschaft mit den meisten dieser Flicks liegt schon ziemlich lange zurück. Die drei Sandalenfilme jedoch, für die ich mit voller Überzeugung eine Empfehlung aussprechen kann, wurden interessanterweise alle in den Jahren 1961/62 gedreht. Da wäre zuerst einmal mein alter Liebling, Vittorio Cottafavis Ercole alla conquista di Atlantide / Hercules and the Conquest of Atlantis (1961) – ein grandioser Vertreter jenes phantastisch-abenteuerlichen Unsinns, den ich in der heutigen Kinolandschaft so schmerzlich vermisse. Und dann natürlich Riccardo Fredas Maciste all'inferno / The Witch's Curse (1962) und Mario Bavas Ercole al centro della terra / Hercules in the Haunted World (1961).
In Nightmare Movies beschreibt Kim Newman die beiden "Horror-Peplums" als das faszinierende Produkt des Überlappens zweier Modewellen im italienischen B-Movie.**** Ganz falsch ist das sicher nicht. Mit Werken von Bava (La maschera del demonio & I tre volti della paura / Black Sabbath), Freda (L'orribile segreto del Dr Hichcock & Lo spettro / The Ghost) und Antonio Margheriti (Danza Macabra / Castle of Blood & La vergine di Norimberga / Horror Castle) erlebte der italienische Horrorfilm in den ersten Jahren des Dezenniums seine erste große Blüte.***** Und zumindest Maciste all'inferno beginnt ganz im Stil eines "gotischen" Horrorflicks, bis nach einer halben Stunde urplötzlich Muskelmann Maciste in das schottische Dorf eingeritten kommt, um die Sache mit dem Hexenfluch in die Hand zu nehmen. Das klingt jetzt sicher ziemlich absurd? Ist es auch! Aber wenn unser Held wenig später in die Hölle hinabsteigt, bekommen wir eine Reihe wirklich phantastisch-dantesk angehauchter Szenen zu sehen.
Ercole al centro della terra lässt sich in meinen Augen weniger direkt als eine Mixtur aus "gotischem" Horror und Sandalenfilm charakterisieren. In stilistischer Hinsicht wirkt er auf mich eher wie eine Fortsetzung und Weiterentwicklung dessen, was bereits Jahre zuvor in der Kirke-Episode von Ulysses angelegt gewesen war – einem Film, bei dem Bava ja nicht nur als Kameramann, sondern auch als Co-Regisseur mitgewirkt hatte.
Als Herkules (Reg Park) gemeinsam mit seinem Kumpel Theseus (George Ardisson) von irgendwelchen Abenteuern nach Arcadia (???) zurückkehrt, muss er erfahren, dass seine Geliebte Deinaria (Leonora Ruff) nach dem Tod ihres Vaters einem geheimnisvollen Fluch zum Opfer gefallen ist. In schlafwandlerischem Trancezustand wandert sie nachts durch die königlichen Gärten, derweil ihr Onkel Lico (Christopher Lee) die Herrschaft über den Stadtstaat übernommen hat. Hilfesuchend wendet sich unser Held an das örtliche Orakel und erfährt, dass er in den Hades hinabsteigen muss, wenn er Deinaria erlösen will. Also macht er sich zusammen mit Theseus und dem Feigling Telemachus (Franco Giacobini als Comic Relief)} zur Insel der Hesperiden auf, um den goldenen Apfel zu erringen, ohne den er nicht hoffen kann, einen Besuch in der Unterwelt zu überleben ...
Um das von vornherein klarzustellen: Die Story ist nicht wirklich origineller oder intelligenter als die vieler anderer Peplums. {Und wer Probleme mit dem genretypischen wilden Mix aus Namen und Versatzstücken aus antiken Mythen hat, wird erst recht keine Freude an ihr finden können}. Die schauspielerischen Leistungen sind {trotz Christopher Lee} bestenfalls mittelmäßig zu nennen. {Auch wenn ich sagen muss, dass ich Reg Park, der schon in Ercole alla conquista di Atlantide den Halbgott mimte, recht charismatisch finde}. Und die Dialoge wirken schon allein aufgrund der für italienische B-Movies der Zeit üblichen billigen Nachsynchronisation zum Teil schlichtweg erbärmlich. Vom schon erwähnten Frauenbild der Peplums, das sich auch hier in seiner ganzen fragwürdigen Pracht präsentiert, einmal ganz zu schweigen.
Doch all das wird man sehr rasch vergessen, wenn man bereit ist, sich auf Mario Bavas großartige Bildkompositionen einzulassen. Die Kampfszene ganz am Anfang hat mich noch sehr stark an La Maschera del demonio erinnert, erweckt sie doch ein ähnliches Gefühl für räumliche Tiefe und spielt einmal mehr mit dunklen Silhouetten vor einem hellen Hintergrund. In der Folge zeigt uns Bava dann jedoch, wie er sein ästhetisches Arsenal immer weiter ausbaut. Licht und Schatten spielen auch weiterhin eine große Rolle, doch treten nunmehr farbliche Kompositionen in den Vordergrund. Mit Hilfe von rotem, orangenem, grünem und blauem Licht kreiert der Regisseur eine surreale, phantastische und mitunter verstörend anmutende Welt, in der sich seine Figuren bewegen. Besonders prächtige Beispiele dafür sind das Orakel, die Fahrt zur Insel der Hesperiden, die Szenen im Hades und Herkules' Schlusskampf gegen die Untoten. Hinzu kommen solche wunderbar stilisiert wirkenden Sets wie Licos Thronsaal oder der Tempel der Sibylle, die eher an Theater- denn an Filmkulissen gemahnen. Und als wäre all das noch nicht genug, präsentiert uns Bava zusätzlich immer wieder geradezu malerisch anmutende Panormabilder, wie das nächtliche Arcadia, den in eine Art Anderswelt übergehenden Ozean oder die "Insel" des Pluto inmitten eines rotglühenden Lavameers.
All jenen, die sich in der Lage fühlen, über einen generischen Plot und äußerst fragwürdige Genederklischees hinwegzusehen, eröffnet Ercole al centro della terra die Gelegenheit, eine Welt von phantastischer und unwirklicher Schönheit zu besuchen, die sie nicht so schnell vergessen werden.
Von allen Genres des italienischen B-Movies ist der Peplum das älteste. Sein Stammbaum reicht zurück bis in die frühen Tage von Italiens Kino – in die Ära vor dem 1. Weltkrieg, als der Stolz auf die antike Vergangenheit und der {spätestens nach der Eroberung Libyens 1911/12 imperiale Formen annehmende} Nationalismus der italienischen Bourgeoisie seinen filmischen Ausdruck in einer Reihe epischer Produktionen fand, von denen Giovanni Pastrones Carbiria (1914) als der bedeutendste gelten darf. Alle, die Stummfilme nicht grundsätzlich für uniteressant halten, sollten sich diesen Streifen – an dem übrigens auch der Dichterkönig der italienischen Décadence Gabriele D'Annunzio mitwirkte – unbedingt einmal anschauen. Er war nicht nur eine der Inspirationsquellen für D.W. Griffiths episches Meisterwerk Intolerance (1916), sondern bezeichnet auch die Geburtsstunde von Maciste, dem ersten großen Peplum-Helden.
Von 1915 bis 1927 durfte der von Bartolomeo Pagano verkörperte Maciste {wenn auch leider nicht länger als schwarzer Sklave} in sage und schreibe sechsundzwanzig Filmen weitere Abenteuer erleben und unermüdlich gegen das Böse kämpfen. Ob man sie alle dem Peplum zuordnen kann, darf allerdings bezweifelt werden, tragen einige von ihnen doch Titel wie Maciste turist / Maciste der Tourist (1917) oder Maciste e il nipote di America / Maciste und der amerikanische Neffe (1924). Mit Paganos Rückzug von der Schauspielerei endete 1926/27 auch das erste Kapitel in der Geschichte des Genres.
Bevor Italien die alte Tradition nach dem 2. Weltkrieg wieder aufnehmen konnte*, hatte Hollywood bereits begonnen, seine großen Antik- und Bibelschinken zu drehen, und ohne Filme wie Mervyn LeRoys Quo Vadis? (1951) oder Cecil B. De Milles Samson and Delilah (1952) hätte es vermutlich auch keinen neuen Peplum gegeben. So war die Wiedergeburt eines uritalienischen Genres ironischerweise zugleich die Geburt eines später geradzu berüchtigt werdenden Kunstgriffs der italienischen Filmindustrie: Jedes erfolgreiche amerikanische Format schnell {und meist billig} im "Land, wo die Zitronen blühn" zu kopieren. Vorreiter des neuen Peplum war Riccardo Freda mit Spartaco / Sins of Rome (1953) und Teodora, imperatrice di Bisanzio / Theodora, Slave Empress (1954), doch so richtig los ging's erst mit dem von Dino de Laurentiis – dem "patron saint of pasta production" (Kim Newman)** – finanzierten Ulysses von 1955. Der Erfolg des Streifens mit Kirk Douglas in der Hauptrolle führte 1957 zur Produktion von Le fatiche di Ercole / Hercules, und der war nicht nur in Italien, sondern dank des Marketingtalents von Joseph E. Levine 1959 auch in den USA ein Riesenhit. Und so bezwang Steven Reeves' muskelbepackter Halbgott nicht nur monströse Löwen und Stiere, sondern öffnete auch die Schleusen für eine wahre Flut von Peplums, die für das nächste Jahrfünft über das italienische Kinopublikum hereinbrechen sollte.*** 1960 erlebte die Wiederauferstehung von Maciste, 1961 die Geburt von Ursus und Samson.
Ich weiß nicht mehr wo, aber in irgendeinem Artikel oder Dokumentarfilm ist mir mal die These untergekommen, man könne den Peplum als das italienische Pendant zum westdeutschen Heimatfilm der 50er Jahre betrachten. Beide seien Ausdruck der Flucht in eine nostalgisch verklärte Vergangenheit mit dem Ziel, einer Auseinandersetzung mit dem gerade untergegangenen Faschismus aus dem Weg zu gehen und zugleich konservative Werte zu restituieren. Beide Genres seien somit als kulturell und politisch reaktionär einzustufen.
Zugegeben, es fällt nicht schwer, Argumente für eine solche Einschätzung zu finden. Feiert der Peplum nicht den "männlich"-martialischen Helden? Sind die "barbarischen Horden" und."dekadenten" Despoten, mit denen es unsere Muskelmänner zu tun bekommen, nicht typisch konservative Feind- und Zerrbilder? Ist das Frauenbild der Sandalenfilme – verkörpert in dem Gegensatzpaar gute "damsel in distress" und böse "femme fatale" – nicht schlichtweg zum Jammern? Und weckt der Rückgriff auf die Antike nicht gar leise Erinnerungen an die römisch-imperialen Fantasien der Mussolini-Ära?
Ja, ja, ja und hmm, vielleicht. –
Dennoch kann ich mich dieser These nicht so recht anschließen. Und dass nicht bloß, weil ich derartig generalisierte Urteile über ganze Genres grundsätzlich für problematisch halte. Wer weiß, vielleicht ließe sich bei einer vorurteilsfreien Herangehensweise sogar unter den Heimatfilmen der 50er Jahre hie und da etwas Interessantes finden? {Keine Angst, ich habe nicht vor, mich einem dahingehenden Selbstexperiment zu unterziehen. Niemand muss befürchten, hier schon bald eine Besprechung von Der Förster vom Silberwald vorzufinden.}
Die Geschichte des italienischen und des (west)deutschen Films ist einfach zu unterschiedlich, um eine derart krude Parallelisierung zu rechtfertigen. Bevor der B-Movie mit den Peplums seinen ersten großen Triumph feiern konnte, hatte es im italienischen Film bereits eine Ära höchster künstlerischer Blüte im Zeichen des Neorealismus gegeben. {Ich werde das an dieser Stelle nicht genauer ausführen, aber ich denke, dass man den italienischen B-Movie teilweise auch als eine Reaktion auf die ästhetische Krise des Neorealismus verstehen kann.} Nichts vergleichbares war der Heimatfilm-, Karl May- und Edgar Wallace-Welle in Deutschland vorausgegangen, wenn man von einigen vereinzelten Ausnahmen in der unmittelbaren Nachkriegszeit – wie etwa Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns (1946) – absieht.
Um den Peplum richtig einzuschätzen, halte ich es für sehr viel ergiebiger, wenn man ihn mit der ihm nachfolgenden Modewelle im italienischen B-Movie vergleicht – dem Spaghettiwestern, der Mitte der 60er Jahre mit Sergio Leones Per un pugno di dollari / A Fistful of Dollars (1964) die Herrschaft antrat. Könnte es einen extremeren Gegensatz geben? Auf der einen Seite das ungebrochene Heldenbild und der naive Optimismus des Sandalenfilms. Auf der anderen Seite der dreckige Zynismus des Italowesterns. {Dass sich die beiden großen Sergios – Leone & Corbucci – ihre Regisseurs-Sporen im Peplum verdient hatten, verstärkt diesen Eindruck nur noch.}
Welche Schlussfolgerungen könnte man aus einer solchen Gegenüberstellung ziehen?
Im Zuge des Weltwirtschaftsbooms der 50er und frühen 60er Jahre kamen auch in Italien erstmals breitere Bevölkerungsschichten in den Genuss eines bescheidenen Wohlstands. Vor allem 1959-62 gilt als die Zeit des "Italienischen Wirtschaftswunders". Zwar darf man diese Entwicklung nicht überbewerten {so verstärkte sich z.B. gleichzeitig der Gegensatz zwischen dem "reichen" industriellen Norden und dem agrarischen Süden}, noch sollte man ihre Schattenseiten ignorieren {mit tatkräftiger Unterstützung der stalinistischen KP war es Italiens Elite gelungen, den Sturz des Faschismus zu überleben, und Hand in Hand mit der katholischen Hierarchie dominierte sie auch weiterhin das wirtschaftliche, politische und kulturelle Leben des Landes}. Aber nichtsdestotrotz lässt sich nicht leugnen, dass es für viele Italiener und Italienerinnen handfeste Gründe gab, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Vor diesem Hintergrund betrachtet wirkt der Peplum weniger wie eine Flucht vor den Sünden der Vergangenheit als vielmehr wie ein Ausdruck der Hoffnung auf ein besseres Morgen.
Zur Untermauerung dieser Interpretation lässt sich z.B. die Schlussszene des Ur-Peplums Ulysses heranziehen. Die Geschichte des listenreichen Eroberers von Troja findet ihren Höhepunkt bekanntlich in einem wüsten Blutbad, das der zurückgekehrte Held unter Penelopes Freiern veranstaltet. Und in dieser Hinsicht hält sich der Film recht genau an seine literarische Vorlage. Dem Gemetzel folgt die Wiedervereinigung des Paares. Beide sind verstört über all das Blutvergießen, das diesem lange herbeigesehnten Moment vorausgehen musste. Wie Odysseus sagt: "So many years of our youth wandered in the savagery of war." Doch all diesem Leid und all dieser Grausamkeit soll nun ein friedvolles und glückliches Leben folgen. Ließe sich diese Szene vor dem Hintergrund der damaligen gesellschaftlichen Realität Italiens nicht als Ausdruck der Sehnsucht deuten, dass nach den Schrecken von Faschismus und Krieg auch für das italienische Volk endlich eine Ära von Frieden und Glück anbrechen möge?
Auf mögliche Erklärungen, warum es Mitte der 60er mit dem Spaghettiwestern dann zu einem so krassen Umbruch im Ton der B-Movies gekommen ist, werde ich das nächte Mal vielleicht etwas genauer eingehen.
Für alle, denen eine solche "zeitgeschichtliche" Herangehensweise etwas zu weit hergeholt erscheint {und es ist eine sehr wacklige These}, rasch noch ein paar allgemeinere Argumente zur "Verteidigung" des Genres: Im Ganzen gesehen haben die meisten Peplums einen deutlich populistischen Anstrich. Vergessen wir nicht, dass Fredas erster Proto-Peplum ein Spartacus-Film war. Und auch späterhin sind die Antagonisten meist irgendwelche grausamen und intriganten Despoten. Um den wiederbelebten Maciste wird sogar ein eigener Mythos entwickelt, demzufolge es die Bestimmung dieses Heroen ist, unablässig durch die Länder und Zeiten zu reisen, um den Unterdrückten beizustehen. Die Helden des Sandalenfilms mögen Halbgötter oder Übermenschen sein, aber dennoch haben sie häufig etwas sehr Bodenständiges an sich. Selbst als König wirkt Herkules alles andere als "majestätisch". Sie sind in gewisser Weise "Volkshelden". Was jedoch am wichtigsten ist: In ihrer charmanten Naivität machen viele Peplums einfach einen Riesenspaß. Und in den besten von ihnen finden sich zudem so manche in filmerischer Hinsicht wirklich beeindruckende Sequenzen.
Ich bin nun beileibe kein echter Peplum-Experte, und meine Bekanntschaft mit den meisten dieser Flicks liegt schon ziemlich lange zurück. Die drei Sandalenfilme jedoch, für die ich mit voller Überzeugung eine Empfehlung aussprechen kann, wurden interessanterweise alle in den Jahren 1961/62 gedreht. Da wäre zuerst einmal mein alter Liebling, Vittorio Cottafavis Ercole alla conquista di Atlantide / Hercules and the Conquest of Atlantis (1961) – ein grandioser Vertreter jenes phantastisch-abenteuerlichen Unsinns, den ich in der heutigen Kinolandschaft so schmerzlich vermisse. Und dann natürlich Riccardo Fredas Maciste all'inferno / The Witch's Curse (1962) und Mario Bavas Ercole al centro della terra / Hercules in the Haunted World (1961).
In Nightmare Movies beschreibt Kim Newman die beiden "Horror-Peplums" als das faszinierende Produkt des Überlappens zweier Modewellen im italienischen B-Movie.**** Ganz falsch ist das sicher nicht. Mit Werken von Bava (La maschera del demonio & I tre volti della paura / Black Sabbath), Freda (L'orribile segreto del Dr Hichcock & Lo spettro / The Ghost) und Antonio Margheriti (Danza Macabra / Castle of Blood & La vergine di Norimberga / Horror Castle) erlebte der italienische Horrorfilm in den ersten Jahren des Dezenniums seine erste große Blüte.***** Und zumindest Maciste all'inferno beginnt ganz im Stil eines "gotischen" Horrorflicks, bis nach einer halben Stunde urplötzlich Muskelmann Maciste in das schottische Dorf eingeritten kommt, um die Sache mit dem Hexenfluch in die Hand zu nehmen. Das klingt jetzt sicher ziemlich absurd? Ist es auch! Aber wenn unser Held wenig später in die Hölle hinabsteigt, bekommen wir eine Reihe wirklich phantastisch-dantesk angehauchter Szenen zu sehen.
Ercole al centro della terra lässt sich in meinen Augen weniger direkt als eine Mixtur aus "gotischem" Horror und Sandalenfilm charakterisieren. In stilistischer Hinsicht wirkt er auf mich eher wie eine Fortsetzung und Weiterentwicklung dessen, was bereits Jahre zuvor in der Kirke-Episode von Ulysses angelegt gewesen war – einem Film, bei dem Bava ja nicht nur als Kameramann, sondern auch als Co-Regisseur mitgewirkt hatte.
Als Herkules (Reg Park) gemeinsam mit seinem Kumpel Theseus (George Ardisson) von irgendwelchen Abenteuern nach Arcadia (???) zurückkehrt, muss er erfahren, dass seine Geliebte Deinaria (Leonora Ruff) nach dem Tod ihres Vaters einem geheimnisvollen Fluch zum Opfer gefallen ist. In schlafwandlerischem Trancezustand wandert sie nachts durch die königlichen Gärten, derweil ihr Onkel Lico (Christopher Lee) die Herrschaft über den Stadtstaat übernommen hat. Hilfesuchend wendet sich unser Held an das örtliche Orakel und erfährt, dass er in den Hades hinabsteigen muss, wenn er Deinaria erlösen will. Also macht er sich zusammen mit Theseus und dem Feigling Telemachus (Franco Giacobini als Comic Relief)} zur Insel der Hesperiden auf, um den goldenen Apfel zu erringen, ohne den er nicht hoffen kann, einen Besuch in der Unterwelt zu überleben ...
Um das von vornherein klarzustellen: Die Story ist nicht wirklich origineller oder intelligenter als die vieler anderer Peplums. {Und wer Probleme mit dem genretypischen wilden Mix aus Namen und Versatzstücken aus antiken Mythen hat, wird erst recht keine Freude an ihr finden können}. Die schauspielerischen Leistungen sind {trotz Christopher Lee} bestenfalls mittelmäßig zu nennen. {Auch wenn ich sagen muss, dass ich Reg Park, der schon in Ercole alla conquista di Atlantide den Halbgott mimte, recht charismatisch finde}. Und die Dialoge wirken schon allein aufgrund der für italienische B-Movies der Zeit üblichen billigen Nachsynchronisation zum Teil schlichtweg erbärmlich. Vom schon erwähnten Frauenbild der Peplums, das sich auch hier in seiner ganzen fragwürdigen Pracht präsentiert, einmal ganz zu schweigen.
Doch all das wird man sehr rasch vergessen, wenn man bereit ist, sich auf Mario Bavas großartige Bildkompositionen einzulassen. Die Kampfszene ganz am Anfang hat mich noch sehr stark an La Maschera del demonio erinnert, erweckt sie doch ein ähnliches Gefühl für räumliche Tiefe und spielt einmal mehr mit dunklen Silhouetten vor einem hellen Hintergrund. In der Folge zeigt uns Bava dann jedoch, wie er sein ästhetisches Arsenal immer weiter ausbaut. Licht und Schatten spielen auch weiterhin eine große Rolle, doch treten nunmehr farbliche Kompositionen in den Vordergrund. Mit Hilfe von rotem, orangenem, grünem und blauem Licht kreiert der Regisseur eine surreale, phantastische und mitunter verstörend anmutende Welt, in der sich seine Figuren bewegen. Besonders prächtige Beispiele dafür sind das Orakel, die Fahrt zur Insel der Hesperiden, die Szenen im Hades und Herkules' Schlusskampf gegen die Untoten. Hinzu kommen solche wunderbar stilisiert wirkenden Sets wie Licos Thronsaal oder der Tempel der Sibylle, die eher an Theater- denn an Filmkulissen gemahnen. Und als wäre all das noch nicht genug, präsentiert uns Bava zusätzlich immer wieder geradezu malerisch anmutende Panormabilder, wie das nächtliche Arcadia, den in eine Art Anderswelt übergehenden Ozean oder die "Insel" des Pluto inmitten eines rotglühenden Lavameers.
All jenen, die sich in der Lage fühlen, über einen generischen Plot und äußerst fragwürdige Genederklischees hinwegzusehen, eröffnet Ercole al centro della terra die Gelegenheit, eine Welt von phantastischer und unwirklicher Schönheit zu besuchen, die sie nicht so schnell vergessen werden.
* Alessandro Blasettis Fabiola von 1949 blieb vorerst eine Ausnahmeerscheinung.
** Kim Newman: Nightmare Movies. A Critical History of the Horror Film, 1968-88. S. 187.
*** Steve Reeves war der Hauptdarsteller in zahllosen Peplums, übernahm ironischerweise aber nur noch einmal die Rolle des Herkules – im direkten Sequel zu Le fatiche di Ercole, dem 1959 in die Kinos gelangten Ercole e la regina di Lidia / Hercules Unchained. Wen's interessiert, der kann sich hier & hier zwei Interviews mit dem charismatischen Bodybuilder und Filmstar durchlesen.
**** Vgl.: Kim Newman: Nightmare Movies. A Critical History of the Horror Film, 1968-88. S. 187.
***** Ich habe das letzte Mal Maschera del demonio als den "letzten großen Schwarz-Weiß-Horrorfilm" bezeichnet. Nachdem ich mir kürzlich Margheritis Danza Macabra angeschaut habe, möchte ich diese Behauptung zumindest ein bisschen relativieren. Bavas Film mag das letzte echte Meisterwerk des Schwarz-Weiß-Horrors gewesen sein, doch heißt das nicht, dass nach ihm überhaupt keine interessanten oder beeindruckenden Werke in diesem Format mehr produziert worden wären.
**** Vgl.: Kim Newman: Nightmare Movies. A Critical History of the Horror Film, 1968-88. S. 187.
***** Ich habe das letzte Mal Maschera del demonio als den "letzten großen Schwarz-Weiß-Horrorfilm" bezeichnet. Nachdem ich mir kürzlich Margheritis Danza Macabra angeschaut habe, möchte ich diese Behauptung zumindest ein bisschen relativieren. Bavas Film mag das letzte echte Meisterwerk des Schwarz-Weiß-Horrors gewesen sein, doch heißt das nicht, dass nach ihm überhaupt keine interessanten oder beeindruckenden Werke in diesem Format mehr produziert worden wären.
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