I wanted to be a painter until I was twenty years old.
Mario Bava
Als Mario Bava 1960 zum ersten Mal die Möglichkeit erhielt, einen Film unter eigener Regie zu drehen, war er bereits fünfundvierzig Jahre alt. Seine Karriere in der italienischen Filmindustrie hatte natürlich schon sehr viel früher begonnen, und ich halte es zum Verständnis nicht nur seines Erstlings La maschera del demonio / Black Sunday für absolut notwendig, sich dessen voll und ganz bewusst zu sein. Ja vielleicht sollte man sogar noch etwas weiter in der Biographie des Künstlers zurückgehen.
Sein Vater Eugenio Bava war Bildhauer gewesen und hatte einige Jahre vor Marios Geburt begonnen, als Setdesigner für Pathé Frères zu arbeiten – in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg die größte Filmfirma der Welt. Schon bald war er in den Rang eines Kameramannes aufgestiegen. Als solcher wirkte er u.a. an der Produktion von Enrico Guazzonis Quo Vadis (1913) und Febo Maris Cenere (1916) mit – dem einzigen Filmauftritt von Eleonora Duse, der legendären Bühnendiva des italienischen Fin de Siècle. An der Seite von Segundo de Chomon hatte er außerdem an den bahnbrechenden Spezialeffekten für Giovanni Pastrones Cabiria (1914) mitgewirkt. In der Folge versuchte er sich zwar mehrmals auch als Regisseur, doch 1926 trat er schließlich den Posten des Direktors für "optische Effekte" am vom faschistischen Staat gegründeten Istituto LUCE an. Mario Bavas Biograph Tim Lucas hat Eugenio wohl aus gutem Grund einmal "the father of special effects photography in Italy" genannt. Und man dürfte wohl nicht ganz falsch damit liegen, wenn man in Bava Seniors Filmarbeit in gewisser Weise eine Fortsetzung seiner Arbeit als Bildhauer sieht. Eine Entwicklung, die wir in etwas anderer Form, bei seinem Sohn wiederentdecken werden.
Der 1914 in San Remo zur Welt gekommene Mario wuchs in einem von Filmmagie durchtränkten Umfeld auf, aber seine erste Liebe gehörte nicht dem Kino. Er wollte Maler werden. Es waren hauptsächlichlich finanzielle Zwänge, die ihn schließlich dazu brachten, sein Kunststudium abzubrechen und zum Assistenten seines Vaters zu werden. Als angehender Familienvater konnte er es sich irgendwann einfach nicht mehr leisten, weiter einer brotlosen Kunst zu huldigen. Und doch halte ich es für sehr wichtig, sich stets zu vergegenwärtigen, welcher Muse der junge Künstler sein Leben ursprünglich hatte weihen wollen.
1939 übernahm Mario Bava zum ersten Mal den Posten des ersten Kameramanns ('Director of Cinematography') in zwei Kurzfilmen des jungen Roberto Rosselini, und in den folgenden zwei Jahrzehnten arbeitete er u.a. unter so großen Regisseuren wie Vittorio de Sica (Villa Borghese; 1953), G.W. Pabst (Cose da pazzi; 1954), Jacques Tourneur (La battaglia di Maratona; 1959) und Raoul Walsh (Esther and the King; 1960). Dabei verfeinerte er seine Technik immer weiter. Um noch einmal Tim Lucas zu zitieren: "[H]is stylized lensing was critical in developing the screen personas of such international stars as Gina Lollobrigida and Steve Reeves."
Bereits in den 40er Jahren hatte Bava sich bei einigen Dokumentar- und einem Kurzfilm als Regisseur versucht, doch eine Karriere in dieser Richtung zu verfolgen, lag ihm erst einmal nicht im Sinn. Wenn er dennoch auf dem Regiestuhl Platz nahm, so vorerst nur, um für andere einzuspringen, die ihren Posten im Stich gelassen hatten. Zum ersten Mal war dies 1955 bei Ulysses der Fall – dem Film, der die Peplum ('Sandalenfilm') - Welle der späten 50er und 60er Jahre ins Rollen brachte. Ein Phänomen, auf das ich in meinem nächsten Bava - Artikel etwas näher eingehen werde. 1956 folgte, wie bereits berichtet, I Vampiri. Von 1957-59 sprang Bava erneut bei drei Peplum-Filmen in die Bresche: Le fatiche di Ercole (Hercules) – Steve Reeves' Debüt als muskelbepacktem Halbgott –, dessen Sequel Ercole e la regina di Lidia (Hercules Unchained) und schließlich auch Tourneurs La battaglia di Maratona / The Giant of Marathon. Der stets bescheidene und wenig ehrgeizige Künstler sah darin keine Stufen zum Ersteigen des Regie-Throns. Und doch sollte er auf diesem Weg schließlich zu seinem Regiedebüt gelangen. Erneut übergebe ich Mr. Lucas das Wort:
Outraged by the way his unambitious friend was being abused, Freda tricked Bava by hiring him to photograph Caltiki il mostro immortale [Caltiki the Immortal Monster, 1959] and once again abandoning the director's chair after only two days. The film's producer, Lionello Santi, rewarded Bava for completing the film by inviting him to select a property for his directorial debut.Und so konnte Mario Bava 1960 endlich seinen ersten eigenen Film drehen.
Vom Maler über den Kameramann zum Regisseur – sich diesen Werdegang zu vergegenwärten, trägt viel dazu bei, die Ästhetik von Bavas Filmen richtig einzuschätzen. Für ihn war der Film in erster Linie ein visuelles, und weniger ein erzählerisches Medium. Plot und Dialoge spielen oft eine untergeordnete Rolle gegenüber der Komposition von Bildern und Szenen mithilfe von Licht, Schatten, Farben, Perspektiven. Auch wenn das übermäßig lyrisch klingen mag: Mario Bavas Herangehensweise an den Film war eine "malerische". Der Stil, den er damit prägte, inspirierte und beeinflusste sehr stark die Meister der nächsten Generation – u.a. natürlich auch Dario Argento, den ich persönlich für den größten Auteur des italienischen Horrorkinos halte.
Produzent Nello Santi hatte Bava völlige Freiheit bei der Auswahl des Stoffes für sein Regiedebüt gegeben, und da die dieser einerseits einen weiteren Horrofilm drehen wollte und andererseits ein großer Liebhaber klassischer russischer Literatur war, bestand seine erste Idee darin, sich an einer Adaption von Nikolai Gogols Erzählung Der Wij zu versuchen. Im Film selbst hat sich davon allerdings wenig mehr erhalten als das Motiv der Hexe, die von den Toten zurückkehrt, und der Name der Stadt Mirgorod. Aus mir unerklärlichen Gründen wurde die Handlung sogar von der Ukraine nach Moldawien verlegt.
Das Script wurde noch während des Drehs ständig neu überarbeitet. Wie Hauptdarstellerin Barbara Steele später einmal erzählt hat: "We were given the pages day to day. We had hardly any idea what was going down on that film. We had no idea of the end, or the beginning, either, not at all." Noch nach Fertigstellung des Films wurde an den Dialogen herumgebastelt, was keine Schwierigkeit darstellte, da italienische Filme damals so gut wie immer nachsynchronisiert wurden.
Doch wie bereits gesagt, sind es ohnehin nicht die Dialoge, auf die man sich konzentrieren sollte. Ebenso unklug wäre es, sich über einige etwas eigentümliche Wendungen des Plots {vor allem den finalen Auftritt des dörflichen Lynchmobs} gar zu viele Gedanken zu machen.
Die Story unterscheidet sich nicht wesentlich von dem, was man auch in anderen Horrorflicks der Zeit zu sehen bekam: Im Moldawien des 17. Jahrhundert werden die dem aristokratischen Geschlecht der Vajda angehörende Hexe Asa (Barbara Steele) und ihr Bruder {und Geliebter?} Javuto (Arturo Dominici) von einem Inquisitionstribunal unter Führung des Zweitgeborenen der Vajdas zum Tode verurteilt. Das Urteil wird vollstreckt, indem den beiden die eiserne Maske Satans auf das Gesicht genagelt wird. Zuvor jedoch hat Asa noch ihren Bruder und sein Geschlecht verflucht und ihre einstige Rückkehr angekündigt. Zwei Jahrhunderte später bewahrheitet sich diese Prophezeiung und die wiedererwachte Asa geht daran, ihre Rache an den letzten Nachkommen der Vajdas zu vollstrecken. Dabei liegt ihr besonderes Augenmerk auf der jungen Katia (auch Barbara Steele), denn nur indem sie diese ihrer Lebensenergie beraubt, kann sie wirklich von den Toten auferstehen.
Der Plot birgt einige kleinere Überraschungen. So würde man spontan vielleicht annehmen, der väterliche Dr. Kruvajan (Andrea Checchi) werde zum Van Helsing der Geschichte, doch stattdessen ist er es, der {wenn auch unbeabsichtigt} für Asas Wiedererwachen sorgt. Und wenn die kleine Sonya (Germa Dominici) nachts zu einem Kuhstall geschickt wird, der neben dem alten Friedhof liegt, auf dem gerade Javuto seinem Grab entsteigt, dann wird man in ihr fast automatisch das erste Opfer des Vampirs sehen. Doch das ist nicht ihr Schicksal.
Aber all das sind letztlich bloß Nebensächlichkeiten. Was La maschera del demonio zu einem der echten Meisterwerke des "gotischen" Horrors macht, ist nicht die Story, sondern die atemberaubende Schönheit von Mario Bavas Cinematographie. Jede Szene, jede Kamerabewegung, jede einzelne Einstellung des Films spricht von einer Bewusstheit und Genauigkeit, von einer ästhetischen Sensibilität wie man sie nur bei einem ganz großen Künstler findet. NUTS4R2 schreibt in seiner Besprechung von Black Sunday:
[T]he crisp and clear compositions that strike you in any Bava picture are clearly present in every frame of film. I think it was Cameron Mitchell who I saw being interviewed on an extra on a Reigon 1 DVD of one or other of Bava’s Viking tales Knives Of The Avenger or Eric The Conqueror who said, and quite rightly so, that if you take any frame of film from a Mario Bava movie you will find yourself with an absolutely perfectly framed still photograph.So kann man es beschreiben, doch als ich mir La maschera del demonio zum ersten Mal anschaute, musste ich dabei nicht an Fotographien, sondern an Gemälde denken – meisterliche Kompositionen aus Licht und Schatten, Schwarz und Weiß. Und damals wusste ich noch nicht, dass Bava einmal Maler hatte werden wollen. Die große Plastizität vieler Szenen, das Gefühl für Raum und Tiefe, das sie vermitteln, scheint mir nicht im Widerspruch zu dieser Charakterisierung zu stehen. Dass sich daneben auch einige Einstellungen finden, in denen die Figuren zu scherenschnittartigen Silhoutten vor einem hell leuchtenden Hintergrund werden, mag als Beispiel für die Reichhaltigkeit der visuellen Ästhetik in diesem Film dienen.
La maschera del demonio ist der letzte große Schwarz-Weiß-Horrorfilm. Er steht sehr deutlich in einer Tradition, die im deutschen Expressionismus der 20er Jahre begonnen und ihre Fortsetzung im Universal-Horror der 30er gefunden hatte. Doch ist der Film mehr als bloß Schlusspunkt einer Entwicklung. Bava bezog seine Inspiration zugleich aus dem gerade aufblühenden Brit-Horror des House of Hammer. Schon der Titel ist eine Anspielung auf La maschera di Frankenstein, wie The Curse of Frankenstein (1957) – der Film, mit dem Hammers Horrorreigen so richtig begonnen hatte – in Italien genannt wurde.
Einer der Gründe für den großen Erfolg der Hammer-Filme war die für die Zeit recht drastische Darstellung von Gewalt. Das in rauen Mengen vergossene, leuchtend rote Kunstblut war schon bald zu einem der Markenzeichen der Brit-Horror-Schmiede geworden. Und auch wenn in letzterer Hinsicht ein Schwarz-Weiß.-Film natürlich nichts vergleichbares anbieten konnte, zeichnet sich doch auch La maschera del demonio durch einige für einen Film vom Beginn der 60er Jahre recht heftige Szenen aus. In der Tat durfte Bavas Streifen dank der nimmermüden britischen Zensurbehörde erst 1968, und auch dann nur in leicht gekürzter Fassung, im Vereinigten Königreich gezeigt werden.
Zwei Szenen haben sich mir in dieser Hinsicht besonders stark eingeprägt. Zum einen der Moment in der Eröffnungssequenz, wenn Asa die auf der Innenseite mit eisernen Dornen gespickte Maske Satans auf das Gesicht genagelt wird und Fontänen schwarzen Blutes hervorschießen. Zum anderen jener Augenblick, wenn sich die leeren Augenhöhlen der wiederwachenden Vampirin ganz plötzlich mit milchig wirkenden Augäpfeln füllen.
Es wäre vermutlich nicht schwer, ein ganzes Buch über das Thema "Das Auge im italienischen Horrorfilm" zu schreiben. Man denke z.B. an Lucio Fulcis berühmte Augen-Obsession oder Dario Argentos Opera. Und auch in La maschera del demonio spielen Augen eine auffällig große Rolle. Vor allem Asas Augen. Wenn wir die {noch tote} Hexe zum ersten Mal "in der Gegenwart" sehen, konzentriert sich die Kamera auf ihre leeren Augenhöhlen, aus denen allerlei Insekten hervorgekrabbelt kommen. Dann hätten wir da die wiederhergestellten Augäpfel. Und wenn sie Professor Kruvajan endgültig in ihren Bann zieht, befiehlt sie ihm ausdrücklich, ihr in die Augen zu schauen. Später erfahren wir, dass der Holzpflock, mit dem man Vampire ins Jenseits befördert, in diesem Universum nicht das Herz des Untoten, sondern sein linkes Auge durchbohren muss.
Ich denke, dass man dieses Motiv im Zusammenhang mit dem deutlich spürbaren erotischen Unterton sehen muss, der viel zu der Faszination dieses Filmes beiträgt. Zwar weiß ich nicht, ob ich so weit gehen würde wie Hans Schmid, der über Black Sunday geschrieben hat, er sei "eine sehr sinnliche Abhandlung über Eros und Thanatos sowie über die männliche Angst vor der weiblichen Sexualität, die den Frauen nur diese Optionen lässt: sie müssen Heilige oder Hure sein, Jungfrau Maria oder Hexe". Doch ganz ohne Zweifel ist Bavas Film von einem morbiden Erotizismus durchtränkt. Das beginnt bereits mit der Eröffnungssequenz, die Sam Ishii-Gonzales sehr treffend als "a confluence of brutality and eroticism" beschrieben hat. Und Barbara Steele, deren Aufstieg zur europäischen Königin des Horrors mit diesem Film begann, war genau die richtige Darstellerin für diese Art verstörender Erotik. Wie Kim Newman einmal von ihr gesagt hat: "Blessed with a haunted face and a dry-ice sensuality, Steele is one of the screen's great vampires".* Das Beeindruckende an ihrer Doppelrolle in La maschera del demonio ist, dass sie als "tote" Asa sehr viel lebendiger wirkt denn als lebendige Katia. Die unschuldige Prinzessin hinterlässt den Eindruck einer verlorenen, kraftlosen Somnambulistin. Echte Leidenschaft zeigt nur Asa. Ob dies irgendetwas über Genderklischees aussagen soll, wie Hans Schmid offenbar annimmt, weiß ich nicht. Sehr viel wichtiger erscheint mir, dass Tod und Eros in Black Sunday eine beunruhigende Verbindung eingehen. Wohl nicht ohne Grund wird die Geheimtür, die zu Asas Gruft führt, von einem Gemälde geschmückt, das die nackte Hexe als Eva mit Schlange und Apfel darstellt.
Ein morbider, nicht selten fetischistischer Erotizismus gehört zu den Erkennungsmerkmalen sehr vieler klassischer italienischer Horrorfilme. Nur zwei Jahre nach La maschera del demonio sollte Riccardo Freda {gleichfalls mit Barbara Steele in der weiblichen Hauptrolle} z.B. den äußerst faszinierenden Streifen L'Orribile Segreto del Dr. Hichcock drehen – einen der {erstaunlich seltenen} Horrorflicks, die sich mit dem Thema Nekrophilie auseinandersetzen. Auch in unser kleinen Mario Bava - Reihe werden wir dieser Eigenart des italienischen Horrors noch mehr als einmal begegnen.
* Kim Newman: Nightmare Movies. A Critical History of the Horror Film, 1968-88. S. 188.
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