"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Samstag, 15. September 2012

Ein paar kurze Bemerkungen zu MZB

Als ich neulich auf der Liste von Anubis' Neuzugängen Schwertschwester erblickte, erinnerte mich das daran, dass ich schon vor geraumer Zeit einmal etwas im Zusammenhang mit diesem Buch schreiben wollte. Als ich mir im März die "Sword & Sorcery" - Podcasts von SF Signal (Megapanel I, II, III & Panel I, II, III) anhörte, war mir nämlich aufgefallen, dass darin zwar die üblichen Verdächtigen des Subgenres wie Robert E. Howard, Fritz Leiber, Catherine L. Moore & Michael Moorcock erwähnt werden, die von Marion Zimmer Bradley ab 1984 herausgegebene Anthologienreihe Sword & Sorceress, deren erster Band im Deutschen eben unter dem Titel Schwertschwester erschien, hingegen mit Schweigen übergangen wird. Und dass selbst, als das Thema weiblicher Charaktere in der Sword & Sorcery zur Sprache kommt.
Bisher war es stets mein Eindruck gewesen, dass diese Anthologienreihe eine wichtige Rolle in der Geschichte des Subgenres gespielt und entscheidend dazu beigetragen habe, starke und unabhängige Protagonistinnen in ihm heimisch zu machen. Zwar hatte bereits die Gründerzeit der 30er Jahre Figuren wie Howards Dark Agnes oder Moores Jirel von Joiry* gekannt, aber gerade die Blütezeit der 60er/70er Jahre, als Lin Carter und L. Sprague de Camp aus dem Erbe von 'Two Guns' Bob eine profitable Industrie machten und Conans wie Clonans die Gefilde von Faërie beherrschten, dürften wenig zur Überwindung des tiefverwurzelten Sexismus der Sword & Sorcery beigetragen haben. Das Projekt einer ausschließlich weiblichen Hauptfiguren gewidmeten Anthologie musste deshalb auch Mitte der 80er Jahre noch beinahe revolutionär wirken.
Der beachtliche finanzielle Erfolg von Sword & Sorceress lässt mir außerdem die in einem der Podcasts aufgestellte These fragwürdig erscheinen, die Sword & Sorcery habe die Ära der Vorherrschaft tolkienesker High Fantasy in erster Linie durch ein Überwintern in den Regionen von Dungeons & Dragons überlebt.
Warum also verliert keiner der Teilnehmerinnen & Teilnehmer in den vier Panels ein Wort über die Reihe? War ihr Inhalt bei aller 'historischen' Bedeutung qualitativ zu minderwertig, um heute noch Erwähnung zu finden? Oder hat Zimmer Bradleys Ruf in der SFF-Community über die Jahre so stark gelitten, dass niemand mehr ihren Namen nennen mag?
Was ersteres angeht, so kann ich mich da nur zu Schwertschwester äußern. Der Band enthält in der Tat einige nur schwer erträgliche Geschichten, insbesondere Stephen L. Burns schrecklich klischeehaftes, unwitzig-witziges Geraubtes Herz, Deborah Wheelers völlig reizlose Imperatrix und Anodea Judiths esoterik-durchtränktes Haus im Wald. Doch davon einmal abgesehen, würde ich die Sammlung als durchaus lesenswert, wenn auch kaum als überragend bezeichnen. Die besten Stories stammen nicht zufällig aus der Feder von Autorinnen & Autoren, deren Namen auch heute noch größere Bekanntheit genießen und die damals meistenteils erst am Anfang ihrer Karriere standen. So beweist uns Glen Cook in Abgetrennte Köpfe, dass man dem überstrapazierten Motiv von Vergewaltigung und Rache bei richtiger Behandlung durchaus noch eine packende Geschichte abgewinnen kann. Emma Bull erweist sich in Zerreißendes Dunkel bereits als ebenso intelligent und sensibel, wie wir es von ihr gewohnt sind. Charles de Lint knüpft in Das Tal des Trolls auf gelungene und amüsante Weise an die pikareske Variante der Sword & Sorcery an, wie sie vor allem Fritz Leiber geprägt hat. Und Charles R. Saunders, der 1984 freilich kein Neuling im Geschäft mehr war und mit seinen Imaro-Romanen bereits einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung des Subgenres geleistet hatte, steuert mit Gimmiles Lieder eine seiner ersten Stories um die Kriegerin Dossouye bei. Das Motiv, dessen sich der mir unbekannte Robin W. Bailey in Kind des Orkus angenommen hat, ist zugegebenermaßen nicht neu. Dass Menschen in ihrem Verlangen nach Unsterblichkeit alles das aufgeben, was ihrem Leben Wert verleiht, begegnet uns schließlich bereits in William Morris' The Story of the Glittering Plain (1891) und hat seine vielleicht bekannteste Ausformung in Ursula K. Le Guins The Farthest Shore (1972) gefunden. Doch in Kombination mit der interessanten Figur der Exgladiatorin Diana macht Bailey daraus eine hübsche kleine Erzählung.
Soviel zur Qualität von Schwertschwester. Was Marion Zimmer Bradleys aktuelles Ansehen angeht, so habe ich in der Tat das Gefühl, es sei nicht besonders gut darum bestellt. Bei meinen Streifzügen durch das phantastische Netz bin ich ihrem Namen jedenfalls auffällig selten begegnet, wenn man bedenkt, welch gewaltige Erfolge die Autorin in den 80er Jahren feiern konnte. Selbst die feministische Schule der Fantasy scheint sie nicht zu einer ihrer Heroinen zu zählen. Ich selbst habe nie viel von ihr gelesen. Als ich irgendwann in der zweiten Hälfte der 80er Jahre zum ersten Mal Die Nebel von Avalon zwischen die Finger bekam, war ich freilich wie so viele damals restlos begeistert. Eine Reaktion, die sich in der Zwischenzeit  jedoch beinahe in ihr Gegenteil verkehrt hat, wofür es eine ganze Reihe von Gründen gibt. Die Beschäftigung mit der mittelalterlichen Artusliteratur – von Geoffrey of Monmouth über Chrétien, Hartmann und Wolfram bis zu Malory – hat mir alle literarischen Versuche, die Geschichte der Tafelrunde im 'historisch korrekten' Kontext der Völkerwanderungszeit zu erzählen, gründlich vergällt. Trotz älterer Traditionen, deren Spuren wir noch in kymrischen Werken wie Culhwch ac Olwen finden können, sind Artus und seine Ritter doch Produkte der Kultur und Gesellschaft des Hochmittelalters. Mir sind Neubearbeitungen des Stoffes, die dies berücksichtigen und keine künstliche Rearchaisierung vornehmen, wie etwa T.H. Whites Once and Future King, deshalb einfach lieber. Zugegeben, das ist ein persönlicher Spleen, aber ich denke, was die aufdringliche Esoterik im Stile eines feministischen Neopaganismus angeht, von der das Buch geradezu überquillt, werde ich nicht der einzige sein, der bei einer heutigen Lektüre aus dem gequälten Stöhnen nicht mehr herauskommt. Zumal es so schrecklich offensichtlich ist, dass die beschriebenen religiösen Ansichten und Praktiken nichts mit dem realen Druidentum, dafür aber um so mehr mit den Fantastereien der New Age - Generation zu tun haben. Zimmer Bradley geht schließlich sogar so weit, ihre pseudokeltische Artusgeschichte mit dem Mythos von Atlantis zu verbinden!** Und zuguterletzt ist Die Nebel von Avalon keineswegs so originell, wie bei ihrem Erscheinen offenbar allgemein angenommen wurde. Einen mittelalterlichen Stoff zu benutzen, um die Geschichte vom Übergang des Matriarchats in das Patriarchat zu erzählen,*** war Anfang der 80er Jahre keineswegs neu. Beinahe ein halbes Jahrhundert vor Marion Zimmer Bradley hatte dies bereits Evangeline Walton in ihrer Mabinogi - Tetralogie (Prince of Annwn, The Children of Llyr, The Song of Rhiannon & The Virgin and the Swine) getan, wobei sie zumindest in einigen Teilen eine sehr viel größere Kunstfertigkeit bewiesen hatte.
Wie man sieht, besteht meine eigene Einstellung zu MZB in einer Mischung aus Unwissenheit und Ablehnung. Dennoch bin ich der Meinung, dass man ihren Beitrag zur Fantasy nicht mit Stillschweigen übergehen sollte. Sie mag keine große Schriftstellerin gewesen sein, aber sie hat doch mitgeholfen, die "letzte Bastion des männlichen Muskelhelden"****, als die die Sword & Sorcery Anfang der 80er Jahre vielen noch erscheinen musste, zu schleifen. Dafür gebühren ihr Dankbarkeit und Anerkennung.    

* Schwertschwester ist ja nicht zufällig C.L. Moore gewidmet, "die uns Jirel von Joiry gab, die erste Frau, die ihr Schwert gegen Hexerei erhob. Und allen von uns, die sich als Kinder wünschten, so einmal so zu weden wie Jirel."
** Tatsächlich hing MZB in den 80er Jahren dem Neopaganismus an, hatte sie zusammen mit Diana L. Paxson (die übrigens auch in Schwertschwester vertreten ist) 1978 doch sogar einen Wiccan-Zirkel namens "Darkmoon" gegründet.
*** Inwieweit es historisch wahrscheinlich ist, dass es es einen solchen Übergang je gegeben hat, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Ich will jedoch zumindest auf Kari Sperrings kürzlich auf dem Blog von Charles Stross veröffentlichten Post The Myths of Avalon hinweisen.
**** Marion Zimmer Bradley (Hg.): Schwertschwester. S. 9.

6 Kommentare:

  1. Was MZBs Ansehen angeht, stellt sich mir die Frage, inwieweit dieses durch ihr persönliches Verhalten gelitten hat. Sie hat ja ihren Ehemann Walter Breen, der immer wieder Kinder sexuell missbrauchte, jahrzehntelang gedeckt und sogar mit absurden Behauptungen wie der, dass Kinder keine erogenen Zonen hätten, verteidigt.

    Was feministische Fantasy angeht ... Ich glaube, da klaffen die Standpunkte weit auseinander. Einerseits gelten die Avalon-Romane geradezu als das definierende Werk der feministischen Fantasy. Meinem Eindruck nach wird das aber insbesondere von Leuten, die sonst nicht viel Fantasy lesen, so gesehen. In der Folge wird feministische Fantasy gern mit Differenzfeminismus und Matriarchatsforschung in Verbindung gebracht (in meinen Augen eine unnötige Einengung). Andererseits ist aus heutiger Sicht überdeutlich, dass die Avalon-Romane recht wenig mit der (individuellen oder gesellschaftlichen) Emanzipation von Frauen zu tun haben, dafür aber viel mit ihrer (religiös begründeten) Aufwertung. Dass das nicht mehr sehr häufig als tragbare feministische Perspektive angesehen wird, wundert mich nicht.

    AntwortenLöschen
  2. Uii, diese unappetitliche Geschichte war mir nicht bekannt, aber sie könnte natürlich einiges erklären. Allerdings würde sie für mich keinen ausreichenden Grund darstellen, um MZBs Rolle in der Geschichte der Fantasy einfach zu übergehen.
    Was mich an "Nebel von Avalon" so stört, ist nicht allein die weltanschauliche Ausrichtung. Vielmehr bin ich der Meinung, dass der Mix aus Esoterik und frühmittelalterlichem Pseudorealismus literarisch einfach nicht funktioniert.
    Und was feministische Fantasy im Allgemeinen angeht, so fehlt mir dazu das nötige Wissen. Ich glaube dir jedoch gerne, dass die Avalon-Schinken da nicht als repräsentativ gelten können. Irgendwelche Leseempfehlungen?

    AntwortenLöschen
  3. Für mich wäre es ebenfalls kein ausreichender Grund. Zu übergehen ist MZB nicht, im Guten wie im Schlechten. Wo du vom »Mix aus Esoterik und frühmittelalterlichem Pseudorealismus« sprichst: Das hat für mich auch am wenigsten funktioniert. Die Geschichte beginnt in einem explizit festgestellten historischen Moment (das Ende der römischen Herrschaft in Britannien), und plötzlich findet man sich in einer Welt mit typisch (pseudo-)mittelalterlichen Elementen wie Burgen, Rittern und Turnieren wieder, die noch dazu mit Neopaganismus angereichert ist.

    Feministische Fantasy ... puh, ich kann nicht behaupten, da irgendeine Art von Überblick zu haben. An erster Stelle würde ich aber immer Angela Carter nennen.

    AntwortenLöschen
  4. Die Vermischung spätantik/frühmittelalterlicher und hochmittelalterlicher Elemente wird sich denke ich beinah automatisch einstellen, wenn man versucht, die Geschichte von Artus im „historisch korrekten" Setting zu erzählen, und trotzdem etwas präsentieren will, was noch als Artusgeschichte erkennbar ist. Wollte man konsequent auf alle hochmittelalterlichen Zusätze verzichten, so blieben höchstens noch einige vage bekannte Namen übrig. Ein Grund, warum ich von solchen „Rearchaisierungen" wenig halte. Bei „Avalon" aber werden dem dann auch noch Elemente hinzugegeben, die eindeutig moderner, eben neopaganer Herkunft sind. Ein Anachronismus mehr also.

    Ah, Angela Carter ... Zu meiner Schande muss ich eingestehen, noch nichts von ihr gelesen zu haben. Sie steht aber schon seit einiger Zeit ganz oben auf meiner Liste. Sobald meine Finanzen wieder ein bisschen rosiger aussehen ...

    AntwortenLöschen