"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Samstag, 22. November 2025

Trotz aller Clonans ...

Wie ich vor einigen Monaten in einem Beitrag, der eigentlich Roger Zelaznys Dilvish the Damned gewidmet war, schon einmal etwas ausführlicher dargelegt habe, war es Cele Goldsmith (Lalli), die an der Wende von den 50er zu den 60er Jahren als Herausgeberin von Fantastic die Grundlage für den späteren Sword & Sorcery - Boom legte. Sie überzeugte nicht nur Fritz Leiber, sich nach einer mehrjährigen Pause erneut den Abenteuern von Fafhrd und dem Grey Mouser zuzuwenden, sondern bot auch neuen Helden wie John Jakes' Brak dem Barbaren oder Zelaznys Dilvish eine Bühne.   
 
Im Dezember 1963 erschien dann die erste von am Ende vier Anthologien, die L. Sprague de Camp für Pyramid Books zusammenstellen würde: Swords and Sorcery (1963), The Spell of Seven (1965), The Fantastic Swordsmen (1967) und Warlocks and Warriors (1970). Inhaltlich boten sie zwar wenig neues, von Elrics Amerika-Debüt 1965 einmal abgesehen, aber die Auswahl der Geschichten trug zusammen mit den einleitenden Bemerkungen viel dazu bei, die Konturen des Subgenres zu definieren, das De Camp selbst übrigens lieber als "Heroic Fantasy" bezeichnete. (Der Begriff "Sword & Sorcery" war erstmals 1961 von Fritz Leiber ins Spiel gebracht worden (1))      
 
Der eigentliche Boom setzte zwar erst gegen Ende der 60er Jahre und in Reaktion auf die Neuveröffentlichung von Robert E. Howards Conan-Stories bei Lancer Books ein. Aber schon in dieser "Aufwärm-Phase" tauchten mit Brak und Lin Carters Thongor (ab 1965) die ersten Conan-Klone auf. Die Gattung war beinah so alt wie das Subgenre selbst. Ihr allererster Vertreter dürfte Clifford Balls Duar the Accursed gewesen sein, der nicht ganz ein Jahr nach Howards Selbstmord in Weird Tales erschienen war. Doch in der Folgezeit kam es zu einer wahren Flut von Clonans, die die Sword & Sorcery schon bald zu ersticken drohte. Allein 1968/69 erschienen neben mehreren Conan-Bänden zwei Thongor-Bücher, die erste Buchfassung von Brak the Barbarian sowie das Debüt von Gardner F. Fox' Kothar. Und das war erst der Anfang. (2)
 
Im Fandom wurde dies schon früh recht kontrovers diskutiert. Während die einen die Meinung vertraten, die S&S müsse sich weiterentwickeln, wenn sie nicht schon bald ein unrühmliches Ende finden wollte, blieb für die anderen der muskelbepackte Barbar das A und O des Subgenres und die vermeintliche Simplizität der Geschichten seine größte Tugend. Interessant ist die Position, die dabei L. Sprague de Camp und Lin Carter vertraten. Die beiden spielten eine wichtige Rolle während des Booms, und das nicht nur als Herausgeber und Verfasser von Howard-Pastiches. Doch zugleich legten sie eine leicht herablassende Haltung gegenüber der Sword & Sorcery an den Tag.
 
Schon in den 50ern hatte De Camp für Gnome Press ohne irgendwelche Skrupel einige von Howards historischen Abenteuergeschichten wie Hawks over Egypt und Road of the Eagles in Conan-Yarns umgeschrieben. Was er wie folgt kommentierte:
Robert E. Howard's heroes were mostly cut from the same cloth. It was mostly a matter of changing names, eliminating gunpowder, and dragging in a supernatural element. (3) 

Offensichtlich empfand er wenig Respekt für Howards literarisches Werk, was sich u.a. auch in seinen "Bearbeitungen" der Conan-Stories zeigte, für deren Veröffentlichung bei Lancer Books er verantwortlich war.

Und so wie es aussieht, galt dasselbe wohl auch für die Sword & Sorcery als Ganzes. Er hatte seinen Spaß mit dem Subgenre, sah in ihm aber nie mehr als simple Unterhaltung. Schon im Vorwort zu Swords and Sorcery (1963) erklärte er die "Heroic Fantasy" zu einer rein eskapistischen Literaturform: "Heroic fantasy is escape reading in which you escape clear out of the real universe." Zugleich sprach er ihr einen denkbar simplistischen Charakter zu:
"Heroic fantasy" is the name of a class of stories laid, not in the world as it is or was or will be, but as it ought to have been to make a good story. The tales collected under this name are adventure-fantasies, laid in imaginary prehistoric or medieval worlds, when (it's fun to imagine) all men were mighty, all women were beautiful, all problems were simple, and all life was adventurous. (4)
An dieser Sichtweise änderte sich auch später nichts. Noch in der Einleitung zu Warlocks and Warriors (1970) bekommt man zu lesen:
This is pure escape literature and makes no bones about it. Reading for serious purposes is fine, but even the most serious reader is better off if he sometimes reads something for the hell of it. In these stories one escapes clear out of the real world. (5)
Im Verlauf der 70er Jahre sicherte sich De Camp die völlige Kontrolle über die "Marke" Conan und baute eine ganze Industrie um den Cimmerier auf, was im Januar 1977 in der Gründung von Conan Properties, Inc. gipfelte. Die Clonan-Schwemme, die zur gleichen Zeit über das Subgenre hereinbrach, scheint ihn wenig gestört zu haben.
 
Bei Lin Carter sah es nicht viel anders aus. Die folgende Anekdote, die Joe Bonadonna -- Autor von Dorgo the Dowser -- in seinem Essay Imho: A Personal History of Sword & Sorcery and Heroic Fantasy erzählt, illustriert dies sehr schön:

(I)n 1970, I wrote a letter to Lin Carter, who was then the editor of Ballantine Books’ Adult Fantasy Series. I asked how to go about submitting a Conan novel I had written. Lin Carter was nice enough to reply quickly, telling me that only he and L. Sprague de Camp were licensed to write Conan stories. He suggested, however, that I change the name of Conan to one of my own choosing and change any other names borrowed from Howard, then submit the novel to a publisher as my own original creation. [...] In other words: I was advised to write a "Clonan" novel.
 
Lin Carter: Imaginary Worlds (mit einem Cover von Gervasio Gallardo)
  
Ironischerweise legte Carter seine entsprechenden Ansichten über die Sword & Sorcery ausgerechnet in Form einer Verteidigung des Subgenres nieder. Auslöser dafür war eine kurze Passage in einem genrehistorischen Essay von Alexei & Cory Panshin, der in der Augustausgabe 1972 von Fantastic unter dem Titel SF in Dimension: Mastery of Space and Time (1926-1935) erschienen war. Dort hatte man lesen können:
 [A]fter 1936, when Howard died, [Clark Ashton] Smith retired, and [C.L.] Moore turned to modern sf, sword and sorcery became a frozen form, a ritual dance after Howard. Early Moore and Smith continue to have influence on sf, but the sword and sorcery complex itself is a living fossil with no apparent ability to evolve.
Carter antwortete darauf im siebten Kapitel seines Buches Imaginary Worlds: The Art of Fantasy (1973). Dabei schlug er einen bewusst populistischen Tonfall an, indem er die Panshins zu Vertretern des Science Fiction - "Establishments" erklärte, deren Verdammungsurteil über die S&S der "general party-line" der "New Wavers" entspräche, womit er das in "old-school" - Kreisen des Fandoms verbreitete Vorurteil bediente, die Anhänger der New Wave seien ein Haufen abgehobener Elitisten.
 
Für Carter ist die Kritik der Panshins schon im Ansatz verfehlt, denn eine stilistische oder inhaltliche Weiterentwicklung der Sword & Sorcery erscheint ihm überhaupt nicht erstrebenswert.
Must a school of writing evolve? I wonder why. Evolution implies change into something else. But mere change for the sake of change, experiment for the sake of experiment -- the apparent aesthetic of the New Wave school of science fiction writing, to which I suppose Alexei Panshin belongs -- seems to a rather backwards-looking conservative like myself a pointless exercise in futility [...] 
There is absolutely no need for Sword & Sorcery to develop new maturities of style and theme
Seine Vorstellung von dem, was Sword & Sorcery ausmacht, ist äußerst eng und schließt jede Form von Innovation und Entwicklung per Definition aus.
Sword & Sorcery is the smallest, tightest literary genre I can think of, and one that is completely derivative. We who write it all work within the narrow tradition set down by Howard in the 1930s.
Offenbar sieht Carter keinen Widerspruch darin, im selben Kapitel Jack Vance den S&S-Autoren zuzurechnen, obwohl sich dessen Dying Earth - Geschichten schwerlich in solch eine ganz auf das Vorbild Howard ausgerichtete Tradition pressen lassen. Was den Eindruck noch verstärkt, dass es ihm bei dem Ganzen hauptsächlich um die Verteidigung von Clonans wie Jakes' Brak oder seinem eigenen Thongor geht, die beide als exemplarische Beispiele für die Sword & Sorcery angeführt werden. Deren Mangel an Originalität kann er natürlich nicht leugnen. Doch sei das eben kein Schwachpunkt, sondern vielmehr eines der definierenden Merkmale des gesamten Subgenres. Dessen ganze Existenz rechtfertigt sich für ihn in erster Linie aus einem Gefühl von Nostalgie, das die Geschichten bedienen sollen:
Most of us who write Sword & Sorcery do so out of a nostalgic affection of the genre and have no particular desire to change it, my own feeling being that "change" is not demonstrably synonymous with "improve." It's the sort of thing we loved in our teens (at least I did), and we contribute to the modern-day continuation of the genre out of fondness for what pleased us then. (6)  
Der Ruf nach komplexeren Charakteren, einer größeren thematischen Tiefe oder stilistischen Neuerungen und Experimenten macht vor diesem Hintergrund natürlich in der Tat wenig Sinn. Die Geschichten sollen ja möglichst simpel sein und bereits Bekanntes nachahmen. Andernfalls würden sie nicht den gewünschten Effekt erzielen können. Dass Lin Carter damit implizit auch die Werke Robert E. Howards, C.L. Moores und anderer Pioniere des Subgenres auf bloße Klischees reduzierte, möchte ich gar nicht weiter kommentieren. (7) 
 
Aber da er sich für seine Ausführungen der New Wave als "Feindbild" bediente, halte ich es für angebracht, darauf hinzuweisen, dass die Bewegung bereits zu dieser Zeit mehrere Werke hervorgebracht hatte, die im Dialog mit den Traditionen der Sword & Sorcery standen. Ich denke dabei vor allem an Joanna Russ' Alyx-Geschichten (1967/68) und M. John Harrisons The Pastel City (1971). Nach Carters Definition gehörten sie natürlich überhaupt nicht zum Subgenre, aber ich denke, man sollte in ihnen zumindest eine der möglichen Formen einer Weiterentwicklung sehen. (8) 
 
Doch auch in dem, was man wohl als den Mainstream bezeichnen könnte, erwies sich die Sword & Sorcery im Laufe der 70er Jahre als sehr viel entwicklungsfähiger als Carter dekretiert hatte. Auch kam die Kritik am Immergleichen der Clonans keineswegs nur von "außen" oder vom "Establishment", sondern ebenso aus der Mitte des Fandoms. Ausgerechnet auf den Seiten von Amra, dem offiziellen Organ der Hyborian Legion, konnte man schon früh solche Äußerungen des Unmuts vernehmen wie Brian Hvals On the State of Heroic Fantasy vom September 1970: 
I have been most tempted in the last few months to completely give up reading heroic fantasy. It has become almost impossible to seperate the reasonable reading from the literary trash displayed in the bookstore. Or perhaps I have finally been exhausted by the same repetitous plots of half-naked barbarians chaising equally naked women through numberless perils, the entire series of episodes menaced by some slimy Elder Evil (naked or half-naked?). All fantasy stories appear to be identical. Broads and broad-swords, brainless boozing barbarians! Despite repeated overdoses of fortified vitamins, my system can stand only so much of this monotonous rubbish. Even some of the recent "classics" are archaeological garbage. I pray that some god (benign or otherwise) will send these unworthy tomes to their tombs!
... But what is the worth of a single nugget if you have to toil through ten tons of literary dirt to find it? Readers may soon realize that it is not worth the effort. The Barbarian Bonanza may result in the Barbarian Bust! (9) 
Lin Carter hatte so getan, als könne er für die überwältigende Mehrheit der Sword & Sorcery - Fans sprechen. Aber auch unter ihnen gab es sicher viele, die nicht zufrieden damit waren, in dem Subgenre eine reine "Nostalgie-Nische" zu sehen. Die sich eher dem angeschlossen hätten, was Jessica Amanda Salmonson dann 1979 in ihrem Vorwort zu Amazons! schreiben würde:
Many of us are fond of heroic fantasy not "in spite" of its lacking merit, but because the unrestrained magic and adventure provide a limitless potential that has yet to be sufficiently plumbed. (10)  
Sicher, allein schon aus kommerziellen Gründen wurde die Flut der Clonans nie wirklich gebrochen, sondern versickerte erst in den 80er Jahren, als sich keine ausreichende Käuferschaft mehr für sie fand. Bis dahin gab es stets genug Verlage, die nichts anderes wollten als den nächsten Barbaren im Lendenschurz. Aber die Sword & Sorcery der 70er war eine Strömung, die im Gegensatz zu Lin Carters Ansichten breit genug war, um neben ihnen auch andere, unkonventionellere und innovativere Ansätze entstehen zu lassen. 
Einer der Gründe dafür war ohne Zweifel, dass sich der S&S - Boom parallel zum Aufblühen einer Phantastik-Fankultur entfaltete, zu der u.a. das Erscheinen einer Vielzahl unterschiedlichster Magazine, Semi-Prozines und Fanzines gehörte. So weit ich weiß war keines von ihnen ausschließlich der Sword & Sorcery gewidmet, aber Publikationen wie Dark Fantasy, The Diversifier, Fantasy Crossroads, Fantasy & Terror, Space & Time, Void, Whisper, Witchcraft & Sorcery, Weirdbook und Wyrd (11) boten auf jeden Fall eine Bühne für junge und unbekanntere Autor*innen, die hier erstmals ein etwas größeres Publikum erreichen konnten. Und damit tendenziell auch einen Raum für eigenwilligere Ideen und Herangehensweisen, den es zuvor nicht gegeben hatte.
Zumindest einige der Autor*innen gelangten auf diesem Weg schließlich auch in die bedeutenderen Anthologien der Zeit. Lin Carters Flashing Swords (1973-81) enthielt, vom fünften und letzten Band einmal abgesehen, zwar beinah ausschließlich Beiträge von Mitgliedern der S.A.G.A., der Mitte der 60er Jahre von De Camp, Carter und John Jakes gegründeten Swordsmen and Sorcerers' Guild of America. Doch in seinen Year's Best Fantasy Stories (1975-80) zeigte auch er sich sehr viel offener für "ungewöhnlichere" S&S und veröffentlichte u.a. Kurzgeschichten von Pat McIntosh, Tanith Lee, Charles R. Saunders, Roger Zelazny, Brian Lumley und Janet Fox. In Andrew Offutts Swords Against Darkness (1977-79) erschienen u.a. Stories von Richard L. Tierney, Ramsey Campbell, David Madison, Tanith Lee, Darrell Schweitzer, Charles R. Saunders, Charles de Lint, Brian Lumley und Ardath Mayhar. Am Ende der 70er Jahre erschienen dann außerdem einige Anthologien, die ganz ausdrücklich eine kritische Haltung gegenüber den Barbaren-Klischees vertraten und zu einer entsprechenden Weiterentwicklung des Subgenres beitragen wollten. Das gilt nicht nur für Jessica Amanda Salmonsons Amazons! (1979), sondern auf etwas andere Art z.B. auch für den von Gerald W. Page & Hank Reinhardt zusammengestellten Band Heroic Fantasy (1979). Dort heißt es in der Einleitung
The great cliche of modern heroic fantasy has been the muscular barbarian who seldom behaves as a human being, and whose muscles, as decribed in the stories, seldom seem to operate the way human muscles do
Dies gelte es zu korrigieren: "We did look for a strongly realistic approach to our fantasy, and we wanted characters we could believe in, and enjoy". Außerdem setzen sich zumindest einige der in der Anthologie versammelten Geschichten kritisch, ironisch oder reflektierend mit dem "heroischen Ideal" auseinander.
 
Trotz der Clonan-Schwemme erwies sich die Sword & Sorcery in den 70er Jahren also sehr wohl als entwicklungsfähig. Und die entsprechende Tendenz verstärkte sich zudem merklich in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts. Weshalb es meines Erachtens auch etwas zu kurz greift, wenn man den bald darauf einsetzenden Umschwung zur High Fantasy ausschließlich aus einem vermeintlichen Ersticken der S&S an ihren immer gleichen Klischees erklärt. Da spielten sicher auch noch eine Reihe anderer Faktoren eine Rolle. Trotz des scheinbaren Triumphs der High Fantasy wäre es zudem falsch, zu glauben, dass alle Entwicklungsansätze der 70er am Ende im Sande verlaufen oder von den Behemoths der Endlos - Epen gänzlich überrollt worden wären. Einige von ihnen fanden in den 80ern sehr wohl ihre Fortsetzung in Werken wie etwa Glen Cooks Black Company oder Steven Brusts Vlad Taltos.
    

Swords Against Darkness III (mit einem Cover von Greg Theakston)
 

Ein für mich sehr ansprechendes Beispiel dafür, wie die Sword & Sorcery der 70er sich weiterentwickeln konnte, ist David Madisons 1975 in Band 3 von Swords Against Darknesss erschienene Kurzgeschichte Tower of Darkness
 
Leider habe ich nur sehr wenig Informationen über den Autor finden können. Andrew Offutt bezeichnet ihn in seinen einleitenden Bemerkungen als "Texan", das ist aber auch schon alles, was er an Konkretem über ihn mitteilt. Ansonsten weiß ich eigentlich nur, dass Madison 1979 Selbstmord begangen hat. Charles R. Saunders erzählte 2007 in einem Interview mit Steven Tompkins über ihn:
Even after all these years, I feel bad about David. He was one of the best of the generation of fantasy and S&S writers which came up through the fanzines and semi-prozines of the 1970s. His work could best be described as "punk S&S." (12)
Geschichten aus Madisons Feder erschienen in WyrdSpace & Time, The Diversifier, Dark Fantasy, Fantasy & Terror, Astral Dimensions sowie Dragonbane/Dragonfields, dem kurzlebigen Magazin, das Saunders gemeinsam mit Charles de Lint herausgab. Tower of Darkness war die einzige seiner Stories, die (auch) in der Publikation eines großen Verlages (Zebra Books) veröffentlicht wurde. In der Januarausgabe 1978 von Dark Fantasy kann man zwar in den einführenden Bemerkungen zu The Trouble with Timothy von einem "recent sale to Year's Best Fantasy" lesen, doch 1979 erschien überhaupt kein entsprechender Band in Lin Carters Antho-Reihe und auch 1980 gab es keinen (posthumen) Abdruck einer Madison-Geschichte.
 
Tower of Darkness ist Teil eines kleinen Zyklus um das Gauner- und Abenteurerpaar Marcus und Diana, dessen übrige Teile in Space & Time und The Diversifier erschienen sind und leider nie irgendwo anders neu abgedruckt wurden. Ich würde einiges für ein kleines Sammelbändchen mit den sieben Geschichten geben. Denn zumindest diese eine hat mir außergewöhnlich gut gefallen. 
 
Oberflächlich betrachtet ist der Plot von Tower of Darkness geradezu "klassisch": Unsere Held*innen, die ganz der leiber'schen Spitzbuben-Tradition entsprechen, gelangen eines Abends an die Tore der Stadt Nyza. Nachdem ein paar Silbermünzen den Besitzer gewechselt haben, lässt man sie ein, aber wirklich willkommen fühlen sich die beiden hier nicht. Die Bewohner der Stadt werden von einer abergläubischen (?) Furcht vor dem Dunkel der Nacht beherrscht, was dazu führt, dass man Diana und Marcus nicht einmal Einlass in ein Wirtshaus gewährt. Also bleibt den beiden nichts anderes übrig, als relativ ziellos durch die nächtlichen Straßen zu ziehen und dabei die Weinflasche hin und her wandern zu lassen. Schließlich gelangen sie zu einer Parkanlage im Zentrum der Stadt, die noch etwas melancholischer und finsterer wirkt als der Rest von Nyza und in der sich ein Turm und eine Stufenpyramide erheben. Der Turm entpuppt sich als ein Heiligtum der Sonne, in dem ein Priester die ganze Nacht über jede Stunde einen Gong schlägt. Unglücklicherweise verhindert die Sprachbarriere eine echte Kommunikation. Stattdessen taucht plötzlich eine sehr bleiche und magere Frauengestalt aus dem Dunkel auf und lädt unsere Held*innen in die Krypta unter der Pyramide ein, wo die "Verehrer des Mondes" ihre nächtlichen Feiern zelebrieren würden. Diana und Marcus sind selbst etwas überrascht, wie schnell sie bereit sind, dieser Einladung zu folgen ...
 
Das klingt auf den ersten Blick, wie schon gesagt, nicht übermäßig originell. Und ja, die "Verehrer des Mondes" entpuppen sich eine Seite später dann auch schon als waschechte Vampire. Aber das vermeintlich so "konventionelle" der Story verstärkt für mich nur seine in Wirklichkeit ziemlich subversive Qualität. Die beruht zuerst einmal (und vor allem) auf dem ungewöhnlichen Heldenpaar, das schon rein äußerlich ganz und gar nicht dem entspricht, was man vielleicht erwartet hätte.
The woman was tall and lithe, muscular without being awkward. Her heavy square-cut blond hair was confined by a circlet of beaten gold; other than that she wore no ornaments. A narrow white scar creased the perfection of her tan, pulling her right eyelid down slightly and giving her face a faint look of sleepy cynicism. A fantastically jeweled and embroidered peacock cape hung from her shoulders, contrasting oddly with her masculine linen blouse, rudely patched camvas pants, and the notched and rusty sabre in her belt. [...]
Her male companion was small, although supple and compactly built. He was blond, like the woman, with a pretty, faintly childish face and deep black eyes.
He was dressed in peach-colored satin trousers, soft white boots, and a shirt that was alive with needlepoint dragons. His mascara and eyeshadow had begun to run from perspiration, and there was a blue butterfly painted on his left cheek.  
In ihrer äußeren Erscheinung sind Marcus und Diana also erst einmal so etwas wie eine Umkehrung der traditionellen Genderklischees. Könnte man allein schon recht cool finden, aber wenn wir sie im weiteren Verlauf der Erzählung näher kennenlernen, erweist sich, dass sie viel mehr sind als das. Madison stellt nämlich nicht einfach bloß die üblichen Genderrollen auf den Kopf. Diana ist nicht das "Mannweib", Marcus nicht der "effiminierte" Mann. Selbst wenn die leicht betrunkene Diana ihren Geliebten "little doll" nennt, wirkt das weder herablassend noch so, als wolle sie ihn in die "weibliche Rolle" drängen. Es ist einfach ihr liebevoller Kosename für ihn. Letztenendes transzendieren die beiden in ihrer Charakterisierung die üblichen Genderrollen und -klischees und sind das, was solche Figuren sein sollten: Individuelle menschliche Persönlichkeiten. Und dazu noch sehr sympathische. Die Menschlichkeit der beiden Figuren wird durch kleine Randdetails wie das folgende, die für die unmittelbare Geschichte absolut keine Rolle spielen, noch verstärkt:
"The money ..."
"I've got it. Don't worry."
"I'm not worried, Terrence." 
She sometimes called him Terrence when she was a glass or two the better for it. He had the good sense not to object, and never asked who Terrence was when she sobered up.
Und diesen sehr menschlichen Charakter seiner beiden Hauptfiguren verbindet Madison mit einem ebensolchen Umgang mit dem "heroischen Ideal". So interpretiere zumindest ich das letzte Drittel der Geschichte, denn der Autor ist ein viel zu guter Erzähler, um uns irgendwelche offensichtlichen "Botschaften" um die Ohren zu hauen.
Diana und Marcus erweisen sich als kompetente Sword & Sorcery - Held*innen -- ebenso kampfgeschickt wie clever --, sobald es zum großen Gemetzel in der Krypta kommt. Wirklich besiegen können sie die Vampire zwar nicht, aber immerhin gelingt ihnen die Flucht in die labyrinthischen Gänge unter der Pyramide. Dennoch finden sie sich am Ende in einer scheinbar aussichtslosen Situation wieder. Und alle beide zeigen dabei, dass sie fähig sind, vor Angst und Verzweifelung in Tränen auszubrechen. Was ich ihnen (und Madison) hoch anrechne. Schließlich sind sie sogar so weit, gemeinsam Selbstmord begehen zu wollen, um damit dem Schicksal zu entgehen, vampirifiziert zu werden. Ich fand die Szene wirklich tief berührend.
Gerettet werden sie am Ende auf völlig unerwartete (und leicht ironische) Weise durch den Heroismus eines anderen. Einen Heroismus zudem, der nichts mit geschickt geschwungenen Schwertern zu tun hat, sondern mit echtem Mut und Selbstlosigkeit: Der Priester aus dem Turm ist ihnen offensichtlich gefolgt, um sie zu warnen. Die Pyramide hat er nie erreicht, sondern wurde bereits zuvor von den Vampiren überwältigt und getötet. Doch damit gab es auch niemanden mehr, der den Gong zur vollen Stunde schlagen konnte. Weshalb niemand mehr genau wissen konnte, wie nahe der Morgen in Wirklichkeit bereits war. Was den Vampiren zum Verhängnis wird.               
 
Ich kann zum Abschluss nur noch einmal betonen, wie gut mir Tower of Darkness gefallen hat. Und wie sehr ich es feiern würde, wenn irgendwer mal einen Sammelband mit den Marcus & Diana - Geschichten zusammenstellen würde. Das ist 70er - Jahre - Sword & Sorcery, die es verdient hätte, wiederentdeckt zu werden.   
 

 


(1) Ich habe vor Zeiten schon einmal hier versucht, etwas genauer nachzuvollziehen, wie sich die Genrebzeichnung Sword & Sorcery letztenendes durchgesetzt hat. 

(2) Um noch ein etwas unbekannteres frühes Beispiel für die Clonan-Schwemme zu erwähnen: Cora Buhlert hat kürzlich bei Galactic Journey Kenneth Bulmers 1970 erschienen Roman Swords of the Barbarians besprochen.  

(3) Zit. nach: Mark Finn: Blood & Thunder. The Life & Art of Robert E. Howard. S. 236. 

(4) L. Sprague de Camp: Swords and Sorcery: Stories of Heroic Fantasy. S. 7.

(5) Zit. nach: Brian Murphy: Flame and Crimson. A History of Sword-and-Sorcery. S. 199. 

(6) Lin Carter: Imaginary Worlds: The Art of Fantasy. S. 146-48.

(7) Ich finde es bezeichnend, dass er Jirel of Joiry "Miss Moore's 'gal Conan'" nennt, so als sei sie nichts weiter als eine weibliche Form von Howards Barbaren. Was weder der Figur noch Moores Geschichten gerecht wird.

(8) Leider scheinen diese Werke auch heute noch von Teilen der S&S-Community ignoriert zu werden. So finden z.B. in Brian Murphys Flame and Crimson weder Alyx, noch Viriconium oder Samuel R. Delanys ab 1979 erschienene Nevèrÿon - Erzählungen Erwähnung.  

(9) Zit. nach: Brian Murphy: Flame and Crimson. S. 195/96.

(10) Jessica Amanda Salmonson: Amazons!. S. 15 

(11) Nicht unerwähnt bleiben soll auch Sorcerer's Apprentice, das von Liz Danforth geleitete Hausmagazin von Flying Buffalo (Tunnels & Trolls). Hier erschienen u.a. Stories von Tanith Lee, Janet Fox und Charles de Lint sowie im Sommer 1979 mit Garden of Blood die erste neue Dilvish - Geschichte von Roger Zelazny. 

(12) Das Interview wurde ursprünglich für den Cimmerian geführt, fand sich später aber auch auf Saunders' Website. Diese existiert inzwischen allerdings auch nicht mehr, und leider lässt sich der Text auch über die WaybackMachine nicht mehr aufrufen.