"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Samstag, 14. Mai 2016

Ein Reisebericht aus den Vier Ländern - Teil 3

Teil 1 * Teil 2

Die Halbzeitmarke meines Marschs durch Terry Brooks' The Sword of Shannara ist überschritten. Der von seinen Freunden getrennte Shea irrt zusammen mit zwei neuen und recht ungewöhnlichen Gefährten auf der Suche nach dem sagenumwobenen Schwert durch die menschenleere Ödnis der Nordlande, derweil der Dämonen-Lord im festen Glauben an seinen nicht mehr aufzuhaltenden Triumph endlich seine Armeen in Bewegung gesetzt hat, um das Reich von Callahorn, den Schutzwall des zivilisierten Südens, zu überrennen. Kurz gesagt: Shit is starting to get real!

Derweil beglückt uns die Geschichte auch weiterhin mit einer auf ihre Art faszinierenden Mixtur aus dem Lord of the Rings entwendeten Versatzstücken und ausgesprochen "untolkienschen" Elementen. Auch gelange ich allmählich zu der Überzeugung, dass Gene Wolfe dieses Buch nie gelesen hat. Was ich ihm nicht wirkich übelnehmen kann ...

Wir befinden uns nunmehr in dem Abschnitt des Sword of Shannara, der ungefähr den Two Towers entspricht. Die in Culhaven zusammengestellte Heldengruppe ist auseinandergebrochen. Während Shea die ursprüngliche Queste weiter fortsetzt, machen sich die meisten anderen Mitglieder des Trupps daran, die Verteidigung der "freien Welt" gegen die Horden des Bösen zu organisieren, deren Vormarsch übrigens ganz wie im Lord of the Rings vom Heraufziehen einer unnatürlichen Finsternis begleitet wird.

Allerdings ist Sheas Alleingang anders als der seines Vorbilds Frodo nicht die Folge einer bewussten Entscheidung unseres Helden. Unglückliche Umstände haben ihn von seinen Gefährten getrennt und zu seiner Gefangennahme durch einen Gnomentrupp geführt. Die anschließende Sequenz weist entfernte Anklänge an das Schicksal von Merry und Pippin in den Händen der Uruk-hai auf, doch erhält die Geschichte schon bald eine unerwartete Wendung, als mit Panamon Creel und seinem Trollkumpel Keltset zwei Figuren die Bühne betreten, die in Tolkiens Universum schier undenkbar gewesen wären.
Der in Scharlachrot gewandete Glücksritter und Straßenräuber mit dem Eisenspieß anstelle der linken Hand wirkt wie eine Gestalt aus einer Sword & Sorcery - Story, die sich in einen High Fantasy - Plot verirrt hat, auch wenn wir seine Vorbilder vermutlich weniger bei Robert E. Howard oder Fritz Leiber als vielmehr in den klassischen Abenteuerromanen des 19. Jahrhunderts zu suchen haben, die für Brooks eine so große Inspiration darstellten.
Auch wenn überzeugende Charakterzeichnung nicht unbedingt zu den Stärken unseres Autors gehört, bringt der prahlerische, einzelgängerische und ziemlich skrupellose Haudegen doch etwas Farbe in die Geschichte. Sein Handeln wirkt zwar manchmal etwas unmotiviert {warum lässt er sich so leicht dazu überreden, den von ihm eher nebenbei befreiten Shea nach Paranor zu eskortieren?}, aber in Kontrast zu unserem fürchterlich naiven und etwas engstirnigen "Auserwählten" wirkt der sarkastische, doch zugleich überraschend offene und unvoreingenommene Panamon recht erfrischend, wenn auch leider nicht ganz so charmant wie er sollte.
Der stumme Troll Keltset, über dessen Vergangenheit wir bisher nur wenig erfahren haben, bildet einen vielleicht noch extremeren Bruch mit dem tolkienschen Vorbild. Anders als in Mittelerde gibt es in Brooks' Welt keine wirklich "bösen" Rassen. Zwar sind die gelbhäutigen Gnome ganz dem Stereotyp der "primtiven Wilden" nachempfunden und dienen als offensichtlicher Ersatz für Tolkiens Orks, doch weder sie noch Brooks' Trolle sind Schöpfungen des Dunklen Herrschers. Vielmehr handelt es sich bei ihnen {wie auch bei den Zwergen} um Nachkommen von Menschen, deren körperliche Erscheinung sich in der Folge der Großen (Atom)Kriege mehr oder weniger drastisch verändert hat.
Wie dem auch sei. Ich bin jedenfalls gespannt, welche Rolle Panamon Creel und Keltset im Rest des Romans noch spielen werden.
Wenn Brooks mit den beiden sehr schön zeigt, dass er etwas mehr zu bieten hat als ein simples Kopieren tolkienscher Vorbilder, lässt sich das gleiche leider nicht über Ersatz-Gollum Orl Fane sagen. Der feige, kleine Gnomen-Deserteur, der beim Leichenfleddern zufällig über das Schwert von Shannara gestolpert ist und sich mit dem wertvollen Fund nun aus dem Staub gemacht hat {vermutlich in Richtung Schädelreich}, verspricht vielmehr zu meiner bevorzugten Hassfigur zu werden. Der Grund dafür ist, dass der arme Sméagol und seine Beziehung zu Frodo und Sam für mich einen der interessantesten und berührendsten Bestandteile des Lord of the Rings ausmachen. Und es ist schon allein aufgrund der fehlenden Hintergrundgeschichte völlig unmöglich, dass wir im Falle von Orl Fane irgendetwas auch nur annähernd gleichwertiges zu sehen bekommen werden. Doch einen ausführlicheren Kommentar dazu hebe ich mir für später auf, wenn wir mehr von der weinerlichen Kreatur zu sehen bekommen haben.

Bleibt nur noch von Balinors Rückkehr in seine Heimat Callahorn zu berichten. 
In der Gestalt des heldenhaften Kronprinzen finden sich viele Anteile von Aragorn und Faramir, Callahorn stellt eine Mischform aus Rohan und Gondor dar, die Hauptstadt Tyrsis dient als Ersatz für Minas Tirith. Während Balinors Abwesenheit haben sich hier üble Intrigen entsponnen. Der greise König ist so gut wie abgesetzt, die Macht hat sein jüngerer Sohn, der unter dem Einfluss eines wenig vertrauenswürdigen "Mystikers" steht, übernommen, um allsogleich die berühmte Grenzlegion aufzulösen, obwohl die Heere des Dämonen-Lords in Kürze die Grenze des Reiches erreicht haben werden. 
Das klingt nicht besonders erfreulich und erinnert außerdem auf frappierende Weise an die Zustände am Hof von König Théoden, auch wenn besagter "Mystiker" nicht Grima Schlangenzunge heißt ... Doch für den Moment möchte ich bloß kurz darauf eingehen, wie sich am Beispiel von Callahorn sehr schön zeigen lässt, dass The Sword of Shannara keineswegs von dem feudal-romantischen Geist durchtränkt ist, den Gene Wolfe an The Lord of the Rings so schätzt.

Als eine Art Bollwerk gegen die barbarischen Völker des Nordens spielt Callahorn oberflächlich betrachtet eine ähnliche Rolle wie Gondor. Doch die besondere Bedeutung, die dem Reich der Dúnedain in Tolkiens Welt zukommt, beschränkt sich nicht aufs Politische oder Militärische. Es so zu sehen, ist ja gerade der kardinale Fehler des Truchsessen Denethor. Gondor ist nicht einfach bloß ein Königreich, sondern der letzte Ort {neben den schwindenden Elbenreichen}, an dem Überreste des Wissens und der Traditionen der Altvorderenzeit bewahrt werden. Im Kampf gegen Mordor und seine Vasallen verteidigt der "Turm der Wacht" nicht nur die Lande im Westen gegen die plündernden Horden aus dem Osten und Süden, sondern auch das Wissen um den Einen Wahren Gott gegen den Gottkönig Sauron und seine Verehrer. Zugleich verkörpert Gondor jenen romantisch verklärten Feudalismus, der Tolkien als ideale Gesellschaftsform erschien und der von der absoluten Despotie des Dunklen Herrschers bedroht wird. {Ich verweise in diesem Zusammenhang noch einmal auf meine hier, hier, hier, hier & hier zu findende Post-Reihe über die Politik des Herr der Ringe.}
Für Callahorn gilt nichts vergleichbares, wie wir einem mehrseitigen, leider sehr ungeschickt eingeflochtenen Infodump entnehmen können. Zwar bekommen wir dort zu lesen, "Callahorn war ein Land, das die Vergangenheit ebenso widerspiegelte wie die Zukunft", doch bedeutet das in Brooks' Universum etwas völlig anderes als in Tolkiens. Die Welt von Shannara kennt keine "Altvorderenzeit", deren untergegangener Schönheit man nachtrauern oder deren Traditionen man weitertragen könnte. Schließlich handelt es sich um ein postapokalyptisches Szenario. Die "Altvorderenzeit" der Vier Länder wäre unsere Gegenwart.
Wenn Callahorn die Vergangenheit widerspiegelt, dann in seinen Festungsbauten und den kriegerischen Traditionen seiner Grenzlegion. Anders als bei Tolkien ist die Vergangenheit bei Brooks nichts, was sehnsüchtige Melancholie hervorrufen könnte. Sie wird vielmehr vor allem mit Krieg und Gewalt assoziiert. Nicht seine Verbindung zum Alten, sondern die "Anzeichen für das Kommende" in Callahorns Gesellschaft sind es, die das Reich positiv auszeichnen:
Tyrsis war die Wegkreuzung der vier Länder, und durch seine Mauern und Landschaften strömten Angehörige aller Nationen, die den Einwohnern Gelegenheit gaben, zu sehen und zu begreifen, dass die Unterschiede in Gesicht und Körper bei den einzelnen Rassen unwichtig waren. Die Menschen hatten gelernt, die innere Person zu beurteilen. Ein riesiger Berg-Troll wurde nicht angestarrt und seiner bizarren Erscheinung wegen gemieden; Trolle kamen oft in dieses Land. Gnomen, Elfen und Zwerge aller Arten und Gattungen zogen regelmäßig hindurch, und wenn sie Freunde sein wollten, wurden sie willkommen geheißen. Balinor lächelte, als er von dieser neuen, sich ausbreitenden Erscheinung sprach, die endlich überall in den Ländern die Oberhand zu gewinnen schien, und er empfand Stolz darüber, dass sein Volk zu den ersten gehörte, die alte Vorurteile fallen ließen und nach gemeinsamen Grundlagen für Verständnis und Freundschaft suchten.
Dazu passt sehr gut, dass Callahorn anders als Gondor keine wirkliche Feudalgesellschaft ist. Brooks geht sogar so weit, aus dem Reich eine konstitutionelle Monarchie zu machen: "Callahorn war eine der wenigen aufgeklärten Monarchien der Welt [...] Theoretisch eine Monarchie, beherrscht von einem König, bestand die Regierung auch aus einer parlamantarischen Körperschaft, deren Repräsentanten vom Volk gewählt wurden und für die Verabschiedung der Gesetze verantwortlich waren." Desgleichen ist die Grenzlegion kein feudales Heer, sondern eher so etwas wie eine Volksmiliz, "in der nahezu jeder Mann gedient hatte oder noch diente".

Nun kann man zwar nicht behaupten, dass Terry Brooks diese fortschrittlichen, weltoffenen und zukunftsoptimistischen Elemente besonders geschickt in seine Story eingeflochten hätte, aber ihre bloße Existenz hebt The Sword of Shannara doch sehr deutlich von Tolkiens Lord of the Rings ab.

Fortsetzung folgt ...       

3 Kommentare:

  1. Toller Beitrag. Da bin ich doch froh, dass ich diesen Band bei meinem Reread übersprungen habe, den Inhalt aber jetzt hier bei dir rekapitulieren kann.

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    1. Merci! :) Freut mich, einen gemeinnützigen Dienst leisten zu können.

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  2. Das Schwert fand ich auch nie besonders gut. Wishsong ist mein Favorit.

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