Von einer satanischen Orgie auf dem Brocken einmal abgesehen – wie besser könnte man die Walpurgisnacht feiern als mit einem Besuch von Benjamin Christensens Klassiker Häxan aus dem Jahre 1922 – im englischsprachigen Raum vielleicht besser unter dem etwas irreführenden Titel Witchcraft Through The Ages bekannt.
Die Online-Fassung der Encyclopaedia Britannica eröffnet ihren Eintrag über Christensen mit folgender Beschreibung: "Danish motion-picture director known for his exploration of the macabre."
Wirft man einen Blick auf die Filmographie des Regisseurs, so scheint einiges dafür zu sprechen,dass diese Einschätzung in erster Linie auf Häxan beruht. Denn auch wenn er später in seiner Hollywood-Zeit drei Filme gedreht hat, die man dem Horrorgenre zurechnen kann – The Haunted House (1928), Seven Footprints to Satan (1929) und House of Horror (1929) –, von denen zwei zudem eher komödienhaft gewesen sein sollen*, hinterlässt sein Gesamtwerk doch einen vielgestaltigeren Eindruck. Besonders interessant ist dabei die Tatsache, dass viele seiner letzten Filme wie Skilsmissens børn (1939) und Barnet (1940) offenbar deutlich sozialkritische Intentionen verfolgten. Mir scheint es wichtig, dies zu betonen, da Häxan in den meisten Fällen ausschließlich unter dem Horrorblickwinkel betrachtet zu werden scheint, was ich für etwas einseitig halte. Doch dazu später mehr.
Der am 28. September 1879 in Viborg zur Welt gekommene Benjamin Christensen gilt wohl nicht zu Unrecht als einer der großen Pioniere des frühen Films. Nach einem abgebrochenen Medizinstudium, widmete er sich ab 1901 zuerst dem Theater. Einer Schauspielausbildung am Kongelige Teater in Kopenhagen folgte ein Bühnenengagement in Aarhus. Doch offenbar erwiesen sich die "Bretter, die die Welt bedeuten" nicht als das, was sich der junge Christensen erträumt hatte, so dass er schon bald seine Brötchen lieber als Weinhändler verdiente. 1911 freilich gab er dann sein Leinwanddebüt, übernahm zwei Jahre später die Kontrolle über die Filmfirma, bei der er arbeitete, reorgansierte sie unter dem Namen Dansk-Biograf Kompagnie und machte sich 1914 daran, den ersten Film unter eigener Regie zu drehen – den Spionagestreifen Det hemmelighedsfulde X (The Mysterious X). Ein erstaunliches Werk, das in seiner visuellen Ästhetik seiner Zeit weit voraus war. Um Ralf Ramge von der edition-filmmuseum zu zitieren:
Zwei Jahre später legte Christensen mit Hævnens nat (Blind Justice) nach, in dem er die Geschichte eines zu Unrecht des Mordes angeklagten Mannes erzählt. Ich habe den Film noch nicht gesehen, aber er soll seinem Vorgänger in nichts nachstehen. Auch zeigt sich in ihm wohl zum ersten Mal das Interesse des Regisseurs für soziale Probleme und Ungerechtigkeiten.
Zwischen 1918/19 und 1921 beschäftigte sich Christensen intensiv mit der Geschichte der Schwarzen Magie und der spätmittelalterlichen Hexenverfolgungen. Anstoß dafür soll eine Lektüre des berüchtigten Hexenhammers (Malleus Maleficarum) gewesen sein. Ergebnis dieser Recherchen war Häxan – ohne Zweifel sein berühmtester und wohl auch einflussreichster Film.
Auch wenn viele ihn neben Victor Sjöströms Körkarlen (The Phantom Carriage) von 1921 als einen der ersten Höhepunkte des skandinavischen Horrorfilms betrachten, präsentiert sich Häxan zuerst einmal als ein Dokumentarfilm – als der erste Teil einer geplanten, aber nie vollendeten Trilogie über Aberglauben.
Und so beginnt der Film mit mehr oder minder wissenschaftlichen Ausführungen über vormoderne Weltbilder und den aus Unwissenheit geborenen Glauben an Dämonen und andere unkörperliche Wesenheiten, zur Veranschaulichung unterlegt mit Fotographien und Illustrationen. Bald jedoch mischen sich mehr und mehr "Spielszenen" in den Ablauf ein, in denen wir zu sehen bekommen, was Hexen in der Vorstellung des Mittelalters so getrieben haben sollen. Dabei fällt auf, wie Christensen Makabres {eine Hexe und ihr Gehilfe hantieren mit der abgeschlagenen Hand eines hingerichteten Diebes herum} mit Burleskem {eine junge Frau besorgt sich einen Trank, um einen fetten Franziskaner liebestoll zu machen}vermischt. Bald schon allerdings begibt sich der Film in offen phantastische Gefilde, wenn die ersten leibhaftigen Teufel auftreten.
Adam Scovell schreibt in einem seiner Essays auf Celluloid Wicker Man:
Doch der Film bleibt nicht dabei stehen. Alsbald streift er auch die letzten Überreste seines Doku-Charakters ab und beginnt eine mehr oder weniger zusamenhängende Geschichte aus den Tagen der Hexenverfolgung zu erzählen. Der für die Angehörigen überraschende und unerklärliche Tod eines Mannes führt dazu, dass eine alte Bettlerin der Hexerei bezichtigt wird. Die Dominikaner-Inquisitoren machen sich allsogleich ans Werk und zwingen der Angeklagten unter der Folter immer fantastischere Geständnisse ab. Zuerst berichtet sie über das wüste Treiben am Hexensabbat, was Anlass zu einigen der großartigsten Szenen des Filmes gibt, um anschließend eine ganze Reihe anderer Frauen als Hexen zu denunzieren.
Soweit ließe sich auch das als bloße "Illustration" interpretieren, doch daneben entwickelt sich zugleich eine Art persönliches Drama. Die Frau, die zu den Dominikanern eilt, um die Alte anzuklagen, trifft dort zuerst auf den jüngsten der Inquisitoren, der ins Gebet vertieft ist. Als sie den Arm des jungen Mönchs packt, um ihn aus seiner Versenkung zu rütteln, hat das ungeahnte Folgen. Die Berührung durch eine hübsche junge Frau weckt offenbar höchst "sündige" Gedanken in ihm. Als er sie einem seiner Mitbrüder beichtet, geißelt ihn dieser dieser erst einmal blutig, um die "Verführerin" daraufhin der Hexerei zu bezichtigen. Der junge Dominikaner, der schon zuvor in den Folterszenen mit der alten Bettlerin gezeigt hatte, dass er sich trotz seiner Rolle als angehender Hexenjäger offenbar ein menschliches Gewissen bewahrt hat, versucht das Unausweichliche zu verhindern, doch letzlich muss er mit ansehen, wie seine "Angebete" auf perfide Weise zu einem "Geständnis" gebracht und dem Henker übergeben wird.
Story und Charaktere bleiben zugegebenermaßen rudimentär, aber da keine der Besprechungen von Häxan, die ich gelesen habe, dieses kleine "Drama" erwähnt, schien es mir wichtig, auf seine Existenz hinzuweisen. Mit ihm entfernt sich der Film strukturell am weitesten von seinem vermeintlich dokumentarischen Charakter.
Mit einer erneut wunderbar grotesken Sequenz über besessene Nonnen nimmt er wieder stärker episodische Qualität an, um schließlich in einer Art Epilog über "Hexerei in der Gegenwart" auszuklingen.
Wie gesagt wird Häxan heute in erster Linie als ein phantastischer Film betrachtet. Adam Scovell sieht in ihm sogar die Geburtsstunde "of both occult horror and folk horror."
In meinen Augen ist das eine legitime, aber auch etwas einseitige Interpretation. Obwohl der Film aufgrund seiner für die Zeit wohl ziemlich skandalösen Darstellungen von Erotik und Gewalt in vielen Ländern mit dem Zensor zu ringen hatte, ist sein Einfluss vor allem auf den Deutschen Expressionismus wohl kaum zu leugnen. Und thematisch kann man ihn ohne Frage als einen Vorläufer späterer Horrorfilme, die sich folkloristischer oder okkultistischer Motive bedienen, betrachten.
Doch gerade sein abschließendes Kapitel zeigt meiner Ansicht nach sehr deutlich, dass Christensens Intentionen sich nicht auf die Darstellung des Bizarren und Phantastischen beschränkten. {Auch wenn ganz offensichtlich sehr viel Liebe in dieselbige geflossen ist.} Man würde vielleicht erwarten, zum Abschluss etwas über okkultistische Praktiken in der Gegenwart und das Fortleben des Aberglaubens erzählt zu bekommen, doch das geschieht bloß am Rande. Vielmehr stellt Christensen im letzten Kapitel die These auf, der Hexenglaube vergangener Zeiten sei das Produkt psychischer Erkrankungen gewesen. Dabei konzentriert er sich auf den Begriff der "Hysterie", was aus heutiger Sicht natürlich ziemlich problematisch erscheint, ist dieser doch kaum von der Misogynie jener Zeit zu trennen. Kein Wunder also, dass der Schlusspart des Filmes auf mich einen ziemlich widersprüchlichen und verstörenden Eindruck hinterlassen hat. Doch interessanterweise scheint dies wenigstens zum Teil beabsichtigt gewesen zu sein. Christensen begrüßt, dass wir die Armen und Kranken nicht länger auf den Scheiterhaufen schicken, aber zugleich zieht er beunruhigende Parallelen zwischen "modernem" und "mittelalterlichem" Verhalten. Der Psychiater, der eine junge Frau in die Irrenanstalt einweist, weist bei ihm gruselige Ähnlichkeiten mit den Inquisitoren der Vergangenheit auf. Christensen scheint hier die Frage zu stellen, ob wir nicht immer noch den barbarischen Praktiken unserer Vorfahren folgen, wenn wir all jene, die "anders" oder "nicht normal" erscheinen, aus unserer Gemeinschaft ausschließen.
So groß der Beitrag von Häxen zur filmischen Phantastik im Hinblick auf visuelle Ästhetik, Cinematographie, Tricktechnik und Motivik auch sein mag, ich fände es schade, darüber den humanen und sozialkritischen Impetus zu vergessen, der dem Film ganz offenbar innewohnt.
Wirft man einen Blick auf die Filmographie des Regisseurs, so scheint einiges dafür zu sprechen,dass diese Einschätzung in erster Linie auf Häxan beruht. Denn auch wenn er später in seiner Hollywood-Zeit drei Filme gedreht hat, die man dem Horrorgenre zurechnen kann – The Haunted House (1928), Seven Footprints to Satan (1929) und House of Horror (1929) –, von denen zwei zudem eher komödienhaft gewesen sein sollen*, hinterlässt sein Gesamtwerk doch einen vielgestaltigeren Eindruck. Besonders interessant ist dabei die Tatsache, dass viele seiner letzten Filme wie Skilsmissens børn (1939) und Barnet (1940) offenbar deutlich sozialkritische Intentionen verfolgten. Mir scheint es wichtig, dies zu betonen, da Häxan in den meisten Fällen ausschließlich unter dem Horrorblickwinkel betrachtet zu werden scheint, was ich für etwas einseitig halte. Doch dazu später mehr.
Der am 28. September 1879 in Viborg zur Welt gekommene Benjamin Christensen gilt wohl nicht zu Unrecht als einer der großen Pioniere des frühen Films. Nach einem abgebrochenen Medizinstudium, widmete er sich ab 1901 zuerst dem Theater. Einer Schauspielausbildung am Kongelige Teater in Kopenhagen folgte ein Bühnenengagement in Aarhus. Doch offenbar erwiesen sich die "Bretter, die die Welt bedeuten" nicht als das, was sich der junge Christensen erträumt hatte, so dass er schon bald seine Brötchen lieber als Weinhändler verdiente. 1911 freilich gab er dann sein Leinwanddebüt, übernahm zwei Jahre später die Kontrolle über die Filmfirma, bei der er arbeitete, reorgansierte sie unter dem Namen Dansk-Biograf Kompagnie und machte sich 1914 daran, den ersten Film unter eigener Regie zu drehen – den Spionagestreifen Det hemmelighedsfulde X (The Mysterious X). Ein erstaunliches Werk, das in seiner visuellen Ästhetik seiner Zeit weit voraus war. Um Ralf Ramge von der edition-filmmuseum zu zitieren:
Der Film fiel vor allem durch seinen außergewöhnlichen Umgang mit Licht und Schatten auf, ein halbes Jahrzehnt bevor der Expressionismus in Deutschland seine Wurzeln in den Boden schlug. Christensen benutzte vorrangig nur eine Lichtquelle und baute die hierdurch resultierenden starken Schattenwürfe elegant in das Gesamtbild ein. Berühmt sind auch seine Versuche mit Gegenlicht, welches scharf umrissene Silhouetten erzeugte und Szenen in dunklen Räumen, welche durch einzelne Lichtstrahlen durchbrochen werden.Inhaltlich ist Det hemmelighedsfulde X ein ziemlich konventioneller Film, eine Mischung aus Spionagestory und Melodrama, gewürzt mit einer ordentlichen Prise Hurrapatriotismus und Kriegsbegeisterung. Doch in cinematographischer Hinsicht enthält er in der Tat einige äußerst beeindruckende Szenen.
Zwei Jahre später legte Christensen mit Hævnens nat (Blind Justice) nach, in dem er die Geschichte eines zu Unrecht des Mordes angeklagten Mannes erzählt. Ich habe den Film noch nicht gesehen, aber er soll seinem Vorgänger in nichts nachstehen. Auch zeigt sich in ihm wohl zum ersten Mal das Interesse des Regisseurs für soziale Probleme und Ungerechtigkeiten.
Zwischen 1918/19 und 1921 beschäftigte sich Christensen intensiv mit der Geschichte der Schwarzen Magie und der spätmittelalterlichen Hexenverfolgungen. Anstoß dafür soll eine Lektüre des berüchtigten Hexenhammers (Malleus Maleficarum) gewesen sein. Ergebnis dieser Recherchen war Häxan – ohne Zweifel sein berühmtester und wohl auch einflussreichster Film.
Auch wenn viele ihn neben Victor Sjöströms Körkarlen (The Phantom Carriage) von 1921 als einen der ersten Höhepunkte des skandinavischen Horrorfilms betrachten, präsentiert sich Häxan zuerst einmal als ein Dokumentarfilm – als der erste Teil einer geplanten, aber nie vollendeten Trilogie über Aberglauben.
Und so beginnt der Film mit mehr oder minder wissenschaftlichen Ausführungen über vormoderne Weltbilder und den aus Unwissenheit geborenen Glauben an Dämonen und andere unkörperliche Wesenheiten, zur Veranschaulichung unterlegt mit Fotographien und Illustrationen. Bald jedoch mischen sich mehr und mehr "Spielszenen" in den Ablauf ein, in denen wir zu sehen bekommen, was Hexen in der Vorstellung des Mittelalters so getrieben haben sollen. Dabei fällt auf, wie Christensen Makabres {eine Hexe und ihr Gehilfe hantieren mit der abgeschlagenen Hand eines hingerichteten Diebes herum} mit Burleskem {eine junge Frau besorgt sich einen Trank, um einen fetten Franziskaner liebestoll zu machen}vermischt. Bald schon allerdings begibt sich der Film in offen phantastische Gefilde, wenn die ersten leibhaftigen Teufel auftreten.
Adam Scovell schreibt in einem seiner Essays auf Celluloid Wicker Man:
Christensen begins his film relatively slowly, earnestly showing the tools, instruments, and beliefs of occultism to be purely historic. Gradually, Häxan begins to reproduce the ceremonies, punishments, and rituals of these times but opts to also show a potential, supernatural force as part of reality. Before the viewer has had time to assess what has actually happened, Christensen has put devils of all sorts into the mix, even going so far as to play one himself; he is the ultimate trickster of the film. This overt interpretation of the supernatural comes as real shock, chiefly because the film sets itself up as being so traditionally factual that the presence of flying witches and devils sacrificing babies becomes just another aspect; in other words it is normalised.Und so verwandelt sich eine gelehrt-aufklärerische Dokumentation mehr und mehr in eine Aneinanderreihung großartig-grotesker, expressionistisch-phantasmagorischer Szenen.
Doch der Film bleibt nicht dabei stehen. Alsbald streift er auch die letzten Überreste seines Doku-Charakters ab und beginnt eine mehr oder weniger zusamenhängende Geschichte aus den Tagen der Hexenverfolgung zu erzählen. Der für die Angehörigen überraschende und unerklärliche Tod eines Mannes führt dazu, dass eine alte Bettlerin der Hexerei bezichtigt wird. Die Dominikaner-Inquisitoren machen sich allsogleich ans Werk und zwingen der Angeklagten unter der Folter immer fantastischere Geständnisse ab. Zuerst berichtet sie über das wüste Treiben am Hexensabbat, was Anlass zu einigen der großartigsten Szenen des Filmes gibt, um anschließend eine ganze Reihe anderer Frauen als Hexen zu denunzieren.
Soweit ließe sich auch das als bloße "Illustration" interpretieren, doch daneben entwickelt sich zugleich eine Art persönliches Drama. Die Frau, die zu den Dominikanern eilt, um die Alte anzuklagen, trifft dort zuerst auf den jüngsten der Inquisitoren, der ins Gebet vertieft ist. Als sie den Arm des jungen Mönchs packt, um ihn aus seiner Versenkung zu rütteln, hat das ungeahnte Folgen. Die Berührung durch eine hübsche junge Frau weckt offenbar höchst "sündige" Gedanken in ihm. Als er sie einem seiner Mitbrüder beichtet, geißelt ihn dieser dieser erst einmal blutig, um die "Verführerin" daraufhin der Hexerei zu bezichtigen. Der junge Dominikaner, der schon zuvor in den Folterszenen mit der alten Bettlerin gezeigt hatte, dass er sich trotz seiner Rolle als angehender Hexenjäger offenbar ein menschliches Gewissen bewahrt hat, versucht das Unausweichliche zu verhindern, doch letzlich muss er mit ansehen, wie seine "Angebete" auf perfide Weise zu einem "Geständnis" gebracht und dem Henker übergeben wird.
Story und Charaktere bleiben zugegebenermaßen rudimentär, aber da keine der Besprechungen von Häxan, die ich gelesen habe, dieses kleine "Drama" erwähnt, schien es mir wichtig, auf seine Existenz hinzuweisen. Mit ihm entfernt sich der Film strukturell am weitesten von seinem vermeintlich dokumentarischen Charakter.
Mit einer erneut wunderbar grotesken Sequenz über besessene Nonnen nimmt er wieder stärker episodische Qualität an, um schließlich in einer Art Epilog über "Hexerei in der Gegenwart" auszuklingen.
Wie gesagt wird Häxan heute in erster Linie als ein phantastischer Film betrachtet. Adam Scovell sieht in ihm sogar die Geburtsstunde "of both occult horror and folk horror."
In meinen Augen ist das eine legitime, aber auch etwas einseitige Interpretation. Obwohl der Film aufgrund seiner für die Zeit wohl ziemlich skandalösen Darstellungen von Erotik und Gewalt in vielen Ländern mit dem Zensor zu ringen hatte, ist sein Einfluss vor allem auf den Deutschen Expressionismus wohl kaum zu leugnen. Und thematisch kann man ihn ohne Frage als einen Vorläufer späterer Horrorfilme, die sich folkloristischer oder okkultistischer Motive bedienen, betrachten.
Doch gerade sein abschließendes Kapitel zeigt meiner Ansicht nach sehr deutlich, dass Christensens Intentionen sich nicht auf die Darstellung des Bizarren und Phantastischen beschränkten. {Auch wenn ganz offensichtlich sehr viel Liebe in dieselbige geflossen ist.} Man würde vielleicht erwarten, zum Abschluss etwas über okkultistische Praktiken in der Gegenwart und das Fortleben des Aberglaubens erzählt zu bekommen, doch das geschieht bloß am Rande. Vielmehr stellt Christensen im letzten Kapitel die These auf, der Hexenglaube vergangener Zeiten sei das Produkt psychischer Erkrankungen gewesen. Dabei konzentriert er sich auf den Begriff der "Hysterie", was aus heutiger Sicht natürlich ziemlich problematisch erscheint, ist dieser doch kaum von der Misogynie jener Zeit zu trennen. Kein Wunder also, dass der Schlusspart des Filmes auf mich einen ziemlich widersprüchlichen und verstörenden Eindruck hinterlassen hat. Doch interessanterweise scheint dies wenigstens zum Teil beabsichtigt gewesen zu sein. Christensen begrüßt, dass wir die Armen und Kranken nicht länger auf den Scheiterhaufen schicken, aber zugleich zieht er beunruhigende Parallelen zwischen "modernem" und "mittelalterlichem" Verhalten. Der Psychiater, der eine junge Frau in die Irrenanstalt einweist, weist bei ihm gruselige Ähnlichkeiten mit den Inquisitoren der Vergangenheit auf. Christensen scheint hier die Frage zu stellen, ob wir nicht immer noch den barbarischen Praktiken unserer Vorfahren folgen, wenn wir all jene, die "anders" oder "nicht normal" erscheinen, aus unserer Gemeinschaft ausschließen.
So groß der Beitrag von Häxen zur filmischen Phantastik im Hinblick auf visuelle Ästhetik, Cinematographie, Tricktechnik und Motivik auch sein mag, ich fände es schade, darüber den humanen und sozialkritischen Impetus zu vergessen, der dem Film ganz offenbar innewohnt.
* Von den drei Streifen hat sich nur eine ziemlich ramponierte Version von Seven Footprints to Satan erhalten.