Hier nun ein weiterer Teil meiner mäandernden Schreibereien über George Sterling und die kalifornische Bohème der Jahrhundertwende. {Ich verspreche, der Text wird in nicht all zu ferner Zukunft wieder zu Clark Ashton Smith zurückfinden ...}
Teil 1 * Teil 2 * Teil 3 * Teil 4 * Teil 5 * Teil 6
Damit wären wir wieder
bei Sterlings metaphysischem Schönheitsbegriff angelangt. Für sich
allein genommen besagt dieser poetische Platonismus eigentlich recht wenig,
besitzt er doch einen festen Platz in der abendländischen
Dichtungstradition. Er gleicht eher einem ererbten antiken Gefäß,
in das jede Generation einen neuen, ihrer Zeit entsprechenden Inhalt
füllt. Ziehen wir eine Linie von den großen Romantikern zu Sterling
und führen sie dann später weiter fort zu Clark Ashton Smith, so
wird sich dabei das aufschlussreiche Bild einer stufenweisen
Entwicklung ergeben. Zum Ausgangspunkt müssten wir dabei eigentlich
Shelley oder Keats nehmen, aber da wir uns in einem späteren Kapitel
noch ausführlicher mit letzterem beschäftigen werden,
wollen wir an dieser Stelle ihren deutschen Widerpart zum Vergleich
heranziehen: Friedrich Hölderlin. (1)
Von allen
deutschsprachigen Dichtern stand er den Englischen Romantikern am nächsten. Niemand
wird bezweifeln, dass sein Werk stark vom philosophischen Idealismus
und einer ganz eigentümlichen Religiosität geprägt ist. Die
komplexen Versformen und die nicht immer leicht zugängliche Sprache
verstärken noch den Eindruck, es mit einem Mystiker tun zu haben.
Andernfalls hätte Erzreaktionär Martin Heidegger nie den perversen
Versuch unternehmen können, Hölderlins Werk für seine
obskurantistische Philosophie zu vereinnahmen. Doch was sich in
Wahrheit hinter seiner Idee des Schönen verbarg, waren die
Ideale der Französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit,
Brüderlichkeit; ein "altrömisches" Republikanertum à la
Brutus; der Traum von einer glorreichen Wiedergeburt der antiken
Kultur und ihrer Tugenden. Wenn er sie in ätherische Sphären
entrückte, so um ihre Reinheit zu bewahren inmitten der
spießbürgerlichen Atmosphäre des damaligen Deutschlands, dieses
„Dunghaufens“, wie Engels sich ausdrückte. (2)
Den Glauben an ihre
unmittelbare Umsetzbarkeit hatte ihm der Lauf der Ereignisse schon
bald ausgetrieben: In Frankreich wurde die heroische Phase der
Revolution mit dem Sturz Robespierres durch das prosaische Regime des
Direktoriums – die Herrschaft der bourgeoisen Revolutionsgewinnler
– abgelöst; die deutschen Jakobiner hatten sich als mutige, aber
hoffnungslos isolierte Vorkämpfer der Freiheit erwiesen.
Vorbei
waren die Tage, da Hölderlin in
jugendlichem Überschwang im Tübinger Seminar zusammen mit seinen
Kommilitonen Hegel und Schelling den Freiheitsbaum aufgepflanzt
hatte. Geblieben war der revolutionäre Tatendrang, der unter den
gegebenen Umständen aber nur in Frustration und Verzweifelung münden
konnte. In den Worten von Hölderlins Hyperion: „O gäb’ es
eine Fahne, Götter! [...] ein Thermopylä, wo ich mit Ehren sie
verbluten könnte, all die einsame Liebe, die mir nimmer brauchbar
ist!“ (3)
Wie viele deutsche
Intellektuelle seiner Zeit, schreckte auch er vor der Brutalität des
terreur zurück. Doch war dies nicht der Hauptgrund für seine
Verbitterung: Spätestens seit dem Fall der Mainzer Republik schaute
man sich in Deutschland vergebens nach irgendwelchen Thermopylen um,
bei deren Verteidigung man einen ehrenvollen Tod hätte sterben
können. Das Land war einfach noch nicht reif für eine bürgerliche
Revolution. Aber Hölderlin war nicht bereit, seinen Idealen
abzuschwören. Sich in eine abgeklärte Resignation zurückzuziehen,
widersprach völlig seinem leidenschaftlichen Wesen. „Lieber das
Grab, als diesen Zustand!“ (4) Es fehlte ihm die
Abstraktionskraft, aber auch die Unempfindlichkeit seines verehrten
Vorbilds Schiller, der die gescheiterten Freiheitsträume in sein
Programm einer Ästhetischen Erziehung des Menschen umzuschmelzen
verstand. Die Folge war zwangsläufig eine immer größere Isolation
des Dichters. Er fühlte sich als Fremdling in seinem Zeitalter und
seinem Vaterland. Resigniert stellte er fest „[S]ie können mich
nicht brauchen.“ (5)
Wenn
die Seele dir auch über die eigne Zeit
Sich,
die sehnende, schwingt, trauernd verweilest du
Dann
am kalten Gestade
Bei
den Deinen und kennst sie nie (6)
Aus dieser Situation
erwuchs Hölderlins Mystizismus. Da die Gegenwart keinen Ansatz zur
Verwirklichung seiner Ideale bot, versetzte er sie in ein zeitloses
Jenseits und verlieh ihnen zugleich einen tragisch-heroischen Zug.
Wenn sie dabei drohten, sich ins Abstrakte und Allgemeine zu
verflüchtigen, so eröffnete sich für Hölderlin damit doch
zugleich die Möglichkeit, die historisch determinierten
Begrenztheiten seiner Zeit zu überwinden. Seine Vision von Hellas
und dessen kommender Wiedergeburt, die er in dem berühmten Gedicht
Der Archipelagus auf so großartige Weise beschrieben hat,
kann nicht einfach gleichgesetzt werden mit der parlamentarischen
Republik, die objektiv betrachtet doch das Maximalziel der
revolutionären Kämpfe des ausgehenden 18. Jahrhunderts darstellte.
Gerade die mangelnde Konkretheit befreit das utopische Element des
Jakobinertums und Rosseauismus aus seiner kleinbürgerlichen Schale,
lässt uns das Bild einer wirklich befreiten Menschheit
erahnen, die zum Einklang mit sich selbst und der Natur
zurückgefunden hat. Es ist dies derselbe Geist, der uns z.B. auch
aus Beethovens großen Symphonien entgegenklingt.
Was nicht bedeutet,
dass Hölderlin sich auch nur ansatzweise im Klaren darüber gewesen
wäre, wie dieses Ideal verwirklicht werden könnte. Er war kein
dichtender Gracchus Babeuf. (7) Aber bei aller mystischen
Verschwommenheit weisen seine Gedichte doch intuitiv über die
Grenzen der bürgerlichen Ordnung hinaus. Und im Unterschied zu echt
teutschen Romantikern wie Novalis blickte er dabei nicht zurück auf
das vermeintlich so harmonische Mittelalter. Auch wusste er, dass
nicht irgendwelche gottbegnadeten Führer oder Dichterseher die
Menschheit in das bessere Morgen geleiten können. Das Schicksal der
Menschen liegt ganz allein in ihren eigenen Händen: „Euch ist
nicht/ Zu helfen, wenn ihr selber euch nicht helft.“ (8)
Es ist hier nicht der
Ort, um all dies im Detail zu diskutieren. Entscheidend für unsere
Fragestellung ist allein, dass Hölderlins Ideale trotz aller
Entäuschungen ihre wirkliche Bedeutung bis zum tragischen Ende des
Dichters aus der Perspektive ihrer künftigen Verwirklichung
beziehen. Sie stehen nicht in einem unversöhnlichen Gegensatz zur
irdischen Realität, diese trägt sie vielmehr als „edles
Samenkorn“ in sich. Dabei spielt der rousseausche Naturbegriff
eine große Rolle. Der herrschende Zustand, der den Dichter zwang,
seine Ideale ins Transzendente zu versetzen, um sie so unangreifbar
zu machen, galt ihm als unnatürlich. Die kommende Selbstbefreiung
des Menschen ist eine Rückkehr in den harmonischen Urzustand ,„bei
unendlich vervielfältigten und verstärkten Bedürfnissen und
Kräften, durch die Organisation, die wir uns selbst zu geben
imstande sind.“ (9) Dann wird das Gute, Wahre,
Schöne aus dem platonischen Ideenhimmel herabsteigen und wieder das
werden, was es eigentlich immer hätte sein sollen: Ein natürlicher,
konkreter Bestandteil des menschlichen Lebens. Den Dichter sah er dementsprechend als
Wegbereiter der Zukunft. Nicht Schillers „Was unsterblich im
Gesang soll leben,/ Muss im Leben untergehn“ (10) – eher schon: ‘Was
unsterblich im Gesang soll leben,/ Muss im Leben auferstehn’!
Bei Sterling finden wir
nur noch ein letztes, leises Nachwehen dieses Geistes, der in
ähnlicher Weise auch die größten Werke der englischen Romantiker
erfüllt hatte. Freilich war auch für ihn die Idee des Schönen
nicht bloß ein ästhetisches Ideal. Vielmehr vereinte sich ihm in
ihr alles Gute und Erstrebenswerte. Sie besitzt eine ethische
Dimension. In dieser Hinsicht besonders aufschlussreich ist sein
Gedicht Poe’s Gravestone:
Of those that
would have bound thy wings of light!
Toiling for
Beauty in the quiet night,
Little to thee
were primacy or name;
But now thy
star is found a holy flame
In heavens
unpermitted to their flight –
Unseen by those
who have not in their sight
The slowly guttering candles of their fame.
Puritanism's
grey and icy ooze
Was rheum in
those inexorable eyes,
That would not
see wherein thy greatness stood.
The meager
honor that they dared refuse
Was earth's, O
thou that followed to the skies
Beauty, whose
final goal is human good. (11)
Indem er Edgar Allan Poe
nachträglich gegen dessen zeitgenössiche Verächter verteidigt, für
die die Dichtung stets im Dienste der Moral zu stehen hatte, weist
Sterling die entsprechenden Ansprüche seiner eigenen Kritiker
zurück, die vor allem anlässlich von A Wine of Wizardry
entrüstet über ihn – den "amoralischen Ästheten" –
hergefallen waren. In der Tat ähnelten seine ästhetischen
Vorstellungen in vielen Punkten denen Poes. Für diesen war wahre
Schönheit ebenfalls eine transzendente Herrlichkeit gewesen, die die
Kunst nur ungenügend wiederzugeben vermag. In seinem berühmten
Essay The Poetic Principal hatte er geschrieben: „Inspired
by an ecstatic prescience of the glories beyond the grave, we
struggle, by multiform combinations among the things and thoughts of
Time, to attain a portion of that Loveliness whose very elements,
perhaps, appertain to eternity alone.“
Um so erstaunlicher
mutet die Schlusszeile von Sterlings Sonett an. Wohl nicht zufällig
lässt er ausgerechnet ein Gedicht auf Poe mit diesem Vers
ausklingen, war Poe doch der Verkünder des l’art pour l’art
in der amerikanischen Literatur: „[T]here neither exists nor can
exist any work more thoroughly dignified – more supremely noble
than [... the] poem written solely for the poem’s sake.“ (12)
Und doch erklärt Sterling
das "Wohl des Menschen" zum letztendlichen Ziel eben jener
Schönheit, nach deren Verwirklichung der Dichter von The Raven,
Ulalume und Annabel Lee gestrebt hatte. Einmal mehr
beweist er damit, dass er keineswegs der unerschütterliche Anhänger
der "reinen Poesie" war, den Joshi und andere in ihm sehen
wollen. Jedenfalls nicht, wenn man diese "Reinheit" so versteht,
als habe die Kunst bloß dem ästhetischen Ergötzen zu dienen. Hier
greift Sterling tatsächlich den besten Teil des romantischen
Erbes auf, hatte doch auch Keats die künstlerische Schönheit als
„a friend to man“ (13) bezeichnet.
Man fragt sich natürlich,
wie Sterling sich die Beziehung zwischen "Schönheit" und "menschlichem Wohl" vorgestellt hat. Das Gedicht gibt darüber
keine Auskunft, und auch anderenorts findet sich nichts, was uns
hierauf eine Antwort geben könnte. So bleibt uns nichts anderes
übrig, als zu spekulieren. Ganz sicher wollte Sterling nicht der
didaktischen Dichtung das Wort reden. Es ging ihm nicht darum, den
Leser zu belehren oder sittlich zu erbauen. Das Humane aller großen
Kunst muss anderswo liegen.
Ich kann hier nur meine eigenen Gedanken
wiedergeben: Die Kunst erfüllt ihren Dienst an den Menschen, indem
sie diese emotional bereichert, ihnen neue Perspektiven auf ihr
eigenes Ich, das menschliche Leben und die sie umgebende Welt
eröffnet. Auf diese Weise trägt auch ein Edgar Allan Poe –
entgegen seinen eigenen Überzeugungen – zum „human good“
bei. Im Grunde geht es darum, die Menschen spüren zu lassen, welch
ungeheures Potenzial in ihnen schlummert.
Wenn Sterling die
Schönheit mit dem menschlichen Wohl verknüpfte, so dürfen wir
annehmen, dass die Perspektive dabei ganz wie im Falle Hölderlins
auf deren künftige Verwirklichung in der Welt ausgerichtet war. Und
tatsächlich kann die Idee des Schönen in einigen wenigen Fällen
auch bei ihm einen utopischen Charakter annehmen. Dann wird sie zur
Vorahnung des großen Tages der Befreiung, der die Menschheit am Ende
ihrer historischen Via Dolorosa erwartet, wie es der Dichter in
Ascension beschrieben hat:
When I
contemplate this mine urgent race
And see what
paths its tireless feet have worn,
In silence and
essential night forlorn,
To each cold
peak that gives on mental space, –
Each
spirit-eyrie of our time and place,
It seems a
Titan toiling toward the morn.
With bloody
feet and coronal of thorn.
And holding to the skies an exiled face.
Hasten, O Time,
that far, atoning Day
Whose feet of
fire shall quench the lesser lights.
Yet to whose
music, old ere life began
And throats and
harps were fashioned of the clay,
The seraphim of
unconjectured nights
Shall hear
stars chanting in the soul of man. (14)
Doch schon der Umstand,
dass Sterling sein ersehntes Utopia sehr häufig in die Gestalt der "Insel der Seligen" kleidete – eines mythischen Ortes also, und
keines künftigen Zeitalters –, lässt vermuten, dass er an dessen
Verwirklichung nicht wirklich glaubte. Gedichte wie Ascension
bilden deshalb Ausnahmen in seinem Werk. Auch besteht ein
unverkennbarer Widerspruch zwischen dieser utopischen Vision und
Sterlings Platonismus. Wenn die Idee des Schönen sich in so
unerreichbar jenseitigen Sphären befindet, dass selbst der
inspirierte Künstler bekennen muss, dass er von ihrer „sudden
vision and its bliss“ nur „broken news and songs
amiss“ (15) wiederzugeben imstande
sei, wie soll man sich dann vorstellen können, dass sie sich eines
Tages auf dieser Welt und im Leben der Menschen verwirklichen werde?
Hölderlin betrachtete
seine Ideale, so fern und mystisch verschleiert sie mitunter auch
wirken mochten, als Ausfluss der "göttlichen" Natur. Wenn in
seiner leider Fragment gebliebenen Tragödie Der Tod des
Empedokles die Bürger Akrigents den zum Freitod entschlossenen
Philosophen fragen, wie sie ohne ihren Lehrer die Wahrheiten erkennen
sollen, derer sie als Richtschnur bei der Gründung eines neuen
Goldenen Zeitalters bedürfen, verweist dieser sie deshalb auf die
Schönheiten der Natur:
Es
sprechen, wenn ich ferne bin, statt meiner
Des
Himmels Blumen, blühendes Gestirn,
Und
die der Erde tausendfach entkeimen.
Die
göttlichgegenwärtige Natur
Bedarf
der Rede nicht, und nimmer läßt
Sie
einsam euch, wenn Einmal sie genaht,
Denn
unauslöschlich ist der Augenblick
Von
ihr, und siegend wirkt durch alle Zeiten
Beseligend
hinab sein himmlisch Feuer. (16)
Bei Sterling hingegen hatte sich
die Idee des Schönen beinahe vollständig von der
Wirklichkeit gelöst. Warum war dies so? Wenn Hölderlins Mystizismus
tatsächlich aus der tragischen Lage eines revolutionären Dichters
in einer Gesellschaft, die für eine Revolution noch nicht reif war,
entsprang, welchen Grund hätte es für Sterling geben sollen, nicht
nur denselben Weg einzuschlagen, sondern ihm auch noch bis zu einem
sehr viel extremeren Ende zu folgen? Die sozialistische Bewegung, der
er nahestand, mochte zwar numerisch schwach sein, doch war sie in
sehr viel höherem Maße Ausdruck realer gesellschaftlicher
Entwicklungen, als der deutsche Jakobinismus es in Hölderlins Zeiten
gewesen war. Warum also das Ideal, das er doch offensichtlich mit
einer besseren gesellschaftlichen Ordnung identifizierte, in ein
schier unerreichbares Jenseits versetzen? Hätte er dessen Spuren
nicht sehr viel deutlicher als Hölderlin bereits im Hier und Jetzt
erkennen müssen? Warum die Rückkehr zum metaphysischen
Schönheitsbegriff Edgar Allan Poes, der als überzeugter Tory und
Verächter des "Pöbels" tatsächlich keinerlei Veranlassung
gehabt hatte, dem Glauben seiner demokratischen Zeitgenossen Emerson und
Thoreau an das Gute im Menschen und in der Natur beizupflichten?
Der springende Punkt ist,
dass Sterling sich zwar auf moralischer und intellektueller Ebene mit
dem Sozialismus identifizierte, ihm jedoch im tiefsten Inneren
emotional fern stand. Eben dies aber ist für den Künstler von alles
entscheidender Bedeutung. Bei Hölderlin existierte eine innige
Verwandtschaft zwischen seinen intimsten Empfindungen und dem
gesellschaftlichen Drama seiner Zeit. Seine persönliche
Tragödie schien eins zu sein mit der historischen Tragödie
der bürgerlichen Revolution. War es nicht dieselbe fette
Bourgeoisie, die ihm seine über alles geliebte "Diotima" Susette
Gontard genommen, und die in Frankreich die Revolution ihres
Heroismus beraubt hatte? War es
nicht derselbe kleinbürgerliche deutsche Morast, der die von Männern
wie Andreas Joseph Hofmann, Georg Forster, Felix Anton Blau oder
Eulogius Schneider verkündete Freiheit erstickt hatte, und der ihn
dazu verurteilte, unter dem pompösen Titel "Hofmeister" in "aufgeklärten" Kaufmannsfamilien um eine Hauslehrerstelle zu
betteln? (17) So wurde Hölderlin ein
wirklich revolutionärer Dichter, auch wenn er kein einziges Mal das
Wort Revolution in den Mund nahm. Sterling hingegen war nie ein echt
sozialistischer Dichter, trotz seiner gelegentlichen Reimereien über
Mammons Despotie.
Der Sozialismus basiert
auf der modernen Industriegesellschaft. Er ist beileibe nicht identisch mit
einer Technokratie, aber ohne die Maschine ist eine klassenlose
Gesellschaft nun einmal nicht denkbar. Sterling jedoch setzte die
Industrialisierung mit dem nackten Nützlichkeits- und Gewinnstreben
gleich, das er am Amerika des beginnenden 20. Jahrhunderts zu recht
verabscheute. Mit anderen Worten, er verwechselte den technischen
Fortschritt mit der gesellschaftlichen Ordnung, unter der sich dieser
vollzog. Ein Fehler, der auch heute noch vielen unterläuft. Der
Nährboden, dem tatsächlich eine bessere Welt entwachsen könnte,
schien ihm verpestetes Ödland zu sein. Von ihm wandte er sich
erschaudernd ab. Sein Utopia fand er stattdessen in den grünen
Wäldern von Carmel. Doch diese konnten nie mehr sein als ein
Refugium für eine Handvoll zivilisationsmüder Intellektueller: In
der Tat eine Art "Insel der Seligen", während die übrige
Menschheit auch weiterhin in den kapitalistischen Tartarus verbannt
blieb. Von dort führte kein Weg zu einer gesellschaftlichen
Umwälzung, ist es doch nicht möglich, die ganze Welt in eine Bohème
zu verwandeln.
Trotz seines ehrlichen
Bekenntnisses zum Sozialismus stand Sterling also der realen
historischen Entwicklung innerlich ferner als der deutsche Dichter.
Besonders deutlich wird dies, wenn man sich sein Ideal der Antike
betrachtet. Wenn Hölderlin seine Hymnen auf das alte Hellas
anstimmte, so feierte er die Polis als strahlendes Vorbild für eine
Gemeinschaft freier und stolzer Menschen. Athen war ihm die Mutter
der Demokratie, „wo der brüderlichen Freude Ruf/ aus der
lärmenden Agora schallte“ (18) In den Helden von
Marathon und Salamis verherrlichte er den Triumph des Volkes über
die (persische) Königsmacht. Wenn er eine Wiedergeburt der Antike
herbeisehnte, so hatte er dabei eine auf Gleichheit und
Brüderlichkeit basierende politische Ordnung vor Augen. Wie
es sein Empedokles den Akrigentern verkündet:
[D]ann
reicht die Hände
Euch
wieder, gebt das Wort und teilt das Gut,
O
dann, ihr Lieben! Teilet Tat und Ruhm
Wie
treue Dioskuren: jeder sei
Wie
alle, wie auf schlanken Säulen ruh’
Auf
richt’gen Ordnungen das neue Leben,
Und
euern Bund befest’ge das Gesetz. (19)
Wie anders Sterling! Bei
ihm verkörperte die Antike nicht ein gesellschaftliches, sondern ein
individuelles Ideal. Wenn er sich hellenischen Träumen hingab, so
schwebte ihm dabei nicht die Polis Athen, sondern das
Schäferparadies Arkadien vor, nicht eine gerechtere Ordnung der
Gesellschaft, sondern die völlige Abkehr von ihr. Auf zugegeben
recht charmante Weise findet sich das in The Faun ausgedrückt.
Das Gedicht ist aus der Sicht eines Satyrs verfasst, der es sich in
der prallen Mittagssonne auf einer Waldlichtung bequem gemacht hat.
Now in the
noontide peace I lie
Where waving
grass is green,
With bosom open
to the sky
And not a cloud
between;
Der Bocksbeinige
beobachtet das emsige Treiben der Ameisen und bittet Zeus inständig,
ihm niemals den Fleiß dieses Insektenvolkes zu verleihen. Und auch
die Menschen erscheinen ihm nicht eben beneidenswert.
From yonder hill
I spy on man
And marvel at
his need,
Who fashions,
in a season's span,
A thousand
fanes to Greed;
Perchance from
each, his worship done,
He ventures
forth repaid,
But grant thou
me the spendthrift sun
And berries of the glade.
Als dann auch noch Caesar
Triumphwagen an der Lichtung des Fauns vorbeirumpelt, kann er nur
mitleidig den Kopf schütteln. All dieses Streben nach Macht und
Reichtum, was bringt es schlussendlich ein außer Mühe und Sorgen?
Ist es da nicht viel besser, wie er jedweden Ehrgeiz über Bord zu
werfen und das Leben einfach bloß in vollen Zügen zu genießen,
ohne an das Morgen zu denken?
A golden house
let Caesar build,
To hold his
ghosts and gods –
For me the
summer eves are stilled,
For me the
flower nods.
Natürlich wendet sich
Sterling hier in erster Linie gegen die bürgerliche Ethik von
Gewinnstreben und "Erfolg", denen alles übrige geopfert werden
müsse. Und wer wollte ihm da widersprechen? Auch Marx’
Schwiegersohn Paul Lafargue proklamierte ja das "Recht auf
Faulheit". (20)
Aber ist dieser Faun, der eine nie enden wollende Siesta
genießt, ab und und an mit einer Nymphe herumschmust und völlig
unbeteiligt die Mühen der Menschen und das triumphale Gehabe der
Mächtigen betrachtet, nicht auch ein letztlich wenig
schmeichelhaftes Porträt der "Carmel Crowd", die sich an
Montereys Küste mit Wein und Abalonen vergnügte, während sich um
sie herum eine gesellschaftliche Entwicklung vollzog, die schon bald
in das blutige Grauen des Weltkriegs und in die heftigen
Klassenkämpfe der Nachkriegsjahre münden sollte? Und es ist ja
nicht so, als ob sie nicht gewarnt worden wären. Hatte Jack London
nicht 1908 sein prophetisches Buch The Iron Heel vorgelegt?
Sie brauchten bloß aufzuschlagen und zu lesen.
Doch wir wollen fair
bleiben. Was auch immer man an ihm kritisieren mag, Sterling legte
nie den krassen Egoismus an den Tag, der so viele heutige Anhänger
der "Selbstverwirklichung" auszeichnet, wenn sie sich in ihre
Privatparadiese zurückziehen. Es mangelte ihm nicht an Anteilnahme
für seine Mitmenschen. Eben daraus entsprang ja der tragische
Widerspruch seines Lebens. Er wollte zum Wohle der Menschheit
beitragen, doch zugleich zog es ihn zu dem verantwortungslosen Dasein
des Carmel-Fauns. Damit bugsierte er sich selbst in die Position
eines ewigen Außenseiters. Und er spürte das. So lässt er seinen
Satyr erklären:
I and my kin
shall pass ere long,
And ants shall
ever be; (21)
Jetzt verstehen wir
vielleicht besser, warum sich das Ideal bei Sterling in unirdische
Höhen verflüchtigt. Grund hierfür war die eigentümliche Position
des Dichters zwischen Bohème und Sozialismus. Erstere rückte die
Idee des Schönen in himmlische Sphären, letzterer zerrte sie wieder
zurück und bemühte sich, eine Verbindung zwischen ihr und der
irdischen Realität herzustellen.
Dieses Dilemma – und weniger die
wissenschaftlichen Fortschritte der letzten hundert Jahre – machten
es Sterling unmöglich, im Stile Hölderlins die wahre Schönheit mit
der Natur in eins zu setzen. Mit Rousseau war’s endgültig aus.
Dies führte aber nicht zu einem kühlen, objektiven Blick auf die
Natur. Diese blieb vielmehr auch weiterhin verbunden mit der Idee des
Schönen, doch war sie jetzt nur noch deren blasser Widerschein. Ihr
Anblick stärkte Sterling nicht im Glauben an eine künftige
Verwirklichung des Ideals in der menschlichen Gesellschaft, wie dies
bei Hölderlin der Fall gewesen war, sondern weckte nur noch eine
melancholische, hoffnungslose Sehnsucht. Am eindrucksvollsten
geschieht dies in An Altar of the West, einem langen Gedicht,
das Point Lobos, einer Landzunge am Südende der Bucht von Carmel,
gewidmet ist:
Beauty, what
dost thou here?
Why hauntest
thou this empery of pain
Where men in
vain
Long for
another sphere?
[...]
All that man's
yearning finds beyond its reach
Thou hast in
promise, giving to his heart
A rapturous
sadness all too wild for speech, —
A glory past
the thresholds of his art,
Tho Nature tell
it with the wind
And beckon him
to find.[...]
Beauty, what
dost thou here?
Why hauntest
thou the House where Death is lord
And o'er thy
crown appear
The inexorable
shadow and the sword?
Art not a mad
mirage above a grave?
The foam
foredriven of a perished wave?
A clarion afar?
A lily on the
waters of despond?
A ray that
leaping from our whitest star
Shows but the
night beyond?
And yet thou
seemest more than all the rest
That eye and
ear attest —
A watch-tower
on the mountains whence we see
On future skies
The rose of
dawn to be;
The altar of an
undiscovered shore;
A dim assurance
and a proud surmise;
A gleam
Upon the
bubble, Time;
The vision,
fleet, sublime.
Of sorrowed
man, the brute that dared to dream.
Ah! those, and
more!
Made veritable
tho the heart descry
No path to thy
demesne
And Music
builds, unseen.
Her Heaven we
shall not enter tho we die.
Still must thou
speak,
August and
consecrate,
Of that Reality
we can but seek,
Tho seeking
fail —
That Sun
eternal and inviolate.
Whereof thou
art the portent and the veil. (22)
Hier finden sich alle
wichtigen Elemente in wenigen Versen vereinigt: der immer noch
romantisch verklärte Blick auf die Natur, der gebrochene Utopismus
und der metaphysische Schönheitsbegriff.
Welche Folgen hatte all
dies für Sterlings Dichtung? Ein Weg führte – wie wir bereits
gesehen haben – von hier aus zur rauschhaften Sprachmusik der
Décadence. Doch der Dichter wollte sich nicht für immer verlieren
in den flirrenden Labyrinthen des Wine of Wizardry. Je älter
er wurde, desto mehr zog es ihn zurück in menschlichere Gefilde.
Doch konnte ein solches Unterfangen überhaupt erfolgreich sein?
Sterling glaubte nicht, dass sich wahre Schönheit aus den
Gegebenheiten dieser Welt entwickeln könnte. Gleichzeitig sollte die
Idee des Schönen der Leitstern seines Lebens und seiner Kunst sein.
Es fragt sich dann, welche Substanz eine solche, von allem Irdischen
abgelöste Idee haben soll.
Der große russische Aufklärer Nikolai
Tschernischewski definierte in seiner auf Ludwig Feuerbachs
materialistischer Philosophie basierenden Ästhetik: „Das Schöne
ist das Leben; schön ist das Wesen, in dem wir das Leben so sehen,
wie es unseren Begriffen nach sein muß; schön ist der Gegenstand,
der in sich das Leben ausdrückt oder uns an das Leben erinnert.“ (23) Ob diese Definition
ausreichend ist, sei dahingestellt, auf jedenfall drückte sich in
ihr Tschernischewskis Optimismus aus, seine Bejahung des Lebens und
damit verbunden sein Glaube an die Fähigkeit des Menschen zur
Selbstvervollkommnung.
Trotz seiner elegischen Grundstimmung gilt
dies auch für Hölderlins Platonismus. Nicht so für denjenigen
Sterlings. Dieser enthält eine implizite Verneinung des Lebens. Das
Schöne ist ihm kein von allem Demoralisierenden und Herabziehenden
gereinigter Aspekt der Realität, kein Ausdruck des ungeheuren
Potenzials, das dem menschlichen Wesen innewohnt, sondern wird
definiert in einem letztlich unüberbrückbaren Gegensatz zur
Wirklichkeit.
Aber wahre Kunst ist stets eine Form der „Erkenntnis
des Lebens“, wie es der sowjetische Literaturkritiker Alexander
Woronski – einer der vielen brillanten Marxisten, die Stalins
politischem Völkermord zum Opfer fielen – ausgedrückt hat. (24) Wie soll eine Poesie, die
einem so abstrakten und unirdischen Schönheitsbegriff wie dem
Sterlings verpflichtet ist, diese Aufgabe bewältigen können?
Jack
London rief einmal den Kritikern Rudyard Kiplings entgegen, die den
englischen Schriftsteller für "vulgär" hielten:
Well, and isn’t life vulgar? Can you divorce the facts of life?
Much of good is there, and much of ill; but who may draw aside his
garment and say, ‘I am none of them’? Can you say that the part
is greater than the whole? that the whole is more or less than the
sum of the parts? As for the puddle of life, the stench is offensive
to you? Well, and what then? Do you not live in it? Why do you not
make it clean? Do you clamor for a filter to make clean only your own
particular portion? (25)
Hätte er dieselben
Fragen nicht auch seinem Freund, dem "Griechen", stellen können?
Was nicht bedeuten soll, dass Sterling blind für die Schönheiten
dieser Welt gewesen wäre. Das genaue Gegenteil war der Fall. Clark
Ashton Smith beschrieb seinen Freund und Mentor als einen Charakter
„responsive to beauty in every living nerve, whether the beauty
was that of an ocean sunset, a line of poetry, a mountain, or a
woman's face.“ (26) Doch der Freude an diesen
Schönheiten war stets ein Element der Entäuschung beigemischt.
Früher oder später mussten sie sich als ungenügend erweisen.
Letztenendes verstärkten sie sogar noch das Gefühl des
Weltschmerzes, denn sie verdeutlichten die Diskrepanz zwischen Ideal
und Realität, waren „a ray that leaping from our whitest
star/ shows but the night beyond“. Sterlings Freundin Sara Bard
Field erwiderte auf die Frage, ob der König der Bohème es wirklich
verstanden habe, den Augenblick zu genießen: „I think he did,
without it fully satisfying him, because if he had enjoyed the moment
fully so that it had been absorbed into a kind of rich tapestry of
life, I don’t believe he would have committed suicide, as he did.
Underneath all his popularity and his bohemian living there was a
sadness in him, a certain dissatisfaction, a certain sense that
something was wanting.“ (27)
Das macht es
verständlicher, warum die Schönheit in Sterlings Gedichten fast
immer mit Schmerz und Trauer verbunden ist. Der Poesie ruft er zu:
„What joyance on thy lips divine/ And at thy heart what tears!" (28), die Musik erklingt bei
ihm in „ecstasies of grief and joy“ (29), und die Augen der
göttlichen Schönheit, die ihm im Traum erscheint, sind „great
with griefs unsearchable, and gleamed,/ Sorrow beyond them, like the
larger dew/ Of Aidenn, having each Love's perfect star/ Mirrored
therein. And with her came the hush/ That follows music dying, or is
peace/ About all dead things beautiful.“ (30) Im Ausdruck dieser
Melancholie scheint mir Sterlings Lyrik am authentischsten und
stärksten zu sein:
The fairest
things seem ever loneliest:
The whitest
lily ever blooms alone,
And purest
winds from widest seas are flown.
High on her utmost tower of the West
Sits Beauty,
baffling an eternal quest;
From out her
gates and oriels unknown
The murmurs of
her citadels are blown
To blue horizons of the world's unrest.
We know that we
shall seek her till we die,
And find her
not at all, the fair and far:
Her pure domain is wider than the sky,
And never night
revealed her whitest star;
Beyond the sea
and sun her feet have trod;
Her vision is
our memory of God. (31)
Übergehen wir für den
Moment die religiösen Implikationen der letzten Zeile und
konzentrieren wir uns auf den Inhalt der ersten: „The fairest
things seem ever loneliest“. Den tiefsten Grund von Sterlings
Wesen bildete ein Gefühl großer Einsamkeit, und ein Gutteil seines
Lebens verbrachte er mit verzweifelten Versuchen, diese Isolation zu
überwinden. So scheint er stets jemanden gebraucht zu haben, dem er
sich anschließen konnte – erst Ambrose Bierce, dann für kurze
Zeit Herman Whitaker und schließlich Jack London. „He was one
of the kind of people who, when they become friends, are
all-absorbing“, erinnert sich Elsie Martinez. (32)
Doch so sehr er sich auch
an seine Freunde klammerte, sie konnten ihn nicht von seiner
Melancholie erlösen. Die glücklichste Zeit seines Lebens waren
sicher die Piedmont-Tage. Danach verstärkten eine Reihe von
Ereignissen das Gefühl der Verlassenheit immer mehr. Nach der
Übersiedelung nach Carmel lockerte sich der zuvor so enge Kontakt zu
London. Der Freund besuchte nur ein einziges Mal die Künstlerkolonie.
In einem Brief vom 14. Oktober 1913 redete Sterling seinen "Wolf"
halb vorwurfsvoll, halb ironisch mit „Beloved
Man-with-no-time-to-visit-Carmel-but-with-two months-to-go-cruising
in! (I don't blame you)“ an. Schon im März hatte er bekannt:
„I know I don't deserve you, Wolf. But in a way I am glad that
I'm one of the illusions you still elect to fall for.“ (33) Im selben Jahr brach
Ambrose Bierce aus nicht ganz geklärten Gründen plötzlich mit
seinem einstigen Protégé, bevor er auf Nimmerwiedersehen in den
Wirren der Mexikanischen Revolution verschwand. Und als wäre dies
noch noch nicht genug, war 1913 auch das Jahr, in dem Sterlings Frau
Carrie sich von ihm scheiden ließ, nachdem die Beziehung bereits
seit Jahren durch die zahllosen Affären des Dichters schwer belastet
worden war.
Aber solche
biographischen Fakten tragen nur wenig zum Verständnis eines
Gefühles bei, das von Anfang an ein fester Bestandteil von Sterlings
Wesen war, und das seinen wohl anrührendsten Ausdruck in dem Gedicht
In Autum gefunden hat:
Mine eyes fill,
and I know not why at all.
Lies there a
country not of time and space
Some fair and
irrecoverable place
I roamed ere
birth and cannot now recall?
A land where
petals fall
On paths that I
shall nevermore retrace?
Something is
lacking from the wistful bow’rs,
And I have lost
that which I never had.
The sea cries,
and the heavens and sea are sad,
And Love goes
desolate, yet is not ours.
Brown Earth
alone is glad,
Robing her
breast with fallen leaves and flow’rs
High memories
stir; the spirit’s feet are slow,
In nameless
fields where tears alone are fruit.
And voices of
the wind alone transmute
The music that
I lost so long ago.
I stand
irresolute,
Lonely for some
one I shall never know. (34)
Noch nach vielen Jahren
erinnerte sich Charmian London genau daran, wie tief erschüttert sie
und Jack nach der ersten Lektüre dieses Gedichtes waren. Und man
kann ihre Reaktion sehr gut nachvollziehen. Vor allem die
Schlusszeile besitzt in ihrer grenzenlosen Verzweifelung eine
geradezu gespenstische Qualität.
Es ist müßig über die
persönlichen Hintergründe von Sterlings offensichtlicher
Depressivität zu spekulieren. In der Form, die sie in seinem
literarischen Werk annahm, gewann sie allgemeineren Charakter, wurde
sie zum extremen Ausdruck eines Lebensgefühls, das großen Teilen
der Bohème gemeinsam war. Dieselbe Empfindung lag auch dem zugrunde,
was man als Sterlings "Kosmizismus" bezeichnen kann.
Fortsetzung folgt ...
(1) Hölderlins Werk entstand in den
Jahren 1786-1801; die letzten vier Jahrzehnte seines Lebens
verbrachte er im Zustand geistiger Umnachtung. Um Missverständnissen
vorzubeugen: Mein Vergleich soll nicht implizieren, die beiden
Dichter ständen künstlerisch auf derselben Rangstufe.
(2) Friedrich Engels: Deutsche
Zustände. In: Marx/Engels: Deutsche Geschichte im 19.
Jahrhundert. S. 36.
(3) Friedrich Hölderlin: Hyperion. In: Das
Meisterwerk. Bd. 2: Hyperion/Empedokles. S. 227.
(4) Brief an Ludwig Neuffer vom
November 1794. In: Hermann Hesse & Karl Isenberg (Hg.):
Hölderlin. Dokumente seines Lebens. Briefe - Tagebuchblätter -
Aufzeichnungen. S. 49.
(5) Brief an C. U. Bühlendorf vom 4. Dezember
1801. In: Ebd. S. 197.
(6) Friedrich Hölderlin: An die Deutschen. V. 45-48. In: Das Meisterwerk. Bd. 1: Gedichte. S. 265.
(7) Babeuf war das Haupt der
kommunistischen "Verschwörung der Gleichen", die 1796 das
Direktorium zu stürzen versuchte.
(8) Friedrich Hölderlin: Der Tod des
Empedokles. In: Das Meisterwerk. Bd. 2.
Hyperion/Empedokles. S. 303.
(9) Friedrich Hölderlin: Thalia-Fragment
des Hyperion. In: Das Meisterwerk. Bd. 2.
Hyperion/Empedokles. S. 7.
(10) Friedrich Schiller: Die Götter
Griechenlands (2. Fassung). In: Ders.: Gedichte. S. 124.
(11) George Sterling: Poe’s Gravestone.
In: Ders.: Sails and Mirage and Other Poems. S. 66.
(12) Edgar Allan Poe: The Poetic Principle.
In: Ders.: The Fall of the House of Usher and Other Writings.
S. 504f.
(13) John Keats: Ode on a Grecian Urn. Z. 8.
In: Werke und Briefe. S. 138.
(14) George Sterling: Ascension. In: Ders.:
Beyond the Breakers and Other Poems. S. 49f.
(15) George Sterling: Yosemite.
(16) Friedrich Hölderlin: Der Tod des
Empedokles. In: Das Meisterwerk. Bd. 2.
Hyperion/Empedokles. S. 308f.
(17) Peter Weiss hat diese doppelte
Tragödie in seinem Drama Hölderlin darzustellen versucht;
leider nur mit sehr mäßigem Erfolg. Hofmann, Forster und Blau waren
die führenden Köpfe der Mainzer Republik, der aus Franken stammende
Schneider zählte zu den prominentesten Führern der Straßburger
Sansculotten.
(18) Friedrich Hölderlin:
Griechenland. Z. 6f. In: Das Meisterwerk. Bd. 1:
Gedichte. S. 199. Fast die gleiche Formulierung findet sich
auch in Der Archipelagus.
(19) Friedrich Hölderlin: Der Tod des
Empedokles. In: Das Meisterwerk. Bd. 2:
Hyperion/Empedokles. S. 306.
(20) Vgl. Paul Lafargue: Das Recht auf Faulheit.
(21) George Sterling: The Faun. In: Ders.:
The House of Orchids and Other Poems. S. 77ff.
(22) George Sterling: An Altar of the West.
In: Ders.: The House of Orchids and Other Poems. S. 64f.; 74f.
(23) Nikolai Tschernischewski: Die
ästhetischen Beziehungen der Kunst zur Wirklichkeit. In: Meister
der Kritik. Belinski - Dobroljubow - Tschernischewski. S. 244.
(24) Alexander Woronski: Die Kunst
als Erkenntnis des Lebens und die Gegenwart. In: Ders.: Die
Kunst, die Welt zu sehen. S. 122.
(25) Jack London: These Bones Shall Rise Again.
In: Ders.: Revolution and Other Essays. S. 230.
(26) Clark Ashton Smith: George
Sterling: Poet and Friend. In: David E. Schultz & S.T. Joshi
(Hg.): The Shadow of the Unattained. S. 299.
(27) Zit. nach: Amelia R. Fry: Sara Bard Field -
Poet and Suffragist. S. 446f.
(28) George Sterling: Poesy. In: Ders.: The
Testimony of the Suns and Other Poems. S. 25.
(29) George Sterling: The City of Music. In:
Ders.: The Testimony of the Suns and Other Poems. S. 30.
(30) George Sterling: The Spirit of Beauty.In:
Ders.: The Testimony of the Suns and Other Poems. S. 110.
(31) George Sterling: Beauty. In: Ders.: A
Wine of Wizardry and Other Poems. S. 66.
(32) Elsie Whitaker Martinez: San Francisco Bay
Area Writers and Artists. S. 159.
(33) Zit. nach: Peter Kratzke: The Man Who Would
Have It All: George Sterling and the American Dream.
(34) George Sterling: In Autum. In: Ders.:
The Caged Eagle and Other Poems. S. 40f.
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