"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Samstag, 27. Dezember 2014

Strandgut der Woche

Mittwoch, 24. Dezember 2014

The Season's Greetings


Merry Christmas, Happy Yule und Ein Frohes Fest allen Leserinnen und Lesern, allen zufälligen Besuchern und Besucherinnen!

Und um für etwas festliche Stimmung zu sorgen, nun drei Lieder aus dem grandiosen Schatz der H.P. Lovecraft Historical Society: "Awake Ye Scary Great Old Ones", "The Carol of the Olde Ones" und "Oh Come All Ye Olde Ones" von ihrer cthulhuiden Weihnachts-CD "A Very Scary Solstice":











Sonntag, 21. Dezember 2014

Expeditionen ins Reich der Eighties-Barbaren (VII): "Wizards of the Lost Kingdom"

Im Jahr 1982 nahmen die argentinischen Filmproduzenten Hector Olivera und Alejandro Sasso Kontakt mit Roger Corman auf und schlugen ihm vor, gemeinsam Low-Budget-Streifen "in der Pampa" zu drehen. Als Köder diente ihnen neben den niedrigen Produktionskosten die Aussicht auf staatliche Subventionen. Der alte Schlockmeister zögerte nicht lang, und bald darauf begannen in der Nähe von Buenos Aires die Dreharbeiten für Deathstalker – ein Conan - Knock-off, das ich vermutlich nicht besprechen werde, da ich momentan keine Möglichkeit sehe, es mir anzuschauen. Der Film bildete nicht nur den Startpunkt für Lana Clarksons Aufstieg zu einer Art Genre-Ikone, sondern erwies sich auch als erfolgreich genug, um eine kleine Reihe von Corman und Olivera coproduzierter und in Argentinien gedrehter Fantasystreifen nach sich zu ziehen.
Den ersten davon haben wir mit The Warrior and the Sorceress bereits kennengelernt. Ihm folgte 1985 der Sword, Sorcery & Sexploitation - Flick Barbarian Queen, den wir vermutlich gleichfalls nicht werden besuchen können, was ich etwas bedauerlich finde, gerade weil es sich um einen recht unappetitlichen Streifen handelt, der gut geeignet gewesen wäre, um zu zeigen, in welch wenig erbauliche Gefilde der S&S - Film der 80er mitunter abdriften konnte.
Für den Moment müssen wir uns mit dem vierten Eintrag in ihrem gemeinsamen Fantasyoeuvre begnügen, bei dem Olivera wie schon bei Barbarian Queen auf dem Regiestuhl Platz nahm: Wizards of the Lost Kingdom (1985):



Es fällt schwer zu beschreiben, was genau dieser Streifen eigentlich ist, doch es ist glorios! Hier dürfen wir den Großmeister des Low Budget - Films bei einer seiner schamlosesten Operationen beobachten, und das Ergebnis ist ein Riesenspaß.

Wizards of the Lost Kingdom besteht aus einer Aneinanderreihung von Szenen, die sich einfach nicht zu einer flüssig fortlaufenden Einheit zusammenfügen wollen. Oberflächlich betrachtet gibt es natürlich einen Plot, der sie irgendwie zusammenhält und in einer bestimmten Reihenfolge anordnet, doch in Optik, Ton, Musik und z.T. auch Inhalt wirken sie wie aus unterschiedlichen Filmen herausgerissene und willkürlich zusammengestoppelte Versatzstücke. Zum Teil trügt dieser Eindruck nicht einmal. Roger Corman kannte keinerlei Skrupel, wenn es darum ging, ganze Sequenzen aus seinen Filmen in späteren Produktionen erneut zu verwenden. So finden sich z.B. die Weltraumschlachten aus Battle Beyond the Stars (1980) auch in Space Raiders (1983). Auf gleiche Weise recycelt Wizards of the Lost Kingdom u.a. die Opferszene aus The Sorceress. {Und bevor jemand fragt: Ja, auch dieser Film enthält Teile von James Horners Soundtrack für Battle Beyond the Stars. Allmählich frage ich mich, ob Corman die Musik in jedem seiner 80er Jahre - Filme verwendet hat, ganz gleich, ob sie passte oder nicht. Und in diesem Fall passte sie so überhaupt nicht.} Aber selbst die Szenen, die eindeutig für diesen Film gedreht wurden, hinterlassen einen ähnlichen Eindruck. Manchmal bestehen diese merkwürdigen Brüche sogar zwischen einzelnen Kameraeinstellungen.

Ich weiß, das klingt jetzt nicht unbedingt wie ein Empfehlungsschreiben. Als Film ist Wizards of the Lost Kingdom eine einzige Katastrophe. Aber mir zumindest macht es mitunter Spaß, zuzuschauen, wie ein solches Debakel sich Schritt für Schritt vor meinen Augen entfaltet. Und da der Flick bei all seinen Verbrechen an der filmischen Handwerkskunst keinerlei wirklich unangenehme Elemente enthält – keine pubertär-sexistischen Witzeleien wie in Sorceress, keine Vergewaltigungs- und Folterorgien wie in Barbarian Queen – kann man sich gemütlich zurücklehnen, um sich immer wieder aufs Neue davon überraschen zu lassen, welch bizarren Unsinn uns Corman, Olivera und Drehbuchautor Ed Naha jetzt wieder auftischen.

Über das, was sich frecherweise als Plot des Films auszugeben versucht, braucht man nicht all zu viele Worte zu verlieren. Der böse Zauberer Shurka (Thom Christopher) stürzt und tötet mit Hilfe der verräterischen Königin Udea (Barbara Stock) den guten König Tylor. Simon (Vidal Peterson), der Sohn des gleichfalls ermordeten Hofmagiers Wulfric, macht sich zusammen mit seinem knuffigen Monsterfreund Gulfax und dem Abenteuerer Kor "the Conqueror" (Bo Svenson) auf, dies Unrecht wiedergutzumachen und Prinzessin Aura (Dolores Michaels) aus den Klauen des verbrecherischen Shurka zu befreien.

Wizards of the Lost Kingdom bildet so etwas wie das ergänzende Gegenstück zu der im selben Jahr auf den Markt geworfenen Barbarian Queen. Während diese mit viel Sex und Gewalt {und häufig beidem zugleich} eine "erwachsene" Zuschauerschaft anzusprechen versuchte, hatte man hier ganz offensichtlich ein eher kindliches Publikum im Auge. Deshalb die überraschend unblutigen Kampfszenen, und deshalb auch solch neckische Figuren wie bärtige Wichtel oder Edgardo Moreira in einem putzigen Yeti-Teddybär-Kostüm als Gulfalx. Dass der Film auch halbverweste Untote und heulende Gespenster zu bieten hat, spricht keineswegs gegen diese Einschätzung. Auch Kids wollen sich mitunter ein bisschen gruseln. 

Allerdings wird ebenso rasch klar, dass die Rolle des Simon ursprünglich für jemanden konzipiert war, der älter gewirkt hätte als Vidal Peterson. Denn obwohl der Jungschauspieler, der nebenbei bemerkt zwei Jahre zuvor in Jack Claytons Adaption von Ray Bradburys Something Wicked This Way Comes mitgespielt hatte, zum Zeitpunkt des Drehs ungefähr sechzehn Jahre alt gewesen sein muss, vermittelt er doch den Eindruck, deutlich jünger zu sein. Und das verleiht einigen Szenen einen – wie soll ich mich ausdrücken? – ziemlich eigenartigen Vibe. Das beginnt bereits ganz am Anfang, wenn die deutlich älter wirkende Aura den guten Simon fragt, warum sie nicht auf der Stelle heiraten könnten. Noch bizarrer wird es etwas später, wenn Acrasia (Maria Socas – die barbusige Schöne aus The Warrior and the Sorceress) – eine von Shurka ausgesandte "Nymphe", die sich am Ende als monströses Rieseninsekt entpuppt – den Magiersohn zu verführen und auf "die dunkle Seite der Macht" herüberzuziehen versucht. Sie erinnerte mich sehr stark an Figuren wie Kirke aus der Odyssee, die Lamiae aus einigen Stories von Clark Ashton Smith oder Klingsors Blumenmädchen aus Wagners Parsifal – allesamt Verkörperungen sinnlich-sexueller Versuchung. 
Anfangs mögen solche Szenen etwas "creepy" wirken. Doch sobald man realisiert, dass sie nicht so intendiert waren, sondern diesen Charakter nur angenommen haben, weil der Held des Ganzen möglichst jung wirken sollte, um eine Identifikationsfigur für das angepeilte Publikum abgeben zu können, tragen sie um so mehr zum trashigen Charme des Ganzen bei.

Von schauspielerischen Leistungen wollen wir lieber gar nicht erst reden, aber der stets verlässliche Bo Svenson als Glücksritter Kor, für den ein gutes Glas Wein {oder besser noch drei oder vier} das Schönste auf Erden ist, fügt dem Film doch ein weiteres sympathisches Element bei. Auch wenn er seine Dialoge ebenso uninspiriert runterleiert wie alle anderen, und sämtliche Versuche, seiner Figur etwas mehr Tiefe zu verleihen, so mitleiderregend wirken wie der Rest des Flicks.

Vermutlich werde ich es nicht schaffen, meinen Leserinnen und Lesern zu vermitteln, warum mir der Anblick der Wichtelwohnstatt oder der Seejungfrau mit ihrer Regenbogenbrücke ein so überwältigendes Vergnügen bereitet hat. Wer meine leicht perverse Neigung zu absurdem Schlock nicht teilt, wird Wizards of the Lost Kingdom wahrscheinlich einfach bloß peinlich und langweilig finden. Allen meinen Brüdern und Schwestern im Geiste jedoch kann ich einen Besuch nur wärmstens empfehlen. Dieser Flick befindet sich wahrlich jenseits von Gut und Böse. Und wer könnte so herz- und humorlos sein, um einem Film, in dem die Zeile "We're running out of dwarves" vorkommt, nicht wenigstens ein bisschen Sympathie entgegen zu bringen?

Der Décadent der Fantasy (2)

Zweiter Teil meiner überlangen und unvollendeten Schreibereien über Leben und Werk von Clark Ashton Smith.
(Teil 1) * (Teil 3) * (Teil 4)

Dabei besaß Kalifornien eine radikale Tradition, deren Wurzeln gleichfalls bis in die späten 60er und die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts zurückreichten. An ihrem literarischen Anfang stand Henry George. 1871 veröffentlichte er in Reaktion auf die rasche Verschärfung der sozialen Gegensätze im Goldenen Staat und vor allem auf die Konzentration des Landbesitzes das Pamphlet Our Land and Land Policy, dem 1879 sein Hauptwerk Progress and Poverty folgte, in dem er eine umfassende Analyse und Kritik des Kapitalismus zu entwickeln versuchte.
Ungefähr zur selben Zeit feierte die 1877 gegründete Workingmen’s Party of California ihre überraschenden und beeindruckenden Erfolge, die in der Wahl von einem Drittel der Deputierten zum Verfassungskonvent von 1878 gipfelten. Viele Historiker führen ihren Erfolg zwar vor allem auf die antichinesischen Hetzparolen ihres Führers Dennis Kearney zurück. Doch so bedeutend die unrühmliche Rolle auch gewesen ist, die der Rassismus in der Geschichte der kalifornischen Arbeiterbewegung immer wieder gespielt hat, wäre es falsch, die WPC mit dem Schlagwort "Nativism" abzutun. Von mindestens ebenso großer Bedeutung für das Verständnis ihrer Entstehung sind die alten Traditionen des jeffersonschen Republikanismus, die durch die Kämpfe der Lincoln-Ära neu belebt worden waren. Es gab sehr viele Amerikaner, die die Entwicklung nach dem Bürgerkrieg ganz und gar nicht mit den Idealen von Freiheit und Gleichheit in Einklang zu bringen vermochten, für die Zehntausende im Kampf gegen die Sklavenhalteroligarchie des Südens ihr Leben gelassen hatten. Angesichts der raschen Degeneration der Republikanischen Partei glaubten viele von ihnen, dass die Gründung einer neuen Partei das Gebot der Stunde sei. Kearney mag vor allem ein rassistischer Demagoge gewesen sein, doch für viele Anhänger der WPC – vor allem außerhalb San Franciscos – spielte der Kampf gegen die Monopole eine sehr viel größere Rolle. Insofern reiht sich die WPC in die Reihe der großen Massenbewegungen ein, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts immer wieder versuchten, den Herren des Gilded Age die Stirn zu bieten. Viele der Personen, die führend am Aufbau der Partei in den Counties beteiligt gewesen waren, engagierten sich in den 80er Jahren bei den Knights of Labor oder der Farmers’ Alliance. (1)
Amerikaweites Aufsehen erregte 1880 das Massaker von Mussel Slough, bei dem fünf Anhänger der Settlers’ League getötet wurden, die einen (letztlich erfolglosen) Kampf gegen die erpresserischen und für viele Farmer ruinösen Geschäftspraktiken der South Pacific Railway führte. Zwanzig Jahre später verarbeitete Frank Norris das Ereignis in seinem großen Roman The Octopus. Zwar gehörte Kalifornien nicht zu den Zentren der mächtigen Agrarbewegung der 80er Jahre, die 1892 in der Gründung der People’s Party gipfelte, blieb jedoch keinesfalls unberührt von dieser Entwicklung. Immerhin wählten die Kalifornier 1893 und 1896 insgesamt drei "Populisten" in den Kongress.
Erste Gewerkschaften waren in Kalifornien bereits in den 50er Jahren gegründet worden und 1863 – mitten im Bürgerkrieg – hatte man im Evening Bulletin lesen können: Striking for higher wages is now the rage among the working people of San Francisco“. (2) Trotz manch herber Rückschläge konnten sie in den folgenden Jahren zum Teil recht eindrucksvolle Erfolge erzielen. So wurde unter ihrem Druck im Dezember 1867 ein Gesetz zur Einführung des Achtstundentages erlassen, das allerdings im Verlauf der 70er Jahre immer weiter ausgehöhlt wurde, bis es schließlich praktisch bedeutungslos war.

Man sollte diesen Hintergrund aus Klassenkämpfen, Streiks und Revolten auf keinen Fall außer Acht lassen, wenn man sich ein Bild von der Bohème zu machen versucht. Ob allerdings die Künstler, die Parsons in der Rolle einer gesellschaftlichen Avantgarde gesehen hatte, sich in ihrem Widerwillen gegen das Gilded Age mit den Kämpfen der Farmer und Lohnarbeiter zu identifizieren vermochten, dürfte eher fraglich sein. 
Blättert man ein wenig in den alten Jahrgängen des Overland Monthly, so entsteht sehr bald der Eindruck, dass sich einem hier ein klassisch kleinbürgerliches Weltbild präsentiert. Die meisten Autoren kritisieren zwar die Monopole, doch werden die Gewerkschaften mit mindestens ebenso großem Misstrauen beäugt. Beide Parteien erscheinen als Mächte, die in der Verfolgung eigennütziger Ziele die alte Einheit des amerikanischen Volkes zerstören und der Gesellschaft ihren Willen aufzuzwingen versuchen. Wie dieser patriotische Mythos vom stets einigen Volk nach den Erfahrungen des Bürgerkriegs noch aufrechterhalten werden konnte, ist dem kritischen Leser kaum verständlich. Aber bekanntlich haben Ideologie und Wirklichkeit nur bedingt etwas miteinander zu tun. Man träumte weiter von einer über den Klassen stehenden Regierung, die frei von aller Korruption sein und von der aufgeklärten Öffentlichkeit, d.h. von der gebildeten Mittelklasse, kontrolliert werden sollte. Die Artikel über gesellschaftspolitische Fragen sind Paradebeispiele für die bekannte Furcht der Mittelschichten, zwischen den beiden Hauptklassen der kapitalistischen Gesellschaft zerrieben zu werden. Dabei kann die Feindseligkeit gegenüber der Arbeiterbewegung sehr unterschiedliche Grade erreichen. Sie reicht von eher gutmütig-paternalistischen Ratschlägen, wie sich Kapital & Arbeit im Rahmen der wirtschaftlichen Gegebenheiten gütlich einigen könnten, wenn sie bloß auf ihre "überzogenen" Forderungen verzichten würden, bis hin zu wüsten Beschimpfungen der "faulen, dummen Proleten" und "machtgierigen Demagogen". In den 80er Jahren erklingen – in Reaktion auf die amerikaweite Bewegung für den Achtstundentag und die sog. "Haymarket-Revolte" von 1886 in Chicago – zunehmend schrillere Töne. Die bösartige Karrikatur des Anarchisten als eines übelriechenden, ausländischen Burschen mit tierischen Gesichtzügen und einer Bombe in jeder Manteltasche gehört von nun an auch in Kalifornien zum Standardrepertoire der Journaille.
Mit radikalen Ideen beschäftigte man sich im Overland Monthly hauptsächlich, um sie zu bekämpfen. So ist ein Artikel von W. W. Crane jr. vom März 1875 über den Kommunismus, seine Entwicklung, seine verschiedenen Strömungen und die Internationale Arbeiterassoziation zwar verhältnismäßig objektiv gehalten, endet jedoch mit der selbstzufriedenen Bemerkung, in den Vereinigten Staaten, dem Land der persönlichen Freiheit, werde diese Doktrin niemals Fuß fassen. Der große Eisenbahnerstreik von 1877 und die Bewegung für den Achtstundentag machten dieser Selbstgefälligkeit ein Ende. Von nun an geht es hauptsächlich darum, den Sozialismus "theoretisch" zu widerlegen, oder die Revolutionäre als Geisteskranke, blutgierige Fanatiker, gemeine Mörder und Plünderer hinzustellen. Der Glaube an die Ausnahmestellung der USA behält jedoch auch weiter seine Gültigkeit, denn für die Verbreitung sozialistischer Ideen unter den amerikanischen Arbeitern werden ausschließlich die Immigranten verantwortlich gemacht.
Für sich allein genommen vermittelt der Overland Monthly selbstverständlich kein korrektes Bild vom Denken der kalifornischen Intelligenzija. Radikale Ideen fanden sehr wohl auch unter ihr Anhänger. Vor allem erregte Edward Bellamys 1888 erschienene sozialistische Utopie Looking Backwards: From 2000 to 1887 hier, wie überall in den Vereinigten Staaten, großes Aufsehen und erhielt im O.M. eine wohlwollende Besprechung. In Romanform über eine künftige kollektivistische Gesellschaftsform zu diskutieren, war eben etwas anderes, als die harte Realität des Klassenkampfes. 
Aber es gab auch praktische Methoden, dieser Realität aus dem Weg zu gehen. Schon zwei Jahre zuvor hatte eine Gruppe von Enthusiasten unter dem Einfluss der Ideen des Schriftstellers Laurence Gronlund in Kaweah eine Art Kommune gegründet. Ähnliche kommunistische Gemeinschaften hatte es schon früher in den USA gegeben, und ein Artikel in der Märzausgabe des Overland Monthly von 1883 war der begeisterten Schilderung einer von einem philanthropischen Unternehmer in Frankreich gegründeten Kooperative (Familistère) nach dem Vorbild Robert Owens gewidmet gewesen. (3) Für die Kaweah Colony kam allerdings bereits 1892 mit der Gründung des Sequoia Nationalparks das Aus.

Trotz dieser Einschränkungen scheinen mir die gesellschaftspolitischen Artikel im Overland Monthly zum Verständnis der Perspektivlosigkeit in vielen Werken der Westküstenromantiker sehr hilfreich zu sein. Der Abscheu der Dichter vor der Gesellschaft des Gilded Age war tiefempfunden und ehrlich, aber als sich in deren Schoß eine Kraft zu entwickeln begann, die den status quo wirklich herausfordern konnte, beunruhigte sie das eher, als dass es neue Hoffnungen in ihnen geweckt hätte. Das Gedicht Millenium von Ina Coolbrith veranschaulicht recht gut diese ambivalente Gefühlslage:
 
The night falls, heavy with the coming storm!
Far out, the ocean frets against the bar,
And the cloud-legions, gathering force and form,
Shut, with closed ranks, all gleam of moon or star.
Tempestuous darkness! and unto the dawn,
Long hours. Ah! with the passing will there be
The gold and crimson by the sun-rays drawn,
Or tempest still, and moaning of the sea? 
 
The world is heavy with the coming storm!
No nation wars with nation, race with race,
But where the love-pulse should beat quick and warm,
Lo! brother against brother, face to face.
Abel unto the god of blood gives blood,
Who heeds not the fair fruitage of the land,
And wrong and rage, of viper-nests the brood,
Arm Cain with flaming heart and flaming brand. 
 
Where is the peace that should with thee abide
O Earth? Art still beneath the primal ban,
Availing naught the Holy Crucified?
No faith in God because no faith in man!
Thy helpless idols help thee not. Awake!
Arise, and let thy weary burden fall! 
Captive, the fetters of the ages break,
And, thrall to Mammon, be no longer thrall.
 
O Spirit of the Holy One, from where
On high Thou dwellest, lend Thy loving will
To quell these battle-giants of the air,
And to the warring waters speak, ‘Be still.’
Or if from darkness, only, springs the light,
And but from struggle blessed peace is born,
Loose all the awful thunders of Thy might
And hail, the night! that heralds the glad morn. (4)
  
Die Dichterin sieht sehr klar den sich immer weiter verschärfenden Konflikt, der für sie bereits bürgerkriegsartige Formen anzunehmen beginnt – was durchaus keine Übertreibung war, wie ein kurzer Blick in die Annalen der Klassenkämpfe jener Zeit einem jedem bestätigen wird. Doch sie bejaht ihn nicht, er erscheint ihr vielmehr als drohend heraufziehendes Ungewitter und als tragischer Bruderzwist nach dem Vorbild des biblischen Mythos. Dabei ist sie sich der Unausweichlichkeit der Entwicklung bewusst: Nur Gott könnte sie noch aufhalten. Ihre Sympathie gehört den vom Mammon Unterdrückten und Ausgebeuteten, dennoch fühlt sie sich nicht eins mit einer der kämpfenden Parteien. Sie bleibt eine verängstigte Zuschauerin, die am Ende nur resigniert erklären kann: Wenn eine gerechtere Welt alleine aus dem Kampf geboren werden kann, so möge denn der große Sturm über die Erde hereinbrechen. Sie selbst aber wird ganz offensichtlich nicht mitkämpfen.
 
Bei Ina Coolbrith verstärkte die historische Entwicklung also vor allem das Gefühl der eigenen Hilflosigkeit gegenüber Kräften, die ihr wie unkontrollierbare Naturgewalten erschienen. Doch die Wirkung konnte noch sehr viel übler ausfallen. Werfen wir einen letzten Blick in den Overland Monthly. In der Dezemberausgabe von 1884 findet sich ein sehr aufschlussreicher Artikel von William C. Blackwood mit dem Titel The Future of the Republic. Der Verfasser beschreibt darin die rasche Entwicklung der Industrie in den letzten hundert Jahren und ihre Folgen für das demokratische System. Er konstatiert, dass die Monopole eine gewaltige Macht in ihren Händen konzentriert haben und den politischen Prozess mit Hilfe der Parteimaschinerie faktisch kontrollieren. Doch so bedrohlich diese Entwicklung auch sei, die wirkliche Gefahr gehe von der Masse der Besitzlosen aus: „The ignorant masses of foreign countries finding homes and refuge in the bosom of the great Republic, together with the low and degraded of the native population, form a dangerous class to be intrusted with the right of suffrage“ Erschreckt muss Blackwood feststellen, dass das Proletariat immer schneller wächst. Eines nicht zu fernen Tages wird es die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Die Monopole manipulieren zwar die politischen Entscheidungen zu ihrem Vorteil, sind aber letztenendes an der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung interessiert. Nicht so der Pöbel. Von sozialistischen Demagogen aufgehetzt werden die moralisch degenerierten Arbeiter die ihnen durch das allgemeine Wahlrecht gegebene Macht dazu benutzen, in die geheiligten Rechte des Privateigentums einzugreifen, um den Besitz umzuverteilen. Die unausweichliche Folge davon wird der Bürgerkrieg sein. „Then will universal suffrage, as a sovereign remedy for political grievances, be pronounced a failure. Then it will be found that only a strong military force can restore order in the Republic, and secure to the people the blessings of peace and stability.“ Die Monopole werden sich unter der Parole "Gesetz, Ordnung & Eigentum" mit der Mittelklasse verbünden, den Aufstand der Besitzlosen niederschlagen und eine Diktatur errichten: 
Universal suffrage will be abolished, as a power unsafe in the hands of an unthinking rabble, which has nothing to lose, but something to gain. The right of suffrage will be restricted to such as have a substantial interest in maintaining the supremacy of law and order; and to preserve such, a standing army sufficient in numbers to quell local disorder will be maintained, subject to the central power. (5)
Es ist unheimlich zu sehen, wie Blackwood – der übrigens Richter war – hier das Programm einer faschistischen Diktatur in Amerika vorwegnimmt, wie sie ein Viertel Jahrhundert später Jack London in seinem berühmten Roman The Iron Heel beschreiben sollte.

Aber ganz ähnliche Gedanken finden sich leider auch in Ambrose Bierce’ satirischer Zukunftsvision The Ashes of the Beacon. Und Bierce bildet nicht nur ein wichtiges Bindeglied zwischen der ersten Generation der kalifornischen Dichter und jener Bohème der Jahrhundertwende, zu der der junge Clark Ashton stoßen sollte, die Schriften des großen Zynikers übten auch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Smiths Sicht der Welt aus. Noch in den 30er Jahren empfahl er seinem Freund Lester Anderson die Essaysammlung Shadow on the Dial als das intelligenteste Werk über die soziale Frage. (6) 
Sich zu betrachten, wie Bierce zu dem kompromisslosen Misanthropen wurde, als der er in die Literaturgeschichte eingegangen ist, wird sich deshalb als hilfreich erweisen für die spätere Analyse von Clark Ashtons eigenem Zynismus. Auch spielt "Bitter" Bierce eine nicht unbedeutende Rolle in der Geschichte der amerikanischen Horrorliteratur. Für H. P. Lovecraft bildeten einige seiner Gruselstories „ewige Glanzlichter der amerikanischen unheimlichen Literatur“ (7), und Smith zählte The Death of Halpin Frayser – die Eröffnungsstory von Can Such Things Be – zu seinen liebsten unheimlichen Geschichten und zog sie in seinem Essay Atmosphere in Weird Fiction als Beispiel für den vorbildlichen Einsatz stilistischer Mittel zum Heraufbeschwören einer unheimlichen Atmosphäre heran. Eine – wenn auch noch so knappe – Auseinandersetzung mit Bierce ist deshalb angebracht. Mit seinen phantastischen Stories wollen wir uns an dieser Stelle allerdings nicht beschäftigen. Im Moment geht es uns nur um sein zynisches Weltbild, das in den beiden Sammlungen Can Such Things Be und Present at a Hanging lediglich einen indirekten Ausdruck im sarkastischen Tonfall vieler seiner Spukgeschichten gefunden hat.

Geboren 1842 in Meigs County, Ohio, und aufgewachsen in Konsciusko County, Indiana, hatte sich Bierce bei Ausbruch des Bürgerkriegs freiwillig zum Dienst in der Armee der Nordstaaten gemeldet. Voll bitterer Ironie berichtet er in seinen autobiographischen Skizzen von dem „autumn of that ‘most immemorial year,’ the 1861st of our Lord, and of our Heroic Age the first“. (8) Erfüllt von patriotischem Eifer waren er und seine Kameraden ausgezogen, um die Republik gegen die Rebellen zu verteidigen. Was sie erwartete war die Hölle auf Erden. Der Sezessionskrieg war der blutigste militärische Konflikt seiner Zeit. Erst das Gemetzel des Ersten Weltkriegs würde ihn übertreffen. Für Bierce war er das prägende Erlebnis seines Lebens. Auf die denkbar schrecklichste Weise musste er auf den Schlachtfeldern des Westens erfahren, wozu Menschen fähig sind. Kaum ein anderer Autor des 19. Jahrhunderts hat das Grauen des Krieges so erbarmungslos geschildert wie Bierce in Chickamauga, An Occurence at Owl Creek Bridge, The Coup de Grâce und anderen Kurzgeschichten aus In the Midst of Life. In stilistischer Hinsicht mögen sie nicht an Stephen Cranes The Red Badge of Courage den Bürgerkriegsklassiker – heranreichen, doch ihr illusionsloser, realistischer Ton – die Stimme des Soldaten, des Augenzeugen – verleiht ihnen eine ganz eigene Qualität. Dabei löst Bierce den Krieg freilich völlig von dem ihm zugrundeliegenden politischen Konflikt und stellt ihn als einen sinnentleerten, surrealen Alptraum dar. 
Leider wissen wir nicht, was ihn ursprünglich dazu bewogen hatte, sich freiwilllig zu melden. Waren es nur Patriotismus und Abenteuerlust gewesen, oder hatte der junge Bierce zu jener nicht unbedeutenden Gruppe von Yankees gehört, die sich bewusst waren, in einer der größten Revolutionen der Menschheitsgeschichte zu kämpfen? Professor E. J. Hess von der Lincoln Memorial University jedenfalls vertritt die Ansicht, dass wir seine Entwicklung nur verstehen können, wenn wir annehmen, dass er als junger Idealist in den Krieg gezogen war. Nur so ließe sich erklären, warum die gesellschaftliche Entwicklung, die dem Sieg des Nordens folgte, Bierce für immer zu einem erklärten Zyniker und Menschenfeind machte. Leider beschränkt sich Hess – der herrschenden akademischen Mode folgend – dabei ganz auf die "Rassenfrage", d.h. auf den Verrat der siegreichen Republikanischen Partei an den revolutionären Bestrebungen der Reconstruction-Ära, der sozialen und politischen Emanzipation der schwarzen Bevölkerung des Südens. (9) Doch die Zerschlagung der Sklaverei und ihres Erbes war nicht das einzige Ziel gewesen, das politisch bewusste Unionssoldaten im Auge gehabt hatten. Im Frühjahr 1864 schrieb ein Sergeant, der im Zivilleben Farmer war, aus dem Feld an seine Gattin in Michigan: „[T]he more I learn of the cursed institution of Slavery, the more I feel willing to endure, for its final destruction ... After this war is over, this whole country will undergo a change for the better ... abolishing slavery will dignify labor; that fact of itself will revolutionize everything.“ (10) Der Farmeroffizier war nicht allein in seinem Glauben an eine bessere Zukunft für alle werktätigen Amerikaner. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie diese Soldaten auf die Entwicklungen der Nachkriegszeit reagiert haben müssen. Für Bierce wird sich die Lage ganz ähnlich dargestellt haben. In den bitter-sarkastischen Worten seines Hesitating Veteran:
 
But sometimes doubts press thronging round
('Tis mostly when my hurts are aching)
If war for union was a sound
And profitable undertaking. (11)

Bereits die Schlacht von Shiloh im April 1862, die in den Worten des Historikers und Bürgerkriegsexperten James M. McPherson „launched the country onto the floodtide of total war“ (12), hatte seine Illusionen über das vermeintlich so glorreiche Soldatendasein gründlich zerstört. In seiner Autobiographie beschreibt er, wie er während einer Feuerpause eine Senke aufsuchte, in der ein großer Trupp Soldaten von den Kugeln des Feindes und einem vom Artilleriefeuer entfachten Brand hinweggerafft worden war: 
 
The fire had swept every superficial foot of it, and at every step I sank into ashes to the ankle. It had contained a thick undergrowth of young saplings, every one of which had been severed by a bullet, the foliage of the prostrate tops being afterward burnt and the stumps charred. Death had put his sickle into this thicket and fire had gleaned the field. Along a line which was not that of extreme depression, but was at every point significantly equidistant from the heights on either hand, lay the bodies, half buried in ashes; some in the unlovely looseness of attitude denoting sudden death by the bullet, but by far the greater number in postures of agony that told of the tormenting flame. Their clothing was half burnt away - their hair and beard entirely; the rain had come too late to save their nails. Some were swollen to double girth; others shriveled to manikins. According to degree of exposure, their faces were bloated and black or yellow and shrunken. The contraction of muscles which had given them claws for hands had cursed each countenance with a hideous grin. Faugh! I cannot catalogue the charms of these gallant gentlemen who had got what they enlisted. (13)
  
Eine Szene, wie aus Dantes Inferno. Doch im Verlauf des Krieges hatte er noch sehr viel grauenhaftere zu sehen bekommen. Und wozu das alles? Damit Leute wie Carnegie und Rockefeller reicher werden konnten, als es sich König Krösus in seinen wildesten Träumen hätte vorstellen können? Zur Verteidigung einer Republik, in der man Wählerstimmen, Gouverneure und Senatoren kaufte und verkaufte wie Kohlköpfe auf dem Wochenmarkt?
Nach seinem Abschied von der kämpfenden Truppe hatte Bierce 1865 in der Militärverwaltung von Alabama gearbeitet. Er und seine Mitarbeiter waren vor allem für die Konfiszierung von Baumwolle und das Brechen des Widerstandes der besiegten Südstaatler verantwortlich gewesen, von denen viele den Kampf mit den Waffen des Terrorismus fortzusetzen versuchten. Dabei hatte er miterleben müssen, wie sich der Bazillus der Korruption und Geschäftemacherei im Reconstruction-Regime breitzumachen begann. Mehr als einmal war man mit verführerischen Bestechungsangeboten an ihn herangetreten. Und was folgte war nicht geeignet, diesen ersten negativen Eindruck zu beheben. Im Gegenteil! Verglichen mit der von Gier und Heuchelei geschwängerten Atmosphäre des Gilded Age konnte schließlich selbst die Hölle des Krieges in einem romantischen Licht erscheinen. Ein Gedicht von Bierce aus den 1880er Jahren endet mit dem verzweifelten Aufschrei:
 
O Father of Battles, pray give us release
From the horrors of peace, the horrors of peace! (14)

Anders als die meisten Westküstenromantiker stellte sich Ambrose Bierce der Wirklichkeit. Kann man es ihm verübeln, dass er dabei zum Zyniker wurde?

Mit jeder Faser seines Wesens hasste und verachtete er die „pick-pocket civilization“ des triumphierenden Kapitalismus. Mit seinem Arbeitgeber William Randolph Hearst (dem realen Vorbild für Orson Welles’ Charles Foster Kane) hatte er er ein besonders prachtvolles Exemplar der neuen Herren des Gilded Age vor Augen, und mit diabolischem Vergnügen richtete er seine giftigen Attacken immer wieder gegen den berüchtigten Pressemogul, für dessen Zeitungen er schrieb. Ebenso gern legte er sich mit dem politischen Establishment oder den mächtigen Eisenbahnunternehmen an, die das Staatssäckel um Abermillionen Dollars erleichtert hatten.
Trotzdem blieb er letztenendes – böse ausgedrückt – ein Hund, der ab und an die Hand biss, die ihn fütterte. Jede prinzipielle Opposition gegen die herrschende Ordnung erschien ihm nicht nur sinnlos, sondern rief seine heftige Feindschaft hervor. Bürgerliche Reformer ebenso wie Sozialisten überschüttete er mit beißendem Spott. Und seine Hasstiraden gegen die „foul anarchists, applauding with untidy palms when one of [their] coward kind hurls a bomb amongst powerless and helpless women and children" (15), unterschieden sich in nichts von den üblichen Ergüssen der bürgerlichen Presse. Es war ja kein Zufall, dass ihn trotz all seiner Eigenheiten Leute wie Hearst oder der englische Bonapartist James Mortimer für sich arbeiten ließen.
Bierce hatte unzählige Kameraden in einem "Kampf für die Freiheit" sterben sehen, der letztlich zur Herrschaft der "robber barons" geführt hatte. Für das Scheitern der revolutionären Hoffnungen der Bürgerkriegs- und Reconstruction-Ära machte er die Verkommenheit der menschlichen Natur verantwortlich. Wie hätte er da seinen Glauben in eine neuerliche Massenbewegung setzen können? Die Lehre, die er aus diesen Erfahrungen gezogen hatte, lautete vielmehr: Es bleibt alles wie immer – nur schlimmer. In seinem berühmten Devil’s Dictionary definiert er den Begriff ‘Revolution’ denn auch als an abrupt change in the form of misgovernment.“ 
Seine kampf- und spottlustige Natur machte es ihm zwar unmöglich, sich resigniert von den politischen Ausein-andersetzungen abzuwenden und in eine romantische Gegenwelt zu flüchten, wie die meisten seiner Dichterkollegen. Das Dilemma bestand jedoch darin, dass er sowohl die Kapitalisten als auch die Arbeiterklasse verachtete. Von welcher Position aus sollte er seine Attacken also führen?
In seinem Essay Civilization schlägt er, wenn auch halbherzig, die altehrwürdige Goldene Regel – "Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg’ auch keinem andern zu" – als Heilmittel für die sozialen Übel seiner Zeit vor. Ein Vorschlag, so weltfremd, dass er wahrhaft bierce’schen Hohn & Spott verdient hätte! Und Ambrose Bierce wäre nicht er selbst gewesen, hätte er das nicht gespürt. Mit frommen Sprüchen bereinigt man keine sozialen Konflikte, und in der Rolle des Moralapostels wirkte "des Teufels Lexikograph" ohnehin höchst unpassend. Was also tun? Wie einem naturgesetzlichen Zwang folgend schlug der Desillusionierte den Weg Blackwoods ein: Die Plutokraten sind ein widerliches Pack, aber letztenendes kann man sich irgendwie mit ihnen arrangieren, ja man kann sogar für ihre Zeitungen schreiben. Solange sie einem erlauben, ab und an wider den Stachel zu löcken. Nicht so der Pöbel! Sollte er versuchen, die Zügel der Macht in die Hände zu bekommen, so würde das – da war sich Bierce sicher – in blutiger Anarchie enden. Die Mehrheit der Menschheit bestand für ihn aus tumben, gierigen Dummköpfen. In ihnen sah er die Todfeinde von Geist und Kultur. Sie mussten um jeden Preis unter Kontrolle gehalten werden, und dazu bedurfte es vor allem einer starken Autorität und harter Gesetze. Besonders wichtig war ihm dabei die Todesstrafe, die er aufs vehementeste gegen alle Kritiker und Reformer verteidigte. In einem seiner Essays verstieg er sich sogar zu der dreisten Behauptung: „The modern prison has become a rather more comfortable habitation than the dangerous classes are accustomed to at home. Modern prison life has in their eyes something of the charm and glamor of an ideal existence, like that in the Happy Valley from which Rasselas had the folly to escape.“ (16) Um sich die ganze Perversität dieser Behauptung klar zu machen, lese man am Besten Jack Londons The Star Rover (Die Zwangsjacke). Dort erfährt man, wie es in Amerikas Gefängnissen tatsächlich aussah. 

Das Resultat all dessen war ein ziemlich wirres, extrem elitäres Weltbild mit stark protofaschistischem Einschlag, das seinen vielleicht deutlichsten Ausdruck in The Ashes of the Beacon gefunden hat, einer Satire in Form einer historischen Monographie aus dem 5. Jahrtausend über den Zerfall des republikanischen Systems in den längst untergegangenen und von einer Monarchie abgelösten "Connected States of America".
Hauptgrund für das Scheitern der Demokratie ist die Schwächung der staatlichen Autorität, die schließlich zur Revolte des Mobs und zum Bürgerkrieg führt. „When men perceive that nothing is restraining them but their consent to be restrained, then at last there is nothing to obstruct the free play of that selfishness which is the dominant characteristic and fundamental motive of human nature and human action respectively.
Bierce’ Karrikatur der Revolutionäre enthält alle Elemente des klassischen amerikanischen Antikommunismus: Der Sozialismus ist eine fremdländische, "unamerikanische" Idee, seine Führer sind degenerierte Verbrecher, seine Anhänger ein Haufen Faulenzer, Hobos und Versager:
 
During the latter half of the ‘nineteenth century’ there arose in the Connected States a political element opposed to all government, which frankly declared its object to be anarchy. This astonishing heresy was not of indigenous growth: its seeds were imported from Europe by the emigration or banishment thence of criminals congenitally incapable of understanding and valuing the blessings of monarchical institutions, and whose method of protest was murder. The governments against which they conspired in their native lands were too strong in authority and too enlightened in policy for them to overthrow. Hundreds of them were put to death, thousands imprisoned and sent into exile. But in America, whither those who escaped fled for safety, they found conditions entirely favorable to the prosecution of their designs. [...] They surrounded themselves with proselytes from the ranks of the idle, the vicious, the unsuccessful. They stimulated and organized discontent. Every one of them became a center of moral and political contagion. To those as yet unprepared to accept anarchy was offered the milder dogma of Socialism, and to those even weaker in the faith something vaguely called Reform.
  
Neben einigen typisch bierce’schen Idiosynkrasien – so etwa der bizarren Idee, die beginnende Emanzipation der Frauen und ihr Vordringen auf den Arbeitsmarkt seien in hohem Maße für den Konflikt zwischen Arbeit & Kapital verantwortlich – fällt in Ashes of the Beacon vor allem die Widersprüchlichkeit des ganzen Konstrukts auf. Einerseits weiß der Autor, dass im Amerika des Gilded Age der Dollar regiert, und führt manch geistreiche und witzige Attacke gegen die Raffgier der großen Konzerne. Auf besonders amüsante Weise nimmt er z.B. die Versicherungsgesellschaften aufs Korn. Andererseits macht er die "Herrschaft der Mehrheit" für alle Übel seiner Zeit verantwortlich. Die simple Wahrheit, dass die Geschicke des Landes nicht gleichzeitig von Geldsack und "Pöbel" bestimmt werden können, scheint ihm einfach nicht einleuchten zu wollen. Die Absurdität wird am offensichtlichsten, wenn er gegen die Macht der Gewerkschaften wettert:
 
Originally organized for self-protection, and for a time partly successful, these leagues became great tyrannies, so reasonless in their demands and so unscrupulous in their methods of enforcing them that the laws were unable to deal with them, and frequently the military forces of the several States were ordered out for the protection of life and property; but in most cases the soldiers fraternized with the leagues, ran away, or were easily defeated. The cruel and mindless mobs had always the hypocritical sympathy and encouragement of the newspapers and the politicians, for both feared their power and courted their favor. The judges, dependent for their offices not only on ‘the labor vote,’ but, to obtain it, on the approval of the press and the politicians, boldly set aside the laws against conspiracy and strained to the utmost tension those relating to riot, arson and murder.
  
Da reibt man sich verwundert die Augen und beginnt sich zu fragen, in welchem Land Bierce eigentlich gelebt hat. Die USA waren schon immer berüchtigt für ihre unverhohlene Klassenjustiz. Regelmäßig wurde der gesamte Staatsapparat – Bürokratie, Polizei, Nationalgarde und Gerichte – gegen die Arbeiterklasse mobilisiert. Kein größerer Streik ohne einen offensichtlich manipulierten Schauprozess gegen Arbeiterführer, von offenen Aufrufen zum Lynchmord in der bürgerlichen Presse ganz zu schweigen. Einige besonders markante Beispiele aus drei Jahrzehnten Klassenkampf mögen zur Illustration genügen: Im berüchtigten Prozess gegen die "Molly Maguires", der dem Langen Streik in den Anthrazitgruben Pennsylvanias im Jahre 1875 folgte, standen Polizisten, Ankläger und Hauptbelastungszeuge sämtlichst auf der Lohnliste der Grubenbesitzer. Wie sich ein Historiker einmal ausgedrückt hat, stellte der Staat lediglich den Gerichtssaal und den Henker zur Verfügung. Die Haymarket-Märtyrer von 1887 wurden, das musste selbst die Anklage eingestehen, ausschließlich aufgrund ihrer sozialistischen und anarchistischen Überzeugungen aufs Schaffot geschickt. Ein Verbrechen hatte man ihnen nicht nachweisen können. Die Verhandlung trug den Charakter eines obszönen Volksfestes, wobei sich Richter Joseph E. Gary zum Gaudium des bürgerlichen Publikums mit einer Schar hübscher, junger Frauen umgab, die kichernd Süßigkeiten futterten, während er selbst ostentativ die Reden von Anwälten und Angeklagten ignorierte. Und um den großen Pullman-Streik vom Juni 1894 zu brechen und die A.R.U. (American Railway Union) zu zerschlagen, wurde nicht nur die Armee gegen die Streikenden mobilisiert, sondern auch der Gewerkschaftsführer Eugene V. Debs mehr als einmal unter fadenscheinigen Begründungen ins Gefängnis geworfen und schließlich der Verschwörung und anderer Verbrechen angeklagt. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Natürlich bleiben auch die Trusts nicht verschont von Bierce’ satirischem Rundumschlag gegen die amerikanische Gesellschaft. Ihnen wirft er – völlig zurecht – vor, sie plünderten auf jede nur erdenkliche Weise die ihnen hilflos ausgelieferte Bevölkerung aus. Doch dann bekommen wir folgenden bemerkenswerten Satz zu lesen: „Had the people been honest and intelligent, as the politicians affirmed them to be, the combination of capital could have worked no public injury - would, in truth, have been a great public benefit.“ So wie Reformer vergangener Jahrhunderte vom "aufgeklärten Monarchen" die Lösung aller gesellschaftlichen Probleme erhofften, scheint in Bierce’ Augen nur der "aufgeklärte Plutokrat" zu fehlen. Freilich glaubte unser eingefleischte Pessimist selbst nicht an die Möglichkeit einer solchen Entwicklung. Doch dass sie ihm wünschenswert erschien, ist nicht ohne Bedeutung.
Welche soziale Perspektive ihren Ausdruck in The Ashes of the Beacon findet, zeigt sich schließlich besonders deutlich, wenn Bierce es zu einem Bündnis von Trusts und Gewerkschaften kommen lässt, kurz bevor das Chaos der Revolution über die "Connected States" hereinbricht:
 
[A]n ingenious malefactor, whose name has perished from history, had thought out a plan for bringing the belligerent forces together to plunder the rest of the population. In the accounts that have come down to us details are wanting, but we know that, little by little, this amazing project was accomplished. Wages rose to incredible rates. The cost of living rose with them, for employers - their new allies wielding in their service the weapons previously used against them, intimidation, the boycott, and so forth - more than recouped themselves from the general public. Their employees got rebates on the prices of products, but for consumers who were neither laborers nor capitalists there was no mercy.

Den Konsumenten auf diese Weise dem Arbeitnehmer gegenüberzustellen, würde heute widersinnig erscheinen. Doch in den USA des ausgehenden 19. Jahrhunderts existierte nach wie vor eine zahlenmäßig bedeutende Schicht von Kleineigentümern. Deren Wut und Angst findet sich in Bierce’ Satire widergespiegelt. Wie in den Artikeln des Overland Monthly haben wir auch hier den Kleinbürger vor uns, der sich zwischen der Skylla des Monopolkapitals und der Charybdis der Arbeiterbewegung hilflos gefangen sieht. In seiner Verzweifelung weiss er nicht, wohin er sich wenden soll, denn die Geschichte hat keinen Ausweg für ihn vorgesehen. Das erklärt auch die auffälligen inneren Widersprüche von Ashes of the Beacon. Bierce war ein heller Kopf und warf seinen Gegnern mit Vorliebe ihr mangelndes logisches Denkvermögen vor. Doch in dieser Geschichte verheddert er sich selbst in unauflöslichen Widersprüchen. Der Grund dafür ist klar: Eine nüchterne Analyse der Wirklichkeit hätte ihm gezeigt, dass die Klasse, mit der er sich identifizierte, zum Untergang oder jedenfalls zur völligen Bedeutungslosigkeit verurteilt war.
Wie die meisten Kleinbürger, kann es sich auch Bierce nicht verwehren, einen sehnsüchtigen Blick auf die Vergangenheit zu werfen, als der kleine Besitz noch florierte, unbehelligt von Banken, Monopolen und Gewerkschaften, und die Beziehung zwischen Herr und Knecht vom sentimentalen Schleier patriarchaler Ehrvorstellungen – er spricht von den „immemorial relations of mutual dependence and mutual esteem“ – umhüllt wurde. (17) Aber es führt kein Weg zurück in dieses biedermeierhafte Goldene Zeitalter, das wusste auch unser Zyniker. Und so verlor er sich in dem, was Jack London einmal seine "blackland idiocies" genannt hat. (18)

Faschismus ist der Tobsuchtsanfall des Kleinbürgertums, das sich in einer historischen Sackgasse sieht. Da wird "denen da oben" ohnmächtig mit der Faust gedroht und gleichzeitig munter auf die eingetreten, die unter einem stehen. Vor allem aber erwacht die Sehnsucht nach dem starken Staat, nach der schützenden und strafenden Hand, die den braven Bürger und seine kleine, bequeme Welt behütet, während sie zugleich den rebellisch gewordenen Pöbel im Zaum hält. Es stimmt traurig, den genialen Spötter Bierce, dem nichts heilig war und der sich ohne zu zögern mit der halben Welt anlegte, wie einen verängstigten Spießer nach Ruhe und Ordnung schreien zu hören. Dabei hätte er doch wirklich wissen müssen, dass das "Gesetz", vor dem er sich so eifrig verbeugte, als wäre es tatsächlich von Jahwe persönlich auf dem Sinai verkündet und in Marmortafeln gemeißelt worden, nichts anderes war als das Gesetz der "robber barons", die er so verachtete. Schlimmer noch: Er wusste es, weigerte sich jedoch, aus dieser Erkenntnis die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Der Ikonoklast als Apologet von Henker & Strick – welch Widersinn! Aber kein unerklärlicher Widersinn. Der zynisch gewordene Kleinbürger – wie kultiviert, gebildet und "unabhängig" er auch immer sein mag – ist stets auf dem Sprung, zum Faschisten zu werden. Wir brauchen bloß an Gottfried Benn oder Louis-Ferdinand Céline zu denken. Und so tief wie diese ist Ambrose Bierce denn doch nie gesunken.


(1) Vgl.: Daniel Cornford: To Save the Republic: The California Workingmen's Party in Humboldt County. In: Daniel Cornford (Hg.): Working People of California
(2) Zit. nach: Howard Zinn: A People's History of the United States. Kap 10: The Other Civil War.
(3) Vgl.: Mary Howland: The Festival of Labor. In: Overland Monthly and Out West Magazine. Vol.1; Issue 3; März 1883. S. 304-08.
(4) Ina Coolbrith: Millenium. In: Dies.: Songs from the Golden Gate. S. 150f. Die Mormonen versuchen sehr gerne, die Dichterin, die eine Nichte ihres Propheten Joseph Smith war, für sich zu vereinnahmen. In ihren Augen ist Millenium selbstverständlich ein rein religiöses Gedicht. Ich denke jedoch, dass es nicht schwer zu erkennen ist, dass sich hinter dem biblischen Szenario ein sozialer Konflikt verbirgt und nicht die Endzeitphantasien der Heiligen der Letzten Tage. Hier geht es nicht um einen weißen Christus, der aus dem Himmel auf das Dach des Tempels in Salt Lake City herabgestiegen kommt.
(5) Overland Monthly and Out West Magazine. Vol.4; Issue 24; Dezember 1884. S. 630-34.
(6) Vgl.: CAS an Lester Anderson (20.9.1934). In: Selected Letters of Clark Ashton Smith. S. 260f.
(7) H.P. Lovecraft: Das übernatürliche Grauen in der Literatur. S. 111.
(8) Ambrose Bierce: Bits of Autobiography. In: The Collected Works. Bd. 1. S. 226.
(9) Vgl.: Earl J. Hess: Ambrose Bierce, the Soldier’s Memoir, and Reconstruction. In: The Ambrose Bierce Project Journal. Vol. 3. Nr. 1.
(10) Zit. nach: James M. McPherson: What They Fought For, 1861-1865. S. 67.
(11) Ambrose Bierce: The Hesitating Veteran. In: Ders.: Shapes of Clay. In: The Collected Works. Bd. 4. S. 117.
(12) James M. McPherson: Battle Cry of Freedom. The Civil War Era. S. 414.
(13) Ambrose Bierce: Bits of Autobiography. In: The Collected Works. Bd. 1. S. 262.
(14) Ambrose Bierce: A Year’s Casualities. In: Ders.: Shapes of Clay. In: The Collected Works. Bd. 4. S. 118.
(15) Ambrose Bierce: Civilization. In: Ders.: The Shadow on the Dial and Other Essays. 39f.
(16) Ambrose Bierce: The Death Penalty. In: Ders.: The Shadow on the Dial an Other Essays. S. 135f.
(17) Ambrose Bierce: The Ashes of the Beacon. An historical monograph written in 4930. In: The Collected Works. Bd. 1. S. 18; 29-31; 75f.; 78; 82f; 72f.
(18) Vgl.: George Sterling: Rhymes and Reactions. Januar 1927.

Samstag, 20. Dezember 2014

Strandgut der Woche

Dienstag, 16. Dezember 2014

Expeditionen ins Reich der Eighties-Barbaren (VI): "The Dungeonmaster"

Jedes große Abenteuer besitzt seine Nebenquesten, und so führt uns unsere Wanderung durch die Wildnisse des Barbarenfilms der 80er diesmal zu einem Flick, der eigentlich gar nicht Teil unserer Reiseroute durch dieses Reich der Wunder und Schrecken hätte sein dürfen. The Dungeonmaster aus dem Jahre 1985 ist nämlich nicht wirklich ein Sword & Sorcery - Film. Doch wie hätte ich einem Streifen widerstehen sollen, in dessen Vorspann sage und schreibe sieben – kein Witz: SIEBEN – Regisseure genannt werden?



Obwohl das meiste von dem, was uns dieser Trailer vorzugaukeln versucht, nur wenig mit dem eigentlichen Film zu tun hat, verschafft er doch einen ganz guten Eindruck vom Look des Streifens. Ja, wir sind endgültig hinabgestiegen in die unterweltlichen Regionen des B-Movies der 80er Jahre.

Der wahre "Dungeonmaster" in dieser Welt aus zähem Pacing, bizarren Synthesizer-Sounds und ultrabilligen Spezialeffekten ist nicht der teuflische Zauberer Mestema, sondern Produzent Charles Band, einer der großen Schlockmeister des sich in diesem Jahrzehnt entfaltenden Videomarktes. Er sorgte nicht nur für die Finanzierung dieses unsäglichen Machwerks, auf sein Konto geht auch die ursprüngliche Storyidee, die dann von Allen Actor und dem schon erwähnten Regie-Kollektiv zu etwas ausgearbeitet wurde, von dem ich mich scheue, es als "Drehbuch" zu bezeichnen. Charles' Bruder Richard, der u.a. die Musik für Stuart Gordons Re-Animator (1985) und From Beyond (1986) geschaffen hat, steuerte außerdem einen reichlich uninspirierten Soundtrack bei.

Die Versatzstücke, aus denen dieser Streifen zusammengebastelt wurde, lassen sich auf so unterschiedliche Quellen wie Demon Seed (1977), Mad Max 2 (1981), Tron (1982), Fantasy- und Serienkillerflicks der Zeit sowie Gary Gygax' Dungeons & Dragons zurückführen. Eine ziemlich ungewöhnliche Mixtur, möchte man meinen. Aber das Resultat ist leider bei weitem nicht so durchgeknallt, wie man nach dieser {unvollständigen} Aufzählung der Zutaten vielleicht erwarten würde.

Computerfreak Paul (Jeffrey Byron) pflegt eine äußerst innige Beziehung zu seinem supercoolen und beinah wie eine Künstliche Intelligenz wirkenden Rechner "X-CaliBR8". Seine Freundin Gwen (Leslie Wing) – eine Aerobic-Lehrerin {Yepp, wir sind in den Eighties!} – findet das ein bisschen "creepy" und ist eifersüchtig auf das Elektronengehirn. Da entführt eines Nachts der dämonische Magier Mestema (Richard Moll) die beiden in eine andere Dimension, in der der gute Paul sieben Herausforderungen zu bewältigen hat, um die arme Gwen vor einem gar schauderhaften Schicksal zu bewahren. Mit Hilfe von "X-CaliBR8" und echt miesen "Lasereffekten" gelingt es dem zum Superkämpfer mutierten Nerd selbstverständlich, sein Mädel aus den Klauen des teuflischen Zauberers zu erretten. Auf dem Weg dorthin hat er sich nicht nur mit Stop-Motion-Monstern und Animatronic-Puppen herumzuschlagen, bei deren Anblick Ray Harryhausen und Jim Henson schamrot im Boden versunken wären, sondern u.a. auch mit einer satanistischen Heavy Metal - Band.

Was soll man zu diesem zähen und wirklich peinlichen Etwas, das da aus den Abgründen der Videowelt der 80er hervorgekrochen ist, sagen?

Zum einen: Dies ist böser, nicht unterhaltsamer Trash. In der zweiten Hälfte des gerade einmal 73 Minuten langen Films sah auch ich mich dazu gezwungen, mehrfach den schnellen Vorlauf zu nutzen, um bleibenden psychischen Schäden aufgrund konzentrierter Langeweile vorzubeugen.

Zum anderen: Letztenendes ist The Dungeonmaster nichts anderes als die filmgewordene Allmachtsfantasie eines 80er - Jahre - Nerds. Und man glaube mir, auf diesen psychologischen Einblick hätte ich gut und gerne verzichten können. 
Im Grunde läuft alles darauf hinaus, zu zeigen, dass Paul ein "echter Held" (und damit ein "echter Mann") ist, gerade weil er sich für Computer und "so 'nen Zeug" interessiert.
Man sollte eigentlich meinen, es sei verständlich, dass Gwen Pauls Vernarrtheit in "X-CaliBR8" etwas problematisch findet, doch dann verwandelt der Film sie in eine hilflose "Damsel in Distress", die von ihrem reckenhaften Nerd nur mit Hilfe seines geliebten Heimcomputers gerettet werden kann. Natürlich erweist sich Paul dabei in sämtlichen Herausforderungen als völlig überlegen, weil er ja soooo intelligent ist. Doch nicht nur das: Im finalen Faustkampf gegen Mestema darf er dann auch noch vorführen, dass er auf äußerst "männliche" Art Kinnhaken auszuteilen versteht.
Ich weiß nicht, ob ich dieses Szenario vor allem mitleidserregend, erbärmlich oder abstoßend finden soll ...

Sonntag, 14. Dezember 2014

Expeditionen ins Reich der Eighties-Barbaren (V): "The Warrior and the Sorceress"

Häufiger vielleicht als die Werke irgendeines anderen Regisseurs dienten die von Akira Kurosawa als Vorlagen für andere Filme. Die Zahl der von Sieben Samurai / Shichinin no samurai (1954) "inspirierten" Streifen ist schier unüberschaubar; die Grundidee von Rashomon (1950) wurde u.a. sogar von Star Trek: The Next Generation kopiert (S03E14: A Matter of Perspective); Die verborgene Festung / Kakushi toride no san-akunin (1958) gilt als eine der wichtigsten Inspirationsquellen für Star Wars; und auch Yojimbo (1961) hat mehr als bloß einen Nachahmer gefunden.

Am bekanntesten ist natürlich Sergio Leones Für eine Handvoll Dollar /  Per un pugno di dollari (1964), das Gründungswerk des Spaghetti-Westerns. Doch daneben wurde die Geschichte von dem Krieger, der zwei ein Dorf terrorisierende Fraktionen gegeneinander auspielt, u.a. auch in ein postapokalyptisches Szenario verpflanzt (Albert Pyuns Omega Doom [1986]) und fand ihren Weg  mit John Brodericks The Warrior and the Sorceress (1984) außerdem in die Gefilde des Sword & Sorcery - Films.



Diesen erneuten Abstecher in die eher ärmlicheren Provinzen von Filmfantasyland haben wir einmal mehr Roger Corman zu verdanken. Und ja, wer genau hinhört wird auch diesmal Überreste von James Horners Musik zu Battle Beyond the Stars entdecken können. Doch meine geneigte Leserschaft sei beruhigt, ganz so schlimm wie in Sorceress wird es diesmal nicht. Oh ja, der Flick ist ein bizarr-billiger Mischmasch aus diversen Stories und Genres, der die Aufmerksamkeit seiner Zuschauer in erster Linie durch die schier omnipräsente Nacktheit von María Socas zu fesseln versucht. Aber zumindest packte mich zu keinem Zeitpunkt das Verlangen, den Korb mit den faulen Tomaten hervorzuholen.

Das Drehbuch stammte aus der Feder von Broderick, doch hatte er die Grundstory offenbar gemeinsam mit William Stout entwickelt. Ein klassisches Beispiel von: Schuster, bleib bei deinen Leisten.

Auf dem fernen Wüstenplaneten Ura ist Wasser zum wertvollsten Besitz geworden. Das kleine Dorf Yamatar wird von zwei Banden beherrscht, deren Anführer Zeg (Luke Askew) und Bal Caz (Guillermo Marín) ständig um die Kontrolle über den einzigen Brunnen kämpfen und sich nebenbei eine goldene Nase mit Sklaven- und Waffenhandel verdienen. Eines Tages taucht der grimmige Schwertkämpfer Kain (David Carradine) in Yamatar auf. Vor Zeiten eine Art "heiliger Krieger", ist er nun nicht viel mehr als ein Söldner, der seine Klinge an den Meistbietenden verkauft. Dennoch beschließt er, dem Terrorregime der Banden und des monströsen Sklavenhändlers Burgo (Armando Capo) ein Ende zu bereiten, indem er sich erst bei dem einen Warlord, dann bei dem anderen verdingt, und dafür zu sorgen sucht, dass sich die beiden Fraktionen gegenseitig vernichten. Zumal er entdecken muss, dass Zeg die Priesterin/Zauberin Naja (María Socas) gefangen hält, die ein magisches Schwert für ihn schmieden soll.

Zwei Dinge stechen zuallererst ins Auge:
Zum einen die wild durcheinandergerührte DNA dieses Flicks: Neben den üblichen Versatzstücken des Sword & Sorcery - Films {wenn man einmal davon absieht, dass der durchschnittliche Umfang der männlichen Bizeps für einen solchen hier erstaunlich bescheiden wirkt} lassen sich unschwer Elemente des Italo-Westerns und des postapokalyptischen Films in der Nachfolge von Mad Max 2 (1981) ausmachen. Der Name unseres Helden dürfte in erster Linie als Anspielung auf Carradines Kung Fu - Charakter Kwai Chang Caine gedacht sein, weckt aber zugleich Reminiszenzen an Karl Edward Wagners klassischen S&S-Helden Kane.
Zum anderen die kuriose Tatsache, dass auf Ura scheinbar alle Frauen per göttlichem Dekret dazu verpflichtet sind, barbusig durch die Gegend zu laufen. Bei den Sklavenmädchen kann ich das ja noch verstehen, aber warum verzichtet die gute Naja auch nach ihrer Befreiung darauf, sich ein paar weitere Kleidungsstücke zu organisieren?

Man kann geteilter Meinung über David Carradines schauspielerisches Talent sein. Der Höhepunkt seiner Karriere, als er in Filmen wie Martin Scorseses Boxcar Bertha (1972) oder Hal Ashbys Bound for Glory (1976) mitgewirkt hatte, lag zu diesem Zeitpunkt bereits in ferner Vergangenheit und seine Verwandlung in den B-Movie-Star der 80er und 90er befand sich in vollem Gange. Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass der gute Mann über eine gewisse Ausstrahlung oder "Präsenz" verfügte. Gar zu viel hilft das nicht, aber wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Rolle des Kain ursprünglich für Chuck Norris konzipiert war, verspürt man doch das Bedürfnis, ein kurzes Dankgebet an die Götter des Grindhouse-Films zu flüstern. Zumindest gelingt es Carradine, der Figur einen Hauch von Desillusioniertheit und Zynismus zu verleihen, einfach, indem er sein Gesicht in die Kamera hält. Ich will gar nicht erst versuchen, mir auszumalen, wie das beim ollen Chuck ausgesehen hätte.
Alle übrigen Charaktere bleiben denkbar farblos, auch wenn ich zugeben muss, dass mir Guillermo Maríns fetter und dekadenter Bal Caz und Luke Askews eher militärisch-pseudoaristokratisch, aber auch ziemlich sadistisch anmutender Zeg irgendwie Spaß gemacht haben. Interessante Persönlichkeiten sind das sicher nicht, aber doch wenigstens einigermaßen unterhaltsame Klischeefiguren. Ihre Gefolgsleute hingegen wirken oft eher etwas lächerlich. Doch in gewisser Hinsicht ist das beinah angemessen, handelt es sich bei ihnen doch in der Tat um ziemlich erbärmliche Kreaturen, die sich vorzugsweise damit amüsieren, zerlumpte Elendsgestalten oder wehrlose Frauen zu terrorisieren oder gleich zu töten.

Der Plot ist oft etwas wirr, und mehr als einmal hatte ich das Gefühl, dem Film sei auf dem Weg ins Kino die eine oder andere Szene verloren gegangen. Ich hab' z.B. immer noch nicht kapiert, wie die von Kain befreite Naja auf einmal Bal Caz in die Hände fallen konnte. War das Teil eines Plans oder bloß ein dummer Zufall?

Das Fantasyelement ist übrigens der vielleicht größte Schwachpunkt in diesem ohnehin nicht eben grandiosen Flick. Das ganze Trara um die magische Klinge, die einzig Naja zu schmieden versteht, wirkt nicht nur äußerst aufgesetzt, sondern erweist sich letztenendes auch als völlig bedeutungslos. Denn als das Schwert schließlich tatsächlich hergestellt und Kain übergeben wird, zeigt es keinerlei "magische" Eigenschaften. Der Krieger hätte den finalen Kampf ebensogut mit seinem eigenen Schwert bestreiten können. Nur in einigen neckischen Details erweist sich das phantastische Element als fruchtbar. So fand ich z.B. Bal Caz' Schoßtier/Berater/Liebling, der einer Kreuzung aus Waran, zweibeinigem Minidrachen und einem degenerierten Verwandten von Kermit dem Frosch ähnelt, ausgesprochen liebenswert. Auch beglückt uns The Warrior and the Sorceress ein halbes Jahrzehnt vor Star Trek V: The Final Frontier (1989) und Total Recall (1990) mit einer vierbrüstigen Stripperin. {Und hey, die Mädels in diesen beiden Filmen bringen es bloß auf drei!} Und dann gibt es da natürlich auch noch das tentakelbewehrte Ungeheuer, das Najas Zelle bewacht. Statt {wie vermutlich beabsichtigt} an irgendwelche lovecraftianischen Monstrositäten musste ich bei seinem Anblick an Audrey II aus Little Shop of Horrors denken. Und ich bin stets dankbar, wenn man positive Erinnerungen in mir weckt.

Es fällt mir schwer, zu entscheiden, ob ich eine Empfehlung für diesen Streifen aussprechen soll. Er bewegt sich irgendwo in den interdimensionalen Räumen zwischen "billig, aber unterhaltsam", "grottenschlecht" und "so mies, dass es wieder großartig ist". 

Samstag, 13. Dezember 2014

Strandgut der Woche