Gerüchte wie diese hat man stets mit einer ordentlichen Dosis an Skepsis zu betrachten, aber wenigstens handelt es sich einmal nicht um irgendwelche zu Neuigkeiten aufgeblähten Nichtigkeiten über Star Wars VII oder Superman vs Batman:
Vor einer Woche erschien ein Artikel in der Los Angeles Times, demzufolge Chernin Entertainment (Rise of the Planet of the Apes) und Fox Searchlight die Produktion eines Films über das Leben von J.R.R. Tolkien planen. Das Script soll aus der Feder von David Gleeson stammen, der vor allem für den irischen Indie-Streifen Cowboys and Angels (2003) bekannt ist. Weitere Informationen sind äußerst spärlich gesät. Vor allem weiß man nicht, inwieweit das Tolkien Estate in diese Pläne involviert ist. Angesichts der Tatsache, dass selbiges dafür bekannt ist, mit Argusaugen über Werk und "Ruf" des "Professors" zu wachen, eine wichtige Frage. Das Bisschen, was über den Inhalt des geplanten Streifens bekannt ist, stammt wie so oft von einem ominösen "namenlosen Insider":
Leider jedoch haben sich fast alle biographischen Filme, die Hollywood in den letzten zwanzig Jahren produziert hat, meiner Meinung nach als oberflächlich und ziemlich enttäuschend erwiesen. Verantwortlich für diesen traurigen Zustand scheinen mir in erster Linie ein mangelndes Verständnis und Interesse für Geschichte und dafür zu sein, wie gesellschaftliche Entwicklungen ihren Ausdruck im Leben individueller Menschen finden. Viele Regisseure und Drehbuchautoren glauben offenbar, dass es bei der Darstellung vergangener Epochen hauptsächlich darauf ankomme, deren Äußeres möglichst perfekt zu kopieren. So bekommen wir im Kino zwar häufig sehr schöne Nachahmungen von Kleidermoden, Assecoires, Architektur, Interieurs, Automodellen usw. der Vergangenheit zu sehen, fast nie jedoch hat man dabei das Gefühl, die Schöpfer dieser Filme hätten ein tieferes Verständnis für den Charakter und die Bedeutung der entsprechenden Ära besessen. Geschichte dient ihnen oftmals nur als bunte Kulisse für persönliche Dramen, die selbst so gut wie nichts mit den allgemeineren gesellschaftlichen Entwicklungen der Zeit zu tun zu haben scheinen. Bei den Biopics führt das dazu, dass diese selten irgendetwas substanzielles zu unserem Verständnis der Bedeutung von Leben und Werk der Persönlichkeiten beitragen, um die es in ihnen geht.
Schlimmer noch – auf eine bloße Ansammlung persönlicher Episoden und Konflikte reduziert, erweist sich das Leben vieler berühmter Männer und Frauen als ziemlich banal und langweilig. Im Falle Tolkiens stellt sich dieses Problem mit besonderer Schärfe. Die LA Times schreibt zwar, er habe "a complicated and colorful life" geführt, aber jeder, der sich ein Bisschen mit der Biographie des "Professors" auskennt, weiß, dass diese Charakterisierung wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat. Humphrey Carpenter beginnt das vierte Kapitel seiner Tolkienbiographie mit folgender, sehr viel treffenderer Schilderung:
In intellektueller und künstlerischer Hinsicht spielten sich in den Oxforder Jahren natürlich sehr wohl äußerst interessante Dinge ab. Immerhin trafen im Kreis der Inklings mit Tolkien, C.S. Lewis und Charles Williams drei sehr markante Künstler, Denker und Persönlichkeiten aufeinander. Daneben wäre es ohne Zweifel recht erhellend, einen kurzen Blick auf die damals dominierende Strömung in der englischen Literatur zu werfen, von der diese sich ganz bewusst abzugrenzen versuchten: Den Modernismus eines T.S. Eliot, die "linke", radikale Lyrik eines W.H. Auden oder Stephen Spender. Doch selbst wenn sie sich dem Leben eines Schriftstellers oder einer Schriftstellerin zuwenden, tendieren heutige Biopics dazu, genau diese Themen nicht oder nur äußerst oberflächlich anzusprechen. Wie David Walsh 2003 in seiner Kritik von Christine Jeffs Sylvia geschrieben hat:
Dazu passt recht gut, was der anonyme "Informant" über den angeblichen Inhalt von Gleesons Script zu sagen hat. Zumindest was den Fokus auf die Ereignisse des 1. Weltkriegs betrifft.
Die Schlacht an der Somme im November 1916 – eines der fürchterlichsten Gemetzel des Großen Krieges – war ohne Zweifel ein prägendes Erlebnis in Tolkiens Leben. Sie zu einem der Schwerpunkte eines Biopics zu machen, halte ich dennoch nicht wirklich für wünschenswert.
Zum einen fürchte ich, dass der Grund für diesen Fokus nicht darin bestehen wird, dass man den Einfluss, den die Hölle des Stellungskriegs und des mechanisierten Massenschlachtens auf Tolkiens persönliche und künstlerische Entwicklung gehabt hat, ernsthaft untersuchen will. Der Krieg bietet ganz einfach sehr viel mehr Möglichkeiten für das Inszenieren erwähnter "spektakulärer" Episoden. Und wenn ich auf Tor.com lesen muss, "everyone's darling" Benedict Cumberbatch sei für die Rolle des jungen Tolkien doch vorzüglich geeignet, "[because] we can attest that [he] looks great in WWI regalia", dann fürchte ich, dass es im geekigen Zielpublikum genug Leute gibt, die genau so was serviert bekommen wollen.
Zum anderen habe ich das Gefühl, dass man sich in den letzten Jahren ein Bisschen zu sehr auf den 1. Weltkrieg als das entscheidende Erlebnis in Tolkiens Leben konzentriert hat. Dadurch sind nicht nur frühere, sehr persönliche Erfahrungen, wie die vier Jahre in Sarehole Mill (1896-1900) – dem später zum Auenland idealisierten Dorf in der Nähe von Birmingham – oder der frühe Tod der Mutter im Jahre 1904, ein wenig in Vergessenheit geraten. Diese Fokussierung hat außerdem dazu geführt, dass man die von äußerst heftigen sozialen Konflikten geprägte Nachkriegszeit als prägenden Faktor völlig aus den Augen verloren hat. Doch gerade sie, in der die traditionelle gesellschaftliche Ordnung in Großbritannien am Rande des Zusammenbruchs zu stehen schien, scheint mir äußerst wichtig zum Verständnis von Tolkiens Entwicklung und Kunst. Ein Thema, auf das ich bei Gelegenheit hoffentlich etwas genauer eingehen werde.
{Ich beabsichtige nach wie vor, meine Reihe über Tolkien und den romantischen Antikapitalismus fortzusetzen und irgendwann auch abzuschließen ...}
Vor einer Woche erschien ein Artikel in der Los Angeles Times, demzufolge Chernin Entertainment (Rise of the Planet of the Apes) und Fox Searchlight die Produktion eines Films über das Leben von J.R.R. Tolkien planen. Das Script soll aus der Feder von David Gleeson stammen, der vor allem für den irischen Indie-Streifen Cowboys and Angels (2003) bekannt ist. Weitere Informationen sind äußerst spärlich gesät. Vor allem weiß man nicht, inwieweit das Tolkien Estate in diese Pläne involviert ist. Angesichts der Tatsache, dass selbiges dafür bekannt ist, mit Argusaugen über Werk und "Ruf" des "Professors" zu wachen, eine wichtige Frage. Das Bisschen, was über den Inhalt des geplanten Streifens bekannt ist, stammt wie so oft von einem ominösen "namenlosen Insider":
“Tolkien,” as the project is tentatively called, will examine the author’s life, particularly his formative years at Pembroke College and as a soldier in World War I, and how it influenced him and his work, according to a person familiar with the project who was not authorized to talk about it publicly.Im Prinzip könnte ein Tolkien-Biopic sehr interessant sein, böte sich damit doch die Gelegenheit, einige der persönlichen und gesellschaftlichen Faktoren zu beleuchten, die zur Entstehung des bis heute wohl berühmtesten und einflussreichsten Werkes der Fantasyliteratur führten.
Leider jedoch haben sich fast alle biographischen Filme, die Hollywood in den letzten zwanzig Jahren produziert hat, meiner Meinung nach als oberflächlich und ziemlich enttäuschend erwiesen. Verantwortlich für diesen traurigen Zustand scheinen mir in erster Linie ein mangelndes Verständnis und Interesse für Geschichte und dafür zu sein, wie gesellschaftliche Entwicklungen ihren Ausdruck im Leben individueller Menschen finden. Viele Regisseure und Drehbuchautoren glauben offenbar, dass es bei der Darstellung vergangener Epochen hauptsächlich darauf ankomme, deren Äußeres möglichst perfekt zu kopieren. So bekommen wir im Kino zwar häufig sehr schöne Nachahmungen von Kleidermoden, Assecoires, Architektur, Interieurs, Automodellen usw. der Vergangenheit zu sehen, fast nie jedoch hat man dabei das Gefühl, die Schöpfer dieser Filme hätten ein tieferes Verständnis für den Charakter und die Bedeutung der entsprechenden Ära besessen. Geschichte dient ihnen oftmals nur als bunte Kulisse für persönliche Dramen, die selbst so gut wie nichts mit den allgemeineren gesellschaftlichen Entwicklungen der Zeit zu tun zu haben scheinen. Bei den Biopics führt das dazu, dass diese selten irgendetwas substanzielles zu unserem Verständnis der Bedeutung von Leben und Werk der Persönlichkeiten beitragen, um die es in ihnen geht.
Schlimmer noch – auf eine bloße Ansammlung persönlicher Episoden und Konflikte reduziert, erweist sich das Leben vieler berühmter Männer und Frauen als ziemlich banal und langweilig. Im Falle Tolkiens stellt sich dieses Problem mit besonderer Schärfe. Die LA Times schreibt zwar, er habe "a complicated and colorful life" geführt, aber jeder, der sich ein Bisschen mit der Biographie des "Professors" auskennt, weiß, dass diese Charakterisierung wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat. Humphrey Carpenter beginnt das vierte Kapitel seiner Tolkienbiographie mit folgender, sehr viel treffenderer Schilderung:
Und dann [nach 1925], so könnte man sagen, geschah eigentlich nichts mehr. Tolkien kam wieder nach Oxford, war dort zwanzig Jahre lang Rawlinson- und Bosworth-Professor für Angelsächsisch, wurde dann zum Merton-Professor für Sprache und Literatur gewählt, ließ sich in irgendeinem Oxforder Vorort nieder, wo er die ersten Jahre nach seiner Pensionierung lebte, zog dann in ein Seebad, über das auch nichts zu sagen ist, kehrte nach dem Tod seiner Frau nach Oxford zurück und starb dort im Alter von 81 Jahren eines friedlichen Todes. Es war ein normales, belangloses Leben, gleich dem zahlloser anderer Gelehrter [...]Was äußere Ereignisse betrifft, war Tolkiens Leben nach seiner Rückkehr aus dem 1. Weltkrieg einfach nicht besonders spannend.
In intellektueller und künstlerischer Hinsicht spielten sich in den Oxforder Jahren natürlich sehr wohl äußerst interessante Dinge ab. Immerhin trafen im Kreis der Inklings mit Tolkien, C.S. Lewis und Charles Williams drei sehr markante Künstler, Denker und Persönlichkeiten aufeinander. Daneben wäre es ohne Zweifel recht erhellend, einen kurzen Blick auf die damals dominierende Strömung in der englischen Literatur zu werfen, von der diese sich ganz bewusst abzugrenzen versuchten: Den Modernismus eines T.S. Eliot, die "linke", radikale Lyrik eines W.H. Auden oder Stephen Spender. Doch selbst wenn sie sich dem Leben eines Schriftstellers oder einer Schriftstellerin zuwenden, tendieren heutige Biopics dazu, genau diese Themen nicht oder nur äußerst oberflächlich anzusprechen. Wie David Walsh 2003 in seiner Kritik von Christine Jeffs Sylvia geschrieben hat:
It seems reasonable as a first principle that a film about a writer should treat the subject of writing and a film about a specific writer should treat the specific subject of his or her writing. The refusal of the Plath-Hughes estate to grant the filmmakers the rights to Plath’s poetry was certainly an obstacle, but not an insurmountable one. There is still the matter of her themes (the sole reference to which I will discuss below) and the overall content of her poetry, as well as broader questions: what were the thoughts and feelings that went into her work and what were the social and psychological roots of those thoughts and feelings? What did she think about other writers? How did she view poetry and art in the middle of the 20th century? She was a bright woman, an intellectual, she had opinions. The two poets, Plath and Hughes, lived together for seven years. They must have exchanged some ideas, about art, about politics, about love, about something of substance. We hear next to none of them. [...]Ich finde es darum auch sehr bezeichnend, dass mehrere der Artikel über das geplante Tolkien-Biopic erwähnen, Tolkien sei "a code breaker in waiting during World War II" gewesen oder von der Regierung zum "spy and Nazi codebreaker" ausgebildet worden. Tatsächlich nahm der gute Professor im März 1939 an einem dreitägigen Probekurs der Government Code and Cypher School (GCCS) teil. Doch eine weitergehende Schulung durch den Geheimdienst lehnte er aus unbekannten Gründen ab. Eine interessante Anekdote, aber auch nicht viel mehr. Wenn sich die Verfasser erwähnter Artikel dennoch auf sie gestürzt haben, scheint mir das zu bestätigen, dass viele Leute von einem biographischen Film heutzutage erwarten, er solle ihnen in erster Linie "spannende" oder "spektakuläre" Episoden aus dem Leben der betreffenden Person präsentieren.
Art is too complex or troubling a subject for most modern filmmakers to examine in any depth. Consciously or not, he or she tends to view it in the most limited manner, merely as a career or at best a means of “self-expression.” That art is one of the means – through images, not the axioms or laws of science – by which human beings collectively find their bearings in the world, that the artist is forcefully called upon to probe reality deeply and critically ... these are foreign concepts in the film world today.
Dazu passt recht gut, was der anonyme "Informant" über den angeblichen Inhalt von Gleesons Script zu sagen hat. Zumindest was den Fokus auf die Ereignisse des 1. Weltkriegs betrifft.
Die Schlacht an der Somme im November 1916 – eines der fürchterlichsten Gemetzel des Großen Krieges – war ohne Zweifel ein prägendes Erlebnis in Tolkiens Leben. Sie zu einem der Schwerpunkte eines Biopics zu machen, halte ich dennoch nicht wirklich für wünschenswert.
Zum einen fürchte ich, dass der Grund für diesen Fokus nicht darin bestehen wird, dass man den Einfluss, den die Hölle des Stellungskriegs und des mechanisierten Massenschlachtens auf Tolkiens persönliche und künstlerische Entwicklung gehabt hat, ernsthaft untersuchen will. Der Krieg bietet ganz einfach sehr viel mehr Möglichkeiten für das Inszenieren erwähnter "spektakulärer" Episoden. Und wenn ich auf Tor.com lesen muss, "everyone's darling" Benedict Cumberbatch sei für die Rolle des jungen Tolkien doch vorzüglich geeignet, "[because] we can attest that [he] looks great in WWI regalia", dann fürchte ich, dass es im geekigen Zielpublikum genug Leute gibt, die genau so was serviert bekommen wollen.
Zum anderen habe ich das Gefühl, dass man sich in den letzten Jahren ein Bisschen zu sehr auf den 1. Weltkrieg als das entscheidende Erlebnis in Tolkiens Leben konzentriert hat. Dadurch sind nicht nur frühere, sehr persönliche Erfahrungen, wie die vier Jahre in Sarehole Mill (1896-1900) – dem später zum Auenland idealisierten Dorf in der Nähe von Birmingham – oder der frühe Tod der Mutter im Jahre 1904, ein wenig in Vergessenheit geraten. Diese Fokussierung hat außerdem dazu geführt, dass man die von äußerst heftigen sozialen Konflikten geprägte Nachkriegszeit als prägenden Faktor völlig aus den Augen verloren hat. Doch gerade sie, in der die traditionelle gesellschaftliche Ordnung in Großbritannien am Rande des Zusammenbruchs zu stehen schien, scheint mir äußerst wichtig zum Verständnis von Tolkiens Entwicklung und Kunst. Ein Thema, auf das ich bei Gelegenheit hoffentlich etwas genauer eingehen werde.
{Ich beabsichtige nach wie vor, meine Reihe über Tolkien und den romantischen Antikapitalismus fortzusetzen und irgendwann auch abzuschließen ...}
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