"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."
Heute vor fünfundsiebzig Jahren, am Abend des 30. Oktober 1938, strahlte CBS Radioals Teil der Serie The Mercury Theatre On Air eine Adaption von H.G. Wells' The War of the Worlds aus. Ein Ereignis, das zur Legende werden sollte. Das von Orson Welles geschaffene Hörspiel ahmte – von seinem Schlussteil abgesehen – das Format zeitgenössischer Radioberichterstattungen nach, und viele, die erst zwischendurch eingeschaltet hatten, glaubten offenbar, eine authentische Nachrichtensendung über den Beginn einer marsianischen Invasion zu hören. Berichte über den Ausbruch einer Massenpanik scheinen nach neueren Erkenntnissen zwar übertrieben gewesen zu sein, doch kann kein Zweifel darüber bestehen, dass War of the Worlds auf sehr effektvolle Weise die Ängste vieler Amerikaner der Zeit ansprach. Der Aufstieg des Faschismus in Europa, der Spanische Bürgerkrieg, der immer aggressivere Expansionsdrang des Dritten Reiches, die Zerstückelung der Tschechoslowakai, die Invasion Chinas durch die japanische Armee – Nachrichten wie diese schürten verständlicherweise die Furcht vor dem Ausbruch eines neuen weltweiten Krieges zwischen den Großmächten. Eines Krieges, der irgendwann auch die Vereinigten Staaten erreichen könnte.
In den Jahren zuvor hatte Orson Welles sich bereits einen Namen als genialer und innovativer Theaterregisseur gemacht. Dabei hatte er zuerst im Rahmen des Federal Theatre Project*gearbeitet, um 1937 schließlich das Mercury Theatre zu gründen. Zu seinen größten Erfolgen gehörten eine Inszenierung von Macbeth mit dem afroamerikanischen Ensemble der Negro Theatre Unit**, eine stark von neuartiger Lichtregie geprägte Adaption von Christopher Marlowes The Tragical History of Dr. Faustus, die Uraufführung von Marc Blitzsteins "Arbeiteroper" The Cradle Will Rock sowie eine Inszenierung von Shakespeares Julius Caesar, bei der die Handlung in das faschistische Italien der Gegenwart verlegt worden war.
Daneben hatte Welles seit 1934 regelmäßig für das Radio gearbeitet. Dem breiten Publikum am bekanntesten war er vermutlich als die Stimme von Lamon Cranston, dem Helden der äußerst populären Abenteuerserie The Shadow. Ab Juli 1938 präsentierten er und das Ensemble des Mercury Theatre dann allwöchentlich die Adaption eines großen Werkes der Weltliteratur, von Bram Stokers Dracula und Charles Dickens' A Tale of Two Cities über Alexandre Dumas' Count of Monte Christo und Chestertons The Man Who Was Thursday bis zu Charlotte Brontës Jane Eyre und Jules Vernes Around the World in Eighty Days. Am 30. Oktober war schließlich The War of the Worlds an der Reihe:
Wells' 1898 veröffentlichter Roman besitzt eine faszinierende Ambiguität. Einerseits steht er in der Tradition der sog. "Invasion Literature", die heute zwar weitgehend vergessen sein dürfte, der wir mit Sakis When William Came aber zumindest ein Meisterwerk verdanken und ohne die Kim Newman vielleicht nie Anno Dracula geschrieben hätte. In Reaktion auf Preußens Sieg über Frankreich 1871 und den darauf folgenden raschen Aufstieg des Deutschen Reiches zu einer ökonomischen, politischen und militärischen Großmacht erschienen in Großbritannien eine Reihe von Romanen, die eine Invasion Englands durch eine fremde Macht schilderten. Angesichts des neuen und aggressiven Rivalen wollten die Verfasser dieser Bücher das britische Publikum aus seiner trägen Selbstzufriedenheit reißen. Spuren davon finden sich auch in War of the Worlds, doch beabsichtigte Wells offenbar zugleich, seinen Lesern vor Augen zu führen, wie sich irgendwelche "primitiven" und "zurückgebliebenen" Völker fühlen mussten, wenn die Kanonenschiffe des Empire vor ihrer Küste auftauchten, indem er im Herzen des britischen Weltreichs plötzlich die Streitmacht eines technisch unendlich überlegenen Eroberers auftauchen ließ.
In Orson Welles' Adaption findet sich kaum etwas von dieser Ambiguität, was einerseits schade, andererseits aber auch verständlich ist. Die US-Amerikaner von 1938 fühlten sich, anders als die Briten von 1898, nicht als die Bürger eines Imperiums, das zur Weltherrschaft ausersehen war. Die Große Depression hatte unter ihnen vielmehr entweder ein Gefühl tiefer Verunsicherung verbreitet oder sie in immer heftigere soziale Kämpfe verstrickt. Es ist darum nur logisch, dass das Hörspiel den imperialismuskritischen Subtext seiner Vorlage nicht aufgreift. Was nicht heißen soll, dass es sich bei ihm um eine oberflächliche oder uninteressante Version des Stoffes handeln würde. Und mit der Figur des ehemaligen Milizionärs, dem Professor Pierson im Schlussteil begegnet, enthält es zumindest eine relativ deutliche Kritik am uramerikanischen Ideal des "rugged individualist".
Im Oktober 1940 trafen sich Orson Welles und H.G. Wells in San Antonio (Texas). Die Begegnung wurde vom örtlichen Radiosender KTSA festgehalten:
The War of Worlds und die angeblich durch die Sendung ausgelöste Massenpanik machten Orson Welles zu einer nationalen Berühmtheit, was mit ein Grund für das außergewöhnliche Angebot von RKO Radio Pictures gewesen sein dürfte, das den Regisseur schließlich nach Hollywood lockte, wo er am 29. Juni 1940 mit den Dreharbeiten an Citizen Kane begann ...
P.S.: Wer das Script des Hörspiels einmal nachlesen möchte, kann dies hier tun.
* Eines der von der Works Progress Agency finanzierten künstlerischen Programme, die Teil des New Deal waren. ** Hier kann man sich die einzigen erhaltenen Filmaufnahmen dieser legendären Inszenierung anschauen.
Cthulhu von Dan Gildark und Grant Cogswell ist ein sehr ehrgeiziger Film. Aus diesem Ehrgeiz bezieht er seine Stärke, an ihm scheitert er letztendlich aber auch.
Doch bevor wir ihn uns ein bisschen genauer anschauen, scheint es mir nötig, ein paar Worte über die extrem negativen Reaktionen zu verlieren, die der Streifen nach seiner Premiere auf dem Seattle International Film Festival im Juni 2007 vielerortens ausgelöst hat. Nun ist es ja nicht so, als gäbe es massenhaft gelungene Lovecraftadaptionen. Die Fangemeinde dürfte eigentlich schon so einiges gewohnt sein. Warum also schlug gerade Cthulhu soviel Hass und Verachtung entgegen? Schaut man sich ein wenig im Netz um, so scheint es vor allem drei Argumente zu geben, die immer wieder gegen den Streifen vorgebracht werden: 1) Der Titel ist irreführend, da der tentakelbewehrte Herr von R'lyeh überhaupt nicht in ihm auftritt. Schlimmer noch – abgesehen von einigen nur kurz und schemenhaft auszumachenden Kreaturen in den Gewölben unter der Stadt, tauchen überhaupt keine Monster in ihm auf. 2) Der Film spielt nicht im neuenglischen "Lovecraft-Country", sondern an der amerikanischen Pazifikküste. 3) Die Homosexualität des Protagonisten nimmt einen viel zu großen Raum in der Geschichte ein. Und überhaupt – warum ist der Typ schwul? Keines dieser Argumente ist für mich nachvollziehbar. 1) Ich werde etwas später darlegen, warum ich den Titel eigentlich sehr treffend finde, doch davon einmal abgesehen, finde ich es depremierend, dass so viele Lovecraftfans mit dem Namen des alten Gentlemans offenbar ausschließlich irgendwelche schleimigen Monstrositäten verbinden. Von denen gibt es in seinen Geschichten mehr als genug, aber ist der Cthulhu-Mythos im Kern nicht außerdem eine Metapher für ein bestimmtes Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeit und der menschlichen Existenz? Und gerade diese metaphorische Ebene haben Gildark und Cogswell filmisch umzusetzen versucht, was man von den wenigsten anderen Filmemachern, die sich an einer Lovecraftadaption versucht haben, behaupten kann. 2) In der Tat spielt das neuenglische Setting eine wichtige Rolle für die Atmosphäre von Lovecrafts Geschichten. Doch Cthulhu ist der Versuch einer modernen Adaption, und das muss ganz automatisch zu einer veränderten Atmosphäre führen. Hätte man den Film im Massachusetts des beginnenden 21. Jahrhunderts gedreht, wäre das dem Setting der Geschichten auch nicht viel näher gekommen. Ich nehme nicht an, dass das heutige Salem sehr viel Ähnlichkeit mit Lovecrafts Arkham hat. {Macht der Umstand, dass Stuart Gordons Re-Animator (1985) im fiktiven Arkham/Massachusetts spielt, den Flick irgendwie zu einer werkgetreueren Adaption von Herbert West – Re-Animator? Wohl eher nicht. Was nichts über seine Qualität aussagen soll ...} 3) Ja, die sexuelle Orientierung des Protagonisten ist ein zentrales Motiv der Geschichte, und wie wir noch sehen werden aus gutem Grund. Wenn viele damit ein so großes Probem zu haben scheinen, fallen mir dafür eigentlich bloß zwei Gründe ein. Entweder sie interessieren sich ganz allgemein nicht für Horrorfilme, in denen die menschlichen Charaktere – ihre Gefühle und Geschichten – eine wichtige Rolle spielen. Was sie sich wünschen sind ausschließlich Monster & Gemetzel. Das ist ihr gutes Recht, aber dann dürfte ihnen ein Gutteil des cineastischen Grusels nicht munden. Solchen Leuten würde ich z.B. ganz sicher nie Jack Claytons & Truman Capotes The Innocents – einen meiner Lieblingshorrorfilme – vorspielen. Oder aber {und leider ist das nicht so unwahrscheinlich} – hier spielen homophobe Vorurteile mit hinein. Es ist ihnen einfach unangenehm, wenn sie in einem Horrorstreifen eine schwule Sexszene zu sehen bekommen.
Wie angedeutet ist Cthulhu in mancherlei Hinsicht sicher ein misslungener Film. Dennoch lohnt es sich, ihn anzuschauen. Vorausgesetzt man interessiert sich für intelligenten Horror und glaubt, dass auch phantastische Kunst der Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit dienen sollte.
Drehbuchschreiber Grant Cogswell ist eine faszinierende und schillernde Persönlichkeit. Der 1967 in Los Angeles geborene Autor, Musikkritiker, Dichter* und Aktivist hat seine Kindheit einmal als "die Hölle" beschrieben. Seine Eltern trennten sich, als er vier Jahre alt war, und er wuchs bei seinem Vater auf, der als Vertreter eines Flugzeugbauers (und geheimer Mitarbeiter der CIA) von einem europäischen Land zum anderen reiste. Die unsteten Verhältnisse, die Abwesenheit der Mutter, der Alkoholismus des Vaters hinterließen in Cogswell ein tiefes Gefühl der Einsamkeit und Heimatlosigkeit. 1984 kehrte die Familie nach Kalifornien zurück, doch die verlorene Heimat, die der Siebzehnjährige in LA zu finden gehofft hatte, existierte nicht mehr. Nach dem Abschluss des Collegestudiums zog er 1994 nach Seattle. Hier glaubte er, das finden zu können, was ihm bislang verwehrt geblieben war: Eine Gemeinschaft, in die er sich einfügen, ein Zuhause, in dem er Wurzeln schlagen konnte. Dieses Verlangen dürfte der emotionale Motor für seinen bald einsetzenden kommunalpolitischen Aktivismus gewesen sein. 1996 wurde er zum wichtigsten Organisator der Initiative Citizens for More Important Things, die den mit Steuergeldern finanzierten Bau eines neuen Baseballstadiums zu verhindern versuchte. In gerade mal zwei Monaten gelang es 74.000 Unterschriften für eine entsprechende Petition zu sammeln. Doch musste Cogswell schon bald die Erfahrung machen, dass auch in Seattle die Wünsche millionschwerer Unternehmen mehr zählen als die einfacher Bürger und Bürgerinnen. Der Stadtrat ließ das Stadium trotzdem bauen. Als nächstes stürzte er sich in eine Kampagne für eine umweltfreundliche Einschienenbahn und erreichte es, dass eine entsprechende Initiative im September 1997 die Unterstützung der Mehrheit der Wählerschaft erhielt. Zur Feier seines "Sieges" ließ Cogswell sich das Stadtsiegel von Seattle auf die Schulter tätowieren. Offenbar glaubte er, endlich die ersehnte "Heimat" gefunden zu haben. Die Enttäuschung muss um so grausamer gewesen sein, als er miterleben musste, wie der vom Wählerwillen geforderte Bau der Bahn von den politischen Klüngeln im Stadtrat verschleppt und sabotiert wurde. Nachdem er 1999 an den Massenprotesten gegen die WTO-Konferenz in Seattle teilgenommen hatte, startete Cogswell 2001 seine ehrgeizigste politische Aktion. Unterstützt von Phil Campbell, den er über die alternative Wochenzeitung The Stranger kennengelernt hatte, für die beide ab und an Artikel schrieben, trat er als unabhängiger Kandidat zu den Stadtratswahlen an. Ihre Kampagne war erstaunlich erfolgreich, und am Ende unterlag Cogswell dem demokratischen Amtsinhaber Richard McIver mit gerade einmal 45 gegen 55 Prozent der abgegebenen Stimmen. Stephen Gyllenhaal hat aus dieser Geschichte 2011 den Film Grassrootsgemacht.**
Seine wenn auch knappe Wahlniederlage markierte den Endpunkt in Cogswells Karriere als politischer Aktivist. Stress, Enttäuschungen und öffentliche Anfeindungen hatten über die Jahre deutliche Spuren bei ihm hinterlassen. Und als wäre dies noch nicht genug gewesen, kam es zur selben Zeit auch noch zur Trennung von seiner damaligen Lebensgefährtin. Doch das wichtigste war wohl, dass sein Traum von Seattle als einer echten "Heimat" gestorben war. Wie er später einmal erklärte: "I didn’t give up because I lost. I gave up because I
saw it was a place where I wouldn’t be able to get anything done ..." Und: "[T]he cynicism
and false progressive stance of Seattle burnt out my hope for that
place." Als schließlich nach langem hin und her im Juni 2005 auch noch das Einschienenbahnprojekt endgültig scheiterte, war der Tiefpunkt in Cogswells persönlicher Krise erreicht:
When it finally did
crash, I walked around in tears for a week. My vision of what I was
doing with my life, my future, my identity as a poet– they were all
wrapped up in it. That’s when I gave up on Seattle. It was my muse. I
haven’t written poetry since.
Depression und Selbstmordgedanken erfüllten den Autor, und es war sicher kein Zufall, dass die Idee für Cthulhu in eben dieser Zeit entstand.
Erstmals kennengelernt hatten sich Grant Cogswell und Dan Gildark 1995. Doch inzwischen hatte letzterer nach einigen bizarren Abenteuern in Jugoslawien und Tschechien seine Ausbildung am Northwest Film Center in Portland beendet, und als die beiden 2003 ihre Freundschaft erneuerten, dauerte es nicht lange und sie beschlossen, gemeinsam einen Film zu drehen. Wie es Cogswell in einem Interview beschrieben hat:
In 2003, my girlfriend broke up with me, I lost my job and my
apartment, and I was living on his [Gildark's] floor. The Iraq war was starting,
and we were watching it on a little cheap black and white TV, which made
it feel like Night of the Living Dead.
I was at a point in my life when I was very open to doing whatever
was next, and he said "I want to make a movie and I want you to write
it." [...] We wanted to make a piece of art that said something about our alarm
over the political condition of the country. And we wanted people to
see it, we wanted it to be visceral and intense [...]
Die Entscheidung, sich dabei des Horrorformats zu bedienen, war anfangs eher pragmatisch motiviert. Keiner der beiden war ein echter Fan. Im Gegenteil, wie Gildark später zugegeben hat: "[W]e didn't really respect the genre." Doch wenn sie ein möglichst großes Publikum erreichen wollten, schien es nur sinnvoll, ein populäres Format zu verwenden. Diese Einstellung änderte sich etwas, nachdem Cogswell sich entschieden hatte, die Erzählungen Lovecrafts als Inspirationsquelle zu benutzen.
After signing on, I spent a summer as caretaker of the weird
triangular modernist house in the woods under St. Mark's Cathedral. The
road was closed for construction and freeway noise absorbed every
sound, including the alarm when I was burglarized. I slept with a
baseball bat. We threw parties, bands playing at concert volume until
dawn. Across the street was a row of condos condemned after the
mudslides of '97, filled with bottles, bags of feces, and burnt
cardboard, all of it slowly sliding under the 5, abandoned to the
bad-crazy drifters the other homeless feared. In 10 days I
typed a 200-page draft of a "Gothic, apocalyptic, anti-Bush gay horror"
script (no idea what I was doing) titled The Festival. Then
the title changed to Leviathan, then Mayday, and
then, most improbably, Cthulhu.
Cogswell hat den langen Weg zur Produktion und Fertigstellung des Films 2008 in einem Artikel für The Stranger ebenso ausführlich wie lebendig geschildert. Eine spannende Lektüre, vor allem dank des wenig romantisch anmutenden Bildes, das der Autor dabei von einem Milieu auf dem schmalen Grat zwischen Bohème und Obdachlosigkeit zeichnet. Zum Verständnis von Cthulhu ist gerade dies von einiger Bedeutung.
Auf den ersten Blick könnte es seltsam erscheinen, dass zwei linke Bohèmiens wie Cogswell und Gildark etwas ihnen verwandtes in Lovecrafts Werk entdeckten. Immerhin war der Gentleman von Providence ein extremer Rechter, dessen elitäre und rassistische Überzeugungen in vielen seiner Erzählungen einen recht deutlichen Niederschlag gefunden haben. Aber im Grunde ist das gar nicht so verwunderlich. Trotz diametral entgegengesetzter ideologischer Standpunkte haben sie in anderer Hinsicht doch sehr viel gemein. Lovecraft war ebenfalls ein Bohèmien, wenn schon nicht seinem Lebenswandel, so doch seiner sozialen Stellung nach. Auch er führte eine gesellschaftliche Randexistenz, die in seinen letzten Lebensjahren allmählich in den Pauperismus abzugleiten drohte. {Am Ende war er so arm, dass er sich nicht einmal mehr ausreichend zu Essen leisten konnte.} Diesem sozialen Außenseitertum entsprang ein Gefühl tiefer Machtlosigkeit gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen, die er als äußerst bedrohlich empfand. Ein Gefühl, dass er mit vielen Bohèmiens der letzten zwei Jahrhunderte gemein hat. Was nur logisch ist. Als eine Art Randzone der intellektuellen und künstlerischen Mittelklasse ist die Bohème in der Tat eine gesellschaftlich weitgehend machtlose Gruppe, die durch den oft extremen Individualismus ihrer Mitglieder noch zusätzlich geschwächt wird. So gesehen ist es eigentlich verständlich, dass sich Cogswell von Lovecrafts Werk angesprochen fühlte. Wie der alte Gentleman sah auch er sich von einer allmählich verrottenden und auf einen allgemeinen Zusammenbruch zutreibenden Gesellschaft umgeben. Und wie dieser kam auch er sich angesichts der drohenden Apokalypse völlig hilflos vor. In seinen eigenen Worten: "On a cross-country Greyhound
bus trip some years before, I'd read H. P. Lovecraft's tales of ancient
cults dooming humanity, and what I saw riding through freeway sprawl
after sprawl had looked a lot like a vast conspiracy to end the
world."
Cogswell und Gildark wandten sich Lovecraft zu, nicht weil sie Fans seiner Spielart des Horrors gewesen wären, sondern weil sie etwas ihnen verwandtes in seiner Sicht auf die Welt entdeckt hatten. Das erklärt, warum sich in ihrer Adaption anders als in allen mir sonst bekannten Lovecraftverfilmungen {einschließlich der wundervollenWerke der HPLHS} tatsächlich etwas von dem wiederfindet, was jenseits kosmischer Schrecken und tentakelbewehrter Monstrositäten die Seele des Cthulhu-Mythos ausmacht.
Nach diesem langwierigen Vorgeplänkel ist es wohl allmählich an der Zeit für eine kurze Zusammenfassung des Inhalts von Cthulhu:
Der Tod seiner Mutter zwingt den jungen Geschichtsprofessor Russ Marsh (Jason Cottle) nach vielen Jahren in seine Heimatstadt Rivermouth zurückzukehren, um der Regelung ihres Nachlasses beizuwohnen. Das Wiedersehen mit seiner Familie verläuft so quälend wie befürchtet. Sein Vater (Dennis Kleinsmith) ist das Oberhaupt einer örtlichen Sekte – des Esoterischen Ordens von Dagon –, der die Homosexualität seines Sohnes nie akzeptiert hat und diesen nun erneut bedrängt, "nach Hause" zurückzukehren und eine Familie zu gründen. Kein Wunder, dass Russ lieber durch die nächtliche Ortschaft streift, statt sich den bigotten Blödsinn seiner Verwandten anzuhören. Dabei beobachtet er nicht nur eine eigenartige Prozession düsterer Kapuzenmänner in einem verlassenen Lagerhaus, sondern trifft auch seinen Jugendfreund Mike (Scott Green) – Russ' erste große Liebe – und die Blondine Susan (Tori Spelling), die es offenbar darauf abgesehen hat, ihn zu verführen. In der Folge wird der Plot immer eigenartiger und unzusammenhängender. Nach einer Nacht voll wirrer Träume, findet Russ eine Art steinernes Ritualbeil in seinem Bett. Der Säufer Zadok erzählt ihm, dass der Kult seines Vaters Menschen entführe und umbringe. Susan setzt ihn unter Drogen und vergewaltigt ihn. Eine verängstigte junge Verkäuferin bittet ihn, ihren verschwundenen Bruder zu suchen. Mit der zu Beginn eher unwilligen Hilfe von Mike gelingt es Russ tatsächlich, den kleinen Jungen zu finden, doch verirrt er sich danach in den labyrinthischen Gängen und Gewölben unter der Stadt, wo irgendwelche monströsen Kreaturen zu hausen scheinen. Nach seiner Rückkehr aus der Unterwelt von Rivermouth klären Russ und Mike endlich ihre wechselseitigen Gefühle und verbringen eine gemeinsame Nacht, doch am nächsten Morgen scheint die Welt endgültig aus den Fugen zu geraten. Der kleine Junge ist ermordet worden und Russ wird verhaftet. Wenig später bricht das Chaos los. Ein Lynchmob versucht das Gefängnis zu stürmen, und die Menschen beginnen ganz allgemein Amok zu laufen. Schließlich wird Russ von seinem Vater die ganze Wahrheit offenbart: Der Untergang der menschlichen Zivilisation steht kurz bevor, die Ozeane werden über die Ufer treten und die Kontinente verschlingen. Die Anhänger des Esoterischen Ordens von Dagon jedoch, die sich bereits seit längerem mit Kreaturen aus dem Meer gepaart haben, werden die Herren der neuen Ära sein. Wenn Russ seinen rechtmäßigen Platz in dieser Ordnung einnehmen will, muss er zum Beweis seiner Hingabe an den Orden Mike als Opfer darbringen.
Die große Schwäche von Cthulhu ist, dass der Film wie die mehr oder weniger unzusammenhängenende Aneinanderreihung einzelner Sequenzen und Subplots wirkt, die sich nicht auf befriedigende Weise zu einer Einheit zusammenfügen. Damit meine ich nicht notwendigerweise Storylogik im konventionellen Sinne. Es gibt nicht wenige phantastische Filme die erratisch, verwirrend und "unlogisch" wirken. Auf die richtige Weise eingesetzt kann dies ein legitimes und mitunter sehr mächtiges Stilmittel sein. Dies setzt jedoch voraus,dass der Film als Ganzes über eine außergewöhnlich intensive Atmosphäre verfügt, die dann sozusagen als Klammer für seine disparaten Teile dient. Um dies zu demonstrieren, ist es gar nicht nötig, gleich die Meisterwerke eines Dario Argento oder Lucio Fulci mit ihrer verstörenden "Traumlogik" heranzuziehen. Es reicht vollkommen, auf einen Streifen wie Messiah of Evil(1973) zu verweisen, der eine Menge Ähnlichkeiten mit Cthulhu aufweist, als Film jedoch sehr viel besser funktioniert. Gildarks Streifen enthält eine Reihe sehr atmosphärischer Szenen, doch im Ganzen betrachtet fehlt ihm die nötige Intensität, und so ruft der eigentümlich zerstückelte Plot schon bald nicht Faszination, sondern Irritation {im negativen Sinne}hervor.
Nichtsdestotrotz stecken einige recht interessante und intelligente Ideen in Cthulhu. Ganz gleich wie viele Fanboys den Titel als Etikettenschwindel bezeichnet haben, ich halte ihn für ungemein passend. Der Name "Cthulhu" fällt im Film nur ein einziges Mal. Als Russ den vom Orden entführten Jungen findet, sitzt dieser vor einem kaputten Fernseher. Auf die Frage, was er denn da tue, antwortet er: "Warten" – "Warten? Worauf?" – "Wir warten auf Cthulhu". Wie ich vor langem hier schon einmal dargelegt habe, halte ich den schlafenden Herrn von R'lyeh nicht bloß für irgendein groteskes Monstrum, sondern für die Verkörperung der Mächte der Anarchie und triebhaften Zügellosigkeit, die in Lovecrafts Augen die Grundfesten der Zivilisation zu zerstören drohten. Einen ganz ähnlichen Motivzusammenhang finden wir auch in Cogswells und Gildarks Film. Der Streifen beginnt mit apokalyptisch anmutenden Bildern einer Welt am Rande des Abgrunds, gezeichnet von Krieg, Terror, sozialen Unruhen und Klimakatastrophe. Dieser allgemeine Zusammenbruch ist es, auf den der Orden von Dagon wartet. In ihm sehen seine Anhänger die Rückkehr ihrer Götter und den Tag ihres Triumphes. Ein genuin lovecraftianisches Motiv! Allerdings vermittelt der Film nur ganz zu Anfang und im Schlussteil so richtig das Gefühl einer aus den Fugen geratenen Welt. Der Großteil der Handlung wird von einer anderen Stimmung dominiert. Wie unschwer zu erkennen, basiert Cthulhu in erster Linie auf Lovecrafts Shadow over Innsmouth. Gedreht wurde der Film in Astoria, wozu Cogswell gesagt hat:
The film grew out of the town of Astoria, Oregon, at the mouth of the
Columbia river. It's the oldest American town on the Pacific. It was
founded right after Lewis & Clark came through. It's old, it's
weird, it's creepy, it used to be a lot more important and now kind of a
little meth town. Very Lovecrafty.
In der Tat vermittelt der Film streckenweise recht gut das Flair einer halbverlassenen und dem allmählichen Verfall preisgegebenen amerikanischen Kleinstadt. Auch dies, wie Cogswell ganz richtig bemerkt, ein sehr lovecraftianisches Motiv. Die zerfallene Hafenstadt Innsmouth mit ihren hybriden Bewohnern verkörpert auf eindringliche Weise die Kräfte von Zersetzung und Verfall, die in den Augen des alten Gentlemans die Zivilisation bedrohten. Rivermouth/Astoria übernimmt eine ähnliche Funktion. Im Grunde geben die verlassenen Lagerhäuser und verödeten Straßen sogar ein sehr viel besseres Symbol der gesellschaftlichen Krise ab, als die fiktiven Nachrichten über Terror und Krieg, mit denen der Film beginnt. Hier berührt Cthulhu eine Facette der sozialen Wirklichkeit der USA, die wie kaum eine andere den fortgeschrittenen Niedergang des amerikanischen Kapitalismus widerspiegelt. Man denke bloß an das traurige Schicksal Detroits. Leider jedoch kommt es genau an diesem Punkt zu einer etwas unglücklichen Vermischung von Themen und Motiven, was dem Film viel von seiner potentiellen Kraft raubt. Rivermouth steht nämlich nicht nur für den gesellschaftlichen Verfall, sondern auch für die Bigotterie des kleinstädtischen Amerika. Um noch einmal Cogswell zu Worte kommen zu lassen:
The plot grew from resonances
between Lovecraft's The Shadow Over Innsmouth [...] and the experiences
of several gay friends who returned in their 30s to small towns they
had left in their youth (to bury a parent or help with a divorced
sibling's children or a family business). The union of these storylines
seemed a credible strategy for updating the novella.
Ich bin mir nicht sicher, ob das eine so gute Entscheidung gewesen ist. Außenseitertum und gesellschaftliche Entfremdung sind lovecraftsche Themen, aber für eine filmische Adaption wäre es vermutlich klüger gewesen, sich auf ein Hauptthema zu konzentrieren.
Auch diese Seite der Geschichte besitzt ihre starken Momente. Sie ist es auch, aus der sich erklärt, warum der Film der Homosexualität seines Helden eine so große Bedeutung beimisst. Russ' Situation als Schwuler, der sich einem homophoben Vater und einem bigotten Kleinstadtmilieu gegenübersieht, vermittelt sehr eindringlich das Gefühl der Verlorenheit in einer feindseligen Welt. Das Problem ist, dass dabei die metaphorische Dimension von Rivermouth unscharf und widersprüchlich zu werden beginnt. Das Motiv der spießigen Kleinstadt verträgt sich nicht so recht mit dem Motiv der gesellschaftlichen Krise. Wenn Rivermouth in seiner Zerfallenheit ein Symbol für den Zustand der US-Gesellschaft als Ganzer sein soll, kann der Ort nicht gleichzeitig für die rückständigsten Teile dieser Gesellschaft stehen. Noch verwirrender wird es, wenn der Orden von Dagon in der Gestalt von Russ' homophobem Vater einerseits selbst die Bigotterie religiöser Fundamentalisten verkörpert, andererseits im Milieu von Rivermouth eine Art Fremdkörper darstellt, der Bewohner des Ortes entführt und opfert und vom faschistoiden Sheriff offenbar als Teil der "reichen", "liberalen", "dekadenten" Elite angesehen wird, die dieser hasst und verabscheut. Auf motivischer Ebene ist da manches nicht wirklich gut durchdacht worden, was sehr stark zu dem streckenweise wirren und etwas frustrierenden Eindruck beiträgt, den der Film hinterlässt.
Dennoch würde ich all denen, die intelligentes Horrorkino und H.P. Lovecraft lieben, empfehlen, sich Gildarks und Cogswells Werk bei Gelegenheit einmal anzuschauen. Ein wirklich befriedigendes Erlebnis wird dies vermutlich nicht werden, doch enthält Cthulhu genug intelligente Ideen und beeindruckende Szenen, um eine solche Empfehlung zu rechtfertigen.
* Cogswell hat ein Gedicht von epischer Länge über den linkspopulistischen Abgeordneten Marion Anthony Zioncheck (1901-1936) geschrieben, einen radikalen Verfechter von Roosevelts New Deal. Enttäuscht von dem zögerlichen Vorgehen des Präsidenten wurde Zioncheck zum Führer einer "loyalen" linken Opposition im Kongress. Stress, Alkohol und eine brutale Hetzjagd durch die Regenbogenpresse führten schließlich zu seinem psychischem Zusammenbruch und Selbstmord. ** Es ist schon lustig, welch positives Bild von McIver Filmkritiker Marshall Fine in seinem Artikel für die "liberale" Huffington Post zeichnet: "As entrenched as McIver is, he's also a liberal, perhaps even a
progressive, one who has learned how to get things done and what is and
isn't possible." Kleine Skandälchen wie dieses hier fallen offensichtlich nicht so ins Gewicht, wenn es darum geht, die Illusionen über den "progressiven Flügel" der Demokratischen Partei aufrechtzuerhalten. Was auch immer man über Cogswells & Campbells Kampagne denken mag, Fines Artikel dient nur einem Ziel: Die Botschaft zu verbreiten, dass man Politik den "Realisten" der beiden Big Business - Parteien überlassen sollte. Alles andere sei bloß kindischer Idealismus. {Richard McIver zog sich 2009 aus der Politik zurück und starb im März dieses Jahres.}
Song for Laikavon Sudden Death of Stars {Besäße ich dichterisches Talent, ich würde sofort eine Ode auf die Hundeheldin der sowjetischen Raumfahrt verfassen} ♫
Wenn ein populärer Komiker wie Russell Brand ganz ernsthaft für eine sozialistische Revolution plädiert, ist das vielleicht ein Zeichen dafür, dass sich die Zeiten allmählich doch zu ändern beginnen
Heute vor zwanzig Jahren starb mit Vincent Price einer der ganz Großen des Horrorfilms. Von André De Toths House of Wax (1953) und Kurt Neumanns The Fly (1958) über Roger Cormans legendäre Poe-Adaptionen der 60er Jahre bis hin zu The Abominable Dr. Phibes (1971), Dr. Phibes Rises Again (1972) und Theatre of Blood (1973) – jenem großartigen Trio von Filmen, mit dem die Ära des klassischen Horrors ausklang – war er für beinah zwei Jahrzehnte der ungekrönte König des amerikanischen Grusels.
Wenn man über ihn spricht, fällt dabei unausweichlich irgendwann das Wörtchen "campy", und die es verwenden, wollen damit für gewöhnlich zum Ausdruck bringen, dass Price dank seines oft überzogenen Stils als Schauspieler nicht ganz ernstzunehmen sei. Ein Urteil, dem ich mich ganz und gar nicht anschließen kann. Wer zu einer gerechteren Einschätzung seines Talentes gelangen will, sollte sich unbedingt einmal An Evening of Edgar Allan Poe aus dem Jahre 1972 anschauen:
Ich freilich werde mir heute Nacht wieder einmal The Abominable Dr. Phibes zu Gemüte führen. Das ist Camp, aber zugleich einer der stilvollsten und schönsten Horrorfilme, die ich kenne.
Bis Halloween bietet sich einem hier die großartige Gelegenheit, Ghosts zu lauschen, einer Sammlung von elektronischen Musikstücken, geschaffen von der 2012 verstorbenen exzentrischen Musikerin, Komponistin und Improvisateurin Hermione Harvestman und inspiriert von den Geistergeschichten des großen M.R. James. Es eröffnet sich einem dabei eine Klangwelt von unirdischer und beunruhigender Schönheit.
Ich habe einen schweren Fehler begangen. Ich habe mir Wolf Creek angeschaut.
Als ich den Startknopf drückte, hatte ich keine Ahnung, um was es in dem australischen Independent-Horrorflick aus dem Jahr 2005 geht. Andernfalls hätte ich mir dieses unappetitliche Erlebnis ganz sicher erspart. Es gibt Filme, die einen mit dem Gefühl entlassen, in den letzten anderthalb Stunden ein kleines Stück der eigenen Menschlichkeit verloren zu haben. Greg McLeans Machwerk gehört zu dieser Kategorie.
Über die Story gibt es nicht viel zu erzählen: Liz, Kristy und Ben sind auf einer Tour durch die australischen Outbacks. Nach einem Abstecher zu dem gewaltigen Krater von Wolf Creek müssen sie feststellen, dass ihr Auto nicht mehr anspringt. Wie zufällig kreuzt einige Stunden später Mick Taylor, eine Art in die Jahre gekommener Crocodile Dundee, mit seinem Truck auf und schleppt sie in sein Camp ab. Doch wie sich sehr bald schon herausstellt ist der hilfsbereite Hinterwälder in Wirklichkeit ein sadistischer Serienmörder. Was folgt ist eine dreiviertel Stunde voller Folter, Verstümmelungen und vergeblicher Fluchtversuche.
Eigentlich wäre es völlig ausreichend, den Anfang von Roger Eberts Besprechung des Streifens zu zitieren:
It is a film with one clear purpose: To establish the commercial
credentials of its director by showing his skill at depicting the brutal
tracking, torture and mutilation of screaming young women. When the
killer severs the spine of one of his victims and calls her "a head on a
stick," I wanted to walk out of the theater and keep on walking.
Dennoch möchte ich dem noch einige meiner eigenen Gedanken hinzufügen.
Was mich an Filmen dieser Sorte abstößt, ist nicht so sehr die extreme Gewalt. Die drastische Darstellung von Gewalt kann eine berechtigte Rolle in einem Film spielen. Es ist vielmehr das voyeuristische Vergnügen, mit dem sie das Quälen und Erniedrigen von Menschen in Szene setzen. Und dass sich Wolf Creek dabei ganz auf das Schicksal der beiden jungen Frauen konzentriert, während Ben für den Folterpart ganz von der Bildfläche verschwindet, mischt dem Sadismus noch eine ordentliche Dosis Misogynie bei. Ein in jeder Hinsicht widerwärtiges Süppchen, das McLean da zusammengebraut hat.
Doch wie leider eigentlich immer in solchen Fällen, finden sich auch bei Wolf Creek mehr als genug professionelle Kritiker, die diese filmische Beleidigung der Intelligenz und Humanität des Publikums zu einem Meisterwerk erklärt haben. Schauen wir uns ein paar ihrer Arguemente mal etwas genauer an.
McLean's film shows its high IQ by letting nothing scary happen for
around half an hour; there is something absorbingly real and even
romantic in the way a shy attraction develops between Liz and Ben. The
stomach-turning events that follow are leavened with moments of grisly
comedy. There is a brilliant joke about Crocodile Dundee's catchphrase:
"You call that a knife?" Spielberg himself might have admired the
buttock-clenching suspense in which someone hears a faint bang outside
his stationary vehicle and gets out to find a bullet hole in the thermos
flask he had placed on the car roof just a moment before, the liquid
glugging out of it. Then a distant clang and an approaching whine of a
second bullet will have you ducking and yelping in alarm. This is the
best Australian movie since Lantana, and deserves an audience outside
the horror fanbase.
Ich hoffe, Mr. Bradshaw hat nur wenige australische Filme der letzten fünfzehn Jahre gesehen. Andernfalls müsste ich ihn zu einem hirntoten Kretin erklären. Auch kann ich mir kaum vorstellen, dass Steven Spielberg seinen Spaß an diesem sadistischen Spektakel hätte. Dafür scheint er mir eine viel zu humane Persönlichkeit zu sein. Doch zum Inhalt:
Was die erste halbe Stunde des Films betrifft, so wirkt sie in stilistischer Hinsicht extrem uneinheitlich. Sequenzen, die beinahe so aussehen, als gehörten sie in einen "Found Footage" - Film, stehen unverbunden neben sehr professionell, beinahe stilisiert anmutenden Bildern des australischen Hinterlandes. Mal rückt die Kamera den drei jungen Leuten extrem eng auf die Pelle, mal streift sie über die gloriosen Weiten des Outback. Der Eindruck, den dieser Mix hinterlässt, ist in erster Linie irritierend. Inhaltlich enthält der Part ein paar Red Herrings über Ufos und den Meteoritenkrater von Wolf Creek, seine eigentliche Funktion ist jedoch, ein emotionales Band zwischen dem Publikum und den drei Protagonisten herzustellen. Das gelingt ihm zugegebenermaßen recht gut {ein Beleg dafür, dass McLean nicht ohne Talent ist}. Aber wie die zweite Hälfte des Filmes zeigt, geschieht dies nur, um uns die anschließenden Misshandlungen von Liz und Kristy noch quälender erscheinen zu lassen. Es geht dabei nicht um die dargestellten Personen, sondern um die geschickte Ausbeutung unserer Fähigkeit zur Empathie.
Und was den angeblichen "Humor" betrifft. Man muss schon sehr abgestumpft sein, wenn man da noch lachen kann.
NF von TimeOut London zitiere ich bloß als Beispiel für das pompös-pseudointellektuelle Geschreibsel, mit dem sogenannte "Kritiker" heutzutage gerne ihre Vorliebe für dumpfen, misanthropen Müll kaschieren:
Set in the Australian outback, and tapping into contemporary fears about feral killers who prey on vulnerable tourists, Greg McLean’s
gut-wrenching, nerve-shredding debut feature boasts some nightmarish
scenes of human cruelty. Yet we never for a moment doubt his integrity
or motives, still less his control over the medium. Shot on digital
video by a filmmaker with a background in painting and theatre, it fuses
beautifully textured images with fierce, intense performances and a
jarring soundtrack to create a shattering vision of primal terror.[...] The film takes to extremes the distressing empathy we feel at the sight
of someone being hunted and tortured. The violence is flat, ugly and
remorseless, our sense of powerlessness overwhelming. Compare this to
Austrian intellectual Michael Haneke’s overly self-conscious ‘Funny
Games’, which lectured us about the seductiveness of screen violence. By
making us feel the pain, Greg McLean's ferocious, taboo-breaking film tells us so much more about how and why we watch horror movies.
Dazu gibt es wenig zu sagen, denn diese Rezension enthält kein einziges Argument. Es würde mich aber schon interessieren, worin NF die "Motive" des "integren" McLean sieht. Leider gibt er (oder sie) uns darüber keine genauere Auskunft. {Anbei: Filmen, denen heutige Kritiker das arg missbrauchte Attribut "taboo-breaking" verpassen, sollte man in den meisten Fällen glaube ich lieber aus dem Weg gehen.}
McLean turns in an upsettingly effective psycho-killer thriller, giving cinema its latest great boogeyman in the form of Mick Taylor, a creation which smartly inverts the Australian myth of the chirpy, tells-it-like-is, Outback-yomping bushman. Realised with sinister relish by the burly, silver-maned John Jarratt, who clearly revels in the archetype-corruption (McLean’s script even cheekily throws in a few Crocodile Dundee references, including a horrifying – yet guiltily amusing – reference to the "This is a knife" gag), Taylor comes on like Steve Irwin’s sadistic, Satanic uncle, a former vermin exterminator who now uses his skills to torture and kill unfortunate backpackers.
Ah ja, die Figur des Mick Taylor als subversive Pervertierung eines nationalistischen Mythos. Darauf habe ich gewartet. Ich gebe zu, der Gedanke ist nicht gänzlich abwegig. Im Gegenteil, ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass dies tatsächlich McLeans Absicht gewesen ist. Bloß entlarvt man nicht wirklich ein Klischee {den aufrechten Crocodile Dundee - Typ}, indem man es durch ein anderes {den perversen, mörderischen Hinterwäldler} ersetzt.
Ich finde es höchst amüsant, dass eine ganze Reihe von Kritikern Wolf Creek für "innovativ" hält. Grund hierfür ist vermutlich, dass der Streifen von den traditionellen Regeln des Slasherfilms abweicht und nicht mit dem Triumph der letzten Überlebenden über den Killer endet. Doch in anderer Hinsicht ist McLeans Werk extrem "traditionell". Es überträgt ganz einfach die Grundideen des "Redneck-Horrors" von amerikanischem auf australischen Boden. Das mag für Down Under neu sein, nicht aber für den Horrorfilm. In Filmen wie Tobe Hoopers Texas Chain Saw Massacre (1974) besaß dieses Subgenre vielleicht wirklich noch eine leicht subversive Qualität, doch schon damals war ihm unverkennbar ein elitäres Element beigemischt. All diese Geschichten über mörderische, kannibalistische oder sexuell perverse "Hillbillies" spiegeln zu einem Gutteil einfach bloß die Verachtung einer städtischen, akademisch gebildeten Mittelklasse gegenüber der ländlichen arbeitenden Bevölkerung wider. Wolf Creek ist dafür ein gutes Beispiel, denn der Film macht sehr deutlich, dass der monströse Mick Taylor in gewisser Hinsicht Stellvertreter all der {männlichen} Bewohner des Outback ist. Bevor sich Liz, Kristy und Ben zu dem gewaltigen Krater aufmachen, legen sie einen kurzen Zwischenstopp in Emu Creek ein. Und was fragen die schmierigen Gäste des Diners den guten Ben? Ob seine Freundinnen nicht Lust auf einen ordentlichen "Gangbang" hätten! Natürlich, wer abseits der "aufgeklärten" Künstlerkreise von Sydney lebt, muss ein potentieller Vergewaltiger sein ...
Und das ist vielleicht das schlimmste Verdammungsurteil, das man über Wolf Creek fällen kann: Der Film ist öde und einfallslos!
Ursprünglich wollte ich diesen Post mit einem großen Gemecker darüber beginnen, wie inflationär oft die böse und ideenlose Unterhaltungsindustrie in den letzten Jahren den Motivschatz von Lewis Carrolls Alice's Adventures in Wonderland geplündert habe. Dabei hatte ich neben Tim Burtons filmischer Monstrosität von 2010 u.a. das Computerspiel Alice: Madness Returns und die gerade angelaufeneSpin-Off-Serie Once Upon A Time In Wonderland im Sinn. Aber ein kurzer Blick auf diese Liste von Film- und Fernsehadaptionen hat mich daran zweifeln lassen, ob solche Raubzüge in letzter Zeit tatsächlich häufiger stattgefunden haben als früher.Ähnlich wie Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes oder Mary Shelleys Frankenstein gehört Alice's Adventures in Wonderland zu jenen Klassikern, die seit den frühesten Tagen des Films immer wieder ihren Weg auf die Leinwand und später den Fernsehschirm gefunden haben. Das einzige, was sich dabei geändert haben mag, ist, dass in der Vergangenheit häufiger die Story selbst verfilmt wurde, während heute eher in postmoderner Manier mit Figuren und Motiven aus ihr herumgespielt wird. Aber auch das ist keine brandneue Entwicklung mehr.
Ihren allerersten Ausflug in die Welt der bewegten Bilder unternahmen Alice, das Weiße Kaninchen, die Cheshire-Katze und der Verrückte Hutmacher vor genau einhundertzehn Jahren. Verantwortlich dafür war der Brite Cecil Milton Hepworth (1874-1953), einer der großen Pioniere des frühen Films. Sein Vater T.C. Hepworth war ein berühmter Meister der Laterna Magica gewesen, und so setzte der von Fotographie und Technik begeisterte Cecil in gewisser Weise eine Familientradition fort, als er sich der brandneuen Erfindung der Kinematographie zuwandte. 1895 hatte er Robert Pauls Vorführung der allerersten in England produzierten Filme auf der Empire of India - Ausstellung in Earl's Court beigewohnt und war sofort Feuer und Flamme gewesen. Ein Jahr später bereits assistierte er Birt Acre, als dieser am 21. Juli einen seiner Filme vor königlichem Publikum in Marlborough House vorführte. Zu Beginn desselben Jahres war das Kinetoskop von den ersten echten Projektoren abgelöst worden, was dem Medium ganz neue Entfaltungsmöglichkeiten eröffnete. Dabei fand es seine wahre Heimstatt nicht in erlauchten Residenzen wie Marlborough House, sondern in den zahlreichen Music Halls des Landes, in denen umherreisende Schausteller die Massen alsbald mit ihren bewegten Bildern entzückten und begeisterten. Und obwohl Hepworth bereits 1896 bei einem Film Regie geführt hatte – dem für Robert Paul produzierten The Egg-Laying Man –, begab auch er sich 1897 erst einmal auf eine Schaustellertour, verfasste nebenbei aber auch das erste in Großbritannien erscheinende Buch über die neue Technik: The A.B.C. of the Cinematograph. 1898 wurden Hepworth und sein Cousin Monty Wicks von Charles Urbans für Maguire & Baucus engagiert, ein Jahr später aber bereits wieder entlassen, woraufhin sie ihre eigene Firma Hepworth Manufacturing Company gründeten. Hepwix wurde rasch zum führenden englischen Filmproduzenten der Zeit. Eine Position, die das Unternehmen bis zum 1. Weltkrieg innebehalten sollte.
Die Nachfrage nach Filmen war gewaltig. Durchschnittlich produzierte Hepwix drei Stück pro Woche, wobei man natürlich nicht vergessen darf, dass diese meist nur wenige Minuten lang waren. Als sich Cecil Hepworth 1903 daran machte, einige Szenen aus Alice's Adventures in Wonderland auf Celluloid zu bannen, war dies ein äußerst ehrgeiziges Projekt, sollte der Film doch die überwältigende Länge von 12 Minuten besitzen. Hinzu kam, dass man sich bemühte, möglichst genau die berühmten Originalillustrationen von Sir John Tenniel nachzuahmen, was eine für die Zeit ungewöhnlich aufwendige Kostümierung erforderte. Die Regiearbeit teilte sich Hepworth mit Percy Stow, seine Ehefrau* spielte das Weiße Kaninchen und die Herzkönigin, er selbst übernahm den Part des Frosch-Lakaien und Alice wurde von Mabel Clark verkörpert, die als eine Art "Mädchen-für-alles" bei Hepwix arbeitete.
In seiner ganzen Länge ist der Film leider verlorengegangen. Doch das British Film Institute (BFI) hat 2010dankenswerterweise eine restaurierte Fassung der noch existierenden 9½ Minuten der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht:
Wie man sieht handelt es sich nicht eigentlich um eine "Verfilmung" von Alice's Adventures in Wonderland. Der Film besteht vielmehr aus der Aneinanderreihung einiger besonders markanter Szenen aus der Erzählung. Dafür gibt es einen guten Grund. Seiner außergewöhnlichen Länge wegen wäre der Film in seiner Gesamtheit für viele potentielle Kunden nämlich eher uniteressant gewesen. Die Schausteller unterhielten ihr Publikum in den Music Halls für gewöhnlich mit der Präsentation einiger kurzer, unterhaltsamer Sequenzen. Dass man mit Hilfe des Films auch eine Geschichte erzählen könnte, war eine noch weitgehend unbekannte Idee. Und so verkaufte Hepwix in erster Linie einzelne Szenen aus Alice in Wonderland, und nicht den gesamten Film.
Zwei Jahre später freilich sollte Cecil Hepworth mit Rescued by Rover der Öffentlichkeit einen Streifen präsentieren, der in dieser Hinsicht ein echter Meilenstein der Filmgeschichte ist. Obwohl nur halb so lang wie Alice stellt der von Hepworth und Lewin Fitzhamon geschaffene Streifen über die Entführung eines Babys und dessen Rettung durch einen Hund einen gewaltigen Schritt vorwärts auf dem Weg des Films vom Spektakulum zu einem erzählenden Medium dar. In der Herausbildung einer filmästhetischen Sprache war dies wohl das einzige Mal, dass der britische Film die Avantgarde bildete. {Und daneben machte Rescued by Rover außerdem den Collie Blair zum ersten tierischen Filmstar.}
* Weder Wikipedia, noch IMDB, noch BFI Screenonline erwähnen ihren vollen Namen. In den Besetzungslisten findet sich stets nur der Eintrag "Mrs. Hepworth".
Auf Lake Hermanstadt erscheint derzeit eine Reihe sehr lesenswerter Blogposts unter dem Titel Romance, Romantik und Fantasy, in deren zweitem Teil sich der gute "Anubis" u.a. auch mit Frank Weinreichs Auffassung von Fantasy auseinandersetzt, welche der Autor in seinem Büchlein Fantasy – Einführung sowie einer Reihe von Essays, die man auf seiner Webseite nachlesen kann, dargelegt hat. Was selbige vor allem auszeichnet, ist, dass Weinreich die Fantasy als einen direkten Nachkommen des Mythos betrachtet. Und dass nicht nur, weil sich in vielen Fantasyerzählungen mythische Wesen wie Götter, Drachen, Riesen oder Elben tummeln. Die Verwandtschaft bestehe vielmehr auch auf funktionaler Ebene.
Der Mythos hatte die Aufgabe, die Welt in ihrer Gesamtheit zu erklären und dem individuellen wie dem gesellschaftlichen Dasein einen Sinn zu verleihen. Doch Aufklärung, Rationalismus, Wissenschaft und Technik haben den Mythos entmachtet, so dass er seine Mission nicht länger erfüllen kann. Weinreich hält dies für eine äußerst bedenkliche Entwicklung. Er ist überzeugt davon, "dass es ein in der Psyche der Menschen angelegtes Bedürfnis nach
Metaphysik und von die Erfahrungsgrenzen überschreitenden
Erklärungsmustern gibt" (1), weshalb die "Entzauberung der Welt" in der Moderne "auf einer intuitiven und emotionalen Ebene eine Lücke" hinterlassen habe, "die
Unzufriedenheit und Orientierungslosigkeit bewirkte. Eine Lücke, die
erst das mythische Denken zu schließen imstande ist".(2)
An dieser Stelle könne die Fantasy helfend eingreifen:
Wichtiger aber ist der Mythos auch für die Fantasy [...] in seiner
sinnstiftenden Funktion. Das heißt nun nicht etwa, dass moderne Fantasy
funktional mit einem Welterklärungsanspruch und also wie ehedem als
'Sachtext' aufträte – das geht nicht mehr. Es
heißt aber, dass sich Fantasy darum bemüht, eine Stimmung zu erzeugen,
die den Rezipierenden von Buch, Film, Comic, Kunst, Musik und Spiel
nicht nur in eine andere Welt versetzt – das tut die Spionageerzählung
auch, wenn sie die Zuschauer mit Rollo Martins das Nachkriegs-Wien nach
Harry Lime durchsuchen lässt. (3) Es geht vielmehr darum, sie oder ihn in
eine Welt zu versetzen, die mit einem faktischen transzendentalen
Überbau ausgestattet ist und so das Bedürfnis nach Transzendenz und
metaphysischer Wirklichkeit zu bedienen, wenn auch nur mehr als Spiel
und Experiment. Und darin findet Fantasy ein Alleinstellungsmerkmal: sie
ist die einzige Literaturform, die diese Weite der Thematik aufweist
und ernst nimmt und die mit der Einbeziehung des Übernatürlichen in die
Unendlichkeit verweist. (4)
Oder noch etwas extremer formuliert:
Fantasy ist in den meisten Fällen (auch) eine Inszenierung mythischen Denkens, sei es actiongeladen auf der Brücke von Khazad-dûm oder kontemplativ in
der Atrabeth Finrod ah Andreth. Der Mythos vermag dabei innerhalb der
Werke wie auch außerhalb in der Primärwelt zu funktionieren
(„applicability“ in Tolkiens Sinn). So verstanden wehrt sich Fantasy
auch gegen die ernüchterte Moderne und einen übermächtigen Logos. So
verstanden berührt Fantasy die „mächtigere Realität“ jenseits der
Grenzen der Erfahrung und bietet sich auch an, Sinn zu verleihen. Und
die Lektüre von [Karen Armstrongs] Eine kurze Geschichte des Mythos hilft, das zu
begreifen: „Wenn professionelle Religionsführer uns nicht in mythischer
Weisheit zu unterweisen vermögen, können unsere Künstler und
Romanschriftsteller vielleicht diese priesterliche Aufgabe übernehmen
und unserer verlorenen, beschädigten Welt neue Einsichten bringen". (5)
Um diese Auffassung von Fantasy von weltanschaulicher Seite aus kritisch unter die Lupe zu nehmen, fehlt mir momentan die Muße. Doch gibt es noch einen weiteren Grund, warum sie eine so heftige Abneigung in mir hervorruft.
Vielleicht tue ich Frank Weinreich damit etwas Unrecht, aber in meinen Augen reduziert er ein unglaublich vielgestaltiges Genre auf einen Inhalt, eine Funktion und zerstört damit einen Gutteil seines Reizes. Ohne Zweifel gibt es Fantasyromane, die man so lesen kann, wie er dies tut. Das berühmteste Beispiel dafür sind ganz sicher J.R.R. Tolkiens Werke, auf die sich Weinreich denn auch in den allermeisten Fällen bezieht. Aber daneben existieren unzählige andere Bücher, in denen das Übernatürliche (Magie, Götter etc.) zwar einen festen Platz besitzt, die jedoch nicht das Gefühl einer quasimythischen Weltordnung vermitteln. So fände ich es z.B. sehr interessant zu erfahren, wie der gute Frank einem unvoreingenommenen Leser zu vermitteln versuchen würde, auf welche Weise Fritz Leibers Stories um Fafhrd und den Gray Mouser, Steven Brusts Vlad Taltos - Bücher, die Bordertown - Anthologien, Michael Swanwicks The Iron Dragon's Daughter, Jeff VanderMeers The City of Saints and Madmen oder China Miévilles Bas-Lag - Romane ihrer "sinnstiftenden", auf "Metaphysik" und "Transzendenz" ausgerichteten Aufgabe gerecht werden.
Das wirklich ärgerliche an Weinreichs Definition der Fantasy ist für mich, dass dabei die wunderbare Vielfalt des Genres verloren geht. In ihrer Beschäftigung mit der Welt und dem Menschen {und das ist für mich die Funktion aller Kunst} weist die phantastische Literatur eine ebenso große Bandbreite auf wie die realistische Literatur. Ich brauche mir ja bloß nur einmal meine aktuelle Lektüre anzuschauen. Zur Zeit lese ich gerade den dritten Band von Liliana Bodocs faszinierender Grenzländer-Saga. Ein Werk, das ganz gut in Weinreichs Konzept passen würde, enthält es doch in der Tat ein sehr deutlich auszumachendes "mythisches" Element. Wer danach verlangt, könnte aus ihm wohl wirklich eine Befriedigung seines Verlangens nach dem "Metaphysischen" beziehen. Doch welches Buch wartet da schon als nächstes auf meinem SUB? Scott Lynchs Red Seas under Red Skies! Und nach der Lektüre von The Lies of Locke Lamora wage ich zu behaupten, dass dieser Roman kaum geeignet sein wird, das Verlangen nach einer "mythischen Sinnstiftung" zu befriedigen.
(3) Als fanatischem Filmliebhaber sei es mir verziehen, dass sich nach der Lektüre dieses Satzes ein leicht versnobtes Grinsen auf mein Gesicht geschlichen hat. Carol Reeds The Third Man (1949) ist einer der großen Klassiker des Film Noir, mit Spionage aber hat er absolut nichts zu tun. Auch trägt sein Protagonist natürlich nicht den doch etwas lächerlich anmutenden Vornamen "Rollo". Der auf Einladung seines alten Kumpels Harry Lime ins Nachkriegswien gereiste Pulp-Schriftsteller heißt vielmehr Holly Martins.
Das magische Gefühl, das sich einstellt, wenn man Orte aufsucht, an denen geliebte Erzählungen spielen, ist vermutlich etwas, was die meisten fanatischen Freunde & Freundinnen von Literatur nachempfinden können. Ich selbst habe dies bisher nur ein einziges Mal erleben dürfen, als ich vor der Litfass-Säule stand, welche in Arno Schmidts Tina oder Über die Unsterblichkeit einen Fahrstuhl in die Unterwelt beherbergt. Und die entsprechende "Pilgerfahrt" war nicht besonders anstrengend, habe ich doch bis zu meinem neunzehnten Lebensjahr in unmittelbarer Umgebung von Darmstadt gewohnt und bin auch später nie aus der Region hinausgekommen. Doch wie dem auch sei, jedenfalls haben Will Ross und Mike Taylor – Schöpfer und Moderatoren des ausgezeichneten M.R. James - Podcasts A Podcast to the Curious – kürzlich einen Ausflug nach Aldeburgh in Suffolk unternommen, dem Ort, der als Vorlage für Seaburgh in A Warning to the Curious diente – sicher eine der berühmtesten Spukgeschichten des alten Monty. Von dort haben sie zwar nicht die mythische dritte Krone von Anglia zurückgebracht {was nur gut ist, denn wer will schon von einem verrotteten Leichnam verfolgt werden}, dafür jedoch folgenden kurzen Film:
The Old Ones were, the Old Ones are, and the Old Ones shall be. Not in the spaces we know, but between them, They walk serene and primal, undimensioned and to us unseen.
So hat es Abdul Alhazred niedergeschrieben in jenem grauenvollsten aller Grimoires – dem fürchterlichen Necronomicon. An anderer Stelle heißt es dort:
They sleep beneath the unturned stone; they rise from the tree with its
root; they move beneath the sea and in subterranean places; they dwell
in the inmost adyta; they emerge betimes from the
shutten sepulchre of haughty bronze and the low grave that is sealed
with clay.*
Von einem weiteren Ort, an dem die Großen Alten sich dereinst manifestieren würden, konnte der verrückte Araber freilich noch nichts ahnen: Kinoleinwand & Fernsehschirm.
Neben all den Flicks, die von sich behaupten, Adaptionen lovecraftscher Erzählungen zu sein {wobei man oft viel Fantasie aufwenden muss, um die Vorlage in dem, was sich einem da darbietet, wiederzuerkennen}, hat das cthulhuide Grauen seinen Weg außerdem in eine Reihe von Filmen gefunden, die nicht nur nichts mit dem Werk des Gentlemans von Providence zu tun haben, sondern auch gar nicht vorgeben, dass dem so sei.
Das offensichtlichste Beispiel, das mir einfällt, ist Guillermo del Toros Hellboy. "Ogdru Jahad" ist nicht wirklich das originellste Pseudonym für Yog-Sothoth und seine Bande. Etwas überraschender mag es da schon wirken, dass die Großen Alten ihre Tentakel auch in das Universum von J. Michael Straczynskis Babylon 5 ausgestreckt haben. Das heißt, vielleicht auch nicht. Klingt das, was G'Kar in Mind War (S01E06) über Sigma 957 zu sagen hat, nicht beinah ein bisschen "lovecraftianisch"?
Bekanntlich steckt Babylon 5 voller Anspielungen auf bekannte SciFi - und Fantasywerke. Vom Namen des Psi Corps - Agenten Alfred Bester bis zu einem Zitat aus Lord of the Rings in der Episode The Geometry of Shadows (S02E03). Ein direkter Wink in Richtung Lovecraft ist der Name des Serienkillers Charles Dexter in der Folge Passing Through Gethsemane (S03E04).
Charles P. Mitchell schreibt in The Complete H.P. Lovecraft Filmography in Bezug auf die übergreifende Mythologie der Serie: "The Lovecraftian basis of this cosmology, at least as conceived by Derleth, is rather clear to any Cthulhu Mythos aficionado." Dem würde ich mich nicht vorbehaltlos anschließen, scheint mir der kosmische Konflikt zwischen Vorlonen und Schatten doch mindestens ebenso sehr von Michael Moorcocks ewigem Kampf zwischen Ordnung und Chaos inspiriert zu sein. Doch wenn ich jetzt versuchen wollte, meine Ansichten darüber etwas genauer darzulegen, würde sich das unaufhaltsam zu einer allgemeinen Diskussion über Babylon 5 auswachsen. Und es gäbe so viel über diese außergewöhnliche Serie zu sagen. Ein Detail, auf das Mitchell hinweist, ist allerdings wirklich interessant: Die reale Erscheinungsform der Vorlonen (zu sehen in Falling Toward Apotheosis [S04 E04]) besitzt etwas auffällig Tintenfischartiges, was einen in der Tat an den Großen Cuthulhu und Seinesgleichen denken lässt. Doch der lovecraftianischste Beitrag zum Universum von Babylon 5 ist ohne Zweifel der Film Thirdspace {welchen man sich momentan auf Youtube anschauen kann}.
Allgemein gesprochen konnte keiner der Fernsehfilme oder Spin-Offs an die Qualität der ursprünglichen Serie heranreichen. Und je weiter sie sich von ihr entfernten, desto schlechter wurden sie im Durchschnitt auch. So ist In the Beginning (1998), der die Vorgeschichte um den Krieg zwischen Menschen und Minbari erzählt, ohne Zweifel der gelungenste von ihnen, während die späteren Einträge in das Franchise wie A Call to Arms (1999) und die Serie Crusade (1999) sowie der einsame Pilotfilm The Legend of the Rangers: To Live and Die in Starlight (2002)traurigerweise bloß zu belegen scheinen, das J. Michael Straczynski abseits der Originalstory nichts interessantes in dem von ihm geschaffenen Universum zu erzählen wusste.
In thematischer Hinsicht stehen Thirdspace und The River of Souls irgendwo zwischen diesen beiden Polen, da die von ihnen erzählten Geschichten weder zum "alten" Handlungsbogens gehören, noch als Teile eines neuen konzipiert waren. Im Grunde handelt es sich bei ihnen um zwei auf je anderthalb Stunden ausgedehnte Einzelepisoden. Beide wurden 1998 produziert und ausgestrahlt, derweil die fünfte Staffel gerade lief.
Während River of Souls, an den ich nur noch sehr verschwommene Erinnerungen habe, ein Jahr nach den Ereignissen der Serie angesiedelt ist, spielt Thirdspace in der Zeit zwischen dem Ende des Schattenkriegs und dem Beginn des Bürgerkriegs gegen das totalitäre Regime von Erdpräsident Clark. Doch auch wenn aufmerksame Fans den Film chronologisch zwischen den Episoden S04E08 und S04E09 verorten können, hat er inhaltlich so gut wie nichts mit den großen Themen der vierten Staffel zu tun.
Auf dem Rückflug von einem Einsatz gegen die marodierenden "Raiders" entdecken Commander Ivanova und ihre Staffel im Hyperraum ein mysteriöses Artefakt von gigantischen Ausmaßen. Captain Sheridan lässt es durch das Sprungtor vor die Station ziehen. Trotz der Bedenken der Liga der Blockfreien Welten will er es auf eigene Faust untersuchen, was sich jedoch bald schon als sehr viel schwieriger herausstellt als angenommen. Als wenig später ein Raumschiff von Interplanetary Expedition, einem Großkonzern für kommerziell betriebene Xenoarchäologie, vor Babylon 5 aufkreuzt, ist Sheridan deshalb bereit, Dr. Elizabeth Trent (Shari Belafonte) und ihrem Team die Leitung der Untersuchung zu übergeben, vorausgesetzt, dass er und sein Stab bei allen wichtigen Entscheidungen das letzte Wort behalten.
Derweil beginnen sich merkwürdige Dinge auf der Station abzuspielen. Schon vor der Ankunft des Artefaktes wurde die Telepathin Lyta Alexander von beunruhigenden Visionen gequält, nun verfällt sie in eine Art Trancezustand und versucht die Arbeit der Archäologen zu sabotieren. Andere Personen verfallen scheinbar grundlos in Panik oder werden gewalttätig. Wieder andere fühlen sich auf unerklärliche Weise zu dem Artefakt hingezogen. Schließlich hat Susan Ivanova einen merkwürdigen Traum, in dem sie zusammen mit Vir Cotto am Rande einer "schwarzen Stadt" steht, in deren Zentrum sich ein gewaltiger, bizarr geformter Turm erhebt. Aus der Ferne hallt unirdisches Kreischen herüber, und kurz bevor sie erwacht, greifen irgendwelche Tentakel nach ihr. Als sich herausstellt, dass Vir denselben Traum hatte, ist endgültig klar, dass irgendetwas hier ganz und gar nicht stimmt.
Die Ereignisse nehmen bald schon eine katastrophale Wendung, als Dr. Trent das Artefakt reaktiviert und damit ein Portal in den "Dritten Raum" öffnet. Sofort machen sich die monströsen Bewohner dieser fremden Dimension daran, in unser Universum einzudringen, und sie kennen nur ein Ziel: Die Vernichtung allen Lebens. All jene, die unter ihrem telepathischen Einfluss stehen, beginnen augenblicklich jeden zu attackieren, der sich in ihrer Nähe befindet. In kürzester Zeit herrscht das Chaos auf Babylon 5. Und wieder einmal muss Captain Sheridan zu einer Beinah-Selbstmordmission aufbrechen, um die Welt vor dem Untergang zu bewahren ...
Man darf nicht mit zu großen Erwartungen an Thirdspace herangehen. Es ist halt ein Babylon 5 - Film, und zudem einer, in dem die drei charismatischsten Charaktere der Serie – Michael Garibaldi (Jerry Doyle), Londo Molari (Peter Jurasik) und G'Kar (Andreas Katsulas) – keinen Auftritt haben. Bruce Boxleitner als John Sheridan war stets eher ein Schwachpunkt der Serie, und Mira Furlans Delenn hat in diesem Film so gut wie nichts zu tun. Wenigstens dürfen wir noch einmal Claudia Christians Susan Ivanova erleben, und müssen uns nicht mit ihrer Nachfolgerin Elizabeth Lochley (Tracy Scoggins) herumärgern, die ungefähr soviel Persönlichkeit besaß wie ein Kleiderständer. Stephen Furst als Vir ist liebenswert wie immer. Shari Belafonte gibt eine ordentliche Leistung als toughe und ehrgeizige Geschäftsfrau im Archäologen-Business ab. Und Patricia Tallman hat mir als Lyta Alexander eigentlich immer recht gut gefallen.
Doch die Stärke des Films {eine sehr moderate Stärke, zugegeben ...} besteht ohnehin nicht in seinen Charakteren oder ihren Interaktionen,** sondern in den lovecraftianischen Motiven. Dass J. Michael Straczynski sich bei Abfassung des Drehbuchs sehr stark von The Call of Cthulhu inspirieren ließ, steht außer Frage {und ist meines Wissens nach auch nicht von ihm geleugnet worden}. Die Thirdspace-Aliens sind eindeutig die Großen Alten. Dafür sprechen nicht nur ihre schleimigen Tentakel. Sie sind gottgleiche Kreaturen aus einer anderen Dimension, die nichts als Tod und Vernichtung im Sinn haben: "They are a power beyond comprehension. A hunger beyond understanding. They are anti-life itself." Und ganz wie der erwachende Cthulhu senden auch sie einen telepathischen "Ruf" aus, der seine Empfänger zu irrationalem, selbstzerstörerischem und gewalttätigem Verhalten antreibt. Wenn der unter ihrem Bann geratene Deuce (William Sanderson) erklärt: "We belong to them", so erinnert dies an eine berühmte Passage aus Charles Forts Book of the Damned, das ganz sicher zu Lovecrafts Inspirationsquellen gehörte: "I think we're property. I should say we belong to something: That once upon a time, this earth was No-man's Land, that other
worlds explored and colonized here, and fought among themselves for
possession, but that now it's owned by something". Auch wird wohl jeder Cthulhu-Fan augenblicklich an R'lyeh denken müssen, wenn die Vorlonen durch Lytas Mund verkunden: "They watch us from within their dark cities." Zwar gleicht das Erscheinungsbild der schwarzen Stadt in Ivanovas und Virs Traum eher dem einer Barackensiedlung als R'lyehs "falscher Geometrie", dennoch besitzt auch diese von Wayne Barlowe geschaffene Szenerie in ihrer finsteren Pracht einen eindeutig cthulhuiden Unterton.
Freilich geschieht dieses Anzitieren lovecraftianischer Motive auf eher oberflächliche Weise. Nirgends evoziert Thirdspace jenes für die Erzählungen des alten Gentleman so typische, beunruhigende Gefühl, dass sich hinter der scheinbar so geordneten Oberfläche der Wirklichkeit unmenschliche und finstere Mächte verbergen, denen wir letztlich hilflos ausgeliefert sind. Auch wenn die Aliens viel mit den Großen Alten gemein haben, sind sie andererseits eben doch bloß die Bewohner einer fremden Dimension und erinnern in dieser Hinsicht eher an Species 8472 aus Star Trek: Voyager. Trotz der oben zitierten Charakterisierung durch Lyta fehlt ihnen letztlich die mythische Aura, die Lovecrafts monströse "Götter" umgibt. Stattdessen verbindet Thirdspace die cthulhuide Ikonographie mit zwei ganz anderen Motiven.
Das erste entstammt der Mythologie von Babylon 5 selbst. Verantwortlich für das ursprüngliche Öffnen des Tores zwischen den Dimensionen war die Hybris der Vorlonen. In ihrem Bemühen, die "jüngeren Rassen" anzuleiten, waren sie diesen als quasigöttliche "Geschöpfe des Lichtes" erschienen. Doch mit der Zeit hatten sie begonnen, sich selbst ebenso zu sehen. Der "dritte Raum" war in ihren Augen eine Art "göttliche Sphäre" gewesen, und ihr Versuch, sich Zugang zu ihm zu verschaffen, hatte dem Ziel gedient, selbst zu Göttern zu werden. Und auch für das erneute Aktivieren des Tores ist letztendlich die Hybris verantwortlich. Zuerst einmal jene Sheridans selbst, der das geheimnisvolle Artefakt als seinenpersönlichen Fund betrachtet, den er ohne die Mithilfe anderer zu untersuchen gedenkt. Und dann natürlich jene von Dr. Trent, die von einem ultimativen Karrieresprung und der Verleihung des Nobelpreises träumt. Das Problem, das ich mit diesem Motiv habe, ist vor allem, dass am Ende trotzdem Sheridan wieder einmal als der "auserwählte" Retter auftritt. Ist das nicht irgendwie ein Widerspruch?
Das zweite Motiv besteht überraschenderweise in einigen Anspielungen auf Star Trek: The Motion Picture (1979). So erinnert das Traumbild der "schwarzen Stadt" mit dem gewaltigen Turm in ihrem Zentrum ein wenig an die finale Szene des ersten Star Trek - Films, wenn Kirk und Kumpanei das Herz von V'Ger betreten. Sehr viel deutlicher wird es, wenn Sheridan sich mit Hilfe eines Raketenrucksacks in das Innere des Artefakts begibt, um es zu zerstören. Hier wird ganz ohne Zweifel die Szene anzitiert, in der Spock auf die gleiche Weise in die inneren Bereiche von V'Ger vorstößt. Welche Überlegungen könnten diesen Anspielungen zugrundegelegen haben? Der meiner Meinung nach zu Unrecht oft mit Verachtung gestrafte erste Star Trek - Film war als eine Art humanistischer Antwort auf Stanley Kubricks 2001 gedacht gewesen. Ist Thirdspace demnach also als eine Antwort auf diese Antwort zu verstehen? Und wenn dem so ist, wie lautet sie? Star Trek: The Motion Picture hatte der Misanthropie von Kubricks Klassiker die Vision einer zu immer größerer Selbstvervollkommnung fähigen Menschheit entgegengehalten, bei der sich Intellekt und Emotion auf harmonische Weise zu einer höheren Einheit vereinten. Setzt J.Michael Straczynski diesem Optimismus nun erneut das Bild eines von Natur aus zu Gewalt und Egoismus tendierenden Menschengeschlechts entgegen, wie es uns von Kubrick vorgeführt wurde? Nicht wirklich! Babylon 5 als Ganzes kann als Gegenentwurf zu Roddenberrys ziemlich naivem und simplistischem Utopismus verstanden werden.*** Antihumanistisch oder misanthrop war die Serie jedoch sicher nicht. Ganz im Gegenteil! Und dasselbe gilt auch für Thirdspace. Einerseits kann man das Motiv der Hybris durchaus als Kritik an dem arg unkomplizierten Optimismus der alten Star Trek - Serien verstehen. Andererseits sind es auch bei Straczynski die Menschen, die letztlich die von den Mächten des Chaos ausgehende Bedrohung überwinden. So gesehen ist auch Thirdspace durchaus optimistisch. Bloß vollziehen Film wie Serie nicht auf vergleichbar simplifizierte Weise wie Star Trek den Sprung von Optimismus zu Utopismus. Und das ist letztlich ganz gut so ...
* H.P. Lovecraft: The Dunwich Horror & Clark Ashton Smith: The Nameless Offspring. ** IMDB zufolge wurde die Szene im Aufzug, in der Zack Allan (Jeff Conaway) auf peinlich anzuschauende Weise Lyta Alexander seine Liebe gesteht, nachträglich hinzugefügt, da der Film ansonsten nicht die geplante Länge erreicht hätte. Das mag als Entschuldigung genügen ... *** Wobei das Ergebnis sehr viel intelligenter ausgefallen ist als Deep Space 9, das sich auf einer ähnlichen Grundlage entwickelte. Doch das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden ...