"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Montag, 6. Februar 2012

Der Gentleman von Providence und seine Ängste (II)

Ein Beitrag zur Debatte um H.P. Lovecrafts Rassismus

Ungefähr ein Jahr nach The Street schrieb Lovecraft das Prosagedicht Nyarlathotep, meiner Ansicht nach eines seiner beeindruckendsten Werke, das im Kern sehr eng mit der allegorischen Geschichte verwandt ist. In phantasmagorische Bildern drückt sich in ihm dasselbe Gefühl aus, in einer Zeit bedrohlicher gesellschaftlicher Umbrüche zu leben, in der die Welt ihren inneren Halt verloren zu haben scheint und unaufhaltsam auf einen Abgrund von Chaos und Vernichtung zutaumelt. Man braucht sich bloß die Anfangspassage anzuschauen:
"Nyarlathotep ... the crawling chaos... I am the last... I will tell the audient void....
I do not recall distinctly when it began, but it was months ago. The general tension was horrible. To a season of political and social upheaval was added a strange and brooding apprehension of hideous physical danger; a danger widespread and all-embracing, such a danger as may be imagined only in the most terrible phantasms of the night. I recall that the people went about with pale and worried faces, and whispered warnings and prophecies which no one dared consciously repeat or acknowledge to himself that he had heard. A sense of monstrous guilt was upon the land, and out of the abysses between the stars swept chill currents that made men shiver in dark and lonely places. There was a daemoniac alteration in the sequence of the seasons – the autumn heat lingered fearsomely, and everyone felt that the world and perhaps the universe had passed from the control of known gods or forces to that of gods or forces which were unknown."
In den beschwörerischen Sätzen zeigt sich Lovecraft nicht nur sprachlich von seiner starken Seite, die krude politische Allegorie ist außerdem durch eine bedrohliche Atmosphäre vagen Grauens ersetzt worden, die sich nicht mehr so einfach aufschlüsseln lässt. Insbesondere ein Satz fällt ins Auge: "A sense of monstrous guilt was upon the land". Später bezeichnet der Erzähler seine Heimatstadt als "the great, the old, the terrible city of unnumbered crimes". Von welcher Schuld, von welchen Verbrechen ist hier die Rede? Nyarlathotep – "swarthy, slender, and sinister" – kommt zwar von außen, aus Ägypten, in die 'Länder der Zivilisation', aber die Welt ist offenbar schon vor seiner Ankunft aus dem Gleichgewicht geraten. Auch handelt es sich bei ihm nicht um einen übelriechenden Untermenschen, sondern um einen luziferischen Verführer mit den Zügen eines Pharao.
Die kurze Erzählung endet mit einer alptraumhaften Szene, in der Menschen wie unter Zwang durch eine nächtliche, ausgestorbene, zu Ruinen zerfallene Großstadt wandern. Einige verschwinden in halbüberwucherten U-Bahnschächten, andere in lichtlosen Nebenstraßen. Der Erzähler gelangt mit einer dritten Gruppe hinaus aus der toten Metropole in eine von unnatürlichem Schnee bedeckte Landschaft. Vor ihnen gähnt ein schwarzer Abgrund, in den sie wie in Trance hineinmarschieren.
"Screamingly sentient, dumbly delirious, only the gods that were can tell. A sickend, sensitive shadow writhing in hands that are not hands, and whirled blindly past ghastly midnights of rotting creation, corpses of dead worlds with sores that were cities, charnel winds that brush the pallid stars and make them flicker low. Beyond the worlds vague ghosts of monstrous things; half-seen columns of unsanctified temples that rest on nameless rocks beneath space and reach up to dizzy vacua above the spheres of light and darkness. And through this revolting graveyard of the universe the muffled, maddening beating of drums, and thin, monotonous whine of blasphemous flutes from inconceivable, unlighted chambers beyond Time; the detestable pounding and piping whereunto dance slowly, awkwardly, and absurdly the gigantic, tenebrous ultimate gods the blind, voiceless, mindless gargoyles whose soul is Nyarlathotep."
Hier zeigt sich sehr schön, wie sich Lovecrafts Angst vor dem Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung in einer Form des Phantastischen auszudrücken beginnt, die bereits viele Elemente des späteren Cthulhu-Mythos vorwegnimmt. (1) 

Mit dem Beginn der wirtschaftlichen Boom-Ära der 20er Jahre schwand zwar die allgemeine Kommunistenhysterie der unmittelbaren Nachkriegszeit, doch Lovecrafts Gefühl, in einer Ära des Niedergangs zu leben, in der die Grundfesten der ‘Zivilisation’ von den Kräften der Moderne (Kommerz, Industrie, Demokratie) zersetzt werden, wodurch es schließlich zur Entfesselung der primitiven, anarchischen Gewalt des Pöbels kommen muss, änderte sich nicht. Diese Sicht wurde noch verschärft durch die Erfahrungen, die er während seiner Zeit in New York (1924-26) machte. Als er kurz nach seiner Heirat mit Sonia Greene dorthin übersiedelte, war dies vermutlich der Versuch, dem kleinbürgerlichen Milieu von Providence zu entkommen. Dieser Versuch scheiterte auf der ganzen Linie. Persönlich wie beruflich waren die New Yorker Jahre eine Zeit der Niederlagen. Weder gelang es ihm, eine dauerhafte Beziehung mit Sonia aufzubauen, noch erfüllten sich seine Hoffnungen auf einen Job als Lektor oder Redakteur. Und auch wenn er sich dort anfangs im Kreis seiner Freunde recht wohl fühlte und ganze Tage damit verbrachte, voller Neugier die Straßenschluchten von Manhattan zu durchstreifen, wurde die Metropole am Hudson für ihn schließlich zur Verkörperung all dessen, was er verabscheute und fürchtete. Als Erika und Klaus Mann 1929 erstmals New Yok besuchten, schrieben sie begeistert: „Nirgends fanden wir den Begriff der Stadt so erfüllt: alle Völker durcheinander-gemischt und lauter Lichtreklamen dazwischen." (2) Für Lovecraft war es eben dieser kosmopolitische und dynamische Charakter der modernen Großstadt, der ihn mit wildem Hass erfüllte. Sonia berichtete nach ihrer Scheidung: „Whenever we found ourselves in the racially mixed crowds which characterize New York, Howard would become livid with rage. He seemed almost to lose his mind." (3) In einem Brief an Frank Belknap Long schrieb Lovecraft über die Bewohner der New Yorker Slums, sie seien „monstrous and nubulous adumbrations of the pithecanthropoids and moebal; vaguely molded from some stinking viscous slime of earth's corruption, and slithering and oozing in and on the filthy streets or in and out of windows and doorways in a fashion suggestive of nothing but infesting worms or deep-sea unnamabilites." (4) Im April 1926 floh er zurück in sein geliebtes Rhode Island, und auch in späteren Jahren blieb die Stadt für ihn stets ‘Jew York’ – „no place for a white man to live"; ein stinkender Moloch, bevölkert von „decadent & unassimilable hordes from Southern Europe & the East [...] brachycephalic South-Italians & rat-faced half-Mongoloid Russian & Polish Jews, & all that cursed scum!" (5) 

Es war während dieser New Yorker Jahre, dass Lovecraft seine berüchtigte Kurzgeschichte The Horror at Red Hook verfasste. Schauplatz der Handlung ist ein Armenviertel in Brooklyn, wo er nach seiner ersten Trennung von Sonia wohnte.
"Red Hook is a maze of hybrid squalor near the ancient waterfront opposite Governor's Island, with dirty highways climbing the hill from the wharves to that higher ground where the decayed lengths of Clinton and Court Streets lead off toward the Borough Hall. [...] The population is a hopeless tangle and enigma; Syrian, Spanish, Italian, and Negro elements impinging upon one another, and fragments of Scandinavian and American belts lying not far distant. It is a babel of sound and filth, and sends out strange cries to answer the lapping oily waves at its grimy piers and the monstrous organ litanies of the harbour whistles. [...] From this tangle of material and spiritual putrescence the blasphemies of an hundred dialects assail the sky. Hordes of prowlers reel shouting and singing along the lanes and thoroughfares, occasional furtive hands suddenly extinguish lights and pull down curtains, and swarthy, sin-pitted faces disappear from windows when visitors pick their way through."
Diese Story wird stets als Paradebeispiel für Lovecrafts Rassismus angeführt, doch zeigt sie zugleich besonders deutlich, dass sein Hass auf die ‘Fremden’ unauflösbar verbunden war mit seinem Hass auf die städtische Unterschicht im allgemeinen. Mit Grausen beobachtet der Polizist Malone, Held der Geschichte, das Treiben der Slumbewohner:
"He was conscious, as one who united imagination with scientific knowledge, that modern people under lawless conditions tend uncannily to repeat the darkest instinctive patterns of primitive half-ape savagery in their daily life and ritual observances; and he had often viewed with an anthropologist's shudder the chanting, cursing processions of blear-eyed and pock-marked young men which wound their way along in the dark small hours of morning."
Wie Lovecraft in einem Brief an Clark Ashton Smith betont, haben wir es in The Horror at Red Hook mit zwei Gruppen von Menschen zu tun: „herds of evil-looking foreigners" und „gangs of young loafers". Die jungen Männer werden nicht ausdrücklich als Ausländer bezeichnet. Was sie so schrecklich macht ist vor allem ihre ‘Gesetzlosigkeit’. Das Fehlen einer festen Ordnung und einer anerkannten Autorität führt zu einem Rückfall in barbarische und triebgesteuerte Verhaltensweisen. Es ist der ungezügelte ‘Mob’, Stoddards ‘Untermensch’, der in Red Hooks Gassen sein Unwesen treibt.
Die eigentliche Handlung weist gewisse Parallelen zu The Street auf, doch ist das revolutionäre Motiv durch einen horrorgemäßeren Satanskult ersetzt worden, den der Okkultist Robert Suydam in Red Hook etabliert. Mit ihm hat der Pöbel einen gebildeten Anführer gefunden, was ihn erst wirklich gefährlich macht. Seine Anhängerschaft rekrutiert sich aus „swarthy, evil-looking strangers", „rowdies and foreigners". Einer seiner Handlanger ist „an Arab with a hatefully negroid mouth". Das Einwanderungsgesetz von 1924 hatte die Immigration in die USA extrem erschwert und für Menschen aus Asien praktisch unmöglich gemacht, und so spielt der Menschenschmuggel bei Suydams verbrecherischem Treiben eine wichtige Rolle. Schon bald fällt der Polzei auf, „that the old scholar's particular circle coincided almost perfectly with the worst of the organized cliques which smuggled ashore certain nameless and unclassified Asian dregs wisely turned back by Ellis Island." Den Kerntrupp der Satanskirche bilden illegale Einwanderer aus Kurdistan: "[they] were flooding Red Hook in increasing numbers; entering through some marine conspiracy unreached by revenue officers and harbour police, over-running Parker Place and rapidly spreading up the hill, and welcomed with curious fraternalism by the other assorted denizens of the region." Auffällig an dieser Passage ist vor allem die Bemerkung über die Bereitschaft der Slumbewohner, die Neuankömmlinge bei sich aufzunehmen. Was man ebensogut als Ausdruck von Solidarität, Mitgefühl und menschlicher Offenheit interpretieren könnte – die ‘merkwürdige Brüderlichkeit’ der Armen und Ausgestoßenen – ist für Lovecraft offensichtlich Ausdruck einer fürchterlichen Degeneration. Jeder ‘echte’ Amerikaner sollte den Fremden mit Misstrauen und Ablehnung begegnen, denn das würde dem ‘gesunden Rassebewusstsein’ des Angelsachsen entsprechen. Doch die Bewohner von Red Hook interessieren sich nicht für Hautfarbe, Sprache oder Religion ihrer neuen Nachbarn.
Die grobgestrickte Story gipfelt in einer Großrazzia auf Suydams Mietshäuser. Dort wird Malone in unterirdischen Gewölben mit dem ganzen Grauen des Teufelskultes konfrontiert. Der widerliche Hexensabbat, der sich den Augen des Polizisten darbietet, lässt sich ohne weiteres als eine Allegorie auf die Zügellosigkeit der Moderne und die Hauptsünde der ‘Rassenmischung' lesen , die die Grundfesten der westlichen Zivilisation zu zersetzen drohen. (6) Ähnlich wie in The Street stürzen am Ende auch hier die Häuser ein und begraben die schändliche Brut unter ihren Trümmern. Doch anders als dort ist das Grauen damit nicht gebannt: "As for Red Hook – it is always the same. Suydam came and went; a terror gathered and faded; but the evil spirit of darkness and squalor broods on amongst the mongrels in the old brick houses, and prowling bands still parade on unknown errands past windows where lights and twisted faces unaccountably appear and disappear."

Meine Ansichten über die Entwicklung, die zur Entstehung des Cthulhu-Mythos führte, kann ich hier nicht im Detail ausführen. Dazu wäre es u.a. nötig, sich mit Lovecrafts Liebe zu Lord Dunsany und mit seinen eigenen ‘Traumland’ - Geschichten auseinanderzusetzen. Es ist mir jedoch wichtig, zumindest andeutungsweise darzulegen, warum ich denke, dass sich in den Geschichten um die Großen Alten genau dieselbe Weltsicht ausdrückt wie in The Street und The Horror at Red Hook. Die Rückkehr Lovecrafts aus New York nach Providence leitete die vielleicht kreativste Phase seines Lebens ein, in deren Verlauf auch die berühmte Kurzgeschichte The Call of Cthulhu (1926) entstand. Einzelne Elemente des Mythos waren zwar auch schon in früheren Werken wie Nyarlathotep und Rats in the Walls (1923) aufgetaucht, doch zurecht gilt sie als der Beginn einer neuen Etappe in seinem Schaffen. Eigentlich wäre es nötig, sich an dieser Stelle mit Lovecrafts berühmtem ‘Kosmizismus’ zu beschäftigen, doch spare ich mir das für andermal auf. Ich will jetzt nur jene Elemente in der Geschichte hervorheben, die die Kontinuität in seiner Weltsicht verdeutlichen.

Die Stärke von The Call of Cthulhu zeigt sich vor allem im ersten Kapitel. Es ist das beunruhigende Gefühl einer vagen, unterirdischen Bedrohung, das Lovecraft hier heraufbeschwört, das die besondere Faszination der Story ausmacht. Hinter der Fassade einer scheinbar sicheren und geordneten Welt lauert eine furchterregende Macht, die jederzeit hervorbrechen und alles ins Chaos stürzen kann. Nur einige wenige, besonders sensible Menschen nehmen unterbewusst das Knirschen und Knacken in den Fundamenten war, als diese elementare, zerstörerische Gewalt zu erwachen beginnt. Doch ihr Warnruf verhallt unverstanden. Die Menschheit steht am Abgrund und weiß es nicht einmal.
Der Unterschied zu der allgemein spürbaren Atmosphäre einer aus der Bahn geworfenen Welt, wie sie in Nyarlathotep existierte, erklärt sich meiner Meinung nach aus den veränderten Zeitumständen, unter denen die Geschichte geschrieben wurde. Mitte der 20er Jahre befinden wir uns auf dem Höhepunkt des Nachkriegsbooms. Die USA erlebten einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung und nichts schien den Siegeszug des amerikanischen Kapitalismus aufhalten zu können. Wer wollte bezweifeln, dass die Zukunft Ford und dem Fließband gehörte? Selbstbewusstsein, Dynamik, Optimismus waren der Geist der Stunde und Amerikas Mittelklasse berauschte sich an der goldenen Perspektive eines grenzenlos wachsenden Wohlstands. Es waren, wie sich der Dichter William Carlos Williams ausdrückte, die „fetten republikanischen Jahre, als das Geld gedieh wie die Stinkende Zehrwurz im April in den Sümpfen". (7) Erst vor diesem Hintergrund offenbart sich uns die eigentliche Bedeutung von Lovecrafts Geschichte über den erwachenden Monstergott. Der Autor spürte das unterirdische Beben, das diese ganze selbstgefällige Ordnung zum Einsturz bringen konnte. Es sind nicht wie oft angenommen die ‘kosmischen’ Fragen über die Situation des Menschen in einem sinnlosen und inhumanen Universum, die den Kern der Erzählung ausmachen. Das Schreckliche ist kein Zustand, sondern ein Ereignis; nicht dass eine Kreatur wie Cthulhu tatsächlich existiert, sondern dass er eines Tages wieder erwachen wird. Was aber repräsentiert der schlafende Herrscher von R’lyeh? Die Antwort findet sich in den Reden des alten Kultisten Castro, wenn dieser vom kommenden Erwachen des Großen Cthulhu und seiner Brüder erzählt:
"The time would be easy to know, for then mankind would have become as the Great Old Ones; free and wild and beyond good and evil, with laws and morals thrown aside and all men shouting and killing and revelling in joy. Then the liberated Old Ones would teach them new ways to shout and kill and revel and enjoy themselves, and all the earth would flame with a holocaust of ecstasy and freedom."
Ganz eindeutig wird die Rückkehr der Großen Alten hier mit dem Zusammenbruch von Moral und gesellschaftlicher Ordnung in Zusammenhang gebracht. Der rasende Cthulhu – das ist der Triumph der Anarchie. In The Horror at Red Hook hatte Lovecraft seiner Überzeugung Ausdruck verliehen, „that modern people under lawless conditions tend uncannily to repeat the darkest instinctive patterns of primitive half-ape savagery". Eben diesen Zustand der Zügellosigkeit verkörpern die Großen Alten. Sie stehen für die tiefste Furcht des Gentlemans von Providence, für den Untergang der Zivilisation. Wie er selbst es in seinem 1919 geschriebenen Essay At the Root formuliert hatte: "[C]ivilisation is but a slight coverlet beneath which the dominant beast sleeps lightly and ever ready to awake." Im Mythos ist Cthulhu diese Bestie, in der Realität – der ‘Mob’. Würde dieser sich der Bande entledigen, die ihm von Moral, Tradition und Autorität auferlegt wurden, so wäre das Ergebnis blutiges Chaos, „and all the earth would flame with a holocaust of ecstasy and freedom." Denn im Gegensatz zum Aristokraten sind die einfachen Leute triebgesteuerte Wesen – ganz wie die Großen Alten. Freiheit würde für sie lediglich die Freiheit bedeuten, „to shout and kill and revel and enjoy themselves". Man erinnere sich an Stoddards Charakterisierung der Revolution des ‘Untermenschen’ als einer ‘atavistischen Revolte’: „The complex fabric of society, slowly and painfully woven, is torn to tatters; the social controls vanish, and civilization is left naked to the assaults of anarchy. [...] Not only is society in the grip of its barbarians, but every individual falls more or less under the sway of his own lower instincts." Diese Bedrohung verbirgt sich hinter der Gestalt Cthulhus, der kreischend und vor Lust rasend aus seinem Tempelgrab in R’lyeh hervorbricht. In späteren Mythos-Geschichten sind es dann verstärkt die Shoggothen, die diese Rolle übernehmen, bis Lovecraft 1931 – unter den Verhältnissen der Großen Depression – mit At the Mountains of Madness eine Erzählung zu Papier bringen wird, die so unverhüllt wie seit The Street nicht mehr seine Angst vor einer Arbeiterrevolution zum Ausdruck bringt. (8) Die rassistischen Elemente sind zwar auch in Call of Cthulhu noch sehr augenfällig – die Kultisten sind „men of a very low, mixed-blooded, and mentally aberrant type", hauptsächlich „negroes", „mulattoes" und andere „half-castes" –, aber sie stehen nicht mehr im Zentrum. Die Geschichte würde ebensogut auch ohne sie funktionieren. Ich halte China Miévilles Ansicht, Lovecrafts gesamtes Werk sei „deeply structured with race hatred" deshalb auch für nicht ganz richtig. Weniger Hass als vielmehr Angst liegt seinem Werk zugrunde, eine geradezu panische Angst vor allem, was die überkommene Ordnung der Gesellschaft zu vernichten droht. Dabei verschmilzt die Furcht vor dem rebellierenden ‘Pöbel’ mit einer ebenso großen Furcht vor der animalischen, triebhaften, sinnlichen Seite des Menschen (und letztlich des Autors selbst). Womit ich nicht sagen will, dass damit der ganze Inhalt des Cthulhu-Mythos bereichts ausreichend charakterisiert wäre.

Jetzt wird vielleicht klarer, warum ich die Konzentration auf Lovecrafts Rassismus für gefährlich halte. Eine solche Herangehensweise kann zu dem Irrglauben führen, man könne das lovecraftsche Erbe ‘retten’, indem man einfach die offen rassistischen Elemente entfernt, was bei seinen reiferen Geschichten letztlich nicht so schwierig wäre. Doch damit hätte man das wirklich Reaktionäre an Lovecraft und seinem Cthulhu-Mythos gar nicht beseitigt. Dieses ist sehr viel tiefer verwurzelt. Keiner der großen Lovecraftianer der Gegenwart ist ein Rassist, und dennoch halte ich die anhaltende Begeisterung für den Gentleman von Providence für ein zumindest problematisches Phänomen. Lovecrafts unangenehmste Seiten lassen sich auch ‘politisch korrekt’ fortführen. Thomas Ligotti etwa gilt als einer der größten zeitgenössischen Verfasser lovecraftschen Horrors. Ich kann das nicht wirklich beurteilen (dazu habe ich zuwenig von ihm gelesen), aber sein tiefer Pessimismus und seine extreme Misanthropie wirken auf mich eher beunruhigend – und das nicht im positiven Sinn.



(1) Christian Matzke verarbeitete Nyarlathotep 2001 zu einem 13minütigen Kurzfilm, der zwar ganz beeindruckend ist (bloß die Mumienszene finde ich ziemlich daneben), die Atmosphäre einer aus den Fugen geratenen Welt jedoch eher mit dem 1. Weltkrieg in Verbindung bringt.
(2) Erika & Klaus Mann: Rundherum. Abenteuer einer Weltreise. S. 14.
(3) Zit. nach: Lin Carter: Lovecraft: A Look Behind the Cthulhu Mythos. S. 45.
(4) H. P. Lovecraft: Selected Letters. Bd. I, S. 333f. Zit. nach: Bruce Lord: The Genetics of Horror: Sex and Racism in H.P. Lovecraft’s Fiction.
(5) Zit. nach: scottedelman
(6) ‘Mongrels’ (‘Bastarde’) scheint eines von Lovecrafts Lieblingsworten gewesen zu sein, wenn es darum ging, den ‘Pöbel’ zu beschreiben. Das Motiv der ‘grauenhaften Rassenmischung’ zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk – von Arthur Jermyn über Medusa’s Coil bis zu Shadows over Innsmouth.
(7) William Carlos Williams: Die Autobiographie. S. 317.
(8) Auf Lovecrafts vielzitierte Linkswende in den 30er Jahren, die ihn zu einem Anhänger Roosevelts machte, kann ich jetzt nicht eingehen. Man sollte jedenfalls nicht glauben, er sei dadurch ein progressiver Demokrat geworden. Sehr viel treffender ist seine eigene Selbstcharakterisierung als "a cross betwixt a fascist & an old-time non-bolshevik socialist." (Zit. nach: L. Sprague De Camp: Lovecraft. S. 375.)

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