Die Ordenskrieger von Goldberg
Meine Kenntnis deutschsprachiger Fantasy ist beschämend gering. Um nicht zu sagen, sie tendiert gegen Null. Freilich vermag mich das, was unsere heimischen Bestsellerautoren wie Markus Heitz oder Bernhard Hennen produzieren, bereits aus thematischen Gründen nicht zu locken. Epische Fantasy über Zwerge oder Elfen ist halt einfach nicht mein Ding. Schon eher nach meinen Geschmack schien da die von Thomas Plischke und Ole Johan Christiansen kreierte Reihe um die Zerrissenen Reiche zu sein. Eine erfrischend originelle und kritisch-ironische Auseinandersetzung mit den Klischees der Fantasy, die zudem noch aktuell-politische Bezüge enthält? Immer her damit! Die Lektüre der ersten beiden Bände – Die Zwerge von Amboss und Die Ordenskrieger von Goldberg – hat mir jedoch leider recht drastisch vor Augen geführt, dass gute Absichten und interessante Ideen noch lange keine lesbaren Bücher hervorbringen müssen. Im Folgenden werde ich mich hauptsächlich auf den zweiten Band beziehen, da über die Ambosszwerge schon genug geschrieben worden ist.*
Plischke und Christiansen entstammen meines Wissen nach der Rollenspielerszene, und die Spielart der Fantasy, mit der sie sich auseinanderzusetzen versuchen, ist die durch D&D, DSA etc. geprägte. Das zeigt sich bereits am Titel des Buches, denn der Begriff ‘Ordenskrieger’ stammt, so weit ich weiß, aus Midgard. An sich kein schlechter Ansatz, habe ich doch manchmal das Gefühl, dass Gary Gygax unser Bild von Elben, Zwergen, Orks und Halblingen stärker geprägt hat als J.R.R. Tolkien. Eine der Ideen, die der Erschaffung der Zerrissenen Reiche zugrunde lag, war es offenbar, die stereotypen Fantasyrassen, die jede RPG-Welt von Greyhawk bis Aventurien bevölkern, zu nehmen und einer mehr oder weniger krassen Umwandlung zu unterziehen. Am besten ist dies bei den Zwergen gelungen, denn hier wurde ihre traditionelle Rolle als Schmiede und Bergleute zum Ausgangspunkt genommen, was sie – konsequent weitergedacht – zu den natürlichen Trägern der industriellen Revolution macht. Statt Khazad-dûm das Ruhrgebiet in der Ära von Kanonenkönig Krupp. Parallel zur Entwicklung einer steampunkigen Technik haben die wackeren Gesellen auch ihre alten Klanbande überwunden und die Religion ihrer Vorväter zugunsten eines utilitaristischen Rationalismus aufgegeben. Nach außen hin gibt sich ihr Bund als eine quasisozialistische Demokratie, doch wird ihre Gesellschaft in Wirklichkeit von harschen Klassengegensätzen beherrscht. Die Menschenvölker sind im Kontrast dazu entworfen. Sie sind religiös und leben in den eponymischen Zerrissenen Reichen, fantasytypischen Feudalstaaten auf ungefähr mittelalterlichem technischem Niveau, die beinahe ununterbrochen Glaubens- und andere Kriege untereinander ausfechten. Etwas merkwürdig mutet die Wandlung an, der die Halblinge unterzogen wurden. Als ‘Brudervolk’ der Zwerge bilden sie die Bürokratenkaste des Bundes und treten in den Büchern hauptsächlich als Kommissare der Bundessicherheit – der politischen Polizei – auf. Das alte Klischeebild ist in diesem Fall also in sein Gegenteil verkehrt worden: aus den friedvollen, ländlichen Spießbürgern sind fiese Gestapotypen geworden. Elfen schließlich tauchen erst im dritten Band auf und entpuppen sich da offenbar als arrogante und dekadente Vertreter einer hochentwickelten Biotech-Zivilisation mit starken Anklängen an Warhammer 40k, wie Oliver Kotowski vom Fantasyguide schreibt.
Als Konzept ist das alles nicht uninteressant, in der Handlung selbst jedoch habe ich kaum etwas entdecken können, was sich als kritische oder satirische Auseinandersetzung mit den Klischees der Fantasy interpretieren ließe. Ich weiß nicht recht, was ich eigentlich erwartet hatte. Vielleicht etwas in Richtung der D&D-mäßigen Abenteurergruppe in China Miévilles Perdido Street Station, die sich als ein Haufen amoralischer und geldgieriger Söldner, Schatzjäger und Grabräuber entpuppt. Für einen ganzen Roman hätte das natürlich nicht ausgereicht, aber dies wäre der Ton gewesen, den ich mir für die Bücher gewünscht hätte. Monsterjäger Siris, der mit Muskelkraft und Wumme fast jedes Hindernis aus dem Weg zu räumen versteht, trägt noch am ehesten die Züge eines typischen RPG-Helden, ist aber auch die langweiligste Figur der ersten beiden Bücher. Zudem fällt es schwer, ihn tatsächlich als eine Karrikatur auf den ultracoolen Einsamen Wolf zu lesen. Seine Funktion scheint es eher zu sein, für die nötige Action zu sorgen, d.h. er spielt genau die ihm klischeemäßig zukommende Rolle. Und um es gleich zu sagen: Die Bücher fließen über vor Klischees, ohne dass ich dabei einen ironischen Unterton herausgehört hätte. Eine der Grundideen Plischkes und Christiansens war es wohl, mit stereotypen Figuren zu beginnen und diese im Verlauf der Handlung einer Entwicklung zu unterziehen, bei der diese Stereotypen dann aufgebrochen werden. Für mich hat das jedoch zumindest in den ersten beiden Bänden höchstens punktuell funktioniert. Zumal sich mehr als genug Klischees nicht nur in der Charakterzeichnung, sondern auch in der Handlungsführung finden lassen. Schade.
Wenden wir uns also der Handlung der Ordenskrieger zu. Der Krieg des Bundes gegen die Zerrissenen Reiche hat begonnen. Unter den vorrückenden Truppen der Zwerge befinden sich auch Siris und der ‘Leiböffner’ (Arzt) Himek, die der Armee beigetreten sind, um sich so der Verfolgung durch die Behörden zu entziehen. Ebenfalls flüchtig und auf dem Weg in die Länder der Menschen sind der Ex-‘Sucher’ (Polizist) Garep und seine menschliche Geliebte Sira/Arisascha. Ein neuer Handlungsstrang wird in der heiligen Menschenfestung Goldberg um die Oberpriesterin Esavintje und ihre Tochter Fianessa eröffnet. Einzig mit der ehemaligen Polizeianwärterin Karu verbleibt die Geschichte im Zwergenbund.
Die Ereignisse um die Belagerung von Goldberg haben mich eher kalt gelassen. Bestenfalls finden sich hier Ansätze für künftige Entwicklungen, die vielleicht einmal ganz interessant werden könnten. Die junge Fianessa ist zwar eine stereotyp gezeichnete, aber auch recht sympathische Figur. Und dann gibt es da den mysteriösen Dschun, der behauptet die toten Götter gesehen zu haben, sich selbst als ‘der Bote, der der Bringer ist’ bezeichnet und offenbar ein lebendiges Etwas in seinem Leib trägt. Ich hätte schon recht gerne gewusst, was es mit seinem Geheimnis auf sich hat, aber dazu müsste ich mich vermutlich durch mindestens zwei weitere Bände der Zerrissenen Reiche kämpfen, und so bleibt er für mich in erster Linie eine Bestätigung meiner instinktiven Abneigung gegen die Mode der ellenlangen Fantasyzyklen. Als besonders unangenehm sind mir zwei Dinge in diesem Handlungsstrang aufgefallen. Schon im ersten Band fand ich die Figur der Halblingsfrau Ulaha mit ihrem inneren Ewigen Hain ziemlich unerträglich. Dass der Geist der Guten sich nach ihrer Ermordung nun in Himeks Kopf eingenistet hat und dort immer lautstärker zu Worte meldet, wirkte auf mich darum ähnlich enervierend wie auf den armen ‘Leiböffner’. Richtig ärgerlich wurde ich aber, als ich entdecken musste, dass Plischke in Bezug auf Siris aber auch auf gar kein Machoklischee zu verzichten bereit ist. Der coole Hecht hat bei seinem ersten Besuch in der Festung ‘natürlich’ Esavintje flachgelegt, und die sonst so beherrschte Oberpriesterin hat sich dabei ‘natürlich’ wie eine nimmersatte Sexbesessene aufgeführt. Lesen tut sich das so: „Er hatte sie für eine Frau gehalten, deren Schoß kälter als der Nordwind war – sehr zu seiner Freude erwartete ihn dort allerdings die Glut der Feuerberge. In all den Jahren, die seitdem vergangen waren, hatte er viele Frauen gehabt, die geschmeidiger oder willfähriger gewesen waren, aber keine, die darin so fordernd gewesen war, seinen Pflug wieder und wieder hart zu halten, um seine Saat möglichst tief in sie zu pflanzen. Wenn er ehrlich war, war ihm das ein wenig unheimlich gewesen" (S.302) Auf Plischkes sprachliche Verbrechen komme ich noch zurück, aber davon einmal abgesehen fällt mir dazu nur eins ein: Oh Gott! (Die Augen zum Himmel verdrehend).
Da begleite ich doch lieber Garep und Sira auf eine tropische Insel, lerne dort den exzentrischen Wissenschaftler Gozzoldini kennen und erforsche die (mehr oder weniger) verlassenen Überreste eines ‘Paradieses’ der ‘Herren’, der von den Menschen verehrten Götter. Wirklich neu ist die Idee zwar nicht, dass die ‘Götter’ sich als technisch hochentwickelte Rasse urzeitlicher Wesen entpuppen (Hallo, Herr Däniken!), aber ich muss zugeben, dass mich das nicht sonderlich gestört hat. Auch die Beziehung zwischen Sira und Garep – mit ihren sich aus den Problemen einer Kulturgrenzen überschreitenden Liebe ergebenden Konflikten – besitzt zumindest Potential. Alles in allem wirkt das Szenario dennoch wie einem mäßig guten D&D-Modul entnommen.
Das Motiv einer politischen Verschwörung im Land der Zwerge, das im ersten Band eine zentrale Rolle spielte, wird nur im Handlungsstrang um Karu weiter verfolgt. Gemeinsam mit dem Historiker und Mafiososprössling Rinul kommt sie einem Komplott auf die Spur, dessen Ziel es offenbar ist, die Geschichte der Zwerge umzuschreiben und alle Belege aus den Archiven zu tilgen, die der offiziellen Version von der Gründung des Bundes und der Rolle, die die Halblinge dabei gespielt haben sollen, widersprechen. Persönlich haben mir diese Teile des Buches am besten gefallen, vielleicht weil sie am weitesten entfernt sind von den üblichen Gefilden der Fantasy, vielleicht weil ich etwas für Bibliotheken und das Erforschen alter Dokumente übrig habe.
Das Traurige an den Zerrissenen Reichen ist, dass Plischke und Christiansen durchaus interessante Ideen haben und wichtige Fragen anzusprechen versuchen, aber leider nicht die schriftstellerischen Qualitäten an den Tag legen, die es bräuchte, um dieses Potential auszuschöpfen. In Die Zwerge von Amboss standen als Themen die von der Industrialisierung hervorgerufenen Klassenkonflikte, die rassistische Hetze gegen Immigranten und die Gefahr des Abgleitens einer demokratischen Gesellschaft in den Faschismus im Vordergrund. In Die Ordenskrieger von Goldberg habe ich zwei Hauptthemen ausmachen können.
Zuerst einmal ist da natürlich der Krieg, der von den Zwergen offiziell geführt wird, um den Menschen Zivilisation, Einheit und Vernunft zu bringen, der Führung des Bundes aber in erster Linie dazu dient, von den sozialen Problemen im Inneren abzulenken (und nebenbei ein paar wertvolle Rohstoffquellen zu erobern). Die Parallelen zu den unter der Parole des ‘Kriegs gegen den Terror’ geführten neokolonialen Feldzügen sind überdeutlich, und Plischke spricht dabei eine ganze Reihe höchst aktueller Punkte an:
- Das Aussetzen der Wahlen zum Obersten Vorarbeiter gemahnt an den wachsenden staatlichen Autoritarismus, dessen erste drastische Erscheinungsform in den USA der berüchtigte Patriot-Act von 2001 war, und der mit der Verabschiedung des National Defense Authorization Act (NDAA) gerade einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Ähnliche Entwicklungen lassen sich in allen westlichen Staaten beobachten.
- Die Internierung der menschlichen Einwohner des Bundes ‘aus Sicherheitsgründen’ spielt offensichtlich auf das Schicksal der japanischstämmigen Bevölkerung der US-Westküste während des 2. Weltkriegs an, lässt sich aber auch als Fingerzeig auf die Diskriminierung, Bespitzelung und Terrorisierung von Muslimen im Verlauf des ‘Kriegs gegen den Terror’ lesen.
- Die mehrfach erwähnte Tatsache, dass sich die Armee der Zwerge hauptsächlich aus Armen und Arbeitslosen rekrutiert, die auf diese Weise dem heimischen Elend zu entfliehen versuchen, entspricht ziemlich genau der Realität in der US-Armee.
- Wenn auf die Gewinne der zwergischen Rüstungsproduzenten hingewiesen wird, liegt der Vergleich mit den fetten Profiten nahe, die Firmen wie Halliburton aus dem Blutbad im Irak gezogen haben.
- Das Entsetzen der Zwerge über die ‘barbarischen’ Kriegstaktiken der Menschen, derweil sie selbst mit ihren Kanonen eine ganze Stadt in Schutt und Asche legen, lässt einen an das heuchlerische Geschrei über die ‘Barbarei’ irakischer oder afghanischer Aufständischer denken, das angestimmt wird während der Westen mit seinen Dronen, Cruise Missiles, Kampfjets und Helikoptern regelmäßig Tod und Vernichtung auf eine völlig wehrlose Bevölkerung herabregnen lässt.
Es ist Thomas Plischke hoch anzurechenen, dass er solche Fragen im Rahmen eines Fantasyromans zu behandeln versucht. Um so ärgerlicher ist es, dass es ihm nicht gelingt, eine dafür geeignete Darstellungsform zu finden. Alle diese Punkte werden erwähnt, aber kein einziger ist in die Handlung selbst integriert worden. Nicht eine der Hauptfiguren ist von ihnen unmittelbar betroffen. Das gilt selbst für Himek und Siris, die zwar an dem Feldzug teilnehmen, deren Lage aber dennoch eine ganz andere ist, als die der ‘echten’ Soldaten. Der Krieg ist für sie in erster Linie eine Etappe auf ihrer Flucht vor den Behörden, und das Buch endet damit, dass sie sich von der Truppe absetzen. Die aktuellen Bezüge, die Plischke herstellt, bleiben seiner Geschichte darum äußerlich. Wenn man böse sein will, könnte man auch sagen, dass sie aufgesetzt wirken. Ein leichtes Stirnerunzeln rief bei mir außerdem hervor, dass gerade die beiden ausdrücklich als ‘proletarisch’ gekennzeichneten Soldaten Bikek und Manub als ziemliche Einfaltspinsel dargestellt werden. Einige Szenen im Lazarett sollen wohl dazu dienen, das Grauen des Krieges zu veranschaulichen, aber leider gibt es in diesem Zusammenhang inzwischen kaum ein abgedroscheneres Klischee, und ich musste beim Lesen unwillkürlich an die Futurama-Folge War is the H-Word denken. Obwohl gleichfalls nicht frei von klischeehaften Zügen, ist der Tod Esavintjes für mich die eindringlichste Szene der Kriegserzählung:
"Erst sah sie nur die Sterne hoch über sich und doch so nah, als brauchte sie nur die Hand auszustrecken, um sie einen nach dem anderen aus dem Firmament zu lösen. Dann beugte sich ein Gesicht zu ihr herab, aus dem eine breite Nase weit hervorsprang. Aus einer schwarzen Spalte unter einem buschigen Bart kroch ein Laut, der voll Bedauern und voll Endgültigkeit war. [...]
Das Gesicht verschwand, um rasch von einem zweiten ersetzt zu werden. Auch dieses Gesicht saß auf einem Körper, der klein genug war, dass er einem Kind hätte gehören können, wenn nicht die viel zu breiten Schultern gewesen wären. Die Augen dieser Gestalt, deren Wangen glatt und bleich waren, wohnte eine erschrockene Traurigkeit inne, als der Zwerg eines der kurzen Donnerrohre auf ihre Stirn richtete. Es glänzte silbrig wie das Blut der Herren.
Esavintje von Goldberg hörte den Schuss nicht, mit dem es ihren Göttern gefiel, ihre treue Magd aus der Welt zu holen. Mit geschlossenen Augen träumte sie vom heiteren Lachen ihrer Tochter, dass sie viel zu selten gehört hatte." (S.370f)
Ein zweites, wenn auch nicht so unmittelbar erkennbares Hauptthema der Ordenskrieger ist die Rolle, die Mythen für die Legitimation von Machtstrukturen spielen. Wenn Garep, Sira und Gozzoldini bei ihrer Untersuchung des ‘Paradieses’ der ‘Herren’ die Wahrheit über diese angeblichen Götter ans Licht bringen – dass sie keine überirdischen Wesen waren, sondern bloß über eine extrem hochentwickelte Technologie verfügten, und zudem mit den ‘Drachen’ der zwergischen Überlieferung identisch sind, von deren Herrschaft das kleine Volk sich einst durch einen großen Aufstand befreite –, zerstören sie damit implizit auch die Legitimation der Herrschaft von Theokraten wie Esavintje, Inasaskia oder Padwajanesch. Noch sehr viel deutlicher tritt dieses Thema im Handlungsstrang um Karu und Rinul hervor. Die beiden decken auf, dass mächtige Kreise alles daran setzen, einen Geschichtsmythos aufrechtzuerhalten, der die wichtigsten politischen und sozialen Strukturen des Bundes sämtlichst auf eine Gründerpersönlichkeit, den wie einen Halbgott verehrten Ersten Vorarbeiter, zurückführt und zugleich die Stellung der Halblinge als ‘Brudervolk’ bis auf diese Gründerzeit zurückdatiert.
Es ist ausgesprochen begrüßenswert in einem Genre, das so stark von mythischen und geschichtsmythischen Motiven geprägt ist wie die Fantasy, auch einmal eine kritische Stimme zu hören, die für das Zerstören von Mythen und das Aufdecken der Wahrheit plädiert. Vielleicht gefällt mir deshalb die Storyline um Karu und Rinul am besten.
Trotz solch positiver Züge muss ich aber bei meinem ursprünglichen Urteil bleiben: Die Zwerge von Amboss und Die Ordenskrieger von Goldberg sind keine lesbaren Bücher. Das klingt jetzt sehr hart, aber neben den zahllosen klischeehaften Elementen in Handlung und Charakterzeichnung gibt es dafür einen, alles entscheidenden Grund: Die Sprache. Ein Buch, das auf beinahe jeder Seite Formulierungen enthält, die mich innerlich zusammenzucken lassen, hat in meinen Augen keine wohlwollende Behandlung verdient. Molosovsky hat seinerzeit eine vernichtende Kritik der Zwerge von Amboss verfasst, in der er sich ausführlichst über den grausigen Stil und insbesondere über die Flut an schiefen und verstiegenen Metaphern auslässt, mit denen Plischke seine Leserinnen und Leser quält. Der Folgeband stellt in dieser Hinsicht leider keinerlei Verbesserung dar. Eine lange Auflistung der sprachlichen Abnormitäten erspare ich mir und zitiere lieber nur eine einzige, repräsentative Passage.
Karu hat soeben einen Agenten der Bundessicherheit erschossen. „’Beim Befreier!’, ächzte sie. Das Gurgeln des sterbenden Kommissars – wie zäher Schlamm, der einen Abguss hinunterkroch – jagte ihr einen Schauer über den Rücken, und ihre Zähne klapperten so heftig aufeinander, als hätte sie eine Rassel im Mund. Sie hatte ihn erschossen! Fassungslos starrte sie auf das dunkle Blut, das wie die fest geschlossenen Reihen einer vor-rückenden Armee Stück für Stück den Teppich um den Kopf des Halblings tränkte.
‘Steh auf!’ Rinul packte sie unter den Armen und zog sie auf die Beine. ‘Wir müssen hier weg.’
‘Ja.’ Das war nicht ihre Stimme. Das war das Raunen einer alten Graubärtin, die, vor dem Ofen sitzend, die faulen Linsen aus den guten las." (S.335)
Erstaunlich, wieviel sprachlichen Unsinn man in ein paar Zeilen unterbringen kann! Ein Gurgeln wie kriechender Schlamm und Zähne, die nicht bloß klappern, sondern aufeinander klappern? Mundrasseln und marschierendes Blut? Und was zum Teufel haben bloß die faulen Linsen hier zu suchen? Das klingt jetzt vielleicht ulkig, doch wenn man permanent über derartige Formulierungen stolpert, ist es schnell aus mit dem Vergnügen.
Ole Johan Christiansen erwiederte damals auf Molos Kritik: „’Die Zwerge von Amboss’ ebenso wie die ganze Reihe ist sprachlich deutlich an die englische Literatur des 19. Jahrhunderts mit ihren überbordenden Metaphern (insbesondere im Bereich der Tierwelt) und Sprache angelegt (denn in einem Fantasy-Äquivalent zur selbigen Zeit spielt die Reihe ja), wobei dies dann durch die derben Einschläge in Verbindung mit den tatsächlichen damaligen Lebensumständen gesetzt wird. Es ist also nicht so klinisch rein wie ein Dickens, vielmehr ist es eher (wie bei ‘Southpark’ gesehen): ‘Dort lernt er alles, was ein Gentleman können muss: Tanzen, Säbelfechten und Fotzenlecken.’"
Eine derb-parodistische Nachahmung stilistischer Gepflogenheiten der viktorianischen Literatur? Für mich funktioniert das aus mehreren Gründen nicht:
(1) Wollte man so etwas konsequent durchziehen, würde es vom Leser eine permanente ironische Distanz zur sprachlichen Gestalt des Textes verlangen, was bei einem Romanzyklus von Aberhunderten, wenn nicht gar -tausenden von Seiten entweder völlig unmöglich ist oder sehr schnell zu einer mühseligen Arbeit ohne jeden Gewinn an Lesevergnügen werden muss.
(2) Ein solches Stilmittel würde wenn überhaupt nur in Kombination mit einer inhaltlichen Bezugnahme auf Motive der englischen Literatur des 19. Jahrhunderts Sinn machen. Solche kann ich in den Zerrissenen Reichen jedoch nirgends entdecken. Plischke bedient sich bei zahlreichen Genres – neben der RPG-Fantasy ließe sich da u.a. der Politthriller, die ‘hard boiled detective’-Story, die Pulp-SF und der Kriegsroman nennen –, doch die viktorianische Erzählung gehört nicht dazu.
(3) Das Reich der Zwerge weist abgesehen vom technischen Entwicklungsstand kaum Ähnlichkeiten mit dem Großbritannien des 19. Jahrhunderts auf. Seine ganz auf Arbeit und Pragmatismus ausgerichtete Kultur mit ihrem pseudosozialistischen Ethos passt nicht zur bourgeoisen Sentimentalität des Viktorianismus, die in der blumigen Sprache zum Ausdruck kommt, auf die sich Christiansen beruft.
(3) Das Reich der Zwerge weist abgesehen vom technischen Entwicklungsstand kaum Ähnlichkeiten mit dem Großbritannien des 19. Jahrhunderts auf. Seine ganz auf Arbeit und Pragmatismus ausgerichtete Kultur mit ihrem pseudosozialistischen Ethos passt nicht zur bourgeoisen Sentimentalität des Viktorianismus, die in der blumigen Sprache zum Ausdruck kommt, auf die sich Christiansen beruft.
Nur damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich bin keineswegs ein kompromissloser Verfechter eines knappen oder zurückhaltenden Schreibstils. Ich liebe nicht nur China Miévilles Bas-Lag - Romane und alles, was ich von Catherynne M. Valente gelesen habe, sondern auch das Werk Clark Ashton Smiths – und dessen barocke Sprache vollführt permanent eine Gratwanderung zwischen rauschhafter Décadencepoesie und überladenem Schwulst. Im Falle der Zerrissenen Reiche jedoch ist die Metaphernflut nicht nur einfach mies gemacht, sondern steht auch in keinerlei Zusammenhang zum Charakter der Erzählung.
Zugegebenermaßen recht nett ist der Versuch Plischkes, Redewendungen zu erfinden, die den Lebensumständen und der Tradition des jeweiligen Volkes entsprechen. Bei den Zwergen werden die Vergleiche meist aus dem Bergbau, bei den Menschen aus der Landwirtschaft genommen. Zum Teil ist das recht gut gelungen, völlig in die Hose gegangen ist es allerdings, wenn’s um Sex geht. Und das kommt öfters vor, als einem lieb sein kann. Immer wenn Zwerge von ‘Zapfen’ und ‘Furchen’, Menschen von ‘Äckern’ und ‘Pflügen’ zu reden beginnen, wird’s richtig peinlich. Man nehme etwa folgende Passage über die pubertierende Fianessa:
„Sie war ja kein kleines Kind mehr. Als ihr Acker begonnen hatte, rote Tränen zu vergießen, weil er sich nach einem Pflug sehnte, hatte ihr ihre Mutter alles darüber erzählt, worum es Männern wirklich ging, wenn sie plötzlich nett zu einer Frau waren." (S.134)
Ich finde, dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
* Wer einen Überblick über die Handlung des ersten Bandes erhalten will, lese z.B. Oliver Kotowskis Rezension im Fantasyguide. Dem positiven Gesamturteil, das dort abgegeben wird, kann ich mich allerdings nicht anschließen.
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