"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Sonntag, 26. Mai 2013

Das Böse in Köpfen und Herzen

Der Cushing-Woche vierter Teil

Nachdem uns Hammer mit The Satanic Rites of Dracula eine so große Enttäuschung bereitet hat, scheint nunmehr der richtige Moment gekommen, um sich einem Werk aus der großen Konkurrenzschmiede Amicus zuzuwenden. Bei deren Portmanteau-Filmen liegt man eigentlich nie falsch. Selbst der groteske Nachzügler The Monster Club (1980) vermag mit wenigstens einer guten Episode (The Ghouls) aufzuwarten. Peter Cushing trat in fünf der acht Filme auf: Dr. Terror's House of Horrors (1964), Torture Garden (1967), The House That Dripped Blood (1970), Tales from the Crypt (1972) und From Beyond the Grave (1973). Den ersten, dritten und fünften habe ich hier bereits vor Zeiten einmal besprochen {auch wenn ich heute wohlwollender über Dr. Terror's urteilen würde}, und so habe ich mich entschieden, im Rahmen meiner Cushing-Gedenkwoche Torture Garden vorzustellen, obwohl der große Schauspieler darin nur einen relativ kurzen Auftritt hat.

Wie bei einer recht erklecklichen Anzahl von Brit-Horror-Streifen führte auch in Amicus' zweitem Episodenfilm Freddie Francis die  Regie. Das Drehbuch stammte aus der Feder des alten Lovecraft-Kumpels und Psycho-Autors Robert Bloch, der dieselbe Aufgabe auch bei The House That Dripped Blood (1970) und Asylum (1972) übernehmen sollte. Was die Besetzung angeht, so bewies Milton Subotsky einmal mehr sein geradezu unheimliches Geschick, wenn es darum ging, reihenweise talentierte Schauspieler & Schauspielerinnen für die Mitarbeit an seinen Horrorflicks zu gewinnen. Neben Cushing glänzen u.a. Jack Palance, Beverly Adams, Michael Bryant und Burgess Meredith {ja, der "Penguin"}.
Wenn die Kommentare auf IMDB irgendwie repräsentativ sind, dann scheint die Meinung vorzuherrschen, dass Torture Garden zwar recht passabel, aber keiner der besten Portmanteau-Streifen von Amicus sei. Zugegeben, perfekt ist er sicher nicht, aber anders als bei einigen anderen gibt es für mich auch keinen richtigen Absacker unter den vier Stories. Mit dieser Ansicht scheine ich allerdings ziemlich alleine dazustehen. Nun denn, schaun wir uns einmal etwas genauer an, was der Film zu bieten hat:

Die Rahmenhandlung kann beinahe als ein gleichwertiger Teil des Ganzen gelten. Und sie zumindest ist {mit Ausnahme der finalen Wendung} ziemlich genial. Der mysteriöse Schausteller Dr. Diabolo lockt mit dem Versprechen nie gekannter Schrecken eine Gruppe von drei Männern und zwei Frauen in den "exklusiven" Bereich seines "Foltergartens", einer Art Kuriositätenkabinetts des Makabren. Dort finden die fünf eine Wachsfigur der Schicksalsgöttin Atropos, von der ihr Gastgeber behauptet, sie besitze die Fähigkeit, einem jeden Menschen den dunkelsten Teil seiner Seele zu offenbaren. Wer genug Mut besitze, könne mit ihrer Hilfe nicht nur die Wahrheit über die eigenen bösen Impulse erfahren, sondern außerdem einen Blick in die Zukunft werfen, um zu sehen, welches Schicksal ihn erwartet, falls er ihnen nachgibt. Die fünf begegnen diesen fantastischen Ankündigungen mit einer Mischung aus Skepsis, Ironie und Neugier. Doch es dauert nicht lange, und sie müssen einer nach dem anderen erleben, dass ein Blick auf Atropos' Schere des Schicksals ihnen in der Tat beängstigendes offenbart.
Die Szene wird völlig beherrscht von einem Burgess Meredith in Höchstform, der offenbar einen Höllenspaß an seiner Rolle als Dr. Diabolo hatte. Dabei kontrastiert sein Spiel sehr schön mit dem stoisch-ironischen Auftreten von Jack Palance, der für den Großteil des Films nichts anderes macht, als stumm seine Pfeife zu rauchen und scheinbar amüsiert das fantastische Treiben zu beobachten. Auch er freilich wird noch seinen Moment der Wahrheit erleben ...

In der ersten Story "Enoch" erleben wir, wie Colin Williams (Michael Bryant) das Ableben seines todkranken Onkels ein wenig beschleunigt, um sich in den Besitz von dessen scheinbar nicht unerheblichem Vermögen zu setzen. Dummerweise stellt sich sehr schnell heraus, dass besagter Reichtum eine recht ungewöhnliche Quelle hatte: Den in Gestalt einer Katze auftretenden Dämon Balthazar. Im Austausch gegen eine Truhe voller Goldmünzen zwingt dieser Colin dazu, Menschen zu töten und ihnen die Köpfe abzuschlagen. Offenbar das Leib- und Magengericht des gierigen felinen Ungeheuers.
Als besonders originell wird man die Geschichte sicher nicht bezeichnen können. Die Klischees kommen vielmehr knüppeldick. Um so erstaunlicher, dass sie dennoch einige wirklich intensive und beeindruckende Szenen zu bieten hat. Verantwortlich dafür ist zum einen Bryant, der den Absturz in den Wahnsinn recht überzeugend mimt, zum anderen die Katze. Ja, Freddie Francis und Kameramann Norman Warwick gelingt es tatsächlich, einer schwarzen Katze – diesem nun wirklich nicht neuen Symbol für satanische Mächte – etwas beängstigend bösartiges zu verleihen.

Das phantastische Element in "Terror over Hollywood" hingegen wirkt eher lächerlich, dafür ist die Geschichte eine nekische, wenn auch kaum besonders tiefgründige, Satire auf Starkult und Filmindustrie. Die ehrgeizige junge Carla (Beverly Adams) ist nach eigener Aussage zu allem bereit, um in Hollywood eine Karriere zu machen. Freundschaft und andere Sentimentalitäten kann sie sich dabei nicht leisten. Doch als es ihr tatsächlich gelingt, eine Rolle an der Seite des ewig jugendlichen Stars Bruce Benton (Robert Hutton) zu ergattern, muss sie erfahren, wie groß die Opfer tatsächlich sind, die man zu erbringen hat, wenn man zu den "Top Ten" gehören will. Das unheimlichste an der ganzen Episode ist Beverly Adams' Gesicht in der Schlussszene.

"Mr. Steinway" gilt allgemein als der schwächste Teil von Torture Garden, und viele halten ihn offenbar für gänzlich absurd und lächerlich. Dem ersten würde ich zustimmen, dem zweiten nicht.
Die junge Musikjournalistin Dorothy Endicott (Barbara Ewing) interviewt den gefeierten Pianisten Leo Winston (John Standing). Dabei zeigt sie größeres Interesse an ihm als an seiner Musik. Leo erwiedert ihre Gefühle, was nicht nur das Missfallen seiner Managerin Maxine (Ursula Howells), sondern auch seines Konzertflügels Euterpe erregt.
Ein dämonisches Killerklavier ist in der Tat kaum ernstzunehmen, doch macht die Geschichte sehr deutlich, dass das Musikinstrument nur das Werkzeug bzw. das Symbol für ganz andere Kräfte ist. Es ist nicht eigentlich Euterpe, die in Dorothy eine Konkurrentin sieht, sondern Leos verstorbene Mutter. Sie war es gewesen, die ihn von frühester Jugend an zum Klavierspielen angehalten, seine Karriere organisiert und sein Leben kontrolliert hatte. Durch Maxine wie durch Euterpe {als Symbol seines Pianistentums} hält sie diese Kontrolle noch über das Grab hinaus aufrecht. Dorothy stellt eine direkte Bedrohung für ihre Macht und eine gefährliche Nebenbuhlerin um die Liebe ihres Sohnes dar.
Was ich an dieser Episode besonders auffallend finde, ist deshalb weniger ihr etwas absurder Charakter, als vielmehr die Ähnlichkeit der hier gezeichneten Mutter-Sohn-Beziehung zu der aus Psycho. Ich habe keine Ahnung, ob sich dieses Motiv bei Bloch noch häufiger findet. Und auch wenn dies der Fall wäre, wüsste ich zu wenig über den Autor, um da eine Interpretation wagen zu wollen.
Was "Mr. Steinway" tatsächlich zu einer Art Fremdkörper in Torture Garden macht, ist der Umstand, dass kaum verständlich ist, wie wir in der Story eine Vision Dorothys sehen sollen, die sie vor den üblen Folgen ihrer bösen Taten warnt. Maxine unterstellt ihr zwar, sie habe sich an Leo herangemacht, weil sie unbedingt die Frau eines weltberühmten Musikers werden wolle, doch im Kontext der Geschichte wirkt dies wenig glaubwürdig. Aufbau und Atmosphäre lassen sie eindeutig als das Opfer der bösartig-eifersüchtigen Mutter/Euterpes erscheinen.

Damit kommen wir zur letzten Episode "The Man Who Collected Poe", in der wir dann endlich auch Peter Cushing erleben dürfen. Der fanatische Poe-Sammler Ronald Wyatt (Jack Palance) stattet seinem Kollegen Lancelot Canning (Cushing) einen Besuch ab und lässt sich von diesem seine einmalige Sammlung zeigen. Nachdem die beiden ein paar Gläschen zu viel auf das Andenken des Meisters geleert haben, zeigt sich Canning bereit, seinem Besucher seine wahren Schätze zu präsentieren, und führt ihn in ein Kellergewölbe, in dem sich unzählige Manuskripte von bisher unveröffentlichten Werken Poes befinden. Außerdem steht dort eine Schatulle, die die sterblichen Überreste des Autors enthalten soll, welche Cannings Vater aus dessen Grab entwendet habe. Als der immer erregt werdende Wyatt eine Tür entdeckt, hinter der er selbstverständlich noch größere Kostbarkeiten vermutet, und sein Gastgeber sich weigert, ihm auch dort Einlass zu gewähren, verliert er die Fassung, versucht sich gewaltsam Zugang zu verschaffen und erschlägt Canning während des folgenden Handgemenges. Was ihn auf der anderen Seite der Tür erwartet ist ebenso grotesk wie makaber. Mit anderen Worten: Es ist genau das Richtige für eine Geschichte um Edgar Allan Poe.
"The Man Who Collected Poe" ist die wohl beste der vier Episoden von Torture Garden. Sie lebt zum einen von einer eigentümlich morbiden Atmosphäre, zum anderen vom Spiel der beiden Darsteller. Palance glänzt als gieriger Fanatiker, der seine Emotionen nur mit Mühe unter Kontrolle zu halten vermag. Cushings höflicher Gentleman Canning hingegen strahlt so etwas wie traurige Resignation aus, und man fragt sich, ob er nicht unterbewusst herbeigesehnt hat, dass Wyatt sein Geheimnis lüften und damit dem Grauen, das sich unter seinem Hause verbirgt, ein Ende bereiten werde.

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