Überzogene Erwartungen führen oft zu Enttäuschungen und damit zu unfairen Urteilen. Und wie hätten die Erwartungen, die ich in
The Space Merchants gesteckt hatte, nicht überzogen sein sollen? Der 1952 erschienene Roman von Cyril M. Kornbluth und Frederik Pohl gilt als einer der Meilensteine der SF - Literatur. Glaubt man
Wikipedia, so trug das Buch "
significantly to the maturing and to the wider academic respectability of the [..] genre, not only in America but also in Europe" bei. Und warum sollte man diese Aussage in Zweifel ziehen, wenn man als Beleg dafür eine
Reihe von äußerst positiven Bemerkungen aus der Feder verschiedener Kritiker und Akademiker geliefert bekommt? Daneben hatte mir ein
Artikel von James Palmer bei
Strange Horizons den Mund wässrig gemacht. Was meine Erwartungen jedoch am meisten angeheizt hatte, war folgende
Lobeshymne von Alfred Bester. Schließlich hat dieser mit
The Stars My Destination einen meiner Lieblings-SF-Romane geschrieben:
Now Fred’s novel which he wrote with Cyril Kornbluth, The Space Merchants, is, I think, the finest novel ever written in the history of science fiction. It is a brilliant piece of work. Many brilliant things have followed it, but this came along when everybody was obsessed with Doc Smith space opera, which has its own charm – it’s great fun – and suddenly comes this realistic extrapolation of what American life, American advertising, American ecology and American psychosis will lead to eventually. Horace Gold ran it as a three parter in Galaxy. Gravy Planet, he called it. A tremendous piece of work – exciting, ravishing.
Und klingt die Idee einer Welt, in der die Werbeagenturen de facto die Herrschaft übernommen haben, nicht so oder so wie der Stoff für ein Buch, das man einfach gelesen haben muss?
Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich
Space Merchants endlich in Händen hielt – in Helga Wingert-Uhdes Übersetzung, unter dem Titel
Eine Handvoll Venus und ehrbare Kaufleute und mit einem reichlich merkwürdigen
Cover versehen, das aussieht wie das Poster zu einem verschollenen Roger Corman - Flick {"The Attack of the Giant Coffeepots"}.
In wenig mehr als einem Tag war das gerade mal 144 Seiten umfassende Büchlein ausgelesen. An sich ein gutes Zeichen, aber alles in allem war ich – wie angedeutet – dennoch ein wenig enttäuscht. Nicht dass es ein schlechtes Buch wäre. Beileibe nicht. Aber irgendwie hatte ich etwas mehr von ihm erwartet.
Was seine Bedeutung für die Geschichte der literarischen Science Fiction angeht, so reichen meine eher bescheidenen Kenntnisse des Genres nicht aus, um darüber ein informiertes Urteil abgeben zu können. Ich glaube jedoch gerne, dass Alfred Besters Kommentar in dieser Hinsicht ganz den Tatsachen entspricht. Ebenso denke ich, dass Frederik Pohls
Einschätzung der Rolle der SF zu Beginn der 50er Jahre bei aller Übertreibung nicht so falsch ist:
[D]uring the Senator Joe McCarthy era, there was not an awful lot of political free speech in America. Most of the newspaper editors and political leaders were running for the storm cellars because they didn’t want to get in the way of “Tail-gunner Joe.” And at that time science fiction was saying all sorts of revolutionary, critical, socially penetrating things – to the extent that an old friend of mine who was then minister of a church in Los Angeles used to sell copies of Galaxy and the other science-fiction magazines outside the church after services, because he said it was the only free speech in America.
The Space Merchants gehört ganz ohne Zweifel zu dieser sozialkritischen Science Fiction, und die große Stärke des Buches besteht darin, eine recht intelligente und witzige Satire auf die amerikanische Gesellschaft seiner Zeit zu sein. Seine große Schwäche hingegen sehe ich darin, dass es nicht viel mehr ist als das. Doch dazu später mehr. Schauen wir uns zuerst einmal an, wie treffend und gehaltvoll die satirischen Attacken von Kornbluth & Pohl tatsächlich sind.
In der Welt von
Space Merchants herrscht ungezügelter Kapitalismus. Die überkommenen politischen Institutionen (Kongress & Präsidentenamt) existieren zwar noch, führen aber nur noch ein belächeltes Schattendasein. Die wahre Macht liegt bei riesigen transnationalen Konzernen, die ganze Länder (Indien etwa) wie ihren Privatbesitz behandeln und an deren Spitze offenbar die Werbeagenturen stehen. Der Konkurrenzkampf zwischen diesen Giganten nimmt von Zeit zu Zeit vendettahafte Formen an. Der Einsatz von Spionen, Saboteuren und Auftragskillern gehört (in allgemein anerkannten Grenzen) zum normalen Geschäftsgebahren. Zugleich haben explosionsartiges Bevölkerungswachstum und grassierende Umweltzerstörung (ganz Nordamerika scheint eine einzige Stadt zu sein) die Erde in einen zunehmend unbewohnbaren Planeten verwandelt. Die Masse der Bevölkerung lebt unter elendesten Verhältnissen und ist der Willkür der großen Unternehmen hilflos ausgeliefert. Im Zentrum der Handlung steht das Projekt der Fowler Schocken AG, Menschen für eine Kolonisation der Venus zu gewinnen, obwohl die Bedingungen auf dem Planeten für menschliches Leben eigentlich völlig ungeeignet sind.
Die Satire in
The Space Merchants wirkt immer dann am schärfsten und treffsichersten, wenn sie die Methoden des Marketing aufs Korn nimmt. Generalstabsmäßig geplante Marktforschungs- und Werbekampagnen; die psychologisch ausgefeilten Methoden der Manipulation, mit denen das Bedürfnis nach Waren geweckt wird, die niemand wirklich braucht; die Verknüpfung von Image und Produkt (wer das kauft ist "sexy", "männlich", "ein Abenteurer") usw. usf. Hierin zeigt sich wohl auch, dass Pohl – quasi zu Recherchezwecken – eine Zeit lang in einer echten PR-Agentur gearbeitet hatte. Auf uns mögen diese Tricks heute "
laughably simple" wirken, wie
Jo Walton auf Tor.com schreibt, doch zu seiner Zeit war das Buch in dieser Hinsicht ebenso treffend wie aktuell.
Aber so amüsant sich das auch liest, letztlich handelt es sich bei den Tricks der Marketingbüros nur um ein Oberflächenphänomen des modernen Kapitalismus. Und betrachtet man sich das Gesamtbild der Gesellschaft, das der Roman entwirft, so entstehen einige Fragen.
Mir scheint das Buch zwei zwar zeitlich nahe beieinander liegende, aber dennoch deutlich voneinander verschiedene Phasen der US-Geschichte widerzuspiegeln.
Da hätten wir zum einen die verelendeten Massen. In dieser Hinsicht enthält
The Space Merchants einige durchaus starke Passagen. Sei es in der Schilderung extremer Ausbeutungsverhältnisse in einer mittelamerikanischen Fabrik, sei es – in meinen Augen noch überzeugender – im Bild der US-"Konsumenten", die sich nicht einmal ein noch so elendes Dach über dem Kopf leisten können und deshalb gezwungen sind, gegen Bezahlung in den Foyers und Treppenhäusern der großen Unternehmen zu übernachten. Solche Szenen scheinen mir von den Erfahrungen der Großen Depression geprägt zu sein.
In der zentralen Rolle, die die Themen Werbung und Konsum spielen, sehe ich hingegen eher eine Reaktion auf die Verhältnisse des einsetzenden Nachkriegsbooms.
In gewisser Hinsicht widersprechen sich diese beiden Motive. Was wir heute als "Konsumgesellschaft" bezeichnen, konnte sich ja erst zu voller Blüte entfalten, als breitere Schichten der Bevölkerung zu bescheidenem Wohlstand gelangten. Ein völlig verelendetes Proletariat passt da nicht so recht ins Bild.
Der Roman bewerkstelligt die Verknüpfung beider mit Hilfe des Motivs der Überbevölkerung, was ernsthafte Konsequenzen für die Geschichte hat. Die Armut der Massen erscheint somit nämlich mindestens ebensosehr als Produkt ihres ungebremsten Fortpflanzungstriebs und ihres Konsumverhaltens wie ihrer Ausbeutung durch die großen Konzerne. Viele wollen gerade in dieser "ökologischen" Sichtweise den Beleg dafür sehen, wie vorausschauend Kornbluth und Pohl gewesen seien. Umweltzerstörung war 1952 zwar keineswegs ein neues Thema {man schaue sich nur einmal einige Passagen aus Friedrich Engels 1845 erschienenem Buch
Die Lage der arbeitenden Klasse in England an}, aber zum Fokus politischer Auseinandersetzung wurde sie ja tatsächlich erst in den 70er und 80er Jahren. Ich interpretiere dies allerdings eher als Ausdruck der zu jener Zeit unter den linken Intellektuellen um sich greifenden Demoralisation.
In den 30er Jahren hatten die beiden Schriftsteller zur berühmten New Yorker SF-Clique der "Futurians" gehört, deren Mitglieder im Großen und Ganzen eher zur politischen Linken tendierten. Frederik Pohl war von 1936 bis 1939 Mitglied der stalinistischen KPUSA gewesen, und seine spätere Ehefrau Judith Merril hatte sich zeitweilig sehr stark bei den trotzkistischen Young Socialists engagiert. Wie bei den meisten radikalisierten Intellektuellen jener Epoche muss man sich allerdings auch bei ihnen fragen, inwieweit die Sympathie für den Kommunismus tatsächlich etwas mit dem Glauben an eine bevorstehende Arbeiterrevolution in den Vereinigten Staaten zu tun hatte. Pohl selbst
sagte dazu später:
Most of the people attracted to leftwing parties were driven there by revulsion against white men lynching black ones in the south. And crooked politicians calling their police out to spray strikers with machine-gun fire. And by about a million other social injustices.
Ohne Zweifel sehr ehrbare Motive, aber kaum das, was man ein "sozialistisches Bewusstsein" nennen würde. In den meisten Fällen ging dies Hand in Hand mit einem naiven Glauben an Präsident Roosevelts New Deal, von dem die meisten der linken Intellektuellen wie selbstverständlich annahmen, dass er nach dem Sieg über Nazideutschland bruchlos fortgesetzt werden würde. Als es stattdessen nach dem Weltkrieg zu einem abrupten Rechtsruck in der amerikanischen Politik kam, und sich die Linken plötzlich als Vaterlandsverräter und "Commie"-Schweine verfolgt sahen, erwiesen sich die meisten von ihnen als gänzlich unvorbereitet. Die Folge waren Desorientierung, Demoralisation und Pessimismus.
Der dystopische Gesellschaftsentwurf der
Space Merchants lässt davon so manches erkennen. Zwar sind wir noch nicht so weit, dass die Mehrheit der Bevölkerung als ein konsumgeiler Mob dargestellt werden würde. Vielmehr ist die mit Abstand sympathischste Figur des ganzen Romans ein einfacher Arbeiter. Wenn jedoch der Konsumverzicht als Königsweg zu einer besseren Gesellschaft gepredigt wird, zeigt sich daran bereits sehr deutlich, in welch konservative Gefilde all dies einmal führen sollte. Was noch zusätzlich unterstrichen wird durch die unvermittelt danebenstehenden Bilder von krasser Armut und Ausbeutung, die jeden Appell zur "Einschränkung" extrem zynisch erscheinen lassen. Ganz offensichtlich konsumieren diese Menschen nicht zu viel, sondern zu wenig!
Die Untergrundbewegung der "Natschus" (im Original "Consies") trägt zwar die (leicht karrikierten) Züge einer revolutionären Organisation, und ihre Dämonisierung folgt dem realen Vorbild der antikommunistischen Hetze der McCarthy-Ära, aber ihre Mitglieder sind keine Sozialrevolutionäre, sondern radikale Umweltschützer. Ihr höchstes Ziel ist nicht der Umsturz der gesellschaftlichen Ordnung, was innerhalb des Überbevölkerungsszenarios des Romans ja auch in der Tat keinen Ausweg aus der Misere eröffnen würde, sondern die Auswanderung auf die Venus, wo sie mittels Terraforming eine neue und bessere Welt erschaffen wollen.
Soviel zum satirischen Gehalt von
The Space Merchants. Dass ich manches davon kritisch betrachte, hat mir nichts von dem Vergnügen genommen, welches mir die wirklich gelungenen Elemente bereiteten. Schließlich lese ich Bücher nicht, um in ihnen bloß meine eigenen politischen Ansichten wiederzufinden. Das größte Problem waren für mich deshalb nicht die Ideen, sondern die Geschichte, mit Hilfe derer sie transportiert werden. Dass der Plot an vielen Stellen reichlich absurd wirkt, ist dabei eher nebensächlich. Es mag sich zwar um ein Vorurteil handeln, aber ich erwarte von 50er Jahre SF keine glaubwürdige und ausgefeilte Handlungsstruktur. Im Gegenteil, es darf da ruhig ein bisschen verrückt zugehen. Sehr viel schwerer ins Gewicht fallen die Schwächen in der Charakterzeichnung und der Beschreibung zwischenmenschlicher Beziehungen. Besonders ärgerlich ist, dass
The Space Merchants eigentlich auch in dieser Hinsicht recht gute Ansätze aufweist, die zuguterletzt jedoch so gründlich verhunzt werden, dass man das Buch schließlich mit einem Gefühl tiefer Irritation beiseite legt.
Die Geschichte wird ganz aus der Sicht von Mitch Courtenay erzählt, einem der führenden Angestellten von Fowler Schocken, dem die Verantwortung für das Venusprojekt übertragen wird. Mitch ist – kurz gesagt – ein Arschloch. Von unerschütterlichem Glauben an das System erfüllt, strebt er nach nichts anderem als danach, die nächste Sprosse auf der Karriereleiter zu erklimmen und seinen schon erreichten Status mit Zähnen und Nägeln gegen alle etwaigen Konkurrenten zu verteidigen. Wie selbstverständlich benutzt er dabei andere Menschen als Werkzeuge, manipuliert und intrigiert was das Zeug hält. Am menschlichsten wirkt noch seine Vernarrtheit in die Chirurgin Kathy Nevin, mit der eine "Ehe auf Zeit" eingegangen ist, die sich jedoch von ihm abgewandt hat, da sie das Gefühl hat, er sehe in ihr lediglich so etwas wie ein besonders begehrenswertes Besitztum, ein weiteres Statussymbol. Eine Einschätzung, die der Leser oder die Leserin eigentlich nur teilen kann.
Solange Mitch das unverbesserliche Arschloch bleibt, macht der Roman richtig Spaß. Unser Held ist zwar ein rechter Widerling, aber kein ausgemachtes Monster, so dass es durchaus möglich bleibt, sich bis zu einem gewissen Grad mit ihm zu identifizieren. Und der Trick, eine grotesk ungerechte und grausame Welt von einer Person geschildert zu bekommen, die sie gar nicht als eine solche wahrnimmt, besitzt seinen Reiz.
Doch leider kommt es schließlich dann doch noch zur scheinbar unverzichtbaren "Bekehrung" des Protagonisten. Und damit bricht die Erzählung im wahrsten Sinne des Wortes in sich zusammen. Psychologisch bleibt Mitchs Wandlung zum "Natschu" völlig unverständlich. Im Laufe seiner Odyssee, die den Hauptteil des Romans ausmacht, hatte er zuvor bereits die ganze Grausamkeit des Systems am eigenen Leibe erfahren, ohne dass ihn das auch nur für einen Augenblick an dessen Legitimität hätte zweifeln lassen. Selbst als er auf das Niveau eines einfachen Arbeiters in einem wirklich höllischen Ausbeutungsbetrieb herabgesunken war, hatte er nur ein Ziel gekannt: Seine Rückkehr in die Chefetage von Fowler Schocken. Schlimmer jedoch als die Unglaubwürdigkeit der finalen Wendung ist der Umstand, dass damit vieles von dem, was zuvor erzählt wurde, eine völlige Neubewertung erfährt. Das gilt vor allem für die Beziehung zwischen Mitch und Kathy. Hatte seine "Liebe" zu der erfolgreichen, selbstbewussten Ärztin in ihrer aufdringlichen, chauvinstischen Art bisher wie ein besonders abstoßender Ausdruck seiner konformistischen Persönlichkeit gewirkt, so wird sie nun quasi im Nachhinein geadelt. Denn in Wirklichkeit hat ihn Kathy, die selbst zu den "Natschus" gehört, selbstverständlich ebenfalls die ganze Zeit geliebt (Warum? Er besitzt nicht einen liebenswerten Zug!), und mit seiner politischen Bekehrung steht einer glücklichen gemeinsamen Zukunft auf der Venus nun nichts mehr im Wege. Das Unbefriedigende und Absurde dieses Finales wird noch dadurch besonders betont, dass sich Mitchs Erzählerstimme mit seiner Wende kein bisschen ändert. Er sagt zwar, dass er nun alles verabscheue, für was Fowler Schocken und die übrigen Konzerne stehen, aber die Art, wie er darüber erzählt, verrät mitnichten einen veränderten Blick auf die Welt.
Sollte dieser Schluss selbst satirisch gemeint gewesen sein? Eine Parodie auf das melodramatische Klischee des Happy End? Keine Ahnung ... Ich bin verwirrt ...