"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Montag, 29. April 2024

Die Urbanisierung der Fantasy

In ihrem Essay The Critics, the Monsters, and the Fantasists spricht Ursula K. Le Guin sehr viel von "Fantasy's green country". Sie greift den altbekannten Vorwurf auf, "that much fantasy [...] seems on the face of it socially and historically regressive", weist diesen zwar zurück, teilt aber dennoch das ihm zugrundeliegende Bild des Genres: 
[W]ithdrawing from the Industrial Revolution and Modern Times, the fantasy story is often set in a green, under-populated world of towns and small cities surrounded by wilderness, beyond which the exact and intricate map in the frontispiece does not go. This certainly appears to be a return to the world of the folktale.

In gewisser Weise schließt sie sich sogar der gängigen Lesart an, die darin Ausdruck einer nostalgischen Sehnsucht nach einer vermeintlich "guten, alten Zeit" sieht. Nur betrachtet sie diese in einem merklich anderen Licht:
I think they [...] imply that modern humanity is in exile, shut out from a community, an intimacy, it once knew. They do not so much lament, perhaps, as remind. The fields and forests, the villages and byroads, once did belong to us, when we belonged to them. That is the truth of the non-industrial setting of so much fantasy. It reminds us of what we have denied, what we have exiled ourselves from
Auch wenn sie klugerweise auf gar zu starre Definitionen verzichtet, stellt sie doch die vorsichtige These auf, das eigentliche Objekt der Fantasy sei nicht der Mensch:
I venture a non-defining statement: realistic fiction is drawn towards anthropocentrism, fantasy away from it. Although the green country of fantasy seems to be entirely the  invention of human imaginations, it verges on and partakes of realms in which humanity is not lord and master,is not central, is not even important.
Gerade hierin erblickt Le Guin das besondere "utopische" Potential der Fantasy. Denn im Unterschied zu allen anderen Literaturformen sei es ihr dadurch besonders gut möglich, uns Bewohner*innen einer zunehmend "homogenisierten" Welt das Gefühl zu vermitteln,     
that there is somewhere else, anywhere else, where other people may live another kind of life. The literature of imagination, even when tragic, is reassuring, not necessarily in the sense of offering nostalgic comfort, but because it offers a world large enough to contain alternatives, and therefore offers hope.
Der Titel von Le Guins Essay ist eine überdeutliche Anspielung auf J.R.R. Tolkiens Beowulf-Aufsatz The Monsters and the Critics. Auch verweist sie an einer Stelle ganz direkt auf dessen berühmten Essay On Fairy-Stories. Und tatsächlich weist ihre Sicht auf die Fantasy recht große Ähnlichkeiten mit dem auf, was "der Professor" dort als "Restoration" ("Wiederherstellung") bezeichnet hatte und worin er eine der vornehmsten Aufgaben des Märchens erblickte:
Wir sollten von neuem das Grün ansehen und von neuem überrascht (aber nicht geblendet) werden durch Blau, Gelb und Rot. Wir sollten dem Kentauren und dem Drachen begegnen und dann vielleicht plötzlich, wie die Schafhirten des Altertums, der Schafe, Hunde und Pferde gewahr werden – und der Wölfe. Diese Heilung zu erzielen, helfen uns die Märchen. 
Es gelte, die Dinge wieder 
so zu sehen, wie sie uns zugedacht sind (oder waren) – als von uns selber unabhängige Dinge. In jedem Falle müssen wir unsere Brillen putzen, damit die Dinge frei werden vom trüben Schleier der Abnutzung und Gewöhnung – frei von unserem Besitz. [...] Verblaßt oder zur schlechten Gewohnheit geworden ist uns dasjenige, das wir rechtlich oder seelisch in Besitz genommen haben. Von diesen Gesichtern sagen wir, wir würden sie kennen. Sie sind gleichsam zu etwas geworden, das uns einmal durch sein Glitzern, seine Form oder Farbe gereizt hat, auf das wir die Hände gelegt, das wir erworben, in der Truhe weggeschlossen und dann nicht mehr angeschaut haben. [...] Die schöpferische Phantasie [...] kann die Truhe aufbrechen und alle Wertsachen, die darin weggeschlossen waren, davonfliegen lassen wie Vögel aus dem Käfig. Aus allen Juwelen werden Blumen und Flammen, und wir erfahren, daß alles, was wir besaßen (oder wußten), stark und gefährlich war, frei und ungezähmt, daß es nicht wirklich sicher an der Kette lag – ebensowenig eins mit uns wie unser eigen. (1)
Beiden geht es ganz offensichtich um Formen der menschlichen Entfremdng. Deren Wurzeln erblicken jedoch sowohl Le Guin als auch Tolkien in der modernen Zivilisation per se, nicht in dem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, in dessen Rahmen dieselbe entstanden ist und von dem sie bis heute auf fndamentale Weis geprägt wird. Weshalb dieses Denken stets droht, in eine antimoderne Romantisierung vorindustrieller und vorbürgerlicher Gesellschaftszustände abzugleiten.
Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser philosophischen Perspektive würde uns zu weit vom eigentlichen Thema dieses Blogbeitrags fortführen. Für den Moment muss es genügen festzuhalten, dass in ihr einer der Gründe dafür zu suchen ist, warum Le Guin eine so tiefgehende Beziehung zwischen der Fantasy und dem "green country" herzustellen sucht. Denn auch wenn sie einschränkend hinzufügt, dass diese vor allem für die "heroische" Version des Genres gelte, muss ein solches Postulat in einem 2007 geschriebenen Esay doch leicht befremdlich wirken. War die Fantasy zu diesem Zeitpunkt nicht schon seit langem über die Grenzen des bukolischen Auenlanes hinausgewachsen?
 
Nichtsdestotrotz bleibt das, was Le Guin schreibt, natürlich bedenkenswert. Allgemeingültigkeit für das Genre kann es jedoch sicher nicht beanspruchen. Historisch betrachtet mag die Fantasy in ihren Anfängen zwar in der Tat sehr eng mit dem "green country" verbunden gewesen sein. Und dass darin sehr oft ein Element der Zivilisationskritik mitschwang, ist gleichfalls nicht zu leugnen. Doch wenn wir uns im Folgenden anschauen wollen, wie Stadt in das Genre Eingang fand, wird dabei auch zeigen, dass sich diese Perspektive über die Jahrzehnte gewandelt hat -- oder doch zumindest komplexer, vielgestaltiger und widersprüchlicher wurde. Selbstredend werde ich das Thema nicht erschöpfend behandeln können -- dazu fehlt mir nicht nur die Zeit, sondern auch das erforderliche Wissen. Ich werde mich (unterschiedlich ausführlich) auf drei Autoren konzentrieren, deren Werk mir in dieser Frage exemplarisch zu sein scheint: J.R.R. Tolkien, Robert E. Howard und Fritz Leiber.

Zuvor jedoch erlaube ich mir eine kleine Prolog-Abschweifung.
Wie viele andere vor und nach ihr, stellt auch Le Guin in The Critics, the Monsters, and the Fantasists die Fantasy in eine literarische Tradition, die im Grunde so alt sei wie das Erzählen selbst. Auch dazu hätte ich manch kritisches anzumerken, doch stattdessen möchte ich nun selbst auf eine ältere Literaturform zurückgreifen, die immer mal wieder zu den Vorläufern des Genres gerechnet wird, ob nun zu recht oder zu unrecht: Den mittelalterlichen Artusroman.
 
Die höfische Kultur des Hochmittelalters erwuchs auf der materiellen Grundlage der ökonomischen Entwicklungen, die große Teile des "christlichen Abendlandes" seit ca. Mitte des 11. Jahrhunderts erfasst hatten. Neben bedeutenden Veränderungen im Bereich der landwirtschaftlichen Produktivkräfte (Einführung der Drei-Felder-Wirtschaft, des Kummet, des Räderpflugs mit Egge) gehörte dazu auch das, was oft als eine "kommerzielle Revolution" bezeichnet wird: Ein mächtiger Aufschwung des Handels, ein immer stärkeres Vordringen der Geldwirtschaft und damit verbunden ein Aufblühen der Städte als Handels- und Handwerkszentren. Macht und Reichtum des Feudaldels basierte zwar auch weiterhin auf der Grundherrschaft und der Ausbeutung der unfreien bäuerlichen Bevölkerung -- auf dem Besitz von "lant und liuten", wie die mittelhochdeutschen Dichter sich auszudrücken pflegten. Aber ganz wie die geistige Blüte des 12./13. Jahrhunderts, wäre auch die Entfaltung einer weltlichen Standeskultur der Aristokratie ohne diesen wirtschaftlichen Wandel nicht vorstellbar gewesen.
Vor diesem Hintergrund mag es etwas überraschen, dass sich uns die Welt des klassischen Artusromans, wie er im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts entstand, als weitgehend "städtelos" präsentiert. Seine Helden bewegen sich auf ihren Aventiuren zwischen den beiden Polen Burg/(Königs)hof und Wald/Wildnis, doch in die Gassen einer Stadt verschlägt es sie praktisch nie. Zwar erwähnt Hartmann von Aue sowohl in seinem Erec (V. 223) als auch im Iwein (V. 6086) einen "market", der in beiden Fällen unterhalb einer Burg liegt. Aber es bleibt bei der bloßen  Nennung des Wortes, der "market" besitzt keinen eigenständigen Charakter und erscheint als bloßes Anhängsel des feudalen Herrensitzes. Die einzige mir bekannte Ausnahme findet sich im Perceval des Chrétien de Troyes. Dort findet sich tatsächlich die lebendige Schilderung einer Stadt, von der es dann heißt, sie sei
ansehnlicher Leute voll,
und die Tische der Geldwechsler
sind ganz mit Münzen bedeckt.
Er sah die Plätze und Straßen
voll von guten Arbeitern,
die verschiedene Handwerke ausübten:
jene polierten Schwerter,
die einenwalkten Tücher, andere webten,
jene hechelten, diese schoren sie,
andere schmolzen Gold und Silber,
und machten gute und schöne Waren davon,
machten Pokale und Schalen
und emailliertes Geschmeide
Ringe, Gürtel und Schließen.
Man hätte glauben und sagen können,
dass in der Stadt immerzu Markt sei,
so sehr war sie des Reichtums voll
an Wachs, an Pfeffer, Scharlachröte,
an kleinen grauen Pelzen
und aller Art von Waren. (2)
Gerade der Ausnahmecharakter dieser Passage macht sie so interessant, illustriert sie doch aufs anschaulichste, dass allein schon der materielle Teil der höfischen Adelskultur ohne das fleißige Treiben der städtischen Handwerker und Händler überhaupt nicht existiert hätte.
Dennoch ist die weitgehende Abwesenheit dieser sozialen Realität im klassischen Artusroman gut zu erklären. Den Dichtern ging es ja nicht darum, ein wahrheitsgetreues Bild der Wirklichkeit zu zeichnen. Ihre Werke stellen eher so etwas wie eine Utopie der herrschenden Klasse dar. Den Entwurf einer Welt, wie sie dem Empfinden des Feudaladels nach idealerweise sein sollte. Alle Aspekte der Realität, die diesem Idealbild widersprachen, wurden folgerichtig ausgeblendet. Und dazu gehörte eben auch und gerade die Stadt, deren Bürger dem Adel nicht nur in Lebensweise und Wertvorstellungen fremd gegenüberstanden, sondern auch in ökonomischer wie politischer Hinsicht eine Herausforderung für die traditionelle Feudalordnung darstellten. (3)  
 
Nun gehörte der höfische Roman nicht zu Tolkiens Vorbildern. Insoweit er Inspiration aus mittelalterlicher Literatur bezog, handelte es sich dabei um Werke einer älteren Epoche. Zwar schrieb er Anfang der 30er Jahre das unvollendete Stabreimgedicht The Fall of Arthur, aber alles in allem erschien ihm der Artusstoff als "zu üppig, phantastisch, inkohärent und repetitiv". (4) Auch war ihm der höfische Wertekodex mit seiner Betonung von Ritterlichkeit und Minne ziemlich suspekt. So hielt er Sir Gawain and the Green Knight u.a. deshalb für ein so bedeutendes Werk, weil dessen zentrales Thema seiner Interpretation nach der Konflikt zwischen dem höfischen Regelwerk -- vor allem der "höfischen Liebe" (5) -- und der "ewigen" christlichen Moral sei. Und im Entwurf eines Briefes an einen Leser des Herr der Ringe schrieb er über sein eigenes Werk: "Die Geschichte handelt nicht von einer Zeit der 'höfischen Liebe' und ihren Siegelfechtereien, sondern von einer primitiveren (d.h. weniger verderbten) und edleren Kultur." (6) 
 
Dennoch kommt es mir so vor, als bestände in gewisser Hinsicht eine Verwandtschaft zwischen der Welt des Artusromans und Tolkiens Arda. Denn auch letzteres ist erstaunlich "städtelos". Genauer gesagt: Es gibt zwar schon Städte, aber die meisten von ihnen bleiben bloße Namen auf einer Landkarte, oder sie werden uns in einer Art geschildert, die nichts von einem wirklich "städtischen" Charakter erkennen lässt. In besonders hohem Maße gilt das für die Erzählungen vom Ersten Zeitalter. So heißt es im Buch der Verschollenen Geschichten von Kôr (dem späteren Tirion des Silmarillion):
Auf dem Gipfel des Berges erbauten die Elben schöne Häuser von strahlendem Weiß -- aus Marmor und Steinen, gerochen in den Bergen Valinors, die wunderbar glitzerten, aus Silver und Gold und einem Stoff von großer Härte und klarer durchsichtiger Weiße, den sie aus Muscheln herstellten, die sie im Tau Silpions auflösten; und die weißen Straßen dort, gesäumt von dunklen Bäumen, wanden sich in anmutigen Biegungen oder stiegen über Fluchten zierlicher Treppenstufen von den Ebenen Valinors zum höchsten Kôr hinauf; und alle diese strahlenden Häuser waren übereinander geschachtelt, bis man das Haus Inwes erreichte, das am höchsten lag und einen schlanken silbernen Turm hatte, der wie eine Nadel himmelwärts aufschoss, und darin war eine weiße Lampe mit durchdringendem Strahl, der die Düsternis der Bucht erhellte, doch jedes Fenster in der Stadt auf dem Berg von Kôr blickte hinaus auf das Meer.
Üneraus schöne und zierliche Springbrunnen gab es dort, und Dächer und Turmspitzen bestanden aus hellem Glas und Bernstein, von Palurien und Ulmo gemacht, und Bäume standen dicht auf den weißen Mauern und Terassen, und ihre goldenen Früchte leuchteten kräftig. (7)
Ganz ähnlich klingt die Beschreibung Gondolins:
Die breiten Straßen von Gondolin waren mit Steinen gepflastert, mit Marmor eingefasst, und schöne Häuser und Höfe inmitten von blumenhellen Gärten säumten sie, und viele Türme erhoben sich gegen den Himmel, erbaut aus weißem Marmor und mit wundervollen Steinmetzarbeiten verziert. Plätze gab es, wo Springbrunnen waren und Vögel im Geäst uralter Bäume sangen, doch auf dem größten aller Plätze stand der Palast des Königs, und dessen Turm war der höchste der Stadt, und die Springbrunnen, die vor seinen Toren spielten, schossen mehr als einhundertfünfzig Fuß hoch in die Luft und fielen in einem klingenden Kristallregen nieder (8)
Das sind weniger Städte als vielmehr Paläste mit den Dimensionen von Städten.

Im Herr der Ringe verhält es sich etwas anders. Minas Tirith ähnelt in seiner Anlage und Architektur zwar durchaus den Elbenstädten des Ersten Zeitalters, aber es ist dennoch spürbar, dass die Stadt nicht bloß von aristokratisch-unsterblichen Ästheten bevölkert wird. Von einem "städtischen Leben" im eigentlichen Sinne, ist in der Erzählung dennoch wenig zu sehen.
In jeder Straße kamen sie an irgendeinem großen Haus oder Hof vorbei, über dessen Türen oder gewölbten Torwegen viele schöne Buchstaben von seltsamer und altertümlicher Form eingemeißelt waren: Namen, vermutete Pippin, von großen Männern und von Sippen, die einst hier gewohnt hatten; doch nun waren sie still, und kein Schritt hallte über das breite Pflaster, keine Stimme war in den Hallen zu hören, kein Gesicht blickte aus der Tür oder den leeren Fenestern. (9)
In der Logik der Erzählung ist das natürlich (auch) dem drohenden Belagerungszustand geschuldet, aber das ändert nichts an dem Eindruck, den solche Schilderungen bei den Leser*innen hinterlassen.
Schaut man über Minas Tirith hinaus, so besitzt Gondor zwar noch eine Reihe weiterer Städte. Und wenn Tolkien in einem seiner Briefe an Naomi Mitchison die Wirtschaft des Reiches beschreibt und dabei "Ländereien in städtischem Besitz" (10) erwähnt, könnte man das sogar so deuten, als besäßen diese einen ähnlich semi-autonomen Status wie mittelalterliche Kommunen. Aber im Herr der Ringe besuchen wir keine dieser Städte. Und auch unter den feudalen Heerhafen, die zur Verteidigung von Minas Tirith aus den "Außenlehen" anrücken, erblicken wir keinerlei städtisches Volk, sondern ausschließlich "Bergbewohner", "Jäger und Hirten", "Fischerleute aus Ethir" und natürlich die stolzen Ritter von Dol Amroth. (11)
Dass das "einfache Volk" von Minas Tirith im Herr der Ringe von dem Wachsoldaten Beregond und seinen Sohn Bergil repräsentiert wird, finde ich bezeichnend. In ihrem Artikel Städte in der Fantasy -- Moloch, Jagdgrund, Refugium schreibt Alessandra Reß über die epische High Fanrasy, dass diese dort oft mehr "Kulisse" als sonst etwas seien. "Hier wurden Herrscher gekrönt und Schlachten geschlagen". (12) Auf Minas Tirith zumindest trifft dies ganz ausgezeichnet zu.

Es stellt sich nun die Frage, ob es sich bei dieser augenfälligen "Städtelosigkeit" von Tolkiens Welt um ein (bewusstes oder unbewusstes) Verdrängen einer sozialen Realität handelt, vergleichbar der im feudalen Artusroman? 
Ich bin mir nicht sicher, ob ich so weit gehen würde. Zuerst einmal war es wohl ganz einfach so, dass dies einen Aspekt seiner Sekundärwelt darstellte, der ihn persönlich nicht wirklich interessierte und der für die Art von Geschichten, die er erzählen wollte, ohne Belang war. Darüberhinaus könnte ich mir aber sehr wohl vorstellen, dass ihm das stets leich chaotisch anmutende "städtische Leben" tatsächlich nicht in das wohlgeordnete Panorama seiner Welt zu passen schien. Und zudem soziale Kräfte verkörperte, denen er ablehnend oder offen feindselig gegenüberstand. Dafür spricht vor allem die Rolle, die Seestadt im Hobbit zukommt. Hierbei bekommen wir  Tolkien nicht nur von seiner "antibürgerlichsten" Seite zu sehen, sondern erhalten auch einen Einblick in die feudale Romantik, die ihm als eine Art Ideal vorschwebte.
 
Da ich mich vor Jahren bereits einmal in dem Blogbeitrag Der Hort und sein Fluch eingehender mit diesem Thema auseinandergesetzt habe, mache ich es mir leicht und wiederhole hier einfach die entsprechende Passage:   

Esgaroth auf dem Langen See ist das einzige wirklich "republikanische" Gemeinwesen, das wir in Mittelerde kennenlernen. Im Unterschied zur bäuerlichen Eidgenossenschaft des Auenlandes handelt es sich um eine auf Handel basierende Kommune. Den Meister von Seestadt zeichnet Tolkien dann auch nicht zufällig als eine Karrikatur des bürgerlichen Politikers: verlogen, geldgierig, feige und demagogisch. Als Smaug die Stadt angreift, flüchtet er ohne zu Zögern „zu seinem großen, vergoldeten Boot und hoffte, in der allgemeinen Verwirrung davonrudern und sich in Sicherheit bringen zu können.“ Mit Bard dem Bogenschützen wird ihm der aufrechte Vertreter des Adels entgegengestellt: „Einer seiner Vorfahren war Girion, Fürst von Dal“. Nach dem Tod des Drachen und der Vernichtung Seestadts macht sich der Unmut der Bevölkerung in deutlichen Worten Luft: „Er [der Meister] mag einen gescheiten Kopf haben, was Geschäfte angeht, besonders für seine eigenen. [...] Aber wenn es ernst wird, dann ist kein Verlaß auf ihn.“ Stattdessen wollen sie den Drachentöter zu ihrem König machen. Der Meister ist der einzige, der das republikanische gegen das monarchische Prinzip zu verteidigen versucht: „In der Seestadt wählten wir von jeher unter den Alten und Weisen einen Meister aus. Nie haben wir die Herrschaft kriegerischer Männer geduldet.“ [„In the Lake-town we have always elected masters from among the old and wise, and have not endured the rule of mere fighting men.“] Er tut dies selbstverständlich aus völlig eigennützigen Motiven, und die einfachen Leute durchschauen ihn. Sie haben genug von "Geldzählern" und Pfeffersäcken: „Up the Bowman, and down with Money-bags“! Woraufhin der Meister sein demagogisches Geschick unter Beweis stellt, indem er zuerst Bard mit heuchlerischem Lob überschüttet und der aufgebrachten Menge anschließend einen probaten Sündenbock präsentiert: Thorin und seine Zwerge, die Smaug doch überhaupt erst aufgescheucht und in Wut versetzt hätten. An dieser Stelle zeigt sich deutlich, dass Tolkiens feudale Romantik nicht nur antibürgerlich, sondern auch antidemokratisch ist, denn das Volk erweist sich augenblicklich als leicht zu manipulierender Pöbel: „Der Erfolg seiner Rede war, daß das Volk seinen Wunsch nach einem neuen König für den Augenblick völlig vergaß und Thorin und seine Gesellschaft zur Zielscheibe ihres Ärgers machte. Ungezügelte, bittere Worte wurden laut. Einige von denen, die damals die alten Lieder [über die Rückkehr des Königs unter dem Berg und den damit verbundenen Segen] gesungen hatten, schrien sich jetzt heiser, daß die Zwerge den Drachen vorsätzlich gegen sie aufgestachelt hätten.“ 
Einzig Bard zeigt sich ruhig, gerecht und mitfühlend. Und so kommt es zwar nicht zum Sturz des Meisters, doch in Wirklichkeit übt der Bogenschütze in der folgenden Krisenzeit die uneingeschränkte Gewalt über das Gemeinwesen aus: „Er ordnete alle Angelegenheiten, wie er es für gut hielt (jedoch stets im Namen des Meisters).“ Und natürlich erweist er sich als kluger und umsichtiger Führer, während der Meister weiterhin nur an sein eigenes Wohlergehen und seine Bequemlichkeit denkt. Dass Bard das aristokratische Prinzip verkörpern soll, zeigt sich nicht nur an seiner adeligen Herkunft, sondern auch in der Art, wie Tolkien ihn beschreibt. Er verleiht ihm die Züge eines klassischen Heroen, "grimmig und stolz": die beiden Epitheta werden im Laufe der Erzählung immer wieder auf ihn angewandt, und schon bei seinem ersten Auftreten heisst es, er sei „grim-voiced and grim-faced“ gewesen. Vögel sprechen mit ihm, wie weiland mit dem berühmtesten germanischen Drachentöter, Sigurd dem Wälsungen. Und wenn Bard sich dazu entschließt, gegen Thorin und die Zwerge zu ziehen, so weniger aus nackter Gier (obwohl auch er nicht gegen den verführerischen Reiz des Hortes gefeit ist), sondern weil er von „der wiederaufgebaute[n] Stadt Dal, über der goldene Glocken klingen sollen“ träumt, d.h. vom wiedergewonnenen Ruhm seiner Sippe. 
Ein besonders vielsagendes Detail findet sich im vorletzten Kapitel des Buches. Als Dain Eisenfuß nach der Schlacht der Fünf Heere Teile des Schatzes an alle beteiligten Parteien verteilt, heisst es von Bard: „[A]nd he rewarded his followers and friends freely“. Meine Kenntnis der alt- und mittelenglischen Literatur ist leider eher bescheiden, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Tolkien mit "followers and friends" etwas ähnliches ausdrücken wollte wie die mittelhochdeutschen Dichter mit "mâge unde man". Gemeint ist der Feudalverband aus Verwandten bzw. gleichgestellten Verbündeten ["friends"/"mâge"] und Vasallen ["followers"/"man"]. Dafür spricht meines Erachtens vor allem die Alliteration, die der Formulierung etwas formelhaftes verleiht. Tolkien besaß ein großes Feingefühl für solche sprachlichen Details. Bard praktiziert hier die feudale Tugend der Freigebigkeit, wie sie alle wahren Helden und guten Könige der mittelalterlichen Literatur auszeichnet, und deren soziale Funktion der Dichter des Beowulf ganz ungeniert wie folgt beschrieben hat: „Swá sceal geong guma góde gewycrean/ fromum feohgiftum on fæder bearme/ þæt hine on ylde eft gewunigen/ wilgesíþas þonne wíg cume/ léode gelaésten“ – ‘So schenkte in jungen Jahren der Sohn/ vom Hort freigebig im Haus seines Vaters,/ dass willig im Alter ihm wiederum halfen/ die kühnen Kämpen, wenn Krieg entbrannte,/ und mutig ihm folgten’. (13)
Der Meister hingegen verfügt selbstverständlich nicht über diese löbliche Eigenschaft und endet dementsprechend: „[D]a er zu denen gehörte, die leicht solchen Sünden verfallen, hatte die Drachenkrankheit ihn angesteckt. Er nahm den größten Teil des Goldes und floh – und verhungerte in der Einöde, verlassen von seinen Spießgesellen.“ (14)
Dass dennoch nicht Bard, sondern Bilbo der wahre Held des Hobbit ist, zeigt allerdings einmal mehr, dass Mitgefühl und schlichte Menschlichkeit für Tolkien über dem "heroischen" Ideal stehen.
 
Soweit zu Tolkien. 
 
Robert E. Howards Perspektive wurzelte in einer gänzlich anderen Lebenserfahrung als der des "Professors". Die Art "städtischen Lebens", mit der er vertraut war, war die einer texanischen Ölboom - Siedlung der 20er Jahre -- himmweltweit entfernt von der bürgerlichen Gemächlichkeit des tolkienschen Oxford. Der Boom hatte Cross Plains 1921 erfasst und seine Einwohnerzahl in wenigen Monaten von 1.500 auf über 10.000 anschwellen lassen. Und die Neuankömmlinge dürften ein ziemlicher wüster und buntgemischter Haufen gewesen sein. 1926 arbeitete der damals zwanzigjährige Howard eine Zeit lang im größten Drug Store der Stadt als "Soda Jerk". In seinem autobiographischen Roman Post Oaks and Sand Roughs schrieb er darüber: "A boom town drugstore is an ideal place to study humanity". Natürlich können wir uns nicht hundertprozentig sicher sein, ob die dort geschilderten Erlebnisse eins-zu-eins Howards reale Erfahrungen wiedergeben. Gar zu weit entfernt dürften sie jedoch sicher nicht sein. Auf jedenfall erzählt er, sein Alter Ego Steve Costigan
became acquainted with and sometimes friendly to, whores, bootleggers, gamblers, dope fiends, and yoggs, besides the general riff-raff drillers, tool dressers and roustabouts. (15)
Und wie er später in einem Brief an Clark Ashton Smith schrieb, waren es wohl diese Begegnungen, denen Conan der Cimmerier letztlich seine Existenz verdankte:
It may sound fantastic to link the term "realism" with Conan; but as a matter of fact his supernatural adventures aside he is the most realistic character I ever evolved. He is simply a combination of a number of men I have known, and I think that's why he seemed to step full-grown into my consciousness when I wrote the first yarn of the series. Some mechanism in my sub-consciousness took the dominant characteristics of various prizefighters, gunmen, bootleggers, oil field bullies, gamblers, and honest workmen I had come in contact with, and combining them all, produced the amalgamation I call Conan the Cimmerian. (16)  
Die Ironie besteht allerdings darin, dass Conan trotz seiner semi-proletarischen Wurzeln von seinem Schöpfer als eine Figur kreiert wurde, die er genau dieser "Welt" entgegenstellte. Denn was das Leben in einer vom Ölboom umgekrempelten Kleinstadt Howard vor allem lehrte, war eine tiefe Verachtung für die "Zivilisation", in der er hauptsächlich  Repression, Heuchelei und Entmenschlichung erblickte. Gelegenheitsjobs wie im Büro der Cross Plains Natural Gas Company steigerten seine tiefe Abneigung gegen jede Form von Autorität:
I lost the job because I wouldn't kow-tow to my employer and 'yes' him from morning til night. That's one reason I was never very successfull in working for people. So many men think an employee is a kind of servant. I'm good natured and easy going, I detest and shrink from rows of all sort, but there's no use in a man swallowing everything. (17)    
Und auch die Arbeit als "Soda Jerk", so lehrreich sie in mancher Hinsicht auch gewesen sein mochte, war ihm letztenendes eine unerträgliche Qual. Und machte es ihm unmöglich, seinen wahren Interessen zu folgen. Um noch einmal die Erlebnisse von Steve Costigan in Post Oaks and Sand Roughs zu zitieren:
He did not read or write, scarcely had time to answer his correspondence. He had absolutely no time for recreation or even rest. All during the day he would dash back and forth behind the fountain which he had grown to hate. Scoring drinks and waiting on customers, doing many things he was not paid to do. At night he staggered home to fall into his bed and sleep the sodden sleep of utter exhaustion. He went to bed fatigued, and he woke up fatigued ... worse still was the mental effect of taking orders and occasional insults from the scum of the earth. (18)
Dieser verhassten "Zivilisation" stellte er in Conan den Vertreter eines von individueller Freiheit geprägten "Barbarentums" entgegen.
 
Wie äußerst sich das nun im Setting der Geschichten? Auf seinen Abenteuern verschlägt es den Cimmerier durchaus immer mal wieder in Städte, so etwa in The Tower of the Elephant oder Rogues in the House. Und diese präsentieren sich dabei stets als ein Nebeneinander von "purple-towered marble and ivory palaces of the aristocracy" und heruntergekommenen Slums voller Dreck und Gestank. Eine solche Darstellung sozialer Gegensätze wäre bei Tolkien völlig undenkbar gewesen. Dabei wirken Viertel wie "The Maul" und "The Maze" beinah schon wie eine Vorwegnahme der verwinkelten und verrufenen Gassen von Lankhmar:
He (Conan) slunk along alleys and shadowed plazas until he came to the district which was his destination -- the Maze. Along its labyrinthian ways he went with the certainty of familiarity. It was indeed a maze of black alleys and enclosed courts and devious ways; of furtive sounds, and stenches. There was no paving on the streets; mud and filth mingled in an unsavory mess. Sewers were unknown; refuse was dumped into the alleys to form reeking heaps and puddles. Unless a man walked with care he was likely to lose his footing and plunge waist-deep into nauseous pools. Nor was it uncommon to stumble over a corpse lying with its throat cut or its head knocked in, in the mud. Honest folk shunned the Maze with good reason. (19)
Doch bleibt der Cimmerier stets ein Fremdling in dieser Umgebung. Ist sozusagen nur "auf der Durchreise". Selbst nachdem er den Thron von Aquilonia bestiegen hat, ändert sich das im Kern nicht. Denn die Stadt verkörpert bei Howard nun einmal die "Zivilisation" -- und damit Dekadenz, Unterdrückung und Doppelzüngigkeit. Wie sollte sich Conan je in ihr heimisch fühlen können?
 
Wirklich "urban" wird die Fantasy erst bei Fritz Leiber. Und der Hauptgrund dafür ist gar nicht einmal so sehr, dass Lankhmar das Urbild aller späteren Fantasymetropolen ist. Wirklich entscheidend ist vielmehr der Charakter seiner Helden. Anders als Conan sind Fafhrd und der Gray Mouser urbane Figuren. Noch bevor er Lankhmar und Nehwon kreierte, stellte Leiber sie in Adept's Gambit in ein städtisch-kosmopolitisches Milieu -- das des hellenistischen Kleinasiens. Die allererste Erzählung über das Gaunerpaar beginnt in einer Schenke im Hafenviertel von Tyrus. Und Leiber hatte ganz offensichtlich großen Spaß damit, das dort herrschende bunte Völkergemisch zu beschreiben. Das ist die "Welt" seiner Helden.
 
Nicht einmal die Hälfte aller Fafhrd & The Gray Mouser - Geschichten spielen tatsächlich in Lankhmar. Und doch ist die Stadt der Schwarzen Toga das Herz dieses literarischen Universums. Und völlig zurecht identifiziert man die Abenteuer der beiden Halunken mit ihr. 
In gewisser Hinsicht stellt die Kurzgeschichte The Circle Curse eine Art Meta-Kommentar auf den ganzen Zyklus dar. Nachdem ihre großen Jugendlieben Vlana und Ivrian von der Diebesgilde ermordet wurden und sich herausgestellt hat, dass Rache keinen Seelenfrieden schafft, schwören Fafhrd und der Mouser, Lankhmar für immer den Rücken zu kehren. Sie streifen kreuz und quer durch Nehwon, doch am Ende bleibt ihnen nichts anderes übrig, als in die Metropole zurückzuwandern. Wie Fafhrd am Beginn von The Swords of Lankhmar erklärt, als der Mouser (wenig überzeugt) anmerkt, dass es doch sicher auch anderswo noch ein paar klitzekleine Abenteuer zu bestehen gäbe:
"Perhaps", the big man agreed, "but big or little, they all have a way of beginning in Lankhmar."
Nun könnte man einwenden, dass der Mouser als Waisenkind aus den Slums der Bettlerstadt Tovilys zwar ohne Zweifel eine "urbane" Figur ist. Aber Fafhrd ist doch ein Barbar aus dem eisigen Norden. Entspricht er also nicht eher dem Conan-Archetyp? Nicht wirklich. Ich würde sogar soweit gehen, in ihm den ersten echten Anti-Conan zu sehen. Denn wie wir in The Snow Women erfahren, war er keineswegs glücklich in seiner Heimatgesellschaft, die von einem verknöcherten und unbarmherzigen Konservatismus beherrscht wird, gegen den der junge Fafhrd instinktiv aufbegehrte. Dabei erschien ihm die "Zivilisation" als ein aufregendes Reich der Freiheit. Diese naive Illusion zerschlägt sich zwar schnell, nachdem er zusammen mit der Schausstellerin und Diebin Vlana in Lankhmar angekommen ist. Und in späteren Geschichten wirft er sich manchmal recht gerne in die Conan-Pose und lässt abfällige Bemerkungen über die "dekadente Zivilisation" fallen. Aber wie der Mouser ihm (gleichfalls in The Swords of Lanhhmar) auf humorvolle Weise unter die Nase reibt, ist er in Wirklichkeit längst Teil dieser "verweichlichten und verkommenen" Welt geworden:
"Civilization!" the big man smiled. "I sometimes wonder --"
"-- why you climbed south over the Trollstep Mountains and got your beard trimmed and discovered that there were girls without hair on their chests", the small man finished for him. 
Das bedeutet allerdings nicht, dass Leiber die städtische Welt idealisieren oder nun seinerseits positiv der "Barbarei" entgegenstellen würde. In Lankhmar existieren ganz wie in Howards Städten krasse soziale Ungleichheit, Despotie und Dekadenz. Wenn Brian Murphy in Flame and Crimson Leibers Geschichten durch die Linse der howard'schen Dichotomie von Zivilisation & Barbarei betrachtet, erscheinen sie ihm deshalb in einem etwas trost- und hoffnungslosen Licht:
And so Fafhrd and the Gray Mouser are at a standstill: civilization balanced against barbarism, tradition against freedom, individuality and progress opposed by conformity and compromise. How can one break free? What is the moral center of Leober's universe, if not barbarism's stifling traditions or civilization's decadent freedoms? (20)   
Doch wenn das ein wenig erfreuliches Bild zu sein scheint, liegt das meiner Ansicht nach an der falschen Perspektive. Leibers Werk funktioniert eben nicht gemäß des howard'schen Gegensatzes. Er spielt mit diesem, weist ihn letztendlich aber zurück. Leiber sucht kein Ideal -- weder in den schneeverwehten Weiten der Eisöde, noch in den verwinkelten Gassen von Lankhmar. (Ebensowenig übrigens in irgendeiner göttlichen oder mythischen Weltordnung à la Tolkien). Aber das macht ihn nicht zynisch oder hoffnungslos. 
Sicher ist ihm das bunte und kosmopolitische Leben der Stadt lieber als der antiindividualistische und beschränkte Traditionalismus des Dorfes. Aber er verschließt die Augen nicht vor all dem Hässlichen, Grausamen und Unmenschlichen der Zivilisation. In seinen Geschichten steckt etwas tief rebellisches. Vor allem aber bejaht er das Leben. Und trotz all ihrem Schmutz und Elend ist die Stadt für ihn so etwas wie konzentriertes Leben.

Hoffentlich wird es mir irgendwann noch einmal gelingen, mich hier etwas ausführlicher über Fritz Leibers Fahfhrd & The Gray Mouser Stories auszulassen. Für den Moment muss das leider genügen. Sonst schläft dieser Blog doch noch ganz ein.  

 

 

 

(1)  J.R.R. Tolkien: Über Märchen. In: Ders.: Die Ungeheuer und ihre Kritiker. S. 187ff.

(2) Zit. nach: Jacques Le Goff: Das Hochmittelalter. S. 82f.

(3) Wenn Rudolf von Ems in seinem um 1220 entstandenen Guten Gerhard erstmals einen (Kölner) Kaufmann zum Helden eines höfischen Romans macht, spiegelt sich darin zwar ohne Zweifel die wachsende Bedeutung der Stadtwirtschaft wider. Doch beruht die moralische Vorbildlichkeit Gerhards bezeichnenderweise gerade darin, dass er sich nicht "wie ein Händler" verhält, sondern auf besonders vollkommene Weise feudale Tugenden wie die milte ("Freigebigkeit") an den Tag legt und ganz im Interesse von Adeligen wie dem englischen Kronprinzen Wilhelm handelt. Er ist der Großkaufmann, wie die Aristokraten ihn sich wünschten.

(4) Zit. nach: Humphrey Carpenter: J.R.R. Tolkien. Eine Biographie. S. 193.

(5) "[D]ie Haltung der 'Dienstbarkeit', die vollkommene Unterwerfung des ritterlichen 'Knechts' und das Wünschen und Wollen der Dame". (J.R.R. Tolkien: Sir Gawain und der Grüne Ritter. In: Ders.: Die Ungeheuer und ihre Kritiker. S. 118).

(6) Entwurf eines Briefes an einen Leser des Herr der Ringe (ca. 1963). In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 244. S. 423f.

(7) J.R.R. Tolkien: Das Buch der Verschollenen Geschichten. Bd. 1. S. 144f.

(8) J.R.R. Tolkien: Das Buich der Verschollenen Geschichten. Bd. 2. S. 176.

(9) J.R.R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Bd. 2. S. 21.

(10) Brief an Naomi Mitchison [25. April 1954]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 144. S. 230.

(11) J.R.R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Bd. 2. S. 44.

(12) Zauberwelten. Herbst 2021. S. 31.

(13)  Beowulf. V. 20-24.

(14) J.R.R. Tolkien: Der kleine Hobbit. S. 257; 250; 251; 253; 254; 255; 256; 249; 255; 291; 301.

(15) Zit. nach:  Todd B. Vick: Rogues & Renegades. The Life and Legacy of Robert E. Howard. S. 83.

(16) Zit. nach: Mark Finn: Blood & Thunder. The Life & Art of Robert E. Howard. S. 172.

(17) Brief an Talman vom September 1931. Zit. nach: Ebd. S. 97.

(18) Zit. nach: Ebd. S. 99f.

(19) Robert E. Howard: Rogues in the House,

(20) Brian Murphy: Flame and Crimson: A History of Sword-and-Sorcery. S. 119. 

Sonntag, 17. März 2024

Klassiker-Reread: "Die Chroniken von Tornor" von Elizabeth A. Lynn (1/2)

Momentan ist es ja etwas still geworden hier auf dem Blog. Aber dank einer erfreulich lebendigen Tradition ändert sich das heute endlich einmal wieder. Denn wie seit 2019/20 in jedem Jahr haben Alessandra von FragmentAnsichten und ich erneut einen gemeinsamen Klassiker-Reread unternommen. In der Vergangenheit hatten wir uns dabei Joy Chants Wenn Voiha erwacht, Patricia McKillips Erdzauber, Esther Rochons Der Träumer in der Zitadelle und den Dragonlance Legends von Tracy Hickman und Margaret Weis gewidmet. Anders als in den letzten beiden Jahren, in denen Sören Heim bzw. Christina F. Srebalus als Gäste mit von der Partie waren, sind wir diesmal wieder unter uns geblieben. Vorgenommen haben wir uns Elizabeth A. Lynns Fantasyzyklus Die Chroniken von Tornor.  
     
                                                  * * *
 
Elizabeth A. Lynn wurde 1946 in New York geboren und lebte später erst in Chicago, dann in San Francisco. Ihre eigentliche Karriere als Schriftstellerin war relativ kurz, reichte nur von Mitte der 70er bis Mitte der 80er Jahre, doch war der Eindruck, den ihre Arbeiten dabei auf viele ihrer Zeitgenoss*innen machte, beträchtlich. 
Lynn gehörte zu einer Gruppe von jungen Schriftsteller*innen, die im Verlauf der 70er in die amerikanische SFF-Szene Eingang fanden und oft eine frische und unkonventionelle Sicht vertraten, in der sich selbstredend auch etwas vom politisch unruhigen Charakter der Zeit widerspiegelte. Das aufblühende Biotop der Fanzines, Semi-Prozines und Kleinverlage bot dafür ein gutes Umfeld. Dennoch war es nicht immer leicht, Fuß zu fassen. So vollendete Lynn ihre erste "druckreife" Story Wizard's Domain / Zauberers Reich 1971, veröffentlicht wurde sie aber erst 1980 in Ellen Kushners Anthologie Basilisk. Nicht immer bestanden die Probleme dabei bloß aus frühzeitig verstorbenen Magazin-Projekten oder unprofessionellen Verlegern. So erzählt die Autorin z.B. über ihre Kurzgeschichte The Gods of Reorth / Die Götter von Reorth:  
Ein paar andere Lektoren, die sämtlich (mit einer Ausnahme) Männer waren, schickten sie mir zurück mit brummigen Kommentaren, dass ich wohl beabsichtige, alle Männer umzubringen. Mir scheint, sie haben das Wesentliche nicht begriffen.*
Zwischen 1976 und 1984 erschienen achtzehn Kurzgeschichten aus Lynns Feder in unterschiedlichen Magazinen und Anthologien. Dabei bewegte sie sich mit großer Selbstverständlichkeit zwischen den phantastischen Genres, wechselte von Fantasy zu SF zu Weird Fiction oder Horror, Ihre erste veröffentlichte Story We All Have To Go / Wir müssen alle einmal fort ist eine Near Future - Erzählung über eine besonders zynische Form von Reality - TV. Und auch ihr erster Roman A Different Light / Das Wort heißt Vollkommenheit gehört der Science Fiction an. Zur Fantasy kehrte sie wohl erst wieder zurück, als Jessica Amanda Salmonson sie um einen Beitrag für ihre Amazons! - Anthologie anging. The Woman Who Loved The Moon / Die Frau, die den Mond liebte spielt in derselben Welt Ryoka wie schon Wizard's Domain. Lynn hat einmal erklärt, dass sie "ein ganzes Buch"** schreiben wollte, dessen Handlung dort angesiedelt sein sollte. Doch dazu kam es nie. Immerhin kehrte sie noch einmal nach Ryoka zurück, als sie 1982/83 The Red Hawk / Der rote Falke als Beitrag für den von Peter Wilfert herausgegebenen Goldmann Fantasy Foliant 1 schrieb. Mit The Sardonyx Net / Sardonyxnetz (1981) entstand außerdem noch ein weiterer SF-Roman und mit The Silver Horse (1984) ein Fantasy-Kinderbuch, doch dann versiegte offenbar die Inspiration. Was Lynn im Rückblick aber keineswegs als Katastrophe sieht. Wie sie 1997 in einem Interview mit dem Locus Magazine erzählt hat:
I tried to figure out what to fill the hole in my life with. And what I filled it with was the rest of my life. I went back to martial arts very strongly. I had friends – I didn't lose them. I didn't stop reading books. And discovered that I could live and be a happy person, and never write again.
I went and worked for five dollars an hour, selling Thai and Balinese objets d'art to rich people in Berkeley, in a shop run by a friend of mine. And I enjoyed it! ... I took the H&R Block course, and then went off on my own and started doing taxes for people.
Ende der 1990er / Anfang der 2000er erlebte sie zwar noch ein kleines Comeback mit Dragon's Winter (1998) und Dragon's Treasure (2003), doch fanden diese Romane nie die Anerkennung, die ihr Werk am Ende der 70er Jahre genossen hatte.
 
Die ersten beiden Bände der Chroniken von Tornor – Watchtower / Die Zwingfeste und The Dancers of Arun / Die Tänzer von Arun erschienen 1979. Der erste der beiden wurde 1980 mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet. Im selben Jahr erreichte auch der Abschlussband The Northern Girl / Die Frau aus dem Norden das lesende Publikum.
 
Zwei Elemente, die eng mit Lynns persönlichem Leben verknüpft sind, finden sich in fast all ihren Geschichten: So sind zum einen immer wieder Kampfkunst-Schilderungen in die Handlungen eingewoben und Lynn war bzw. ist selbst Aikido-Lehrerin mit eigenen Dojo. Zum anderen sind LGBTQ-Figuren bei ihr keine Ausnahme, sondern die Regel. Die ehemalige LGBT-Buchkette „A Different Light“ war nicht zufällig nach ihrem Roman benannt. Lynn ist selbst offen lesbisch.
 
                                                  * * *
 
Die Ryoka-Geschichten besitzen allesamt das Flair von alten Mythen oder Volkssagen. Entsprechend beginnen sie mit Formulierungen wie: "Sie erzählen diese Geschichte in den östlichen Provinzen ..." (Zauberers Reich) oder "Sie erzählen diese Geschichte in den Mittleren Grafschaften ..." (Die Frau, die den Mond liebte). Die Chroniken von Tornor sind in einem deutlich anderen Stil gehalten.
 
Die Zwingfeste beginnt ähnlich wie eine typische Heroic Fantasy - Erzähling in medias res. Allerdings nicht mit einer Actionsequenz, sondern mit dem Nachspiel der Action. Die Grenzfeste Tornor ist von den Männern des Söldnerführers Col Istor erstürmt worden, die meisten Verteidiger sind erschlagen und auch der ehemalige Burgherr Athor liegt tot im Staub. Nur Wachhauptmann Ryke ist verschont worden, denn der Eroberer will ihm einen Handel vorschlagen: Das Leben von Prinz Errel gegen Rykes Dienste. Der schlaue Col weiß, dass ihm die Unterstützung eines Ortskundigen bei der Etablierung seiner Herrschaft eine große Hilfe sein wird. Ryke geht auf das Angebot ein, allerdings nur, weil er hofft, dass es ihm auf diesem Wege gelingen wird, die Flucht des Prinzen zu bewerkstelligen. Eine entsprechende Gelegenheit eröffnet sich, als einige Zeit später die Bot*innen Norres und Sorren auf Tornor eintreffen. Der Prinz kennt die beiden (wie sich später herausstellt, ist Sorren sogar seine Halbschwester). Gemeinsam fliehen die vier in die Westlichen Berge, wo der mysteriöse Van im verborgenen Tal von Vanima eine Gemeinschaft von Schüler*innen und Gleichgesinnten um sich geschart hat. Er lehrt sie eine neue Kampfkunst und eine besondere Form des Tanzes. Und obwohl die in diesen ausgedrückte Philosophie eigentliche eine Ablehnung von Agressivität und unnötiger Gewalt beinhaltet, finden Errel und Ryke in der Gemeinschaft von Vanima schließlich Verbündete gegen Col Istor.

Die Tänzer von Arun spielt mehrere Generationen später. Inzwischen hat sich die Kampfkunst der "Chearis" über die Länder von Arun verbreitet und mit ihr die Philosophie des "Chea" (einer Art metaphysischen Weltharmonie). Der junge Kerris ist ein Neffe des gegenwärtigen Herrn von Tornor. Doch da ihm im Alter von drei Jahren bei einem Überfall der nomadischen Asech der rechte Arm abgeschlagen wurde, wächst er als Außenseiter in der Kriegergesellschaft der Grenzfeste auf. Seit einiger Zeit wird er von Visionen heimgesucht, in denen er telepathischen Kontakt zu seinem Bruder Kel aufzunehmen scheint, dem er nie bewusst begegnet ist und der mit einer Gruppe von "Chearis" durch die Lande zieht. Als die "Tänzer" tatsächlich auf Tornor auftauchen, zögert Kerris nicht lange und schließt sich ihnen an. Gemeinsam reist man nach Süden zur "Hexenstadt" Elath, wo Kels Geliebter Sefer eine Schule ("Tanjo") für übersinnlich Begabte gegründet hat. Für Kerris wird die Reise zu einer Art Selbstfindungs- und Reifungsprozess, in dessen Verlauf er sich auch dem gewaltsamen Trauma aus seiner Kindheit stellen muss. Zumal es in Elath zu einer neuerlichen Konfrontation mit den Asech kommt.
 
Zwischen dem 2. und dem 3. Band vergeht erneut ein gutes Jahrhundert. Die Handlung ist nun ganz im Süden, in der Metropole Kendra-im-Delta, angekommen. Die Frau aus dem Norden ist nicht nur der deutlich längste, sondern auch der komplexeste Teil des Zyklus mit drei Perspektivträgerinnen und mehreren, miteinander verwobenen Handlungssträngen. Sorren, das titelgebende "northern girl", ist Leibeigene von Arré Med, die an der Spitze einer der ältesten und mächtigsten Adelsfamilien von Kendra steht. Seit einiger Zeit ist Sorren außerdem mit Paxe liiert, der Waffenmeisterin des Hauses Med. Während sich um sie herum eine große politische Intrige entspinnt, in die u.a. Arrés eifersüchtiger Bruder Isak und das aufsteigende Haus Ismenina verstrickt sind, erwacht in ihr das immer stärkere Verlangen, in die vermeintliche "Urheimat" ihrer Familie, nach Tornor, "zurückzukehren". Angespornt wird sie dabei von Visionen, alten Erzählungen und der Begegnung mit ghya Kadra. 
 
Cover-Illustrationen von Franz Berthold

 
Nun aber zu unserem eigentlichen Gespräch. Und Achtung: Wir spoilern hemmungslos.
  

1) Einstieg, Vergleiche zu anderen Büchern, Storytelling und Reflexion

[Alessandra]: Und wieder gilt: Neues Jahr, neuer Klassiker-Reread :) Dieses Mal nehmen wir uns also "Die Chroniken von Tornor" vor (auch veröffentlicht als "Die Türme von Tornor"). Normalerweise sprechen wir am Anfang ja immer darüber, wie wir die Bücher kennengelernt und wie wir das erneute Lesen wahrgenommen haben. In diesem Fall kann ich dazu allerdings gar nicht so viel sagen. Die Bücher und Reihen, die wir in den letzten Jahren besprochen haben, sind mir schon als Teenager oder während meiner Studienzeit begegnet. "Die Zwingfeste", den ersten "Tornor"-Band, habe ich allerdings erst 2022 gelesen, nachdem das Buch hier im öffentlichen Bücherschrank aufgetaucht war. Zuvor hatte ich darüber in der Sekundärliteratur gelesen, wo es als frühes Beispiel für LGBTQ-Fantasy, aber interessanterweise auch für Romantasy genannt wurde. Das hat mich neugierig gemacht, daher wollte ich die Trilogie schon länger mal lesen, jetzt bot sich die Chance. Nachdem ich das Buch gelesen hatte, haben wir uns ja per Mail etwas darüber ausgetauscht, so entstand auch die Idee zu diesem "Reread". (Vielleicht hätten wir dabei bleiben sollen, von "Klassiker-Wiederentdeckung" zu sprechen ... :))
Ich habe "Die Zwingfeste" also Anfang diesen Jahres noch mal gelesen. Mir sind nun viel mehr Details und Zwischentöne aufgefallen, aber der Unterschied zum ersten Leseerlebnis war dennoch nicht so groß. Band 2 und 3 habe ich nun zum ersten Mal gelesen.
Ich schätze, du kannst stärker auf "frühere Begebenheiten" zurückschauen?

[Peter]: Na ja, ich habe die Trilogie zwar tatsächlich schon einmal in der zweiten Hälfte der 2000er gelesen, aber viele der Details hatte ich natürlich längst wieder vergessen. Wie ich damals zu den Büchern gekommen bin, weiß ich auch nicht mehr so genau. Ungefähr zu dieser Zeit hatte ich nach einer recht langen Pause wieder begonnen, mich mit "Genre-Literatur" zu beschäftigen. Und war dabei besonders an Werken interessiert, die auf den einschlägigen Websites (für mich damals vor allem "Strange Horizons") als für ihre Zeit "anders" oder "progressiv" bezeichnet wurden. Und dabei muss irgendwann wohl auch der Name Elizabeth A. Lynn gefallen sein. Was mich bei dieser ersten Lektüre dann besonders fasziniert hat, war der Umgang mit Geschichte und Wandel. Die Welt der Trilogie erschien mir als bewusster Gegenentwurf zu den  sonst meist irgendwie "statischen" Welten der "klassischen" Fantasy. Die erneute Lektüre hat diesen Eindruck für mich einerseits bestätigt, mir andererseits aber auch vor Augen geführt, dass noch sehr viel mehr in den Büchern drinsteckt. Interessant fand ich dabei auch die Entwicklung innerhalb der Trilogie. "Die Zwingfeste" scheint mir nämlich noch am ehesten an die Ende der 70er Jahre üblichen Formen von Fantasy anzuknüpfen, während die späteren Teile sich dann immer weiter davon entfernen. Wie war da dein Eindruck?

[Alessandra]: Bei unseren vorherigen Rereads hatten wir uns ja u. a. Joy Chants "Wenn Voiha erwacht" und Esther Rochons "Der Träumer in der Zitadelle" vorgenommen. An beide musste ich während des Lesens der Trilogie häufig denken, weil es sowohl inhaltlich als auch strukturell einige Ähnlichkeiten gibt, gerade wenn es um dieses Thema des Wandels geht. "Voiha" und der "Träumer" haben wir als Einzelbände besprochen, aber sie sind ebenfalls Teil von Trilogien bzw. Zyklen, die einen sehr ähnlichen Weg gehen. "Der Träumer in der Zitadelle" klammere ich hier mal aus, weil ich die nachfolgenden Bände nur aus Sören Heims Schilderungen und Rezensionen kenne. Aber gerade an "Wenn Voiha erwacht" bzw. die dahinter stehende "House of Kendreth"-Trilogie musste ich oft denken. Auch hier folgen wir der Entwicklung einer Gesellschaft über Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte hinweg. "Kendreth" und "Tornor" sind sogar relativ zeitgleich entstanden (Kendreth 1977 – 1983, Tornor 1979 – 1980), mich würde es sehr interessieren, inwiefern die einander bedingt haben. Aber "Die Chroniken von Tornor" geht das Thema noch deutlich konsequenter an. Eigentlich finde ich, es müsste "Der Zyklus von Tornor" heißen; es gibt so viele Pseudo-Zyklen in der Fantasy, aber hier ergäbe der Titel mal Sinn! "Kendreth" erzählt eher Einzelgeschichten und man kann sich ein Stück weit zusammenreimen, wie die sozialen Entwicklungen zustandegekommen sind. Bei "Tornor" werden einem die Hinweise hingegen sehr deutlich vor Augen geführt. Auch hier werden zwar drei Geschichten erzählt, die man unabhängig voneinander lesen kann, da es um unterschiedliche Figuren in drei unterschiedlichen Städten geht. Trotzdem würde einem hier sehr viel Subtext verloren gehen, wenn man, sagen wir mit Band 3 starten würde. Und das, obwohl alle drei strukturell sehr unterschiedlich sind (wobei das wiederum auch für "Kendreth" gilt). Ich stimme dir jedenfalls zu, dass "Die Zwingfeste" noch am klassischsten erzählt ist. Er ist auch am lesbarsten :) Band 2 und 3 wirken dafür "selbstsicherer", als sei Lynn mit mehr Vertrauen ans Experiment dran gegangen. Denn Experimente sind da wahrlich einige drin ...

[Peter] Jaaa, auf die können wir später noch zurückkommen ... Den Vergleich mit "Kendreth" finde ich jedenfalls sehr treffend. Vor allem in "The Gray Mane of Morning" / "Der Mond der Brennenden Bäume" geht es ja sehr  explizit um einen gesellschaftlichen  und kulturellen Umbruch. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht. Bei den "statischen" Fantasywelten hatte ich mehr an so Sachen wie Tolkiens Mittelerde gedacht, wo sich über Jahrtausende anscheinend so gut wie nichts an der sozialen Ordnung verändert, nur immer wieder mehr oder weniger apokalyptische Kriege mit irgendeinem Dunklen Herrscher ausgefochten werden. Und auch so Sachen wie Le Guins "Erdsee" oder Patricia McKillips "Erdzauber" sind da finde ich nicht viel anders. Während wir bei "Tornor" miterleben, wie sich eine Welt in kultureller, gesellschaftlicher und politischer Hinsicht allmählich weiterentwickelt. Das deutet sich schon in "Die Zwingfeste" an, wenn wir z.B. ganz nebenbei erzählt bekommen, dass die Händler begonnen haben, Gilden zu bilden und sich als "Blauer Clan" bezeichnen. Was die Charaktere, die sich darüber unterhalten, reichlich absurd finden. Ab dem zweiten Band ist die Existenz des "Blauen Clans" dann eine Selbstverständlichkeit. Und natürlich erleben wir außerdem die Geburt des "Roten Clans" der "Tänzer", mit. Dessen weitere Entwicklung dann aber nicht ganz so abläuft, wie man sich das vielleicht vorgestellt hätte. 
 
[Alessandra] Denke, da spielt auch eine Rolle, dass "Tornor" ebenso wie "Kendreth / Mond der Brennenden Bäume" und "Vandarei/Der Träumer in der Zitadelle", sich auf Menschenvölker beschränken. Keine Elfen und andere Langlebigen, die sich dem Wandel entgegenstellen :) Wenn ein größerer Wandel in der Völkerfantasy thematisiert wird (wie in "Die Elfen" oder der Geralt-Saga), braucht es dafür gleich Jahrtausende.

[Peter] Das sicher auch. Gerade Tolkiens Elben verkörpern ja sehr deutlich den Wunsch, den Wandel der Geschichte aufzuhalten  und für immer in einem imaginierten "Goldenen Zeitalter" zu leben.

[Alessandra] Iinteressant finde ich bei "Tornor" auch, wie sich die Entwicklungen im Kreis vollziehen (daher oben die Zyklus-Anmerkung). In Band 1 haben wir z. B. eine sehr kriegerische und patriarchale Gesellschaft. Als die vier Hauptfiguren aus dem besetzten Tornor nach Vanima fliehen, das zunächst als pazifistische Kampfkunst-Kommune dargestellt wird, war ich im ersten Moment befremdet von so viel plakativer Utopie. Dass ein Teil der Bewohner Vanimas diese Ideale aufgibt, um gegen Col, den Antagonisten aus Band 1 und Besatzer von Tornor, in den Krieg zu ziehen, hat es nicht besser gemacht; die Begründung wirkte auf mich aufgesetzt nach dem Motto "ja, wir müssen halt eine klassische Story erzählen, in der der Antagonist doch noch besiegt und umgebracht wird". Und am Ende von Band 1 schien sich zunächst nicht viel an den sozialen Strukturen in Tornor geändert zu haben, im Gegenteil kehrte mit dem Sieg über Col alles zum Status Quo zurück – obwohl mehrfach angedeutet wurde, dass der nicht unbedingt erstrebenswerter war als das Leben unter Cols Herrschaft. 
Band 2 zeigt dann aber, dass im Verlaufe der Zeit u. a. durch den Einfluss der waffenlosen "Tänzer" (=Kampfkünstler) aus Vanima und durch die neu eingesetzte Herrscherin Sorren (offenbar die erste Frau auf dem Thron) ein Umdenken eingesetzt hat. Krieg und Kampf werden deutlich negativer bewertet, Frauen und Männer außerdem gleichgestellter dargestellt (wobei man hinzufügen muss, dass Band 2 in einer weiter südlich gelegeneren Stadt spielt, nicht in Tornor selbst). In Band 3 dann ist der Kampf mit Waffen ein Tabu und die Gesellschaft hat einige matriarchale Züge. Beides befindet sich aber in einer mehr oder weniger "sanften" Auflösung, es wird also angedeutet, dass sich auch diese Verhältnisse wieder ändern werden und der bewaffnete Konflikt lässt nicht lange auf sich warten. Das fand ich sehr clever und vor allem reflexiv, nachdem ich in Band 1 Sorge hatte, Lynn könne sich im Versuch verlieren, ihre Utopie-Vorstellungen und Epic-Fantasy-Storytelling zu verbinden.

[Peter] Zumal ich mir nicht einmal sicher bin, ob wir das in Band 3 herrschende Verbot des Waffentragens in den Städten überhaupt als durchgehend positiv wahrnehmen sollen. Der Bann wurde ja von den herrschenden Adelsfamilien verhängt und von den "Hexern" des Tanjo zusätzlich mit einer religiösen Komponente versehen. Es handelte sich also ganz klar um eine politische Entscheidung. Könnte es den Herrschenden vielleicht auf Dauer etwas gefährlich erschienen sein, wenn Leute aus dem einfachen Volk mit Schwertern herumhantieren und die Kampfkunst der Chearis erlernen? Die "Tänzer" wurden in Band 2 ja als eine quasi "demokratische" Gemeinschaft dargestellt. Jeder, der über das entsprechende Talent verfügte, konnte in den "Waffenhöfen" unterrichtet werden. Mit dem "Waffenbann" ist zugleich diese Gemeinschaft zerschlagen worden. Die alte Kampfkunst ist weitgehend gestorben, der "Tanz" lebt nur noch als eine Form aristokratischer Unterhaltung fort.
Ebenso unsicher bin ich mir, ob der gesellschaftliche Wandel, der sich zwischen Buch 1 und 2 vollzogen hat, ausschließlich auf die "Tänzer" und Sorren zurückzuführen ist. Schon zu Beginn von "Die Zwingfeste" erfahren wir, dass die ständigen Grenzkonflikte mit dem nördlich gelegnen Reich von Arhand, die der eigentliche Grund für die Existenz der Grenzfesten und der martialisch-patriarchalen Ordnung waren, einem Friedensschluss gewichen sind. Zu Beginn von "Die Tänzer von Arun" wird dann angedeutet, dass damit die Grenzfesten eigentlich ihre Existenzberechtigung eingebüßt haben. Das alte Kriegrethos lebt zwar noch fort, aber im Grunde nur noch als kulturelle Tradition. Am  Ende von Band 3 ist Tornor schließlich eine halbe Ruine, eine sterbende Welt.
Was das klassische Storytelling in "Die Zwingfeste" angeht, glaube ich, dass Lynn das sehr bewusst subversiv zu unterlaufen versucht hat. Ja,  wir bekommen (weitgehend) das klassische Ende serviert: Der geflohene Prinz hat sich Unterstützung in der Fremde organisiert und stürzt den "bösen" Usurpator. Aber die Art, wie dieser "Befreiungskampf" geschildert wird, ist alles andere als "heroisch". All das Gemetzel und die damit verbundenen Greuel (Vergewaltigungen etc.) erscheinen vielmehr extrem abstoßend. Und werden so auch von dem Protagonisten Ryke wahrgenommen, der eigentlich immer die traditionellen "Kriegerwerte" hochgehalten hatte.

[Alessandra] Oh, bewusst unterwandert hat Lynn diese Strukturen zweifellos. Meine Kritik ist letztlich auch Jammern auf hohem Niveau. Dennoch gab es ein paar Kniffe, die ich ~schade fand. Z. B. erhalten die Flüchtlinge aus Band 1 die Unterstützung gegen Col im Prinzip nur, weil der Herrscher von Vanima (ein Anachronismus, sagen wir der "Vorsteher") mit dem noch eine Rechnung offen hat. Das wirkt im ersten Moment wie ein Verrat an der Idee des Utopias Vanima. Aber rückblickend könnte ich mir vorstellen, dass selbst das Teil von Lynns Plan war. Im Prinzip erzählen "Die Chroniken von Tornor" die Geschichte eines freundlichen Scheiterns. Ich will nicht zu viel in Lynns soziopolitische Ansichten hineininterpretieren, aber ich denke schon, dass Vanima einen idealen Ort darstellen soll. Aber obwohl er in Band 1 als realer Ort auftaucht, ist er vor allem ein Mythos, eine Geschichte, die sich Menschen von einer idealen Gemeinschaft erzählen - die gleichwohl nur in diesem sehr kleinen dörflichen Rahmen funktioniert. Kennst du das Lied "Für immer Frühling" von Soffie? Das kam im Zuge der Demos zu einiger Berühmtheit. Darin heißt es "Ich hab neulich geträumt Von einem Land, in dem für immer Frühling ist [...] In das Land, in dem für immer Frühling ist. Darf jeder komm'n und jeder geh'n, denn es gibt immer ein'n Platz am Tisch. Rot karierter Stoff, keine weißen Flaggen mehr. Alle sind willkomm'n, kein Boot, das sinkt im Mittelmeer" usw." Und Vanima wird in Band 2 und 3 ganz ähnlich beschrieben: "das Land, in dem immer Frühling ist ..." "Sie gelangten in das Land des Ewigen Sommers ..." Vanima stellt bis heute ein Idealbild dar. Aber indem es selbst innerhalb der Geschichte zum Mythos "verkommt", unterwandert Lynn wiederum diesen Gegenentwurf, das hat mir gut gefallen. Stattdessen bekommen wir in Band 2 ja sogar eine Demokratie präsentiert (zumindest für die Wahlberechtigten), quasi ein zurück zu realistischem Optimismus.

[Peter] Das Lied kenne ich nicht, aber im Großen und Ganzen würde ich dir da voll zustimmen. Und ich glaube, dass das Utopia von Vanima einiges den realen Kommune-Experimenten der 60er und 70er verdankt. Das Scheitern solcher Projekte wird dann ja auch noch mal anhand des Tanjo vorgeführt. Ursprünglich sollte das einfach eine Art Schule für die übersinnlich Begabten ("Hexer") sein. Und Sefer, der Gründer des ersten Tanjo in Band 2, verbindet damit ziemlich grandiose Vorstellungen von einer besseren Zukunft für die Menschheit. Doch in Band 3 sehen wir dann, dass aus dem Tanjo eine Art Kirche geworden ist, mit strengen Hierarchien, ordentlich viel Besitz und politischen Ambitionen. Das Oberhaupt des Tanjo der Metropole Kendra-im-Delta träumt ja sogar schon davon, alle umliegenden Länder und Städte unter seiner Oberherrschaft zu vereinen. Verglichen damit erscheint das Schicksal der "Tänzer" eher als tragisch. Vanima ist zu einem Mythos geworden, die "Tänzer" selbst zu romantisch verklärten Gestalten einer untergegangenen Ära. Allerdings finde ich es in diesem Zusammenhang interessant, dass sich Van, der Begründer dieser Kampfkunst und ihrer Philosophie, in Band 1 dagegen gesträubt hatte, aus der Gemeinschaft von Vanima den "Roten Clan" zu machen. Mir scheint da ein gewisser Skeptizismus gegenüber festen Organisationen mitzuschwingen. Sobald man aus Utopia eine Institution macht, ist schon der erste Schritt auf dem Weg zum Scheitern getan. 
Nicht unerwähnt lassen möchte ich außerdem noch ein anderes Motiv, das auch irgendwie zum Themenkomplex Wandel  und Geschichte gehört. In Band 3 geht es meines Erachtens nämlich u.a. um die Sicht auf die Vergangenheit. Sorrens übernatürliche Fähigkeit besteht ja darin, in Visionen vergangene Orte und Personen zu sehen. Dabei schaut sie immer wieder die Festung Tornor. Und  nachdem sie erfahren hat, dass ihre Familie ursprünglich von dort stammte, entwickelt sie das unbedingte Verlangen, selbst dorthin zu reisen, wenn ihre Zeit als "Leibeigene" (eigentlich eher eine Art von "indentured servitude") beendet ist. Das wird zu ihrer Hauptmotivation. Sie folgt also in gewisser Weise dem Lockruf der Vergangenheit, den sie mitunter sogar mit romantischen Träumereien verbindet, in denen sie selbst die Rolle der "verlorenen Prinzessin" spielt. Doch was sie ganz am Ende des Romans in Tornor vorfindet ist ganz und gar nicht das, was sie erwartet hatte, sondern eher eine Art sterbende Gesellschaft. Sie muss sich selbst eingestehen: "Es gibt keine Gewissheit ... Nur das Vergangene ist sicher. Und das Vergangene ist tot." Ich bin mir da zwar nicht  hundertprozentig sicher, aber ich interpretiere das als einen subversiven Kommentar auf das in der Fantasy ja doch recht geläufige Motiv der Sehnsucht  nach einer "schöneren, edleren Vergangenheit". Überhaupt der großen Bedeutung, die Tradition und Herkunft dort oft zukommen. Es ist nicht unbedingt falsch, dass Sorren ihre "Wurzeln" sucht, aber "Erfüllung" findet sie dadurch nicht. So wie ich das Ende gelesen habe, wird sie nicht auf Tornor bleiben, sondern sich gemeinsam mit ihrer neuen Geliebten Kedéra in die Westlichen Berge aufmachen, um das verlorene Vanima zu suchen, also die Inkarnation von "Utopie". Wohl nicht zufällig ist Sorrens einzige Vision, die nicht Tornor zum Inhalt hat, ein Blick auf das mythische Tal und seinen Gründer Van.

[Alessandra] Ich glaube, wir könnten hier noch viele Beispiele anführen, wie sich die Veränderungen zeigen und wie Lynn solche These-/Antithese-Elemente in die Handlung einschreibt. Um das Ganze aber zu einem ersten Fazit zu bringen: Ich sehe soziale Veränderung und den Umgang damit als das zentrale Thema der Trilogie – dem wiederum viele weitere Themen angefügt sind. Die Trilogie als Ganzes behandelt das im Makrokosmos, Band 1 im Mikrokosmos.
 
 
Den zweiten Teil unseres Gesprächs werdet ihr am Dienstag auf FragmentAnsichten antreffen. Und zwar hier.
 
 
* Elizabeth A. Lynn: Die Frau, die den Mond liebte. Fantasy & Science Fiction Erzählungen. S. 57.
** Ebd. S. 258.

Donnerstag, 11. Januar 2024

Two Shades of Grimdark?

Im letzten Jahr sind die ersten beiden "offiziellen" Ausgaben des New Edge Sword & Sorcery - Magazins erschienen. Websites und eZines wie Heroic Fantasy Quarterly, Swords and Sorcery Magazine, Beneath Ceaseless Skies, Tales From The Magician's Skull, Whetstone und Old Moon Quarterly erfreuen sich bester Gesundheit. Ja selbst ein deutschsprachiges Buch wie Christian Endres' Die Prinzessinnen scheint nicht wenige Liebhaber*innen gefunden zu haben. Die Sword & Sorcery erfährt gegenwärtig ganz offensichtlich eine nicht unbeträchtliche Wiederbelebung und Erneuerung. 
 
Um so interessanter ist es da, einen Blick zurück in die 2010 bei Harper Collins und Subterranean Press erschienene Anthologie Swords & Dark Magic zu werfen. Denn damals sah die Situation noch deutlich anders aus. Die allgemein verbreitete Weisheit war zu diesem Zeitpunkt immer noch, dass das Subgenre spätestens in den 90er Jahren einen unrühmlichen Tod gestorben sei und höchstens noch in Form irgendwelcher Conan-Pastiches vor sich hin vegitiere, von denen das letzte -- Harry Turtledoves Conan of Venarium -- aber auch bereits sieben Jahre zurücklag. Diese Einschätzung entsprach zwar auch schon 2010 nicht wirklich der Realität, aber wenn der Band mit dem Untertitel The New Sword & Sorcery antrat, dann sollte damit zweifellos suggeriert werden, dass man auf seinen Seiten Beispiele für ein Wiedererwachen der S&S nach einer langen Periode des Niedergangs präsentiert bekommen werde.
    
Doch worin genau sahen die Herausgeber Lou Anders und Jonathan Strahan diesen Neuanfang? 
 
Schon in der ersten Hälfte der 2000er hatte Howard Andrew Jones mit seinem eZine Flashing Swords versucht, frischen Wind in das Subgenre zu bringen und dabei den Begriff "New Edge" geprägt. Freilich war dieser "Bewegung" in ihrer ersten Inkarnation offenbar kein bleibender Erfolg beschieden. Ein völlig andersgearteter Aufbruch vollzog sich 2007/2008 mit der Gründung der "Sword & Soul", einer von Geschichte und Mythologie Afrikas geprägten Spielart der Heroic Fantasy. 2008 ging außerdem Rogue Blades Entertainment an den Start, mit dem Ziel, den Geist der alten Swashbuckler und Pulp-Abenteuer wiederzuleben. Und auch Beneath Ceaseless Skies und das Heroic Fantasy Quarterly nahmen um diese Zeit ihre Arbeit auf.
 
Es gab also tatsächlich eine ganze Reihe von Anzeichen für eine einsetzende Erneuerung der Sword & Sorcery. Doch im Vorwort zu Swords & Dark Magic findet nichts davon Erwähnung. Auf  die "Szene" mit ihren Kleinverlagen und Magazinen wird nur insoweit eingegangen, als John O'Neills Black Gate zur "definitive source for sword and sorcery short-form works since its launch in 2000" erklärt wird. Was zu diesem Zeitpunkt wohl tatsächlich keine so falsche Einschätzung war. Aber Anders und Strahan zeigen sich in erster Linie an Entwicklungen bei den großen Verlagen, in der "Mainstream-Fantasy" sozusagen, interessiert. Wo sie dort Ende der 2000er eine Art Wiederbelebung der Traditionen der S&S zu erkennen glaubten? Werfen wir einmal einen etwas genaueren Blick in ihr Vorwort.
 
Dasselbe beginnt mit der gängigen Gegenüberstellung von High Fantasy und Sword & Sorcery, wobei letztere u.a. so charakterisiert wird: "Smaller-scale character pieces, often starring morally compromised protagonists, whose heroism involves little more than trying to save their own skins from a trap they themselves blundered into in search of spoils". Wenig später werden Robert E. Howards "Urtexte" als "laced with a grim pessimism and an edge of violent realism" beschrieben. Beides ist nicht unbedingt falsch, aber der Fokus auf diese Elemente verrät doch, wohin der Hase läuft. Noch deutlicher wird das, wenn es von Conan heißt, er sei "an opportunist, a self-serving fortune seeker with a fatalistic outlook". Spätestens an diesem Punkt würde ich von einem Zerrbild sprechen. Der Cimmerier ist sicher kein tugendhafter "Ritter ohne Furcht und Tadel", aber ein "selbstsüchtiger Opportunist"? Diese Charakterisierung wird ihm meiner Ansicht nach nicht gerecht. Wie die meisten S&S-Held*innen nach ihm ist auch Conan sehr wohl zu selbstlosem Heroismus fähig.
Was folgt ist ein kurzer Abriss der Geschichte des Subgenres, der bei ungefähr zwei Seiten Länge naturgemäß unvollständig sein muss. Recht erfreulich ist, dass dabei neben Fritz Leiber und Michael Moorcock auch C.L. Moore, Clark Ashton Smith und Charles R. Saunders erwähnt werden. Eher amüsant wirkt es, dass Anders und Strahan "Hyboria" und "Hyperborea" verwechseln. Was man freilich auch als erneuten Beleg dafür interpretieren könnte, dass ihre Vertrautheit mit Howards Werk vielleicht nicht gar so groß ist. Wirklich verärgert hat mich allerdings, dass sie im Zusammenhang mit der von Marion Zimmer Bradley in den 80er Jahren gestarteten Anthologien-Reihe Sword and Sorceress kommentarlos den Mythos nachplappern, den MZB im Vorwort zu deren erstem Band formuliert hatte. Sie  habe das Unternehmen gestartet, "[f]eeling that, C. L. Moore excepted, the subgenre was dominated by men and typified by some fairly reprehensible attitudes toward and depictions of women". Damit wird nicht nur anderthalb Jahrzehnte "weiblicher" Sword & Sorcery -- angefangen mit Joanna Russ' Alyx-Geschichten über die Beiträge von Tanith Lee und C.J. Cherryh bis zu den Werken von Elizabeth A. Lynn und Janrae Frank -- unterschlagen, sondern auch die tatsächliche Vorreiterrolle von Jessica Amanda Salmonsons Anthologien Amazons! und Amazons 2 verleugnet. Es nimmt den Sword and Sorceress - Anthos nichts von ihrer Bedeutung, wenn man anerkennt, dass sie in Wahrheit ein relativ spätes Produkt einer sehr viel längeren Entwicklung waren.
Der historische Abriss endet erwartungsgemäß mit dem Triumph der High Fantasy in den 80ern, der die Sword & Sorcery in der Folgezeit zu einer Art Schattendasein verdammte. Doch in den letzten Jahren habe sich dies geändert. 
But recently, sword and sorcery has been making a comeback. In the wake of George R. R. Martin, whose Song of Ice and Fire series is notable for bringing a moral ambiguity and gritty realism to the fantasy epic, a host of younger writers have emerged to bring a “sword and sorcery sensibility” back to the epic subgenre. Writers like Steven Erikson, Joe Abercrombie, Scott Lynch, Tom Lloyd, David Anthony Durham, Brian Ruckley, James Enge, Brent Weeks, and Patrick Rothfuss are pioneering a new kind of fantasy, one that blends epic struggles with a gritty realism, where good and evil mixes into realistic characters fraught with moral ambiguities, and struggles between nations are not so one-sided as they are colored by a new, politically savvy understanding.
Lou Anders und Jonathan Strahan interpretieren die Grim & Gritty der 2000er als eine "moderne" Wiederbelebung der S&S. Damit erklärt sich auch die etwas fragwürdige (oder zumindest einseitig-verkürzte) Charakterisierung des Subgenres, mit der ihr Vorwort beginnt. 
 
Genrehistorisch ist es zwar sicher nicht ganz falsch, die Grimdark auf die Heroic Fantasy zurückzuführen. Und einige der Bücher, an die Anders und Strahan gedacht haben mögen, würde auch ich dem Subgenre zurechnen. So vor allem Scott Lynchs Gentleman Bastards - Reihe, die eindeutig in der Tradition von Autoren wie Fritz Leiber und Steven Brust steht. (1) Dennoch sträube ich mich heftig dagegen, den Zynismus der Grim & Gritty mit einer "sword and sorcery sensibility" gleichzusetzen. (2)
   
Ob die Anthologie als Ganzes diese Perspektive widerspiegelt, kann ich nicht sagen, da ich mit der eigentlichen Lektüre noch am Anfang stehe. Ich bezweifele es allerdings, enthält der Band doch überraschend viele Beiträge altgedienter S&S-Veteran*innen wie C.J. Cherryh, Glen Cook, Tanith Lee, Michael Moorcock und Michael Shea. Diesen Blogpost wollte ich trotzdem jetzt schon einmal raushauen, weil ich mich lesetechnisch in nächster Zeit auf die Vorbereitung des diesjährigen Klassiker-Rereads mit Alessandra von FragmentAnsichten konzentrieren werde und deshalb nicht weiß, wann ich mit Swords & Dark Magic zum Ende komme. Vor allem aber, weil die ersten beiden Stories der Antho -- Steven Eriksons Goats of Glory und Glen Cooks Tides Elba -- ein gerade in dieser Hinsicht sehr interessantes Paar darstellen.
 
Ich habe mich nie dazu durchringen können, mir einmal einen Band von Eriksons Malazan Book of the Fallen - Reihe vorzuknöpfen. Dazu schrecken mich Fantasy-Endlos-Epen inzwischen zu stark ab. Ich kann deshalb auch nicht sagen, ob Goats of Glory typisch für ihn ist. Aber die Story hat mich mit einem wirklich unangenehmen Gefühl zurückgelassen.
 
Ein kleiner Trupp von fünf Söldner*innen erreicht das armselige und halb ausgestorbene Dorf Glory. Kaum erspäht man sie in der Ferne, macht sich der ortsansässige Totengräber auch schon daran, mit seinem jugendlichen Gehilfen Snotty fünf frische Gruben auf dem Friedhof auszuheben. Auch die (noch unbeschrifteten) Grabsteine liegen bereits parat. Die ruppigen Neuankömmlinge kehren in Swillmans Schenke ein, wo sie nicht nur der ältlichen Prostituierten Slim begegnen, sondern auch erzählt bekommen, dass die zerfallene Burgruine über dem Dorf der geeignetste Ort wäre, um ein Nachtlager aufzuschlagen.
Für uns Lesende ist zu diesem Zeitpunkt klar, dass dort oben irgendeine tödliche Bedrohung lauert und die Dorfbewohner offenbar regelmäßig Durchreisende in ihr Verderben schicken, um anschließend die Leichen fleddern zu können.
Die überraschende Wernde kommt, wenn sich zeigt, dass die Fünf keineswegs blind in die Falle tappen, sondern augenblicklich in geübter Soldatenmanier nach einer geeigneten Gefechtsposition suchen. Als wenig später unzählige ausgehungerte Dämonen über die vermeintlich Chancenlosen herfallen, um sich endlich mal wieder an warmem Menschenfleisch zu laben, erwartet sie eine böse Überraschung. Die Fünf haben sich in ein unterirdisches Ganglabyrinth zurückgezogen, dessen verwinkelte Korridore und Kammern ihnen ausgezeichnete Möglichkeiten eröffnen, die sich aufsplitternde Horde der Angreifer nach und nach zu dezimieren. Was folgt ist eine lange Actionsequenz, die mich in ihrer Krassheit und dem zynischen Tonfall der Schilderung an einen Tarantino-Streifen erinnert hat. Nun habe ich zwar nichts gegen ein zünftiges Fantasygemetzel mit reichlich herumspritzendem Blut und hervorquillenden Eingeweiden, aber nach drei Seiten wird so was verdammt öde, selbst wenn man so gut zu schreiben versteht wie Steven Erikson.         
An diesem Punkt der Geschichte konnte ich ein leichtes Gähnen nicht unterdrücken, zudem nichts darauf hindeutete, dass es noch eine weitere Wendung geben würde. Das wüste Gemetzel sollte nach der eher gemächlichen Gangart der ersten Hälfte offenbar der Clou des Ganzen sein. Doch es kommt noch schlimmer, denn dann versucht Erikson, besonders clever zu sein. Er wechselt die Perspektive und zeigt uns das Ende des Kampfes aus Sicht des "Teufelchens" ("Imp"), das die Dämonen angeführt hatte. Längst sind die Jäger zu den Gejagten geworden.
Whimpering, the imp picked its way around yet another heap of demon corpses. Poor children! This was a slaughter, a terrible, grievous, dreadful slaughter!
And now they were hunting the survivors down – nowhere to hide! 
Human stench everywhere, down every passage, every twisting, turning corridor, every cursed chamber and rank room. There was no telling where they were now, no telling what vicious ambushes they’d set up.
The imp crouched, quivering, hugging itself, and crooned its grief. Then it shook itself, drawing free its tiny sword. Enough of these evil tunnels and warrens! To the ladder! Flee this cruel place!
Natürlich gibt es kein Entkommen. Einer der Söldner schnappt sich das "Teufelchen", bricht ihm Arme und Beine und spießt es schließlich mit seinem eigenen Schwert auf. Die monströse Mutter der Kreatur, die wenig später auftaucht, um ihr Kind zu rächen, tappt in eine Falle. Es dauert Stunden, bis das Wesen unter dem ständigen Beschuss der Söldner*innen schließlich wimmernd sein Leben aushaucht.
 
Was mich an Eriksons erzählerischem Trick so sehr ärgert, ist weniger die Brutalität des Geschilderten als vielmehr das Manipulative. Zu Beginn der Sequenz gehört unsere Sympathie naturgemäß den fünf Krieger*innen. Wir haben sie in der ersten Hälfe der Geschiche etwas näher kennengelernt und sie erscheinen eindeutig als die Underdogs in der Situation -- out-numbered and out-gunned. Entsprechend positiv wird man reagieren, wenn sie die Lage zu wenden verstehen. Zumal die anschließenden Kampfszenen absichtlich so geschildert sind, dass wir die kaltblütige Kompetenz der Fünf cool finden sollen. Und dann lässt uns Erikson ins offene Messer laufen. Mit der Konsequenz, dass wir unsere vorherige Begeisterung abstoßend finden müssen. Denn das, was wir so cool gefunden haben, ist ja in Wirklichkeit ein blutiges Massaker, unsere Held*innen skrupellose Schlächter!
Man könnte das für einen subversiven Kommentar auf die Gepflogenheiten der Heroic Fantasy halten. Doch ich sehe darin bloß einen billigen Trick auf Kosten der Leser*innen. Denn was soll uns damit gesagt werden? Dass Köpfen, Gliedmaßen abhacken und Bäuche aufschlitzen "in Wirklichkeit" nichts vergnügliches, sondern etwas ziemlich widerliches ist? Ich denke, das haben wir auch vorher schon gewusst. Und es muss uns nicht davon abhalten, trotzdem Spaß an der Schilderung fiktiver Gemetzel haben zu können. Oder dass es stets eine Frage der Perspektive ist, wer als Opfer und wer als Täter erscheint? Das wäre eine äußerst fragwürdige Botschaft. Zumal die Geschichte nichts wirklich tiefgründigeres über Gewalt zu sagen hat. Wo kommt sie her? Was macht sie aus den Menschen? 
Am Ende bleiben wir mit der nihilistischen "Erkenntnis" zurück, dass Menschen zu allen nur erdenklichen Untaten fähig sind und dabei stets "Gründe" finden werden, um diese vor sich und anderen zu rechtfertigen. Exemplarisch vorgeführt im Gedankengang des Totengräbers:
Nobody invited any of this, so nobody was to blame, not for anything. Just came down to making a living, that’s all. People got the right to that, he figured. It wasn’t a rule or anything like it, not some kingly law or natural truth. It was just one of those ideas people said aloud as often as they could, to make it more real and more true than it really was. When the fact was, people got no rights to anything. Not a single thing, not air to breathe, food to eat, ale to drink. Not the sweet smile between the legs, not a warm body beside you at night. Not land to own, not even a place to stand. But it made it easier, didn’t it, saying that people got the right to a living, and honest hard work, like digging graves and carving capstones, well, that earned just rewards because that’s how things should be.
Etwas anders schaut es bei Glen Cook aus.
 
Dessen Geschichten um die Soldaten der "Black Company", deren erste 1984 erschien, werden oft als einige der frühesten Vertreter (oder Vorreiter) der Grim & Gritty zitiert. Inwieweit ich dem zustimmen würde oder auch nicht, möchte ich jetzt nicht diskutieren. Das muss warten, bis ich mal dazu komme, mich auf dem Blog etwas ausführlicher den Annals of the Black Company zu widmen. Für den Moment sei bloß bemerkt, dass Tides Elba einen deutlich positiveren Eindruck bei mir hinterlassen hat als Steven Eriksons Story.
 
Die "Black Company" hat seit drei Monaten ihr Lager in der (nicht mehr ganz so) "freien" Stadt Aloe aufgeschlagen, ohne dass man sie in irgendwelche Gefechte geschickt hätte. Was ganz und gar nicht der Normalität entspricht. Wie Ich-Erzähler und Regimentsschreiber Croaker erstaunt feststellt: "It’s been eighty-seven days since somebody tried to kill me". Die Soldaten vertreiben sich ihre Zeit mit Kartenspiel und zotigen Unterhaltungen. Aber selbstredend kann dieser unnatürliche Zustand nicht ewig anhalten. Und als dann eines schönen Tages ein Fliegender Teppich am Himmel über der Stadt auftaucht, wissen Croaker und seine Kumpels sofort, dass schluss ist mit Schonzeit. Tatsächlich hat das magische Vehikel den "Limper" hierher getragen, einen besonders unerfreulichen Handlanger der "Lady", jener finsteren Zauberin, in deren Sold die "Black Company" steht. Die Clique um Croaker erhält den Befehl, eine angebliche Rebellenführerin namens Tides Elba ausfindig zu machen und zu arretieren, die sich irgendwo in der Umgebung von Aloe herumtreiben soll. Allerdings hat bislang keiner in der Truppe etwas von rebellischen Aktivitäten in der Region gehört. Und sie alle wissen, dass der "Limper" noch eine Rechnung mit der "Black Company" offen hat und sie liebend gern ins Verderben stürzen würde. Es gilt also entsprechend vorsichtig an diesen Auftrag heranzugehen.
 
Für alle, die nicht zuvor schon einmal Bekanntschaft mit der "Company" geschlossen haben, könnte der Einstieg in die Story etwas schwierig sein. Denn das Figurenensemble ist groß und unübersichtlich. Goblin, Otto, Elmo, One-Eye, Corey, Hagop, Silent -- keiner von ihnen wird groß vorgestellt. Sie sind einfach da und Teil der Handlung. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit wird z.B. auf vergangene Gefechte angespielt, die zum Verständnis der Beziehung zwischen unseren Helden und dem "Limper" und der "Lady" von Bedeutung sind. Aber ich schätze, derartiges sollte einen nicht gar zu sehr überraschen, wenn man eine Geschichte liest, die Teil eines erzählerischen Universums ist, das zu diesem Zeitpunkt bereits aus zehn Romanen bestand.
 
Sicher könnte man so manches an Tides Elba als "grimdark" bezeichnen. Unsere Protagonisten sind ziemlich zynische und illusionslose Berufssoldaten, ohne jeden Hang zu Idealismus oder "selbstlosem Heldentum". Was nicht heißt, dass sie alle völlig amoralische Egoisten wären. So sieht sich Croaker im Laufe der Ereignisse gezwungen, den selbstsüchtigen One-Eye in seine Schranken zu verweisen, da dessen Verhalten die ganze "Company" in Gefahr zu bringen droht. Doch über die Grenzen der eigenen Truppe reicht auch sein "Altruismus" nicht hinaus. Selbst als sich herausstellt, dass Tides Elba in Wirklichkeit gar keine Rebellin ist, sondern bloß aufgrund irgendwelcher magischer Verwandtschaftsverhältnisse (die ihr selbst gar nicht bewusst sind) eine Bedrohung für die "Lady" darstellt, spielt niemand auch nur mit dem Gedanken, der jungen Frau zur Flucht zu verhelfen. Auch wenn sie alle wissen, dass die Unschuldige ein denkbar grausiges Schicksal erwartet. Befehl ist nun einmal Befehl. Und ihnen allen ist bewusst, dass es mehr als unklug wäre, den Zorn der "Lady" heraufzubeschwören. Man darf sich bereits glücklich schätzem, wenn's einem gelungen ist, nebenbei dem "Limper" eins auszuwischen. Alles andere wäre dumm und vermessen.
 
Warum ich dennoch so völlig anders auf die Geschichte reagiert habe als auf Goats of Glory? Sehr einfach. Anders als bei Steven Eriksons Story hatte ich hier nie den Eindruck, einem zynischen Autor gegenüberzustehen. Ebensowenig einem, der besonders clever zu sein versucht. An keiner Stelle hatte ich das Gefühl, Glen Cook wolle mir irgendwelche Pseudo-Wahrheiten über die "menschliche Natur" verkaufen. Der Zynismus in Tides Elba ist der Zynismus Croakers, des Erzählers, und der scheint mir bei einem abgebrühten Berufssoldaten, der schon unzählige blutige Schlachten hinter sich hat, völlig nachvollziehbar. Vertreter*innen der Grim & Gritty missbrauchen den Begriff des "Realismus" oft genug, um damit ihre eigene Misanthropie zu kaschieren. Hier jedoch erscheint er mir angebracht.
 
Ob ich zum Rest der Geschichten aus Swords & Dark Magic noch einmal etwas schreiben werde, kann ich nicht versprechen. Das hängt halt auch davon ab, ob sie mir dafür interessant genug erscheinen.  


(1) Apropos: Mit Dzur (2006) und Jhegalaa (2008) erschienen zu dieser Zeit auch zwei neue Romane von Brust. Doch aus irgendwelchen mir unverständlichen Gründen werden die Vlad Taltos - Bücher fast immer ignoriert, wenn es um Sword & Sorcery geht.

(2) Ob die Grim & Gritty ein eigenes Subgenre oder nicht vielmehr eine bestimmte Sichtweise darstellt, die sich in allen möglichen Genres finden lässt, ließe sich sicher kontrovers diskutieren. Wie Alessandra Reß weiland in einem ihrer Artikel für TOR Online geschrieben hat: "Auch wenn Grimdark inhaltlich oft der Low Fantasy ähnelt, sogar als dessen Weiterentwicklung diskutiert wird, ist er grundsätzlich in nahezu allen phantastischen Subgenres zu finden. Damit wird er – ähnlich wie die Dark Fantasy – weniger durch seine Handlungsstrukturen, sondern mehr durch die düster-brutale Grundstimmung definiert."