Wo es [das
Schöpfungsverlangen] nicht verderbt ist,
strebt es nicht nach
Trug, Herrschaft und Behexung:
Nach gemeinsamen Reichtum sucht
es, nach Gefährten
beim Schaffen und
Genießen, nicht nach Sklaven.
J.R.R. Tolkien, Über Märchen
Ich sehe in J.R.R. Tolkien nicht allein einen der großen Gründerväter der modernen Fantasy, sondern zugleich einen der letzten bedeutenden Vertreter einer auf die Englische Romantik zurückgehendenTradition, die ich als "romantischen Antikapitalismus" bezeichnen würde. Vor bald zweieinhalb Jahren habe ich einmal eine Artikelserie (hier * hier * hier) begonnen, die diesem Thema gewidmet sein sollte, die ich jedoch leider nie zu Ende geführt habe. Ich kann nicht versprechen, dass ich das je tun werde. Vor allem, da ich dazu erst einmal meine Bekanntschaft mit William Morris und seinem Werk auf umfassende Weise auffrischen müsste. Was ich sehr gerne tun würde, doch wer weiß, wann ich die Muße dazu finde. Darum veröffentliche ich jetzt einfach einen Text, der eigentlich zum abschließenden Teil der Artikelserie hätte gehören sollen.
Kurioserweise zeigt sich der antibürgerliche Charakter von Tolkiens Werk vielleicht am deutlichsten im Hobbit. Es ist schon irgendwie
merkwürdig, aber offenbar war der "Professor" bei einem
Kinderbuch sehr viel weniger zurückhaltend, wenn es darum ging,
seinen sozialen Überzeugungen Ausdruck zu verleihen.
Ziel der abenteuerlichen
Fahrt, an der Bilbo teilnimmt, ist bekanntlich die Zurückeroberung
eines Schatzes. Das Motiv des Drachenhortes gemahnt an die
germanischen Heldenepen – an den zweiten Teil des Beowulf,
vor allem aber an die Nibelungensage –, und wenn die "unvorhergesehene Gesellschaft" der Zwerge, nachdem sie die
Speisekammer des armen Hobbits geplündert hat, ihre Musikinstrumente
auspackt und das Lied über ihr "lang vergessenes Gold" anstimmt,
wirkt dies, als öffne sich auf einmal eine Tür und gebe den Blick
frei auf eine weite, nebelverhangene Landschaft von archaischer
Schönheit und epischer Strenge, die sich hinter der bieder-witzigen
Fassade des Eröffnungsszenarios verbirgt.
Far over the
misty mountains cold
To dungeons
deep and caverns old
We must away
ere break of day
To seek the
pale enchanted gold.
The dwarves of yore made mighty spells,
While hammers
fell like ringing bells
In places deep,
where dark things sleep,
In hollow halls
beneath the fells.
For ancient king and elvish lord
There many a
gloaming golden hoard
They shaped and
wrought, and light they caught
To hide in gems
on hilt of sword.
On silver necklaces they strung
The flowering
stars, on crowns they hung
The
dragon-fire, in twisted wire
They meshed the
light of moon and sun.
Far over the misty mountains cold
To dungeons
deep and caverns old
We must away,
ere break of day,
To claim our
long-forgotten gold.
An dieser Stelle deutet
sich zum ersten Mal an, dass der Hobbit mehr ist als ein für
den heutigen Geschmack vielleicht etwas albernes Kinderbuch.
In der zweiten Hälfte
der Erzählung erhält das Hortmotiv dann allerdings noch eine ganz
andere Bedeutung. Der Hobbit wird zu einer Geschichte über
die Gier nach Reichtum und ihre Folgen
Auch dieses Thema war den
alten Germanen nicht völlig unbekannt. So ist es in der
ursprünglichen Fassung der Nibelungensage, wie sie uns im
Altnordischen überliefert ist, Atlis/Etzels Gier nach dem Hort, die
den tragischen Untergang der Gjukungen am Hof des Hunnenkönigs
herbeiführt. Und selbst in der um 1200 entstandenen
mittelhochdeutschen Version scheint dieses Motiv ganz am Ende wieder
auf: Wenn in der letzten "Aventiure" des Nibelungenlieds der von
Dietrich von Bern bezwungene Hagen vor Kriemhild geführt wird, geht
es dieser nämlich auf einmal nicht mehr um Rache für Siegfried,
sondern bloß noch um das von ihrem großen Widersacher im Rhein
versenkte Gold: „welt ir mir geben widere, daz ir mir habt
genomen,/ sô muget ir noch wol lebende heim zen Burgonden komen.“ – ‘Wenn ihr mir das
zurückgebt, was ihr mir genommen habt, so wird’s euch wohl noch
möglich sein, lebendig heim ins Burgunderland zu gelangen.' (1)
Doch anders als in den
alten Heldensagen geht es im Hobbit in erster Linie um die
moralisch verheerende Wirkung des Reichtums auf ursprünglich edle
Charaktere. Nachdem er in den Besitz des Drachenhortes gelangt ist,
zeigt sich Thorin Eichenschild eher gewillt, einen Krieg vom Zaun zu
brechen, als auch nur "ein Gran seines Goldes" abzugeben, denn
„[t]ief hatte sich die Begierde in ihm festgefressen.“ Wie
Bilbo dem Elbenkönig erzählt, dessen Heer zusammen mit Bards
Männern den Einsamen Berg belagert: „Er ist bereit, auf seinem
Goldhaufen sitzen zu bleiben und zu verhungern, wenn ihr nicht
abzieht.“ Als Thorin den "Verrat" des Hobbits ent-deckt,
der, um ein Blutvergießen zu verhindern, das Arkenjuwel "gestohlen"
und den Belagerern übergeben hat, wird der zornerfüllte
Zwergenkönig nur durch das Eingreifen Gandalfs davon abgehalten,
Bilbo zu erschlagen. Aber auch der scheinbar so edle Elbenherrscher
ist nicht gefeit gegen den unheilvollen Einfluss des Goldes.
Schließlich war es „die Sage von dem märchenhaften Reichtum
Thrors“, die ihn sein Heer in Marsch setzen ließ, nachdem er
von Smaugs Tod erfahren hatte. Auch ihn verlangt es also nach dem
Schatz und nicht bloß nach "Gerechtigkeit".
Für sich allein genommen
besäße solch eine Kritik an der Gier nach Reichtum natürlich
nichts antibürgerliches. Schließlich war schon für das
mittelalterliche Christentum Habgier/Geiz ("Avaricia") eine der
sieben Todsünden. Erst die Figur des Meisters von Seestadt
verdeutlicht uns, in welchem Kontext wir den Hobbit zu lesen
haben.
Esgaroth auf dem Langen
See ist das einzige wirklich "republikanische" Gemeinwesen, das
wir in Mittelerde kennenlernen. Im Unterschied zur bäuerlichen
Eidgenossenschaft des Auenlandes handelt es sich um eine auf Handel
basierende Kommune. Den Meister von Seestadt zeichnet Tolkien dann
auch nicht zufällig als eine Karrikatur des bürgerlichen
Politikers: verlogen, geldgierig, feige und demagogisch. Als Smaug
die Stadt angreift, flüchtet er ohne zu Zögern „zu seinem
großen, vergoldeten Boot und hoffte, in der allgemeinen Verwirrung
davonrudern und sich in Sicherheit bringen zu können.“ Mit
Bard dem Bogenschützen wird ihm der aufrechte Vertreter des Adels
entgegengestellt: „Einer seiner Vorfahren war Girion, Fürst von
Dal“. Nach dem Tod des Drachen und der Vernichtung Seestadts
macht sich der Unmut der Bevölkerung in deutlichen Worten Luft: „Er
[der Meister] mag einen gescheiten Kopf haben, was Geschäfte
angeht, besonders für seine eigenen. [...] Aber wenn es ernst wird,
dann ist kein Verlaß auf ihn.“ Stattdessen wollen sie den
Drachentöter zu ihrem König machen. Der Meister ist der einzige,
der das republikanische gegen das monarchische Prinzip zu verteidigen
versucht: „In der Seestadt wählten wir von jeher unter den
Alten und Weisen einen Meister aus. Nie haben wir die Herrschaft
kriegerischer Männer geduldet.“ [„In the Lake-town we
have always elected masters from among the old and wise, and have not
endured the rule of mere fighting men.“] Er tut dies
selbstverständlich aus völlig eigennützigen Motiven, und die
einfachen Leute durchschauen ihn. Sie haben genug von "Geldzählern"
und Pfeffersäcken: „Up the Bowman, and down with Money-bags“!
Woraufhin der Meister sein demagogisches Geschick unter Beweis
stellt, indem er zuerst Bard mit heuchlerischem Lob überschüttet
und der aufgebrachten Menge anschließend einen probaten Sündenbock
präsentiert: Thorin und seine Zwerge, die Smaug doch überhaupt
erst aufgescheucht und in Wut versetzt hätten. An dieser Stelle
zeigt sich deutlich, dass Tolkiens feudale Romantik nicht nur
antibürgerlich, sondern auch antidemokratisch ist, denn das Volk
erweist sich augenblicklich als leicht zu manipulierender Pöbel:
„Der Erfolg seiner Rede war, daß das Volk seinen Wunsch nach
einem neuen König für den Augenblick völlig vergaß und Thorin und
seine Gesellschaft zur Zielscheibe ihres Ärgers machte. Ungezügelte,
bittere Worte wurden laut. Einige von denen, die damals die alten
Lieder [über die Rückkehr des Königs unter dem Berg und den
damit verbundenen Segen] gesungen hatten, schrien sich jetzt
heiser, daß die Zwerge den Drachen vorsätzlich gegen sie
aufgestachelt hätten.“
Einzig Bard zeigt sich ruhig, gerecht
und mitfühlend. Und so kommt es zwar nicht zum Sturz des Meisters, doch in
Wirklichkeit übt der Bogenschütze in der folgenden Krisenzeit die
uneingeschränkte Gewalt über das Gemeinwesen aus: „Er ordnete
alle Angelegenheiten, wie er es für gut hielt (jedoch stets im
Namen des Meisters).“ Und natürlich erweist er sich als kluger
und umsichtiger Führer, während der Meister weiterhin nur an sein
eigenes Wohlergehen und seine Bequemlichkeit denkt. Dass Bard das
aristokratische Prinzip verkörpern soll, zeigt sich nicht nur an
seiner adeligen Herkunft, sondern auch in der Art, wie Tolkien ihn
beschreibt. Er verleiht ihm die Züge eines klassischen Heroen, "grimmig und stolz": die beiden Epitheta werden im Laufe der
Erzählung immer wieder auf ihn angewandt, und schon bei seinem
ersten Auftreten heisst es, er sei „grim-voiced and grim-faced“
gewesen. Vögel sprechen mit ihm, wie weiland mit dem berühmtesten
germanischen Drachentöter, Sigurd dem Wälsungen. Und wenn Bard sich
dazu entschließt, gegen Thorin und die Zwerge zu ziehen, so weniger
aus nackter Gier (obwohl auch er nicht gegen den verführerischen
Reiz des Hortes gefeit ist), sondern weil er von „der
wiederaufgebaute[n] Stadt Dal, über der goldene Glocken klingen
sollen“ träumt, d.h. vom wiedergewonnenen Ruhm seiner Sippe.
Ein besonders vielsagendes Detail findet sich im vorletzten Kapitel
des Buches. Als Dain Eisenfuß nach der Schlacht der Fünf Heere
Teile des Schatzes an alle beteiligten Parteien verteilt, heisst es
von Bard: „[A]nd he rewarded his followers and friends freely“.
Meine Kenntnis der alt- und mittelenglischen Literatur ist leider
eher bescheiden, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Tolkien mit "followers and friends" etwas ähnliches ausdrücken wollte wie
die mittelhochdeutschen Dichter mit "mâge unde man". Gemeint ist
der Feudalverband aus Verwandten bzw. gleichgestellten Verbündeten
["friends"/"mâge"] und Vasallen ["followers"/"man"].
Dafür spricht meines Erachtens vor allem die Alliteration, die der
Formulierung etwas formelhaftes verleiht. Tolkien besaß ein großes
Feingefühl für solche sprachlichen Details. Bard praktiziert hier
die feudale Tugend der Freigebigkeit, wie sie alle wahren Helden und
guten Könige der mittelalterlichen Literatur auszeichnet, und deren
soziale Funktion der Dichter des Beowulf ganz ungeniert wie
folgt beschrieben hat: „Swá sceal geong guma góde gewycrean/
fromum feohgiftum on fæder bearme/ þæt hine on ylde eft gewunigen/
wilgesíþas þonne wíg cume/ léode gelaésten“ – ‘So
schenkte in jungen Jahren der Sohn/ vom Hort freigebig im Haus seines
Vaters,/ dass willig im Alter ihm wiederum halfen/ die kühnen
Kämpen, wenn Krieg entbrannte,/ und mutig ihm folgten’. (2)
Der Meister hingegen
verfügt selbstverständlich nicht über diese löbliche Eigenschaft
und endet dementsprechend: „[D]a er zu denen gehörte, die
leicht solchen Sünden verfallen, hatte die Drachenkrankheit ihn
angesteckt. Er nahm den größten Teil des Goldes und floh – und
verhungerte in der Einöde, verlassen von seinen Spießgesellen.“ (3)
Dass dennoch nicht Bard,
sondern Bilbo der wahre Held des Hobbit ist, zeigt einmal
mehr, dass Mitgefühl und schlichte Menschlichkeit für Tolkien über
dem "heroischen" Ideal stehen.
Der Ausdruck "Drachenkrankheit" könnte vielleicht den Eindruck erwecken, als
hafte Smaugs Gold eine Art unheilvoller Zauber an, ist aber offenbar
nur als metaphorische Umschreibung für Habgier gedacht. Das ist
insofern von Bedeutung, als das Motiv des verfluchten Drachenhortes
in der germanischen Heldensage weitver-breitet war. Sowohl auf dem
Schatz des Drachen im Beowulf als auch auf dem Nibelungenhort
lastet ein solcher Fluch. Das Unglück, das die späteren Besitzer
des Goldes ereilt, besitzt darum einen stark schicksalhaften
Charakter, weshalb man z.B. die altnordische Erzählung vom Untergang
der Gjukungen auch nur schwer als eine Warnung vor den Folgen der
Gier lesen kann. Wenn hingegen Tolkien sich des Hortmotivs bedient,
so verleiht er diesem stets eine deutlich moralische Dimension. Das
interessanteste Beispiel dafür findet sich nicht im Hobbit,
sondern in der Gedichtsammlung The Adventures of Tom Bombadil:
Nicht allein aufgrund der
archaischen Versform scheint The Hoard der altgermanischen
Dichtung besonders nahe zu stehen. Aber obwohl das Gedicht
tatsächlich von einem Vers aus dem Beowulf inspiriert wurde, (4) trügt der Schein.
When the moon
was new and the sun young
of silver and
gold the gods sung:
in the green
grass they silver spilled,
and the white
waters they with gold filled.
Ere the pit was
dug or Hell yawned,
ere dwarf was
bred or dragon spawned,
there were
Elves of old, and strong spells
under green
hills in hollow dells
they sang as
they wrought many fair things,
and the bright
crowns of the Elf-kings.
But their doom
fell, and their song waned,
by iron hewn
and by steel chained.
Greed that sang
not, nor with mouth smiled,
in dark holes
their wealth piled,
graven silver
and carven gold:
over Elvenhome
the shadow rolled.
There was an old dwarf in a dark cave,
to silver and
gold his fingers clave;
with hammer and
tongs and anvil-stone
he worked his
hands to the hard bone.
and coins he
made, and strings of rings,
and thought to
buy the power of kings.
But his eyes
grew dim and his ears dull
and the skin
yellow on his old skull;
through his
bony claw with a pale sheen
the stony
jewels slipped unseen.
No feet he
heard, though the earth quaked.
when the young
dragon his thirst slaked.
and the stream
smoked at his dark door.
The flames
hissed on the dank floor,
and he died
alone in the red fire;
his bones were
ashes in the hot mire.
There was an old dragon under grey stone;
his red eyes
blinked as he lay alone.
His joy was
dead and his youth spent,
he was knobbed
and wrinkled, and his limbs bent
in the long
years to his gold chained;
in his heart's
furnace the fire waned.
To his belly's
slime gems stuck thick,
silver and gold
he would snuff and lick:
he knew the
place of the least ring
beneath the
shadow of his black wing.
Of thieves he
thought on his hard bed,
and dreamed
that on their flesh he fed,
their bones
crushed, and their blood drank:
his ears
drooped and his breath sank.
Mail-rings
rang. He heard them not.
A voice echoed
in his deep grot:
a young warrior
with a bright sword
called him
forth to defend his hoard.
His teeth were
knives, and of horn his hide,
but iron tore
him, and his flame died.
There was an old king on a high throne:
his white beard
lay on knees of bone;
his mouth
savoured neither meat nor drink,
nor his ears
song; he could only think
of his huge
chest with carven lid
where pale gems
and gold lay hid
in secret
treasury in the dark ground;
its strong
doors were iron-bound.
The swords of
his thanes were dull with rust,
his glory
fallen, his rule unjust,
his halls
hollow, and his bowers cold,
but king he was
of elvish gold.
He heard not
the horns in the mountain-pass,
he smelt not
the blood on the trodden grass,
but his halls
were burned, his kingdom lost;
in a cold pit
his bones were tossed.
There is an old hoard in a dark rock,
forgotten
behind doors none can unlock;
that grim gate
no man can pass.
On the mound
grows the green grass;
there sheep
feed and the larks soar,
and the wind
blows from the sea-shore.
The old hoard
the Night shall keep,
while earth
waits and the Elves sleep. (5)
Wenn wir die Reihe der
unglückseligen Besitzer des Schatzes überblicken, so mag uns das an
die altnordische Erzählung vom fluchbeladenen Nibelungenhort
erinnern, der nacheinander Hreidmar, Fafnir, Sigurd, die Gjukungen
und Atli ins Verderben stürzt. Tatsächlich aber ist nirgends von
einem Fluch die Rede, der über dem Gold liegen würde. Die elbischen
Schöpfer des Geschmeides waren zwar der Magie kundig, aber nichts
spricht dafür, dass sie einen Zauber in das Gold gewoben hätten, in
dem der Grund für das üble Schicksal von Zwerg, Drache und König
zu suchen wäre. Erst nachdem die Elben der Gewalt von Eisen und
Stahl hatten weichen müssen, und „greed that sang not, nor with
mouth smiled,/ in dark holes their wealth piled“, erhielt der
Schatz einen unheilvollen Charakter. Seinen späteren Besitzern wird
kein Fluch, sondern die ausschließliche Fixierung auf ihren Reichtum
zum Verhängnis. Allerdings hatte dieser bereits lange zuvor ihr
Leben zerstört, ohne dass sie sich dessen überhaupt bewusst gewesen
wären. Das Greisenhafte und Gebrechliche aller drei Besitzer ist
dafür ein äußerliches Symbol. Tolkien entwickelt in The Hoard
einen Gedanken, der von zentraler Bedeutung für sein gesamtes
künstlerisches Werk ist. Er zeigt, wie Schönheit und Kunst durch
das Besitzdenken pervertiert werden, und wie dasselbe Denken auch dem
gesamten menschlichen Leben seinen wahren Wert nimmt. Als die Elben
ihre Geschmeide schufen, taten sie dies offenbar aus unverfälschter
Freude an der Schönheit und an ihrer eigenen Schöpferkraft, was
sich darin zeigt, dass sie während ihrer Arbeit sangen. Damit
vollzogen sie in gewisser Weise den göttlichen Schöpfungsakt nach,
denn die Götter hatten von Gold und Silber ‘gesungen’, während
sie diese erschufen – eine deutliche Parallele zur ‘Musik der
Ainur’ im Silmarillion (6), und zugleich ein Hinweis
auf Tolkiens Idee vom "Nebenschöpfertum" ("subcreation"). (7) Dann aber zerstörten
Gewalt und Gier, die weder ‘singen’ noch ‘lächeln’, den
paradiesischen Urzustand. Der von Habgier beherrschte Mensch will die
Schönheit für sich allein besitzen, dies aber führt unweigerlich
dazu, dass er sich nicht mehr wirklich an ihr erfreuen kann. Der
Zwerg ist zwar noch schöpferisch tätig, aber er denkt dabei
ausschließlich an die Macht, die der Reichtum ihm verschaffen soll:
„coins he made, and strings of rings, and thought to buy the
power of kings.“ Drache und König sind ausschließlich
Besitzende. Ersterer kennt zwar den Platz des kleinsten
Ringes, der an seinem Körper klebt, aber „[h]is joy was dead
and his youth spent [...] in the long years to his gold chained“.
Ebenso ist der König zwar stolz darauf, Herr des Elbenhortes zu
sein, aber Essen, Trinken und Gesang – d.h. das Leben – bergen
keine Freude mehr für ihn. Da er außerdem als Herrscher für sein
Reich und seine Untertanen verantwortlich ist, zerstört die Gier
nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das der von ihm
Abhängigen: „The swords of his thanes were dull with rust,/ his
glory fallen, his rule unjust,/ his halls hollow, and his bowers
cold“.
The Hoard ist in meinen Augen eine
der eindrucksvollsten Äußerungen von Tolkiens romantischem
Antikapitalismus und erinnert nicht zufällig an einige Szenen aus
Richard Wagners Das Rheingold. Und dass nicht nur, weil der
Zwerg, der mit seinem Gold "die Macht von Königen" kaufen will,
an Alberich und seine Allmachtsfantasien denken lässt. Wie das
Geschmeide der Elben ist auch das Rheingold zu Beginn "unschuldig"
in seiner Schönheit. Die Rheintöchter erfreuen sich an seinem
Glanz, ohne dass sie je auf den Gedanken verfallen würden, es "in
Besitz zu nehmen". Erst als der Zwergenkönig sich seiner
bemächtigt und den Ring aus ihm schmiedet, wird es zu einer
unheilbringenden Macht.
Tolkien mit Wagner zu vergleichen, scheint bei vielen Tolkienisten verpönt zu sein. Frank Weinreich etwa schreibt
im Zusammenhang mit dem gegen Tolkien erhobenen Faschismusvorwurf:
Der HdR ist immer wieder mit Wagners ‘Ring der Nibelungen’ [sic] verglichen worden. Tolkien mochte Wagner nicht und er mochte explizit die Götterdämmerung nicht und einmal soll er aufgebracht gesagt haben: ‘Beide Ringe sind rund - und damit enden die Gemeinsamkeiten!’
An anderer Stelle heißt es bei ihm:
Saurons Ring und der der Nibelungen haben nichts miteinander zu tun? Haben Sie auch nicht, jedenfalls nicht in dem Sinn wie die Leute es meinten, die damals diese Frage an Tolkien richteten. Die wollten Parallelen zu Wagner und dem deutschen Nationalismus aufweisen und Tolkien - wie so oft - in die arische Ecke stellen.
Ich finde es ehrlich gesagt etwas traurig, wenn ein Autor, der jede "politisch
motivierte" Kritik an seinem eigenen literarischen Idol für
illegitim hält, scheinbar kein Problem damit hat, Richard Wagner ganz selbstverständlich zu
einem Nazi vor Hitler abzustempeln. Meiner Meinung nach erweist sich jeder, der den großen Komponisten auf
seine widerliche antisemitische Hetzschrift Das Judenthum in der
Musik oder die nationalistischen Ausfälle gegen „wälschen
Dunst mit wälschem Tand“ und das völkische „Was deutsch
und ächt, wüßt’ Keiner mehr,/ lebt’s nicht in deutscher
Meister Ehr’“ (8) aus dem Finale der Meistersinger zu reduzieren versucht, als fürchterlich borniert.
Tatsache ist freilich, dass
Tolkien für den Ring des Nibelungen in der Tat nichts übrig hatte.
Vermutlich behagte ihm die allegorische Umdeutung des alten Stoffes
nicht. Vielleicht war auch einfach Wagners Musik nicht nach seinem
Geschmack. Allerdings bezieht sich das von Weinreich angeführte
Zitat überhaupt nicht auf den wagnerschen Ring, sondern auf
das Vorwort Åke Ohlmarks zur schwedischen Ausgabe des Herr der
Ringe, in der dieser Tolkiens Ring mit dem Ring aus der
altnordischen Nibelungenüberlieferung identifiziert hatte. (9)
Doch sei’s drum, der
Vergleich mit Wagner ist in meinen Augen dennoch angebracht. Und mit Germanentümelei
hat das überhaupt nichts zu tun. Sowohl Tolkiens Roman als auch
Wagners gewaltige Operntetralogie sind geboren aus dem Hass auf die
moderne kapitalistische Gesellschaft – auf eine „Industrie,
die den Menschen tödtet, um ihn als Maschine zu verwenden“,
auf einen Staat, „der den Menschen ehrlos erklärt, um ihn als
Unterthan wieder zu Gnaden anzunehmen“. (10)
Alberichs Ring verkörpert, wie Bernard Shaw als erster ganz richtig erkannt hat (11), die weltbeherrschende Macht des Kapitals: „Niblungen all,/ neigt euch nun Alberich!/ Überall weilt er nun,/ euch zu bewachen;/ Ruh und Rast/ ist euch zerronnen;/ ihm müßt ihr schaffen,/ wo nicht ihr ihn schaut;/ wo nicht ihr ihn gewahrt,/ seid seiner gewärtig:/ untertan seit ihr ihm immer!“ Im Nibelungen-Motiv des Rheingolds findet das rastlose Schaffen und Zusammenraffen einer auf unendlicher Akkumulation basierenden Gesellschaftsordnung seinen faszinierenden musikalischen Ausdruck.
Alberichs Ring verkörpert, wie Bernard Shaw als erster ganz richtig erkannt hat (11), die weltbeherrschende Macht des Kapitals: „Niblungen all,/ neigt euch nun Alberich!/ Überall weilt er nun,/ euch zu bewachen;/ Ruh und Rast/ ist euch zerronnen;/ ihm müßt ihr schaffen,/ wo nicht ihr ihn schaut;/ wo nicht ihr ihn gewahrt,/ seid seiner gewärtig:/ untertan seit ihr ihm immer!“ Im Nibelungen-Motiv des Rheingolds findet das rastlose Schaffen und Zusammenraffen einer auf unendlicher Akkumulation basierenden Gesellschaftsordnung seinen faszinierenden musikalischen Ausdruck.
Wie der arme Mime klagt:
„Sorglose Schmiede,/ schufen wir sonst wohl/ Schmuck unsern
Weibern,/ wonnig Geschmeid,/ niedlichen Niblungentand,/ wir lachten
lustig der Müh./ Nun zwingt uns der Schlimme,/ in Klüfte zu
schlüpfen,/ für ihn allein/ uns immer zu mühn./ Durch des Ringes
Gold/ errät seine Gier,/ wo neuer Schimmer/ in Schachten sich
birgt:/ da müssen wir spähen,/ spüren und graben,/ die Beute
schmelzen/ und schmieden den Guß,/ ohne Ruh und Rast/ dem Herrn zu
häufen den Hort.“ (12)
In seiner Schrift über
Das Kunstwerk der Zukunft hat Wagner diesen Zwang zur
unendlichen Akkumulation, der dem kapitalistischen Wirtschaftssystem
innewohnt, in verschwommener und moralisierender, von feuerbachschen
Vokabeln durchsetzter Ausdrucksweise als "Luxus" beschrieben:
Der Luxus ist ebenso herzlos, unmenschlich, unersättlich und egoistisch, als das Bedürfniß, welches ihn hervorruft, das er aber, bei aller Steigerung und Überbietung seines Wesens nie zu stillen vermag, weil das Bedürfniß eben selbst kein natürliches, deßhalb zu befriedigendes ist, und zwar aus dem Grunde, weil es als ein unwahres, auch keinen wahren, wesenhaften Gegensatz hat, in dem es aufgehen, sich also vernichten, befriedigen könnte. Der wirkliche, sinnliche Hunger hat seinen natürlichen Gegensatz, die Sättigung, in welchem er – durch die Speisung – aufgeht: das unnöthige Bedürfniß, das Bedürfniß nach Luxus, ist aber schon bereits Luxus, Überfluß selbst; der Irrthum in ihm kann daher nie in die Wahrheit aufgehen: es martert, verzehrt, brennt und peinigt stets ungestillt, läßt Geist, Herz und Sinne vergebens schmachten, verschlingt alle Luft, Heiterkeit und Freude des Lebens; verpraßt um eines einzigen, und dennoch unerreichbaren Augenblickes der Erlabung willen, dieThätigkeit und Lebenskraft Tausender von Nothleidenden; lebt vom ungestillten Hunger abermals Tausender von Armen, ohne seinen eigenen Hunger nur einen Augenblick sättigen zu können; er hält eine ganze Welt in eisernen Ketten des Despotismus, ohne nur einen Augenblick die goldenen Ketten jenes Tyrannen brechen zu können, der es sich eben selbst ist.Und dieser Teufel, dieß wahnsinnige Bedürfniß ohne Bedürfniß, dieß Bedürfniß des Bedürfnisses, - dieß Bedürfniß des Luxus, welches der Luxus selbst ist, – regiert die Welt. (13)
In prahlerischer Rede
entwirft Alberich im Rheingold die Vision einer Welt, in der
alles Schöne und Edle dem Reichtum untertan sein wird: „Die in
linder Lüfte Wehn/ da oben ihr lebt,/ lacht und liebt:/ mit goldner
Faust/ euch Göttliche fang ich mir alle!/ Wie ich der Liebe
abgesagt,/ alles, was lebt,/ soll ihr entsagen!/ Mit Golde gekirrt,/
nach Gold nur sollt ihr noch gieren.“ (14)
Das Zwergenreich
Nibelheim – erfüllt von der Hammerklängen der unermüdlich
schuftenden Sklaven Alberichs – ist ebenso eine industrielle Hölle
wie Sarumans Festung Isengart.
Natürlich gibt es auch
bedeutende Unterschiede zwischen den beiden Werken, und dass nicht
nur, weil der Ring im Gegensatz zu Tolkiens Roman tatsächlich
eine allegorische Dichtung ist.
Richard Wagner war einmal ein überzeugter Revolutionär gewesen, Verfasser so umstürzlerischer, von Ludwig Feuerbachs materialistischer Philosophie inspirierter Schriften wie Die Kunst und die Revolution und Das Kunstwerk der Zukunft; Freund des demokratischen Dichters Georg Herwegh – der "eisernen Lerche" des Vormärz – und des Anarchisten Michail Bakunin, mit dem zusammen er 1849 auf den Barrikaden von Dresden gekämpft hatte. Im Gegensatz zum Herr der Ringe kennt der Ring des Nibelungen deshalb keine gute göttliche Weltordnung. Wotans Herrschaft ist vielmehr selbst Teil des Problems, und die einzige Hoffnung besteht im Auftreten des freien Menschen, der die göttlichen Gesetze zerbrechen und aus eigener Machtvollkommenheit heraus eine neue und bessere Ordnung schaffen wird. Doch Wagners revolutionärer Optimismus war angesicht des Triumphes der Reaktion, der auf das Scheitern der europäischen Revolution von 1848/49 folgte, zerbrochen, und er hatte sich unter dem Einfluss der Ideen Arthur Schopenhauers ein zutiefst pessimistisches Welt- und Menschenbild angeeignet. Und so versagt Siegfried in der Götterdämmerung. Im berühmten Trauermarsch wird nicht ein blonder Recke zu Grabe getragen, sondern ein Ideal, eine Hoffnung. Und die Welt kann Erlösung finden nurmehr durch den selbstlosen Freitod Brünhilds und die Rückkehr in den anfänglichen Naturzustand.
Richard Wagner war einmal ein überzeugter Revolutionär gewesen, Verfasser so umstürzlerischer, von Ludwig Feuerbachs materialistischer Philosophie inspirierter Schriften wie Die Kunst und die Revolution und Das Kunstwerk der Zukunft; Freund des demokratischen Dichters Georg Herwegh – der "eisernen Lerche" des Vormärz – und des Anarchisten Michail Bakunin, mit dem zusammen er 1849 auf den Barrikaden von Dresden gekämpft hatte. Im Gegensatz zum Herr der Ringe kennt der Ring des Nibelungen deshalb keine gute göttliche Weltordnung. Wotans Herrschaft ist vielmehr selbst Teil des Problems, und die einzige Hoffnung besteht im Auftreten des freien Menschen, der die göttlichen Gesetze zerbrechen und aus eigener Machtvollkommenheit heraus eine neue und bessere Ordnung schaffen wird. Doch Wagners revolutionärer Optimismus war angesicht des Triumphes der Reaktion, der auf das Scheitern der europäischen Revolution von 1848/49 folgte, zerbrochen, und er hatte sich unter dem Einfluss der Ideen Arthur Schopenhauers ein zutiefst pessimistisches Welt- und Menschenbild angeeignet. Und so versagt Siegfried in der Götterdämmerung. Im berühmten Trauermarsch wird nicht ein blonder Recke zu Grabe getragen, sondern ein Ideal, eine Hoffnung. Und die Welt kann Erlösung finden nurmehr durch den selbstlosen Freitod Brünhilds und die Rückkehr in den anfänglichen Naturzustand.
Der revolutionäre
Humanismus, dessen Spuren selbst in dieser pessimistisch gebrochenen
Form noch zu erkennnen sind, war Tolkien völlig fremd. Die Aufgabe,
die Wagner seinem Siegfried stellte, wäre ihm sicher ebenso
verwerflich vorgekommen, wie die Ambitionen Saurons oder Sarumans.
Dennoch – die Schrecken des Nan Curunir und die Schrecken
Nibelheims sind nahe Verwandte. Und Tolkien wie Wagner bedienten sich
der Sprache des Mythos und der Heldenepik, um diese Schrecken
darzustellen und gegen sie anzukämpfen.
(1) Das Nibelungenlied. V. 2367, 3-4.
(2) Beowulf. V. 20-24.
(3) J.R.R. Tolkien: Der kleine Hobbit. S.
261; 266; 271; 257; 250; 251; 253; 254; 255; 256; 249; 255; 291; 301.
(4) Vgl.: Brief an Mrs. Pauline Gasch
(Pauline Baynes) [6. Dezember 1961]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe.
Nr. 235. S. 408.
(5) J.R.R. Tolkien: The Hoard. In: The
Adventures of Tom Bombadil and Other Verses from the Red Book. §
14.
(6) Als Teil der Adventures
of Tom Bombadil gehört The Hoard zum Arda-Mythos, denn
das Buch soll ja eine Sammlung von Versen aus dem ‘Roten Buch der
Westmark’ vorstellen, und in der Einleitung heisst es, das Gedicht
„depends on the lore of Rivendell, Elvish and Númenorean,
concerning the heroic days at the end of the First Age; it seems to
contain echoes of the Númenorean tale of Turin and Mim the Dwarf.“
So gesehen könnten die ‘singenden Götter’ also tatsächlich
einer Erinnerung an die Ainulindale entsprungen sein. Die
meisten der in den Adventures enthaltenen Gedichte waren
jedoch ursprünglich geschrieben worden, ohne dass Tolkien dabei an
eine Verbindung zu seiner Mythologie gedacht hätte. Tatsächlich
beschränken sich die Ähnlichkeiten zwischen The Hoard und
der Geschichte von Túrin darauf, dass in beiden ein Zwerg und ein
Drache erwähnt werden.
(7) „Wir schaffen nach unserem
Maß und abgeschauten Muster, weil wir selber geschaffen sind – und
nicht nur geschaffen, sondern geschaffen nach dem Bild eines
Schöpfers.“ (J.R.R. Tolkien: Über Märchen. In: Ders.:
Die Ungeheuer und ihre Kritiker. S. 186.)
(8) Richard Wagner: Die
Meistersinger von Nürnberg. 3. Akt. In: Ders.: Sämtliche
Schriften und Dichtungen. Bd. 7. S. 270.
(9) Vgl.: Brief an Allen &
Unwin [23. Februar 1961]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 229.
S. 401.
(10) Richard Wagner: Das Kunstwerk
der Zukunft. In: Ders.: Sämtliche Schriften und Dichtungen.
Bd. 3. S. 49.
(11) Vgl. Shaws 1883 erschienenen Essay ThePerfect Wagnerite: A Commentary on the Niblung’s Ring.
(12) Richard Wagner: Das Rheingold. 3. Szene.
In: Ders.: Sämtliche Schriften und Dichtungen. Bd. 5. S. 236;
238.
(13) Richard Wagner: Das Kunstwerk der Zukunft.
In: Ders.: Sämtliche Schriften und Dichtungen. Bd. 3. S. 49.
(14) Richard Wagner: Das
Rheingold. 3. Szene. In: Ders.: Sämtliche Schriften und
Dichtungen. Bd. 5. S. 243.
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