Zu den Lieblingsfilmen meiner Kindheit gehörte ohne Zweifel auch Das Geheimnis des blinden Meisters – jener bizarre Mix von Fantasy, Kung-fu und esoterischen Binsenweisheiten aus dem Jahre 1978 mit David Carradine in gleich vier Rollen als der Affenkrieger, Chang-Sha, der Tod und der blinde Meister. Der Streifen erzählt die Geschichte von Cord und seiner Suche nach dem sagenumwobenen "Buch der Weisheit". Im Laufe seiner Queste muss sich der Kämpfer mit einer Reihe von Gegnern herumschlagen, die zugleich irgendwie Stufen auf seiner spirituellen "inneren Reise" repräsentieren sollen. Außerdem trifft er auf einen mysteriösen blinden Flötenspieler und Meisterkrieger, dem er eine Zeit lang als Schüler zu folgen versucht. Am Ende findet Cord wahre Erleuchtung in Anwesenheit von Christopher Lee. {Die einzige weibliche Figur in der Geschichte wird übrigens gekreuzigt, damit unser martialischer Weisheitssucher aus ihrem Tod eine seiner mystischen Einsichten gewinnen kann.}
Ich habe den Streifen seit gut zweieinhalb Jahrzehnten nicht noch einmal gesehen. Eine regelrechte Besprechung kann ich hier deshalb nicht abliefern. Stattdessen möchte ich auf ein kuriose Detail hinweisen, das mir bis heute Rätsel aufgibt.
Ich habe den Streifen seit gut zweieinhalb Jahrzehnten nicht noch einmal gesehen. Eine regelrechte Besprechung kann ich hier deshalb nicht abliefern. Stattdessen möchte ich auf ein kuriose Detail hinweisen, das mir bis heute Rätsel aufgibt.
Der ursprünglich unter dem Titel Circle of Iron in die Kinos gelangte Film geht auf ein Projekt zurück, das acht Jahre zuvor von Bruce Lee gemeinsam mit James Coburn und Stirling Silliphant ausgebrütet wurde. Lee wollte einen Film drehen, der einem westlichen Publikum – verkörpert in der Gestalt Cords – die spirituelle Seite der asiatischen Kampfkünste näherbringen sollte:
The story illustrates a great difference between Oriental and Western thinking. This average Westerner would be intrigued by someone’s ability to catch flies with chopsticks, and would probably say that has nothing to do with how good he is in combat. But the Oriental would realize that a man who has attained such complete mastery of an art reveals his presence of mind in every action. The state of wholeness and imperturbability demonstrated by the master indicated his mastery of self.And so it is with martial arts. To the Westerner the finger jabs, the side kicks, the back fist, etc., are tools of destruction and violence which is, indeed, one of their functions. But the Oriental believes that the primary function of such tools is revealed when they are self-directed and destroy greed, fear, anger and folly.
Der ursprüngliche Scriptentwurf trug den Titel The Silent Flute und enthielt offenbar sehr viel extremere Gewaltszenen sowie ein bisschen tantrischen Sex. Auch spielte die Handlung damals noch nicht in Fantasyland, sondern im "wirklichen" Asien.
Das Projekt scheiterte offenbar an Streitigkeiten zwischen seinen drei Initiatoren, und nachdem Bruce Lee mit The Big Boss (1971) und Fist of Fury (1972) der Sprung in die Gefilde des Stardoms gelungen war, scheint auch er nicht mehr sonderlich an einer Umsetzung interessiert gewesen zu sein. Doch wie auch immer sich das damals genau abgespielt haben mag, dieser Hintergrund erklärt den für einen Fantasy - B-Movie etwas eigenartigen "esoterischen" Vibe, der der Story auch nach ihrer Überarbeitung durch Stanley Mann (Damien: Omen II [1978]; Conan the Destroyer [1984]) anhaftet.
Was ich dennoch nach wie vor höchst bizarr finde, ist, dass ein Gutteil der Story um Cords erfolglosen Versuch, dem blinden Meister als Schüler zu folgen, ganz offensichtlich der in der achtzehnten Sure des Koran erzählten Geschichte von Moses und al-Khidr nachgebildet ist. Wer den Film gesehen hat, wird keine Probleme damit haben, die Parallelen zu erkennen:
Das Projekt scheiterte offenbar an Streitigkeiten zwischen seinen drei Initiatoren, und nachdem Bruce Lee mit The Big Boss (1971) und Fist of Fury (1972) der Sprung in die Gefilde des Stardoms gelungen war, scheint auch er nicht mehr sonderlich an einer Umsetzung interessiert gewesen zu sein. Doch wie auch immer sich das damals genau abgespielt haben mag, dieser Hintergrund erklärt den für einen Fantasy - B-Movie etwas eigenartigen "esoterischen" Vibe, der der Story auch nach ihrer Überarbeitung durch Stanley Mann (Damien: Omen II [1978]; Conan the Destroyer [1984]) anhaftet.
Was ich dennoch nach wie vor höchst bizarr finde, ist, dass ein Gutteil der Story um Cords erfolglosen Versuch, dem blinden Meister als Schüler zu folgen, ganz offensichtlich der in der achtzehnten Sure des Koran erzählten Geschichte von Moses und al-Khidr nachgebildet ist. Wer den Film gesehen hat, wird keine Probleme damit haben, die Parallelen zu erkennen:
Sie trafen einen von unseren Dienern, dem Wir Barmherzigkeit von Uns hatten zukommen lassen und den Wir Wissen von Uns gelehrt hatten. Mose sagte zu ihm: "Darf ich dir folgen, auf dass du mich von dem lehrst, was du über den rechten Weg belehrt worden bist?" Er sagte: "Nimmer wirst du es bei mir aushalten können. Wie willst du das aushalten, wovon du keine umfassende Kenntnis hast?" Er sagte: "Du wirst finden, so Gott will, dass ich standhaft bin, und ich werde gegen keinen Befehl von dir ungehorsam sein." Er sagte: "Wenn du mir folgst, dann frage mich nach nichts, bis ich selbst mit dir zuerst darüber rede." Da zogen sie weiter. Als sie nun das Schiff bestiegen, schlug er darin ein Loch. Er sagte: "Wie konntest du ein Loch darin schlagen, um seine Besatzung ertrinken zu lassen? Du hast da eine grauenhafte Sache begangen." Er sagte: "Habe ich nicht gesagt, dass du nimmer bei mir wirst aushalten können?" Er sagte: "Belange mich nicht dafür, dass ich vergessen habe, und bedrücke mich in meiner Angelegenheit nicht mit einer schweren Last." Da zogen sie beide weiter. Als sie dann einen Jungen trafen, tötete er ihn. Er sagte: "Wie konntest du einen unschuldigen Menschen töten, und zwar nicht als Wiedervergeltung für einen (anderen) Menschen? Du hast da eine verwerfliche Sache begangen." Er sagte: "Habe ich nicht zu dir gesagt, dass du nimmer bei mir wirst aushalten können?" Er sagte: "Wenn ich dich nach diesem noch einmal nach irgend etwas frage, dann lass mich dich nicht mehr begleiten. Du hast dann von mir aus bereits eine Entschuldigung erhalten." Da zogen sie beide weiter. Als sie dann zu den Bewohnern einer Stadt kamen, baten sie ihre Bewohner um etwas zu essen. Sie weigerten sich, sie zu bewirten. Da fanden sie in ihr eine Mauer, die einzustürzen drohte. Er richtete sie auf. Er sagte: "Wenn du gewollt hättest, hättest du dafür einen Lohn nehmen können." Er sagte: "Jetzt ist die Trennung zwischen mir und dir fällig. Ich werde dir die Deutung dessen kundgeben, was du nicht aushalten konntest. Was das Schiff betrifft, so gehörte es armen Leuten, die auf dem Meer arbeiteten. Ich wollte es schadhaft machen, denn ein König war hinter ihnen her, der jedes Schiff mit Gewalt nahm. Was den Jungen betrifft, so waren seine Eltern gläubige (Menschen). Da fürchteten wir, er würde sie durch das Übermaß seines Frevels und durch seinen Unglauben bedrücken. So wollten wir, dass ihr Herr ihnen einen zum Tausch gebe, der besser wäre als er in der Lauterkeit und anhänglichert in der Pietät. Und was die Mauer betrifft, so gehörte sie zwei Waisenjungen in der Stadt. Unter ihr befand sich ein Schatz, der ihnen gehörte. Ihr Vater war rechtschaffen. Da wollte dein Herr, dass sie (erst) ihre Vollkraft erreichen und ihren Schatz herausholen, aus Barmherzigkeit von deinem Herrn. Ich tat es ja nicht aus eigenem Entschluss. Das ist die Deutung dessen, was du nicht aushalten konntest."
Ich weiß natürlich nicht, ob sich die entsprechenden Szenen bereits in Bruce
Lees ursprünglichem Script finden, doch wenn dem der Fall sein sollte, dann bin
ich wirklich verwirrt. Sehr viel nachvollziehbarer wäre es, wenn
wir z.B. auf die abgewandelte Version einer zenbuddhistischen Parabel
treffen würden. Aber eine koranische Erzählung?
Nun spielt die Gestalt
des geheimnisvollen Wanderers al-Khidr in vielen Spielarten des Sufismus
– der islamischen Mystik – eine wichtige Rolle. Und auch wenn die Sufis im Hippiemilieu der 60er/70er Jahre in Sachen Popularität nicht gegen hinduistische oder buddhistische Heilslehren ankommen konnten,
waren sie wohl nicht ganz unbekannt. Doch mit asiatischen Kampfkünsten
konnte man ihre Lehren kaum in Verbindung bringen. Und um deren tiefere Bedeutung war es Bruce Lee ursprünglich doch wohl gegangen.
Wenn irgendwer in der Lage sein sollte, mir dieses Rätsel zu lösen, möge er oder sie sich bitte melden. Es würde mich wirklich interessieren, was hinter dieser kuriosen Sache steckt.
Ich kann mir das höchstens erklären über den Vermischungsweg Pakistan (Islam) - Indien (Islam zu Hinduismus zu Buddhismus) - Asien.
AntwortenLöschenWobei es sich bei Kidr vielleicht auch um einen Archetypus handelt, der sich in mehreren Kulturen entwickelt hat.
Aber das ist alles Rätselraten, kein Wissen.
Nachtrag aus dem von dir verlinkten Wikipedia-Eintrag: Auf Sri Lanka gibt es mehrere Chidr-Heiligtümer, darunter eine Höhle am Adam's Peak, der ja eine der gemeinsamen heiligen Stätten der Weltreligionen darstellt.
AntwortenLöschenDen Film habe ich als Kind auch sehr gemocht. Vor ca. 10 Jahren habe ich ihn noch einmal gesehen, und fand ihn immer noch ganz okay. Kann mich aber nicht mehr so gut an die Details erinnern.
AntwortenLöschenC. G. Jung hat über al-Chidr geschrieben (in einem auf Englisch recht verbreiteten Text), und ich könnte mir vorstellen, dass Bruce Lee Jung gelesen hat. Während seines Schauspielstudiums an der University of Washington hat er wohl auch ein paar Lehrveranstaltungen in Psychologie besucht. Das ist möglicherweise die Verbindung. Belegen kann ich aber nix ...
AntwortenLöschenHallo Frank!
AntwortenLöschenVielen Dank für die Gedankenanstöße.
Als dem scheinbar unsterblichen Weisen, der durch die Länder und Jahrhunderte wandert, haftet al-Khidr sicher etwas Archetypisches an, und dass er seinen Weg auch in andere Religionen gefunden hat, scheint ja eine Tatsache zu sein.
Doch wenn die entsprechenden Szenen tatsächlich auf diesem historischen Umweg in den Film gelangt sein sollten, würde das bedeuten, dass nicht nur die Figur al-Khidr, sondern auch die koranische Erzählung bis in einzelne Details (das Boot, der Junge, die Mauer) von anderen Religionen übernommen worden wäre. Und das finde ich immer noch irgendwie schwer vorstellbar. Aber vielleicht liege ich mit dieser Einschätzung ja auch völlig falsch.
Hi Markus!
Ich würde den Film wirklich auch gerne mal wieder sehen. In meiner Kindheit muss ich ihn mir unzählige Male reingezogen haben, und auch wenn ich mich natürlich nicht mehr an jedes Detail erinnern kann, ist doch überraschend viel bei mir hängengeblieben. Da ich den Koran zum ersten Mal im Alter von fünzehn oder so gelesen habe, sind mir die Parallelen zu der Khidr-Geschichte aufgefallen, als die Erinnerung an den Streifen noch frisch war, was wohl mit dazu beigetragen hat, dass sich das Ganze in meinem Hirn festgefressen hat.
Salve, Murilegus!
AntwortenLöschenVielen Dank für die Info. Meine Kenntnis von C.G. Jung ist seeeeehr seeeehr oberflächlich, aber das klingt ziemlich einleuchtend. Wie lautet der Titel des Textes?
Der englische Band, in dem es um Chidr geht, müsste Four Archetypes heißen. Mehr weiß ich leider auch nicht; meine Jung-Kenntnis beschränkt sich auf Sekundärliteratur.
LöschenIch habe mal "bruce lee al-khidr" in die Suchmaschine eingegeben, und die hat folgende Seite ausgespuckt:
AntwortenLöschenhttp://thesoundjournal.org/archives-2/february-2010-issue/al-khidr-the-green-and-artistic-spiritual-guide-excerpt/
Dort findet sich einiges über Chidr-ähnliche Figuren in aller Welt und sogar eine Bestätigung deiner Beobachtung, dass die Lee-Geschichte eins zu eins dem Koran entnommen wurde.
Eine Auflösung des Drehbuch-Rätsels allerdings nicht.
Noch zwei mögliche Quellen:
AntwortenLöschen- The Silent Flute: A History by David Miller and Klae Moore
- The Silent Flute (script draft) by Bruce Lee, James Coburn and Stirling Silliphant
Das Script ist wohl ein Extra auf der DVD.
Und dieser Autor hier erwähnt, dass ursprünglich unter anderem arabische (!) Dialoge im Film vorkommen sollten:
http://www.martialdevelopment.com/blog/circle-of-iron-bruce-lee-lost-movie/
Noch einmal vielen Dank.
LöschenDieses kleine Rätsel scheint ja auch dein Interesse geweckt zu haben.
Den "Martial Development" - Post kannte ich schon, und ja, dass der Film ursprünglich auch arabische Dialoge enthalten sollte, klingt spannend. Ich würde das Script wirklich gerne mal in die Finger bekommen, aber ich fürchte, meine Finanzen lassen momentan den Kauf von DVDs nicht zu. ("The Silent Flute: A History" gehört übrigens auch zu den Extras derselbigen: http://www.blue-underground.com/product.php?product=47)
Talat Halmans Essay finde ich - wie wohl nicht anders zu erwarten - etwas problematisch. Solange es um al-Khidrs Rolle in der Tradition der Sufis geht, finde ich das alles recht interessant, aber die Sache mit dem "Universal Green Man" finde ich äußerst fragwürdig. Ich stehe allen solchen Versuchen, Gestalten aus zahllosen, sehr unterschiedlichen Kulturen unter irgendeinem universalen Archetypus zusammenzufassen, extrem misstrauisch gegenüber.
Ja, je "universaler" man wird, desto mehr muss man auch zurechtbiegen bzw. zumindest unter den Tisch fallen lassen ...
AntwortenLöschenAnsonsten, wie indische Ärzte gern sagen, wenn man rückenkrank ist: "Money will come!"