Þis kyng lay at Camylot vpon Krystmasse
With mony luflych lorde, ledez of þe best,
Rekenly of þe Rounde Table alle þo rich breþer,
With rych reuel oryȝt and rechles merþes.
Þer tournayed tulkes by tymez ful mony,
Justed ful jolilé þise gentyle kniȝtes,
Syþen kayred to þe court caroles to make.
For þer þe fest watz ilyche ful fiften dayes,
With alle þe mete and þe mirþe þat men couþe avyse;
Such glaum ande gle glorious to here,
Dere dyn vpon day, daunsyng on nyȝtes
"Besagter König [Artus] hielt zur Weihnachtszeit in Camelot
mit vielen edlen Herren, den besten unter den Rittern, Hof. Da waren
nach höfischem Brauch all jene hervorragenden Mitglieder der Tafelrunde
versammelt, und zu Recht gaben sie sich in sorgloser Freude den
Festlichkeiten hin. Es fanden sehr häufig Tunierspiele statt, wobei jene
edlen Ritter mit viel Freude tjostierten. Danach begaben sie sich an
den Hof, um zu singen und zu tanzen. Nun dauerte das Fest hier volle
vierzehn Tage, mit all dem Gaumenschmaus und den Vergnügungen, die man
nur ersinnen konnte; das war ein Freudenlärm, herrlich anzuhören,
tagsüber von den Festlichkeiten, nachts von der Tanzmusik." (1)
Mit diesen Versen beginnt die dritte Strophe von Sir Gawain and the Green Knight, der wohl bekanntesten mittelenglischen Artusdichtung, geschaffen von einem namenlosen Autor des 14. Jahrhunderts. (2)
Als ich mit dem Schreiben dieses Beitrags begann, war tatsächlich Vorweihnachtszeit und ich dachte mir, es wäre doch eine famose Idee, anlässlich des Julfestes einmal einen etwas genaueren Blick auf all die filmischen Adaptionen zu werfen, die Sir Gawain and the Green Knight so über die Jahrzehte erfahren hat. Zumal David Lowerys The Green Knight von 2021 damals gerade in der Mediathek der ARD zu sehen war. Nun ja, aus einer Reihe von Gründen, auf dich ich nicht näher eingehen will, hat es sehr viel länger gedauert, den Blogpost fertigzustellen, als ursprünglich beabsichtigt. Und selbstverständlich ist der Lowery-Streifen inzwischen längst wieder aus der Mediathek verschwunden, weshalb ich ihn am Ende leider nicht mit berücksichtigen konnte.
Aber auch wenn die jahreszeitliche Einbindung des Beitrags nicht mehr gegeben ist, wollen wir trotzdem noch einmal kurz zum Julfest zurückkehren. Für eine Erzählung über die Abenteuer eines Ritters der Tafelrunde ist das nämlich eine recht ungewöhnliche Ausgangssituation. Zwar kommt es nicht selten vor, dass eine solche mit einem Fest am Königshof einsetzt, doch spätestens seit der Etablierung des klassischen Artusromans durch Chrétien de Troyes im 12. Jahrhundert war es üblich, dass dabei der Frühling als Jahreszeit gewählt wurde. Sei es Ostern (Erec et Enide), Christi Himmelfahrt (Lancelot ou Le Chevalier de la Charrette) oder – der traditionelle Normalfall – Pfingsten (Yvain ou le Chevalier au Lion). Wolfram von Eschenbach schreibt im Parzival : "Artûs der meienbære man,/ swaz man ie von dem gesprach,/ zeinen pfinxten daz geschach,/ odr in des meien bluomenzît."
("Artus, der maiengleiche Mann – was auch immer man von ihm erzählt,
ereignete sich {stets} an Pfingsten oder in der blumenreichen Zeit des
Mai." [281, 16-19]) Der Grund hierfür ist leicht nachvollziehbar: Keine
andere Jahreszeit schien den Dichtern geeigneter, um jene dem irdischen
Dasein zugewandte, intensive Freude zu veranschaulichen, die
Kernbestandteil des höfischen Lebensgefühls war. Nicht zufällig haben
die Trobadore und Minnesänger den Frühling in unzähligen ihrer Lieder
besungen. (3)
Warum Sir Gawain and the Green Knight stattdessen zur Julzeit beginnt? Eine wirkliche Antwort auf diese Frage kann ich nicht geben. Ganz allgemein will ich mich nicht dazu erdreisten, behaupten zu wollen, ich könne an dieser Stelle eine fundierte Interpretation der mittelalterlichen Verserzählung liefern. Dazu fehlt mir schlicht das nötige Wissen. Unwichtig
dürfte die zeitliche Verortung jedoch nicht sein.
Der Grüne Ritter selbst nennt seine Herausforderung "a Crystemas gomen,/ For hit is Ȝol and Nwe Ȝer"
{"ein Weihnachtsspiel, denn es ist Jul- und Neujahrszeit"; V. 283/4),
und dass Gawains Prüfung und Versuchung an Bertilaks Hof mit dem Fest
der Geburt Christi zusammenfällt, verleiht den Ereignissen ohne
Zweifel eine besonders ernsthafte Note. Sir Gawain and the Green Knight ist über die Zeiten sehr unterschiedlich interpretiert worden. Aber auch mir scheint der mögliche Konflikt zwischen höfischem Verhaltenskodex und christlicher Ethik eines der zentralen Themen zu sein. Dies könnte möglicherweise ein Grund dafür sein, warum die Geschichte gerade nicht in der Jahreszeit von höfischer Freude und Liebe beginnt.
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aus dem sog. Pearl oder Gawain Manuskript (British Library MS Cotton Nero A X/2) |
Aber vielleicht sollte ich erst einmal eine kurze Inhaltszusammenfassung geben. (4)
Das Julfest der Artusgesellschaft wird jäh unterbrochen, als ein mysteriöser Grüner Ritter die Halle betritt und die Tafelrunde zu einem makaber anmutenden Spiel herausfordert. Einer der anwesenden Ritter möge ihm mit seiner Axt einen möglichst tödlichen Hieb verpassen. Im Gegenzug solle er sich dazu verpflichten, über Jahr und Tag die Grüne Kapelle aufzusuchen, um dort seinerseits einen solchen Axthieb zu empfangen. Einzig Gawain stellt sich der Herausforderung. Doch nachdem er dem Grünen Ritter das Haupt vom Leib geschlagen hat, erweist sich dieser als keineswegs tot, sondern nimmt seinen abgetrennten Kopf wieder auf und macht sich von dannen. Nicht ohne Gawain zuvor noch einmal an die Verpflichtung zu gemahnen, die er eingegangen ist.
Im nächsten Herbst macht sich der Ritter auf die Suche nach der Grünen Kapelle. Lange Zeit bleibt er erfolgslos. Drei Tage vor dem vereinbarten Termin erreicht er die Burg eines gewissen Sir Bertilak. Dieser versichert ihm, dass die Kapelle ganz in der Nähe liege. Gastgeber und Gast kommen überein, bis zum Neujahrstag ein eigenes Spiel zu spielen. Bertilak wird jeden Morgen zur Jagd ausreiten, Gawain in der Burg bleiben. Am Abend wird ein jeder vom anderen zum Geschenk erhalten, was er im Laufe des Tages "erbeutet" hat. Das klingt erstmal nach keinem guten Handel für den Gastgeber. Doch da dessen Gattin sich schon bald daran macht, Gawain zu verführen, wobei sie sehr geschickt die Regeln der "höfischen Liebe" ins Feld führt, kommt es Abend für Abend zum Austausch von erlegtem Wild gegen Küsse.
Als Gawain dann schließlich am Neujahrstag die Grüne Kapelle aufsucht, zeigt es sich, dass der Grüne Ritter und Sir Bertilak ein und dieselbe Person sind.
Die Figur des Gawain besitzt aller Wahrscheinlichkeit nach keltische Wurzeln. Unter dem Namen Gwalchmai wird er u.a. in einigen der Walisischen Triaden und in der mittelkymrischen Erzählung Culhwch ac Olwen erwähnt. (5) Alle Versuche, ihm darüberhinaus eine mythologische Herkunft zuzusprechen, sind freilich hochgradig spekulativ. (6) In Geoffrey of Monmouths Historia Regum Britanniae (ca. 1136), die in vielem die Basis für das Artusbild des Hochmittelalters legte, erscheint Gawain erstmals als Neffe des Königs und als einer seiner wichtigsten Gefolgsleute. Im klassischen Artusroman wird er dann zur vorbildlichen Verkörperung aller ritterlichen Werte und Tugenden, an der sich die jeweiligen Helden messen lassen müssen. Obwohl anscheinend nur der Yvain eine mittelenglische Übertragung erfahren hat, galt Gawain doch auch in England schon bald als das personifizierte Ideal der Ritterlichkeit. In dieser Funktion verwendet ihn z.B. Chaucer in den Canterbury Tales (1387-1400), wenn es in der Squire's Tale von einem "fremden Ritter" heißt, er sei "as wel in speche as in contenaunce,/ That Gawain, with his olde curteisye,/ Though he were come ageyn out of Fairye" (V. 93-95). Und auch in Sir Gawain and the Green Knight wird auf diese Vorstellung Bezug genommen. So wenn Bertilaks Gattin zum ihm sagt:
For I wene wel, iwysse, Sir Wowen ye are,
That alle the worlde worchipez quereso ye ride;
Your honour, your hendelayk is hendely praysed
With lordez, wyth ladyes, with alle that lyf bere
{"denn ich weiß wohl, Ihr seid Sir Gawain, den alle Welt verehrt, wohin Ihr auch reitet; Eure Ehre, Eure Höfischkeit, wird höfisch gepriesen von Herren, von Damen, von allem, was lebt." [V. 1226-29]}
Wenn das eigentliche Thema der Verserzählung tatsächlich darin bestehen sollte, den höfisch-ritterlichen Werte- und Verhaltenskodex auf den Prüfstand zu stellen, macht es Sinn, dies anhand seines vorbildlichsten Vertreters zu tun.
Ebenso verständlich ist aber auch, dass die Verfilmungen Gawain praktisch nie in dieser Rolle darstellen. Denn sie sind an dieser Frage nicht interessiert. Das gilt selbst für den Animationsfilm von 2002, der der mittelalterlichen Vorlage noch am nächsten kommt und keinen merklich anderen Subtext besitzt. Die meisten Filme betonen vielmehr das jugendliche Alter des Helden. Das kann so weit gehen, dass er zu Anfang noch Knappe ist. Als "Berechtigung" für diese Darstellung dient die Tatsache, dass es sich bei ihm ja um den Neffen von König Artus handelt. Was ihn in der mittelalterlichen Tradition freilich nicht automatisch zu einem jungen Mann macht. Immerhin gibt es sogar eine Reihe von Erzählungen wie den französischen Bel Inconnu oder den deutschen Wigalois, deren Helden die Söhne von Gawain sind.
Doch selbstverständlich kann es nicht darum gehen, die Filme nach ihrer "Werktreue" zu bewerten. Sie beziehen ihre Inspiration aus der alten Verserzählung, aber es wäre schon etwas eigenartig, erwarten zu wollen, dass sie deren Geist, Inhalt und Stil möglichst korrekt wiederzugeben versuchen würden. Soweit das überhaupt möglich wäre, ist die Vorlage doch das Produkt einer gesellschaftlich und kulturell völlig anderen Zeit, Ausdruck einer Weltsicht und eines Lebensgefühls, das wir im besten Falle mühselig zu rekonstruieren, aber kaum "nachzuempfinden" vermögen. Dass die Figur des Gawain dabei einen deutlich anderen Charakter erhalten hat, ist deshalb auch nicht kritikwürdig, sondern bloß ein Fingerzeig auf die eigentlichen Interessen der Filmemacher. Über die Qualität der Streifen hat das erst mal noch gar nichts zu sagen.
Dasselbe gilt für die Figur des Grünen Ritters. Allerdings ist es bei dem deutlich schwieriger, zu bestimmen, was das mittelalterliche Publikum wohl in ihm gesehen haben mag. Auch unter Literaturwissenschaftler*innen gehen die Meinungen da weit auseinander. Dank seines Äußeren ("
an aghlich mayster,/
On þe most on þe molde on mesure hyghe" [eine furchteinflößende Erscheinung, größer als jeder andere auf der Welt"; V. 136/7]; "
Half etayn" ["wie ein halber Riese"; V. 140]) ist er manchmal in die Nähe des "Wilden Mannes" gerückt worden, einer in bildender Kunst wie Literatur des Mittelalters weit verbreiteten
Figur, die ungezügelte Naturkräfte verkörpert und damit im Gegensatz zur höfischen Ordnung steht. (7) Teile seines Schmucks, die Verzierungen in der Form von "
bryddes and fly3es" ("Vögeln und Fliegen"; V. 166), könnten ein zusätzliches Argument für die Identifikation des Grünen Ritters mit den Mächten der Natur sein. Davon ausgehend wird das Szenario dann mitunter als Nachhall alter mythologischer Erzählungen über den Kreislauf des Jahres und die Wiedergeburt des Lebens zur Wintersonnenwende interpretiert.
Ich stehe einer derartigen Herangehensweise an mittelalterliche literarische Werke meist eher skeptisch gegenüber. Zu sehr fühle ich mich dabei an die fragwürdigen Methoden der "vergleichenden Mythologie" â la Frazer erinnert, bei der nicht selten aus extrem vagen Anhaltspunkten oder halb herbei konstruierten Ähnlichkeiten wunder wie große "Einsichten" zusammenfabuliert wurden. Aber letztlich geht es hier ja nicht um die Validität dieser Interpretationen, sondern bloß um ihre Popularität. Und die lässt sich nicht bestreiten, wenn man sich die Verfilmungen anschaut. Sie alle knüpfen mehr oder weniger deutlich hieran an. Was genau sie daraus dann machen, ist allerdings von Fall zu Fall sehr unterschiedlich.
Zeit die einzelnen Filme etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Gawain and the Green Knight (1973)
Stephen Weeks' erste Liebe waren
eigentlich "
archaeology and architecture" gewesen, doch brachte ihn sein Engagement für den Erhalt historischer Bauten schon im Alter von sechzehn Jahren in Kontakt zum Fernsehen. Er drehte sowohl für ITV als auch für die BBC eine Reihe kurzer Filmchen über bedrohte Gebäude in seiner Heimatregion Hampshire. Gegen Ende seiner Schulzeit versuchte er sich außerdem an Projekten wie dem Weltkriegs-Kurzfilm
Owen's War (1965). "
[T]orn between twin passions of the past and film-making", schrieb er sich an der Universität Birmingham für ein kombiniertes Archäologie- und Dramastudium ein, das er allerdings schon bald enttäuscht wieder abbrach, um sich ganz dem Filmemachen zu widmen. Erneut wandte er sich dabei dem "Great War" als Thema zu. Kurz vor knapp (die Dreharbeiten hatten im Prinzip schon begonnen) gelang es ihm, Tony Tenser von
Tigon Films als Geldgeber für
1917 (1970) zu gewinnen. Doch seinen ersten professionellen Regiejob ergatterte er erst, als ihm sein Agent ein Treffen mit Milton Subotsky vermittelte, einem der beiden Bosse von
Amicus Productions.
Heute hauptsächlich für ihre Portmanteau-Horror-Streifen à la The House That Dripped Blood (1971), Tales from the Crypt (1972) oder The Vault of Horror (1973) bekannt, war das Repertoire dieser Filmschmiede doch schon immer etwas vielfältiger gewesen. I, Monster (1971) ist eine faux-freudianisch angehauchte Version von Dr. Jekyll and Mr. Hyde und erinnert mit ihrem "viktorianischen" Ambiente eher an etwas, was man spontan mit Hammer assoziieren würde. Weeks hatte dabei erstmals die Gelegenheit, mit Christopher Lee und Peter Cushing zusammenzuarbeiten.
Die Idee für einen Gawain-Film war ihm schon einige Jahre zuvor gekommen und 1970 hatte er eine zehnminütige Test-Sequenz mit David Leland in der Rolle des Ritters gedreht. Nun konnte er sich ernsthaft an eine Umsetzung machen. Wie er einmal in einem
Interview erzählt hat, schwebte ihm dabei so etwas wie ein "
medieval 'Easy Rider'" vor, bei dem die Folk Rock - Band
Gryphon den Soundtrack beisteuern sollte. Was auf jeden Fall sehr viel spannender klingt als das, was uns heute vorliegt. Weeks macht für diesen Umstand vor allem
United Artists verantwortlich, die nicht nur den Verleih übernahmen, sondern sich auch massiv in die Produktion einmischten und den Streifen mehrfach umschneiden ließen. Weshalb sich der Regisseur öffentlich von dem Endprodukt distanziert hat. Aber ist der Streifen wirklich so mies? Nun ja, schaun wir mal ...
Der Vorspann erfreut zuerst einmal mit einem sehr hübschen Design im Stil mittelalterlicher Buchmalerei. Ähnlich gestaltete jahreszeitliche Zwischentitel werden uns auch im weiteren Verlauf des Films mehrfach begegnen. Verantwortlich dafür zeichnete der große Richard Williams, der den meisten vielleicht durch
Who Framed Roger Rabbit? (1988) bekannt sein könnte, u.a. aber auch meine Lieblingsadaption von
A Christmas Carol (1971) sowie eine ganze Reihe origineller Titelsequenzen für Filme wie
What's New Pussy Cat? (1965),
The Charge of the Light Brigade (1968),
The Return of the Pink Panther (1975) und
The Pink Panther Strikes Again (1976) kreiert hat. So weit, so nett.
Nicht unerwähnt sei außerdem, dass eine ganze Reihe englischer und walisischer Burgen für Außenaufnahmen genutzt werden konnten.
Die Geschichte beginnt auch hier zur Julzeit mit einem Fest am Hof von Camelot. Allerdings haben wir es mit einer träge (und teilweise recht wohlbeleibt) gewordenen Tafelrunde zu tun, deren Mitglieder schon lange keine Lust mehr auf ritterliche Heldentaten verspüren. Der erboste König Artus (Anthony Sharp), der mit seiner onkelhaften Erscheinung freilich eher wie die Gestalt aus einem Märchenfilm von Václav Vorlíček wirkt, will seine Mannen aufrütteln und verbietet deshalb, mit dem Festschmaus zu beginnen, bevor ihm nicht ein Beweis echter Ritterlichkeit erbracht wurde. Da kommt der Grüne Ritter (Nigel Green) mit seiner makabren Herausforderung gerade recht. Natürlich ist keiner der edlen Herren bereit, sein Haupt aufs Spiel zu setzen, nur in dem jungen Knappen Gawain (Murray Head) brennt noch die alte Flamme.
Anders als in der mittelalterlichen Vorlage soll der zweite Schlag eigentlich direkt im Anschluss ausgeführt werden, doch in Anbetracht von Gawains Jugend gewährt der Grüne Ritter ihm ein Jahr Aufschub. Und sollte Gawain ihn in den folgenden zwölf Monaten vorzeitig gefunden haben, so werde er sogar völlig auf seinen Hieb verzichten und sich mit einem regulären Zweikampf zufrieden geben.
Die Verserzählung handelt Gawains Queste in gerade einmal zwei-drei Strophen ab, aus denen wenig konkretes über die Abenteuer zu erfahren ist, die der Ritter auf seinem Weg zur Grünen Kapelle zu bestehen hat. In Weeks' Film hingegen bildet die Suche gut 90% des Inhalts und umfasst zudem alle vier Jahreszeiten, an Hand derer die Handlung in Kapitel aufgeteilt wird. Es verwundert deshalb vielleicht auch nicht, dass unser jugendlicher Held alsbald schon in ein Szenario stolpert, das einem völlig anderen mittelalterlichen Werk entlehnt wurde.
Wenn Gawain (auf Anweisung eines mysteriösen "Weisen", der irgendwie mit dem Grünen Ritter in Verbindung stehen könnte) Wasser aus einem Quell schöpft und über einen magischen Stein gießt, damit ein Gewitter auslöst und sich wenig später mit einem Schwarzen Ritter herumprügeln muss, der sich als "Verteidiger der Quelle" geriert, finden wir uns nämlich unversehens im Yvain wieder. Und ganz wie in Chrétiens klassischem Artusroman bringt unser Held seinem Kontrahenten eine tödliche Wunde bei und wird wenig später durch herabfallende Fallgatter im Torhaus von dessen Burg eingesperrt, nur um von der Dienerin der Burgherrin mit Hilfe eines magischen Unsichtbarkeitsrings gerettet zu werden.
An diesem Punkt divergiert der Film dann allerdings von seiner (zweiten) Vorlage und kreiert dabei noch etwas mehr Motivverwirrung.
Als jemand, der mal ein paar Jahre lang nichts außer mittelalterlicher Literatur gelesen hat, bereitete es mir großen Spaß, das mitzuerleben und den Wirrwarr anschließend aufzudröseln. Aber ich schätze, das ist ein ziemlich spezielles Vergnügen und kann dem Film nicht als Pluspunkt angerechnet werden.
Bei
Chrétien de Troyes heißt die Dienerin Lunete, ihre Herrin Laudine (8). Hier jedoch trägt Gawains Retterin den Namen Linet. Eine unbedeutende Abweichung könnte man meinen, doch gleicht er damit dem einer zentralen Frauenfigur aus der Geschichte von Gareth im
Siebten Buch von Malorys
Morte Darthur. (9) Und das ist sicher kein Zufall. Malorys Linet/Lynette ist nämlich die Schwester von Lyonesse/Lionesse. Und im Film ist Lyonesse der Name des Quellenreiches selbst! Damit knüpft Weeks zugleich an die Vorstellung von einem "versunkenen Land" vor der Küste von Cornwall an. Die Verbindung dieser Idee zur arthurischen Sagenwelt ist ursprünglich zwar eher peripher (10), aber Weeks ist nicht der erste, der die beiden zusammengeführt hat. (11) Allerdings werden wir bei ihm nicht Zeuge davon, wie Lyonesse im Meer versinkt. Das Reich wird vielmehr von Anfang an als ein "lost land" bezeichnet -- "
lost in the wilderness of past dreams and ages yet to come". Dabei bleibt unklar, wie wir das genau zu deuten haben. Ist das Land eine Art Anderswelt, außerhalb von Zeit und Raum?
Alles etwas wirr und undurchsichtig. Jedenfalls verliebt sich Gawain anders als Yvain nicht in die Burgherrin, sondern in Linet (Ciaran Madden). Das gemeinsame Glück hält allerdings nicht lange an, denn als er das Ansinnen der Herrin von Lyonesse (Pauline Letts) zurückweist, die ihn zum neuen Gatten und Reichsbeschützer machen will, bleibt unserem Helden nichts als die Flucht. Linet bleibt gefangen zurück, als das Reich wie von Zauberhand verschwindet. Von nun an sucht Gawain nicht nur den Grünen Ritter, sondern auch einen Weg zurück nach Lyonesse.
Weeks wollte der Geschichte ganz offensichtlich etwas "mystisch-mythisches" verleihen. So scheinen alle Kontrahenten, denen Gawain auf seiner Queste begegnet, in irgendeiner Verbindung zum Grünen Ritter zu stehen, was an den grünen Federn zu erkennen ist, mit denen sie ihre Rüstungen schmücken. In diesem Zusammenhang wird Grün als "the colour of elfin-kind" und "the colour of the dead" bezeichnet. Mehrfach greift der Grüne Ritter selbst in das Geschehen ein und schickt Gawain magische Zeichen. Was all das zu bedeuten hat, bleibt jedoch mehr als nebulös. Ist die gesamte Queste mit all ihren Etappen eine vom Grünen Ritter inszenierte "Prüfung"? Wenn ja, welche Absicht steckt dann dahinter? Der Schluss des Films gibt darauf zwar eine Art Antwort, aber die ist so allgemein gehalten, dass sie nicht ausreicht, um den einzelnen Episoden eine tiefere Bedeutung zu verleihen. Auch im Rückblick erhält der Film dadurch keine echte Struktur, sondern erscheint weiterhin als eine mehr oder minder willkürliche Aneinanderreihung von Szenen und Episoden.
Lyonesse ist zwar eines der am offensichtlichsten "mythischen" Elemente, aber welche Rolle dem Reich in Gawains "Heldenreise" zukommt, bleibt gleichfalls schleierhaft. Als er das Land zum zweiten Mal betritt, trifft er auf eine Art "Dornröschenschloss-Szenerie" und findet seine Bewohner*innen sämtlichst in einer magischen "Totenstarre" vor. Wie es dazu gekommen ist, erfahren wir nicht. Anders als es in einem mittelalterlichen Artusroman üblich wäre, ist es offensichtlich nicht die Aufgabe unseres Helden, das verzauberte Lyonesse zu "erlösen". Er schnappt sich bloß die gleichfalls "erstarrte" Linet und macht sich von dannen. Mithin ist die einzige Funktion des Reiches also die, Gawain mit einer Geliebten zu versorgen. Und trotz einiger Phrasen über die "Schicksalhaftigkeit" ihrer Begegnung, erhält die Beziehung der beiden dadurch keine zusätzliche Qualität oder Bedeutung.
Bei Linets "Wiederbelebung" kommt es zwar noch einmal zu einem Eingriff des Grünen Ritters, doch wenig später ist sie dann auch schon zu einer völlig profanen "Damsel-in-distress" in einer Teilgeschichte geworden, die nichts mehr "mythisches" an sich hat, bizarrerweise aber die zweite Hälfte des Films dominiert. Die Gute wird nämlich von dem fiesen Sohn (Ronald Lacey) des mindestens ebenso fiesen Sir Fortinbras (Tony Steedman) entführt. (12) Ich nehme an, Weeks wollte seinem Helden damit die Gelegenheit verschaffen noch einmal in konventionell heldenhafter Weise sein Schwert schwingen zu können. Das Ergebnis ist nicht nur wenig überzeugend, sondern verschiebt den Fokus der ganzen Geschichte so stark, dass der finalen Konfrontation mit dem Grünen Ritter damit viel von ihrem erzählerischen Gewicht genommen wird. Noch auf dem letzten Stückchen Wegs zur Grünen Kapelle muss Gawain sich mit Fortinbras und seinen Schergen herumprügeln! In diesem Kontext taucht nun auch Sir Bertilak (Robert Hardy) auf, doch ist er hier nicht mit dem Grünen Ritter identisch. Vielmehr handelt es sich einfach um einen weiteren lokalen Baron, der mit Fortinbras in irgendwelche Grenzstreitigkeiten verwickelt ist.
Eine einzige interessante Wendung enthält freilich auch der Fortinbras-Teil. Denn trotz alles mannhaften Schwertgefuchtels gelingt es Gawain erneut nicht, seine Angebete zu retten. Vielmehr muss er sogar annehmen, dass sie in einer Feuersbrunst den Tod gefunden hat. Und so verbringt er den letzten großen Part seiner Queste einsam und verzweifelt durch die Wildnis stolpernd, bis er schließlich zerlumpt und hoffnungslos vor dem Tor von Bertilaks Burg ankommt.
Die Einteilung der Geschichte in "Jahreszeiten"-Kapitel, an deren Anfang jeweils eine nach mittelalterlichen Vorbildern (Stundenbüchern etc.) kreierte Illustration steht, sowie einige der über den ganze Film verteilten Szenen, in denen wir Gawain durch Wälder, Heide- und Hügellandschaft marschieren sehen, waren für mich die mit Abstand ansprechendsten Elemente des Streifens. Anerkennung gebührt dafür zum einen (wie schon erwähnt) dem Grafikdesigner Richard Williams, zum anderen Kameramann Ian Wilson, der in späteren Jahren u.a. bei der vierten Quatermass - Miniserie (1979), David Lelands Wish You Were Here (1987) und The Big Man (1990), Terry Jones' Erik the Viking (1989), Derek Jarmans Edward II. (1991) und Neil Jordans The Crying Game (1992) für die Cinematographie verantwortlich sein sollte.
Doch das rettet den Streifen nicht wirklich. Stephen Weeks' Umgang mit dem Stoff ist einfach zu uninspiriert, seine Erzählweise zu undurchdacht und undiszipliniert. Und dass für das insgesamt unbefriedigende Ergebnis nicht die Einmischung von United Artists verantwortlich war, sollte der Regisseur selbst unter Beweis stellen, als ihm ein Jahrzehnt später die Gelegenheit eröffnet wurde, seine Story noch einmal zu verfilmen. Diesmal unter der Ägide der legendären amerikanischen B-Movie-Schmiede Cannon Films.
Sword of the Valiant (1984)
Der Umstand, dass das Geld für Sword of the Valiant (1984) von Yoram Globus und Menahem Golan stammte, könnte mit ein Grund für die recht bizarre Eröffnungsszene des Films sein:
Die flackernden Flammen eines Schmiedefeuers. Der glühende Stahl einer Schwertklinge auf dem Amboss. Der schweißglänzende, muskelbepackte Oberkörper unseres halb entblößten Helden, der zu allem Überfluss auch noch von niemand anderem als Miles O'Keefe gespielt wird, welcher zwei Jahre zuvor in Joe D'Amatos Conan - Knock-off
Ator l'invincibile den barbarischen Heroen gemimt hatte. Am Ende wird die frisch gefertigte Waffe triumphierend in die Höhe gereckt.
Werden wir hier gerade Zeuge der Conanisierung des Ritterfilms? -- Doch dieser erste Eindruck ist irreführend und wird durch den weiteren Verlauf des Streifens nicht bestätigt. Selbst das hier so prominent präsentierte Schwert wird in der Geschichte keine besondere Rolle spielen, trotz des Titels.
Sword of the Valiant mag in seiner Ästhetik zwar klar als 80er Jahre - Fantasyfilm zu identifizieren sein, ist aber keiner der in diesem Jahrzehnt so populären Sword & Sorcery - Streifen. Wer darauf gehofft hat, in der Folge noch häufiger O'Keefes nackten Oberkörper zu sehen zu bekommen, wird enttäuscht. Ich kann mir die Eröffnungsszene nur so erklären, dass hier ganz bewusst Erinnerungen an
Conan the Barbarian (1982) wachgerufen werden sollten, um den Erfolg von John Milius' Film auszunutzen. Eine Art Etikettenschwindel, wie er im B-Movie-Geschäft nicht selten anzutreffen ist. Wie das in der Praxis funktionieren sollte, ist mir allerdings nicht ganz klar, findet sich die Szene doch nicht im
offiziellen Trailer.Stephen Weeks hat einmal
erklärt, dass sich Globus und Golan nicht in die Produktion eingemischt hätten, und ich habe keinen Grund, an dieser Aussage zu zweifeln. (13) Aber so ein "Trick" passt halt einfach ganz gut zum Geschäftsmodell von
Canon Films.
Sword of the Valiant ist ein ziemlich getreues Remake von Gawain and the Green Knight mit zum Teil sogar identischem Dialog. Wenn man einmal davon absieht, dass die erste Version eher wie ein britischer Fernsehfilm, die zweite wie ein billiger Eighties - B-Movie ausschaut, und wir nun Sean Connery (mit strategisch entblößter Brustbehaarung) als Grünen Ritter präsentiert bekommen -- worin liegen die hauptsächlichen Unterschiede?
Zuerst einmal bemüht sich Weeks, dem "mythischen" Element (und damit der gesamten Geschichte) eine etwas kohärentere Gestalt zu geben. So erfahren wir durch den Mund eines weisen Zwergs (David Rappaport), den Gawain zwischendurch aufsucht, dass die gesamte Queste tatsächlich ein "Spiel" des Grünen Ritters ist. Die Reihenfolge der damit verbundenen "Herausforderungen" ist offenbar geplant und erfüllt irgendeinen Zweck. Allerdings hat Morgan Le Fay (Emma Sutton) etwas Unordnung in das Ganze gebracht, indem sie Gawains Weg früher als vorgesehen nach Lyonesse gelenkt hat. Wofür sie zur Strafe vom Grünen Ritter in eine Kröte verwandelt wird.
Doch leider wirken diese Bemühungen letztenendes ziemlich halbherzig und machen die Struktur der Geschichte nicht wirklich "sinnvoller". Da helfen auch die vier Rätselsprüchlein nicht, die der Grüne Ritter unserem Helden mit auf seine Queste gibt. Sie werden zwar später den verschiedenen Episoden zugeordnet, aber was dabei rauskommt ist nicht mehr als die Binsenweisheit, die Gawain in der ersten Version der Geschichte am Ende ganz direkt vorgelegt bekommen hatte: "Das Leben besteht aus Zeiten der Freude und Zeiten des Leids". Mach Sachen!
Immerhin hat Kröten-Morgana noch einen kurzen Auftritt in einer der besten Szenen des Films. Die ist allerdings gerade deshalb so gut, weil sie aus einer Aneinanderreihung traumartig-surrealer Bilder besteht, während Gawain aus der Höhle des weisen Zwergen stolpert. Warum sie überhaupt existiert ist unklar, und zur Aufhellung der Geschichte trägt sie ganz sicher nicht bei.
Der zweite große Unterschied besteht darin, dass die Geschichte hier und da einen etwas aufmüpfigeren Ton erhalten hat.
So unterhalten sich Gawain und sein Knappe Humphrey (Leigh Lawson) schon ganz zu Beginn ihrer Queste über die Frage, worin denn eigentlich der Unterschied zwischen Rittern und Räubern bestehe.
Nachdem er zum ersten Mal aus Lyonesse geflohen ist, findet sich unser Held in einer weiten Dünenlandschaft wieder, durch die ein Trupp von Mönchen oder berobten Pilgern zieht. In der älteren Fassung diente diese Szene ausschließlich dazu, Gawains Verlorenheit zu illustrieren, in Sword of the Valiant wird sie Anlass für seine erste Begegnung mit dem Mönch und Taschendieb Vosper (Brian Coburn), den er später in Fortinbras' Kerkern wiedertreffen wird. Ich habe eine Schwäche für solche "Bruder Tuck" - Figuren, aber leider verliert die Szene damit auch die leicht unwirkliche Atmosphäre, durch die sie in Gawain and the Green Knight positiv hervorgestochen war.
Die vieleicht sympathischste Veränderung findet sich im Fortinbras-Teil. Nicht nur begegnen wird Peter Cushing in einer seiner letzten Rollen als fiesem Seneschall. Anders als in der älteren Version flieht Gawain hier auch nicht allein aus der Burg des bösen Barons, sondern organisiert zusammen mit Vosper und Humphrey einen regelrechten Aufstand der zwangsrekrutierten Soldaten, die ihm dann auch später wieder hilfreich zur Seite stehen werden.
Stephen Weeks hat über den Unterschied zwischen den beiden Fassungen
gesagt: "
My early Gawain was a kind-of peace-and-love knight, but by the time
I made ‘Sword’ in 1981-2, my own vision of the middle ages had
changed and Gawain was much tougher." Auf jeden Fall ist
Sword of the Valiant actionlastiger, aber da das Kampfgetümmel selten besonders überzeugend oder mitreißend in Szene gesetzt wurde, kann das nicht als Pluspunkt gelten. Atmosphärisch hat mir die ältere Version sogar eher zugesagt. Besonders absurd wirkt es, dass Weeks seinen Helden am Ende sogar ein regelrechtes Duell gegen den Grünen Ritter ausfechten lässt, nachdem der verabredete Axthieb dank eines magischen Gürtels, den er von Linet erhalten hat, sein Ziel verfehlt hat. (14) Das nimmt der finalen Konfrontation viel von ihrer Magie und ihrem besonderen Charakter. Das Ende des Grünen Ritters ist freilich in beiden Filmen dasselbe. Er sinkt zu Boden und beginnt in atemberaubender Geschwindigkeit zu altern, zu ergrauen, zu zerfallen. Dabei flüstert er: "
The full circle of the year is turned. And just as every green shoot of spring returns to the earth so return I." Auch Weeks identifiziert ihn also mit den Kräften der Natur und dem ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen. Doch auch das gibt seiner Version der Geschichte keinen echten thematischen Mehrwert.
Letztenendes würde ich von beiden Filmen sagen, dass sie höchstens etwas für echte Komplettist*innen sind. Oder für Leute, die wie ich Spaß an der bizarren Verquirrlung mittelalterlicher Motive haben. Vor allem die ältere Fassung besitzt hier und da zwar ihre bescheidenen Reize, aber als Ganzes genommen funktionieren die beiden nicht einmal als unterhaltsame B-Movies.
Gawain and the Green Knight (1991)
Der britische Stücke- und Drehbuchschreiber David Rudkin ist für mich einer der ganz Goßen der etwas "anderen" Phantastik.
Leider hatte ich bislang keine Gelegenheit eines seiner Theaterstücke zu lesen. Aber es klingt doch recht vielversprechend, dass die Uraufführung seines allerersten Stücks Afore Night Come 1962 durch die Royal Shakespeare Company in Form einer "Members Only" - Veranstaltung im Arts Theatre stattfand, da man sich sicher war, dass eine öffentliche Aufführung der Zensurgewalt des Lord Chamberlain zum Opfer gefallen wäre. (15) Auch fertigte Rudkin 2004 eine Bühnenadaption von Michail Bulgakows Klassiker Der Meister und Margarita an. Er hat u.a. Werke von Aischylos, Euripides, Ibsen und Jean Genet übersetzt, sowie das Libretto zu Arnold Schönbergs Oper Moses und Aaron. 1973 schrieb er das Radiohörspiel Cries from Casement as His Bones are Brought to Dublin über das Leben des irischen Nationalisten Roger Casement. Er war an der Ausarbeitung des Drehbuchs für François Truffauts Adaption von Ray Bradburys Fahrenheit 451 (1966) beteiligt und verfasste das Script für den Schostakowitsch-Film Testimony (1987), basierend auf Solomon Volkovs umstrittenem Buch desselben Titels. (16)
Aus eigener Anschauung kenne ich bislang nur einige seiner Arbeiten fürs Fernsehen, namentlich Penda's Fen (1974),
The Ash Tree (1975),
The Living Grave (1980),
Artemis 81 (1981) und
White Lady (1987). Basierend auf diesen würde ich seine Spielart der Phantastik als subversiv, widerständig-rebellisch, nicht selten leicht surreal und oft mit einer quasi-mythischen Verbindung zu Landschaft und Geschichte charakterisieren. (17) Ein ähnlicher Geist herrscht auch in seiner zehnteiligen Hörspielreihe
PlacePrints, die von
New Perspectives Theatre produziert wurde und die man sich
hier zu Gemüte führen kann.
Seine für Thames TV geschriebene, unter der Regie von John Michael Phillips verfilmte und 1991 ausgestrahlte Adaption von Sir Gawain and the Green Knight mag nun vielleicht weniger rebellisch als andere seiner Fernsehspiele sein, aber auch sie besitzt viele der Qualitäten, die mich an Rudkin über das "Politische" hinaus faszinieren und anziehen.
Das erste, was auffällt und mich sofort für den Film eingenommen hat, ist, dass sowohl die von Gawain (Jason Durr) vorgetragenen erzählerischen Passagen als auch die Dialoge sämtlicher Personen in einer rhythmisierten Sprache und unter ständiger Verwendung von Stabreimen (Alliterationen) geschrieben sind. Dabei hat sich Rudkin stilistisch von der mittelalterlichen Vorlage inspirieren lassen, ohne jedoch einfach ganze Passagen aus einer Übersetzung oder Nachdichtung zu übernehmen. Das verleiht dem Film nicht nur eine zusätzliche poetische Qualität, sondern macht von vornherein deutlich, dass der Autor kein Interesse daran hatte, aus dem Stoff eine "moderne" Abenteuergeschiche zu machen. Wer Action und Kampfgetümmel erwartet, wird hier bitter enttäuscht werden. Bis ganz zum Ende zieht Gawain kein einziges Mal sein Schwert, und selbst dann kommt es zu keinem Schlagabtausch.
Während die meisten anderen Verfilmungen den Fokus teilweise oder ganz auf Gawains Queste legen und diese mit allerlei abenteuerlichen Episoden ausschmücken, ist dies hier nicht der Fall. Vielmehr bildet sie eher eine Art Prolog. Dabei werden Szenen von Gawains Suche nach der Grünen Kapelle immer wieder von Rückblenden zu den Ereignissen des Weihnachtstages und der ersten Konfrontation mit dem Grünen Ritter unterbrochen. Wer den Inhalt der Geschichte nicht zumindest in groben Zügen kennt, könnte von dieser non-linearen Struktur anfangs vielleicht etwas verwirrt werden, doch mit dem Erreichen der Burg des "Roten Lords" enden diese Zeitsprünge ohnehin. Trotz seiner relativen Kürze von ca. 20 Minuten ist dieser Prolog insofern von großer Wichtigkeit, als er die (für mich) zentralen thematischen Elemente des Films etabliert.
Der Artushof erscheint als eine "junge" Ordnung oder Zivilisation, überzeugt von ihrer eigenen Überlegenheit und Perfektion.
rich revel, royal merriment,
the noblest knights beneath God's heaven
the loveliest ladies that ever lived
we, fairest folk in our first youth on earth
Ähnlich hyperbolische Schilderungen sind zwar auch in der mittelalterlichem Dichtung gang und gäbe, aber im Kontext des Filmes scheinen sie mir doch Ausdruck einer "jugendlichen" Überheblichkeit zu sein. Hinzu kommt eine merkliche Ritualisierung, die das Leben am Hof beherrscht. Hier geschieht alles nach klar festgelegten Regeln. Artus (Marc Warren) wird nicht als der weise, womöglich sogar schon graubärtige Monarch dargestellt, sondern ist selbst ein noch recht junger Mann mit fein gestutztem Spitzbart.
Dieser Zivilisation tritt mit dem Grünen Ritter (Malcolm Storry) nun der Vertreter einer älteren, ungezügelteren und erdigeren Welt entgegen. Seine Erscheinung mit dem aus Blättern und Ranken geformen Gewand gleicht der des
"Green Man", einer Figur aus der englischen Folklore. Wild wucherndes Haupthaar und Bart sind äußeres Zeichen seines Gegensatzes zu der geordneten Hofgesellschaft. Als die versammelten Ritter zögern, seine Herausforderung anzunehmen, erklärt er verächtlich:
I see no noble knights.
But boys without beards.
Als Gawain vortritt und die Axt entgegennimmt, beginnen die Mitglieder des Hofes begeistert zu brüllen: "His head! His head! His head!" Aus der ach so gesitteten Gesellschaft ist für den Moment ein blutgieriger Mob geworden. Als das Haupt des Ritters zu Boden rollt, treten die Höflinge ihn spöttisch mit den Füßen wie einen Ball. Natürlich vergeht ihnen der Spaß sehr schnell, als sich der vermeintlich Tote wieder aufrichtet.
Gawain selbst reagiert allerdings deutlich anders auf das morbide "Spiel". Man sieht ihm an, dass es ihn merkliche Überwindung kostet, den tödlichen Hieb zu führen. Und die Bluttat wird ihn für den Rest der Handlung verfolgen und quälen.
Dennoch ist seine Rolle erst einmal die eines Vertreters der "höfischen Zivilisation", deren Werte er im wahrsten Sinne des Wortes "vor sich her trägt" -- nämlich in Gestalt seines Schildes, auf dem ein Pentagramm als Symbol der "five points of perfection" prangt, von denen er selbst sagt: "my court commands [them] of me". Die Innenseite des Schildes wird von einer Darstellung der Gottesmutter geziert und der Ritter verwendet ihn immer wieder als eine Art Ikone, vor der er betend niederkniet. Was man durchaus so interpretieren könnte, dass weltliche und religiöse Verpflichtungen für ihn eine Einheit bilden. Später wird er den Schild in seiner Schlafkammer aufhängen lassen, wie eine ständige Mahnung an die Verhaltensnormen, denen er sich verpflichtet hat.
Die Suche nach der Grünen Kapelle bildet für Gawain zugleich die Reise in eine Welt, die ihm fremd und unheimlich ist. Dies illustriert Rudkin mit drei kleinen Szenen. In der ersten, die unmittelbar dem Festgepränge am Hof entgegengestellt ist, sehen wir ihn in einer ärmlichen Behausung eine wenig appetitliche Suppe löffeln. Er hat die privilegierten Kreise hinter sich gelassen. Die zweite Etappe geht über das "Soziale" hinaus und ist zugleich sehr viel symbolträchtiger. Inmitten einer nebelverhangenen Sumpflandschaft lässt sich Gawain von einem Fährmann über ein Gewässer setzen. In Mythos wie mittelalterlicher Dichtung wird mit einer solchen Szene oft das Betreten einer Anderswelt gekennzeichnet. Auf die Frage nach der Grünen Kapelle erwidert der Fährmann: "A church or chapel should be grey." Grün hingegen sei die Farbe des Grases: "A graveyard?" Feen- und Totenreich vermischen sich nicht selten in der Überlieferung. Die dritte Episode steigert in gewissser Weise noch einmal den Eindruck der Fremdheit, indem sie ihn ins Sprachliche überträgt. Wenn Gawain sich mit einem misstrauischen Dorfschmied unterhält, kann er dies nur, indem dessen Sohn als Dolmetscher fungiert, denn der Mann spricht kein Englisch. (18) Erneut bekommt unser Held zu hören: "Green is what grows, not a church or chapel". Zugleich warnt man ihn davor, weiter nach Norden zu ziehen. Dort erwarte ihn eine "wicked wilderness" und "murderous monsters and men". Tatsächlich findet sich Gawain am Ende seiner Queste in einer eisigen und menschenleeren Winterlandschaft wieder. Immer schwächer werdend lässt er sein Pferd ziellos weitertrotten und stimmt mit ersterbender Stimme ein Weihnachtslied an. Zeichen seines Gottvertrauens oder seiner Verzweifelung? Er hat bereits fast sein Bewusstsein verloren, als sich vor ihm völlig unerwartet die Mauern einer Burg erheben.
Der Herr, der hier residiert (erneut Malcolm Storry), trägt bei Rudkin nicht den Namen Bertilak, sondern wird im Nachspann nur als "Red Lord" aufgeführt. Trotz einiger äußerer Ähnlichkeiten ist seine Burg eine deutlich sinnlichere, wildere, "natürlichere" Welt als der Artushof. Dies findet sich vor allem in der wiederholten Darstellung von Festschmäusen ausgedrückt, die weniger höfischer Prachtentfaltung als vielmehr dem "simplem" Vergnügen von Essen und Trinken dienen. Auch die Tänze, mit denen man sich hier unterhält, wirken leidenschaftlicher und weniger ritualisiert. Und selbst der Weihnachtsgottesdienst, den man zu Gawains Erleichterung auch hier begeht, wirkt weniger getragen, ist er doch nicht von gregorianischen Gesängen, sondern von traditionellen Christmas Carols unterlegt. Der Rote Lord selbst ist ein großer, lärmender und bei jeder sich bietenden Gelegenheit in dröhnendes Gelächter ausbrechende Geselle mit einem buschigen roten Vollbart, der seinen ritterlichen Gast ungezwungen mit "my lad" anspricht, während er ihm freundschaftlich auf die Schulter schlägt.
Trotz der scheinbar so überbordenden Freundlichkeit des Burgherrn besitzt die Szenerie doch einen leicht beunruhigenden oder zumindest rätselhaften Unterton, der nicht nur in der mysteriösen Figur einer ganz in Schwarz gehüllten älteren Frau (Sally Mates), die man immer wieder im Hintergrund zu sehen bekommt (19), Gestalt annimmt, sondern auch in einigen der Blicke, die der Rote Lord und seine hübsche Gattin (Valerie Gogan) austauschen, zum Ausdruck gelangt.
Was folgt entspricht zuerst einmal recht genau der literarischen Vorlage. Der Burgherr eröffnet Gawain, dass sich die Grüne Kapelle ganz in der Nähe befände und er ihm am Neujahrstag den Weg dorthin weisen werde. Die beiden kommen überein, in den drei Tagen, die ihnen bis dahin verbleiben, ein Spiel zu spielen. Der Lord wird jedes Mal zur Jagd ausreiten, Gawain in der Burg bleiben. Abends werden sie alles miteinander austauschen, was sie seit dem Morgen "erbeutet" haben.
Allsogleich beginnt die Burgherrin mit ihren recht aggressiven Verführungsversuchen, wobei sie das Regelwerk der "höfischen Liebe" (und Gawains Eitelkeit) auszunutzen versucht. Als "vollkommener Ritter" könne er ihr doch wohl kaum den einen oder anderen Kuss verweigern. Und so wird am Abend regelmäßig mit dem Roten Lord erlegtes Wild gegen Küsse ausgetauscht. Was diesen nicht wirklich zu überraschen scheint. Schon am zweiten Morgen reagiert Gawain mit einer gewissen Selbstgefälligkeit auf die Avancen der Lady, auch wenn ihm dieses "Spiel" nach wie vor etwas unangenehm ist. Doch am dritten überkommt ihn dann die Todesfurcht. Schließlich steht der Ritt zur Grünen Kapelle unmittelbar bevor. Als die Lady ihm daraufhin einen Gürtel schenkt, der seinen Träger angeblich unverwundbar macht, entscheidet sich Gawain, die Übereinkunft mit seinem Gastgeber zu brechen und die Gabe für sich zu behalten.
Auch das Ende weicht rein äußerlich wenig von der literarischen Vorlage ab. Der Grüne Ritter fügt Gawain lediglich eine leichte Wunde zu. Während er sich vor seinen Augen langsam in den Roten Lord verwandelt, erklärt er, dies sei die Strafe für seinen Wortbruch, doch darüberhinaus sei ihr Spiel nunmehr beendet.
Was Rudkins Version so interessant macht, ist der leicht melancholische Ton, mit dem er die Geschichte ausklingen lässt. Der Grüne Ritter zeigt Verständnis für Gawains aus Furcht vor dem Tod begangenen Fehltritt: "Not that I blame you for loving your life." Doch es ist ihm wichtig, dass sich der Ritter die Erkenntnis seiner eigenen Unvolkommenheit auch in Zukunft bewahrt. Zu diesem Ziel vermacht er ihm den grünen Gürtel, den sich Gawain zuvor unrechtmäßig angeeignet hatte.
In courtly company
when proud in your prowess
be mindful how here I have invested you
with image of your own imperfectness.
Then humble your heart.
Doch nachdem er ihm diese Lektion erteilt hat, bricht der Grüne Ritter, der nun fast wieder ganz die Gestalt des Roten Lords angenommen hat, erneut in schallendes Gelächter aus und verkündet:
Now home to my house
and finish our feasting.
Gawain reagiert darauf zwar mit einem Lächeln, fühlt sich aber offensichtlich nicht in der Lage, auf das Angebot einzugehen. Selbst als der Ritter ihn noch einmal drängt: "Our enmity is at an end, sir. I entreat you, make merry in my house."
Anscheinend fällt es ihm anders als dem Grünen Ritter nicht leicht, Unvollkommenheit als Teil der menschlichen Existenz zu akzeptieren. Als er sich niedergeschlagen auf den Rückweg in "seine Welt" macht, blickt der Rote Lord ihm traurig und nachdenklich nach.
Mit der Schlussszene kehren wir an den Artushof zurück. Der König hat aus dem grünen Gürtel ein Symbol von "valour" und "victory" gemacht, das er nun allen Rittern der Tafelrunde verleiht. Anders als in der literarischen Vorlage entsteht der Eindruck, dass es sich dabei um eine Verfälschung von Gawains eigentlichem Abenteuer handelt. Die Lektion des Grünen Ritters hat den Hof nicht erreicht. Statt etwas Bescheidenheit zu lernen, feiert man sich erneut als besonders perfekt. Stumm und leicht schwermütig beobachtet Gawain die Zeremonie und wir hören seine Gedanken.
Alone of these all I know,
and better than any,
this band of green I bear about me
in honour of no exploit and no excellence
but in memorium how one midwinter morning
I met my master on a mountain side
and he invested me with emblem
of the order of imperfect man.
Damit schließt der Film, den ich persönlich für die gelungenste Adaption von Sir Gawain and the Green Knight halte -- nicht nur sprachlich und motivisch, sondern auch in der stimmungsvollen Schönheit seiner Bilder. Dass David Rudkin sich dabei recht nahe an seine literarische Vorlage gehalten, ihr zugleich aber eine ganz persönliche Interpretation verliehen hat, scheint mir besonders bemerkenswert zu sein.
Sir Gawain and the Green Knight (2002)
Tim Fernées für den walisischen Fernsehsender
Sianel 4 Cymru (S4C) produzierte und 2002 ausgestrahlte Animationsfilm hält sich vielleicht noch enger an den Inhalt der mittelalterlichen Verserzählung. Aber das Drehbuch von Martin Lamb und Penelope Middelboe hat dabei nicht den Ehrgeiz, zugleich eigene thematische Akzente zu setzen. Über die Handlung habe ich darum auch nichts weiter zu sagen. Was den gerade einmal knapp 25 Minuten langen Streifen vor allem auszeichnet, ist sein visueller Stil, der den Eindruck erweckt, man betrachte ein zum Leben erwachtes mittelalterliches Buntglasfenster. Das spricht mich nicht nur ästhetisch an, ich halte den dadurch hervorgerufenen Verfremdungseffekt bei der Adaption eines mittelalterlichen Werkes auch für nützlich. Er schafft eine gewisse Distanz zwischen Publikum und Film, erschwert eine zu unmittelbare "Immersion". Was ich bei einem Stoff, der Ausdruck eines deutlich anderen Weltbildes und Lebensgefühls als des unseren ist, für durchaus angebracht halte. (20) Wie dem auch sei,
sehenswert ist das Filmchen auf jeden Fall.
The Green Knight (2022)
Bleibt noch der Kurzfilm The Green Knight von Mark Freeman und Brandon St. Cyr aus dem Jahr 2022. Dessen Grundidee finde ich eigentlich ganz sympathisch. Gawain (Callum Adams) erscheint hier als ein naiver, verwöhnter und ziemlich eingebildeter junger Bursche, für den seine Queste nach der Grünen Kapelle die erste echte Begegnung mit der Welt "jenseits der Burgmauern" darstellt. Sein Onkel Arthur (Keefe Healey) hat ihn mit allerlei wohltönenden Phrasen von Ehre, unsterblichem Ruhm und der Pflicht eines Ritters, sich durch seine Taten zu beweisen, auf die Reise geschickt. Aber schon bald muss Gawain erkennen, dass seine hochfahrende Art ihm weder Respekt beim einfachen Volk einbringt, noch ihn vor Straßenräubern schützt. Nachdem die letzteren ihn halb tot geprügelt haben, wird er von der Bauerstochter Bronwyn (Aleah Black) wieder aufgepäppelt. Natürlich verlieben sich die beiden ineinander und man könnte beinahe denken, dass der von seinem Hochmut geheilte Gawain dem Ritterdasein den Rücken kehren würde. Doch sein Pflichtgefühl treibt ihn schließlich dazu, seine Queste fortzusetzen und sich dem Grünen Ritter (Mark Freeman) zu stellen.
Es gibt so einiges, was mir an dem kurzen Streifen gefällt. So etwa der bescheidene Charakter des Settings, der zwar sicher (auch) dem kleinen Budget geschuldet ist, aber doch seinen ganz eigenen Charme besitzt, wenn z.B. Camelot wie ein etwa größerer Gutshof ausschaut. Auch gibt es einige recht eindrucksvoll komponierte Bilder und vor allem sehr hübsche Natur- und Landschaftsszenen. Einer der größten Schwachpunkte ist hingegen die etwas amateurhaft wirkende Kampfchoreographie.
Problematisch ist für mich vor allem das Ende. Genauer gesagt, wie wir es interpretieren sollen. War Gawains Entscheidung, Bronwyn zu verlassen und seine Queste fortzusetzen, die richtige? Diese Frage ergibt sich automatisch aus der Logik der Handlung. Doch der Film gibt darauf keine eindeutige Antwort. Sollen wir ihn als eine Kritik nicht nur an Gawains jugendlichem Hochmut, sondern an dem ganzen aus einer privilegierten sozialen Stellung geborenen Ritterideal verstehen? Das scheint mir zwar naheliegend, aber sollte das dann nicht auch in der finalen Konfrontation mit dem Grünen Ritter zum Ausdruck kommen? Dafür aber ist die Schlussszene zu ambivalent. Wir sehen zwar, dass Gawain die Begegnung an der Grünen Kapelle überlebt hat, aber wir erfahren nicht, warum ihn der Grüne Ritter offenbar verschont hat. Ebensowenig können wir ausmachen, wohin sich unser Protagonist nun wenden wird, zurück zu Bronwyn oder zu seinem königlichen Onkel?
Doch trotz dieses unbefriedigenden Abschlusses, kann man sich den Streifen ruhig einmal
anschauen. Man darf halt bloß keine zu hohen Erwartungen an ihn stellen, das wäre unfair.
(1) Sir Gawain and the Green Knight. V. 37-47. Übersetzt von Manfred Markus. Wer eine neuenglische Übersetzung des Gesamttextes sucht, findet eine solche hier. Das mittelenglische Original in der Edition von E.V. Gordon & J.R.R. Tolkien kann man hier lesen.
(2) Interessanterweise scheint das Werk in seiner Entstehungszeit keine besonders weite Verbreitung gefunden zu haben. Der Mediävist Thomas Hahn schreibt: "Sir Gawain and the Green Knight is by acclamation the most
subtle, learned, and enjoyable of poems about this chivalric hero, as
well as one of the great narrative achievements in the English language.
Yet there exists little evidence of its being read from the time of its
composition in the later fourteenth century until the edition produced
by Madden in 1839. Even if it did find readers [...] this profoundly
literate text exercised little influence over the popular Gawain
narratives". Von letzteren gab es eine ganze Menge, wie man in dem von Hahn herausgegebenen Sammelband Sir Gawain: Eleven Romances and Tales nachlesen kann. Zu diesen gehört auch eine sehr viel kürzere und simplere Version der Geschichte vom Grünen Ritter.
(3) In dem wunderbar bizarren nachklassischen Artusroman Diu Crône von Heinrich von dem Türlìn (um 1230) wird über den König sogar gesagt: "Er wart in dem meien/ geborn" (V. 260/61), was dann symbolisch mit seiner höfischen Vollkommenheit verknüpft wird. Interessanterweise ist dies jedoch zugleich das einzige mir bekannte mittelhochdeutsche Werk, in dem die Handlung ebenfalls zur Weihnachtszeit einsetzt: "Ein hôchzît er besprach / Ze Gâl und ze Tintaguê/ In Cornowalle in dem sê/ Zu einen wîhenahten" (V. 466-69). Held der Erzählung ist auch hier Gawein, was in der deutschen Artusdichtung (anders als in der mittelenglischen) ungewöhnlich ist. Und eine der vielen Episoden enthält sogar eine Variante der Köpfungsherausforderung (V. 13103ff.). Alles nur ein Zufall? Ich hab keine Ahnung ...
(4) Wer an einer bildlichen Darstellungsform interessiert ist, sei auf den Webcomic von Emily Cheeseman verwiesen, der sich inhaltlich recht genau an seine mittelalterliche Vorlage hält und auch in gedruckter Form käuflich zu erwerben ist.
(5) In The Once and Future King identifiziert T.H. White Gawain mit Cúchulainn, dem Haupthelden des Ulster-Zyklus der altirischen Heldenepik. Was freilich bloß ein Beispiel für seinen spielerischen Umgang mit den mittelalterlichen Traditionen sein dürfte. Als Kuriosum sei allerdings angemerkt, dass sich eine weitere Variante der Köpfungsherausforderung tatsächlich im 26. Kapitel von Fled Bricrenn (Bricrius Fest) findet und dort mit Cúchulainn verknüpft ist.
(6) In Malorys Morthe Darthur wird erwähnt, dass das Ausmaß seiner Kampftkraft vom Stand der Sonne abhängt. Aus diesem einzelnen (und nicht allgemein verbreiteten) Motiv wollte man in der Vergangenheit ableiten, dass sich hinter dem ritterlichen Helden ein ehemaliger Sonnengott verberge.
(7) Interessanterweise erwähnt die Verserzählung im Zusammenhang mit Gawains Suche nach der Grünen Kapelle dann ganz ausdrücklich "Wilde Männer" ("wodwos"): "sumwhyle wyth wormez he werrez and with wolues als/ sumwhyle wyth wodwos þat woned in þe knarrez" ("mal kämpfte er mit Drachen, mal mit Wölfen, mal mit Wilden Männern, die zwischen den Felsen hausten"; V. 720/21).
Kuriosum am Rande: Tolkien benutzte das mittelenglische Wort "(wod)woses" im Lord of the Rings als Bezeichnung für die Drúedain, die von den Rohirrim auch die "Wild Men of the Woods" genannt werden. Ein Beispiel für das Aufgreifen und Uminterpretieren mittelalterlicher Begriffe und Vorstellungen durch den "Professor".
(8) Dasselbe gilt für die mittelhochdeutsche Version Hartmanns von Aue. Im mittelenglischen Ywain and Gawain begegnen wir hingegen Lunette und Alundyne, im mittelkymrischen Owain Luned und der namenlosen "Herrin der Quelle".
(9) Alfred Lord Tennysons Idylls of the King enthält gleichfalls ein ganzes Kapitel über Gareth and Lynette.
(10) Malory erwähnt Lyoness/Liones im 8. Buch der Morte Darthur als den Geburtsort von Sir Tristan / Tristram und verortet das Reich in der Nachbarschaft von Cornwall. Dass es später von der See verschlungen worden sei, wird hier allerdings noch nicht erzählt. Die erste schriftliche Erwähnung seines Untergangs findet sich in William Camdens 1586 herausgegebener Britannia. Dort heißt es im Zusammenhang mit Land's End: "This Promontorie heeretofore ran further into the Sea, and by the rubbish which is drawen out from thence the Mariners affirme the same, yea and the neighbor Inhabitants avouch out of I wote not what fable, that the earth now covered there all over with the in-breaking of the sea was called Lionesse". Richard Carews Survey of Cornwall (1602) führt dies etwas ausführlicher aus. Doch zu größerer Popularität gelangte diese Vorstellung erst im 19. Jahrhundert, als Lyonesse mehr und mehr zu einem Ort romantischer Imagination wurde. Vgl.: Maria Mitchell: The Lost Lands of Lyonesse. Telling stories of Cornwall and the Isles of Scilly.
(11) So machte z.B. schon Tennyson Lyonesse zum Schauplatz der letzten Schlacht zwischen den Heeren von Artus und Mordred: "Then rose the King and moved his host by night,/ And ever pushed Sir Modred, league by league,/ Back to the sunset bound of Lyonnesse--/ A land of old upheaven from the abyss/ By fire, to sink into the abyss again;/ Where fragments of forgotten peoples dwelt,/ And the long mountains ended in a coast/ Of ever-shifting sand, and far away/ The phantom circle of a moaning sea." (The Passing of Arthur)
(12) Keine Ahnung, warum Weeks an dieser Stelle zur Namensfindung auf Hamlet zurückgegriffen hat. Waren ihm die "arthurischen" Namen ausgegangen?
(13) Auf Wikipedia heißt es, Weeks habe ursprünglich Mark Hamill für die Hauptrolle im Auge gehabt und O'Keefe sei ihm von Globus und Golan "aufgezwungen" worden. Doch leider findet sich dort keine Quellenangabe für diese Behauptung.
(14) Der Gürtel taucht auch in der älteren Fassung auf, schien mir dort aber nicht so eindeutig für das Überleben Gawains verantwortlich zu sein. Selbstverständlich trägt er in keiner der beiden Versionen die symbolische Bedeutung seines Vorbilds aus der mittelalterlichen Verserzählung.
(15) Bis zur Verabschiedung des "Theatre Act" von 1968 besaß der Lord Chamberlain weitestgehende Zensurbefugnisse über alle Bühnenaufführungen.
(16) Volkovs Buch gibt vor, die Memoiren des Komponisten zu enthalten, die dieser kurz vor seinem Tod dem Autor diktiert habe. Seine Authentizität ist von verschiedenen Seiten in Frage gestellt worden. Fred Mazelis' ausführlicher Artikel The legacy of Dmitri Shostakovich gibt eine recht ausgewogene Sicht auf diese Kontroverse sowie auf Leben und Werk des großen Künstlers.
(17) Kurz nach Penda's Fen schrieb Rudkin auch zwei Drehbücher für die BBC-Serie Churchill's People, einen episodenhaften Streifzug durch die Geschichte Großbritanniens. Neben der allerersten Folge Pritan, die am Vorabend der römischen Invasion von 43 u.Z. spielt, war dies The Coming of the Cross. Und in der geht es interssanterweise nicht nur um den Konflikt zwischen der "römischen" und der "keltischen" Kirche, sondern auch um die letzte Schlacht Pendas von Mercia. Offenbar faszinierte ihn die Figur von Britanniens letztem heidnischen König zu dieser Zeit sehr.
(18) Zur Identifikation der Sprache reichen meine Kenntnisse leider nicht aus, ich nehme aber an, dass es sich entweder um Walisisch oder um schottisches Gälisch handelt.
(19) In der mittelalterlichen Verserzählung wird eine vergleichbare Figur am Ende als Morgan Le Fay identifiziert. Bei Rudkin bleibt sie namenlos und die Rolle, die sie möglicherweise bei dem Ganzen gespielt hat, wird nicht enthüllt. Was die mysteriöse und leicht "andersweltliche" Atmosphäre der Burggesellschaft nur noch verstärkt.
(20) Dieses Thema würde eine ausführlichere Behandlung erfordern. Zumal es in meinen Augen da keine allgemein gültigen Regeln geben kann. Viel hängt davon ab, wie der Filmemacher an den Stoff herangeht und was er mit ihm machen will. Aber ich halte z.B. Peter Brooks Mahabharata (1989) auch deshalb für die gelungenste mir bekannte Adaption eines heldenepischen Werkes, weil der Film auf Brooks Theaterversion basiert und in Sprache wie Optik entsprechend "stilisiert" und "bühnenhaft" wirkt.