But the third sister, who is also the
youngest –! Hush! whisper whilst we talk of her! Her kingdom is
not large, or else no flesh should live; but within that kingdom all
power is hers. Her head, turreted like that of Cybèle, rises almost
beyond the reach of sight. She droops not; and her eyes rising so
high might be hidden by distance. But, being what they are, they
cannot be hidden; through the treble veil of crape which she wears,
the fierce light of a blazing misery, that rests not for matins or
for vespers, for noon of day or noon of night, for ebbing or for
flowing tide, may be read from the very ground. She is the defier of
God. She also is the mother of lunacies, and the suggestress of
suicides. Deep lie the roots of her power; but narrow is the nation
that she rules. For she can approach only those in whom a profound
nature has been upheaved by central convulsions; in whom the heart
trembles and the brain rocks under conspiracies of tempest from
without and tempest from within. Madonna moves with uncertain steps,
fast or slow, but still with tragic grace. Our Lady of Sighs creeps
timidly and stealthily. But. this youngest sister moves with
incalculable motions, bounding, and with a tiger’s leaps. She
carries no key; for, though coming rarely amongst men, she storms all
doors at which she is permitted to enter at all. And her name is
Mater Tenebrarum, – Our Lady of Darkness.
Thomas De Quincey, Levana and Our Ladies of Sorrow
Eine strengsten wissenschaftlichen Standards genügende Umfrage, die ich kürzlich auf Twitter durchgeführt habe, hat mich in meiner Vermutung bestärkt, dass Fritz Leiber in der heutigen deutschsprachigen Phantastik-Gemeinde {oder zumindest unter deren jüngeren Jahrgängen} wohl kaum mehr bekannt sein dürfte.
Was ich wirklich bedauerlich finde. Auch wenn es mittlerweile gut zehn Jahre her sein dürfte, dass ich alle Bücher und Storyanthologien Leibers, derer ich in deutscher Sprache habhaft werden konnte, verschlungen habe und meine Erinnerungen an diese entsprechend verschwommen sind, würde ich mich doch immer noch als großer Fan bzeichnen. Hey, schließlich verdankt sogar dieser Blog seinen Namen dem guten Fritz.*
Ich nehme mal an, dass man sich seiner am ehesten noch aufgrund seiner Bedeutung für die Entwicklung der Sword & Sorcery erinnern wird, deren Namensgeber er ja gewesen ist. Doch der 1910 in Chicago geborene und 1992 in San Francisco verstorbene Schriftsteller betätigte sich im Verlauf seiner langen und fruchtbaren Karriere in einer ganzen Reihe von phantastischen Genres. Neben den Fafhrd & The Gray Mouser - Stories schrieb er eine erkleckliche Anzahl von Science Fiction - Romanen, -Novellen und -Kurzgeschichten, von denen einige wie A Spectre Is Haunting Texas** und The Silver Eggheads stark satirisch geprägt sind, sowie eine ganze Reihe von Werken, die man der Weird Fiction oder dem Horror zuzurechnen hat.
Das Buch, mit dem wir uns heute beschäftigen wollen, gehört zur letzteren Sparte. 1977 erschienen ist der kurze Roman Our Lady of Darkness (Herrin der Dunkelheit) außerdem das wohl bedeutendste Werk aus Leibers Spätphase und wurde 1978 mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet. Der Autor erklärte in einem Brief an das Foundation Magazine (Nr. 16, Mai 1979): "It started as a short Jamesian horror story and just grew". Und tatsächlich enthält auch der vollendete Roman immer noch eine ganze Reihe von Anspielungen auf die Werke von M.R. James, wie man in diesem in Ghosts & Scholars veröffentlichten Artikel von Rosemary Pardoe im Detail nachlesen kann.*** Doch Our Lady of Darkness ist sehr viel mehr als eine gelungene Hommage an den Großmeister der klassischen englischen Gespenstergeschichte.
Franz Westen ist ein Autor phantastischer Literatur, der als Brotjob Romanadaptionen für die Fernsehserie Unheimlicher Untergrund schreibt. Nach dem Tod seiner Frau durchlebte er eine dreijährige Phase von Depressionen und Alkoholismus, aus der er sich gerade erst wieder herausgekämpft hat. Nicht zuletzt, weil er einen neuen Kreis von Freunden gefunden hat, die alle in dem selben San Franciscoer Apartmenthaus leben: Der Psychiater Saul, der Naturwissenschaftler Gun(nar), die Hausverwalterin Dorotea, ihr Mann Fernando (der nur Spanisch spricht, aber ein exzellenter Schachspieler ist), deren Tochter Bonita und die klassische Musikerin Cal, die vielleicht mehr als "bloß" eine gute Freundin werden könnte. Die beiden haben schon einmal miteinander geschlafen, der Status ihrer Beziehung ist vorerst aber noch unbestimmt. Was jedoch für keinen der beiden ein Problem zu sein scheint.
Eines Morgens schaut Franz gedankenverloren aus dem Fenster seines Apartments hinüber zu den Corona Heights, greift spontan zu seinem Feldstecher und entdeckt auf dem Gipfel der schroffen Erhebung eine hagere Gestalt in einem braunen Regenmantel (oder einer Kutte?), die einen merkwürdigen Tanz aufzuführen scheint. Bloß irgendein exzentrischer Hippie vermutlich, aber auf unerklärliche Weise fasziniert ihn die Gestalt so sehr, dass er beschließt, dem Ort einen Besuch abzustatten. Als er dort ankommt, ist der eigenartige Geselle natürlich längst verschwunden. Franz schaut hinaus über San Francisco, greift wieder zu seinem Fernglas und versucht, zwischen den Wolkenkratzern sein heimisches Appartmenthaus ausfindig zu machen. Als ihm dies tatsächlich gelingt, wartet ein gehöriger Schock auf ihn: Aus dem Fenster seiner eigenen Wohnung lehnt sich eine hagere, braungewandete Gestalt und winkt ihm zu!.
Natürlich kehrt er schnellstmöglich nach Hause zurück, doch dort finden sich keinerlei Anzeichen für einen Einbruch. War die Erscheinung also bloß eine Halluzination, möglicherweise eine Folge seines gerade erst überwundenen Alkoholismus?
Franz bringt dieses zutiefst verstörende Erlebnis intuitiv mit zwei Büchern in Verbindung, die er vor ein paar Monaten in alkoholumnebeltem Zustand in irgendeinem Antiquariat erworben hat. Da wäre zum einen der bizarre Schmöker Megapolisomancy: Eine neue Wissenschaft der Städte des Okkultisten Thibault de Castries, in dem die Entwicklung der modernen Großstädte als ein verderbenbringendes Unternehmen beschrieben wird, in dessen Verlauf durch die unnatürliche Konzentration von Materialien wie Stahl und Beton dämonenhafte "paramentale" Wesenheiten ins Leben gerufen würden. Zum anderen das Tagebuch eines Schriftstellers, von dem Franz überzeugt ist, dass es sich um Clark Ashton Smith handelt, in dem dieser seine Treffen mit dem alten De Castries beschreibt, der zuerst faszinierend, schließlich jedoch äußerst bedrohlich und furchteinflößend auf ihn gewirkt habe.
Nachdem er sich im Kreis seiner Freunde wieder etwas gefangen hat, fasst Franz den Entschluss, etwas mehr über den mysteriösen De Castries herausfinden zu wollen. Doch unglücklicherweise kehrt er zuerst einmal auf die Corona Heights zurück, weil er überprüfen will, ob er das Fernglas tatsächlich auf sein eigenes Apartment gerichtet hatte. Das Ergebnis ist um ein vielfaches bedrohlicher als beim ersten Mal. Wieder erblickt er die groteske Gestalt, deren Gesicht etwas animalisches, schnauzenhaftes an sich zu haben scheint. Schlimmer noch, diesmal hat er den Eindruck, als greife das unheimliche Wesen durch das Fernglas nach ihm. Von Panik erfasst flieht er von dem Hügel, wird jedoch das Gefühl nicht los, verfolgt zu werden. Er sucht Zuflucht bei dem befreundeten dekadenten Dichter Jaime Donaldus Byers, den er ohnehin aufsuchen wollte, um ihn über De Castries zu befragen.
Seine Behauptung, von einem der in Megapolisomancy erwähnten "Paramentalen" verfolgt zu werden, wird von Byers erstaunlicherweise nicht mit Spott oder Ungläubigkeit aufgenommen.
Der exzentrische Dichter erzählt ihm, wie De Castries um die Jahrhundertwende nach San Francisco gekommen und im Kreis der Bohèmiens um George Sterling, Jack London und Ambrose Bierce schon bald zu einer Art Guru geworden sei. In seiner Begleitung habe sich eine geheimnisvolle, stets verschleierte Frau befunden, die die beunruhigende Eigenschaft besessen habe, wie aus dem Nichts aufzutauchen und auf ebenso unerklärliche Weise wieder zu verschwinden. Schließlich habe er in Konkurrenz zum berühmten englischen "Hermetic Order of the Golden Dawn" (und zu Aleister Crowley) seinen eigenen "Orden der Onyx-Dämmerung" gegründet. Ziel der okkulten Vereinigung sei die Vernichtung der modernen Großstadt auf "metamagische" Weise gewesen. Doch auch wenn die rebellisch-terroristische Ausrichtung des Ordens die Bohèmiens zu Beginn angezogen habe, hätte der banal-langweilige Charakter der "metamagischen Rituale", die De Castries seinen vermeintlichen Jüngern auszuführen befahl, diese schon bald angeödet. Tief getroffen von dieser Zurückweisung, habe der Okkultist den Kreis mit einem Fluch belegt. Und hätten nicht tatsächlich viele der Bohèmiens einen frühen und tragischen Tod gefunden? Ambrose Bierce verschwand auf Nimmerwiedersehn in den blutigen Wirren der Mexikanischen Revolution. Nora May French und George Sterling begingen Selbstmord. Jack London starb lange vor seiner Zeit. Jahrzehnte später habe Clark Ashton Smith den verbitterten und zunehmend paranoiden De Castries aufgesucht.und sei für einige Zeit so etwas wie dessen letzter Akolyth gewesen. Doch das krankhafte Misstrauen und die zunehmende Boshaftigkeit des alten Okkultisten habe schließlich zum Bruch zwischen den beiden geführt. Byers stellt die Vermutung an, dass De Castries und seine Megapolisomancy der Grund gewesen sein könnten, warum der von seinem Wesen her doch so urbane Smith sich danach nie mehr für längere Zeit in San Francisco aufhielt.
Zum Abschluss bittet der Dichter Franz, einmal einen Blick in das Tagebuch werfen zu dürfen, das dieser zusammen mit seiner Ausgabe der Megapolisomancy erworben hat. Er bestätigt dessen Vermutung, dass der Verfasser Smith war, und entdeckt außerdem zwischen zwei zusammengeleimten Buchseiten einen ominösen "Fluch auf Master Clark Ashton Smith, und all seine Erben, der sich einbildet, mein Gehirn anzapfen und sich dann davonmachen zu können. Auf ihn komme der Lange Tod – die Paramentale Agonie! –, wenn er zurückgekrochen kommt, wie es alle Menschen tun." Der Fluch besitzt die für De Castries' Art der Magie, die er selbst "neo-pythagoräische Metageometrie" nannte, vermutlich typische formale Gestalt:
Während er durch die abendlichen Straßen irrt, wird das Gefühl, verfolgt zu werden, erneut immer stärker und bedrückender. Er flieht in die scheinbare Sicherheit einer Konzerthalle, wo Cal an diesem Abend spielen wird und ihn Saul und Gun erwarten. Doch noch vor dem Ende des ersten Stückes verlässt er den Kreis seiner Freunde und eilt nach Hause, weil er glaubt, den Schlüssel zu De Castries seltsamer Fluch-Formel gefunden zu haben.
Tatsächlich gelingt es ihm, das Rätsel des alten Okkultisten zu lösen, wobei die Corona Heights, der Standort seines eigenen Apartments, der Sutro Tower und die Transamerica Pyramid eine wichtige Rolle spielen.
Doch ist ihm diese Erkenntnis keine Hilfe. Ganz im Gegenteil. Getrennt von seinen Freunden und von bleierner Angst gelähmt, verkriecht sich Franz schließlich in sein Bett neben sein "Studentenliebchen" ("Scholar's Mistress"), einen großen Bücherhaufen, dem er die ungefähre Form eines Frauenkörpers gegeben hat. Irgendwo in der Nähe steht eine Flasche Kirschwasser. Er versinkt in einem Meer aus Verzweifelung, Erinnerungen an seine verstorbene Frau, Depression und finsteren Zukunftsvisionen. Als er nach ein-zwei Stunden traumlosen Schlafes wieder aufschreckt, erwartet ihn seine finale Konfrontation mit der "Lady of Darkness" in einer Szene, die deutlich von M.R. James' Oh, Whistle, And I'll Come To You, My Lad inspiriert wurde.
Our Lady of Darkness ist ein faszinierend vielschichtiges Werk.
Da wäre zuerst einmal das unverkennbar autobiographische Element. Franz Westen ist ein kaum verhülltes "alter ego" des Autors. 1969 war Fritz Leibers Frau Jonquil an einer Überdosis Schlaftabletten gestorben und der Schriftsteller war daraufhin in eine ungefähr drei Jahre andauernde Phase alkoholdurchtränkter Depressionen gestürzt. Danach war er nach San Francisco gezogen, wo er in Apartment 507, 811 Geary Street lebte – ein Stockwerk unter dem fluchbeladenen Domizil seiner späteren Romanfigur.
Das Ringen mit Alkoholismus und Depression und die stets vorhandene Angst, wieder in diese zurückzufallen, bilden so etwas wie den emotionalen Kern des Romans.
Aufs engste damit verknüpft ist der hohe Stellenwert, der der Freundschaft zukommt. Auf sich allein gestellt ist Franz der "paramentalen" Bedrohung hilflos ausgeliefert. Er mag schlau genug sein, um das Rätsel von De Castries' Formel zu entschlüsseln, doch das hilft ihm kein Deut weiter. Am Ende sind es seine Freundinnen & Freunde, die ihn retten.
Ein Gutteil des Romans ist der Beschreibung dieses Freundeskreises und ihren Gesprächen untereinander gewidmet. Da wird viel philosophiert über den Menschen, die Kunst und die moderne Gesellschaft. Die Schilderung eines gemeinsamen Abends in einem kleinen deutsch-ungarischen Restaurant in der Nachbarschaft bildet für mich einen der kleinen Höhepunkte von Our Lady of Darkness. Und wie sympathisch mutet es an, dass sich in dieser kleinen Gemeinschaft auf ganz natürliche Weise "Intellektuelle" (Franz, Cal, Saul, Gun) und Vertreter der Arbeiterklasse (Dorotea, Fernando) zusammenfinden, ohne einen Hauch von Snobismus.
Dieses menschliche Kernelement verbindet Leiber mit einer Thematik, die ihn schon seit den frühen 40er Jahren beschäftigte: Dem Horror der modernen Großstadt. Wie eine seiner Figuren in der 1942 in Weird Tales veröffentlichten Kurzgeschichte The Hound sagt:
Weitere frühe Beispiele für diese Art des Horrors sind seine Stories Smoke Ghost (Unknown Worlds, Oktober 1941) und The Girl With The Hungry Eyes (1949 in der von Donald A. Wohlheim herausgegebenen Anthologie The Girl with the Hungry Eyes, and Other Stories veröffentlicht).
Die Verbindung zwischen dieser Thematik und der okkulten Philosophie des Thibault de Castries ist natürlich offensichtlich. Doch vielleicht noch wichtiger in diesem Zusammenhang ist die Gestalt des Fernsehturms auf Sutro Mountain, die eines der Leitmotive des Romans bildet.
Ein weiterer Grund, warum ich Our Lady of Darkness so sehr liebe, ist, dass Leiber seinen Okkultisten mit der San Franciscoer Bohème der Jahrhundertwende in Verbindung bringt. Ich selbst habe mich in der Vergangenheit einmal sehr eingehend mit diesem Kreis faszinierender Männer und Frauen beschäftigt. Wer mehr darüber erfahren will, lese meine alte und unvollendete Blogpostreihe "Der Décadent der Fantasy" (1 * 2 * 3 * 4 * 5 * 6 * 7 * 8 * 9).
Ganz allgemein ist Our Lady of Darkness u.a. eine Liebeserklärung Fritz Leibers an die Autoren, denen er sich besonders verbunden fühlte, und damit so etwas wie Weird Fiction für Liebhaber klassischer Weird Fiction, auch wenn es sich bei den Autoren nicht durchwegs um Vertreter der Phantastik handelt. Neben M.R. James, dem Kreis um George Sterling und Jack London und {eher am Rande} H.P. Lovecraft findet nämlich auch Dashiell Hammett Erwähnung.
Die hervorragendste Stellung kommt jedoch sicher Clark Ashton Smith zu.
Leiber war ein großer Bewunderer Smiths, den er 1944 einmal "in persona" getroffen hatte.**** Zeit seines Lebens bemühte er sich, dessen Andenken am Leben zu erhalten. Und ich halte es nicht für einen Zufall, dass von dessen Geschichten ausgerechnet The City of the Singing Flame namentliche Erwähnung in Our Lady of Darkness findet, hat Leiber doch von ihr gesagt: "[It] shows a passionate concern for life battling doom which is absent from most of [his] tales, where Smith is simply the devoted chronicler of death". Womit wir wieder zum zentralen Thema von Leibers eigenem außergewöhnlichem Spätwerk zurückgekehrt wären.
Was ich wirklich bedauerlich finde. Auch wenn es mittlerweile gut zehn Jahre her sein dürfte, dass ich alle Bücher und Storyanthologien Leibers, derer ich in deutscher Sprache habhaft werden konnte, verschlungen habe und meine Erinnerungen an diese entsprechend verschwommen sind, würde ich mich doch immer noch als großer Fan bzeichnen. Hey, schließlich verdankt sogar dieser Blog seinen Namen dem guten Fritz.*
Ich nehme mal an, dass man sich seiner am ehesten noch aufgrund seiner Bedeutung für die Entwicklung der Sword & Sorcery erinnern wird, deren Namensgeber er ja gewesen ist. Doch der 1910 in Chicago geborene und 1992 in San Francisco verstorbene Schriftsteller betätigte sich im Verlauf seiner langen und fruchtbaren Karriere in einer ganzen Reihe von phantastischen Genres. Neben den Fafhrd & The Gray Mouser - Stories schrieb er eine erkleckliche Anzahl von Science Fiction - Romanen, -Novellen und -Kurzgeschichten, von denen einige wie A Spectre Is Haunting Texas** und The Silver Eggheads stark satirisch geprägt sind, sowie eine ganze Reihe von Werken, die man der Weird Fiction oder dem Horror zuzurechnen hat.
Das Buch, mit dem wir uns heute beschäftigen wollen, gehört zur letzteren Sparte. 1977 erschienen ist der kurze Roman Our Lady of Darkness (Herrin der Dunkelheit) außerdem das wohl bedeutendste Werk aus Leibers Spätphase und wurde 1978 mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet. Der Autor erklärte in einem Brief an das Foundation Magazine (Nr. 16, Mai 1979): "It started as a short Jamesian horror story and just grew". Und tatsächlich enthält auch der vollendete Roman immer noch eine ganze Reihe von Anspielungen auf die Werke von M.R. James, wie man in diesem in Ghosts & Scholars veröffentlichten Artikel von Rosemary Pardoe im Detail nachlesen kann.*** Doch Our Lady of Darkness ist sehr viel mehr als eine gelungene Hommage an den Großmeister der klassischen englischen Gespenstergeschichte.
Franz Westen ist ein Autor phantastischer Literatur, der als Brotjob Romanadaptionen für die Fernsehserie Unheimlicher Untergrund schreibt. Nach dem Tod seiner Frau durchlebte er eine dreijährige Phase von Depressionen und Alkoholismus, aus der er sich gerade erst wieder herausgekämpft hat. Nicht zuletzt, weil er einen neuen Kreis von Freunden gefunden hat, die alle in dem selben San Franciscoer Apartmenthaus leben: Der Psychiater Saul, der Naturwissenschaftler Gun(nar), die Hausverwalterin Dorotea, ihr Mann Fernando (der nur Spanisch spricht, aber ein exzellenter Schachspieler ist), deren Tochter Bonita und die klassische Musikerin Cal, die vielleicht mehr als "bloß" eine gute Freundin werden könnte. Die beiden haben schon einmal miteinander geschlafen, der Status ihrer Beziehung ist vorerst aber noch unbestimmt. Was jedoch für keinen der beiden ein Problem zu sein scheint.
Eines Morgens schaut Franz gedankenverloren aus dem Fenster seines Apartments hinüber zu den Corona Heights, greift spontan zu seinem Feldstecher und entdeckt auf dem Gipfel der schroffen Erhebung eine hagere Gestalt in einem braunen Regenmantel (oder einer Kutte?), die einen merkwürdigen Tanz aufzuführen scheint. Bloß irgendein exzentrischer Hippie vermutlich, aber auf unerklärliche Weise fasziniert ihn die Gestalt so sehr, dass er beschließt, dem Ort einen Besuch abzustatten. Als er dort ankommt, ist der eigenartige Geselle natürlich längst verschwunden. Franz schaut hinaus über San Francisco, greift wieder zu seinem Fernglas und versucht, zwischen den Wolkenkratzern sein heimisches Appartmenthaus ausfindig zu machen. Als ihm dies tatsächlich gelingt, wartet ein gehöriger Schock auf ihn: Aus dem Fenster seiner eigenen Wohnung lehnt sich eine hagere, braungewandete Gestalt und winkt ihm zu!.
Natürlich kehrt er schnellstmöglich nach Hause zurück, doch dort finden sich keinerlei Anzeichen für einen Einbruch. War die Erscheinung also bloß eine Halluzination, möglicherweise eine Folge seines gerade erst überwundenen Alkoholismus?
Franz bringt dieses zutiefst verstörende Erlebnis intuitiv mit zwei Büchern in Verbindung, die er vor ein paar Monaten in alkoholumnebeltem Zustand in irgendeinem Antiquariat erworben hat. Da wäre zum einen der bizarre Schmöker Megapolisomancy: Eine neue Wissenschaft der Städte des Okkultisten Thibault de Castries, in dem die Entwicklung der modernen Großstädte als ein verderbenbringendes Unternehmen beschrieben wird, in dessen Verlauf durch die unnatürliche Konzentration von Materialien wie Stahl und Beton dämonenhafte "paramentale" Wesenheiten ins Leben gerufen würden. Zum anderen das Tagebuch eines Schriftstellers, von dem Franz überzeugt ist, dass es sich um Clark Ashton Smith handelt, in dem dieser seine Treffen mit dem alten De Castries beschreibt, der zuerst faszinierend, schließlich jedoch äußerst bedrohlich und furchteinflößend auf ihn gewirkt habe.
Nachdem er sich im Kreis seiner Freunde wieder etwas gefangen hat, fasst Franz den Entschluss, etwas mehr über den mysteriösen De Castries herausfinden zu wollen. Doch unglücklicherweise kehrt er zuerst einmal auf die Corona Heights zurück, weil er überprüfen will, ob er das Fernglas tatsächlich auf sein eigenes Apartment gerichtet hatte. Das Ergebnis ist um ein vielfaches bedrohlicher als beim ersten Mal. Wieder erblickt er die groteske Gestalt, deren Gesicht etwas animalisches, schnauzenhaftes an sich zu haben scheint. Schlimmer noch, diesmal hat er den Eindruck, als greife das unheimliche Wesen durch das Fernglas nach ihm. Von Panik erfasst flieht er von dem Hügel, wird jedoch das Gefühl nicht los, verfolgt zu werden. Er sucht Zuflucht bei dem befreundeten dekadenten Dichter Jaime Donaldus Byers, den er ohnehin aufsuchen wollte, um ihn über De Castries zu befragen.
Seine Behauptung, von einem der in Megapolisomancy erwähnten "Paramentalen" verfolgt zu werden, wird von Byers erstaunlicherweise nicht mit Spott oder Ungläubigkeit aufgenommen.
Der exzentrische Dichter erzählt ihm, wie De Castries um die Jahrhundertwende nach San Francisco gekommen und im Kreis der Bohèmiens um George Sterling, Jack London und Ambrose Bierce schon bald zu einer Art Guru geworden sei. In seiner Begleitung habe sich eine geheimnisvolle, stets verschleierte Frau befunden, die die beunruhigende Eigenschaft besessen habe, wie aus dem Nichts aufzutauchen und auf ebenso unerklärliche Weise wieder zu verschwinden. Schließlich habe er in Konkurrenz zum berühmten englischen "Hermetic Order of the Golden Dawn" (und zu Aleister Crowley) seinen eigenen "Orden der Onyx-Dämmerung" gegründet. Ziel der okkulten Vereinigung sei die Vernichtung der modernen Großstadt auf "metamagische" Weise gewesen. Doch auch wenn die rebellisch-terroristische Ausrichtung des Ordens die Bohèmiens zu Beginn angezogen habe, hätte der banal-langweilige Charakter der "metamagischen Rituale", die De Castries seinen vermeintlichen Jüngern auszuführen befahl, diese schon bald angeödet. Tief getroffen von dieser Zurückweisung, habe der Okkultist den Kreis mit einem Fluch belegt. Und hätten nicht tatsächlich viele der Bohèmiens einen frühen und tragischen Tod gefunden? Ambrose Bierce verschwand auf Nimmerwiedersehn in den blutigen Wirren der Mexikanischen Revolution. Nora May French und George Sterling begingen Selbstmord. Jack London starb lange vor seiner Zeit. Jahrzehnte später habe Clark Ashton Smith den verbitterten und zunehmend paranoiden De Castries aufgesucht.und sei für einige Zeit so etwas wie dessen letzter Akolyth gewesen. Doch das krankhafte Misstrauen und die zunehmende Boshaftigkeit des alten Okkultisten habe schließlich zum Bruch zwischen den beiden geführt. Byers stellt die Vermutung an, dass De Castries und seine Megapolisomancy der Grund gewesen sein könnten, warum der von seinem Wesen her doch so urbane Smith sich danach nie mehr für längere Zeit in San Francisco aufhielt.
Zum Abschluss bittet der Dichter Franz, einmal einen Blick in das Tagebuch werfen zu dürfen, das dieser zusammen mit seiner Ausgabe der Megapolisomancy erworben hat. Er bestätigt dessen Vermutung, dass der Verfasser Smith war, und entdeckt außerdem zwischen zwei zusammengeleimten Buchseiten einen ominösen "Fluch auf Master Clark Ashton Smith, und all seine Erben, der sich einbildet, mein Gehirn anzapfen und sich dann davonmachen zu können. Auf ihn komme der Lange Tod – die Paramentale Agonie! –, wenn er zurückgekrochen kommt, wie es alle Menschen tun." Der Fluch besitzt die für De Castries' Art der Magie, die er selbst "neo-pythagoräische Metageometrie" nannte, vermutlich typische formale Gestalt:
Der Drehpunkt (o) und die Cipher (A) werden dort sein, an seinem geliebten 607 Rhodes. Ich werde an dem mir zugewiesenen Ort (1) ruhen, unter dem Bischofssitz, die schwerste Asche, die er jemals fühlte. Dann, wenn die Lasten auch auf Sutro Mountain (4) und Monkey Clay (5) sind, [(4) + (1) = (5)] wird sein Leben zermalmt werden.Im Verlauf seines langen Monologs ist Byers zunehmend betrunken geworden. Immer wieder versucht er auch Franz einen Drink aufzudrängen, was dieser trotz wachsender Nervosität standhaft zurückweist. Ihm wird zunehmend bewusst, dass der Dichter von einer ähnlichen Furcht erfüllt ist wie er selbst. Als schließlich Byers' chinesische Geliebte zusammen mit einer jungen Gespielin auftaucht, zieht Franz sich zurück. Für den dekadenten Dichter bilden offensichtlich Sex, Alkohol und Ausschweifung eine Art Schutzwall gegen die "paramentale" Bedrohung, doch für Franz ist das keine Option.
Während er durch die abendlichen Straßen irrt, wird das Gefühl, verfolgt zu werden, erneut immer stärker und bedrückender. Er flieht in die scheinbare Sicherheit einer Konzerthalle, wo Cal an diesem Abend spielen wird und ihn Saul und Gun erwarten. Doch noch vor dem Ende des ersten Stückes verlässt er den Kreis seiner Freunde und eilt nach Hause, weil er glaubt, den Schlüssel zu De Castries seltsamer Fluch-Formel gefunden zu haben.
Tatsächlich gelingt es ihm, das Rätsel des alten Okkultisten zu lösen, wobei die Corona Heights, der Standort seines eigenen Apartments, der Sutro Tower und die Transamerica Pyramid eine wichtige Rolle spielen.
Doch ist ihm diese Erkenntnis keine Hilfe. Ganz im Gegenteil. Getrennt von seinen Freunden und von bleierner Angst gelähmt, verkriecht sich Franz schließlich in sein Bett neben sein "Studentenliebchen" ("Scholar's Mistress"), einen großen Bücherhaufen, dem er die ungefähre Form eines Frauenkörpers gegeben hat. Irgendwo in der Nähe steht eine Flasche Kirschwasser. Er versinkt in einem Meer aus Verzweifelung, Erinnerungen an seine verstorbene Frau, Depression und finsteren Zukunftsvisionen. Als er nach ein-zwei Stunden traumlosen Schlafes wieder aufschreckt, erwartet ihn seine finale Konfrontation mit der "Lady of Darkness" in einer Szene, die deutlich von M.R. James' Oh, Whistle, And I'll Come To You, My Lad inspiriert wurde.
Our Lady of Darkness ist ein faszinierend vielschichtiges Werk.
Da wäre zuerst einmal das unverkennbar autobiographische Element. Franz Westen ist ein kaum verhülltes "alter ego" des Autors. 1969 war Fritz Leibers Frau Jonquil an einer Überdosis Schlaftabletten gestorben und der Schriftsteller war daraufhin in eine ungefähr drei Jahre andauernde Phase alkoholdurchtränkter Depressionen gestürzt. Danach war er nach San Francisco gezogen, wo er in Apartment 507, 811 Geary Street lebte – ein Stockwerk unter dem fluchbeladenen Domizil seiner späteren Romanfigur.
Das Ringen mit Alkoholismus und Depression und die stets vorhandene Angst, wieder in diese zurückzufallen, bilden so etwas wie den emotionalen Kern des Romans.
Aufs engste damit verknüpft ist der hohe Stellenwert, der der Freundschaft zukommt. Auf sich allein gestellt ist Franz der "paramentalen" Bedrohung hilflos ausgeliefert. Er mag schlau genug sein, um das Rätsel von De Castries' Formel zu entschlüsseln, doch das hilft ihm kein Deut weiter. Am Ende sind es seine Freundinnen & Freunde, die ihn retten.
Ein Gutteil des Romans ist der Beschreibung dieses Freundeskreises und ihren Gesprächen untereinander gewidmet. Da wird viel philosophiert über den Menschen, die Kunst und die moderne Gesellschaft. Die Schilderung eines gemeinsamen Abends in einem kleinen deutsch-ungarischen Restaurant in der Nachbarschaft bildet für mich einen der kleinen Höhepunkte von Our Lady of Darkness. Und wie sympathisch mutet es an, dass sich in dieser kleinen Gemeinschaft auf ganz natürliche Weise "Intellektuelle" (Franz, Cal, Saul, Gun) und Vertreter der Arbeiterklasse (Dorotea, Fernando) zusammenfinden, ohne einen Hauch von Snobismus.
Dieses menschliche Kernelement verbindet Leiber mit einer Thematik, die ihn schon seit den frühen 40er Jahren beschäftigte: Dem Horror der modernen Großstadt. Wie eine seiner Figuren in der 1942 in Weird Tales veröffentlichten Kurzgeschichte The Hound sagt:
Each culture creates its own demons. Look, the Middle Ages built cathedrals, and pretty soon there were little gray shapes gliding around the night to talk with the gargoyles. Same thing ought to happen to us, with our sky scrapers and factories.Fritz Leibers übernatürliche Schrecken entspringen nicht länger der traditionellen Welt der Geister und Dämonen, der Vampire und Werwölfe, auch wenn sie mitunter deren Gestalt imitieren. Sie sind keine Überbleibsel einer finsteren Vergangenheit, sondern die Hervorbringungen einer nicht weniger finsteren Gegenwart.
Weitere frühe Beispiele für diese Art des Horrors sind seine Stories Smoke Ghost (Unknown Worlds, Oktober 1941) und The Girl With The Hungry Eyes (1949 in der von Donald A. Wohlheim herausgegebenen Anthologie The Girl with the Hungry Eyes, and Other Stories veröffentlicht).
Die Verbindung zwischen dieser Thematik und der okkulten Philosophie des Thibault de Castries ist natürlich offensichtlich. Doch vielleicht noch wichtiger in diesem Zusammenhang ist die Gestalt des Fernsehturms auf Sutro Mountain, die eines der Leitmotive des Romans bildet.
Ein weiterer Grund, warum ich Our Lady of Darkness so sehr liebe, ist, dass Leiber seinen Okkultisten mit der San Franciscoer Bohème der Jahrhundertwende in Verbindung bringt. Ich selbst habe mich in der Vergangenheit einmal sehr eingehend mit diesem Kreis faszinierender Männer und Frauen beschäftigt. Wer mehr darüber erfahren will, lese meine alte und unvollendete Blogpostreihe "Der Décadent der Fantasy" (1 * 2 * 3 * 4 * 5 * 6 * 7 * 8 * 9).
Ganz allgemein ist Our Lady of Darkness u.a. eine Liebeserklärung Fritz Leibers an die Autoren, denen er sich besonders verbunden fühlte, und damit so etwas wie Weird Fiction für Liebhaber klassischer Weird Fiction, auch wenn es sich bei den Autoren nicht durchwegs um Vertreter der Phantastik handelt. Neben M.R. James, dem Kreis um George Sterling und Jack London und {eher am Rande} H.P. Lovecraft findet nämlich auch Dashiell Hammett Erwähnung.
Die hervorragendste Stellung kommt jedoch sicher Clark Ashton Smith zu.
Leiber war ein großer Bewunderer Smiths, den er 1944 einmal "in persona" getroffen hatte.**** Zeit seines Lebens bemühte er sich, dessen Andenken am Leben zu erhalten. Und ich halte es nicht für einen Zufall, dass von dessen Geschichten ausgerechnet The City of the Singing Flame namentliche Erwähnung in Our Lady of Darkness findet, hat Leiber doch von ihr gesagt: "[It] shows a passionate concern for life battling doom which is absent from most of [his] tales, where Smith is simply the devoted chronicler of death". Womit wir wieder zum zentralen Thema von Leibers eigenem außergewöhnlichem Spätwerk zurückgekehrt wären.
* Für die Uneingeweihten: Der Graue Mausling gibt seinem Schwert und seinem Dolch stets die Namen Skalpell und Katzenklaue.
** Der Titel der deutschen Übersetzung Ein Gespenst sucht Texas heim negiert leider die Ironie des Originals. Leiber spielt hier auf den Beginn des Kommunistischen Manifestes an: "Ein Gespenst geht um in Europa / A spectre is haunting Europe".
*** Interessanter- und ärgerlicherweise ist aus der deutschen Übersetzung von Hans Maeter wenigstens eine dieser Anspielungen herrausgeschrieben worden.
**** In diesem Brief aus dem Jahre 1971 schildert Leiber seine Begegnung mit Smith.
** Der Titel der deutschen Übersetzung Ein Gespenst sucht Texas heim negiert leider die Ironie des Originals. Leiber spielt hier auf den Beginn des Kommunistischen Manifestes an: "Ein Gespenst geht um in Europa / A spectre is haunting Europe".
*** Interessanter- und ärgerlicherweise ist aus der deutschen Übersetzung von Hans Maeter wenigstens eine dieser Anspielungen herrausgeschrieben worden.
**** In diesem Brief aus dem Jahre 1971 schildert Leiber seine Begegnung mit Smith.
Danke für die Erinnerungen. Ich habe das Buch im Regal, zweimal gelesen, aber schon seit zwanzig Jahren nicht mehr - aber in sehr guter Erinnerung, und könnte mal wieder.
AntwortenLöschenFritz Leiber: Auch wichtig sein kurzer, aber zentraler Lovecraft-Aufsatz ("A Literary Copernicus"). Ein Eimer Luft, Gonna Roll the Bones, und den kennen die jungen Leute nicht mehr? Ach, ich bin alt.