"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Freitag, 20. Januar 2012

Peter Jackson kann’s nicht lassen


Jetzt ist er also draußen, der Trailer zum Hobbit, und eines wird auf den ersten Blick deutlich: Peter Jackson hat keine Adaption von J.R.R. Tolkiens Kinderbuch, sondern ein Prequel zu seinen eigenen Lord of the Rings - Filmen gedreht. Der Atmosphäre der literarischen Vorlage ist das zwar nicht angemessen, es war aber zu erwarten. Ganz abgesehen von der beschränkten Fantasie des neuseeländischen Regisseurs, hätten die Mechanismen der heutigen Filmindustrie kaum etwas anderes zugelassen. Der Hobbit wird sich an den astronomischen Einspielergebnissen der Lord of the Rings - Trilogie messen lassen müssen, und das Blockbuster-Kino kennt halt nur ein Erfolgsrezept: Immer dasselbe – bloß fetter, lauter, schneller! Was im Falle des Hobbit eigentlich unmöglich sein sollte, denn wie könnte Bilbos Fahrt zum Einsamen Berg den Ringkrieg toppen? Wir dürfen gespannt sein (oder auch nicht).

‘Wulfila’ von der Bibliotheka Phantastika hat einmal die sehr charmante Idee vorgebracht, eine wirklich gelungene Adaption des Hobbit müsste "eine Mischung aus diesen alten tschechischen Märchenfilmen und Heldeneposanklängen an den richtigen Stellen" sein. Doch leider besitzt Peter Jackson weder die poetische Sensibilität eines Václav Vorlíček oder Juraj Herz, noch hat er auch nur die geringste Ahnung davon, was ein Heldenepos in Wahrheit ausmacht. Was wir mit dem Hobbit vorgesetzt bekommen werden, wird deshalb allem Anschein nach nur eine weitere Variante seiner Interpretation von Epic Fantasy sein. Anders ausgedrückt: Jacksons Tolkienadaptionen zeigen uns das Werk des ‘Professors’ stets im Zerrspiegel seiner Epigonen. Hätte er doch bloß Terry Brooks’ Shannara oder meinetwegen die Weis/Hickmansche Dragonlance-Saga verfilmt ...

Nein, ich zähle mich nicht zu den Bewunderern des Neuseeländers. Seine Lord of the Rings - Filme sind in meinen Augen grobschlächtig, dramaturgisch mies gemacht und ziemlich langweilig, und die Aussicht auf eine Neuauflage desselben kann mich deshalb nicht wirklich begeistern. Doch gebe ich gerne zu, dass der Trailer mich zumindest in einer Hinsicht positiv überrascht hat: Das Lied der Zwerge ist wirklich erstaunlich gut gelungen. Wenn in Tolkiens Buch Thorin Eichenschild und seine Gefährten – nachdem sie die Speisekammer des armen Bilbo geplündert haben – ihre Instrumente auspacken und den Gesang über ihr ‘lang vergessenes Gold’ anstimmen, ist es, als öffne sich ein Fenster und gebe den Blick frei auf eine nebelverhangene Landschaft voll archaisch-heroischer Strenge und Schönheit, die sich hinter der bieder-ulkigen Fassade des Eingangskapitels verbirgt. Und tatsächlich scheint es Peter Jackson gelungen zu sein, ein wenig von dieser Stimmung einzufangen, was ich ihm eigentlich nicht zugetraut hätte. Zwar sehen manche seiner Zwerge eher wie bärtige Elben oder lebendig gewordene Coverillustrationen zeitgenössischer 08/15-Fantasy-Schinken aus (– Kili, I look at you! –), aber wenn sie pfeiferauchend im dämmrigen Wohnzimmer von Beutelsend sitzen (das Kaminfeuer ist offensichtlich bereits heruntergebrannt), Thorin in getragener Melodie zu singen beginnt "Far over the Misty Mountains cold" und die anderen nach und nach in das Lied einstimmen, hat das etwas von echt tolkienscher Melancholie. Chapeau! Vergleichbares sucht man in den Lord of the Rings - Filmen vergebens.

Abgesehen davon lässt mich der Trailer jedoch wenig Gutes erwarten. Martin Freeman als Bilbo scheint nicht die schlechteste Wahl gewesen zu sein (auch wenn er natürlich eigentlich viel zu wenig Speck auf den Rippen hat), und der großartige Ian McKellen wird als Gandalf sicher wieder sein Bestes geben, um dem Film ein wenig menschliche Wärme einzuflößen. Aber leider hat schauspielerisches Talent noch nie ausgereicht, um gegen Jacksons künstlerische Primitivität anzukommen. Einen besonders traurigen Beweis dafür werden wir wohl im Hobbit wie schon im Lord of the Rings von Cate Blanchett geliefert bekommen. Sie spielt erneut Galadriel, wobei ich mir nicht sicher bin, um wen es mir dabei am meisten Leid tut: Um Tolkiens Elbenkönigin oder um die australische Schauspielerin, deren unbestreitbares Talent hier einmal mehr sinnlos verschwendet werden wird. Doch Moment mal: Was hat Galadriel im Hobbit überhaupt zu suchen; als Tolkien den schrieb, hatte er die Figur der Herrin von Lórien doch noch nicht einmal erfunden? Die Erklärung liegt in Peter Jacksons traurigem Hang zu ‘epischer Größe’. Damit sein neuer Film dem Lord of the Rings in dieser Hinsicht einigermaßen das Wasser reichen kann, hat er den Hobbit scheinbar um die Geschichte vom Angriff des Weißen Rates auf die Festung des Nekromanten erweitert. Dol Guldur wird vermutlich außerdem als eine Art Moria II herhalten müssen, wenn ich die Szene, in der man Gandalf durch ein düsteres Dungeon stapfen sieht, richtig interpretierte. Wenigstens auf seine geliebten Schlachtszenen hat Jackson im ersten Teil des Hobbit glücklicherweise verzichten müssen. Doch würde ich wetten, dass ein gutes Drittel des zweiten Films der Schlacht der Fünf Heere gewidmet sein wird. Mich gruselt’s jetzt schon.

Ob es besser gewesen wäre, wenn – wie ursprünglich vorgesehen – Guillermo del Toro den Hobbit gedreht hätte? Immerhin haben wir ihm mit El Laberinto del Fauno einen der besten phantastischen Filme des letzten Jahrzehnts zu verdanken. Doch andererseits hat er uns auch Blade II beschert. Ein Garant für erstklassige Filme ist er also nicht. Auch hätte seine Vorliebe für das Bizarre und Groteske, die meinem Geschmack im Allgemeinen sehr entgegenkommt, nicht recht nach Mittelerde gepasst. Alles in allem bin ich darum nicht traurig, dass er letzten Mai als Regisseur aus dem Projekt Hobbit ausgestiegen ist. Bei Jackson weiß ich zumindest ungefähr, was mich erwartet, und es wird bei weitem nicht so grausig sein, wie das Conan-Debakel im letzten Herbst. Ganz sicher werde ich nicht anfangen, die Tage bis zur Premiere zu zählen, aber ich gehe davon aus, dass wir im Dezember 2012 einen recht ordentlich gemachten Fantasystreifen zu sehen bekommen werden, der vielleicht sogar um einige Nuancen besser sein wird als Fellowship of the Ring. Natürlich werde ich mich wieder darüber aufregen, dass man Tolkiens poetische Vorlage in einen banalen Blockbuster verwandelt hat. Der ‘Professor’ selbst sprach in Bezug auf die Kulturindustrie verächtlich von "massenproduzierten Ideen und Emotionen"*. Aber ein Blick in die Trailer von Wrath of the Titans und The Dark Knight Rises hat mich davon überzeugt, dass uns dieses Jahr im phantastischen Film sehr viel schlimmeres bevorsteht als ein weiterer Peter Jackson.

(Da ich mit diesem Post ohnehin bereits viel zu spät dran bin, möchte ich zumindest auf einen aktuellen Artikel von Blackgate’s Scott Taylor über den Hobbit und Justin Gerards Illustrationen hinweisen.)

(Und jetzt schau ich mir erst mal wieder den Rankin/Bass - Hobbit von 1977 an. In vielerlei Hinsicht ein schweres Verbrechen gegen die Menschheit, den guten Geschmack und J.R.R. Tolkien, aber dafür enthält er diesen Song: Down down to Goblin-town!)


* Brief an Christopher Tolkien [31. Juli 1944]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 77. S. 120.


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