Am 24. Juli 1943 trat im Palazzo Venezia in Rom der faschistische Großrat zusammen. Das Regime befand sich in einer tiefen Krise. Im März hatte eine Welle von Massenstreiks die industriellen Zentren des Nordens überrollt. Im Mai waren die in Nordafrika operierenden Armeen der Achsenmächte im Tunis-Feldzug endgültig geschlagen worden. In der Nacht vom 9. auf den 10. Juli hatte die Invasion Siziliens durch die Alliierten begonnen. Den drohenden Zusammenbruch vor Augen, entzog die Mehrheit der versammelten Granden des Faschismus ihrem Duce das Vertrauen. Am nächsten Tag erklärte König Victor Emmanuel III. Mussolini offiziell für abgesetzt und rief Marschall Pietro Badoglio zum neuen Regierungschef aus.
In vielen Städten kam es daraufhin zu spontanen Massendemonstrationen, in deren Verlauf die faschistischen Insignien von den öffentlichen Gebäuden gerissen wurden. Hier und da wurden Parteibüros gestürmt und besonders verhasste Schwarzhemden gelyncht. Der Staatsstreich, mit dem Italiens Elite ihre Haut hatte retten wollen, drohte zum Auslöser für eine revolutionäre Bewegung zu werden, die den Fortbestand der bürgerlichen Ordnung in Frage stellte. Zumal die neue Regierung vorerst darauf beharrte, den Krieg fortzuführen. Im August starteten die Alliierten die bis dahin verheerendsten Luftangriffe auf italienische Städte. Wenig später kam es erneut zu gewaltigen Massenstreiks, u.a. in Mailand und Turin. Die Arbeiter und Arbeiterinnen forderten allerortens Frieden.
Als Badoglio Anfang September tatsächlich einen Waffenstillstand aushandelte, reagierte Nazideutschland mit der Besetzung Norditaliens, der Befreiung Mussolinis und der Errichtung des Marionettenregimes von Salò. Während die Nazis die embryonale Aufstandsbewegung mit brutalem Terror zu unterdrücken versuchten, flohen Badoglio und Victor Emmanuel zusammen mit ihrer Gefolgschaft nach Brindisi, wo sie von den Alliierten mit offenen Armen empfangen wurden. Bis zum Juni 1944 sollten der blutige Kriegsverbrecher und seine mehrheitlich aus Ex-Faschisten bestehende Clique im von Amerikanern und Briten kontrollierten Südteil des Landes die offizielle Regierung bleiben. Schließlich waren auch Roosevelt und Churchill keineswegs an einem revolutionären Umsturz in Italien interessiert.* Zur Aufrechterhaltung der bürgerlichen Ordnung schien ihnen eine Zusammenarbeit mit dem ehemaligen "Herzog von Addis-Abeba" zumindest anfangs durchaus geraten. Was nicht verhindern konnte, dass der antifaschistische Kampf im Norden mit der Bildung von Partisanenverbänden und Aktionen wie dem Generalstreik vom März 1944 immer deutlicher revolutionäre Formen annahm.
Im selben Monat September 1943, der das Einrücken deutscher Truppen in Rom gesehen hatte, machten sich der vierunddreißigjährige Filmemacher Riccardo Freda und sein Freund Leo Longanesi auf einen abenteuerlichen Marsch durch das Bergland der Abruzzen. Um dem Nazi-Besatzungsregime zu entkommen, mussten sie die Frontlinien durchqueren. Dabei hatten die beiden offenbar das Gefühl, die größere Gefahr bestehe darin, versehentlich von alliierten Truppen erschossen zu werden, denn sie trugen zur Tarnung amerikanische Uniformen und stellten sich gegenüber den Bauernfamilien, bei denen sie Unterschlupf für die Nacht fanden, als "Captain Warner" und "Colonel Mayer" vor.
Bisher habe ich mich auf diesem Blog mit Riccardo Freda beinah ausschließlich in seiner Rolle als Wegbereiter Mario Bavas beschäftigt. Auf seine Intitiative hin entstand 1957 mit I Vampiri (vgl. hier) der erste italienische Horrorfilm der Talkie-Ära, bei dem Bava die Kamera führte und für die letzten Tage des Drehs auch die Regie übernahm. Er war, der die Produktion von Caltiki – il mostro immortale (1959; vgl. hier) dazu benutzte, seinem Freund zu dessen erstem eigenen Regieauftrag zu verhelfen, und der damit die Entstehung von La maschera del demonio / Black Sunday (1960; vgl hier]) ermöglichte.
Aber es wäre etwas unfair, wollte man ihn und sein Werk nur unter diesem Blickwinkel betrachten. Sein Platz in der Geschichte des italienischen Genrefilms lässt sich nicht auf seine Vorläufer- und Wegbereiterrolle reduzieren. Immerhin hat er mit L'orribile segreto del Dr. Hichcock (1963) wenigstens ein echtes Meisterwerk des "Gothic Horrors" der 60er Jahre geschaffen.
Geboren am 24. Februar 1909 im ägyptischen Alexandria, wuchs Riccardo Freda nach der Rückkehr der Familie ins heimatliche Italien in Mailand auf. Obwohl von frühester Jugend an ein leidenschaftlicher Filmliebhaber, versuchte er sich zuerst als Bildhauer. Eine interessante Parallele zu Mario Bava, der ja ursprünglich Maler, und nicht Filmemacher hatte werden wollen. Im Alter von 24 Jahren übersiedelte Freda nach Rom und begann einige Zeit später für das neu gegründete Centro sperimentale di cinematografia zu arbeiten – erst als Setdesigner und Drehbuchschreiber, dann auch als Cutter, bis er 1939 schließlich bei Flavio Calzavaras Piccoli Naufraghi zum ersten Mal die Aufgaben eines Regieassistenten übernehmen durfte. Drei Jahre später gründete er seine eigene Produktionsfirma Elica und drehte seinen Debütfilm Don Cesare di Bazan. Der Streifen war kein großer Erfolg, führte aber zu Fredas enger Freundschaft mit dem Kritiker Leo Longanesi.
Als der Filmemacher nach der Befreiung Roms durch die Allierten 1944 in die Hauptstadt zurückkehrte, erlebte das italienische Kino gerade die Geburt einer seiner wohl bedeutensten Strömungen – des Neorealismus. Doch so sehr Freda auch Roberto Rossellinis Filme Roma, città aperta / Rom, offene Stadt (1945) und Paisà (1946) bewunderte, der Bewegung als Ganzem stand er ablehnend gegenüber. In erklärtem Gegensatz zu ihr gab er sich in den folgenden Jahren ganz seiner Liebe zu farbenfrohen Abenteuerfilmen und epischen Historienstreifen hin. Nicht zufällig erklärte er Victor Hugo zum seiner Ansicht nach "besten Drehbuchschreiber aller Zeiten".
Sein erster grroßer Erfolg war der auf Alexander Puschkins unvollendetem Roman Dubrowskij basierende Aquila Nera (1946). Dem folgten u.a. seine zweiteilige Adaption von Les Misérables (1948), der Casanova-Streifen Il cavaliere misterioso (1948), Il conte Ugolino / The Iron Swordsman (1949) und Il figlio di d'Artagnan / Son of d'Artagnan (1950).
In der ersten Hälfte der 50er Jahre wandte Freda sich dann verstärkt dem Antikefilm zu – eine Tradition aufgreifend, die mit epischen Spektakeln wie Enrico Guazzonis Quo vadis? (1913) und Giovanni Pastrones Cabiria (1914) prägend für die frühe Blütezeit des italienischen Films gewesen war.
Doch Spartaco (1953) und Teodora, imperatrice di Bisanzio (1954) stellten nicht bloß einen Rückgriff auf eine glorreiche Kinovergangenheit dar, sondern lassen sich zugleich als erste Vorläufer des Peplum-Genres interpretieren. Sie selbst waren noch keine waschechten Sandalenfilme, aber die mit ihnen vollzogene Wiederbelebung des italienischen Antikefilms kündigte eine Entwicklung an, deren nächste wichtige Stufe der von Dino De Laurentiis produzierte Ulysses von 1954 war, dessen großer Erfolg seinerseits zur Produktion von Pietro Franciscis Ur-Peplum Le fatiche di Ercole (1958) mit Steve Reeves als muskelbepacktem Halbgott führte.
Trotz seiner großen Liebe zu Kostüm- und Abenteuerfilmen blieb Riccardo Fredas Beitrag zum eigentlichen Peplum-Boom mit drei Streifen eher bescheiden. Neben einer Adaption des Argonautenstoffes {drei Jahre vor der berühmten Ray Harryhausen - Fassung}in I giganti della Tessaglia (1960) handelte es sich dabei um zwei Maciste-Filme, von denen interessanterweise keiner in der Antike angesiedelt war {was freilich bei den Abenteuern dieses speziellen Peplum-Heroen nicht gar so selten vorkam}.
Maciste all'inferno / Maciste in Hell aka The Witch's Curse (1962) gehört zum bizarren Subgenre der Horror-Peplums und kombiniert Elemente des "Gothic Horror" mit einer Reise in die Unterwelt, die sicher viel dem Vorbild von Mario Bavas Ercole al centro della terra / Hercules in the Haunted World (1961) verdankt. Vor allem seine grandios dantesken Höllenszenen machen ihn zum sehenswerteren der beiden Flicks. Trotzdem wollen wir uns heute stattdessen seinem Vorgänger Maciste alla corte del Gran Khan (1961) zuwenden.
In den meisten amerikanischen Fassungen der klassischen Sandalenfilme wurde Macistes Name durch den eines anderen Peplum-Heroen ersetzt – häufig Samson, seltener Hercules oder Goliath. Der Grund dafür ist einfach: Für das italienische Publikum war Maciste seit den 20er Jahren eine Art Nationalheld**, aber jenseits des Atlantiks war er eine unbekannte Größe. Warum das amerikanische Kinopublikum mit der Einführung eines ihm fremden Protagonisten unnötig verwirren, wenn man demselben ohne größere Probleme auch den Namen eines anderen, bekannteren Helden verpassen konnte? Schließlich ist es nicht so, dass sich die unterschiedlichen Peplum-Heroen durch individuelle Charakterzüge auszeichnen würden.
Nachdem dies geklärt wäre, eine kurze Zusammenfassung der Handlung:
China im 13. Jahrhundert. Die Mongolen sind in das Reich der Mitte eingefallen und haben seine Bevölkerung versklavt. Ihr Anführer Garak Khan (Leonardo Severini) hat sich zum Regenten gemacht, der im Namen des unmündigen Kronprinzen über das Land herrscht. Alle Versuche der kleinen, von dem mutigen Cho (Dante DiPaolo) angeführten Widerstandsbewegung, das Joch der Besatzer abzuschütteln, werden mit blutigem Terror beantwortet. Doch als der böse Tyrann auf Anraten seiner Geliebten / Konkubine (?) Liu Tai (Hélène Chanel) beschließt, den Prinzen und seine Schwester Lei-ling (Yôko Tani) zu beseitigen, bevor sie zu einer Gefahr für ihn werden können, hat er die Rechnung ohne Maciste (Gordon Scott) gemacht. Der aus dem Nichts aufgetauchte Muskelmann rettet den legitimen Thronerben und nimmt Kontakt zu Chos Rebellen auf. Bald schon schon gesellt sich auch die Garaks Schergen entkommene Lei-ling zu ihnen. Unterstzützt von Chos Kämpfern und einer Gruppe buddhistischer Mönche nehmen die drei den Kampf gegen die Despotie der Mongolen auf.
Maciste alla corte del Gran Khan gehört ganz sicher nicht zu den Juwelen des Genres, aber er ist alles in allem recht unterhaltsam und amüsant. Gordon Scott besitzt zwar nicht das Charisma eines Steve Reeves oder Reg Parker, aber da der Film ohnehin nicht eben mit besonders fesselnden Charakteren gesegnet ist, fällt die Blässe des Protagonisten nicht gar zu unangenehm auf. Es macht immer Spaß, einen Peplum-Heroen im Ringkampf mit Stofftigern oder -löwen zu erleben, und Macistes bewährte Methoden, Bäume auszurupfen, hölzerne Stützpfeiler als improvisierte Knüppel zu verwenden, oder seine menschlichen Widersacher ganz einfach per Hand durch die Gegend zu schleudern, besitzen gleichfalls ihren Charme. Nett auch, dass sich unser Held höflich bei dem Wirt entschuldigt, dessen Gasthaus er im Kampf mit ein paar mongolischen Kriegern gerade auseinandergenommen hat. Und natürlich werden auch ein paar riesige Felsblöcke durch die Gegend gerollt. Das asiatische Setting führt außerdem dazu, dass wir mehr als einmal miterleben dürfen, wie der bloß mit einer Art Lendenschurz bekleidete Maciste durch "chinesisch" gewandete Volksmassen spaziert, kurioserweise ohne dabei besonders viel Aufmerksamkeit zu erregen.
Aber es sind nicht diese neckischen Details, die mein Interesse geweckt und zu diesem Post geführt haben.
Einen Peplum für historische Ungenauigkeit zu kritisieren, ist ohne Frage reichlich absurd. Doch in diesem speziellen Fall ist es meiner Meinung nach recht interessant, die Story des Films mit der historischen Realität zu vergleichen. Immerhin betont der Flick ausdrücklich, dass er im 13. Jahrhundert spielt,*** versucht also Assoziationen mit der realen Eroberung Chinas durch die Mongolen zu wecken. Dementsprechend wurde die französische Fassung Le géant a la cour de Kublai Khan, die deutsche Die wilden Horden des Dschingis Khan getauft.
Und doch hat die Darstellung der mongolischen Invasion so gut wie nichts mit ihrem historischen Vorbild zu tun. Anders als der hinterhältige Garak war Kublai Khan zu keiner Zeit "Regent" im Namen eines Kindkaisers, noch versuchte er seiner Herrschaft durch die Heirat mit einer Sung-Prinzessin größere Legitimität zu verleihen. Vor allem jedoch wurde diese nicht durch eine chinesische Rebellion beendet. Der Großkhan und Kaiser wurde vielmehr zum Begründer der Yüan-Dynastie, die für beinah ein Jahrhundert über das Reich der Mitte herrschte.
{Nicht unerwähnt bleiben soll allerdings, dass die Herrschaft der Yüan am Ende tatsächlich durch eine Revolte gestürzt wurde – durch den gewaltigen Bauernaufstand der "Roten Turbane". Der hatte allerdiings nur wenig Ähnlichkeiten mit Chos Widerstandsbewegung.
Wenn die Handlung also so gut wie nichts mit der Geschichte Chinas zu tun hat, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie dafür Anspielungen auf die deutsche Besatzung in Norditalien enthält.
Wenn in der Eröffnungsszene des Films Chos Rebellen einen Trupp mongolischer Soldaten überfallen, und als Strafe dafür die gesamte Bevölkerung eines benachbarten Dorfes von Garaks Schergen niedergemetzelt wird, hat mich das spontan an Massaker wie die von Sant’ Anna di Stazzema und Marzabotto erinnert. Derartige "Vergeltungsmaßnahmen" waren fester Bestandteil der "Bandenbekämpfung", d.h. des Terrors, den die Nazis im Kampf mit den Partisanen gegen die Zivilbevölkerung entfesselten.****
Betrachtet man Maciste alla corte del Gran Khan unter diesem Blickwinkel, bekommen auch einige der merkwürdigen Züge, die die Mongolenherrschaft in ihm trägt, etwas mehr Sinn. Garak will sich zwar am Ende zum Kaiser ausrufen lassen, regiert jedoch anfangs im Namen einer chinesischen Dynastie. Ebenso machten die Nazis Norditalien nicht zu einem Teil des "Großdeutschen Reiches", sondern operierten offiziell bloß als "Verbündete" und "Verteidiger" des Marionettenregimes von Salò. In der Realität verhielten sie sich freilich ganz als Besatzer und wurden von den Italienern auch als solche wahrgenommen, ganz wie Garaks Mongolen. Auch der frühe Sturz der mongolischen Dynastie macht in diesem Kontext plötzlich Sinn. Und dass der Aufstand mit Macistes Läuten der "Glocke der Freiheit" ("Bell of Freedom") eingeleitet wird, ließe sich gar als Anspielung auf die Rolle der Alliierten bei der Befreiung Italiens interpretieren. Dann allerdings wäre es besonders interessant, dass diese erste Rebellion im Film nicht von unmittelbarem Erfolg gekrönt ist. Erst als Maciste auf gute Peplum-Manier Garaks Palast zum Einsturz bringt und sich das Volk erneut erhebt, finden der Tyrann und seine Schergen ihr {auffallend & verdient unzeremonielles} Ende. Und die Szene, in der der Sitz der Herrschaft wie von einem gewaltigen Erdbeben verwüstet wird, könnte man durchaus als symbolische Darstellung einer Revolution verstehen.
Ich gestehe, all dies ist äußerst spekulativ. Dennoch bin ich fest davon überzeugt, dass sich in vielen Peplums ein rebellisches Element findet, das auf die Zeit des antifaschistischen Kampfes der 40er Jahre zurückweist. Vergleichbares gilt übrigens auch für die klassischen Kungfu-Filme der Shaw-Brüder, die sehr häufig auf die Traditionen des Kampfes gegen die Despotie des letzten Kaiserhauses (Qing) oder des antikolonialistischen "Boxeraufstands" zurückgreifen. Zugegebenermaßen geschieht dies für gewöhnlich auf sehr oberflächliche Weise. Dennoch finde ich es äußerst bezeichnend, dass alle Versuche der letzten Jahrzehnte, an diese alten B-Movie - Traditionen anzuknüpfen, meines Wissens nach nie diesen Funken der Rebellion enthalten haben.
In vielen Städten kam es daraufhin zu spontanen Massendemonstrationen, in deren Verlauf die faschistischen Insignien von den öffentlichen Gebäuden gerissen wurden. Hier und da wurden Parteibüros gestürmt und besonders verhasste Schwarzhemden gelyncht. Der Staatsstreich, mit dem Italiens Elite ihre Haut hatte retten wollen, drohte zum Auslöser für eine revolutionäre Bewegung zu werden, die den Fortbestand der bürgerlichen Ordnung in Frage stellte. Zumal die neue Regierung vorerst darauf beharrte, den Krieg fortzuführen. Im August starteten die Alliierten die bis dahin verheerendsten Luftangriffe auf italienische Städte. Wenig später kam es erneut zu gewaltigen Massenstreiks, u.a. in Mailand und Turin. Die Arbeiter und Arbeiterinnen forderten allerortens Frieden.
Als Badoglio Anfang September tatsächlich einen Waffenstillstand aushandelte, reagierte Nazideutschland mit der Besetzung Norditaliens, der Befreiung Mussolinis und der Errichtung des Marionettenregimes von Salò. Während die Nazis die embryonale Aufstandsbewegung mit brutalem Terror zu unterdrücken versuchten, flohen Badoglio und Victor Emmanuel zusammen mit ihrer Gefolgschaft nach Brindisi, wo sie von den Alliierten mit offenen Armen empfangen wurden. Bis zum Juni 1944 sollten der blutige Kriegsverbrecher und seine mehrheitlich aus Ex-Faschisten bestehende Clique im von Amerikanern und Briten kontrollierten Südteil des Landes die offizielle Regierung bleiben. Schließlich waren auch Roosevelt und Churchill keineswegs an einem revolutionären Umsturz in Italien interessiert.* Zur Aufrechterhaltung der bürgerlichen Ordnung schien ihnen eine Zusammenarbeit mit dem ehemaligen "Herzog von Addis-Abeba" zumindest anfangs durchaus geraten. Was nicht verhindern konnte, dass der antifaschistische Kampf im Norden mit der Bildung von Partisanenverbänden und Aktionen wie dem Generalstreik vom März 1944 immer deutlicher revolutionäre Formen annahm.
Im selben Monat September 1943, der das Einrücken deutscher Truppen in Rom gesehen hatte, machten sich der vierunddreißigjährige Filmemacher Riccardo Freda und sein Freund Leo Longanesi auf einen abenteuerlichen Marsch durch das Bergland der Abruzzen. Um dem Nazi-Besatzungsregime zu entkommen, mussten sie die Frontlinien durchqueren. Dabei hatten die beiden offenbar das Gefühl, die größere Gefahr bestehe darin, versehentlich von alliierten Truppen erschossen zu werden, denn sie trugen zur Tarnung amerikanische Uniformen und stellten sich gegenüber den Bauernfamilien, bei denen sie Unterschlupf für die Nacht fanden, als "Captain Warner" und "Colonel Mayer" vor.
Bisher habe ich mich auf diesem Blog mit Riccardo Freda beinah ausschließlich in seiner Rolle als Wegbereiter Mario Bavas beschäftigt. Auf seine Intitiative hin entstand 1957 mit I Vampiri (vgl. hier) der erste italienische Horrorfilm der Talkie-Ära, bei dem Bava die Kamera führte und für die letzten Tage des Drehs auch die Regie übernahm. Er war, der die Produktion von Caltiki – il mostro immortale (1959; vgl. hier) dazu benutzte, seinem Freund zu dessen erstem eigenen Regieauftrag zu verhelfen, und der damit die Entstehung von La maschera del demonio / Black Sunday (1960; vgl hier]) ermöglichte.
Aber es wäre etwas unfair, wollte man ihn und sein Werk nur unter diesem Blickwinkel betrachten. Sein Platz in der Geschichte des italienischen Genrefilms lässt sich nicht auf seine Vorläufer- und Wegbereiterrolle reduzieren. Immerhin hat er mit L'orribile segreto del Dr. Hichcock (1963) wenigstens ein echtes Meisterwerk des "Gothic Horrors" der 60er Jahre geschaffen.
Geboren am 24. Februar 1909 im ägyptischen Alexandria, wuchs Riccardo Freda nach der Rückkehr der Familie ins heimatliche Italien in Mailand auf. Obwohl von frühester Jugend an ein leidenschaftlicher Filmliebhaber, versuchte er sich zuerst als Bildhauer. Eine interessante Parallele zu Mario Bava, der ja ursprünglich Maler, und nicht Filmemacher hatte werden wollen. Im Alter von 24 Jahren übersiedelte Freda nach Rom und begann einige Zeit später für das neu gegründete Centro sperimentale di cinematografia zu arbeiten – erst als Setdesigner und Drehbuchschreiber, dann auch als Cutter, bis er 1939 schließlich bei Flavio Calzavaras Piccoli Naufraghi zum ersten Mal die Aufgaben eines Regieassistenten übernehmen durfte. Drei Jahre später gründete er seine eigene Produktionsfirma Elica und drehte seinen Debütfilm Don Cesare di Bazan. Der Streifen war kein großer Erfolg, führte aber zu Fredas enger Freundschaft mit dem Kritiker Leo Longanesi.
Als der Filmemacher nach der Befreiung Roms durch die Allierten 1944 in die Hauptstadt zurückkehrte, erlebte das italienische Kino gerade die Geburt einer seiner wohl bedeutensten Strömungen – des Neorealismus. Doch so sehr Freda auch Roberto Rossellinis Filme Roma, città aperta / Rom, offene Stadt (1945) und Paisà (1946) bewunderte, der Bewegung als Ganzem stand er ablehnend gegenüber. In erklärtem Gegensatz zu ihr gab er sich in den folgenden Jahren ganz seiner Liebe zu farbenfrohen Abenteuerfilmen und epischen Historienstreifen hin. Nicht zufällig erklärte er Victor Hugo zum seiner Ansicht nach "besten Drehbuchschreiber aller Zeiten".
Sein erster grroßer Erfolg war der auf Alexander Puschkins unvollendetem Roman Dubrowskij basierende Aquila Nera (1946). Dem folgten u.a. seine zweiteilige Adaption von Les Misérables (1948), der Casanova-Streifen Il cavaliere misterioso (1948), Il conte Ugolino / The Iron Swordsman (1949) und Il figlio di d'Artagnan / Son of d'Artagnan (1950).
In der ersten Hälfte der 50er Jahre wandte Freda sich dann verstärkt dem Antikefilm zu – eine Tradition aufgreifend, die mit epischen Spektakeln wie Enrico Guazzonis Quo vadis? (1913) und Giovanni Pastrones Cabiria (1914) prägend für die frühe Blütezeit des italienischen Films gewesen war.
Doch Spartaco (1953) und Teodora, imperatrice di Bisanzio (1954) stellten nicht bloß einen Rückgriff auf eine glorreiche Kinovergangenheit dar, sondern lassen sich zugleich als erste Vorläufer des Peplum-Genres interpretieren. Sie selbst waren noch keine waschechten Sandalenfilme, aber die mit ihnen vollzogene Wiederbelebung des italienischen Antikefilms kündigte eine Entwicklung an, deren nächste wichtige Stufe der von Dino De Laurentiis produzierte Ulysses von 1954 war, dessen großer Erfolg seinerseits zur Produktion von Pietro Franciscis Ur-Peplum Le fatiche di Ercole (1958) mit Steve Reeves als muskelbepacktem Halbgott führte.
Trotz seiner großen Liebe zu Kostüm- und Abenteuerfilmen blieb Riccardo Fredas Beitrag zum eigentlichen Peplum-Boom mit drei Streifen eher bescheiden. Neben einer Adaption des Argonautenstoffes {drei Jahre vor der berühmten Ray Harryhausen - Fassung}in I giganti della Tessaglia (1960) handelte es sich dabei um zwei Maciste-Filme, von denen interessanterweise keiner in der Antike angesiedelt war {was freilich bei den Abenteuern dieses speziellen Peplum-Heroen nicht gar so selten vorkam}.
Maciste all'inferno / Maciste in Hell aka The Witch's Curse (1962) gehört zum bizarren Subgenre der Horror-Peplums und kombiniert Elemente des "Gothic Horror" mit einer Reise in die Unterwelt, die sicher viel dem Vorbild von Mario Bavas Ercole al centro della terra / Hercules in the Haunted World (1961) verdankt. Vor allem seine grandios dantesken Höllenszenen machen ihn zum sehenswerteren der beiden Flicks. Trotzdem wollen wir uns heute stattdessen seinem Vorgänger Maciste alla corte del Gran Khan (1961) zuwenden.
In den meisten amerikanischen Fassungen der klassischen Sandalenfilme wurde Macistes Name durch den eines anderen Peplum-Heroen ersetzt – häufig Samson, seltener Hercules oder Goliath. Der Grund dafür ist einfach: Für das italienische Publikum war Maciste seit den 20er Jahren eine Art Nationalheld**, aber jenseits des Atlantiks war er eine unbekannte Größe. Warum das amerikanische Kinopublikum mit der Einführung eines ihm fremden Protagonisten unnötig verwirren, wenn man demselben ohne größere Probleme auch den Namen eines anderen, bekannteren Helden verpassen konnte? Schließlich ist es nicht so, dass sich die unterschiedlichen Peplum-Heroen durch individuelle Charakterzüge auszeichnen würden.
Nachdem dies geklärt wäre, eine kurze Zusammenfassung der Handlung:
China im 13. Jahrhundert. Die Mongolen sind in das Reich der Mitte eingefallen und haben seine Bevölkerung versklavt. Ihr Anführer Garak Khan (Leonardo Severini) hat sich zum Regenten gemacht, der im Namen des unmündigen Kronprinzen über das Land herrscht. Alle Versuche der kleinen, von dem mutigen Cho (Dante DiPaolo) angeführten Widerstandsbewegung, das Joch der Besatzer abzuschütteln, werden mit blutigem Terror beantwortet. Doch als der böse Tyrann auf Anraten seiner Geliebten / Konkubine (?) Liu Tai (Hélène Chanel) beschließt, den Prinzen und seine Schwester Lei-ling (Yôko Tani) zu beseitigen, bevor sie zu einer Gefahr für ihn werden können, hat er die Rechnung ohne Maciste (Gordon Scott) gemacht. Der aus dem Nichts aufgetauchte Muskelmann rettet den legitimen Thronerben und nimmt Kontakt zu Chos Rebellen auf. Bald schon schon gesellt sich auch die Garaks Schergen entkommene Lei-ling zu ihnen. Unterstzützt von Chos Kämpfern und einer Gruppe buddhistischer Mönche nehmen die drei den Kampf gegen die Despotie der Mongolen auf.
Maciste alla corte del Gran Khan gehört ganz sicher nicht zu den Juwelen des Genres, aber er ist alles in allem recht unterhaltsam und amüsant. Gordon Scott besitzt zwar nicht das Charisma eines Steve Reeves oder Reg Parker, aber da der Film ohnehin nicht eben mit besonders fesselnden Charakteren gesegnet ist, fällt die Blässe des Protagonisten nicht gar zu unangenehm auf. Es macht immer Spaß, einen Peplum-Heroen im Ringkampf mit Stofftigern oder -löwen zu erleben, und Macistes bewährte Methoden, Bäume auszurupfen, hölzerne Stützpfeiler als improvisierte Knüppel zu verwenden, oder seine menschlichen Widersacher ganz einfach per Hand durch die Gegend zu schleudern, besitzen gleichfalls ihren Charme. Nett auch, dass sich unser Held höflich bei dem Wirt entschuldigt, dessen Gasthaus er im Kampf mit ein paar mongolischen Kriegern gerade auseinandergenommen hat. Und natürlich werden auch ein paar riesige Felsblöcke durch die Gegend gerollt. Das asiatische Setting führt außerdem dazu, dass wir mehr als einmal miterleben dürfen, wie der bloß mit einer Art Lendenschurz bekleidete Maciste durch "chinesisch" gewandete Volksmassen spaziert, kurioserweise ohne dabei besonders viel Aufmerksamkeit zu erregen.
Aber es sind nicht diese neckischen Details, die mein Interesse geweckt und zu diesem Post geführt haben.
Einen Peplum für historische Ungenauigkeit zu kritisieren, ist ohne Frage reichlich absurd. Doch in diesem speziellen Fall ist es meiner Meinung nach recht interessant, die Story des Films mit der historischen Realität zu vergleichen. Immerhin betont der Flick ausdrücklich, dass er im 13. Jahrhundert spielt,*** versucht also Assoziationen mit der realen Eroberung Chinas durch die Mongolen zu wecken. Dementsprechend wurde die französische Fassung Le géant a la cour de Kublai Khan, die deutsche Die wilden Horden des Dschingis Khan getauft.
Und doch hat die Darstellung der mongolischen Invasion so gut wie nichts mit ihrem historischen Vorbild zu tun. Anders als der hinterhältige Garak war Kublai Khan zu keiner Zeit "Regent" im Namen eines Kindkaisers, noch versuchte er seiner Herrschaft durch die Heirat mit einer Sung-Prinzessin größere Legitimität zu verleihen. Vor allem jedoch wurde diese nicht durch eine chinesische Rebellion beendet. Der Großkhan und Kaiser wurde vielmehr zum Begründer der Yüan-Dynastie, die für beinah ein Jahrhundert über das Reich der Mitte herrschte.
{Nicht unerwähnt bleiben soll allerdings, dass die Herrschaft der Yüan am Ende tatsächlich durch eine Revolte gestürzt wurde – durch den gewaltigen Bauernaufstand der "Roten Turbane". Der hatte allerdiings nur wenig Ähnlichkeiten mit Chos Widerstandsbewegung.
Wenn die Handlung also so gut wie nichts mit der Geschichte Chinas zu tun hat, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie dafür Anspielungen auf die deutsche Besatzung in Norditalien enthält.
Wenn in der Eröffnungsszene des Films Chos Rebellen einen Trupp mongolischer Soldaten überfallen, und als Strafe dafür die gesamte Bevölkerung eines benachbarten Dorfes von Garaks Schergen niedergemetzelt wird, hat mich das spontan an Massaker wie die von Sant’ Anna di Stazzema und Marzabotto erinnert. Derartige "Vergeltungsmaßnahmen" waren fester Bestandteil der "Bandenbekämpfung", d.h. des Terrors, den die Nazis im Kampf mit den Partisanen gegen die Zivilbevölkerung entfesselten.****
Betrachtet man Maciste alla corte del Gran Khan unter diesem Blickwinkel, bekommen auch einige der merkwürdigen Züge, die die Mongolenherrschaft in ihm trägt, etwas mehr Sinn. Garak will sich zwar am Ende zum Kaiser ausrufen lassen, regiert jedoch anfangs im Namen einer chinesischen Dynastie. Ebenso machten die Nazis Norditalien nicht zu einem Teil des "Großdeutschen Reiches", sondern operierten offiziell bloß als "Verbündete" und "Verteidiger" des Marionettenregimes von Salò. In der Realität verhielten sie sich freilich ganz als Besatzer und wurden von den Italienern auch als solche wahrgenommen, ganz wie Garaks Mongolen. Auch der frühe Sturz der mongolischen Dynastie macht in diesem Kontext plötzlich Sinn. Und dass der Aufstand mit Macistes Läuten der "Glocke der Freiheit" ("Bell of Freedom") eingeleitet wird, ließe sich gar als Anspielung auf die Rolle der Alliierten bei der Befreiung Italiens interpretieren. Dann allerdings wäre es besonders interessant, dass diese erste Rebellion im Film nicht von unmittelbarem Erfolg gekrönt ist. Erst als Maciste auf gute Peplum-Manier Garaks Palast zum Einsturz bringt und sich das Volk erneut erhebt, finden der Tyrann und seine Schergen ihr {auffallend & verdient unzeremonielles} Ende. Und die Szene, in der der Sitz der Herrschaft wie von einem gewaltigen Erdbeben verwüstet wird, könnte man durchaus als symbolische Darstellung einer Revolution verstehen.
Ich gestehe, all dies ist äußerst spekulativ. Dennoch bin ich fest davon überzeugt, dass sich in vielen Peplums ein rebellisches Element findet, das auf die Zeit des antifaschistischen Kampfes der 40er Jahre zurückweist. Vergleichbares gilt übrigens auch für die klassischen Kungfu-Filme der Shaw-Brüder, die sehr häufig auf die Traditionen des Kampfes gegen die Despotie des letzten Kaiserhauses (Qing) oder des antikolonialistischen "Boxeraufstands" zurückgreifen. Zugegebenermaßen geschieht dies für gewöhnlich auf sehr oberflächliche Weise. Dennoch finde ich es äußerst bezeichnend, dass alle Versuche der letzten Jahrzehnte, an diese alten B-Movie - Traditionen anzuknüpfen, meines Wissens nach nie diesen Funken der Rebellion enthalten haben.
* Stalin übrigens auch nicht, aber auf dieses Thema und den schließlichen Verrat der KPI an den revolutionären Aspirationen der arbeitenden Massen Italiens kann ich im Rahmen dieses Beitrags nicht genauer eingehen.
** In meiner Bespechung von Ercole al centro della terra bin ich ein Bisschen genauer auf diese Vorgeschichte eingegangen.
*** Ich stütze mich hier auf die amerikanische Fassung, gehe aber davon aus, dass es sich im italienischen Original nicht anders verhält.
**** Vgl.: Elisabeth Zimmermann: Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. Teil 1 * Teil 2 * Teil 3.
** In meiner Bespechung von Ercole al centro della terra bin ich ein Bisschen genauer auf diese Vorgeschichte eingegangen.
*** Ich stütze mich hier auf die amerikanische Fassung, gehe aber davon aus, dass es sich im italienischen Original nicht anders verhält.
**** Vgl.: Elisabeth Zimmermann: Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. Teil 1 * Teil 2 * Teil 3.
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