No decided action or sharp personal effort would be
looked for from him. It was the very reverse of the
train. He walked quietly out into the street feeling
soothed and peaceful. He realised that he was in
a milieu that suited him and stroked him the
right way. It was so much easier to be obedient.
He began to purr again, and to feel that all the
town purred with him.
Algernon Blackwood: Ancient Sorceries
H.P. Lovecraft, der selbst ein überzeugter Materialist und leidenschaftlicher Verächter aller Formen des Mystizismus war, schreibt in seinem berühmten Essay Supernatural Horror in Literature,
dass Okkultisten das Gespenstische und Phantastische wohl weniger wirkungsvoll beschreiben können als Materialisten, da ihnen die Geisterwelt so real vorkommt, dass sie sich mit geringerer Ehrfurcht und Distanziertheit sowie weniger eindrucksvoll darauf beziehen als jene, die darin eine absolute und ungeheuerliche Verletzung der natürlichen Ordnung erblicken.*Erstaunlicherweise zählt der alte Gentleman in demselben Essay eben einen solchen Okkultisten zu den vier modernen Großmeistern des Genres: Algernon Blackwood.
Am 14. März 1869 in Shooter's Hill / Kent als Sohn des späteren "Secretary of the Post Office" Sir Stevenson Arthur Blackwood geboren, wuchs der spätere Schriftsteller in einem geistig sehr engen, von extremem Calvinismus geprägten Umfeld auf. Mit sechzehn Jahren schickten ihn seine Eltern nach Königsfeld im Schwarzwald, wo er eine Zeit lang die Schule der Herrenhuter Brüdergemeine besuchte.
Auf Dauer musste diese stickige Atmosphäre dem sensiblen jungen Mann immer unerträglicher werden. Das Bemühen, ihr zu entkommen, führte ihn schließlich dazu, sich dem religiösen Schrifttum des alten Indien, der Philosophie des Vedanta, der Bhagavad Gita, der buddhistischen Sutren zuzuwenden. Doch wie so viele Europäer und Amerikaner dieser Ära, die ihr Heil im "Licht aus dem Osten" zu finden versuchten, erreichten auch ihn diese mystischen Lehren nicht in ihrer originären Form, sondern vermittelt über die synkretistische Heilslehre der Theosophie, die Helena Blavatsky im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts geschaffen hatte.
Der zweite Fluchtweg führte Blackwood hinaus in die Natur – zuerst in den Schwarzwald, später u.a. in die Alpen, das Tal der Donau und die wilden Wälder Kanadas.
In Blackwoods Weltsicht und Empfinden kam es zu einer gegenseitigen Befruchtung und partiellen Verschmelzung dieser beiden Pfade der Befreiung oder Rebellion. An ihrem Ende stand eine eigentümliche Form des Pantheismus, in der das Numinose und die Natur zu einer Art Einheit geworden waren, die im Menschen sowohl Ehrfurcht und Sehnsucht als auch Beunruhigung und Schrecken hervorrufen kann.
Nach einigem Hin und Her machte sich Algernon Blackwood 1890 nach Kanada auf. Versuche eine Kariere als Farmer oder Hotelier zu beginnen, scheiterten schon sehr bald. Noch frustrierender müssen seine Erfahrungen in New York gewesen sein, wo er sich als Journalist zu etablieren versuchte, nur um von einem Bekannten betrogen und ausgeplündert zu werden. Erst 1895, als er von der New York Times engagiert wurde, gelang es ihm endlich, eine finanziell einigermaßen abgesicherte Existenz zu gründen. Zwar Jahre später begann er als Privatsekretär für den Bankier James Speyer zu arbeiten.
Parallel zu diesen wenig erfreulichen Abenteuern verfolgte er weiterhin seine beiden Fluchtwege. Noch in Europa war er der Theosophischen Gesellschaft beigetreten und wurde 1891 zu einem der Mitbegründer der ersten kanadischen Loge in Toronto. Daneben zog es ihn immer wieder für längere Zeit hinaus in die Wildnis von Kanada oder Upstate New York zum Jagen, Fischen, Kanufahren. James Machin schreibt in seinem bei Weird Fiction Review veröffentlichten Essay:
By his late thirties he had acquired the deeply tanned and lived-in skin of the trapper, a sun-lightened and piercing gaze, and a skill at expertly holding the listeners’ attention with a hunting anecdote or an allegedly authentic ghost story, or the combination thereof upon which his reputation as an acknowledged master was eventually built.Irgendwann allerdings konnte Blackwood das korrupte Milieu von New York mit den prinzipienlosen politischen Machinationen der Bosse von Tammany Hall und der nicht weniger prinzipienlosen Profitgier der Wall Street - Magnaten einfach nicht mehr länger ertragen. "I seemed covered with sore and tender places into which New York rubbed salt and acid every hour of the day".** 1890 kehrte er nach England zurück.
Im darauffolgenden Jahr trat er dem "Hermetic Order of the Golden Dawn" bei – jener berühmten okkulistischen Vereinigung, die zu ihren Mitgliedern u.a. auch William Butler Yeats, Arthur Machen und Aleister Crowley zählte. Ungefähr zur selben Zeit begann er mit dem Verfassen unheimlicher und phantastischer Geschichten. Eher durch Zufall gelangten einige von ihnen schließlich in die Hände der Verlegerin Eveleigh Nash, die einige Jahre später übrigens auch William Hope Hodgsons magnum opus The Night Land und seinen Carnacki, the Ghost-Finder veröffentlichen sollte. 1906 erschien der erste Band mit unheimlichen Erzählungen von Algernon Blackwood unter dem Titel The Empty House and Other Ghost Stories. Ihm folgte 1907 The Listener and Other Stories, die u.a. auch die wohl berühmteste Erzählung des Autors – The Willows – enthielt. Die dritte Anthologie John Silence – Physician Extraordinaire "was promoted by an innovative advertising campaign which saw the beatific gaze of that most pleasant of occult detectives emanating from vast advertising hoardings across London"***, und wurde zu einem so großen Erfolg, dass Blackwood die Schriftstellerei endgültig zu seinem Hauptberuf machen und sich 1908 in der Schweiz niederlassen konnte.
Sein Interesse am Okkulten blieb auch in späteren Jahren ungebrochen. So besuchte er z.B. in den 20er Jahren die Prieuré des Basses Loges in Fontainebleau, wo die russischen Gurus Gurdjieff und Uspenski eine Schar von Jüngern um sich geschart hatten, und trat in den 30er Jahren dem Londoner "Ghost Club" bei, der sich der Erforschung des "Paranormalen" verschrieben hatte.
In großen Teilen von Algernon Blackwoods literarischem Werk finden sich sehr deutliche Spuren sowohl von seiner ebenso intensiven wie zwiespältigen Beziehung zur Natur, als auch von seinen okkultistischen Überzeugungen. Er selbst hat einmal erklärt:
My fundamental interest, I suppose, is signs and proofs of other powers that lie hidden in us all; the extension, in other words, of human faculty. So many of my stories, therefore, deal with extension of consciousness; speculative and imaginative treatment of possibilities outside our normal range of consciousness. ... Also, all that happens in our universe is natural; under Law; but an extension of our so limited normal consciousness can reveal new, extra-ordinary powers etc., and the word "supernatural" seems the best word for treating these in fiction. I believe it possible for our consciousness to change and grow, and that with this change we may become aware of a new universe. A "change" in consciousness, in its type, I mean, is something more than a mere extension of what we already possess and know.Doch während u.a. so großartige Erzählungen wie The Willows und The Wendigo beredtes Zeugnis dafür ablegen, dass sich Blackwoods eigenwilliger Pantheismus als literarisch äußerst fruchtbar erweisen konnte, lässt sich dasselbe meiner Meinung nach nur mit Vorbehalten über seinen Okkultismus sagen. Meine Gründe für diese Einschätzung sehen allerdings etwas anders aus als die von H.P. Lovecraft.
Bei aller Sehnsucht nach dem Numinosen und Übersinnlichen haftet dem modernen Mystizismus doch sehr oft etwas pseudorationalistisches an. Seine Gründer & Gründerinnen entstammten sämtlichst einem von Aufklärung und Wissenschaft geprägten Milieu, und wie groß ihr Abscheu vor der "Seelenlosigkeit" der modernen Zivilisation auch immer war, nie gelang es ihnen, dieses Erbe völlig abzuschütteln. So kleideten sie ihre Überzeugungen sehr oft in pseudowissenschaftliche Formen und priesen sie als eine Verschmelzung "uralter Weisheiten" und "moderner Erkenntnisse" an. Madame Blavatskys The Secret Doctrine – die schmerbäuchige "Bibel" der Theosophie – ist dafür ein ausgezeichnetes Beispiel. Fließen Elemente dieses modernen Mystizismus in phantastische Erzählungen ein, so kommen dabei nicht selten Passagen heraus, die merkwürdig trocken und prosaisch wirken. Da wird dann das Übernatürliche auf geradezu pedantische Weise zergliedert, klassifiziert und erläutert, was für die Atmosphäre der Geschichte ähnlich fatale Folgen haben kann, wie irgendwelche rationalistischen Erklärungen à la Ann Radcliffe, mit denen der ganze Spuk am Ende auf irgendwelche mundanen Tricks zurückgeführt wird. Pseudowissenschaftlich zerpflückt und in ein eindeutig formulierbares Regelwerk gezwängt verliert das Phantastische sehr viel an Faszinationskraft.
Leider findet sich Vergleichbares auch bei Algernon Blackwood immer mal wieder, und seine John Silence - Stories bilden da keine Ausnahme.
John Silence gilt nach Sheridan Le Fanus Dr. Hesselius als eine der frühesten Verkörperungen des "okkulten Detektivs". Anders als sein unmittelbarer Nachfolger Carnacki, in dem der Typus seine erste "klassische" Ausformung fand, ist er freilich noch kein Detektiv oder Geisterjäger im eigentlichen Sinne, sondern ein Arzt mit einer besonderen Vorliebe für Krankheitsfälle
of that intangible, elusive, and difficult nature best described as psychical afflictions; and, though he would have been the last person himself to approve of the title, it was beyond question that he was known more or less generally as the “Psychic Doctor.”****Mit einer besonderen Sensibilität für alles Okkulte begabt, die er in fünf Jahren voller geheimnisvoller Studien und Experimente aufs Äußerste geschärft und fokussiert hat, bemüht sich der zutiefst humane Doktor, all jenen zu helfen, deren geistige und körperliche Gesundheit von den mysteriösen Mächten jenseits der sichtbaren Welt bedroht wird. Anders als etwa Carnacki bedient er sich dabei keiner technischen oder magischen Hilfsmittel, sondern ausschließlich seines tiefen Verständnisses für die menschliche Psyche und seiner unerschütterlichen Geisteskraft. Es mag deshalb auch nicht verwundern, dass Ancient Sorceries – die Story, mit der wir uns jetzt kurz beschäftigten wollen – weniger wie die Schilderung eines Kriminalfalls, sondern eher wie das Protokoll eines Patientengesprächs oder einer psychotherapeutischen Sitzung wirkt.
In seinem kurzen Essay The Tale of Macrocosmic Horror schreibt Clark Ashton Smith,
In authors such as Algernon Blackwood and Walter de la Mare, it seems to me that the accent is primarily on human character. But in their work (at least, in any of it that I have read) one fails to find the highest imaginative horror, the overwhelming sweep of black, gulf-arisen wings, such as is conveyed in the best tales of Ambrose Bierce, Poe and H. P. Lovecraft, where human character is treated more briefly and subversively.Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich mich dieser Einschätzung in ihrem zweiten Teil anschließen würde, aber dass die menschlichen Charaktere, ihre psychischen Eigenheiten und ihre Empfindungen, bei Blackwood eine sehr viel zentralere Rolle spielen als etwa bei Lovecraft, ist ohne Zweifel richtig. Doch macht für mich gerade das den besonderen Reiz von Geschichten wie Ancient Sorceries aus.
Arthur Vezin ist ein unauffälliger und äußerst schüchterner Mann in den mittleren Jahren – "a timid, gentle, sensitive soul, rarely able to assert himself, tender to man and beast, and almost constitutionally unable to say No, or to claim many things that should rightly have been his." In der Gesellschaft energischer auftretender Menschen fühlt er sich ausgesprochen unwohl, weckt deren Verhalten doch jedesmal ein Gefühl von Scham und Minderwertigkeit in ihm. Sollte nicht auch er ein vergleichbares Durchsetzungsvermögen an den Tag legen können? Doch nein, stattdessen lässt er sich wie willenlos herumschubsen und verkriecht sich in irgendeinen Winkel! Kurz gesagt, der gute Mr. Vezin leidet an tiefen Minderwertigkeitskomplexen, verstärkt vielleicht noch durch das Gefühl, nicht "männlich" genug zu sein. {Er ist ein in die Jahre gekommener Junggeselle, der mit seiner gleichfalls unverheirateten Schwester zusammenlebt, und die Story deutet zumindest an, dass er in seinem ganzen Leben keine einzige sexuelle Beziehung gehabt hat.}
Als er sich auf der Rückfahrt von einem Frankreichurlaub von einer ganzen Schar lauter und ziemlich vulgärer englischer Touristen umgeben sieht, überkommt ihn auf einmal das übermächtige Verlangen, den Zug in einem kleinen französischen Städtchen zu verlassen. Und tatsächlich macht die mittelalterlich anmutende Ortschaft mit ihrer alten Kathedrale und ihren verwinkelten Gässchen zuerst einmal einen beinah paradiesischen Eindruck auf ihn. Hier muss er kein Durchsetzungsvermögen an den Tag legen. Niemand zwingt ihn, eigene Entscheidungen zu fällen. Er muss nichts weiter tun, als sich ganz der verschlafenen, beinah unwirklich und zeitlos anmutenden Atmosphäre des Ortes hinzugeben.
Ganz großartig gelingt es Algernon Blackwood, den verführerischen Zauber dieser kleinen Stadt fühlbar zu machen. Bald schon allerdings mischt sich in das idyllische Bild ein Element des Unheimlichen und Verstörenden. Ähneln der Ort und seine Bewohner nicht einer scheinbar ganz friedvoll vor sich hin schlummernden Katze, die in Wirklichkeit hellwach ist und nur auf den geeigneten Augenblick wartet, um sich auf ihr argloses Opfer zu stürzen?
Die besondere Qualität dieser Geschichte besteht aus dem Zusammenspiel zwischen der zwar nur in wenigen Strichen, aber dennoch äußerst sensibel gezeichneten Persönlichkeit des Protagonisten und der traumartigen Atmosphäre des geheimnisvollen Städtchens. Die finstere Verführung, der Mr. Vezin am Ende beinah anheimfällt, spiegelt seine eigenen Unsicherheiten und unterdrückten Sehnsüchte wider. In dieser Hinsicht bewies Lovecraft großes Feingefühl, wenn er über Algernon Blackwoods erzählerisches Talent schrieb:
Er begreift mehr als jeder andere, wie vollständig einige empfindsame Gemüter ewig im Grenzland der Träume verweilen und wie gering der Unterschied zwischen jenen Bildern ist, die auf realen Objekten basieren, und jenen, die durch das Spiel der Phantasie erzeugt werden.*****Oder wie Blackwood selbst in Ancient Sorceries über die wachsende Furcht seines Protagonisten schreibt: "Of course it was nonsense, but then it haunted him, and once an idea begins to do that it ceases to be nonsense. It has clothed itself in reality." Nicht zufällig besteht die Gefahr, in der viele von Blackwoods Protagonisten schweben, in dem drohenden Verlust des eigenen Ich.
Um so ärgerlicher muss es freilich wirken, wenn wir am Ende von Ancient Sorceries aus dem Munde von Dr. John Silence erfahren, dass Verzins verstörendes Abenteuer letztenendes auf Reinkarnation und irgendwelche überlappenden Zeitsphären zurückzuführen sei. Solche läppischen, "esoterischen" Erklärungen, vorgetragen in einem trockenen, "akademischen" Tonfall zerstören unglücklicherweise etwas von dem faszinierenden Zauber der bis dahin äußerst kunstvoll gewobenen Erzählung und hinterlassen einen etwas schalen Nachgeschmack.
* H..P. Lovecraft: Das übernatürliche Grauen in der Literatur. S. 133.
** Zit. nach: Donald Clarke: Algernon Blackwood.
*** James Machin: Strange Wilderness in "The Willows".
**** Algernon Blackwood: A Psychical Invasion.
***** H..P. Lovecraft: Das übernatürliche Grauen in der Literatur. S. 151.
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