"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Freitag, 16. März 2012

Jim Hensons Fantasy (III)

Labyrinth


Nach der nervenaufreibenden Arbeit an The Dark Crystal, die nur mit mäßigem Erfolg an der Kinokasse belohnt worden war, hatten Jim Henson und Brian Froud beschlossen, keinen zweiten gemeinsamen Film zu drehen. Doch während eines Treffens in San Francisco, nachdem sich die beiden Dark Crystal angeschaut hatten und auch schon etwas Alkohol geflossen war, entschieden sie sich spontan, es noch einmal zu wagen.* Diesmal aber sollten neben Puppen auch menschliche Schauspieler mitwirken. Konkrete inhaltliche Ideen gab es noch keine, lediglich eine Zeichnung Frouds, auf der ein Baby inmitten einer Schar von Goblins/Kobolden zu sehen war. Die Entwicklung eines Drehbuchs erwies sich als ein komplizierter und langwieriger Prozess, der sich von 1983 bis 1985 hinzog. Wichtige Stationen waren ein Storyentwurf von Jim and Dennis Lee (letzterer der Songtexter für Fraggle Rocks), sowie die immer wieder überarbeiteten Versionen von Ex-Monty Python Terry Jones und Laura Phillips. Schließlich legte Elaine May letzte Hand an, und "[t]he changes she made in humanizing the characters so pleased Jim that shooting began" im April 1985.** Als Produzent fungierte George Lucas, und für die Rolle des Koboldkönigs Jareth hatte Henson bereits im Juni 1984 David Bowie gewinnen können: "Jim Henson set up a meeting with me and he outlined his basic concept for Labyrinth and showed me some of Brian Froud’s artwork. That impressed me for openers, but he also gave me a tape of The Dark Crystal, which really excited me. I could see the potential of adding humans to his world of creatures. I’d always wanted to be involved in the music writing aspect of a movie that would appeal to everyone and I must say that Jim gave me a completely free hand with it. The script itself was fun and it also had a lot of heart. So I was pretty well hooked from the beginning." In meinen Augen ein sehr glücklicher Fang, auch wenn die Ansichten über seine schauspielerische Leistung in dem Film ziemlich weit auseinandergehen. Als Puppenspieler standen eine ganze Reihe von Muppets-Veteranen (und natürlich Frank Oz) bereit.*** Am 27. Juni 1986 erlebte der Film seine Premiere in den USA.


Wenn The Dark Crystal eine typische High Fantasy - Geschichte nach dem Muster von Campbells ‘Hero’s Journey’ ist, so handelt es sich bei Labyrinth um eine ebenso typische ‘coming of age’ - Geschichte.
Zu Beginn des Filmes lebt die vierzehnjährige Sarah noch völlig in ihre kindlichen Fantasien. Erbost darüber, dass sie den Babysitter für ihren kleinen Bruder Toby spielen muss, wünscht sie sich, dass die Kobolde das Baby entführen mögen. Was diese auch im Handumdrehn erledigen. Sarah will ihren unüberlegten Wunsch rückgängig machen, doch die Spielregeln sind nicht so einfach. Koboldkönig Jareth gibt ihr dreizehn Stunden Zeit, ihren Weg durch das Labyrinth zu finden, an dessen jenseitigem Ende sich sein Schloss befindet, und ihren Bruder zurückzufordern. Sollte ihr dies nicht gelingen, wird er für immer zu den Kobolden gehören. Auf ihrer Reise schließt sie Freundschaft mit dem Zwerg Hoggle, dem netten Monster Ludo und Sir Didymus, einem aufrecht gehenden Foxterrier, der sich für eine Art Ritter der Tafelrunde hält. Sie muss zahlreiche Gefahren überwinden und den Versuchungen Jareths widerstehen. Vor allem aber lernt sie, Verantwortung für sich und andere zu über-nehmen, Entscheidungen zu fällen und ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. Dieser Prozess des Erwachsen-werdens findet seinen symbolisch eindrucksvollsten Ausdruck in einer Szene, in der Sarah, die zwischenzeitlich ihr Gedächtnis verloren hat, von einer Koboldfrau mit all ihren Lieblingsspielzeugen überhäuft wird, bis die Erinnerung an ihre eigentliche Aufgabe wieder in ihr erwacht und sie die Spielsachen mit dem Aufschrei: ‘It’s all junk!’ (‘Das ist alles Müll!’) von sich schleudert.


Leider konnte ich auf Youtube nur diesen kurzen Ausschnitt vom Ende der Szene finden, geschmälert noch durch die miserable Bildqualität. Eine etwas längere Passage, die allerdings von Kommentaren der Mitwirkenden unterbrochen wird, findet sich hier. Die wirklich unheimliche Atmosphäre dieser Sequenz steht in krassem Gegensatz zu dem über weite Strecken eher lockeren, muppetsmäßigen Stil des Films.

Der Typus der ‘coming of age’ - Geschichte ist für mich sehr viel unproblematischer als die ‘Hero’s Journey’, die meiner Meinung nach nichts ‘archetypisches’ an sich, sondern historisch gewachsene Vorstellungen von Autorität und Macht bestätigt. Insofern sollte man meinen, dass mir Labyrinth näher stehen müsste als The Dark Crystal. Tatsächlich denke ich, dass der Film gehaltvoller ist als sein Vorgänger. Zumal er der ‘coming of age’ - Story noch einen subversiven, wenn man so will ‘feministischen’, Touch verleiht, wie Bridget McGovern in einem sehr lesenswerten Artikel für den Tor-Blog dargelegt hat. Zu den kindlichen Fantasien, die unsere Heldin ablegen muss, gehört nämlich auch der Prinzessinnen-Traum. Wenn wir ganz am Anfang des Filmes hören, dass Sarah eine Stiefmutter besitzt, von der sie sich ungerecht behandelt fühlt, dann stellt sich ganz unmittelbar die Assoziation zu Aschenbrödel ein. Doch wird sie nicht ihrem Märchenprinzen begegnen, sich von ihm retten lassen und in seiner Umarmung die Erfüllung ihres Lebens finden. Im Gegenteil, es ist genau diese Fantasie, mit der Jareth sie zu verführen versucht. Er versetzt sie in einen barocken Ballsaal, in dem maskierte Paare in prächtigen Kleidern ein rauschendes Fest feiern, dessen Mittelpunkt (natürlich) der Koboldkönig ist. An dieser Stelle wird besonders deutlich, warum David Bowie eine ideale Wahl für die Rolle gewesen ist. Wer hätte so perfekt wie er den dekadenten, andersweltlichen Verführer verkörpern können?


Mit ihrer erotischen Spannung berührt die Szene natürlich auch das Thema des Erwachens der Sexualität, das zu jeder ‘coming of age’ - Geschichte gehört. Doch ebenso manifestiert sich in ihr die naive Idee, es sei das größte vorstellbare Glück, Ballkönigin zu sein. Sarah bricht aus dieser Illusion aus, indem sie einen Spiegel – das Symbol der Eitelkeit – zerschlägt. Das Spiegelmotiv wiederholt sich gleich darauf noch einmal in der oben gezeigten Szene mit der ‘Junk Lady’. In beiden Fällen geht es darum, dass Sarah sich von ihrer kindlichen Selbstsucht befreit. Sie tauscht das seidene Ballkleid des Prinzessinen-Traums gegen ihre alten Jeans ein und macht sich wieder daran, das zu tun, was sie für richtig und wichtig hält – ihren Bruder zu befreien. Während ihrer finalen Konfrontation mit Jareth bietet der Koboldherrscher ihr dann noch einmal ganz direkt an, sie zu seiner Königin zu machen. Indem sie ihn abermals zurückweist, wendet sie sich endgültig von der kindlichen Fantasiewelt ab, in der sie zu Beginn des Filmes lebte – und zu dieser gehörte eben auch die Aschenbrödel-Illusion. Sie braucht keinen Märchenprinzen, keine gläsernen Schuhe und prachtvollen Ballkleider.

Andererseits ist die Absage an die Fantasiewelt der Kindheit nicht absolut. Am Ende sehen wir Sarah ihre alten Spielsachen wegräumen, als im Spiegel plötzlich ihre Freunde Hoggle, Ludo und Didymus aus dem Labyrinth erscheinen. Sie wollen sich von ihr verabschieden, doch Sarah erwiedert, dass es immer wieder Momente in ihrem Leben geben werde, in denen sie sie brauchen wird. So wichtig es ist, erwachsen zu werden, so wichtig ist es auch, sich etwas von der eigenen kindlichen Fantasie zu bewahren.****

Es gibt viel liebenswertes an Labyrinth, und persönlich verbindet mich außerdem ein nostalgisches Band mit dem Film. Ich sah ihn, als er 1986 in die deutschen Kinos kam, und war begeistert. Später kaufte ich mir die Roman-verwurstung, und als ich mein erstes Soloabenteuer für Das Schwarze Auge schrieb, klaute ich ganz schamlos bei Jim Henson und seinem Team. Doch wenn ich mir ihn heute anschaue, kann ich nicht umhin festzustellen, dass er gegenüber The Dark Crystal einen Rückschritt bedeutete. Grund hierfür sind nicht die menschlichen Akteure. Sowohl Jennifer Connelly als auch David Bowie ist mitunter hölzernes Spiel vorgeworfen worden, aber meiner Meinung nach machen sie ihre Sache wirklich gut. Das Problem liegt an anderer Stelle.
Der Film enthält unzählige wunderbar skurille Details: Die beißenden Feen; die Augenstengel; den sprechenden Wurm; den verkalkten Weise mit seinem vorlauten Hut; die fiesen Plagegeister, mit denen Ludo gequält wird; die lebendigen Kanonenkugeln .... und natürlich die Helfenden Hände:


Allein hierfür gehört Labyrinth bereits in die Kategorie der erinnerungswürdigen Filme aufgenommen. Einige besonders verrückte Ideen ließen sich aus finanziellen Gründen nicht verwirklichen. So z.B. sollte eine Szene in einem riesigen Flipperautomaten spielen.
Doch leider fügen sich diese einzelnen Elemente nicht wirklich zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Oft genug wirkt der Film wie eine willkürliche Aneinanderreihung ebenso grotesker wie hübscher Einfälle. Hinzu kommt leider ein nicht selten etwas infantiler Zug, exemplarisch verkörpert im ‘Bog of Eternal Stench’, einem permanent furzenden Sumpf. (Oder bin ich der einzige, der so was eher weniger witzig findet?)

Aber auch wenn Labyrinth nirgends die poetische Schönheit von The Dark Crystal erreicht, ist er in vielerlei Hinsicht ein wirklich sehenswerter Fantasyfilm.

* Vgl. worldoffroud
** So heißt es im Kommentar zu Jim Henson's Red Book.
*** Eine kleine Geek.-Info am Rande: Eine der Choreographinnen des Filmes war Gates McFadden {'Dancing Doctor' Beverly Crusher aus Star Trek - The Next Generation}
**** Ob die Koboldwelt nur in Sarahs Vorstellung existiert (wofür es einige Indizien gibt), ist zum Verständnis des Filmes ebenso bedeutungslos wie die Frage, ob das Unterirdische Reich in El Laberinto del Fauno bloß ein Produkt von Ofelias Fantasie ist.

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