"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Sonntag, 7. Dezember 2014

Expeditionen ins Reich der Eighties-Barbaren (II): "Hundra"

Die gute Nachricht gleich vorweg:  Meine Bedenken haben sich erfreulicherweie als völlig grundlos herausgestellt. Die italienisch-spanische Co-Produktion Hundra aus dem Jahre 1983 ist in mancherlei Hinsicht sicher ein problematischer Film, dürfte jedoch trotzdem einer der besseren Barbaren - Flicks der 80er sein. Ich werde mir den Streifen bei Gelegenheit ganz sicher noch einmal anschauen.



Wie bei einem Filmemacher seiner Generation noch relativ üblich, hatte auch Matt Cimber seine Karriere am Theater begonnen, wo er u.a. Werke von Jean Cocteau, F. Scott Fitzgerald, John Steinbeck und Tennessee Williams auf die Bühne brachte. Auch wenn er später zu einem echten Grindhouse-Regisseur wurde, sollte man ihn deshalb nicht gar zu schnell als bloßen Hack abtun. Er mag nicht der talentierteste Filmemacher aller Zeiten gewesen sein 1982 wurde ihm für Butterfly gleich dreimal die Goldene Himbeere in den Kategorien "Schlechtester Regisseur", "Schlechtester Drehbuchschreiber" und "Schlechtester Film" verliehen –, aber auch in seinem filmischen Oeuvre blitzen hie und da Momente echter künstlerischer Sensibilität und Intelligenz auf. Das gilt vor allem für seinen leicht surrealen Psycho-Horror-Streifen The Witch Who Came From The Sea aus dem Jahre 1976. 
Interessanterweise spielen sexueller Missbrauch und ganz allgemein männliche Gewalt gegen Frauen eine wichtige Rolle in diesem Streifen, was ihn in gewisser Hinsicht mit Hundra verbindet. Könnte es sein, dass Cimber diese Thematik aus irgendeinem Grund besonders wichtig war, und sich deshalb diejenigen seiner Filme, welche sich auf die eine oder andere Art mit ihr auseinandersetzen, letztenendes als seine besseren Werke entpuppen?

Wie dem auch sei, das erste, was an Hundra ins Auge sticht ist, dass es sich sehr deutlich um einen Post-Conan-Film handelt. Cimber versucht offensichtlich, den Stil von John Milius' Werk nachzuahmen. Das gilt für das übertriebene Pathos, verstärkt durch die großartige Musik von Ennio Morricone, ebenso wie für die "epische" Cinematographie, die zwar nicht ganz so atemberaubend wirkt wie in einigen Conan-Sequenzen, aber dem Film dennoch ein vergleichbares Flair verleiht. Interessanterweise hatte Kameramann John Cabrera tatsächlich bei Conan mitgewirkt, wenn auch bloß als Second Unit - Director of Photography. Und auch was den Inhalt des Streifens angeht, macht es durchaus Sinn, ihn vor dem Hintergrund von Milius' Film zu betrachten.

Unsere Heldin (Laurene Landon) gehört zu einem Stamm von Amazonen, die sich von der Herrschaft der Männer befreit und eine ausschließlich aus Frauen bestehende Gesellschaft gegründet haben. Eines Tages, während Hundra sich gerade auf der Jagd befindet, wird ihr Dorf von Barbaren aus dem Süden, die einem eigenartigen Stierkult anhängen, überfallen. Sämtliche Angehörige des Stammes werden von den Männern niedergemetzelt. 
Als letzter Überlebenden ihres Volkes wird Hundra von der mysteriösen Matriarchin {die eigenartigerweise nicht unter den Amazonen lebt} der Auftrag erteilt, dafür zu sorgen, eine Tochter zur Welt zu bringen, damit der Geist der Freiheit an die nächste Generation weitergegeben werden kann. Unserer Kriegerin behagt diese Mission ganz und gar nicht, hat sie doch noch nie etwas mit Männern anfangen können. Dennoch begibt sie sich in die südlichen Länder, um einen geeigneten "Samenspender" zu finden. Was sich als ziemlich schwierig erweist, denn so gut wie alle Männer, denen sie begegnet, sind ebenso brutale wie primitive Schweine, die in Frauen nichts anderes als Sexobjekte und Sklavinnen sehen.
Schließlich gelangt Hundra in eine Stadt, in der sich der Haupttempel erwähnten Stierkultes befindet  – weniger ein Heiligtum als vielmehr ein großes Bordell, in dem ein dekadenter Oberpriester Frauen für den "Dienst" an den mächtigsten Stammeshäuptlingen "ausbilden" lässt. In derselben Metropole begegnet unsere Kriegerin allerdings auch einem erstaunlich zivilisierten Heiler, der so gut wie der einzige Mann in dieser Welt zu sein scheint, der Frauen mit Respekt behandelt. Augenblicklich beschließt sie, dies sei der richtige Vater für ihre Tochter. Doch dummerweise lässt sich der nette Kerl auch durch eine beeindruckende Demonstration von Hundras Talenten als Messerwerferin nicht zum Sex zwingen. Und so verfällt sie auf die Idee, sich freiwillig in die Hände des Hohepriesters zu begeben, um auf diese Weise im Tempel des Stieres all jene ihr unbekannten "femininen" Verhaltensweisen zu erlernen, mit deren Hilfe sie den Heiler schließlich doch noch rumzukriegen hofft. Die Horde der ultrachauvinistischen Stammeshäuptlinge ist selbstredend begeistert von der Aussicht, die "Zähmung" einer Amazone miterleben zu dürfen, doch Hundras Stolz und Wille bleiben auch im Tempel ungebrochen. Stattdessen beginnt sie der obersten "Tempelprostituierten", die eigentlich für ihre "Erziehung" verantwortlich ist, ihrerseits beizubringen, wie sie sich gegen die Männer behaupten könne.
Auf eine Zusammenfassung des Schlussteils möchte ich verzichten. Nur soviel sei gesagt: Ja, Hundra bringt eine Tochter zur Welt. Ja, der Heiler ist der Vater. Und nein, keiner der widerlichen Häuptlinge überlebt das große Finale.  

Man verzeihe, dass ich mir von den Namen der handelnden Personen einzig den unserer Heldin merken konnte, so dass es mir unmöglich ist, die Schauspielerinnen & Schauspieler auf der IMDB-Besetzungsliste den entsprechenden Charakteren zuzuordnen. Ihre Leistungen sind im Großen und Ganzen passabel, doch keiner von ihnen sticht besonders hervor. Freilich wäre dies auch sehr schwierig, denn keiner der Charaktere besitzt Tiefe oder Komplexität. Laurene Landon selbst hatte ihre vermutlich bedeutendste Filmrolle zwei Jahre zuvor in Robert Aldrichs ... All the Marbles an der Seite von Peter Falk und Vicki Frederick.* Genrefans mag sie hauptsächlich aufgrund ihrer häufigen Zusammenarbeit mit Drehbuchautor, Produzent und Regisseur Larry Cohen bekannt sein (Full Moon High [1981], I, the Judge [1982], Island of the Alive [1987], Maniac Cop [1988], Wicked Stepmother [1989], The Ambulance [1990], Maniac Cop 2 [1990], Masters of Horror: Birdy [2006]).  

Der Plot von Hundra besitzt ohne Zweifel einige gravierende Schwächen. So wirkt es mehr als nur ein bisschen absurd, wenn sich die Kriegerin im Bruchteil einer Sekunde in den Heiler "verliebt", unmittelbar nachdem sie auf der Flucht vor den Tempelwachen durch das Dach seiner Behausung gestürzt ist. Auch mutet es zumindest etwas eigentümlich an, dass der Hohepriester und seine Handlanger in keiner Weise auf die Schwangerschaft ihrer "Sklavin" und die Geburt ihrer Tochter reagieren. 
Doch das sind meines Erachtens lässliche Sünden. Was mir sehr viel größere Probleme bereitet hat sind die eigenartigen Schwankungen im Ton des Filmes.

Der Streifen beginnt mit dem Überfall der Barbaren auf das Amazonendorf. Fast jeder Sword & Sorcery - Flick der 80er Jahre kennt eine ähnliche Szene, in der die Familie des Helden oder der Heldin niedergemetzelt wird, was sie aus ihren gewohnten Lebensumständen reißt und ihnen die Motivation zur Rache und damit den Startimpuls für alle weiteren Abenteuer liefert. Das gilt für Conan the Barbarian ebenso wie für Beastmaster, Ator oder Sorceress. In Hundra wird der Sequenz eine ähnlich "epische" Qualität verliehen wie in Conan, doch wird mit ihr zugleich das Motiv eines blutigen Geschlechterkampfes eingeführt, was ihr denn doch einen deutlich anderen Charakter verleiht als Thulsa Dooms Massaker an den Cimmeriern. Die Sequenz endet bezeichnenderweise mit der Vergewaltigung von Hundras kleiner Schwester.
Vergewaltigungsszenen sind im Exploitationfilm der Zeit leider keine Seltenheit, und in den meisten Fällen dienen sie wohl ausschließlich dem "aufpeppen" der Geschichte. {Ich weiß, das ist widerwärtig, aber es ist nun mal so. Sorceress etwa enthält genau eine solche Szene.} Die Darstellung in Hundra ist nicht besonders drastisch, aber da es sich bei dem Opfer um ein Kind handelt, dennoch ungemein verstörend. 
Damit erhält der Film von Anfang an einen ernsten und sehr gewalttätigen Ton, was durch eine spätere Sequenz, in der Hundras erster Versuch, einen Erzeuger für ihre Tochter zu finden, in einer Reihe brutaler und sadistischer Misshandlungen {die unsere Heldin freilich mit gleicher Münze zurückzuzahlen versteht}endet, noch einmal sehr deutlich bestärkt wird. 
Doch der Streifen hält diesen Ton nicht konsequent durch. Immer wieder schieben sich offenbar als locker-humorvoll gedachte Sequenzen in den Ablauf der Geschichte ein, was ihr einen höchst eigenartigen und problematischen Charakter verleiht.
Aus vermarktungstechnischer Perspektive lassen sich diese merkwürdigen Schwankungen im Ton vielleicht verstehen. Der Film sollte ein Publikum ansprechen, das sich ebensolche prallen und farbenfrohen Abenteuer wünschte, wie es sie in Conan the Barbarian geliefert bekomen hatte. Ein durchgegehend düsterer Tonfall, der es unmöglich gemacht hätte, die in einem Flick dieser Art naturgemäß allgegenwärtige Gewalt als unterhaltsam zu empfinden, hätte dieses Publikum notwendigerweise abgeschreckt. Doch das ändert nichts daran, dass die Brüche auf mich ungemein irritierend gewirkt haben. 
Ich bin überzeugt davon, dass Matt Cimber mit Hundra mehr produzieren wollte, als ein simples Conan - Cash-in. Es stecken einige ernsthafte Gedanken in dem Film. {Man braucht ihn bloß mit Cimbers beinah zeitgleich produziertem kuriosen Western-Schlock Yellow Hair and the Fortress of Gold zu vergleichen, in dem Laurene Landon gleichfalls die Hauptrolle spielte.} Doch leider untergräbt der schwankende Ton den ernsthaften Ansatz, während die erwähnten, recht drastischen Szenen es gleichzeitig unmöglich machen, ihn einfach als unterhaltsames Fantasyspektakel zu genießen.

Doch gar zu harsch sollte unser Urteil dennoch nicht ausfallen. Ähnliche Unstimmigkeiten finden sich in vielen B-Movies und Exploitation-Flicks. Man muss mit ihnen zu leben lernen, wenn man in dieser Provinz des Kinouniversums heimisch werden will. Auch sei nicht verschwiegen, dass einige der Szenen von Hundras "Ausbildung" im Tempel, die sehr deutlich als "humorvoll" intendiert waren und deshalb mitunter etwas peinlich wirken, mit der sich entfaltenden Freundschaft zwischen der Kriegerin und der "Tempelprostituierten" zugleich das vielleicht humanste Motiv des ganzen Films enthalten. Es ist einfach schön, Hundra auch einmal lachen und sich am Leben erfreuen zu sehen.
Die Freundschaft zwischen den beiden anfangs so unterschiedlichen Frauen ist die einzige einigermaßen "echt" wirkende zwischenmenschliche Beziehung des Films. Im Vergleich dazu bleibt die Liebesaffäre zwischen Hundra und dem Heiler interessanterweise gänzlich unterentwickelt. Die erzählerische Funktion des Kerls beschränkt sich ganz darauf, der Vater von Hundras Tochter zu sein. Was in gewisser Weise natürlich die Umkehrung eines uralten sexistischen Klischees darstellt.  
Alles in allem enthält Cimbers Film einfach zuviele interessante Elemente, um ihm seine unzweifelhaft vorhandenen Schwächen gar zu hoch anzurechnen. Persönlich am faszinierendsten fand ich den Tempel des  Stiers, und das gleich aus zwei Gründen.

Betrachtet man Hundra vor dem Hintergrund von Conan the Barbarian, so wird man fast automatisch dazu gelangen, den Stierkult mit Thulsa Dooms Schlangenkult zu vergleichen. Letzterer sollte recht deutlich den "dekadent-liberalen" Zeitgeist der 60er und 70er Jahre verkörpern, den Regisseur Milius aus tiefstem Herzen verabscheute, und dem er mit Conan einen "rugged individualist" und Vertreter einer "gesunden" und "unverfälschten" Männlichkeit entgegenstellen wollte. Der Stierkult in Hundra zeigt uns in gewisser Weise die wenig erbauliche Realität, die sich hinter diesem Macho-Barbaren-Ideal verbirgt. Die in Pelze gehüllten Stammeshäuplinge, die es gar nicht erwarten können, die stolze Kriegerin auf den Knien zu sehen, sind im Grunde nichts anderes als Brüder Conans, nicht länger betrachtet durch die idealisierende Linse eines Robert E. Howard oder John Milius. {Selten hat mir ein finales Gemetzel so viel Genugtuung bereitet wie in diesem Flick, auch wenn ich zugeben muss, dass der Kampf leider nicht eben exzellent in Szene gesetzt wurde.}
Dass der Stier als uraltes Symbol für männliche "Kraft" und "Virilität" das adäquate Totemtier für einen Haufen primtiver Chauvis abgibt, sollte klar sein, doch erstaunlicherweise entpuppt sich der Hohepriester des Tempels nicht als der "Oberbarbar", den man auf diesem Posten vielleicht erwartet hätte. Auf den ersten Blick ähnelt er vielmehr jenen "dekadenten" Despoten, mit denen sich auch der gute alte Conan immer mal wieder herumzuschlagen hatte. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass sein "Majordomus" {man sollte ihn wohl eher "Chefzuhälter" nennen} ausgesprochen effeminiert wirkt. {In jedem anderen Kontext hätte ich seine Figur als ziemlich unangenehme Schwulenkarrikatur interpretiert.} Ein weiterer unglücklicher Widerspruch des Films? Ich denke nicht. Der Priester wird von einem tiefen Ekel, ja einer beinah panischen Angst vor weiblicher Körperlichkeit beherrscht. Schon die bloße Berührung durch eine Frau versetzt ihn in einen quasi psychotischen Angstzustand. In meinen Augen werden Tempel und Kult damit zur Verkörperung von gleich zwei Erscheinungsformen der Misogynie. Auf der einen Seite haben wir die Stammeshäuptlinge als Vertreter eines brutalen Chauvinsimus, für den Frauen nur als unterwürfige Lustobjekte existieren dürfen. Auf der anderen den Priester als Verkörperung einer vielleicht noch extremeren Frauenfeindlichkeit, für die weibliche Körperlichkeit und Sexualität etwas bedrohliches, unreines und abstoßendes sind.
Diese zwei Gesichter der Misogynie zeigen sich übrigens auch in der Form der "Bestrafung", die ihren Vertretern am Ende des Films zuteil wird. Ohne zuviel zu verraten – anders als die Häuptlinge wird der Priester nicht von Hundras Schwert niedergestreckt ...

Was bleibt am Ende zu sagen? Matt Cimbers Streifen ist kein vergessenes Juwel des Fantasyfilms, aber doch ein Flick, der genug enthält was einen Besuch rechtfertigt. Im Ganzen betrachtet funktioniert er sicher nicht als ernstzunehmender Kommentar zu Sexismus und weiblicher Emanzipation. Aber – mal ganz ehrlich – wer würde etwas derartiges von einem Fantasy - B-Movie auch erwarten? Was Hundra uns an interessanten Elementen zu bieten hat, ist bereits erstaunlich genug.





P.S.: Ganz gleich wie weit ich diesen Barbarenirrsinn auch treiben werde {und ich habe mir gerade Ruggero Deodatos Barbarians angeschaut ...}, Red Sonja werde ich mir unter Garantie nicht noch einmal reinziehen. Schlimm genug, dass ich diesem monströsen Machwerk bereits einmal 90 Minuten meines Lebens geopfert habe. Da hilft auch Morricones Musik nix ...


* Ein interessantes Interview mit der Schauspielerin findet sich hier.

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