"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Mittwoch, 9. Februar 2022

Willkommen an Bord der "Liberator" – S03/E10: "Ultraworld"

 
Das Interessanteste an Ultraworld dürfte der Verfasser des Drehbuchs sein. Autor Trevor Hoyle hatte nie zuvor für Film oder Fernsehen gearbeitet und würde das auch danach nie wieder tun. Was er jedoch getan hatte, war die ersten beiden Blake's 7 - Romane Terry Nation's Blake's 7 (1977) und Project Avalon (1979) zu schreiben. Für ihn war das einfach ein Job gewesen: 
When I did the Blake's 7 novels, the motive was the money. I don't do anything else - I write full-time. So I did them quickly and I did them to a high professional standard: when you've been a copywriter for over ten years, you learn to turn your literary hand to pretty well any job that comes along. You have to be very professional, versatile and fast - the deadline for that sort of job is always pretty rapid. You get a brief and if you want to keep the job you write to the brief and you do it on time. You can't say, "I don't feel like writing today." You have to feel like it.
Wie es dazu kam, dass er schließlich auch ein Script für die Serie schrieb, weiß ich nicht. 
Hoyle hatte seine Karriere als professioneller Schriftsteller Mitte der 70er Jahre begonnen. Er betätigte sich in allen möglichen Genres, war aber schon seit seiner Kindheit ein großer Science Fiction - Fan. Seine zu dieser Zeit bekanntesten SciFi-Werke waren die drei Bände der Q - Serie: Seeking the Mythical Future, Through the Eye of Time und The Gods Look Down. Voller Zeitreise- und Alternate Universe - Shenanigans drehten sie sich thematisch offenbar um Autoritarismus, Faschismus und Religion. Sein am interessantesten klingendes Werk sollte er allerdings erst in den späten 80ern schreiben: Eine brutale und zugleich satirische Abrechnung mit den Folgen von Thatchers sozialer Konterrevolution unter dem Titel Vail. Andrew Hedgecock hat es einmal so beschrieben:
A blend of science fiction, surrealist vision and classical picaresque, Vail is a grim, and occasionally hilarious, journey into the psyche of a nation seriously at odds with itself. It follows the fortunes of Jack Vail through a totalitarian England, from the wrong (northern) side of "the wire", a dumping ground for toxic waste and people who have lasted beyond their economic sell-by date patrolled by helicopter gunships, to a celebrity obsessed London drenched in pornography and conspicuous wealth. Vail is a howl of pain and a volley of mocking laughter: relentlessly angry but coolly analytical, it's a deeply disturbing portrait of the dispossessed and their tormentors that resists the urge to preach. 
Man sollte meinen, Hoyles offensichtliche thematische Interessen hätten ihn dazu prädestinieren müssen, für Blake's 7 zu schreiben. Doch erstaunlicherweise findet sich nichts davon in Ultraworld. Die Episode ist vielmehr eines jener bizarren Abenteuer, die die Liberator - Crew immer mal wieder fernab der politischen Kämpfe mit der totalitären Föderation erlebt. 
Für sich genommen muss das natürlich nichts schlechtes sein. Ich mag ja Episoden wie Tanith Lees Sarcophagus, James Folletts Dawn of the Gods oder Chris Bouchers City at the Edge of the World. Aber leider zeigt Hoyle in Ultraworld kaum Einsicht in die charakterlichen Eigenheiten unser Held*innen (von einer signifikanten Ausnahme abgesehen), und so bleibt am Ende bloß die (zugegeben hübsch bizarre) zentrale Idee. Was für mich nicht ausreicht, um die Folge über das unterhaltsame Mittelmaß zu heben.
 
Schon die Eröffnungsszene enthält einige charakterliche Ungereimtheiten. Die Liberator stößt in einem verlassenen Sektor des Weltalls auf einen künstlichen Planeten. Lebenszeichen sind keine zu erkennen. Falls es tatsächlich Aktivitäten unter der Oberfläche geben sollte, werden diese vor den Sensoren des Schiffes abgeschirmt. Den meisten an Bord ist das mysteriöse Ding unheimlich. Nur Avon besteht darauf, dass man es etwas näher untersuchen sollte:
Avon: Don't you find it interesting?
Dayna: You'll be telling us next, we can learn a lot from whoever built it.
Avon: Well, we certainly have nothing to teach them, unless it's how to remain ignorant. What do you think, Cally? Shall we stay and observe or shall we scuttle off with our closed minds intact?
Cally: It would be dangerous to go too near. 
Intellektuelle oder wissenschaftliche Neugier gehörte eigentlich nie zu Avons Charakterzügen. Es sei denn, das betreffende Objekt ließe sich irgendwie dazu nutzen, Geld, Macht oder einen anderen Vorteil zu gewinnen. 
Was dann kommt ist die x-te Variante des inzwischen arg ausgelutschten Klischees, dass Cally aufgrund ihrer telepathischen Fähigkeiten zum Opfer mentaler Beeinflussung wird. Denn während der Rest der Crew sich erst mal schlafen legt, teleportiert sie einem entsprechenden Ruf folgend zu dem künstlichen Planeten hinunter. Was dann zum Anlass dafür wird, dass ihr die übrigen (mit Ausnahme Vilas) folgen. Überhaupt hatte ich bei Ultraworld zum ersten Mal sehr deutlich das Gefühl, verstehen zu können, warum Jan Chappell die Serie nach der dritten Staffel verlassen hat. Ihre Figur ist hier vollständig zu einem Plot Device reduziert worden. Den Rest der Episode verbringt Cally bewusstlos auf irgendeiner Liege, während die anderen ihr Abenteuer erleben.
Auf dem künstlichen Planeten angekommen, glaubt Avon in diesem einen einzigen riesigen Computer erkennen zu können. Womit er aber nur teilweise richtig liegt, wie die bald schon auftauchenden blauhäutigen Bewohner erklären: "You were not strictly correct in calling Ultraworld a computer. Ultraworld is much more than that. It possesses consciousness, self-awareness." Die eigentliche Aufgabe des riesigen Konstruktes bestehe darin, so viel Wissen über das Universum zu sammeln, wie möglich.
Das klingt ja erstmal recht harmlos. Und die "Ultras" geben sich auch sehr freundlich und umgänglich. Doch es dauert nicht lange und es stellt sich heraus, dass ihre Methode der Wissensanhäufung gar nicht nett ist. Erinnerungen und Persönlichkeit der Leute, die ihnen in die Hände fallen, werden in der gewaltigen Datenbank von Ultraworld abgespeichert, während die zurückbleibenden Körper entweder als Zombiediener benutzt oder an den geheimnisvollen "Core" verfüttert werden, der sich schließlich als wunderbar groteskes Riesengehirn entpuppt.
Für den Rest der Episode rennen Tarrant und Dayna durch irgendwelche Gänge, während Avon für die Verfütterung vorbereitet wird. Auf so hochwertiges Hirnmaterial hat der "Core" natürlich besonders großen Appetit. Nett allerdings, dass Dayna endlich mal wieder ihre waffentechnischen Spielzeuge auspacken und ihre mobilen Miniminen zum Einsatz bringen darf.
 
Der größte Pluspunkt von Ultraworld ist die finale Wendung, in der ausgerechnet Vila die Rettung bringt. Und das ganz ohne es zu wissen.
Wie gesagt zeigt Trevor Hoyle im allgemeinen kein besonders großes Verständnis für die Eigenheiten der Figuren. Avon, Tarrant und Dayna erscheinen während ihrer Abenteuer auf dem künstlichen Planeten mehr oder weniger austauschbar. Die große Ausnahme bilden Vila und Orac.
Von der ersten Szene an versucht der Dieb dem Supercomputer Witze und Wortspiele beizubringen. Anfangs hält der eingebildete Orac solch frivolen Nonsense für eine Verschwendung seiner wertvollen Zeit. Doch dann beginnen ihn diese auf einer semantischen Ebene zu faszinieren: "The idiosyncratic syntax of riddles interests me. They seem to depend for their effect on solecisms and grammatical discrepancies." (Keine Ahnung, warum das Drehbuch von "Rätseln" spricht, obwohl es sich doch ganz offensichtlich um Scherzfragen handelt.) Vila versteht natürlich kein Wort von diesem philologischen Gebrabbel, und als der Supercomputer auch noch anfängt, seine flachen Witze auf pedantische Art auseinanderzunehmen und zu analysieren, ist er eher irritiert denn erfreut. Doch am Ende sind es eine Reihe seiner Limericks, die den "Core" von Ultraworld zur Implosion bringen, als dieser versucht die Liberator zu übernehmen.
Das ist nicht nur recht amüsant, sondern trifft auch sehr gut die Charaktere von Vila und Orac. Außerdem ist damit der Anlass für folgenden netten Schlussdialog gegeben:
Avon: Tell me, Orac, how precisely did Vila confuse and distract Ultraworld? 
Orac: Quite simple. With a series of random and illogical brain impulses. The planet was programmed to assimilate orderly coherent thought patterns. Anything else confused it.
Vila: Eh?
Avon: You mean Vila spouted nonsense.
Vila: I resent that.
Avon: Oh, I wouldn't if I were you. Orac is saying that a logical rational intelligence is no match for yours.        
 
 

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