Take one step
across the threshold of his stories
and you plunge
into color, sound, taste, smell,
and texture – into language.
Kurzgeschichten und Phantastik
– zwischen den beiden besteht eine altehrwürdige Verbindung. Und dabei denke ich jetzt gar nicht einmal in erster Linie an die Pulp-Magazine der 30er/40er Jahre, die für die Entwicklung von Science Fiction, Fantasy und Horror eine so wichtige Rolle gespielt haben. Zumal in denen ja durchaus auch längere Texte in serialisierter Form erschienen – in Anknüpfung an eine Tradition, die u.a. auf die britischen "Penny Dreadfuls" des 19. Jahrhunderts zurückgeht. (1) Die Verbindung reicht meiner Ansicht nach sehr viel weiter zurück. Oder ist es bloß ein Zufall, dass mit Edgar Allan Poe und E.T.A. Hoffmann zwei der größten Ahnherren der "Weird Fiction" zugleich Meister der Kurzgeschichte waren?
Als mich die gute
Meara Finnegan vor einiger Zeit einlud, mich mit einem Artikel an ihrem
"Kurzgeschichten-Festival" (#KGFestival) zu beteiligen, war mir sofort klar, dass ich diese Gelegenheit nutzen sollte, einmal wieder einen Künstler zu feiern, dessen Werk ich zutiefst liebe und bewundere, auf den ich hier aber vielleicht gerade deshalb viel zu selten zu sprechen komme
– den wunderbar eigenwilligen Clark Ashton Smith.
Weniger sicher war ich mir, welche seiner Kurzgeschichten ich vorstellen sollte. Nach einigem hin und her habe ich mich für die erstmals 1931 in
Wonder Stories veröffentlichte
City of the Singing Flame entschieden. Nicht nur wegen ihrer atemberaubenden sprachlichen Schönheit, sondern auch, weil sie zu Klarkash-Tons berühmtesten Werken gehört, und darum vielleicht ein ganz gutes Lockmittel sein könnte, um Leserinnen und Leser dieses Beitrags, die den Barden von Auburn noch nicht kennen, dazu zu verführen, einmal eine seiner Geschichten zur Hand zu nehmen.
Zu den zahlreichen Verehrern von
The City of the Singing Flame gehörten so bekannte phantastische Schriftsteller wie Ray Bradbury, Harlan Ellison und Fritz Leiber. Bradbury hat einmal
erklärt, diese Story und
Master of the Asteroid "
were important to my being stimulated into becoming a writer". Und sie dürfte es vor allem gewesen sein, an die er dachte, wenn er von Smith
sagte: "
[He] filled my mind with incredible worlds,
impossibly beautiful cities, and still more fantastic creatures on those
worlds and in those cities." Harlan Ellison
ging noch weiter. Seine erste Begegnung mit
The City of the Singing Flame in dem von August Derleth herausgegebenen Band
The Other Side of the Moon im März 1949 sei das Erlebnis gewesen, das ihn zu einem SF-Autor machte: "
Almost immediately, I began writing fantasy and science fiction. Within a
year or two I was deeply enmeshed in the writing in the field [...] I owe the greatest of debts to Clark Ashton Smith, for he truly opened up the universe for me." Fritz Leiber wiederum, der Smith als "
sui generis, one of the most uninfluenced and original writers I know of"
feierte, liebte diese spezielle Geschichte vor allem deswegen so sehr,
weil sie "
shows a passionate concern for life battling doom which is absent from
most of the tales, where Smith is simply the devoted chronicler of death".
Das sind doch recht überzeugende Empfehlungen, oder? Doch bevor wir uns der Story selbst zuwenden, wollen wir noch rasch einen kurzen Blick auf ihre Vorgeschichte werfen.
Im Juli 1927 organisierte Genevieve K. Sully für ihren guten Freund Clark Ashton Smith einen gemeinsamen Campingtrip in die Region von Donner Peak und Summit. Dabei unternahmen sie auch einen Tagesausflug auf die Anhöhe von Crater Ridge. Es war Smiths erster Besuch dieser Gegend und die Landschaft machte ganz offensichtlich einen tiefen Eindruck auf ihn. Wie es Genevieve K. Sully später einmal geschildert hat:
After a few days of short walk, we proposed a longer walk - to Crater
Ridge - where we had gone many times in the past, but now we were going
with a companion who came under a spell of strange thought, transforming
the scene in to a foreboding and grotesque landscape, [...]
Clark wondered about amongst the boulders, studying the rocks and
general terrain. We could all see that he was deeply effected by the
place.
Dichter und CAS-Experte Donald Sidney-Fryer
schreibt, Smith habe an diesem Tag auf dem Crater Ridge "
a profound imaginative experience" gehabt, Jonathan Vos Post
spricht gar von einem "
mystical, transcendental experience". Gut möglich, dass dieses Erlebnis der Same war, aus dem später
The City of the Singing Flame erwachsen sollte.
Auf demselben Ausflug unterbreitete Genevieve K. Sully ihrem Freund die Idee, dass er doch einmal versuchen könnte, einige seiner phantastischen Geschichten an die Pulpmagazine zu verkaufen. Bislang beruhte sein literarischer Ruhm ausschließlich auf seinem dichterischen Werk. Zwar war im April des Vorjahres mit The Abominations of Yondo eine Story von ihm im Overland Monthly abgedruckt worden, aber wie sich sehr schnell gezeigt hatte, war die Leserschaft des altehrwürdigen kalifornischen Literaturmagazins kaum das richtige Publikum für Smiths Art von phantastischer Literatur. Wie es sein alter Mentor, der seinerzeit sehr berühmte Décadence-Dichter George Sterling, ausgedrückt hatte: "Your 'Yondo' awoke many protests from the mentally infirm." (2) Publikationen wie Weird Tales wären da möglicherweise eine geeignetere Heimat. Vor allem jedoch könnte Smith auf diese Weise vielleicht zu etwas dringend benötigtem Geld gelangen, ohne sich weiter in irgendwelchen Gelegenheitsjobs aufreiben zu müssen. (3)
Er nahm sich den Ratschlag seiner Freundin zu Herzen, und im September 1928 erschien mit The Ninth Skeleton seine erste Kurzgeschichte im "Unique Magazine". Mit dem Anbruch der Großen Depression wurde es noch wichtiger, eine einigermaßen regelmäßige Einnahmequelle zu finden, zumal Smith nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine invaliden Eltern aufkommen musste. Er begann, in erstaunlicher Geschwindigkeit eine Geschichte nach der anderen zu Papier zu bringen, ohne dabei je irgendwelche qualitativen Zugeständnisse zu machen. Weird Tales sollte sein wichtigster Abnehmer bleiben, aber 1930 gelang es ihm mit Marooned in Andromeda dann auch auf die Seiten von Hugo Gernsbacks Wonder Stories vorzustoßen und sich einen zweiten Markt zu erschließen.
Smith kehrte über die Jahre immer mal wieder auf den Crater Ridge zurück, u.a. um dort besonders bizarr geformte Steine zu sammeln. Einen von diesen schickte er im Herbst 1930 an H.P. Lovecraft, mit dem er seit 1922 eine umfangreiche Korrespondenz unterhielt.
Before long you will receive the primordial stone statuette of an unknown deity which I found while in the mountains, on what is known as Crater Ridge, a long, barren, rock-strewn hill with a little lake of unfathomable depth lying almost in its crest. Geologists say that the lake is not an extinct volcano, nor the ridge of volcanic origin; but the whole locality is so scoriac in its appearance that I don't believe them. Many of the smaller stones are extremely fantastic in form. Mrs. Sully found one that was reminiscent of a small Aztec idol! She calls it Tsathoggua, and refuses to give it up! (4)
Der alte Gentleman von Providence war von diesem Geschenk so angetan, dass ein gemeinsamer Besuch der Anhöhe – "[to walk] amongst the prehuman reliquiae" (5) – für ihn ganz oben auf der Wunschliste stand, falls es ihm je gelingen sollte, seinen Freund in Kalifornien zu besuchen {was ihm leider nicht vergönnt war}.
Dennis Rickard stellt außerdem die
These auf, diese Steine könnten die erste Inspiration für Smiths späteres bildhauerisches Schaffen gewesen sein.
Dass Crater Ridge eine besondere Bedeutung für Clark Ashton Smith hatte, steht also außer Zweifel. Und so überrascht es nicht, dass er die Erhebung in
The City of the Singing Flame mit jener großen Sehnsucht verknüpfte, die er in einem Brief an Lovecraft einmal so beschrieben hatte:
[A] wild aspiration toward the unknown, the uncharted, the exotic, the utterly strange und ultra-terrestrial. And this aspiration, as I know with a fatal foreknowledge, could never be satisfied by anything on earth or in actual life, but only through dream-ventures such as those in my poems, paintings and stories. (6)
Die Erzählung beginnt mit einem kurzen Vorwort aus der Feder eines gewissen Philip Hastane, in dem dieser vom mysteriösen Verschwinden seines Freundes, des Schriftstellers Giles Angarth, und des Malers Felix Ebbonly berichtet. Die beiden scheinen seit eines gemeinsamen Aufenthaltes in den Sierras wie vom Erdboden verschluckt. In der Hütte, die Angarth gemietet hatte, wurde zwar ein an Hastane addressiertes Päckchen gefunden, doch die darin befindlichen Aufzeichnungen des Schriftstellers lesen sich zu fantastisch, um Ernst genommen zu werden. Oder vielleicht doch nicht?
Angarth berichtet von einem Besuch des Crater Ridge. Die Schilderung lässt deutlich die besondere Liebe spüren, die Smith für diese menschenleere und bizarre Landschaft empfand:
I had gone for a walk on Crater Ridge, which lies a mile or less to the
north of my cabin near Summit. Though differing markedly in its
character from the usual landscapes round about, it is one of my
favorite places. It is exceptionally bare and desolate, with little more
in the way of vegetation than mountain sunflowers, wild currant bushes,
and a few sturdy, wind-warped pines and supple tamaracks.
Geologists deny it a volcanic origin; yet its outcroppings of rough,
nodular stone and enormous rubble-heaps have all the air of scoriac
remains – at least, to my non-scientific eye. They look like the slag
and refuse of Cyclopean furnaces, poured out in pre-human years, to cool
and harden into shapes of limitless grotesquerie.
Among them are stones that suggest the fragments of primordial
bas-reliefs, or small prehistoric idols and figurines; and others that
seem to have been graven with lost letters of an indecipherable script.
Unexpectedly, there is a little tarn lying on one end of the long, dry
Ridge – a tarn that has never been fathomed. The hill is an odd
interlude among the granite sheets and crags, and the fir-clothed
ravines and valleys of this region.
It was a clear, windless morning, and I paused often to view the
magnificent perspectives of varied scenery that were visible on every
hand – the titan battlements of Castle Peak; the rude masses of Donner
Peak, with its dividing pass of hemlocks; the remote, luminous blue of
the Nevada Mountains, and the soft green of willows in the valley at my
feet. It was an aloof, silent world, and I heard no sound other than the
dry, crackling noise of cicadas among the currant-bushes.
Bei seinem Umherwandern entdeckt Angarth zwei merkwürdige Felsbrocken, die ihn an die Fundamente uralter, längst zerfallener Säulen erinnern. Als er in den Raum zwischen ihnen tritt, stürzt er in eine Art interdimensionalen Vortex und findet sich in einer fremdartigen Parallelwelt wieder. In einigen Meilen Entfernung erblickt er die Silhouette einer titanischen Stadt
:
Wall on beetling wall, spire on giant spire, it soared to confront the
heavens, maintaining everywhere the severe and solemn lines of a
rectilinear architecture. It seemed to overwhelm and crush down the
beholder with its stern and crag-like imminence.
Angarth durchlebt eine wilde Mixtur von Emotionen: Verwirrung, Verlorenheit, Angst. Doch zugleich übt der Anblick der Stadt eine seltsame, ihm selbst unverständliche Anziehungskraft
– "
an obscure but profound allurement"
– auf ihn aus. Aber der stärkste Impuls bleibt vorerst, einen Weg zurück in die eigene Welt zu finden. Was sich als nicht besonders schwierig erweist, wird das unsichtbare Tor zwischen den Dimensionen auf dieser Seite doch von zwei mächtigen Säulen flankiert. Allerdings wird das Verlangen, die fremde Welt erneut zu besuchen, in den folgenden Tagen immer heftiger. Schließlich gibt Angarth dem nach und macht sich diesmal in Richtung der gigantischen Stadt auf. In einem fremdartigen Wald stößt er auf eine aus riesigen Steinplatten gebildete Straße und beobachtet eine Gruppe bizarrer Wesen, deren Ziel offensichtlich gleichfalls die geheimnisvolle Metropole ist. Noch ist er zu ängstlich, um sich ihnen zu zeigen. Wenig später glaubt er erstmals eine eigenartige Musik zu vernehmen, die aus der Ferne an sein Ohr dringt:
It was faint and far-off, and seemed to emanate from the very heart of
the Titan city. The melody was piercingly sweet, and resembled at times
the singing of some voluptuous feminine voice. However, no human voice
could have possessed that unearthly pitch, the shrill, perpetually
sustained notes that somehow suggested the light of remote worlds and
stars translated into sound.
Ordinarily, I am not very sensitive to music; I have even been
reproached for not reacting more strongly to it. But I had not gone much
farther when I realized the peculiar mental and emotional spell which
the far-off sound was beginning to exert upon me. There was a siren-like
allurement which drew me on, forgetful of the strangeness and potential
perils of my situation; and I felt a slow, drug-like intoxication of
brain and senses.
In some insidious manner, I know not how nor why, the music conveyed the
ideas of vast but attainable space and altitude, of superhuman freedom
and exultation; and it seemed to promise all the impossible splendors of
which my imagination has vaguely dreamt....
Angarth gelangt bis in Sichtweite der Stadtmauern, doch die unirdische Musik, deren Wirkung um so stärker wird, je näher er ihrer Quelle kommt, erscheint ihm ebenso bedrohlich wie verführerisch. Und so reißt er sich unter Aufbietung seiner ganzen Willenskraft los und flieht zurück in unsere Realität.
Aber offensichtlich ist er nicht in der Lage, den Zauber dieses Sirenengesangs vollständig abzuschütteln. Erneut macht er sich zu der Stadt auf, wenn auch bewaffnet mit "
some cotton-wadding with which to stuff my ears if it should affect me too strongly." Diesmal durchschreitet er ihre Tore, wandert durch ihre Straßen. Natürlich kann er sich nun nicht länger vor den Bewohnern der fremden Dimension verborgen halten, doch ignorieren ihn diese weitgehend. Schnell registriert er, das es zwei Gruppen von ihnen gibt. Die eine besteht aus Besuchern oder Pilgern, die andere aus den eigentlichen Bewohnern der Stadt. Die letzteren scheinen nicht von der Musik beeinflusst zu werden {möglicherweise besitzen sie überhaupt keinen Gehörsinn}, die ersteren folgen, wie Angarth selbst, den lockenden Klängen zielstrebig ins Zentrum der Metropole. Dort erwartet sie ein gewaltiger Tempel und in ihm die Quelle der überirdischen Musik: Eine gewaltige, grün flackernde Flammenfontäne. Inzwischen hat Angarth seine Ohrstöpsel zum Einsatz gebracht, dennoch ist der Lockruf der Singenden Flamme schier übermächtig:
There are no words to convey the incomprehensible wonder of it all. And
the music? I have utterly failed to describe that, also. It was as if
some marvelous elixir had been turned into sound-waves – an elixir
conferring the gift of superhuman life, and the high, magnificent dreams
which are dreamt by the Immortals. [...]
The music mounted with the flame; and I understood, now, its recurrent
ebb and flow. As I looked and listened, a mad thought was born in my
mind – the thought of how marvelous and ecstatical it would be to run
forward and leap headlong into the singing fire. The music seemed to
tell me that I should find in that moment of flaring dissolution all the
delight and triumph, all the splendor and exaltation it had promised
from afar. It besought me; it pleaded with tones of supernal melody, and
despite the wadding in my ears, the seduction was well-nigh
irresistible.
Und tatsächlich werfen sich viele der in Ekstase geratenen Pilger in die Flammende Fontäne. Angarth widersteht dem schier übermächtigen Drang und flieht erneut. Doch wie schon beim ersten Mal ist das Verlangen auch diesmal zu groß, als dass er ihm lange widerstehen könnte. Allerdings beschließt er, einen Begleiter und Zeugen mitzunehmen, den Maler Felix Ebbonly. Als die beiden den Schrein der Singenden Flamme erreichen, erliegt Ebbonly ihrem Zauber und springt:
It was too late for me to even think of stopping him, when he ran
forward in a series of leaps that were both solemn and frenzied, like
the beginnings of some sacerdotal dance, and hurled himself headlong
into the flame. The fire enveloped him; it flared up for an instant with
a more dazzling greenness, and that was all.
Der geschockte Angarth schleppt sich zwar zurück zum Dimensionentor, doch der letzte Absatz seiner Aufzeichnungen lässt keinen Zweifel über sein letztendliches Schicksal:
I have no longer any will to fight the ever-insistent music which I hear
in memory. And there seems to be no reason at all why I should fight
it.... Tomorrow, I shall return to the city.
Damit endet die ursprüngliche Geschichte, wie sie in der Juliausgabe 1931 von
Wonder Stories zu lesen war. Vier Monate später erschien in demselben Magazin die Fortsetzung
Beyond the Singing Flame. Als
Tales of Wonder, Großbritanniens
"first-ever proper grown-up Science Fiction magazine",
The City of the Singing Flame im März 1940 erneut abdruckte, wurden die beiden Geschichten miteinander verschmolzen, und es ist diese längere Fassung, die man auch auf der exzellenten Website
The Eldritch Dark findet.
Es macht durchaus Sinn, die ursprünglich getrennten Geschichten als eine Einheit zu betrachten, vor allem, da die eigentliche Bedeutung der Singenden Flamme erst in der Fortsetzung klar wird. Dennoch möchte ich schon jetzt ein paar meiner Gedanken darlegen, bevor wir dann abschließend einen kurzen Blick in
Beyond the Singing Flame werfen.
Andrew Darlington
beschreibt die Geschichte als eine "
romantically decadent addiction metaphor", und tatsächlich finden sich im Text eine Reihe von Bezügen zu Drogenkonsum. Die Wirkung der Musik wird ausdrücklich als eine "
drug-like intoxication of brain and senses" beschrieben, an anderer Stelle ist von "
opiate music" die Rede, und Angarth vergleicht sein eigenes Verhalten mit dem eines Mannes "
in opium-trance". Dennoch halte ich es für falsch, die Story als "Sucht-Metapher" zu interpretieren. Anders rum wird ein Schuh draus. Die Droge dient als Metapher für eine andere Art von Ekstase. Jene, die Clark Ashton Smith in den Gefilden des gänzlich Fremdartigen, Unirdischen zu finden hoffte, die die phantastische Kunst eröffnet.
Wie er in einem Leserbrief an
Amazing Stories schrieb, der im Oktober 1932 veröffentlicht wurde und heute unter dem Titel
Fantasy and Human Experience bekannt ist:
Literature can be, and does, many things; and one of its most glorious
prerogatives is the exercise of imagination on things that lie beyond human experience – the adventuring of fantasy into the awful, sublime and infinite cosmos outside the human aquarium.
Schon Jahre zuvor hatte er gegenüber George Sterling erklärt: "[M]y fondest
dream is to find a Hyperborea beyond Hyperborea, in the realm of
imaginative poetry." (7) Dem Vorwurf des Eskapismus, den ein solches Verlangen vielerorts hervorrufen könnte, begegnete er u.a. mit folgendem Argument:
I've no quarrel with the slogan "art
for life's sake", but I think the current definition or delimitation
of what constitutes life is worse than ridiculous. Anything that the
human imagination can conceive of becomes thereby a part of life, and
poetry such as mine, properly considered, is not an "escape", but an
extension. (8)
In seiner vollen Radikalität ist das in diesen Aussagen skizzierte literarische Programm natürlich undurchführbar. Kein Künstler und keine Künstlerin ist in der Lage, etwas zu schaffen, was
völlig unabhängig von der menschlichen Erfahrungswirklichkeit ist. Noch die wildesten Phantasmagorien besitzen ihre Basis letztenendes in der materiellen Welt und noch mehr in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, in der ihre Schöpferin oder ihr Schöpfer lebt und die sie oder ihn geformt hat.
Dennoch glaube ich, dass in dieser Gegenüberstellung von "escape" und "extension" eine tiefe Wahrheit liegt. Indem sie uns mit dem Unirdischen, Bizarren, Grotesken, Fremdartigen konfrontiert, ist die Phantastik in der Lage, unseren Horizont zu erweitern, unsere üblichen Denkmuster, Vorurteile und Sehgewohnheiten zu erschüttern. Sie vermittelt uns ein Gefühl für die unermessliche Vielgestaltigkeit der Welt und des menschlichen Wesens. Ihr wohnt damit etwas Befreiendes und im Besten Sinne Utopisches inne.
H.P. Lovecrafts Mammut-Essay Supernatural Horror in Literature beginnt mit dem berühmten Satz: "The oldest and strongest emotion of mankind is fear, and the oldest and strongest kind of fear
is fear of the unknown." In der Schilderung von Angarths erstem
Besuch in der fremden Welt findet sich eine Bemerkung, die eine
vergleichbare Sichtweise zum Ausdruck bringt: "I shrank back with man's instinctive recoil before the unknown." Doch der Erzähler von The City of the Singing Flame überwindet diese instinktive Reaktion, die schon bald von einer immer größeren Faszination für das Unbekannte abgelöst wird. Vieles von dem, was Angarth in der fremden Welt sieht, wirkt auf den ersten Blick unheimlich oder verstörend, doch zugleich übt es eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn aus. So erinnert die Stadt in ihren titanischen Dimensionen zwar durchaus an lovecraftsche Schauplätze wie R'lyeh oder die "Mountains of Madness", wirkt nach anfänglicher Verstörtheit auf Angarth aber keineswegs furchteinflößend. Seine Beschreibung ihrer Bewohner enthält außerdem folgende, bedeutungsvolle Passage:
I fear to describe them minutely, for human words would give the idea
of something monstrous and uncouth, and these beings are not monstrous,
but they have merely developed in obedience to the laws of another
evolution than ours; the environmental forces and conditions of a
different world.
Die "Anderen" sind nicht monströs, sie sind bloß "anders". Ein Motiv, das seinen vielleicht humansten Ausdruck in Clark Ashton Smiths Geschichte
The Monster of the Prophecy gefunden hat, die ich vor Jahren
hier schon einmal besprochen habe.
Smith stand in der Tradition der literarischen Décadence, was auch in
The City of the Singing Flame deutlich zu erkennen ist. Die Singende Flamme verkörpert eine Schönheit jenseits der uns bekannten Wirklichkeit, im Vergleich zu der alle menschlichen Kunstwerke bloß wie ein blasser Widerschein wirken, wie in der Geschichte immer wieder betont wird. Dennoch versucht der Text selbst auf den Leser oder die Leserin eine ähnlich rauschhafte Wirkung zu erzielen wie die unirdische Musik der Flamme. Und hierin liegt einer der wichtigsten Gründe, warum ich Clark Ashton Smith so sehr liebe. Auch wenn er phantastische Kurzgeschichten für Pulp-Magazine schrieb, blieb er doch immer in erster Linie Poet. Viele seiner Stories wirken wie überlange Prosagedichte. Manche von ihnen nahmen ihren Ursprung auch tatsächlich als solche. In einem Brief an Lovecraft beschrieb er seine Herangehensweise einmal wie folgt:
My own conscious ideal has been to delude the reader in accepting an
impossibility, or series of impossibilities, by means of a sort of
verbal black magic, in the achievement of which I make use of
prose-rhythm, metaphor, simile, tone-color, counter-point, and other
stylistic resources, like a sort of incantation. (9)
Es scheint mir unmöglich, die besondere Schönheit von Smiths kunstvoll gearbeitetem, barock-überbordenen Stil auf adäquate Weise zu beschreiben. Man muss ihn lesen. Am besten laut. Denn er verfügte über eine ungeheure Sensibilität für die musikalischen Qualitäten der englischen Sprache.
Dass in
The City of the Singing Flame die Sehnsucht nach der wahren Schönheit motivisch mit dem Verlangen nach dem Tod verknüpft wird, geht natürlich gleichfalls auf alte romantische Traditionen zurück. Man lese etwa John Keats wunderbare
Ode to a Nightingale. Doch in
Beyond the Singing Flame erhält dieses Motiv eine deutliche Umwandlung. Wenn Philip Hastane schließlich seinem verschwundenen Freund in das Paralleluniversum folgt, zeigt sich nämlich, dass der Sprung in die Flammenfontäne keineswegs zur eigenen Vernichtung führt, sondern den Übergang in eine noch fremdartigere, quasi-paradiesische Dimension bedeutet, die ihrerseits bloß das "Vorzimmer" noch wundervollerer Sphären darstellt.
Damit erhält die Transzendenz der in der Singenden Flamme verkörperten Schönheit einen noch schärfer akzentuierten Charakter. Man kann dies natürlich auf eine mystisch-religiöse Weise interpretieren, und tatsächlich war Smith, anders als sein Freund Lovecraft, solchen Vorstellungen gegenüber durchaus aufgeschlossen,
verglich sein hilfloses Bemühen, die Wunder der durch die Flamme betretenen "Inner Sphere" zu beschreiben, sogar einmal mit Dantes Versuch, in der
Divina Comedia das Himmelreich darzustellen. Doch denke ich, dass man nicht gezwungen ist, die Geschichte auf diese Weise zu lesen, ganz gleich, was die bewussten Intentionen des Autors auch gewesen sein mögen. Für mich verdeutlicht die Existenz der "Inneren Sphäre" bloß, dass die ersehnte Schönheit als ein radikaler Gegensatz zur existierenden Wirklichkeit begriffen werden muss. Ihre Transzendenz erhält damit erst recht einen utopischen Charakter. Wobei ich "utopisch" nicht als Synonym für "unerreichbar" verstanden wissen will. Zugleich wird noch einmal die Gemeinsamkeit all jener hervorgehoben, denen es nach der "
immense joy and liberation" verlangt, die hier herrschen. So beschreibt Hastane die Wesen, die mit ihm diese neue Welt betreten haben folgendermaßen:
These beings were strange and outré beyond belief, in their corporeal
forms and attributes; and yet I took no thought of their strangeness,
but felt toward them the same conviction of fraternity that I felt
toward Angarth and Ebbonly.
Clark Ashton Smiths tiefe Sehnsucht nach dem Unirdischen entsprang einem ebenso tiefen Abscheu vor der bürgerlichen Gesellschaft Amerikas, ihrer selbstgefälligen Oberflächlichkeit und ihrem Konformismus. Er sah sich selbst als Pariah in einer Welt, bevölkert von puritanischen Heuchlern, cleveren Geschäftemachern und engstirnigen Spießern. Im Mai 1937 schrieb er in einem Brief an den jungen R.H. Barlow, der zu dieser Zeit mit der Kommunistischen Partei sympathisierte: "
My own nature is that of the rebel; if it weren't, I would hardly write, paint and sculpt in the manners I have chosen". (10) Und in seinem
Black Book findet sich die Notiz: "
It is still possible for
the free spirit to survive in America, if he can avoid starving to
death, and does not mind isolation and obloquy too much. Just how
long it will be possible for him to survive is a moot question".
Und so erleben wir in
Beyond the Singing Flame wie Ydmos, die Stadt der Singenden Flamme, von jenen Mächten angegriffen und zerstört wird, die die Innere Sphäre hassen "
as a thing that lures idle dreamers away from worldly reality. It is
regarded as a lethal and pernicious chimera, as a mere poetic dream, or a
sort of opium paradise." Als Hastane die fremde Welt betritt, bietet sich ihm der unheimliche und bedrückende Anblick einer zweiten Stadt, die über die Ebene auf die Mauern von Ydmos zuzumarschieren scheint:
I saw in the far distance the shining towers of what seemed to be
another city – a city of which Angarth had not written. The towers rose
in serried lines, reaching for many miles in a curious arclike
formation, and were sharply defined against a blackish mass of cloud
that had reared behind them and was spreading out on the luminous, amber
sky in sullen webs and sinister, crawling filaments.
Subtle disquietude and repulsion seemed to emanate from the far-off,
glittering spires, even as attraction emanated from those of the nearer
city. I saw them quiver and pulse with an evil light, like living and
moving things, through what I assumed to be some refractive trick of the
atmosphere. Then, for an instant, the black cloud behind them glowed
with dull, angry crimson throughout its whole mass, and even its
questing webs and tendrils were turned into lurid threads of fire.
The crimson faded, leaving the cloud inert and lumpish as before; but
from many of the vanward towers, lines of red and violet flame had
leaped, like out-thrust lances, at the bosom of the plain beneath them.
They were held thus for at least a minute, moving slowly across a wide
area, before they vanished. In the spaces between the towers, I now
perceived a multitude of gleaming, restless particles, like armies of
militant atoms, and wondered if perchance they were living things. If
the idea had not appeared so fantastical, I could have sworn, even then,
that the far city had already changed its position and was advancing
toward the other on the plain.
Und so endet die Geschichte in einer völligen Umkehrung des anfänglichen Eindrucks: Die wahre Bedrohung liegt nicht in der verführerischen Macht der Singenden Flamme, sondern in jenen finsteren Mächten, die sie auslöschen wollen.
PS: Deutsche Übersetzungen von
The City of the Singing Flame finden sich in dem Suhrkamp - Band
Saat aus dem Grabe (1982; Friedrich Polakovics) und im ersten Teil der im Festa-Verlag erschienen
Gesammelten Erzählungen (2011; Malte S. Sembten u.a.). Über ihre Qualität kann ich leider nichts aussagen. Die Zitate in diesem Aufsatz wurden sämtlich der auf
The Eldritch Dark veröffentlichen
Fassung entnommen.
(1) Der Unterschied ist freilich, dass deren serialisierte "Romane" parallel zu ihrer stückweisen Veröffentlichung geschrieben wurden.
Man denke z.B. an solch wild wuchernde Mammutwerke wie Varney the Vampire.
(2) Brief von George Sterling an Clark Ashton Smith [18. April 1926]. In:
The Shadow of the Unattained.
The Letters of George Sterling and Clark Ashton Smith. S. 271.
(3)
Smith hatte in der Vergangenheit auf Vermittlung Sterlings ab und an finanzielle Unterstützung von irgendwelchen reichen San Franciscoer Kunstmäzenen erhalten, aber diese Quelle war wohl schon seit längerem versiegt. Sterling selbst hatte im November 1926 Selbstmord begangen.
(4) Brief von Clark Ashton Smith an H.P. Lovecraft [Mitte September 1930]. In:
Selected Letters of Clark Ashton Smith. S. 120.
(5) Zit. nach: Dennis Rickard:
The Carvings of Clark Ashton Smith.
(6) Brief von Clark Ashton Smith an H.P. Lovecraft [24. Oktober 1930]. In:
Selected Letters of Clark Ashton Smith. S. 127.
(7) Brief von Clark Ashton Smith an George
Sterling [4. November 1926]. In: The Shadow of the Unattained. S. 284.
(8) Brief von Clark Ashton Smith an George
Sterling [27. Oktober 1926]. In:
The Shadow of the
Unattained. S. 282f.
(9) Brief von Clark Ashton Smith an
H.P. Lovecraft [c. 24.Oktober 1930]. In: Selected Letters of Clark
Ashton Smith. S. 126.
(10) Brief von Clark Ashton Smith an R.H.Barlow [16.Mai 1937]. In: Selected Letters of Clark Ashton Smith.S. 301.