"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Donnerstag, 26. Juli 2018

Weiden

After leaving Vienna, and long before you come to Budapest, the Danube enters a region of singular loneliness and desolation, where its waters spread away on all sides regardless of a main channel, and the country becomes a swamp for miles upon miles, covered by a vast sea of low willow-bushes. 

Ich habe vor ein paar Tagen wieder einmal Algernon Blackwoods Novelle The Willows gelesen.
Nun kann ich zwar nicht von mir behaupten, mit dem literarischen Gesamtwerk des Autors aufs Innigste vertraut zu sein, und von den Erzählungen aus seiner Feder, die ich kenne, haben mich beileibe nicht alle vom Hocker gerissen. Aber The Willows bleibt für mich – auch und gerade nach meiner erneuten Lektüre – eines der unbestreitbaren Meisterwerke der Weird Fiction.

Wie ich vor Zeiten in einem Post, der hauptsächlich seiner Story Ancient Sorceries {der mit den Katzen!} gewidmet ist, etwas ausführlicher beschrieben habe, wuchs Blackwood (1869-1951) in einem geistig engen und stark vom Calvinismus geprägten Milieu auf. Mit sechzehn Jahren schickten ihn seine Eltern nach Königsfeld im Schwarzwald, wo er eine Zeit lang die Schule der Herrenhuter Brüdergemeine besuchte. Gegen diese kleingeistige Welt rebellierte er schließlich auf zwei recht unterschiedlichen Wegen: Der eine führte ihn hinaus in die Natur – zuerst in den Schwarzwald, später u.a. in die Alpen, das Tal der Donau und die wilden Wälder Kanadas. Der andere erschloss sich ihm in der religiösen Philosophie Indiens, der Weisheit der Upanischaden, der Bhagavad-Gita und der buddhistischen Sutren, die er freilich nicht unmittelbar, sondern vermittelt über die synkretistische Heilslehre der Theosophie kennenlernte. Beide Formen der inneren Revolte verschmolzen am Ende zu einer sehr eigenen Form von Pantheismus, in der die Natur und das Numinose zu einer Einheit geworden sind, die zugleich Ehrfurcht und Staunen, als auch Furcht und Schrecken hervorrufen kann.
The Willows ist eine der Erzählungen Algernon Blackwoods, in denen diese Weltanschauung einen äußerst beeindruckenden und verstörenden literarischen Ausdruck gefunden hat.

Eine Inhaltsangabe zu liefern, die auch nur andeutungsweise die besondere Atmosphäre von The Willows einzufangen vermag, erscheint mir unmöglich. Darum begnüge ich mich damit, das Szenario knapp zu skizzieren
Der Erzähler befindet sich zusammen mit seinem schwedischen Freund {beide bleiben namenlos} auf einer Kanu-Tour die Donau hinab – von der Quelle bis zur Mündung. {Ein Unternehmen, das Blackwood selbst einmal unternommen hatte, wenn ich mich recht erinnere.}
In seiner Schilderung ihrer bisherigen Reise erscheint der Fluss als ein lebendiges Wesen mit einer individuellen Persönlichkeit. Das ist natürlich bloß als poetisches Bild gedacht. Doch als die zwei Pressburg (Bratislava) hinter sich lassen und in die jenseits der Stadt gelegene menschenleere Au- und Sumpflandschaft vorstoßen, wird dieses Bild in gewisser Weise beunruhigende Wirklichkeit.
Die beiden beschließen auf einer der zahllosen kleinen Inselchen, die von buschartigen Weiden bewachsen sind und durch die steigende Flut ständig an Umfang verlieren, zu übernachten. Schon bald stellt sich bei dem Erzähler das Gefühl ein, dass er und sein Freund eine Welt betreten haben, in die sie nicht hineingehören und die ihnen feindlich gesonnen ist:
Great revelations of nature, of course, never fail to impress in one way or another, and I was no stranger to moods of the kind. Mountains overawe and oceans terrify, while the mystery of great forests exercises a spell peculiarly its own. But all these, at one point or another, somewhere link on intimately with human life and human experience. They stir comprehensible, even if alarming, emotions. They tend on the whole to exalt.
With this multitude of willows, however, it was something far different, I felt. Some essence emanated from them that besieged the heart. A sense of awe awakened, true, but of awe touched somewhere by a vague terror. Their serried ranks, growing everywhere darker about me as the shadows deepened, moving furiously yet softly in the wind, woke in me the curious and unwelcome suggestion that we had trespassed here upon the borders of an alien world, a world where we were intruders, a world where we were not wanted or invited to remain – where we ran grave risks perhaps!
Als die beiden im schwindenden Licht erst eine vorbeischwimmende Leiche zu entdecken glauben, die sich dann aber doch als ein Otter entpuppt {oder vielleicht auch nicht?}, und kurz darauf ein Boot erblicken, dessen Insasse warnend mit den Armen herumzugestikulieren scheint, um sich schließlich zu bekreuzigen, heitert das die Stimmung auch nicht eben auf.
Und in der Tat: Was die menschlichen Eindringlinge auf diesem kleinen Inselchen erwartet, ist ein sich ständig steigernder Alptraum, der die beiden in den nächsten 36 Stunden beinahe in den Wahnsinn treiben wird.

Das Konzept des "kosmischen Horrors" wird für gewöhnlich mit dem Namen H.P. Lovecraft verknüpft. Doch was uns in The Willows entgegentritt, ist im Grunde ganz dasselbe. Kein Wunder, dass der Gentleman von Providence {und auch sein Freund Clark Ashton Smith} die Geschichte zu seinen absoluten Favoriten zählte.
Zwar interpretiert Blackwoods Erzähler die unheimlichen Ereignisse am Ende als Folge eines zeitlich begrenzten Eindringens einer fremden, andersweltlichen Realität in unser Universum. {Der Autor hatte leider einen Hang dazu, all zu oft "okkulte" Erklärungen für das von ihm Geschilderte zu liefern.} Doch zum einen müssen wir als Leser uns dieser Interpretation ja nicht unbedingt anschließen. Und zum anderen entspringt die besondere Atmosphäre von The Willows meiner Ansicht nach gerade nicht der Konfrontation mit etwas völlig fremdem, andersweltlichen, sondern der menschenleeren Landschaft, in der unsere Reisenden unerwünschte Eindringlinge sind. Dabei wird die Natur zum Numinosen, das oberflächlich Bekannte zum Fremden und Unheimlichen, das scheinbar Friedvolle zum Bedrohlichen.

Wie gesagt, ich finde es schwer, den besonderen Reiz dieser Erzählung in Worte zu fassen. Man muss sie gelesen haben.



PS: Warum hat sich eigentlich noch niemand an einer Verfilmung von The Willows versucht? Abendfüllend könnte der Streifen zwar sicher nicht sein, aber wenn man es richtig anpacken würde, gäbe Blackwoods Erzählung  ganz sicher den Stoff für einen faszinierenden kleinen Film von sagen wir mal einer Stunde Länge her. Voraussetzung wäre freilich eine möglichst zurückhaltende und ganz auf Atmosphäre konzentrierte Herangehensweise.
{Eine Drehbuchbearbeitung von Wayne K. Spitzer existiert offenbar sogar.}

PPS: Kuriosum am Rande: In Ingeborg Bachmanns Roman Malina kann man ganze Passagen aus Friedrich Polakovics' Übersetzung von The Willows entdecken. Nicht dass sie als solche gekennzeichnet wären ...

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