Halloween hat eine lange Geschichte. Wenn auch keine so lange, wie manche glauben. Wer sich für die Details interessiert, dem sei ein Besuch von Mr. Jim Moons phantastischer und epischer Podcast-Reihe The Origins of Halloween (1 * 2 * 3 * 4 * 5) empfohlen.
Hierzulande freilich ist das hohe Fest der Gespenster und Hexen eine relativ neue Ergänzung zum Festtagskalender und hat sich auch heute noch keineswegs allgemein durchgesetzt. Zwar sind mir diesmal auch in meinem kleinen Odenwalddorf mehr Jack O'Lanterns in den Vorgärten aufgefallen, aber als ich vor einem Jahr abends von der Arbeit nach Hause spazierte, war ich schon glücklich, wenigstens drei kleinen Hexen auf Rundgang zu begegnen.
Die "offizielle" Version der Verbreitung von Halloween in Deutschland beginnt im Frühjahr 1991.
Der Ausbruch des Golfkriegs hatte dazu geführt, dass die traditionelle Karnevals-Saison mehr oder weniger ausgefallen war. Eine Reaktion, die man sich heute – in unserer Ära der permanenten Kriege – kaum mehr richtig vorstellen kann. Aber es waren eben andere Zeiten. Trotz vereinzelter Militärinterventionen in den 80er Jahren (Libanon, Grenada, Panama) hatte sich die US-Mordmaschinerie seit ihrer demütigenden Niederlage in Vietnam eher zurückgehalten. Nun trat sie erstmals wieder mit voller Macht in Aktion.
Wie dem auch sei, jedenfalls versaute das Gemetzel am Persischen Golf der deutschen Karnevals-Branche das Geschäft:
Weil im Irak Bomben fielen, hatte in Deutschland niemand Lust auf ein fröhliches Fest, und so wurden die Rosenmontagszüge abgesagt. Für die Unternehmer war das ein großes Problem: Die Clownskostüme und Masken, mit denen sie Geld verdienen, wollte nun natürlich niemand mehr haben.[...] Alle, die normalerweise mit Karnevalsartikeln Geld verdienten, machten sich nun Sorgen um die Zukunft, es gab ein großes Krisentreffen: Was würde sein, wenn wieder einmal ein Krieg oder eine andere Katastrophe den Leuten die Lust auf den Fasching verderben würde? Womit könnte man sonst noch Geld verdienen?
Man verfiel auf die Idee, mit Halloween ein zweites Standbein für die Industrie zu etablieren. Unter der Leitung von Dieter Tschorn vom Deutschen Verband der Spielwarenindustrie (DVSI) wurde eine konzentrierte Medienkampagne gestartet, um das Fest in Deutschland populär zu machen.
Keine sehr hübsche Geschichte, ich weiß. Aber selbst wenn zynische Geschäftemacherei einen wichtigen Beitrag dazu geleistet haben sollte, die Herrschaft von König Jack O'Lantern auf deutsche Gefilde auszuweiten, dämpft das doch in keiner Weise meine Liebe für das Fest. Ich habe diesen kleinen historischen Exkurs auch nur deshalb unternommen, um zu illustrieren, warum Halloween kein fester Bestandteil meiner eigenen Kindheit war – und es wohl auch gar nicht sein konnte.
Ich habe vage Erinnerungen daran, als Kind das berühmte Halloween-Special der Peanuts – It's the Great Pumpkin, Charlie Brown (1966) – gesehen zu haben, aber die Gestalt des Großen Kürbis, dessen mitternächtliches Erscheinen über dem Kürbisfeld Linus so vertrauensvoll erwartet, war für mich mit keinen mir vertrauten Traditionen verknüpft und hat sich mir wohl gerade deshalb als eine eigentümliche Skurrilität besonders stark ins Gedächtnis eingeprägt.
Nicht viel besser sah es während der einzigen "Gamer" - Phase meines Lebens aus, als ich Mitte der 80er am C64 Cauldron zockte – ein Spiel, das mir sehr gut gefiel, dessen Hexen und Kürbisse aber gleichfalls keine Assoziationen mit mir bekannten Festgebräuchen in mir wachriefen. Glaube ich zumindest ...
Vielleicht war ich ja in dieser Hinsicht besonders ungebildet, aber eine weitere kleine Anekdote sollte – denke ich – sehr schön zeigen, wie unbekannt Halloween weiland in diesen Landen war.
Wenn meine Erinnerung mir nicht einen besonders dreisten Streich spielt, gibt es eine Episode der Munsters, in der Herman, Lily & Anhang für Leute in Halloween-Verkleidung gehalten werden. {Ich glaube, es ist Family Portrait}. In der deutschen Synchronisation wird der Name des Festes durch Fasching ersetzt. Man ging offensichtlich davon aus, dass sich das Fernsehpublikum der 60er Jahre unter Halloween nichts vorstellen konnte. Und auch wenn der Ersatz nicht wirklich funktioniert – Frankenstein-Monster und Vampir-Ladies waren glaub' ich nie beliebte deutsche Karnevalskostüme – erschien das den Verantwortlichen wohl immer noch als die bessere Wahl.
Doch auch wenn ich mit dem eigentlichen Charakter Halloweens und mit seiner Ikonographie lange Zeit nicht vertraut war, war mir die Existenz des Festes doch schon seit frühester Kindheit bekannt. Das klingt jetzt etwas verwirrend? – Lasst mich erklären!
Ich bin in unmittelbarer Nachbarschaft zur Burg Frankenstein bei Darmstadt/Eberstadt aufgewachsen. Und dort begannen in den 70ern die GIs der nahegelegenen Kasernen {und wohl auch ihre Familien} alljährlich Halloween zu feiern. Ursprünglich muss das ein ziemlich wüstes Treiben gewesen sein. Jedenfalls machten unter uns Kindern Geschichten von makabren Späßen wie abgeschlagenen Schweinsköpfen, die man zur Belustigung der Feiernden durch den nächtlichen Wald rollen ließ, die Runde. Etwas später war gar davon die Rede, dass jemand dort oben an einem Herzinfarkt gestorben sei, weswegen man den Charakter der Festivitäten etwas entschärft habe. Wieviel davon ins Reich der "urbanen Mythen" gehört, sei dahingestellt.
Dass sich die GIs für ihre Party ausgerechnet die alte Burgruine aussuchten, war aufgrund der verführerischen Namensverwandtschaft zum guten Dr. Victor nicht verwunderlich. Doch sollte dasselbe Jahrzehnt die Geburt einer frustrierend zählebigen fixen Idee erleben, derzufolge das Gemäuer allen Ernstes die Inspirationsquelle für Mary Shelleys epochales Werk gewesen sei. Verantwortlich dafür war niemand anderes als Radu Florescu – der Mann, der zuvor bereits die ebenso irrige Vorstellung in die Welt gesetzt hatte, dass Bram Stokers Dracula mit Vlad Tepes identisch bzw. von der Gestalt des walachischen Woiwoden inspiriert gewesen sei. In seinem Buch In Search of Frankenstein stellte Florescu die durch nichts zu belegende These auf, dass Shelley während ihrer Rheinreise von 1814 die Burg besucht und dabei Geschichten über den dort geborenen Alchimisten Johann Konrad Dippel (1673-1734) gehört habe, was der Anstoß für ihren Modern Prometheus gewesen sei. Mitte der 90er griff der selbsternannte "Burgschreiber" Walter Scheele diese Idee wieder auf und spann sie weiter, wobei er sich auf allerlei nicht auffindbare "Dokumente", verborgen gehaltene "Tagebücher" und ähnlichen Humbug berief. Eine ausführliche Darlegung der ganzen bizarren Geschichte kann man sich hier durchlesen.
Die Halloween-Feiern auf der Burg, die für mich als Kind von einem mysteriös-morbiden Zauber umgeben waren, haben sich inzwischen zu einem gewaltigen Spektakel weiterentwickelt. Ein weiteres Zeichen für den Wandel der Zeiten.
Wie dem auch sei, ich wünsch euch allen da draußen jedenfalls ein hübsch-gruseliges Halloween!
Lassen wir das Ganze nun ausklingen mit This is Halloween aus The Nightmare Before Christmas (1993) – Produkt jener wunderbaren Zeit, als Tim Burtons Exzentrizitäten ihren Charme noch nicht verloren hatten.
Die Halloween-Feiern auf der Burg, die für mich als Kind von einem mysteriös-morbiden Zauber umgeben waren, haben sich inzwischen zu einem gewaltigen Spektakel weiterentwickelt. Ein weiteres Zeichen für den Wandel der Zeiten.
Wie dem auch sei, ich wünsch euch allen da draußen jedenfalls ein hübsch-gruseliges Halloween!
Lassen wir das Ganze nun ausklingen mit This is Halloween aus The Nightmare Before Christmas (1993) – Produkt jener wunderbaren Zeit, als Tim Burtons Exzentrizitäten ihren Charme noch nicht verloren hatten.