Zu Beginn der 70er Jahre begann sich der Niedergang des klassischen Brit-Horrors, wie er vor allem von Hammer Film Productions geprägt worden war, immer deutlicher abzuzeichnen. Weltweit neigte sich die "gotische" Ära des Horrorkinos ihrem Ende entgegen.
Um dem Dahinschmelzen der Zuschauerzahlen entgegenzuwirken, setzte das House of Hammer nicht nur auf etwas mehr Sex & Gore, sondern versuchte auch, sein Publikum mit originelleren Herangehensweisen an die typischen Stoffe des "Gothic Horror" zu ködern. Und so kommen wir in den letzten Jahren von Hammers Blütezeit in den Genuss einiger besonders eigenwilliger oder schlicht bizarrer Werke wie Dr. Jekyll & Sister Hyde (971; vgl. hier), Dracula A.D. 1972 (1972), Demons of the Mind (1972), Captain Kronos – Vampire Hunter (1972/74; vgl. hier) oder The Legend of the 7 Golden Vampires (1974). Robert Youngs Vampire Circus (1972) gehört ohne Frage gleichfalls zu dieser Gruppe.
Während Dracula im selben Jahr in das London der Swinging Sixties übersiedelte, bewahrten sich einige seiner vampirischen Verwandten ihre Liebe zum klassischen Hammer Horror - Land – jener nur vage definierten mitteleuropäischen Region des 19. Jahrhunderts, wo die Leute zwar deutsch klingende Namen tragen und scheinbar Untertanen der K&K - Monarchie sind, die Priester aber dennoch in der Gewandung orthodoxer Popen durch die Gegend laufen.
Zu dieser traditionsbewussten untoten Sippschaft gehörte auch Graf Mitterhaus (Robert Tayman).
Die Bewohner der kleinen Ortschaft Stetl – die ganz offensichtlich kein "Schtetl" ist – haben genug von dem blutigen Treiben ihres Feudalherrn, der seine vampirischen Reißzähne mit Vorliebe in die Kehlen kleiner Kinder versenkt, die ihm von seiner Geliebten Anna (Domini Blythe), der Gattin des Dorfschullehrers Müller, zugeführt werden. Mit Annas Eheman (Laurence Payne) an der Spitze stürmen die braven Bürger die Burg des blaublütigen Blutsaugers, jagen ihm den traditionellen Holzpflock durchs Herz und legen das Gemäuer mithilfe großzügiger Mengen Schwarzpulvers in Schutt und Asche. Bevor er sein untotes Leben aushaucht, hat der Graf allerdings noch die Gelegenheit, Stetl und seine Bewohner zu verfluchen und seine einstige Rückkehr anzukündigen.
Fünfzehn Jahre später wird das Dorf von einer geheimnisvollen Seuche heimgesucht, in der viele die Erfüllung dieses Fluches sehen. Der aufgeklärte Doktor Kersh (Richard Owens) hält das freilich für abergläubischen Unsinn, und macht sich lieber in die Hauptstadt auf, um den Rat wissenschaftlicher Autoritäten einzuholen und die notwendige Medizin zu organisieren. Was nicht so ungefährlich ist, da Stetls Nachbarn aus Furcht vor der Pest alle Zugangswege abgeriegelt haben und nicht zögern, ihre Gewehre zu benutzen.
Nachdem sich der gute Doktor auf den Weg gemacht hat, taucht überraschend ein Wanderzirkus unter Leitung einer namenlosen Zigeunerin (Adrienne Corri) in Stetl auf. Zu den Schaustellern gehören ein Zwerg (Skip Martin), ein Kraftmensch (David Prowse), ein Akrobaten-Zwillingspaar (Lalla Ward & Robin Sachs), zwei erotische Tänzer (Serena & Milovan Vesnitch), sowie der gestaltswandelnde Panthermensch Emil (Anthony Higgins), der eine starke sexuelle Anziehungskraft auf Rosa (Christina Paul), die junge Tochter des Bürgermeisters (Thorley Walters), ausübt. Doch was anfangs wie eine angenehme – wenn auch leicht unheimliche – abendliche Ablenkung für die arg gebeutelte Dorfgemeinschaft wirkt, erweist sich schon bald als tödliche Bedrohung. Denn der "Circus of Nights" ist gekommen, um die Wiederauferstehung von Graf Mitterhaus in die Wege zu leiten. Können Doktor Kerschs Sohn Anton (John Moulder-Brown) und Müllers Tochter Dora (Lynne Frederick) den diabolischen Plan der vampirischen Schausteller durchkreuzen, oder wird es diesen gelingen, Mitterhaus' Rache an Stetls Bürgern und ihren Kinder zu vollstrecken?
In Hammers Spätphase kamen häufiger Leute zum Einsatz, die nicht zum alten Stab der B-Movie-Schmiede gehörten. So z.B. Drehbuchschreiber Tudor Gates, der zuvor an der Produktion von Roger Vadims Barbarella (1968) und Mario Bavas Danger Diabolik (1968) mitgewirkt hatte, und Anfang der 70er. Hammers "Karnstein-Trilogie" (The Vampire Lovers [1970], Lust for a Vampire [1971], Twins of Evil [1971]) kreierte. Oder Avengers - Schöpfer Brian Clemens, der für Dr. Jekyll & Sister Hyde (1971) sowie Captain Kronos (1972/74) verantwortlich zeichnete.
Im Falle von Vampire Circus nahm dieses Bemühen um eine Art künstlerische Frischzellenkur einen besonders pointierten Charakter an, waren doch sowohl Drehbuchautor Judson Kinberg als auch Regisseur Robert Young völlige Neulinge in ihrem jeweiligen Metier. Wer auch immer bei Hammer für diese Wahl verantwortlich gewesen war, hatte ein sicheres Händchen bewiesen. Zwar ist Kinbergs Script etwas wirr, doch gelingt es Young, seinem Film eine wundervoll bizarre und ziemlich düstere Atmosphäre zu verleihen. Freilich stand ihm dabei mit Kameramann Moray Grant ein altgedienter Hammer - Veteran zur Seite. Auch konnte er sich auf ein solides Schauspiel-Ensemble stützen, zu dem u.a. einige Semi-Berühmtheiten des phantastischen Films wie Adrienne Corri (A Clockwork Orange), Skip Martin (The Masque of the Red Death) und David Prowse (Darth Vader) gehörten.
Von der meisterlich verstörenden Eröffnungsszene an, in der Anna ihrem untoten Liebhaber ein junges Mädchen zuführt, ist dem Film etwas Bedrückendes eigen. Das Stürmen der Burg und das Pfählen des Grafen wirken kaum wie ein echter Triumph des Guten, und sobald wir "in die Gegenwart" springen, werden wir mit Bildern von Pestleichen und mit Streit und Misstrauen unter den Dorfhonoratioren konfrontiert. Stetls auffallenderweise stets gesichtslos bleibende Nachbarn, die jeden zu ermorden drohen, der dem seuchenverheerten Dorf zu entkommen versucht, wirken mindestens so unmenschlich wie die dämonischen Schausteller. Möglicherweise sogar noch ein wenig unmenschlicher als diese.
Die meisten frühen Hammer - Horrorfilme folgten dem von Terence Fisher geprägten Modell von "Savant & Monster", das Kim Newman in Nightmare Movies wie folgt charakterisiert:
Hammer Horror treats the "normal" characters and the audience as innocent bystanders caught in a private battle between the forces of Good and Evil, as represented by the Savant and the Monster ... [The Savant typically is] an elderly mystic, steeped in arcane knowledge, apparently rational, but with an Old Testament streak of "vengeance is mine" fundamentalism. The Monsters tend to be as suave, attractive and plausible as Christopher Lee's Dracula, and as prone to red-eyed, fangs-bared hissing when thwarted.*
In diesem Konzept spiegelte sich etwas von Fishers eigener, stark religiös geprägter Weltsicht wider:
If my films reflect my own personal view of the world in any way, it is in their showing of the ultimate victory of good over evil, in which I do believe.**
Ein solches Konzept, das auf einer unerschütterlichen Gut-Böse-Dichotomie basierte, musste sich im Laufe der Zeit als eine erzählerische Zwangsjacke erweisen. Und so relativieren die interessantesten Filme aus Hammers Spätphase allesamt auf die eine oder andere Weise das alte Modell, und damit auch den moralischen Rigorismus, den es verkörperte.
Vampire Circus bildet da keine Ausnahme. Der "Savant" Dr. Kersh glaubt anfangs nicht an Vampire und ist für den Großteil der Handlung nicht einmal anwesend. Ähnliches gilt für das "Monster" Mitterhaus. Ins Zentrum des Geschehens rücken damit die Schausteller. Und diese bilden eine Gemeinschaft, in der anders als bei Kreaturen der Nacht üblich keine strenge Hierarchie, sondern vielmehr ehrliche Freundschaft und gegenseitige Zuneigung zu herrschen scheinen. Mitunter können sie beinahe wie verfolgte Underdogs wirken, die sich für die ewigen Zurückweisungen, das Misstrauen und die Bigotterie, welche ihnen von den "ehrbaren Bürgern" entgegengebracht werden, zu rächen versuchen.
Dass die meisten ihrer Opfer Kinder oder Heranwachsende wie Rosa sind, zerstört freilich sofort wieder jede Sympathie, die wir für sie entwickeln könnten. Vor allem Skip Martins Zwerg gewinnt im Verlaufe des Films eine wahrhaft dämonische Ausstrahlung. Doch selbst dann noch herrscht eine beunruhigende Symmetrie zwischen der Gewalt der Vampire und der der Dorfbewohner. Zwei Szenen illustrieren dies sehr schön: Wenn Dora über die grausigen Überreste eines Massakers stolpert, das Emil in Pantherform an einer flüchtigen Familie in den Wäldern angerichtet hat, entdeckt sie dabei einen abgerissenen Kopf, der in einem Baum hängt. Und im großen Finale enthauptet Anton seinerseits mit Hilfe einer findig eingesetzten Armbrust den wiederauferstandenen Mitterhaus.
Vielleicht weniger innovativ, aber doch erwähnenswert ist die Darstellung von Erotik und Sexualität in Vampire Circus. Den Höhepunkt der ersten Aufführung des "Circus of Nights" bildet ein erotischer Tanz, bei dem ein "Löwenbändiger" und eine nur mit Bodypainting "bekleidete" "Tigerfrau" in einen wilden und sinnlichen Zweikampf verwickelt sind. Dieser Tanz setzt den Ton für den gesamten Film. Sex erscheint durchgehend als etwas gefährliches, am deutlichsten natürlich im Falle der naiven Rosa, die Emils animalischem Charme erliegt und dafür am Ende mit ihrem Leben bezahlen muss. Im Gegensatz dazu wirkt die Beziehung zwischen unseren Helden Anton und Dora gänzlich unsinnlich. Dass die beiden ein Liebespaar sein sollen, istt wenig überzeugend. Wobei freilich erschwerend hinzukommt, dass Dora überhaupt erst nach der Hälfte des Films zum ersten Mal auftaucht. Eine bizarre Entscheidung des Drehbuchautors. Ob man all das als latente Sinnenfeindlichkeit zu interpretieren hat, sei dahingestellt.
Zusammenfassend sei gesagt, dass Vampire Circus aufgrund seiner düsteren Atmosphäre und seines Hangs zum Bizarren, der sich vor allem in der Darstellung des "Circus of Nights" – seiner Mitglieder und ihrer abendlichen Aufführungen – äußerst, ein wirklich sehenswerter Vertreter der Spätphase von Hammer ist.
{Ach ja, und wer sich daran stört, dass die Vampire in diesem Film immun gegen Sonnenlicht sind, sei daran erinnert, dass weder Le Fanus Carmilla, noch Bram Stokers Dracula an dem bei "modernen" Vampiren üblichen Handicap litten. Beide hatten zwar eine intensive Abneigung gegen das Tagesgestirn, wurden von diesem aber nicht zu einem Häuflein Asche verbrannt.}
* Kim Newman: Nightmare Movies. A Critical History of the Horror Film, 1968-88.S. 13.
** Zit nach: The House of Horror. The Complete Story of Hammer Films. S. 15.